Als vor kurzer Zeit eine Sammlung mit literarischen Werken englischer Autorinnen aus den Jahren 1660 bis 1730 herausgegeben wurde, war auch das Werk „The Reformed Coquet“ von Mary Davys, zuerst im Jahre 1724 veröffentlicht, mit dabei. Im Vorwort zum Roman bezeichnet die Herausgeberin Paula R. Backschneider den folgenden Roman als einen Bildungsroman („Within a clever Bildungsroman…”) Dieser Ausspruch warf die Frage auf, ob die vorliegende Geschichte, die immerhin 70 Jahre vor dem ersten als Bildungsroman beschriebenen Werk, Goethes „Wilhelm Meisters Lehrjahre“, veröffentlicht wurde, trotzdem die Grundzüge der genannten Gattung trägt. Eine kurze Diskussion des Begriffs Bildungsroman steht am Anfang. Es wird die sehr weit gefasste, der englischen Literatur zugeordnete Definition der deutschen gegenüber gestellt. Letztere ist die deutlichere Version und findet daher im weiteren Verwendung. Die sich anschließenden Kapitel folgen der Zielsetzung, die Frage zu beantworten, ob man die Kriterien eines Bildungsromans im vorliegenden Werk wieder finden kann.
Inhaltsverzeichnis
0. Einleitung
1. Der Bildungsroman
1.1 Definition des englischen Bildungsromans
1.2 Der Bildungsroman in der deutschen Literatur
2. Der Roman „The Reformed Coquet“
2.1 Inhaltsangabe des Romans „The Reformed Coquet“
3. Analyse des Romans „The Reformed Coquet“ hinsichtlich der Merkmale der Gattung Bildungsroman
3.1 Charakterbildung und Formung
3.1.1 Amorandas Charaktereigenschaften
3.1.2 Amorandas Verhaltensänderung
3.1.3 Amorandas Charaktermodifikation und Bildungsroman
3.2 Zentrale Stellung des Protagonisten
3.3 Autobiographische Quellen in „The Reformed Coquet“
3.4 Entwicklungspsychologische Untersuchung Amorandas
3.5 Ideale in Amorandas verändertem Verhalten
4. Zusammenfassung
5. Literaturverzeichnis
0. Einleitung
Als vor kurzer Zeit eine Sammlung mit literarischen Werken englischer Autorinnen aus den Jahren 1660 bis 1730 herausgegeben wurde, war auch das Werk „The Reformed Coquet“ von Mary Davys, zuerst im Jahre 1724 veröffentlicht, mit dabei. Im Vorwort zum Roman bezeichnet die Herausgeberin Paula R. Backschneider den folgenden Roman als einen Bildungsroman („Within a clever Bildungsroman…”[1]) Dieser Ausspruch warf die Frage auf, ob die vorliegende Geschichte, die immerhin 70 Jahre vor dem ersten als Bildungsroman beschriebenen Werk, Goethes „Wilhelm Meisters Lehrjahre“, veröffentlicht wurde, trotzdem die Grundzüge der genannten Gattung trägt.
Eine kurze Diskussion des Begriffs Bildungsroman steht am Anfang. Es wird die sehr weit gefasste, der englischen Literatur zugeordnete Definition der deutschen gegenüber gestellt. Letztere ist die deutlichere Version und findet daher im weiteren Verwendung. Die sich anschließenden Kapitel folgen der Zielsetzung, die Frage zu beantworten, ob man die Kriterien eines Bildungsromans im vorliegenden Werk wieder finden kann.
1. Der Bildungsroman
Um zu untersuchen, in welchen Aspekten der Roman „The Reformed Coquet“ als Bildungsroman angesehen werden kann, ist es zuerst erforderlich, eine allgemeine Definition des Wortes Bildungsroman zu geben.
