Um österreichischen Kindern und Jugendlichen mit Behinderung und/oder sonderpädagogischem Förderbedarf den Zugang in die Gesellschaft zu erleichtern, wurden vielerorts Integrationsklassen geschaffen, in denen sie gemeinsam mit nicht behinderten Schülerinnen und Schülern unterrichtet werden. Pädagogisches Hauptziel ist hierbei der Aufbau von gegenseitiger Wertschätzung, Verständnis und Respekt. Doch welche Methoden stehen Lehrenden im inklusiven Unterricht zur Verfügung, um diese Entwicklung zu fördern?
Die vorliegende Arbeit befasst sich mit dem psychomotorischen (Frei-)Spiel im gemeinsamen „Bewegung und Sport“-Unterricht einer AHS-Integrationsklasse. Der Autor verdeutlicht, wie das freie Spiel als verbindende und interaktionsfördernde Komponente lehrplanübergreifend und altersadäquat eingesetzt werden kann. Auch zeigt er, auf welche Weise Psychomotorik als kindzentrierte Entwicklungsförderung in der frühen Adoleszenz Anwendung findet.
Neben theoretischer Auseinandersetzung mit entwicklungspsychologischen Grundlagen werden die unterschiedlichen Dynamiken des Spiels als solche, mit Schwerpunkt der Rolle des Spiels und des Spielraums in der Psychomotorik analysiert. Dem Lehrplan der Allgemeinbildenden Höheren Schule im Gegenstand Bewegung und Sport wird der Lehrplan der Schwerstbehindertenschule gegenüber gestellt und daraus verbindende Elemente bezüglich des Einsatzes des (freien) Spiels im Sinne eines lehrplanunabhängigen, interaktiven Miteinanders definiert.
Schlussfolgerungen für die Praxis sowie exemplarische Beispiele für einen möglichen Einsatz des Psychomotorischen (Frei-)Spiels im gemeinsamen Turnunterricht einer Sekundarstufen-Integrationsklasse ergänzen die vorliegende Arbeit.
2.1 Allgemeinbildende Höhere Schule (AHS)
2.2 Sonderpädagogisches Zentrum (SPZ)
2.3 Sonderpädagogischer Förderbedarf (SPF)
2.4 Integration in der Allgemeinbildenden Höheren Schule
2.5 Zusammensetzung der Schülerinnen und Schüler einer Integrationsklasse
2.6 Gesetzliche Grundlagen der Sekundarstufenintegration
2.7 Spezifika des Teamteachings in der Allgemeinbildenden Höheren Schule
2.8 Spezifika Teamteaching in der Psychomotorik
2.9.1 Ursprünge der Psychomotorik
2.10.2 Einteilung von Behinderungen
2.10.3 Frühkindliche Hirnschädigungen
4. Psychomotorik in der Entwicklungsstufe der 10-14 Jährigen
4.1 Psychomotorische Förderung
4.1.2 Psychomotorik und ihr handlungsorientierter Ansatz
4.1.3 Psychomotorik versus sensorische Integrationsbehandlung
4.1.4 Psychomotorik – kindzentrierte Entwicklungsförderung
4.1.5 Psychomotorik – ein verstehender Zugang
4.1.6 Psychomotorik – ein systemisch-konstruktivistischer Zugang
4.2.2 Wissenschaftliche Anfänge der Entwicklungspsychologie
4.2.3 Der psychoanalytische Ansatz
4.2.4 Freuds Theorie der psychosexuellen Entwicklung
4.2.5 Eriksons Stufenmodell der psychosozialen Entwicklung
4.2.6 Piagets Konstruktivistische Entwicklungstheorie
4.2.7 Wygotskis soziokulturelle Entwicklungstheorie
4.2.8 Behaviorismus & soziale Lerntheorie
5. Das Spiel
5.1 Allgemeines
5.1.1 Das Spiel als grundlegende Persönlichkeitsentwicklung des Menschen
5.1.2 Was bedeutet Spiel für das Kind?
5.2 Klassifizierung der Spielerscheinungen und Erklärungsversuche anhand verschiedener Theorien
5.2.1 Spiel aus dem Blickwinkel der „Energy Theories“
5.2.2 Spiel als Vorübung für das Leben – Karl Groos als Vertreter der „Functional Theories“
5.2.3 Spiel aus dem Blickwinkel der Funktionslusttheorie – Karl Bühler
5.2.4 Spiel als Aktivitätsform der kognitiven Entwicklung – Jean Piaget als Vertreter des „psychological approach“
5.2.5 Spiel und psychodynamischen Aspekte – Sigmund Freud, Alfred Adler, Frederik Buytendijk, Hans Zulliger
5.2.6 Spiel aus der motivationspsychologischen Betrachtung – Heinz Heckhausen
5.3 Charakteristika des (kindlichen) Spielens
5.3.1 Gegenstandsbezug und Bewegung im (kindlichen) Spiel
5.3.2 Der Faktor Zeit im (kindlichen) Spiel
5.3.3 Der Faktor Umwelt im (kindlichen) Spiel
5.3.4 Die Dynamik im (kindlichen) Spiel
5.3.5 Der Spielraum als Voraussetzung des (kindlichen) Spiels
5.3.6 Experimentieren im (kindlichen) Spiel
5.3.7 Aufbau einer Wirklichkeit durch Spielen
5.3.8 Geborgenheit und Ungeborgenheit im Spiel
5.4 Spiel als soziales Handeln – Spiel als Wegbereiter für Interaktion und (Meta-)Kommunikation
5.4.1 Der gemeinsame Gegenstandsbezug im Spiel
5.4.2 Metakommunikation im Spiel
5.4.3 Kommunikation im Spiel
5.5 Das Spiel in der Psychomotorik
5.5.1 Der Symbolgehalt kindlichen Spiels
5.5.2 Merkmale des Spiels in der Psychomotorik
6. Lehrpläne für den Unterrichtsgegenstand Bewegung und Sport
6.1 AHS Lehrplan für den Gegenstand Bewegung und Sport
6.1.1 Bildungs- und Lehraufgabe
6.1.2 Bildungsbereiche
6.1.3 Lehrstoff
6.2 Lehrplan der Sonderschule für schwerstbehinderte Kinder Bewegung und Sport
6.2.1 Bildungs- und Lehraufgabe
6.2.2 Lehrstoff
6.3 Gegenüberstellung der Lehrpläne und verbindende Elemente
6.3.1 Selbst- und Körpererfahrung
6.3.2 Materialerfahrung
6.3.3 Sozialerfahrung
6.3.4 Freie Bewegungsformen
7. Relevanz des (Freien) Spiels
7.1 Relevanz in der Allgemeinbildenden Höheren Schule
7.1.1 Selbstkompetenz und Sozialkompetenz
7.1.2 Methodenkompetenz und Fachkompetenz
7.2 Relevanz hinsichtlich Lehrplan für Sonderschulen für schwerstbehinderte Kinder
8. Exemplarische Umsetzung in der Praxis
8.1 Spiele zur psychomotorischen Förderung
8.1.1 Einstiegsspiele
8.1.2 Themenspezifische (Bewegungs-)Spiele
8.1.3 Miteinander spielen
8.2 Rollenspiele und Bewegungsgeschichten
8.2.1 Vorbereitende Rollenspiele
8.2.2 Bewegungsgeschichten
9. Diskussion
10. Zusammenfassung
Literaturverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
Abstract
Die vorliegende Arbeit befasst sich mit dem psychomotorischen (Frei-)Spiel im Unterrichtsgegenstand Bewegung und Sport im gemeinsamen Unterricht von Kindern mit und ohne schwerer Behinderung einer AHS-Integrationsklasse. Es soll verdeutlicht werden, wie das (freie) Spiel als verbindende und interaktionsfördernde Komponente lehrplanübergreifend und altersadäquat eingesetzt werden kann und auf welche Weise Psychomotorik als kindzentrierte Entwicklungsförderung in der frühen Adoleszenz Anwendung findet.
Neben theoretischer Auseinandersetzung mit entwicklungspsychologischen Grundlagen werden die unterschiedlichen Dynamiken des Spiels als solche, mit Schwerpunkt der Rolle des Spiels und des Spielraums in der Psychomotorik analysiert. Dem Lehrplan der Allgemeinbildenden Höheren Schule im Gegenstand Bewegung und Sport wird der Lehrplan der Schwerstbehindertenschule gegenüber gestellt und daraus verbindende Elemente bezüglich des Einsatzes des (freien) Spiels im Sinne eines lehrplanunabhängigen, interaktiven Miteinanders definiert.
Schlussfolgerungen für die Praxis sowie exemplarische Beispiele für einen möglichen Einsatz des Psychomotorischen (Frei-)Spiels im gemeinsamen Turnunterricht einer Sekundarstufen-Integrationsklasse ergänzen die vorliegende Arbeit.
Bewusstes und gewusstes (Frei-)Spielen kann in einer AHS Integrationsklasse die sozialen Interaktionen zwischen SchülerInnen verbessern, da in einem spielerischen Rahmen bestehende Unverständnisse für andere abgebaut werden können. Durch das Erlernen von entsprechender Rücksichtnahme und Hilfestellungen können auch Kinder und Jugendliche einer heterogenen Gruppe spielerisch und sportlich zueinander finden. Kritisch dafür ist natürlich ein Zusammenspiel des PädagogInnenteams, das in solchen Einheiten ein gemeinsames Grundverständnis haben muss und auch abgesprochen agiert. Darüber hinaus sollte auch bei AHS-LehrerInnen das Verständnis geschaffen werden, dass das Unterrichtsfach Bewegung und Sport nicht nur leistungsorientiert und sportartenspezifisch auszulegen ist, sondern dass der Lehrplan auch vorgibt und genügend Platz lässt für gemeinsames Spiel als elementare Methode der Psychomotorik, von welcher die gesamte Gruppe profitiert.
1. Einleitung
„Spieler sind wir doch alle.“ (Richard von Weizsäcker)
Das gemeinsame Lernen von Kindern mit und ohne (schwerer) Behinderung birgt vielfältige Möglichkeiten der beobachtenden Analyse und Interpretation.
Jugendliche in der Pubertät grenzen sich verstärkt voneinander ab, auch die Schere der motorischen oder sportlichen Leistungsfähigkeit geht – nicht nur – zwischen Schülerinnen und Schülern mit Behinderung und ihren Klassenkolleginnen und -kollegen immer weiter auseinander. Der Turnunterricht in der AHS wird eher sportartenspezifisch und leistungsorientiert wahrgenommen, es stellt sich die Frage, ob der zugeordnete Lehrplan nicht doch Ansätze bietet, um spielerisch Bewegungshandlungen zu etablieren. Genauso soll der Lehrplan für schwerstbehinderte Kinder im Bereich der unterschiedlichen Kompetenzsteigerungen bezüglich Überschneidungen und Gemeinsamkeiten untersucht werden und inwiefern das Psychomotorische (Frei-)Spiel als verbindendes Element im Gegenstand Bewegung und Sport nahegelegt werden kann.
Um soziale Kooperation und Interaktivität aller Jugendlichen einer Sekundarstufen-Integrationsklasse auf ihren individuell unterschiedlichen motorischen Leistungs- und Lernniveaus zu steigern, braucht es nicht nur psychomotorisch überlegte Rahmenbedingungen, sondern auch PädagogInnen(teams), die sich ihrer Rolle im Spiel bewusst und sicher sind.
Nicht nur Kinder und Jugendliche benötigen (besonders) im Rahmensystem Schule genügend Spielraum als Lern- und Erfahrungsraum, sondern auch PädagogInnen bietet die Begleitung des Spiels einen Rahmen zur pädagogischen Professionalisierung. Vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit den Möglichkeiten, die das Psychomotorische (Frei-)Spiel als relevante verbindende Komponente speziell im gemeinsamen Sportunterricht darstellen kann. Es bleibt zu diskutieren, inwiefern Ergebnisse der thematischen Auseinandersetzung auf weitere Bereiche des gemeinsamen Unterrichts von Kindern mit und ohne (schwerer) Behinderung zu transferieren wären.
2. Begriffserklärungen
Zum besseren Verständnis der vorliegenden Arbeit werden eingangs wesentliche Begriffe erklärt und definiert.
2.1 Allgemeinbildende Höhere Schule (AHS)
Die in Österreich gebräuchliche Abkürzung AHS bezeichnet die Allgemeinbildende Höhere Schule, eine Einrichtung, die von SchülerInnen besucht werden kann, die von ihren jeweiligen VolksschullehrerInnen aufgrund ihrer überdurchschnittlichen Begabung die sogenannte AHS-Reife zugeschrieben bekommen (Bundeskanzleramt, 2014a).
