Ein Soziologe betritt die Bäckerei, doch wie kann er dem Bäcker nützlich sein? Was bringt die Soziologie dem Bäcker?
Hierbei handelt es sich um eine konkretere Fassung der Frage nach dem Nutzen der Soziologie, welche versucht einige praktische Aspekte der Soziologie einzufangen.
Der Tag beginnt in einer Tauschhandel-praktizierenden Bäckerei:
Ein Ingenieur kommt und konstruiert einen Elektro-Ofen im Tausch für Brot. Es folgt ein Biologe, er bekommt Brötchen und gibt dafür genetisch-verbesserte Hefe. Ein Soziologe betritt die Bäckerei, doch wie kann er dem Bäcker nützlich sein? Was bringt die Soziologie dem Bäcker?
Hierbei handelt es sich um eine konkretere Fassung der Frage nach dem Nutzen der Soziologie, welche versucht einige praktische Aspekte der Soziologie einzufangen.
Um dem Bäcker eine angemessene Antwort zu geben, ist es notwendig, dass man den Charakter der Soziologie begreift. Die Soziologie ist eine zukunftsgerichtete Wissenschaft. Ein gewisser Wille zur Verbesserung und Stabilisierung der Gesellschaft, sowie diese über sich selbst und andere Gesellschaften zu informieren, liegt der Soziologie zu Grunde (Eßbach). Der Verbesserungswille der Soziologie zeigt sich daran, dass das soziologische Arbeiten ein sehr problemorientierter Vorgang ist. Wo sind die Probleme eines Bäckers? In einer Bäckerei bietet sich ein breites Feld von Problemquellen, angefangen beispielsweise von logistischen Problemen bei der Lieferung von Maschinerien und Zutaten, über das Aufstellen von angemessenen Preis-Leistungs-Verhältnissen, bis zu Verkaufsstrategien und Kundenwerbung. Da es für alle diese Probleme Spezialisten wie z.B. den Unternehmensberater oder den Kommunikationstrainer gibt, ist der Bäcker der Meinung, dass er den Soziologen nicht braucht. Dabei greifen diese Spezialisten häufig auf spezielle Methoden der qualitativen und quantitativen Sozialforschung wie u.a. Fragebögen und (Gruppen-) Interviews zurück. Es zeigt sich also, dass die Soziologie bereits Einfluss auf andere Disziplinen und Berufsfelder nimmt bzw. genommen hat und somit auch an der interdisziplinären Wissens- und Methodenbildung beteiligt ist.
Des Weiteren haben Spezialisten gegenüber dem Soziologen einen Nachteil: die eingeschränkte Wahrnehmung der Wirklichkeit. Beispielweise erkennt der Unternehmensberater zwar die wirtschaftlichen Faktoren, die ein Bäcker beachten muss, kann aber Rollenerwartungen von Kunden nicht in ihrer Gesamtheit wahrnehmen. Der Kommunikationstrainer hilft beim Umgang zwischen den Mitarbeitern oder mit Kunden, ist aber wiederum nicht in der Lage beispielsweise die Probleme, welche sich aus dem geänderten Tag-Nacht-Rhythmus ergeben, zu ergründen. Ein Soziologe kann den Bäckerberuf in seiner Komplexität erfassen und auf viele Aspekte eingehen. Die Soziologie ist somit nicht nur ein an Problemen orientierter Vorgang, sondern vor allem ein Prozess, der Probleme immer als Teil eines multikausalen Systems begreift.
Jedoch wird sich der Bäcker mit seinen Problemen wahrscheinlich eher an Spezialisten wenden. Das liegt meiner Meinung nach einerseits daran, dass der Bäcker nicht in der Lage ist, seine Probleme als Teil komplexer Strukturen zu begreifen und der Soziologe andererseits nicht immer die Fähigkeit besitzt, sein umfangreiches Wissen so zu vereinfachen, dass es jedermann sofort erkenntlich und zugänglich ist.
Der Wille zur Stabilisierung der Gesellschaft, sowie der Wille diese über sich selbst und andere Gesellschaften zu informieren, lässt sich nur schwer von einander trennen. Die Soziologie ist dabei nicht nur problemorientiert, sondern versucht Sozialstrukturen, Systeme und Prozesse in ihrer Gesamtheit zu erfassen.