1.1 Definition des englischen Bildungsromans
Da es sich bei dem zu analysierenden Roman um ein englischsprachiges Werk handelt, drängt sich die Überzeugung auf, man müsse hier die Definition des englischen Bildungsromans zu Rate ziehen. Diese ist jedoch sehr weit gefasst: Buckley schreibt in seinem Buch Seasons of Youth, dass der Bildungsroman in der englischen Literatur „in its broadest sense . . . a convenient synonym for the novel of youth or apprenticeship“[2] sei. Der Romantypus war im viktorianischen England recht weit verbreitet. Autoren wie Charlotte Bronte, Charles Dickens und George Eliot schrieben Romane, die heute dem erwähnten englischen Genre zugeordnet werden. Doch diese Romane haben größtenteils ausschließlich den Aspekt gemeinsam, den Buckley in seinem Buch erwähnt (s. o.) und variieren ansonsten stark, sodass eine differenzierte Darstellung der Merkmale des Genres nicht möglich ist. Darüber hinaus liegen die Ursprünge des Bildungsromanbegriffs, darauf deutet auch das Übernehmen des deutschen Begriffs Bildungsroman in die englische Sprache hin, eher in der deutschen Literatur. Aus diesen Gründen werde ich versuchen, anhand der deutschen Definition des Begriffs den Roman „The Reformed Coquet“ analysierend darzustellen.
1.2 Der Bildungsroman in der deutschen Literatur
Der Begriff Bildungsroman ist eine Kreation des deutschen Philosophen, Psychologen und Pädagogen Wilhelm Dilthey, zuerst verwendet in einer Biographie über Friedrich Schleiermacher aus dem Jahre 1870. Johann Wolfgang von Goethes Werk „Wilhelm Meisters Lehrjahre“, das zwischen 1794 und 1796 veröffentlicht wurde, gilt als die Idealform des Bildungsromans. Auf Dilthey gehen die folgenden fünf Vorstellungen zurück, die mit dem Begriff Bildungsroman verbunden sind:
Als erstes und wichtigstes Merkmal nennt Dilthey in seinem Buch Das Erlebnis und die Dichtung[3] den Gedanken der Bildung und Formung des Protagonisten im Laufe der Geschichte. Nicht der äußere Handlungsverlauf stellt das wesentliche Element der Erzählung dar, sondern „die innere Geschichte eines Individuums, seine geistige und seelische Entwicklung in der Auseinandersetzung mit der Welt.“[4] Also steht die Idee der wachsenden Reife der Hauptfigur im Mittelpunkt, der Prozess seiner Suche nach seinem Platz in der Welt. Nachdem zu Anfang der Erzählung die Wünsche und Einstellungen des Helden nicht zu den in der Gesellschaft vorherrschenden Werten und Normen passen, macht er im Laufe seines Lebens reichhaltige Erfahrungen, die einen derartig positiven Einfluss auf ihn haben, dass er am Ende des Romans seinen rechten Platz in der Welt gefunden, Reife erworben und die Werte und Normen der Gesellschaft angenommen hat.
„The Bildungsroman examines a regular course of development in the life of the individual: each of its stages has its own value and each is at the same time the basis of a higher stage. The dissonances and conflicts of life appear as the necessary transit points of the individuals way to maturity.“[5]
Das zweite Element ist die Wichtigkeit des Protagonisten, der nicht nur durch seine Einzigartigkeit und sein individuelles Streben hervorgehoben wird, sondern vor allem durch seine zentrale Stellung im Roman. Alle anderen Figuren werden durch diese Übermacht der Hauptperson in den Hintergrund gedrängt und im Gegensatz zum Helden nur sehr oberflächlich behandelt.
Der autobiographische Einschlag der Erzählung ist der dritte Punkt, der nach Dilthey einen Bildungsroman ausmacht. Dilthey behauptet, dass der Autor eines Bildungsromans seine eigene Lebensgeschichte bewusst oder unbewusst teilweise zu der des Romanhelds macht.
Der Psychologe Dilthey spricht der Gattung des Bildungsromans außerdem eine Verbindung zur Psychologie zu, gemäß der damaligen Forschung vor allem zur Entwicklungspsychologie.