Eine AHS umfasst acht Schulstufen, als Abschluss wird die Reifeprüfung (Matura) abgelegt und die Hochschulreife erlangt. Die AHS teilt sich in die Sekundarstufe 1 (Unterstufe) und die Sekundarstufe 2 (Oberstufe). Durch die 17. Schulorganisationsnovelle durch das BGBl. Nr. 766/1996 wurde seit 1997 die Möglichkeit der Integration von Kindern mit geistiger Behinderung nur in der Sekundarstufe 1 der AHS gesetzlich verankert, also die gemeinsame Beschulung von AHS-reifen Kindern und Kindern mit sonderpädagogischem Förderbedarf vom 10. bis zum 14. Lebensjahr (Lebenshilfe, 2014a; Bundeskanzleramt, 2014b).
§ 34 Abs 2 Schulorganisationsgesetz besagt Folgendes:
„Unter Beachtung des Prinzips der sozialen Integration ist Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf, die in die Unterstufe einer allgemeinbildenden höheren Schule aufgenommen wurden, eine der Aufgabe der Sonderschule (§ 22) entsprechende Bildung zu vermitteln, wobei entsprechend den Lernvoraussetzungen des Schülers die Unterrichtsziele der allgemeinbildenden höheren Schule anzustreben sind.“
2.2 Sonderpädagogisches Zentrum (SPZ)
Die Abkürzung SPZ bezeichnet Sonderpädagogische Zentren. Ehemals als ‚Sonder- oder Spartenschulen‘ bezeichnete Standorte wurden in verwaltungstechnische sonderpädagogische Institutionen umgewandelt, denen ein/e SPZ-LeiterIn (vormals SonderschuldirektorIn) vorsteht (BMBF, 2014b). „Sonderpädagogische Zentren haben die Aufgabe, als Kompetenz- und Ressourcenzentren eine erfolgreiche Umsetzung des integrativen Unterrichtes sicher zu stellen.“ (BMBF, 2014b)[1]
Gemäß § 27a Abs 3 Schulorganisationsgesetz (man beachte, dass es sich hierbei sogar um eine Verfassungsbestimmung handelt) ist jede AHS-Integrationsklasse einem SPZ zugewiesen, dem der/die Sonderpädagoge/in einer AHS-Integrationsklasse pädagogisch unterstellt ist (Lebenshilfe, 2014a).
2.3 Sonderpädagogischer Förderbedarf (SPF)
Sonderpädagogischen Förderbedarf (SPF) erhalten jene Kinder, die auf Grund einer körperlichen, psychischen oder Lernbehinderung nicht imstande sind, dem Unterricht in der Regelschule zu folgen. Der SPF wird vom Bezirksschulrat per Bescheid ausgestellt und berechtigt den/die SchülerIn zu besonderen Unterstützungsmaßnahmen (z.B.: Einsatz unterschiedlicher Lehrpläne, zusätzliches Lehrpersonal, etc.) (Mörwald & Stender, 2014).
2.4 Integration in der Allgemeinbildenden Höheren Schule
Integration ist in dieser Arbeit als gemeinsamer Unterricht von behinderten und nichtbehinderten Kindern und Jugendlichen im Schulsystem der Allgemeinbildenden Höheren Schule zu verstehen (BMBF, 2014b).
„Integrativer Unterricht und integrative Erziehung eröffnen behinderten und nicht behinderten Kindern und Jugendlichen die Möglichkeit einer gemeinsamen Lernerfahrung. […] Die adäquate sonderpädagogische Förderung der Schüler/innen erfolgt durch die Anwendung spezifischer Lehrpläne sowie erforderlichenfalls durch den Einsatz einer zusätzlichen qualifizierten Lehrkraft.“ (BMBF, 2014b)[2]
2.5 Zusammensetzung der Schülerinnen und Schüler einer Integrationsklasse
Das Wiener Schulgesetz regelt auf Basis des Schulorganisationsgesetzes die Klassenschülerhöchstzahl: „§ 14e: Die Klassenschülerzahl darf 25 nicht übersteigen und soll 20 nicht unterschreiten; ein Abweichen hievon kann aus besonderen Gründen bewilligt werden. Im Falle des gemeinsamen Unterrichts von Schülerinnen und Schülern ohne sonderpädagogischen und Schülerinnen und Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf vermindert sich die Klassenschülerhöchstzahl für jeden leistungsbehinderten oder lernschwachen Schüler um eins und für jeden Schüler mit anderer Behinderungsform um zwei.“ (Mörwald & Stender, 2014, S. 37)
Die vom Leitfaden für Inklusion, Integration und Sonderpädagogik vorgegebenen Eröffnungszahlen für Integrationsklassen in Allgemeinbildenden Höheren Schulen sind mindestens sechs SchülerInnen mit SPF. Daraus würde sich eine Klassenzusammensetzung wie folgt ergeben, realistischerweise werden – meiner persönlichen Erfahrung nach – nicht mehr als vier Kinder mit Schwerstbehindertenlehrplan in Integrationsklassen der Sekundarstufe 1 beschult (Mörwald & Stender, 2014).
2.6 Gesetzliche Grundlagen der Sekundarstufenintegration
Nachdem die 15. Schulorganisationsnovelle (BGBl. Nr. 512/1993) im Jahr 1993 Eltern von Kindern mit sonderpädagogischem Förderbedarf das Recht eingeräumt hat bei der Beschulungsform ihrer Kinder zu entscheiden, ob sie eine Sonderschule oder die Integration in eine Regelschulklasse wünschen, war eine Nachfolgenovelle für den Sekundarstufenbereich unerlässlich (Mörwald & Stender, 2014).
Mit der 17. Schulorganisationsgesetznovelle (nach sechs Jahren Schulversuch) wurde diese Bestimmung, also das Recht auf integrative Beschulung, auch im Bereich der Sekundarstufe I (5.-8. Schuljahr) gesetzlich verankert. Betroffen hiervon sind Schüler und Schülerinnen, denen per Bescheid der sonderpädagogische Förderbedarf zuerkannt wurde und die aufgrund ihrer Behinderung teilweise oder zur Gänze nach dem Lehrplan der Allgemeinen Sonderschule oder jenem der Schule für schwerstbehinderte Kinder unterrichtet werden müssen (Mörwald & Stender, 2014).
2.7 Spezifika des Teamteachings in der Allgemeinbildenden Höheren Schule
Es arbeiten in der Sekundarstufenintegrationsklasse alle LehrerInnen (Anmerkung: AHS-LehrerInnen und SonderpädagogeInnen) als gleichwertige PartnerInnen, jede/r der in der Klasse tätigen LehrerInnen ist für alle Kinder zuständig. Die LehrerInnen des gesamten Teams tragen gemeinsam die Verantwortung für das Geschehen in der Klasse und müssen sich über die Aufgaben und Ziele der Klassenführung im Klaren sein (Mörwald & Stender, 2014).
Da AHS-LehrerInnen vor ihrer Tätigkeit in einer Integrationsklasse in der Regel nur in Ausnahmefällen im Team gearbeitet haben, stellt die Anwesenheit einer weiteren pädagogisch ausgebildeten Person in „ihrer“ Klasse einen hohen Verunsicherungsfaktor dar. Ängste, schlecht vorbereitet zu erscheinen oder für nicht genügend Disziplin in der Klasse sorgen zu können, erschweren anfangs oft die Bildung einer gleichwertigen und gleichberechtigten LehrerInnenbeziehung (Feyerer, 1998).
Fragen wie „Wer hat hier das Sagen?“, „Wer kündigt Neuigkeiten, Änderungen etc. an?“, „Wer beendet eine lästige Diskussion, schlichtet Streitpunkte?“, „Wer trifft wichtige Entscheidungen?“ machen eine fortgesetzte Definition und Neudefinition der Beziehungen in der Zusammenarbeit erforderlich, ein Novum für AHS-LehrerInnen, die bislang für diese Bereiche alleine zuständig und verantwortlich zeichneten (Feyerer, 1998).
Dazu kommen Berührungsängste gegenüber Kindern mit sonderpädagogischem Förderbedarf, für die sie sich „nicht ausgebildet“ erleben und deren mögliches Störungspotenzial sie für ihren Unterricht als sehr hoch einschätzen (Feyerer, 1998).
Werden diese Befürchtungen, meist durch die erlebte Realität in der Integrationsklasse, abgebaut, entwickelt sich ein intensiver Kompetenztransfer zwischen AHS-LehrerInnen und SonderpädagogInnen, der beiderseitig als sehr positiv erlebt wird und durch Untersuchungen bestätigt werden kann (Feyerer, 1998).
2.8 Spezifika Teamteaching in der Psychomotorik
Auch in der Psychomotorik werden die positiven Auswirkungen des Teamteachings auf die Arbeit mit Fördergruppen hervorgehoben. So ergeben sich für den / die AnleiterIn der Übungssequenzen Freiheiten, um noch sensibler auf die Bedürfnisse der Gruppe sowie der einzelnen Gruppenmitglieder eingehen zu können. Der / die TeampartnerIn kann sich speziell auf einzelne TeilnehmerInnen konzentrieren und diese unter anderem bei ihren Bewegungsaufgaben oder der Integration in eine neue Gruppe individuell betreuen und begleiten. Wichtig ist hierbei die Betreuung eines einzelnen Gruppenmitgliedes nicht mit dem Setting einer Einzelförderung zu verwechseln, da es sich jederzeit vom Erwachsenen lösen und der Gruppe zuwenden kann (Zimmer, 2012).
Bei gemischten Gruppen und insbesondere bei Gruppen mit älteren Kindern erweist es sich als besonders positiv, auch das Betreuungsteam geschlechtsheterogen zusammen zu stellen. Hier werden die Geschlechterrollen bedient und ausgefüllt, die für Kinder so wichtig sind (Zimmer, 2012).
2.9 Psychomotorik
2.9.1 Ursprünge der Psychomotorik
Basierend auf Jean-Jacques Rousseaus Erziehungsroman Emile entwickelte Jean Itard eine Erziehungsmethode, deren Fokus auf die Sinneserziehung gerichtet ist. Diese beruhte auf den Erfahrungen seiner Arbeit mit einem in Frankreich entdeckten 11-jährigen Wolfskind, welches bekannt wurde unter dem Namen Der Wilde von Aveyron. Besonders drei Entwicklungsbereiche, die Sinnesfunktionen, die intellektuellen sowie die affektiven Fähigkeiten, versuchte er gezielt zu fördern (Irmischer, 1993).
Eduard Séguin knüpfte an Itards Sinneserziehung an und sah in ihm den Begründer der physiologischen Erziehung. Er adaptierte Itards Methode und wandte sie in der Erziehung von Menschen mit geistiger Behinderung an. Daraus entwickelte er ein eigenes Förderkonzept für die Motorik und Sensomotorik. Die für sein Förderkonzept benötigten Hilfsmittel adaptierte er speziell für die Bedürfnisse seiner Zielgruppe. Diese Materialen sind auch heute noch Elemente der psychomotorischen Förderung (Irmischer, 1993).
Abb. 1: Balancierschaukel (Irmischer, 1993, S. 10)
Abb. 2: Sinnesmaterial (Irmischer, 1993, S. 12)
Mit Sèguins Ansatz der physiologischen Erziehung hat sich später auch Maria Montessori intensiv auseinandergesetzt. Sie greift Seguins Sinnesmaterial auf und differenziert es aus. Mit ihrem Material zielt Maria Montessori auf die Förderung der Muskeln – Kindern sollen befähigt werden, nützliche Arbeiten für die Gesellschaft auszuführen – sowie der Sinne ab. Hierbei verfolgt Maria Montessori das Ziel, einem Individuum die größtmögliche Eigenständigkeit und Unabhängigkeit zu verleihen (Irmischer, 1993).
Sowohl Montessoris Ansätze Kinder in ihrer Selbsttätigkeit zu stärken und ihren Drang zum Selbstlernen zu forcieren und zu ermöglichen, als auch das von ihr entwickelte Material wurden von E. J. Kiphard für seine Arbeit aufgegriffen. Grundlegende Unterschiede sahen die beiden im kindlichen Spiel. Während Maria Montessori dieses als unnütze kindliche Handlung ablehnt, forciert Kiphard eben dieses als Ausdrucks- und Tätigkeitsform und sieht darin ein therapeutisches Medium (Irmischer, 1993).
