Einleitung
Diese Arbeit beschäftigt sich mit der Problematik der Wiederholung bei Max Frisch, welche in seinem Werk eine große Rolle spielt. Um diese Problematik und das hieraus resultierende Verhalten der Figuren adäquat untersuchen zu können, erscheint es wichtig, zunächst die Begriffe Zeit und Zeiterlebnis, die eng mit der Auffassung von Wiederholung bei Frisch verbunden sind, zu untersuchen. Diesem Problem ist das erste Kapitel dieser Arbeit gewidmet. Im zweiten Kapitel wird dann der Begriff der Wiederholung theoretisch untersucht, was vor allem in der Abgrenzung zu der Auffassung von Wiederholung bei den Philosophen Nietzsche und Kierkegaard geschehen soll. Hier soll gezeigt werden, dass es zwischen Frisch und den Philosophen einige auffallende Parallelen gibt, wichtig wird jedoch auch sein, die Unterschiede aufzuzeigen.
Das dritte Kapitel widmet sich nunmehr den verschiedenen thematischen Aspekten der Wiederholung in Frischs Werk. Die Figuren Frischs empfinden die Wiederholung in der Regel als Fluch, der sie lähmt und daran hindert, ihren Sehnsüchten zu folgen. Sie wollen ihr Leben ändern, bleiben jedoch immer wieder in der Wiederholung gefangen. Diese Problematik wird durch die Form und Struktur der Werke unterstützt, womit sich schließlich das vierte Kapitel dieser Arbeit beschäftigt. Denn auch in der Konstruktion der Werke sowie in leitmotivischen Worten oder Sätzen wird das Merkmal der Wiederholung offenbar. Hierzu gehört z.B., dass eine Vielzahl der Dramen zyklisch aufgebaut sind, d.h. sie enden da, wo sie begonnen haben, was das Problem der Wiederholung, dem die Figuren ausgesetzt sind, verstärkt. Somit wird das Ziel dieser Arbeit sein, vor einem theoretischen Hintergrund die Vielzahl an Aspekten und Formen, in denen das Merkmal der Wiederholung auftritt, aufzuzeigen, um so deutlich zu machen, wie wichtig ein Verständnis dieser Problematik für das Verständnis des gesamten Werks Max Frischs ist.
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
1 Die Zeitproblematik bei Max Frisch
1.1 Der Zeitbegriff in Naturwissenschaft und Philosophie
1.2 Der Begriff der Zeit bei Max Frisch
1.3 Zeit und Wiederholung
2 Der Begriff der Wiederholung im Vergleich
2.1 Frisch und Nietzsche
2.2 Frisch und Kierkegaard
2.3 Frisch und Ludwig Klages
3 Das Prinzip der Wiederholung
3.1 Die Wiederholung als Fluch
3.2 Wiederholung und Sehnsucht
3.3 Wiederholung und Geschichte
3.4 Wiederholung und Möglichkeit
4 Die Wiederholung in Struktur und Form des Werks
4.1 Die Konstruktion der Werke
4.1.1 Santa Cruz
4.1.2 Nun singen sie wieder
4.1.3 Die chinesische Mauer
4.1.4 Graf Öderland
4.1.5 Biografie: Ein Spiel
4.2 Die Leitmotivik im Werk
4.2.1 Santa Cruz
4.2.2 Nun singen sie wieder
4.2.3 Andorra
4.2.4 Biografie: Ein Spiel
Schlussbetrachtung
Literaturverzeichnis
Einleitung
Diese Arbeit beschäftigt sich mit der Problematik der Wiederholung bei Max Frisch, welche in seinem Werk eine große Rolle spielt.
Um diese Problematik und das hieraus resultierende Verhalten der Figuren adäquat untersuchen zu können, erscheint es wichtig, zunächst die Begriffe Zeit und Zeiterlebnis, die eng mit der Auffassung von Wiederholung bei Frisch verbunden sind, zu untersuchen. Diesem Problem ist das erste Kapitel dieser Arbeit gewidmet.
Im zweiten Kapitel wird dann der Begriff der Wiederholung theoretisch untersucht, was vor allem in der Abgrenzung zu der Auffassung von Wiederholung bei den Philosophen Nietzsche und Kierkegaard geschehen soll. Hier soll gezeigt werden, dass es zwischen Frisch und den Philosophen einige auffallende Parallelen gibt, wichtig wird jedoch auch sein, die Unterschiede aufzuzeigen.
Das dritte Kapitel widmet sich nunmehr den verschiedenen thematischen Aspekten der Wiederholung in Frischs Werk. Die Figuren Frischs empfinden die Wiederholung in der Regel als Fluch, der sie lähmt und daran hindert, ihren Sehnsüchten zu folgen. Sie wollen ihr Leben ändern, bleiben jedoch immer wieder in der Wiederholung gefangen.
Diese Problematik wird durch die Form und Struktur der Werke unterstützt, womit sich schließlich das vierte Kapitel dieser Arbeit beschäftigt. Denn auch in der Konstruktion der Werke sowie in leitmotivischen Worten oder Sätzen wird das Merkmal der Wiederholung offenbar. Hierzu gehört z.B., dass eine Vielzahl der Dramen zyklisch aufgebaut sind, d.h. sie enden da, wo sie begonnen haben, was das Problem der Wiederholung, dem die Figuren ausgesetzt sind, verstärkt.