Den Bäcker über die verschiedenen Ebenen der Bedeutung seines Berufs aufzuklären, kann dazu führen, dass er sich langfristig in seinem Beruf und seinen Rollen bestätigt fühlt und somit zu einem besseren Miteinander beiträgt. Ein Beispiel hierfür sind die vielfältigen sozialen Aspekte seiner wirtschaftliche Rolle: Als Lebensmittelproduzent ermöglicht er der restlichen Gesellschaft die Grundexistenz, als Auftraggeber für Lieferanten z.B. von Mehl sichert er anderen eine berufliche Existenz, als Steuerzahler stellt er Mittel für die staatliche Umverteilung bereit, welche z.B. jungen Menschen aus finanzschwachen Verhältnissen durch BAföG das Soziologie-Studium ermöglicht. Aber auch die Rolle im sozialen Miteinader kann dem Bäcker sehr umfangreich aufgezeigt werden: Vor dem Frühstück kaufen sich Menschen beim Bäcker Brötchen oder Croissants, womit er den ersten zwischenmenschlichen Kontakt darstellt, sein jeweiliges Auftreten kann auf den gesamten Tag sowohl positiv als auch negativ wirken. Das Aufzeigen der verschiedenen Wirkungsweisen des Berufes kann den Bäcker so in seiner Rolle stärken und damit langfristig stabilisieren. Doch nicht nur ihm selbst können solche Informationen im sozialen Miteinander weiterhelfen. Wenn jeder Kunde über die vielen Aufgaben des Bäckers Bescheid weiß, kann dies zu mehr Anerkennung und Respekt diesem gegenüber führen, was sich wiederum auf den Alltag des Bäckers positiv auswirkt. Der Soziologe kann also auf unterschiedliche Weise beispielsweise durch eine Sozialstrukturanalyse den Bäcker sehr umfangreich stärken. Die stabilisierende und informative Fähigkeit der Soziologie unterstreicht noch einmal den Verbesserdungswillen dieser. Das Wissen um seine Rolle im sozialen Miteinander und das daraus entstandene Selbstvertrauen kann der Bäcker beispielsweise in seinen Kundenumgang einfließen lassen, wodurch dieser noch optimaler ablaufen kann.
An dieser Stelle sei aber die Vermutung meinerseits in den Raum gestellt, dass der Bäcker, auch wenn er sich durch die Informationen bekräftigt fühlt, diese als unnötige Worte abtut, weil sie im Gegensatz zu den Ergebnissen anderer Wissenschaftsdisziplinen nur einen ideellen, aber kaum einen praktischen Nutzen haben.
Am Ende lässt sich also festhalten, dass wenn man nach dem Nutzen der Soziologie fragt und dabei einen Konkretisierung auf den Bäcker vornimmt, dass die Soziologie nur indirekten, theoretischen und kaum greifbaren Lohn erzielt. Zum indirekten Nutzen gehört der Einfluss, welchen sie bei der interdisziplinären Wissens- und Methodenbildung hat; zum theoretischen Nutzen, die ideelle Wahrnehmungsverbesserung des Bäckers und seiner Außenwelt. Durch ihre vielseitige Betrachtungsweise, welche stets auf der Wahrnehmung von multikausalen Zusammenhängen beruht, ist die Soziologie zwar eine interessante Wissenschaftsdisziplin, aber verliert, meiner Meinung nach, zu oft die Fähigkeit, ihr Wissen anschaulich und nachvollziehbar aufzubereiten, weshalb sie oft falsch oder sogar gar nicht wahrgenommen wird. Weiterhin ist ihre ureigene Zukunftsorientierung ein wesentliches Problem der Soziologie, wenn es darum geht ihren Nutzen aufzuzeigen. Das zeigt sich in der Tatsache, dass ihre Erkenntnisse erst einige Zeit später Früchte tragen werden bzw. die Erkenntnisse, welche die Soziologie wiederum schon gewonnen hat, in der zeitlich aktuellen Gesellschaft bzw. in ihren verschiedenen Spielarten schon so weit eingeflossen sind, dass sie nur schwer als soziologische Erkenntnisse wahrgenommen werden.
Meiner Meinung nach darf die Soziologie sich nicht um den Nutzen für einzelne Zeitgenossen bzw. die Wahrnehmung durch jene kümmern, sondern sie muss ihren Blick stets auf nachfolgende Generationen richten, ansonsten verliert sie eine ihrer grundsätzlichen Eigenschaften und würde damit unwiederbringlich ihre Identität und Rolle als allumfassende Sozialwissenschat aufgeben.
[...]
- Quote paper
- Janis Henke (Author), 2014, Was bringt die Soziologie dem Bäcker? Ein Essay zum praktischen Nutzen der Soziologie, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/319181
-
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X. -
Upload your own papers! Earn money and win an iPhone X.