E. J. Kiphard gilt als Begründer der Psychomotorik in Deutschland. Sein Ansatz war es, Bewegung in die Therapie von behinderten, verhaltensauffälligen und entwicklungsgestörten Kindern einfließen zu lassen. Dies vertiefte er in enger Zusammenarbeit mit dem Kinderpsychiater Hünnekens. Beide waren von den therapeutischen Möglichkeiten einer Bewegungstherapie überzeugt. Besonders wichtig war Kiphard das freie bzw. das unmerklich gelenkte Spiel. Kinder sollten sich weg vom Leistungsprinzip und hin zum fröhlichen Miteinander entwickeln (Zimmer, 2012).
Kiphard entwickelte in verschiedenen Forschungsaufträgen diagnostische Verfahren. Zwei davon sind der Trampolin-Koordinations-Test (TKT) und der Körperkoordinations-Test für Kinder (KTK) (Hachmeister, 1997).
Ein weiteres wichtiges Element der Psychomotorik stellt die Rhythmik dar. Besonders wichtig für die Entwicklung der Psychomotorik und die Implementierung der Rhythmik in dieser waren Mimi Scheiblauer und Charlotte Pfeffer, die die rhythmische Arbeit und Therapie auf die Arbeit mit behinderten Kindern umlegten (Irmscher, 1993).
2.9.2 Begriff Psychomotorik
Anfang des 20. Jahrhunderts wurde in Frankreich der Begriff Psychomotorik als ‚rééducation psychomotrice‘ kreiert. In De l’acte à la pensée von Henri Wallon wird erstmals von der Einheit der Psyche und der Motorik gesprochen (Hachmeister, 1997). Für Kiphard ist die Psychomotorik eine „ganzheitlich-humanistische, entwicklungs- und kindgemäße Art der Bewegungserziehung“ (Kiphard, 1989, S. 12).
Bereits zur Zeit der Entstehung des Begriffes Psychomotorik war ein Bereich die experimentelle psychologische Wahrnehmungsforschung, welche bis heute Anwendung in der Psychologie findet, wenn das motorische Verhalten durch die kognitiven Antriebs- und Steuerungskräfte angetrieben wird (Zimmer, 2012).
Ohne psychische oder gefühlsmäßige Prozesse wäre keine Bewegung des Körpers möglich, daher kann der Mensch als psychomotorische Einheit betrachtet werden. Somit ist die Psychomotorik die Einheit aus körperlich-motorischen und psychisch-geistigen Prozessen. Genau in dieser Wechselwirkung setzt die Psychomotorik als pädagogisch-therapeutisches Konzept an (Zimmer, 2012).
Aus dem Begriff Psychomotorik entstand durch die Professionalisierung der Begriff Motopädagogik. Dieser bekam den Oberbegriff Motologie, welcher die Anwendungsbereiche Mototherapie und Motopädagogik beinhaltet. In der Motopädagogik werden Wahrnehmung, Erleben und Bewegen als ganzheitliches Konzept verstanden (Zimmer, 2012).
Die Mototherapie zielt als bewegungsorientierte Methode auf die Behandlung von Auffälligkeiten, Retardierungen sowie Störungen im psychomotorischen Leistungs- und Verhaltensbereich ab (Zimmer, 2012).
Heute werden sowohl der Begriff Motopädagogik als auch Psychomotorik gleichrangig verwendet. Psychomotorik stellt den geschichtlich gewachsenen Begriff dar, der mit dem Terminus Psyche sehr deutlich auf die Bereiche des Wahrnehmens, Erlebens, Fühlens und Denkens bei Bewegungshandlungen und die Notwendigkeit einer ganzheitlichen Betrachtung des Menschen hinweist (Zimmer, 2012).
Abb. 3: Aufbau des Fachgebietes Motologie (mod. n. Schilling, 1981, S. 187)
2.10 Körperbehinderung
2.10.1 Allgemein
Körperbehinderungen sind eine mögliche Form von motorischen Beeinträchtigungen. Aus einem historischen, sonderpädagogischen Blickwinkel werden als Kinder mit Behinderungen jene verstanden, die mit den herkömmlichen pädagogischen Mitteln nicht oder nur unter besonderen Bedingungen zu erreichen waren und daher aus dem allgemeinen Schulsystem ‚aussortiert‘ wurden. Wissenschaftliche Pioniere und Pionierinnen der Sonderpädagogik, die mit diesen aussortierten Kindern arbeiteten, dokumentierten und beforschten ihr pädagogisches Wirken (Hachmeister, 1997).
Der Begriff Behinderung entwickelte sich inhaltlich weg von der abwertenden Diktion (Idiotie oder Krüppel) hin zum quantitativen Vergleich mit der normaler Entwicklung bzw. auftretender Abweichung. In der Literatur wurde der Begriff „Behinderung“ erstmals 1958 von Egenberger erwähnt und 1972 in Bleidicks ‚Pädagogik der Behinderten‘ zur zentralen Thematik der Sonderpädagogik. Basierend auf Erscheinungsformen der menschlichen Natur versuchte die pädagogische Wissenschaft Kriterien zur Klassifizierung von Behinderungen zu schaffen. Wichtige Fragen treten bei der Abgrenzung der Begrifflichkeit Behinderung auf (Hachmeister, 1997).
Diese Fragen beschäftigen sich mit der Definition des Übergangs von Normalität zu Behinderung, gibt es einen zeitlich festschreibbaren Punkt, an dem Behinderung beginnt, kann und wann wird aus einer temporären Krankheit eine Behinderung, in welchem Zeitraum von Störung und ab wann von einer Behinderung gesprochen werden kann und schließlich, ob eine Behinderung ein ganzes Leben andauern kann. Mögen diese Fragen nach Betrachtung der einzelnen Person meist klar zu beantworten sein, so gibt es eine nicht zu vernachlässigende Anzahl von sogenannten Grenzfällen, an Hand derer die Problematik des Begriffes deutlich wird. Größer wird diese, wenn versucht wird, Menschen nach ihren Behinderungsformen zu klassifizieren (Hachmeister, 1997).
Diese Klassifizierung zeigt verschiedene Problematiken auf: Welche Kriterien müssen erfüllt werden, um einer Behinderungsform zugeordnet werden zu können? Werden mit den Klassifizierungen alle behinderten Menschen erfasst und im Spezielleren, wo wird ein mehrfachbehinderter Mensch zugeordnet? Ebenso ist nicht geklärt, wo Grenzfälle zwischen zwei Behinderungsformen zugeteilt werden. Die Klassifikation von Menschen nach ihren Behinderungen ist auf Grund der Tatsache notwendig geworden, dass verschiedene Schultypen errichtet und Kinder auf diese aufgeteilt wurden. Als Ausdruck der Hilfslosigkeit des Schulsystems wurden immer weiter Begrifflichkeiten wie Primärbehinderung, Sonderschulbedürftigkeit, sonderpädagogischer Förderbedarf und Förderklassen erfunden (Hachmeister, 1997). Die Haltung „Ein Schulsystem ohne Sonderschulen kann auf die pädagogische Feststellung von Behinderungsarten verzichten“ (Speck, 1988, S. 110) steht diesem Klassifizierungswahn entgegen (Hachmeister, 1997).
Menschen mit körperlichen Behinderungen haben ein gemeinsames Merkmal, und zwar eine Einschränkung ihrer Bewegungsfähigkeit. Dies beinhaltet unzählige Erscheinungsformen und Ursachen, bis zu Muskelerkrankungen, Fehlbildungen von Gliedmaßen, multipler Sklerose und verschiedenen Lähmungen (Hachmeister, 1997).
2.10.2 Einteilung von Behinderungen
Die Vielzahl verschiedener Behinderungen lässt sich nach folgenden Übergruppen einteilen (Hachmeister, 1997).
Schädigungen des Zentralnervensystems (ZNS)
Schädigungen im zentralen Nervensystem unterscheiden sich nach angeborenen, pränatalen und perinatalen zerebralen Bewegungsstörungen (Spastiken, Athetose, Ataxie oder Hypotonie) oder postnatalen Schädigungen durch Verletzungen des Gehirns (Hirnhautentzündungen, auftretende zerebrale Bewegungsstörungen). Des Weiteren wird zwischen angeborenen Rückenmarksschädigungen (spina bifida) oder erworbenen Querschnittslähmungen unterschieden (Hachmeister, 1997).
Schädigungen ohne Beteiligung des Zentralnervensystems
Darunter fallen jegliche Gliedmaßenmissbildungen oder deren Verlust durch Unfall, Gelenkrheuma und die Glasknochen- und Bluterkrankheit (Hachmeister, 1997).
Behinderungen mit zunehmendem Alter
In diese Kategorie fallen multiple Sklerose oder progrediende Muskelerkrankungen (Hachmeister, 1997).
Erbliche Schäden
Zu den erblichen Schäden gehören zum Beispiel genetisch bedingte Enzymdefekte, Chromosomenveränderungen, Stoffwechselstörungen sowie Schädigungen der Ei- oder Samenzelle (Hachmeister, 1997).
Intrauterine Schädigungen
Intrauterine Schädigungen können sowohl pränatal als auch perinatal hervorgerufen werden. Zu ihnen gehören Hirnschädigungen durch Sauerstoffmangel oder mechanische Traumata, Gliedmaßenmissbildungen durch Medikamente oder Umwelteinflüsse sowie spina bifida (Hachmeister, 1997).
Erworbene Schädigungen
Hier wird unterschieden, ob die Schädigung nach einer Erkrankung oder einem Unfall eingetreten ist. Unter die krankheitsbedingten Schädigungen fallen Knochen- oder Gelenks-Tbc, Poliomyelitis, Gelenkrheuma und Erkrankungen der Wirbelsäule. Unfälle können Querschnittslähmungen, Gliedmaßenverlust oder Hirnschädigungen nach Schädelverletzungen verursachen (Hachmeister, 1997).
Eine Schädigung ist umso genereller in ihren Auswirkungen auf die Gesamtentwicklung – was keine Rückschlüsse auf das Ausmaß der Schädigung zulässt – je früher diese eintritt (Hachmeister, 1997).
2.10.3 Frühkindliche Hirnschädigungen
Kinder mit infantilen Zerebralparesen stellen die größte Gruppe an Kindern mit Körperbehinderungen an Schulen dar, gefolgt von Kindern mit Rückenmarkschädigungen und progredienden Muskelerkrankungen. Bezüglich des Begriffs der Zerebralparese kommt es immer wieder zu Verwirrung. Wörtlich übersetzt bedeutet er eine das Gehirn betreffende Lähmung, doch selbst bei niedrigstem Muskeltonus kann nicht von einer Lähmung gesprochen werden. Zerebrale Bewegungsstörung wäre eine genauere Beschreibung. Auf Grund des sensomotorischen Anteils, den jede Bewegung beinhaltet, wären die Begriffe sensomotorische Koordinations- oder Tonusregulationsstörung die treffendsten. Eine zerebrale Tonusregulationsstörung stellt eine funktionale Störung mit psychomotorischen Konsequenzen, im Gegensatz zu konstitutionellen motorischen Störungen (Schädigungen des Muskelapparats oder des Knochenbaus), dar. Die Störungsbilder, die unter den Begriff der frühkindlichen Hirnschädigungen fallen, lassen sich nach zwei Kriterien differenzieren. Zum einen, ob der Körper ganz oder nur teilweise und in unterschiedlichem Maße betroffen ist, was einen quantitativen Aspekt darstellt, und zum anderen, auf welche Art und Weise der Muskeltonus gestört ist, was einen qualitativen Aspekt darstellt. Die Störungsbilder, betrachtet nach dem quantitativen Aspekt, können von leichten Beeinträchtigungen einzelner Gliedmaßen bis zu Störungen reichen, die den gesamten Körper betreffen (Hachmeister, 1997).
Hierzu gehören laut Hachmeister (1997):
Diplegie sind Störungen, die weitgehend symmetrisch die obere oder in den meisten Fällen die untere Körperhälfte betreffen.
Quadri- oder Tetraplegie sind Störungen sowohl aller Extremitäten als auch der Rumpfmuskulatur bei unsymmetrischer Aufteilung.
Hemiplegie ist die Störung einer Körperseite.
Monoplegien treten eher selten auf, bei denen nur ein Arm oder ein Bein betroffen ist.
Paraplegie tritt ebenfalls sehr selten auf und betrifft nur die untere Körperhälfte (Hachmeister, 1997).