Der fünfte Punkt, der ebenfalls den Protagonisten betrifft, hat das Ideal der Menschlichkeit und das Ideal von der Verwirklichung allen menschlichen Potenzials als übergeordnetes Lebensziel zum Inhalt.[6]
2. Der Roman „The Reformed Coquet“
Damit die im dritten Teil der Arbeit folgenden Thesen bezüglich der Einordnung in das Genre Bildungsroman für den Leser nachvollziehbar und eindeutig zu verstehen sind, werde ich den Inhalt des Romans kurz zusammenfassen.
2.1 Inhaltsangabe des Romans „The Reformed Coquet“
Im Wissen um ihre Schönheit und Klugheit und deren Auswirkungen auf ihre Mitmenschen bildet das Mädchen Amoranda schon mit sieben Jahren eine ungewöhnliche Eitelkeit heran. Bevor sie das Alter von 15 Jahren erreicht, ist sie Vollweise und Erbin eines großen Vermögens. Ihr Onkel, der sich für sie verantwortlich fühlt, kann nicht mit ihr auf dem Lande wohnen, denn seine Arbeit als Händler erlaubt es ihm nicht. Als Ersatz verspricht er aber, jemanden zu finden, der auf sie aufpassen und sie beschützen soll. Amoranda lebt also allein mit ihren Dienern, genießt ihre Freiheit und die Schmeicheleien ihrer zahlreichen Verehrer, die bei ihr ein und aus gehen. Einer von ihnen ist Lord Lofty, ein sehr von sich überzeugter Herr, der sich nur ein paar Stunden Vergnügen mit Amoranda erhofft. Auch Amoranda meint es mit keinem ihrer Verehrer wirklich ernst. Zwei andere Männer, Callid und Froth, sind so verzweifelt in ihrer nicht erwiderten Liebe zu Amoranda, dass sie den Plan schmieden, Amoranda zu entführen und sie auf diese Weise zu einer Heirat mit einem von beiden zu zwingen. Durch einen Zufall wird Amoranda aber von ihrem Hauswart vor dem Plan gewarnt. Kurz darauf erscheint ein alter Herr, Formator, der von Amorandas Onkel als Beschützer ausgewählt wurde. Obwohl sie nicht sehr begeistert ist von einem derartig alten Mann, akzeptiert sie ihn und seine Ratschläge, nicht zuletzt um ihrem Onkel einen Gefallen zu tun. Am nächsten Morgen zeigt ihre Zofe Jenny ihr einen Brief, den sie im Garten gefunden hat. In dem amtlichen Brief verspricht Lord Lofty einer Frau, sie zu heiraten oder ihr 10000 Pfund zu zahlen. Formator, der Amoranda vor solchen Menschen wie Lord Lofty bewahren möchte und ihr somit versucht den Umgang mit ihm zu verbieten, erklärt ihr die Tugenden einer Frau, die aus „Virtue, Modesty and an initiate love to honour”[7] bestehen. An diesem Abend versuchen Callid und Froth ihren Plan auszuführen, werden jedoch von Formator und einem Angestellten Amorandas überwältigt, bevor sie sich gegenseitig des Verrats bezichtigen und sich schließlich umbringen.
[...]
[1] Popular Fictions by Women, 1660-1730: An Anthology, ed. Paula R. Backschneider and John R. Richetti (Oxford, 1996), 252
[2] Jerome Hamilton Buckley, Seasons of Youth: The Bildungsroman von Dickens to Golding (Cambridge, 1974)
[3] Wilhelm Dilthey, Das Erlebnis und die Dichtung: Lessing , Goethe, Novalis, Hölderlin (Göttingen, 1921)
[4] Brockhaus– Enzyklopädie in 24 Bänden (Mannheim, 181987), III, 319
[5] www.yenra.com/quotations/bildungsroman.html
[6] ebd.
[7] Popular Fictions by Women, 1660-1730: An Anthology, ed. Paula R. Backschneider and John J. Richetti (Oxford, 1996), 268
- Quote paper
- Mareike Janus (Author), 2004, Kann man den Roman "The Reformed Coquet" von Mary Davys der Gattung Bildungsroman zuordnen?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/32200
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