Die unterschiedlichen Arten, wie die Regulation des Muskeltonus beeinträchtigt werden kann, nennt man:
Spastik: Diese bedingt einen erhöhten Muskeltonus, der zu Fehlkoordination von Haltung und Bewegung und damit zur Bewegungsverarmung führt.
Athetose: Eine Athetose führt auf Grund einer Übersteuerung des Bewegungsablaufes zu unkoordinierten und bizarren Bewegungen.
Ataxie: Darunter versteht man eine Bewegungskoordinationsstörung, die ebenfalls zu einer Übersteuerung, jedoch verbunden mit ständiger Kontraktion der jeweils gegenüberliegenden Muskelgruppen und einem steiferen Erscheinungsbild führt.
Hypotonie: Diese Art von Muskeltonusbeeinträchtigung macht eine Koordinationssteuerung und eine Aufrichtung des Körpers weitgehend unmöglich, da der Muskeltonus extrem herabgesetzt ist (Hachmeister, 1997).
Bewegung begrenzt sich jedoch nicht rein auf die Motorik, sondern schließt die Wahrnehmung, die für jede Bewegung von Nöten ist, mit ein. Betrachtet man diese Störungen daher als ganzheitliches komplexes Krankheitsbild, so bedingt eine Bewegungsstörung auch eine Wahrnehmungsstörung. In der Körperbehindertenpädagogik werden diese beiden Störungen jedoch immer noch als voneinander getrennt angesehen. Störungen der Wahrnehmung können sowohl eine primäre, also zentrale Störung darstellen oder eine sekundäre, die aus der Bewegungseinschränkung und dem damit verbundenen Erfahrungsdefizit resultiert. Störungen des Wahrnehmungsbereiches können vestibulär, taktil und propriozeptiv ausgeprägt sein (Hachmeister, 1997).
Abb. 4: Sensomotorischer Regelkreis mit zugeordneten Krankheitsbildern (Hachmeister, 1997, S. 47)
Vestibuläre Störungen können eine Überempfindlichkeit und Unterempfindlichkeit hervorrufen. Ist die Wahrnehmung so gesteigert, dass sie nicht mehr vollständig verarbeitet werden kann, führt diese Überempfindlichkeit zur Abwehr jeglicher vestibulären Herausforderungen, zu steifer, verspannter Haltung, zu niedriger Bewegungsfreude, zu Ängstlichkeit und Zurückhaltung, zu Panik bei Verlust der visuellen Kontrolle und zu körperlicher und meist sozialer Distanziertheit. Führt die vestibuläre Wahrnehmungsstörung zur Unterempfindlichkeit, kommt es zu einer Suche nach jeglichen vestibulären Herausforderungen, schlaffem Grundtonus, Hyperaktivität, Unterschätzung von Gefahren und zu Distanzlosigkeit. Eine Überempfindlichkeit der taktilen Wahrnehmung, bei der Berührungsreize nicht adäquat verarbeitet werden können, führt zu diffusem Reizempfinden, Berührungsängsten, abwehrender Haltung, Verspanntheit und Übervorsichtigkeit. Liegt eine verringerte Wahrnehmung vor, kommen Berührungsreize nicht an. Dies führt zur ständigen Suche nach stärkeren Reizen, um sich zu spüren, zu schlaffem Grundtonus, sogenannter Distanzlosigkeit, Anklammern sowie dem großen Bedürfnis nach Matschen und Ähnlichem. Störungen der Tiefensensibilität oder Propriozeption können nur in Form von Unterempfindlichkeit auftreten, die zur Suche nach mehr Reizen, Hyperaktivität sowie zur Suche nach körperlicher Nähe, mit dem Hintergrund sich selbst zu spüren, führen (Hachmeister, 1997).
2.11 Geistige Behinderung
2.11.1 Definition
Geistige Behinderung oder Intelligenzstörung wird als Zustand von verzögerter oder unvollständiger kognitiver Entwicklung definiert. Von dieser Verzögerung bzw. nicht vollständiger Ausgeprägtheit sind vor allem Fertigkeiten, die zum Intelligenzniveau beitragen und sich in den Entwicklungsperioden manifestieren, wie die Kognition, Sprache, motorische und soziale Fähigkeiten, betroffen. Intelligenzstörungen können sowohl isoliert als auch in Kombination mit anderen psychischen und körperlichen Störungen auftreten (DIMDI, 2012).
„Geistige Behinderung bedeutet eine signifikant verringerte Fähigkeit, neue oder komplexe Informationen zu verstehen und neue Fähigkeiten zu erlernen und anzuwenden (beeinträchtigte Intelligenz). Dadurch verringert sich die Fähigkeit, ein unabhängiges Leben zu führen (beeinträchtigte soziale Kompetenz). Dieser Prozess beginnt vor dem Erwachsenenalter und hat dauerhafte Auswirkungen auf die Entwicklung.“ (WHO, 2014)[3]
Geistige Behinderung ist jedoch nicht nur ausschließlich von der Gesundheit und Beeinträchtigung des einzelnen Kindes abhängig, sondern auch davon, ob und in welchem Maße es ihm die Rahmenbedingen erlauben, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen (WHO, 2014).
Meist werden Behinderungen aus dem defizitären Blickwinkel heraus betrachtet, wonach diese für jegliche Widrigkeiten im Leben eines beeinträchtigten Menschen verantwortlich gemacht werden. Dies trifft vor allem auf den institutionellen Bereich zu. Ebenfalls wird diese Sichtweile durch medizinische Modelle getragen, wie die ICD-Diagnose, die Behinderungen als Schädigungen unterschiedlicher Art klassifiziert. Dem entgegen wurde von der WHO bereits 1980 eine neue internationale Klassifikation der Schädigungen, Fähigkeitsstörungen und Beeinträchtigungen, der ICIDH, der später vom ICF, der Klassifikation der Funktionsfähigkeit Behinderung und Gesundheit abgelöst wurde, entwickelt. Neu bei dieser Art der Klassifikation ist der Versuch, fördernde und / oder hemmende Faktoren zum pathologischen Aspekt zu benennen. Hier werden vor allem die Teilhabe am sozialen Leben eines Menschen, also seine Aktivitäten und die Möglichkeiten der Partizipation, miteinbezogen (Grill, 2011).
3. Hypothese
Die dieser Arbeit zugrundeliegende Hypothese ist die folgende:
Das psychomotorische (Frei-)Spiel im Rahmen des Unterrichtsfaches Bewegung und Sport kann als relevante, verknüpfende Komponente sowohl die Lehrpläne von Kindern mit und ohne Behinderung in der AHS-Integrationsklasse in Verbindung setzen, als auch Quantität und Qualität der Interaktion aller Kinder der Klasse intensivieren.
Um diese Hypothese überprüfen zu können, sind aufbauend auf den bereits im vorangegangenen Kapitel vorgenommenen Begriffserklärungen jedenfalls drei Aspekte zu behandeln:
Psychomotorik und Entwicklungspsychologie
(Frei-)Spiel
Lehrpläne und deren Relevanz für das (Frei-)Spiel
Eingangs soll die Psychomotorik in Verbindung mit der Entwicklungspsychologie im Hinblick auf die Entwicklung und Fördermöglichkeiten von Jugendlichen mit und ohne Behinderung allgemein und im Speziellen im Alter von zehn bis 14 Jahren dargestellt werden.
Das Spiel ist fixer Bestandteil der menschlichen Entwicklung. Dabei dient es nicht nur dem individuellen Lernen sondern auch als Grundlage jeden sozialen Handelns. Da Spielen von seinen ersten bis hin zu seinen komplexesten Formen stets Interaktion bedeutet, kann dieses Medium bewusst als Interaktions- und Kooperationsmotor in Schulklassen angewendet werden.
Wichtig für eine Implementierung im schulischen Kontext sind die rechtlichen Grundlagen, die den PädagogInnen durch die Lehrpläne vorgegeben werden. Da in einer AHS-Integrationsklasse zwei Lehrpläne aufeinandertreffen, sind diese in Einklang zu bringen, um so eine gemeinsame Basis für Kinder mit und ohne Behinderung zu schaffen.
Um nun die Quantität und die Qualität der Interaktion von allen SchülerInnen einer AHS-Integrationsklasse zu forcieren, braucht es nicht nur psychomotorisch überlegte Rahmenbedingungen sondern auch PädagogInnen(teams), die sich ihrer Rolle im Spiel bewusst und sicher sind.
4. Psychomotorik in der Entwicklungsstufe der 10-14 Jährigen
4.1 Psychomotorische Förderung
4.1.1 Die Entwicklung der Psychomotorik von der Übungsbehandlung zur ganzheitlichen Entwicklungsförderung
Im deutschsprachigen Raum wurde die Psychomotorik von Kiphards psychomotorischer Übungsbehandlung geprägt. Dieser Ansatz von Kiphard findet sich auch heute noch in den meisten psychomotorischen Grundlagen, auch wenn diese mittlerweile psychomotorische Erziehung, Förderung oder Entwicklungsförderung sowie Motopädagogik genannt werden. Im Zentrum der psychomotorischen Förderung stehen die Gesamtpersönlichkeitsentwicklung und ihre Förderung. Die Psychomotorik dient hier als Mittel zur Entwicklung von Fähigkeiten zur Lösung sozialer Problemstellungen und Aufgaben sowie zur Entfaltung individueller Handlungsmöglichkeiten (Zimmer, 2012).
Ursprünglich hatte die Psychomotorik noch einen starken Übungscharakter, der sich aus den drei elementaren Bereichen der Wahrnehmung, der Bewegung und dem emotional-sozialen Bereich zusammensetzte. Zur Förderung dieser drei Elementarbereiche entwickelte Kiphard eine Vielzahl von Übungen, mit denen schwerpunktmäßig gearbeitet werden kann. Kiphard distanziert sich vom Funktionstraining, da er es nicht für kindgerecht hält und es sich nicht mit dem Ansatz der ganzheitlichen psychomotorischen Förderung vereinbaren lässt. Seine Palette an Übungen reicht von Wahrnehmungsübungen, Zirkusaktivitäten, Akrobatik und Clownspielen bis hin zu Übungen zur Haltungserziehung (Kiphard, 2001; Zimmer, 2012).
4.1.2 Psychomotorik und ihr handlungsorientierter Ansatz
Neben der Förderpraxis, als deren Begründer Kiphard gilt, entwickelte sich eine Richtung in der Psychomotorik, die als Grundlage der Handlungsfähigkeit eines Menschen die vielseitigen Bewegungs- und Wahrnehmungsmuster sieht. Schilling beschreibt in diesem Zusammenhang die Bewegungsentwicklung als Adaptationsprozess des menschlichen Organismus an die Gegebenheiten der Umwelt. Dies beruht auf dem Modell der Regelkreise, die die Wahrnehmung und das Sich-Bewegen in Zusammenhang mit den Umweltbedingungen als eine selbst regulierende biologische Einheit versteht. Welche Entwicklungsfortschritte ein Kind macht, kann durch Reifungsvorgänge, Lernprozesse und exogene Einflüsse bestimmt werden. Fertigkeiten werden durch das ständige Wiederholen und Verbessern der Bewegungen, die notwendig sind, um sich durch die Umwelt zu bewegen, erlernt und ausgebildet. Um Kindern eine Persönlichkeitsentwicklung zu ermöglichen, sind Förderschwerpunkte vor allem in den Bereichen Wahrnehmung und Bewegung anzusetzen. Verhaltensprobleme bei Kindern basieren meist auf Bewegungsstörungen und der fehlenden Fähigkeit, sich an die Anforderungen der Umwelt anzupassen. Die Eigenaktivität des Kindes soll durch anregungsreiche und strukturierte Bewegungsangebote aktiviert werden. Diese werden so adaptiert, dass das Kind Erfolgserlebnisse verspüren kann. Darauf basierend stehen die Stärken und die individuellen Interessen im Vordergrund und nicht die Defizite der Kinder. Durch das spezielle Bewegungsangebot erlebt sich das Kind als handlungsfähig. Hier wird von einer Verbesserung der psychischen Ebene durch die Förderung des funktionell motorisch-physiologischen Bereiches ausgegangen. So würden Störungen in der Persönlichkeitsentwicklung eine Auswirkung von Bewegungsstörungen darstellen (Schilling, 1978; Zimmer, 2012).
4.1.3 Psychomotorik versus sensorische Integrationsbehandlung
Die sensorische Integrationsbehandlung verfolgt ähnlich wie im Kapitel 0 beschriebener Ansatz, dass durch Beeinträchtigungen der Wahrnehmung die Gesamtentwicklung des Kindes gefährdet ist. Der Zusammenhang zwischen dem motorischen und dem sensorischen System spielt eine große Rolle. Können Sinneseindrücke nicht oder nur unzureichend verarbeitet werden, so kann dies Verhaltensauffälligkeiten, Lernstörungen und Entwicklungsprobleme bedingen. Jean Ayres (2002), bedeutende Vertreterin der sensorischen Integrationstherapie, verweist speziell auf den Zusammenhang des vestibulären, des propriozeptiven und des taktilen Systems in der Entwicklung eines Kindes. Sie fasst diese Sinne auf drei Grundsinne zusammen, wobei für sie der Gleichgewichtssinn das alles vereinende Bezugssystem darstellt. Problematisch ist eine fehlende Betrachtung des familiären Umfelds, der sozio-kulturellen Voraussetzungen sowie der individuellen Erfahrungswelten der Kinder. Hier wird das Kind als reagierendes Wesen betrachtet, den Sinn bekommen seine Handlungen durch die resultierenden Verarbeitungsprozesse im Gehirn und nicht durch das Kind selbst. Das Spiel wird hauptsächlich unter dem Aspekt der Anpassungsreaktion sowie der Reifung der Gehirnfunktionen betrachtet. Gelingt die sensorische Integration, hat dies Gefühle wie Motiviertheit, Selbstwertgefühl sowie Selbstvertrauen zur Folge. Gelingt diese nicht, treten Sprachstörungen und Ängstlichkeit auf. Den Ursprung hat die sensorische Integrationsbehandlung im medizinisch-naturwissenschaftlichen Bereich. Der Bereich der Wahrnehmung und dessen Förderung nehmen jedoch auch in der psychomotorischen Förderung einen immer wichtigeren Teil ein (Zimmer, 2012).
4.1.4 Psychomotorik – kindzentrierte Entwicklungsförderung
In der psychomotorischen Förderung wird versucht mithilfe der beiden wichtigen Medien – Bewegung und Spiel – Kindern zu einer positiven Einschätzung ihrer Person zu verhelfen und einen Zugang zu ihnen zu finden. Die Psychomotorik sieht sich hier als Hilfe zur Selbsthilfe. Im Zentrum steht die positive Veränderung der Selbstwahrnehmung des Kindes und nicht die Förderung motorischer Fähigkeiten und Fertigkeiten. Das Kind wird in der psychomotorischen Förderung ermächtigt, selbst an seinen Schwächen zu arbeiten um mit nicht veränderbaren Einschränkungen leben zu lernen. Diese Ermächtigung erhält das Kind durch die Stärkung seines Selbstwertgefühles. Der / die Erwachsene nimmt hier die Rolle des Begleiters ein, der von außen das Kind wertschätzt und seine Handlungen so kommentiert, dass die positive Verstärkung beim Kind nicht vom Lob und der Bewertung des Erwachsenen ausgeht, sondern von der Sache selbst. Essentiell für die Identitätsentwicklung werden in der Psychomotorik die Körper- und Bewegungserfahrungen gesehen, die für eine Aneignung der Wirklichkeit notwendig sind. Der Aufbau eines positiven Selbstkonzeptes ist damit die zentrale Aufgabe (Zimmer, 2012).
4.1.5 Psychomotorik – ein verstehender Zugang
In dieser Richtung der Psychomotorik wird die Bewegung des Kindes als Ausdrucksmittel gesehen. Das Bewegungsverhalten des Kindes wird ins Zentrum gerückt. Durch symbolisierte Handlungen teilt sich das Kind mit. Die Bewegungsgeschichte wird der Lebensgeschichte gleichgesetzt, wodurch Einblicke in die Lebensgeschichte eines Kindes gewonnen werden können. Erlebnisse und Erfahrungen werden im Spiel nachgestellt und aufgearbeitet, was als großer Heilfaktor gesehen wird. In diesem Ansatz stehen also nicht die Dinge, wie Geräte, auf denen motorische und sensorische Erfahrungen gemacht werden können, im Vordergrund, sondern die Fantasietätigkeit, die das Kind in Spielsituationen erwecken kann. Bewegt sich ein Kind, dann erfolgt dies meist in Fantasiegeschichten oder Bildern sowie in ganzen Inszenierungen. Kinder stellen in diesen Geschichten ihre Lebensthemen nach und bewegen sich darin. Kinder arbeiten diese Lebensthemen nach verschiedenen Kriterien auf. Eines der Lebensthemen sind die Erfahrungen, die ein Kind in seiner frühen Kindheit nicht oder nicht lange genug gemacht hat und diese nun im Rahmen von Bewegungsangeboten nachholt und aufarbeitet. Ebenso entwirft das Kind Rollen von sich und probiert diese aus. Tauscht ein Kind seine Rollen, ermöglicht dies Wünsche, Hoffnungen und Ängste auszudrücken. Im Spiel ist es dem Kind weiters möglich, Bilder, die aus seiner Umwelt auf es einströmen, nachzuspielen und so auf seinen eigenen Erlebnishorizont zu übertragen. Mit dieser Betrachtungsweise kann die Bedeutung des Handelns direkt berücksichtigt werden. Sowohl der Sinn als auch das Spiel wird hinterfragt und beleuchtet, auch auftretendes störendes Verhalten bekommt hier den nötigen Platz. Dies verhilft dem Kind seine Probleme zum Ausdruck zu bringen, um von seiner Umwelt gehört zu werden. Um dies gemeinsam aufzuarbeiten, ist es notwendig das Kind, seine Lebens- und Verhaltenszusammenhänge und die Botschaften, die es zum Ausdruck bringt, zu verstehen. Eine Gefahr kann bei dieser Betrachtungsweise eine Überinterpretation der kindlichen Handlungen sein. Aggressive Handlungen können auch durch aktuelle Ereignisse in der Gegenwart ausgelöst werden und müssen ihren Ursprung nicht immer nur in der frühen Kindheit haben (Zimmer, 2012).
4.1.6 Psychomotorik – ein systemisch-konstruktivistischer Zugang
Ende der 1990er erhielt in der Pädagogik und Psychotherapie eine Strömung zunehmend an Bedeutung, die sowohl Sichtweisen der Systemtheorie als auch des Konstruktivismus enthält. Diese Strömung geht davon aus, dass es keine objektive Wirklichkeit gibt. Die Wirklichkeit wird von jedem Menschen selbst geschaffen. Zuschreibungen wie Bewegungsstörungen sind nach dieser Sichtweise keine real existierenden Störungen, sie dienen lediglich dem Beobachter zur Unterscheidung. Dieses Denken ist vom Konstruktivismus geprägt. Der systemische Ansatz verlangt jedoch ein ständiges Reflektieren der eigenen Beobachtungen und Wahrnehmungen und geht davon aus, dass wir dies nicht objektiv bewältigen können und immer unsere eigenen Konstrukte in diese Beobachtungen bzw. Wahrnehmungen mit hineinnehmen. Regina Klaes (1995), Renate Walthes (1995), Rolf Balgo (1998, 1999), wichtige Vertreter dieses Ansatzes, sehen die Bewegung nicht als gestört, sondern beurteilen das Verstehen der Bewegung von Seiten der Erwachsenen als gestört. Sie sehen TherapeutInnen und PädagogInnen als Störungssensible auf Grund ihrer Funktion, da sie Störungen schaffen, indem sie diagnostiziert werden. Sie sehen eine Therapie nur als sinnvoll an, wenn das Kind sich selbst gestört fühlt und diese Störung beheben will. Der systemisch-konstruktivistische Ansatz kann und will nicht als eigenständige Methode gesehen werden, sondern vielmehr als Denkweise in andere Methoden integriert werden (Zimmer, 2012).
4.2 Entwicklungspsychologie
4.2.1 Grundlagen
Bei der Entwicklungswissenschaft, die die Entwicklungspsychologie als „wissenschaftliches, angewandtes und interdisziplinäres Fach“ (Berk, 2011, S. 4) versteht, handelt es sich laut Berk (2011) um eine vergleichsweise junge wissenschaftliche Disziplin, entstanden aus dem wissenschaftlichen Interesse das Wesen des Menschen zu ergründen, gepaart mit dem gesellschaftlichen Wunsch das Wohlergehen der Menschen zu steigern (Berk, 2011).
SoziologInnen, AnthropologInnen, BiologInnen, PsychologInnen und NeurowissenschaftlerInnen arbeiten in diesem Forschungsbereich Hand in Hand mit ExpertInnen aus den Disziplinen Medizin, Erziehung, Familienforschung sowie Gesundheits- und Sozialwesen um Lösungen für Probleme aller Altersklassen zu finden (Berk, 2011).
Zahlreiche Theorien auf dem Gebiet der Entwicklungswissenschaft versuchen zu erläutern, wie Menschen ticken und wie sie sich verändern. Gefärbt sind all diese Erklärungsversuche jedoch durch die Grundsätze, Überzeugungen und kulturellen Werte ihrer jeweiligen Zeit. Und da Menschen vielschichtige Wesen sind, die sich sowohl physisch, psychisch, sozial als auch emotional wandeln können, existiert bis dato noch keine Theorie, die alle Aspekte in Betracht ziehen würde (Berk, 2011).
Die bestehenden Theorien lassen sich anhand der Standpunkte, die sie vertreten, in drei grundlegenden kontroversen Fragen zusammenfassen:
„(1) Verläuft die Entwicklung des Menschen kontinuierlich oder in klar abgegrenzten Phasen oder Stufen?
(2) Ist ein bestimmter Verlauf der Entwicklung typisch für alle Menschen oder gibt es unterschiedliche Verläufe der Entwicklung?
(3) Sind genetische Faktoren oder Umwelteinflüsse wichtiger für den Verlauf der Entwicklung?“ (Berk, 2011, S. 5)
„(1) Verläuft die Entwicklung des Menschen kontinuierlich oder in klar abgegrenzten Phasen oder Stufen?“ (Berk, 2011, S. 5)
Abb. 5: Kontinuität oder Diskontinuität im Entwicklungsverlauf? (Berk, 2011, S. 5)
Der Theorie der kontinuierlichen Entwicklung liegt die Annahme zugrunde, dass Säuglinge und Kinder im Vorschulalter ähnlich wie Erwachsene auf ihr Umfeld ansprechen. Der einzige Unterschied zwischen einem reifen und einem unreifen Menschen bestünde in seiner Quantität oder Komplexität. Veränderungen des Denkens laufen in einem Prozess, also kontinuierlich, ab. Vorhandene Fähigkeiten würden Schritt für Schritt weiterentwickelt (Berk, 2011; Montada, Lindenberger & Schneider, 2012; Siegler, DeLoache & Eisenberg, 2011).
VerfechterInnen der Theorie der diskontinuierlichen Entwicklung sind der Meinung, dass Babys und Kleinkinder eine eigene Art des Denkens, der Emotionen und des Verhaltens innehaben. Die diskontinuierliche Entwicklung wird als Prozess angesehen, während dem sich zu bestimmten Zeitpunkten neue Formen des Verstehens und Reagierens auf das Umfeld entwickeln würden. Auf der Annahme der diskontinuierlichen Entwicklung fußen diverse Phasen- und Stufentheorien. Phasentheorien verstehen die Entwicklung als qualitative oder quantitative Veränderung innerhalb einer gewissen Zeitspanne, wobei die Phasen nicht aufeinander aufbauend sind (Berk, 2011; Montada, Lindenberger & Schneider, 2012; Siegler, DeLoache & Eisenberg, 2011).
Bekannt gemacht hat das traditionelle Phasenkonzept Karl Bühler, ein Vertreter der Würzburger Schule der Denkpsychologie. 1918 sorgte sein Buch Die geistige Entwicklung des Kindes für Aufregung und er teilte die Entwicklungsstadien von Kindern wie folgt ein: „der Greifling, der Läufling, das Schimpansenalter, das Alter der Namensfragen und der Warumfragen, das Märchenalter, die Schulreife“ (Bühler, 1918; zit.n. Montada, Lindenberger & Schneider, 2012, S. 28). Im Fokus standen Eigentümlichkeiten innerhalb der Phasen, die in früheren oder späteren Entwicklungsstadien nicht auftreten sowie die Ermittlung der Aufgabe und der Bedeutung selbiger hinsichtlich einer inhärenten Entwicklungsrichtung (Berk, 2011; Montada, Lindenberger & Schneider, 2012).
Einen höheren, bis heute bestehenden Bekanntheitsgrad erlangte jedoch Erik H. Erikson mit seiner Einteilung der Entwicklung in Phasen oder Stadien. Auf seine Konzeptionen wird genauer in Kapitel 0 eingegangen (Berk, 2011; Montada, Lindenberger & Schneider, 2012).
Stufenmodelle betrachten Entwicklung als etwas Plötzliches, nicht als etwas Graduelles und Fortlaufendes. Wie bei einer Treppe entspricht jede erklommene Stufe dem Erreichen einer reiferen Funktionsweise (Berk, 2011; Montada, Lindenberger & Schneider, 2012). In der Entwicklungspsychologie sind laut Montada, Schneider und Lindenberger (2012) mit den Entwicklungsstufen folgende Grundannahmen verknüpft:
„Es liegt eine Veränderungsreihe mit mehreren Schritten vor,
Die eine Richtung auf einen End- oder Reifezustand aufweist,
Der gegenüber dem Ausgangszustand höherwertig ist.
Die Schritte sind unumkehrbar (irreversibel), was mit der Überlegenheit der höheren Stufe erklärbar ist.
Die Stufen sind als qualitative, strukturelle Transformationen im Unterschied zu nur quantitativem Wachstum beschreibbar.
Die früheren Stufen werden als Voraussetzung der jeweils nachfolgenden angesehen.
Die Veränderungen sind mit dem Lebensalter korreliert.
Sie werden als universell in dem Sinne angesehen, dass sie in allen für die Spezies Homo sapiens normalen Entwicklungsumwelten auftreten, insofern natürlich und nicht kulturgebunden sind. Oft wird von der Entfaltung eines inneren Bauplanes gesprochen, die allerdings eines normalen Kontextes bedarf. Ein klassisches Beispiel ist die Entwicklung der Motorik bis zum Laufen im 1. Lebensjahr.“ (Montada, Schneider & Lindenberger, 2012, S. 28)
„(2) Ist ein bestimmter Verlauf der Entwicklung typisch für alle Menschen oder gibt es unterschiedliche Verläufe der Entwicklung?“ (Berk, 2011, S. 5)
VerfechterInnen von Stufentheorien gehen von der Annahme aus, dass die durchlaufenen Entwicklungsphasen aller Menschen überall auf der Welt gleich sind. Heute sind sich die WissenschaftlerInnen jedoch vermehrt der verschiedensten Entwicklungsräume der Menschen bewusst und berücksichtigen, dass individuelle oder umweltbedingte Kriterien Auswirkungen auf die Entwicklungswege haben können. Die Faktoren, die die Entwicklung beeinflussen und prägen sind komplex: Sowohl Erbanlagen und biologische Konstellationen, das unmittelbare Umfeld der Menschen wie die Familie, das Daheim als auch die Umwelt mit ihren gesellschaftlichen Normen und Werten und der historische Kontext dürfen nicht außer Acht gelassen werden (Berk, 2011; Montada, Lindenberger & Schneider, 2012).
„(3) Sind genetische Faktoren oder Umwelteinflüsse wichtiger für den Verlauf der Entwicklung?“ (Berk, 2011, S. 5)
Ist es unsere Erbinformation, die unsere Entwicklung prägt, oder sind es die Einflüsse unserer sozialen und physischen Umwelt, die uns formen? (Berk, 2011)
Stabilität versus Plastizität
Theoretiker, die sich auf das Prinzip der Stabilität berufen, gehen davon aus, dass Menschen, die bereits in ihrer Kindheit ein sehr stark oder schwach ausgeprägtes Merkmal besitzen (beispielsweise Sprachgewandtheit, soziale Kompatibilität, Ängstlichkeit, etc.) selbiges auch im Alter innehaben werden. Die Erbanlagen und frühe Erfahrungen sind ausschlaggebend für die Entwicklung. Während der ersten Lebensjahre gemachte negative Erfahrungen sind prägend und können auch durch spätere positive Erlebnisse nicht verarbeitet werden. Befürworter des Prinzips der Plastizität entgegnen, dass Veränderung aufgrund neuer Erfahrungen nicht nur denkbar, sondern sogar wahrscheinlich sei (Berk, 2011; Montada, Lindenberger & Schneider, 2012; Siegler, DeLoache & Eisenberg, 2011). Erwähnt sei in diesem Kontext auch die Resilienz, die „Fähigkeit, die eigene Entwicklung trotz ungünstiger Umstände zu bewältigen“. (Berk, 2011, S. 10)
Die angeführten extremen Positionen hinsichtlich der Erforschung der menschlichen Entwicklung sind heute nicht mehr so verhärtet. Viele WissenschaftlerInnen sind nun der Meinung, dass es sowohl zu kontinuierlicher als auch zu diskontinuierlicher Veränderung komme, dass Entwicklung in unterschiedlichen Kontexten verschiedene Pfade einschlagen kann und dass Anlage und Umwelt in puncto Veränderung zusammenwirken (Berk, 2011; Siegler, DeLoache & Eisenberg, 2011).
Lebensspannenperspektive
Seit hunderten Jahren wird darüber diskutiert, auf welche Art und Weise sich Menschen verändern und entwickeln, die Entstehung des Fachs der Entwicklungspsychologie nahm jedoch in Deutschland und Nordamerika unterschiedliche Wege (Montada, Schneider & Lindenberger, 2012).
In Deutschland war der Anfang der Entwicklungspsychologie während des 18. und 19. Jahrhunderts weit enger mit den Geisteswissenschaften, der Philosophie und der literarischen Tradition des Bildungsromans verwoben als in Nordamerika, der Entwicklungsbegriff wurde in Deutschland nicht auf die Kindheit eingeengt (Montada, Schneider & Lindenberger, 2012).
Als sich die Entwicklungspsychologie um 1900 als Fachrichtung etablierte prägte in Nordamerika und auch manchen europäischen Ländern wie England die Biologie, im Speziellen die Genetik und die Evolutionslehre (Darwinismus), den Entwicklungsgedanken. Man ging davon aus, Entwicklung würde sich ausschließlich aus drei Komponenten zusammensetzen: Aufbau, Wachstum und Fortschritt. Diese biologische Reifungsmetapher wurde erst durch die konstruktivistischen Theorien von Piaget und Wygotski, auf die in dieser Arbeit noch genauer eingegangen wird, in Frage gestellt (Hasselhorn & Schneider, 2012; Montada, Schneider & Lindenberger, 2012).
Bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts wurde davon ausgegangen, dass die Entwicklung des Menschen mit der Adoleszenz beendet sei. Säuglingsalter und Kindheit wurden als Phasen der schnellen Entwicklung angesehen, das Erwachsenenalter wurde durch Beständigkeit, das Alter durch den Abbau charakterisiert (Berk, 2011).
Erst im Laufe der 1960er- und 1970er-Jahre wurde begonnen die Entwicklung des Erwachsenen zu erforschen, Studien zu Alterungsprozessen durchzuführen und das Feld der Entwicklungswissenschaft auf die gesamte Lebensspanne von Menschen auszudehnen (Berk, 2011; Montada, Schneider & Lindenberger, 2012).
In Nordamerika war die Anwendung der Lebensspannenperspektive auf eine auf Kinderpsychologie fußenden Entwicklungspsychologie – „child psychology“ (Montada, Schneider & Lindenberger, 2012, S. 31) – nicht zu bewerkstelligen. Der neue Blickwinkel auf die lebenslange Entwicklung führte zur Entstehung einer neuen Disziplin, der Gerontologie, einem Fachbereich, der sich auf das fortgeschrittene Erwachsenenalter konzentriert, folglich also zu einer Zweiteilung der Entwicklungspsychologie in Kindheits- und Erwachsenenentwicklungspsychologie (Berk, 2011; Montada, Schneider & Lindenberger, 2012).
Tab. 1: Phasen der menschlichen Entwicklung
Bei der Lebensspannenperspektive wird keine Altersstufe bevorzugt behandelt, in jedweder Lebensphase eingetretene Ereignisse können Konsequenzen auf künftige Veränderungen auf physischer, kognitiver oder sozialer Ebene nach sich ziehen. Die Entwicklung wird als multidimensional (Wechselwirkungen zwischen den Ebenen) und multidirektional angesehen, ein Resultat aus ständigem Wachstum und Verfall von Fertigkeiten. Die Multidirektionalität muss sowohl im zeitlichen Kontext als auch innerhalb der einzelnen Entwicklungsbereiche gesehen werden. Schwinden Funktionen, wie zum Beispiel das Gedächtnis im Alter, so nehmen andere Fertigkeiten während der Lebensspanne zu. Hier sei als Exempel der Erfahrungsschatz, die „Weisheit“ eines Menschen genannt, den er sich im Laufe seines Lebens ansammelt (Berk, 2011; Montada, Schneider & Lindenberger, 2012).
Die Lebensspannenperspektive berücksichtigt also sowohl kontinuierliche als auch diskontinuierliche Veränderungen. Ihr liegt zugrunde, dass es nicht nur eine einzige Entwicklungsrichtung gibt, sondern dass sich die Wege wie Äste eines Baumes verzweigen können (Berk, 2011; Montada, Schneider & Lindenberger, 2012).
Abb. 6: Entwicklung über die Lebensspanne (Berk, 2011, S. 12)
4.2.2 Wissenschaftliche Anfänge der Entwicklungspsychologie
Die frühesten dokumentierten Denkweisen hinsichtlich der Entwicklung von Kindern stammen von Platon und Aristoteles aus dem 4. Jahrhundert vor Christus. Die beiden griechischen Philosophen beschäftigten sich mit der Frage, inwieweit sich die genetischen Anlagen der Kinder und die Erziehung auf ihre spätere Entwicklung auswirken würden. Sie teilten die Meinung, dass Kinder mit Disziplin aufgezogen werden müssten, da ihre Veranlagung sie sonst gesetzlos werden lassen würde (Siegler, DeLoache & Eisenberg, 2011):
„Das Kind ist aber von allen Tieren am schwierigsten zu behandeln; denn genau in dem Maße, wie die Quelle seines Denkens noch nicht in die rechte Bahn geleitet ist, erweist es sich als hinterhältig und verschlagen und als das übermütigste unter den Tieren.“ (Platon, o. J., S. 808; zit.n. Siegler, DeLoache & Eisenberg, 2011, S. 8)
Aristoteles vertrat hingegen die Ansicht, dass Kinder gemäß ihren Bedürfnissen aufgezogen werden sollten:
„Überdies ist die Einzelerziehung der öffentlichen überlegen […] Man darf also annehmen, daß es auf einem Einzelgebiet zu schärferer Profilierung kommt, wenn die Fürsorge individuell ist; denn der einzelne gelangt dabei leichter zu dem, was zweckdienlich ist.“ (Aristoteles, o. J., S. 1180b; zit.n. Siegler, DeLoache & Eisenberg, 2011, S. 8)
Bezüglich der Form des Wissenserwerbs von Kindern waren sich Platon und Aristoteles jedoch nicht einig. Platon war davon überzeugt, dass die Kenntnisse von Kindern angeboren seien – Aristoteles davon, dass Wissen aus der Erfahrung käme und zog eine Parallele zwischen dem Verstand eines Kleinkindes und einer noch unbeschriebenen Schiefertafel (Siegler, DeLoache & Eisenberg, 2011).
Das Menschenbild eines Zeitalters prägt zweifellos die Auseinandersetzung mit Fragen der Entwicklung. So wurde im Europa des Mittelalters die Kindheit nicht als explizite Lebensphase erachtet, sondern das Kind galt, sobald es dem Säuglingsalter entwachsen war, als Erwachsener in Kleinversion (Präformationstheorie) (Berk, 2011).
Bedingt durch den christlichen Glauben an die Erbsünde veränderte sich im 16. Jahrhundert die Perspektive. Um das „moralisch verdorbene“ Kind zu „zähmen“ (Berk, 2011, S. 13) sollten autoritäre und disziplinäre Erziehungsmaßnahmen angewandt werden. Während der Aufklärung im 17. Jahrhundert traten die menschliche Würde und der Respekt in den Vordergrund. Der englische Philosoph John Locke (1632-1704) gilt als Wegbereiter einer erst im 20. Jahrhundert aufkommenden Theorie, des Behaviorismus (siehe Kapitel 0). Wie auch schon zuvor Aristoteles sah Locke das Kind als eine unbeschriebene Tafel, eine ‚tabula rasa‘, definiert durch seine Umwelt, seine Erfahrungen und seine Erziehung, unfähig Einfluss auf seine eigene Entwicklung zu nehmen (Berk, 2011; Siegler, DeLoache & Eisenberg, 2011).
Der französische Philosoph Jean-Jacques Rousseau (1712-1778) sah Kinder als „edle Wilde“ (Berk, 2011, S. 14) mit einem angeborenen Moralverständnis und ihrer eigenen Art zu denken und zu fühlen. Erziehung, so meinte Rousseau, hätte negativen Einfluss auf diese inhärenten Eigenschaften und sprach sich dafür aus, dass man Kindern erst ab einem Alter von zwölf Jahren, denn dann würden sie das „Verstandesalter“ (Siegler, DeLoache & Eisenberg, 2011, S. 9) erreichen, eine formale Erziehung angedeihen lassen solle. Vorher sollten Kinder alle Freiheiten haben (Berk, 2011; Siegler, DeLoache & Eisenberg, 2011).
Der Einsatz von Kindern als unterbezahlte, rechtlose Arbeitskräfte während der industriellen Revolution im 18. und 19. Jahrhundert rief die Sozialreformer auf den Plan. Im Jahr 1842 prangerte der Earl of Shaftesburg im britischen Unterhaus an, unter welchen Bedingungen die oft nur fünf Jahre alten Kinder in den engen Schächten bis zu zwölf Stunden am Tag Kohle abbauten. Sein sozialreformerischer Einsatz fruchtete – ein Gesetz wurde erlassen, dass Kinder unter zehn Jahren nicht beschäftigt werden dürfen (Siegler, DeLoache & Eisenberg, 2011).
1877 veröffentlichte der britische Naturforscher Charles Darwin (1809-1882) den Aufsatz Eine biografische Skizze eines Kleinkinds (A Biographical Sketch of an Infant), in dem er seine Beobachtungen der sensorischen, emotionalen und motorischen Entwicklung seines gerade zur Welt gekommenen Sohnes William dokumentierte. Seine These, dass die Entwicklung eines menschlichen Kindes nach demselben Schema ablaufe wie die Evolution der gesamten menschlichen Spezies war zwar nicht haltbar, Darwins Arbeiten regten jedoch viele WissenschaftlerInnen dazu an, auf dem Feld der Kindesentwicklung zu forschen (Berk, 2011; Siegler, DeLoache & Eisenberg, 2011).
So auch den amerikanischen Psychologen G. Stanley Hall (1844-1924), der als Begründer der Kindheitsforschung gilt. Gemeinsam mit seinem Schüler Arnold Gesell (1880-1961) versuchte er, basierend auf der Annahme, dass Entwicklung ein genetisch determinierter, automatischer Ablauf von Ereignissen sei, alle Facetten des Entwicklungsprozesses zu dokumentieren um ein repräsentatives Muster des typischen Entwicklungsverlaufs zu erhalten. Aufbauend auf diesem Modell entwarf Hall detaillierte Fragebögen, die er Eltern, Lehrern und Kindern vorlegte, um mannigfaltige Einzelheiten der Entwicklung zu erforschen: Von der Frequenz der Fütterung von Säuglingen, dem „Reinwerden“ von Kleinkindern, dem Spiel und auch imaginären Spielkameraden von Vorschulkindern, dem Schließen von Freundschaften im Grundschulalter bis hin zu den in der Pubertät auftretenden Veränderungen (Berk, 2011; Siegler, DeLoache & Eisenberg, 2011).
Neben Dr. Benjamin Spocks Buch Baby and Child Care (1946) nahmen Gesells Publikationen darüber, was Eltern in jeder Altersstufe von ihren Kindern zu erwarten hätten bald einen wichtigen Platz in der sich in Windeseile verbreitenden entwicklungspsychologischen Ratgeberliteratur für Eltern ein (Berk, 2011; Siegler, DeLoache & Eisenberg, 2011).
Die ersten erfolgreichen systematischen Intelligenzmessungen führten der französische Psychologe Alfred Binet (1857-1911) und sein Mitarbeiter Theodore Simon durch. 1904 benötigte der französische Minister für Bildung und Erziehung eine Lösung für das bildungspraktische Problem, Kinder mit Lernschwierigkeiten zu erkennen, um ihnen spezielle Fördermaßnahmen zukommen zu lassen. Die Resonanz auf den Intelligenztest war groß. Nicht nur stand nun ein Instrument zur Messung und Vorhersage des schulischen Erfolges von Kindern zur Verfügung, sondern es wurde auch das Interesse der ForscherInnen an den individuellen Entwicklungsunterschieden und der Anlage-Umwelt-Kontroverse geweckt. 1916 wurde der Binet-Simon-Intelligenztest an der Universität Stanford für englisch- und 1957 in Deutschland für deutschsprachige Kinder adaptiert (Berk, 2011; Montada, Schneider & Lindenberger, 2012; Siegler, DeLoache & Eisenberg, 2011).
4.2.3 Der psychoanalytische Ansatz
Leitender Gedanke des psychoanalytischen Ansatzes ist, dass der Mensch während seines Lebens Stadien hinter sich bringen muss, in denen er unterschiedlichste Krisen zu bewältigen hat und sich dabei stets im Zwiespalt zwischen seinen biologischen Trieben und den Erwartungen seiner Umwelt befindet (Berk, 2011).
Die Art und Weise, wie diese Kontroversen gelöst werden wirkt sich auf die soziale Kompatibilität des jeweiligen Menschen sowie auf seine Fähigkeit, Ängste zu überwinden aus (Berk, 2011).
Die beiden einflussreichsten Vertreter dieses Ansatzes waren Sigmund Freud und Erik H. Erikson, auf deren Arbeit im Folgenden etwas genauer eingegangen wird.
4.2.4 Freuds Theorie der psychosexuellen Entwicklung
Die psychosexuelle Entwicklungstheorie des Wiener Arztes Sigmund Freud (1856-1939) geht von der Annahme aus, dass das Verhalten von Menschen bereits von Geburt an durch ihre Sexualität motiviert wird und ihre Beziehungen zu anderen bestimmt. Freud war davon überzeugt, dass die emotionalen Störungen seiner erwachsenen PatientInnen – Untersuchungen an Kindern nahm er nie vor – von Problemen in deren Kindheit rühren würden und dass es für eine gesunde Entwicklung der Persönlichkeit ausschlaggebend sei, wie die Eltern mit der „psychischen Energie“ (Siegler, DeLoache & Eisenberg, 2011, S. 338), den instinktiven Trieben ihrer Kinder während ihrer ersten Lenze umgehen würden. Diese psychische Energie konzentriere sich in den unterschiedlichen Phasen (orale, anale, genitale Phase) auf verschiedene erogene Zonen (Berk, 2011; Schneider & Lindenberger, 2012; Siegler, DeLoache & Eisenberg, 2011).
Tab. 2: Freuds psychosexuelle Entwicklungsstufen
Während jeder dieser Entwicklungsstufen hätten Kinder mit der jeweiligen erogenen Zone im Kontext stehende Krisen zu bewältigen und das positive oder negative Ergebnis dieser Konfliktlösung beeinflusse die Entwicklung des Menschen sein Leben lang (Montada, Schneider & Lindenberger, 2012; Siegler, DeLoache & Eisenberg, 2011).
Die drei von Freud postulierten Persönlichkeitsstrukturen, die psychische Ausstattung des Menschen, sind das „Es“, das „Ich“ und das „Über-Ich“. Das „Es“, die biologischen Triebe und größter Teil der Persönlichkeit, ist dem Menschen angeboren und die früheste, primitivste Instanz. Freud charakterisiert das „Es“ als den „dunklen, unzugänglichen Teil unserer Persönlichkeit […] ein Kessel voll brodelnder Erregungen“ (Siegler, DeLoache & Eisenberg, 2011, S. 339) der nach Befriedigung trachtet. Dirigiert wird das „Es“ vom Lustprinzip, d.h. die unbewussten Triebe streben ohne Rücksicht auf eventuelle Folgen danach, prompt befriedigt zu werden (Siegler, DeLoache & Eisenberg, 2011).
Das „Es“ ist die dominante Instanz in Freuds erster psychosexueller Entwicklungsphase, der oralen Phase. Das Kind erlangt Befriedigung und gewinnt Lust durch orale Handlungen wie Saugen, Lutschen, Beißen und Essen. Da die Bedürfnisse des Säuglings vorrangig durch seine Mutter befriedigt werden, entwickelt er für sie, so Freud, einzigartige Gefühle und sieht sie als Inbegriff der Liebe, was auch Auswirkungen auf spätere intime Beziehungen hat. Neben der Ernährung und der Liebe bietet die Mutter dem Kind auch Sicherheit, wofür der Säugling jedoch mit einer Angst vor Liebesverlust bezahlen würde (Berk, 2011; Freud, 1977; Siegler, DeLoache & Eisenberg, 2011).
Gegen Ende des ersten Lebensjahres entwickelt sich das „Ich“, die zweite Persönlichkeitsstruktur. Sie ist die rationale Komponente die versucht, die ungezügelten Impulse des „Es“ mit den Einschränkungen und Anforderungen der Realität in Einklang zu bringen, es jedoch niemals vollständig schaffen wird, die Kontrolle zu übernehmen (Berk, 2011; Freud, 1977; Siegler, DeLoache & Eisenberg, 2011).
Während des zweiten Lebensjahres erlangt das Kind die Herrschaft über einige seiner Körperfunktionen wie Urinieren und Stuhlgang. Dies charakterisiert laut Freud den Eintritt in die anale Phase, die etwa bis zum dritten Geburtstag des Kleinkindes andauert. Primäre Lustquelle des Kindes stellt der Spannungsabbau bei der Darmentleerung dar. Konflikte sind vorprogrammiert stellen die Eltern zu hohe oder verfrühte Anforderungen bezüglich des „Sauberwerdens“. Davon abhängig, wie das Kind die Herausforderungen der oralen und der analen Phase gemeistert hat, ist ein Schema für die Lösung späterer Konflikte konzipiert (Freud, 1977; Siegler, DeLoache & Eisenberg, 2011).
Die dritte Entwicklungsstufe, die phallischen Phase, erreicht das Kind im Alter von etwa drei bis sechs Jahren. Der sexuelle Lustgewinn richtet sich nun auf die Genitalien, das Interesse an den eigenen Geschlechtsorganen (Masturbation), jenen der Eltern und SpielgefährtInnen ist gesteigert. Es kommt zu einer Identifikation mit dem gleichgeschlechtlichen Elternteil, da Mädchen bemerken, so Freud, dass sie keinen Penis haben, empfinden sie Penisneid (Freud, 1977; Siegler, DeLoache & Eisenberg, 2011).
Da das Kind sich in der phallischen Phase mit sexuellen Wünschen konfrontiert sieht, mit denen es umzugehen lernen muss, taucht die dritte Persönlichkeitsstruktur, das Über-Ich, auf. Als Gewissen hat es die Aufgabe zwischen den Bedürfnissen des Es und der Außenwelt zu vermitteln. Das Über-Ich basiert auf der Internalisierung gesellschaftlicher Normen und warnt das Kind vor Aktionen, die zu Schuldgefühlen zur Konsequenz haben könnten. In dieser Phase geht das Kind erstmals eine emotionale Bindung zum Elternteil des anderen Geschlechts ein, was zur Folge hat, dass von Jungen der psychosexuelle Ödipus- und von Mädchen der Elektra-Komplex überwunden werden muss, was jedoch letztendlich zu einer Stärkung des Gewissens führe (Berk, 2011; Freud, 1977; Siegler, DeLoache & Eisenberg, 2011).
Beziehungen, die sich in den ersten drei psychosexuellen Phasen zwischen dem Es, dem Ich und dem Über-Ich herausgebildet haben, so Freud, seien richtungsweisend für die Persönlichkeitsstruktur der Person (Freud, 1977; Siegler, DeLoache & Eisenberg, 2011).
Der vierte Entwicklungsabschnitt, die Latenzphase, die etwa das Alter von fünf Jahren bis zur Pubertät umspannt, ist gekennzeichnet von relativer Ruhe. Die sexuelle Energie wird in Handlungen intellektueller und sozialer Natur gebündelt, Priorität für das Kind hat nun der Erwerb kognitiver Fähigkeiten, das Lernen, Kommunikation und Spiel mit Altersgenossen (Freud, 1977; Siegler, DeLoache & Eisenberg, 2011).
Mit dem Eintreten der sexuellen Reifung beginnt der fünfte und letzte Entwicklungsabschnitt, die genitale Phase. Die in der Latenzperiode unterdrückten sexuellen Triebe treten mit voller Kraft an die Oberfläche und richten sich auf das jeweils andere Geschlecht mit dem Ziel der biologischen Vermehrung (Freud, 1977; Siegler, DeLoache & Eisenberg, 2011).
Im Optimalfall habe der Mensch zu diesem Zeitpunkt bereits ein starkes „Ich“, das es mit den Anforderungen der Realität aufnehmen kann und ein weder zu stark noch zu schwach ausgeprägtes „Über-Ich“ entwickelt. Dies sei jedoch nur möglich, wenn Eltern dem Kind während jeder der Entwicklungsstufen einerseits nicht zu viele Freiheiten zustanden und andererseits seine elementaren Bedürfnisse ausreichend befriedigten. Wenn sie es also schafften diesbezüglich ein Gleichgewicht zu finden, so würde das Kind zu einem sozialisierten, zu Sexualität und Familienleben fähigen Erwachsenen heranwachsen (Berk, 2011; Freud, 1977; Siegler, DeLoache & Eisenberg, 2011).
Freud war zwar der erste, der die Auswirkungen der Eltern-Kind-Beziehung auf die Entwicklung des Kindes betonte, seine Theorie stieß jedoch durchaus auch auf Kritik: Kinder hätten noch keine ausgeprägte Sexualität, Freud würde die Bedeutung und den Einfluss der sexuelle Triebe völlig überbewerten. Weiters würden seine Thesen auf der Befragung von erwachsenen, wohlhabenden WienerInnen fußen, wären also nicht auf andere Kulturen umlegbar (Berk, 2011; Siegler, DeLoache & Eisenberg, 2011).
4.2.5 Eriksons Stufenmodell der psychosozialen Entwicklung
Der deutsch-US-amerikanische Psychoanalytiker Erik H. Erikson (1902-1994) übernahm die seiner Meinung nach nützlichen Aspekte der Freudschen Theorie der psychosexuellen Entwicklung und erweiterte sie um die psychosoziale und -historische wie auch kulturelle Komponente (Berk, 2011; Montada, Schneider & Lindenberger, 2012; Siegler, DeLoache & Eisenberg, 2011).
Die Persönlichkeit des Kindes, so Erikson (Erikson, o.J.; zit.n. Berk, 2011, S. 18), entfaltet sich im Spannungsfeld zwischen den Bedürfnissen des Es und den Ge- und Verboten des Über-Ich, d.h. dass das Ich nicht nur eine vermittelnde Rolle einnimmt, sondern auch selbst durch Interaktion mit seiner Umwelt und durch den Erwerb von Fertigkeiten einen positiven Beitrag zur Entwicklung der kindlichen Identität leistet (Berk, 2011; Siegler, DeLoache & Eisenberg, 2011).
Eriksons (Erikson, o.J.; zit.n. Siegler, DeLoache & Eisenberg, 2011, S. 342f) Theorie umfasst acht altersabhängige Entwicklungsstufen, die die gesamte Lebensspanne umspannen. Vergleicht man Eriksons (Erikson, o.J. zit.n. Berk, 2011, S. 18) Modell mit den psychosexuellen Phasen Freuds, so gleichen die ersten fünf Stufen einander, Erikson (Erikson, o.J. zit.n. Berk, 2011, S. 18) fügte jedoch noch drei für das Erwachsenenalter hinzu (Berk, 2011; Montada, Schneider & Lindenberger, 2012; Siegler, DeLoache & Eisenberg, 2011).
Tab. 3: Stufen der psychosozialen Entwicklung nach Erikson
Jedes der acht Stadien des Lebenslaufes repräsentiert eine spezifische psychische Krise, deren Bewältigung die Basis dafür bildet, um den Konflikt auf der folgenden Stufe zu verarbeiten. Ein Misserfolg bei der Lösung des Dilemmas, wenn Reifungsverlauf und gesellschaftlicher Druck bereits die nächste Phase einleiten, führe unweigerlich zu bleibenden Persönlichkeitsstörungen (Siegler, DeLoache & Eisenberg, 2011).
Phase 1: „Urvertrauen versus Misstrauen (erstes Lebensjahr)“ (Siegler, DeLoache & Eisenberg, 2011, S. 342)
Eriksons (Erikson, o.J.; zit.n. Siegler, DeLoache & Eisenber, 2011, S. 342) erste Stufe entspricht Freuds oraler Phase. Das zentrale Problem des Kindes ist die Entwicklung des Gefühls des Vertrauens, Vertrauen in sich selbst, seine eigene Identität wie auch ein Zutrauen zu anderen. Werden die Forderungen des Kindes nach Nahrung, körperlicher Nähe, Geborgenheit etc. durch die Mutter erfüllt, so lernt das Kind, dass es sich auf seine Bezugsperson verlassen kann. Werden diese lebenswichtigen Bedürfnisse jedoch nicht befriedigt, entwickelt das Kind Ängste vor dem „Verlassenwerden“ und es kann im späteren Leben Probleme damit haben, enge, vertraute Beziehungen einzugehen (Berk, 2011; Montada, Schneider & Lindenberger, 2012; Siegler, DeLoache & Eisenberg, 2011).
Phase 2: „Autonomie versus Scham und Zweifel (ein bis dreieinhalb Jahre)“ (Siegler, DeLoache & Eisenberg, 2011, S. 342)
Der Konflikt, den das Kind auf dieser Stufe, die Freuds analer Phase entspricht, bewältigen muss, ist ein Gefühl der eigenen Autonomie aufzubauen und sich gleichzeitig wachsenden gesellschaftlichen Anforderungen zu stellen. Fokussiert Freud in dieser Phase auf die Sauberkeitserziehung, so hebt Erikson (Erikson, o.J.; zit.n. Siegler, DeLoache & Eisenberg, 2011, S. 342f) die eklatanten Kompetenzerweiterungen wie den Erwerb motorischer, kognitiver und vor allem sprachlicher Fähigkeiten hervor. Die neu gewonnen Fertigkeiten befähigen das Kind seine Umwelt zu erkunden und nach seinem Willen zu handeln. Beschneidungen des Freiraumes durch die Eltern resultieren in Zweifeln an den eigenen Wünschen; wird die Autonomie des Kindes nicht anerkannt, kann es zu einem Verlust von Selbstachtung und Entstehung von Scham kommen (Berk, 2011; Montada, Schneider & Lindenberger, 2012; Siegler, DeLoache & Eisenberg, 2011).
Phase 3: „Initiative versus Schuldgefühl (vier bis sechs Jahre)“ (Siegler, DeLoache & Eisenberg, 2011, S. 343)
Einübung sozialer Rollen, Identifikation mit den Eltern und eine gleichzeitige Loslösung von der Mutter wie ein Stecken von Zielen, hierbei stimmen Freud und Erikson (Erikson, o.J.; zit.n. Siegler, DeLoache & Eisenberg, 2011, S. 343) überein, kennzeichnen das kindliche Lebensalter zwischen vier und sechs Jahren. Das Kind internalisiert die elterlichen Regeln und Werte und entwickelt, wird es den Normen nicht gerecht, Schuldgefühle. Ebenso können beim Kind Selbstvorwürfe für seine Tatkraft entstehen, wird von den Eltern kein Boden für seine physische und kognitive Weiterentwicklung bereitet. Für die in dieser Phase stattfindende Ausbildung des Gewissens muss das Kind also ein Gleichgewicht zwischen Initiative („ich greife nach den Sternen“) und Schuld („ich werde alle enttäuschen“) erlangen. Schafft das Kind es nicht diese Balance zu erreichen können Entwicklungsstörungen und psychosomatische Krankheiten die Folge sein (Montada, Schneider & Lindenberger, 2012; Siegler, DeLoache & Eisenberg, 2011).
Phase 4: „Werksinn versus Minderwertigkeitsgefühl“ (Siegler, DeLoache & Eisenberg, 2011, S. 343) (Schuleintritt bis Pubertät)
Diese Stufe entspricht Freuds Latenzphase und ist ausschlaggebend für die Entwicklung des „Ich“. Das diese Phase charakterisierende Bedürfnis des Kindes zu lernen, etwas Nützliches zu machen, mit Gleichaltrigen zu kooperieren und fleißig einer Arbeit nachzugehen nennt Erikson (Erikson, o.J.; zit.n. Siegler, DeLoache & Eisenberg, 2011, S. 343) „Werksinn“. Wird dieser Drang nach Produktivität und Leistung jedoch nicht unterstützt oder anerkannt kann dies zu Entwicklung von (übermäßigen) Unzulänglichkeits- und Minderwertigkeitsgefühlen führen (Montada, Schneider & Lindenberger, 2012; Siegler, DeLoache & Eisenberg, 2011).
Phase 5: „Identität versus Rollenkonfusion“ (Siegler, DeLoache & Eisenberg, 2011, S. 343) (Adolenzenz, ca. 11/12 Jahre bis 15/16 Jahre)
Erikson (Erikson, o.J., zit .n. Siegler, DeLoache & Eisenberg, 2011, S. 343) vertritt den Standpunkt, dass das Jugendalter eine besondere Bedeutung hat und eine entscheidende Rolle bei der Ausbildung des Identitätsgefühls spielt. Die drastischen physischen Veränderungen, das Aufkommen starker sexueller Bedürfnisse, die Notwendigkeit Entscheidungen bezüglich Bildung und beruflicher Zukunft zu treffen, die Divergenz zwischen Selbst- und Fremdwahrnehmung etc. All dies wirkt irritierend auf den Heranwachsenden, der nun all die unterschiedlichen Facetten in seine persönliche Identität vereinen muss. Erleidet der junge Mensch bei dieser Aufgabe einen Misserfolg, so bringt dieser eine Rollendiffusion mit sich die sich in potentiellen von der Norm abweichenden wie auch kriminellen Handlungen wie Drogenmissbrauch manifestieren kann (Erikson, 1973; Erikson, 2005; Montada, Schneider & Lindenberger, 2012; Siegler, DeLoache & Eisenberg, 2011).
Phase 6: „Intimität vs. Isolation“ (Montada, Schneider & Lindenberger, 2012, S. 53) (frühes Erwachsenenalter)
Auf dieser Entwicklungsstufe dreht sich alles um die Entstehung von intimen Beziehungen. Um der Liebe fähig zu sein ist jedoch die abgeschlossene Entwicklung einer starken Identität in den vorhergehenden Phasen Voraussetzung. Wurde während des Kindheits- und Jugendalters der Aufbau intimer Beziehungen nicht als wichtig erachtet, kann dies in späterer Folge zu sozialer Isolierung und Egozentrismus oder auch Selbstaufopferung führen (Erikson, 1973; Montada, Schneider & Lindenberger, 2012; Siegler, DeLoache & Eisenberg, 2011).
Phase 7: „Generativität vs. Stagnation“ (Montada, Schneider & Lindenberger, 2012, S. 53) (mittleres Erwachsenenalter)
Entwicklungsziel dieser Phase ist die Generativität, die Fähigkeit eigene Kinder großzuziehen sowie durch berufliches, soziales oder politisches Engagement zukünftige Generationen zu fördern. Fehlt dieses Bedürfnis nach Fürsorge so ist eine Stagnation zu erwarten, die in Langeweile, Selbstabsorption und zwischenmenschlicher Verarmung resultieren kann (Erikson, 1973; Montada, Schneider & Lindenberger, 2012).
Phase 8: „Ich-Integrität vs. Verzweiflung“ (Montada, Schneider & Lindenberger, 2012, S. 53) (reifes Erwachsenenalter)
Während des letzten Lebensabschnittes blickt der Mensch zurück, reflektiert über sein Leben und muss sich mit dessen Begrenztheit auseinandersetzen und selbige akzeptieren lernen. Meistert er dies nicht kann dies zur Verachtung dem Leben gegenüber, Angst vor dem Tod und Selbstvorwürfen führen (Erikson, 1973; Montada, Schneider & Lindenberger, 2012).
Erikson (Erikson, 1966; zit.n. Montada, Schneider & Lindenberger, 2012, S. 53) charakterisiert einige wichtige Entwicklungsaufgaben. Sein Modell ist allerdings aus empirischem Blickwinkel nicht klar definiert und daher nur schwer operationalisierbar. Der Grund dafür, dass es gemeinhin populär wurde ist wohl, dass die von Erikson beschriebenen Kontroversen intuitiv einleuchten (Erikson, 1966; zit.n. Montada, Schneider & Lindenberger, 2012, S. 53).
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