Somit wird das Ziel dieser Arbeit sein, vor einem theoretischen Hintergrund die Vielzahl an Aspekten und Formen, in denen das Merkmal der Wiederholung auftritt, aufzuzeigen, um so deutlich zu machen, wie wichtig ein Verständnis dieser Problematik für das Verständnis des gesamten Werks Max Frischs ist.
1 Die Zeitproblematik bei Max Frisch
Bei Max Frisch ist die Problematik der Wiederholung eng mit seiner Auffassung von Zeit und Zeiterlebnis verbunden. Deshalb soll in dieser Arbeit zunächst der Zeitbegriff und der Zusammenhang zwischen Zeit und Wiederholung in seinem Werk untersucht werden. Hierfür erscheint es zudem sinnvoll, einen kurzen Überblick über den Zeitbegriff in der Naturwissenschaft und Philosophie zu geben, um so zu einer Einordnung des Begriffs bei Frisch zu kommen.
1.1 Der Zeitbegriff in der Naturwissenschaft und Philosophie
Aristoteles definierte die Zeit als ein Maß der Bewegung. Die Zeit wurde in der Antike als ein Element betrachtet, welches Bewegung und Veränderung verursacht. Dabei wurde sie einerseits als unruhestiftend angesehen (im Symbol des Sturmes), andererseits wurde die Vorstellung von einer gesetzmäßigen zyklischen Bewegung vertreten (im Sinnbild der Sterne).[1]
Bei dem Übergang von der Antike zur christlichen Zeitauffassung kam es zu einer Subjektivierung der kosmischen Zeit, die mit der Formulierung Augustinus’ ihren Höhepunkt erreichte: „In dir meine Seele messe ich die Zeit“[2]. Augustinus wandte sich gegen das zyklische Zeitmodell als das Maß der Ewigkeit und vertrat stattdessen die Auffassung von der Zeit als Gerade, die einen Anfang und ein Ende hat.
In der naturwissenschaftlichen Auffassung der Neuzeit wird die Zeit zu einer eindimensionalen Linie, auf der es nur Zeitpunkte, aber kein Vergangenes, Jetziges und Zukünftiges gibt. Der bekannteste Vertreter dieser Auffassung war Newton. Mit Minkowski fügt sich Zeit mit der Raumdimension zum Raum-Zeit-Kontinuum zusammen.[3]
Die Auffassung von einem subjektivem Zeitbegriff im letzten Jahrhundert wurde in erster Linie von der Psychologie und der Existenzphilosophie geformt. Beide gingen von dem Aspekt des zeitlichen Menschen aus. Hierbei ist die gelebte Zeit nach Minkowski nicht zerlegbar und nach Bergson von kontinuierlicher Dauer.[4]
1.2 Der Begriff der Zeit bei Max Frisch
In seinem Tagebuch 1946-1949 hat Max Frisch sich grundsätzliche Gedanken über literarische, gesellschaftliche und existentielle Fragen gemacht. Hierzu gehören auch Überlegungen zum Zeitbegriff:
Die Zeit?
Sie wäre damit nur ein Zaubermittel, das unser Wesen auseinanderzieht und sichtbar macht, indem sie das Leben, das eine Allgegenwart alles Möglichen ist, in ein Nacheinander zerlegt; allein dadurch erscheint es als Verwandlung, und darum drängt es uns immer wieder zur Vermutung, daß die Zeit, das Nacheinander, nicht wesentlich ist, sondern scheinbar, ein Hilfsmittel unsrer Vorstellung, eine Abwicklung, die uns nacheinander zeigt, was eigentlich ein Ineinander ist, ein Zugleich, das wir allerdings als solches nicht wahrnehmen können, so wenig wie die Farben des Lichtes, wenn sein Strahl nicht gebrochen und zerlegt ist.
Unser Bewußtsein als das brechende Prisma, das unser Leben in ein Nacheinander zerlegt, und der Traum als die andere Linse, die es wieder in sein Urganzes sammelt; der Traum und die Dichtung, die ihm in diesem Sinne nachzukommen sucht –[5]
Das Leben ist nach Frisch also eine Allgegenwart alles Möglichen, ein Zugleich. Da wir dieses Ineinander – wie die Farben des Lichts – jedoch nicht wahrnehmen können, wird es durch unser Bewusstein, das brechende Prisma, mit Hilfe der Zeit in ein Nacheinander zerlegt. Die Zeit, das Nacheinander sind somit nicht wesentlich, sondern nur scheinbar, eben nur ein Hilfsmittel unserer Vorstellung. Nur im Traum ist dieses Nacheinander wieder aufgehoben, was wiederum in der Dichtung nachempfunden werden kann.
Diese Vorstellung hat zwar gewisse Ähnlichkeit mit dem Begriff der Zeit bei Newton, weist andererseits jedoch grundsätzliche Unterschiede auf. Beide betrachten die Ordnung der Zeit als ihr Hauptmerkmal, doch während Frisch das Nacheinander der Zeit nur als vom Menschen hervorgebrachten Schein ansieht, glaubte Newton an die Absolutheit der Zeit, auf die der Mensch keinen Einfluss hat.[6] Zudem kannte Frisch die Relativitätstheorie Einsteins, die die Vorstellung von einer absoluten Zeit entgültig widerlegte.[7]
Doch auch an der Vorstellung von der Zeit als Schein scheint Frisch zu zweifeln, denn ebenfalls im Tagebuch 1946-1949 schreibt er:
Wenn es stimmt, daß die Zeit nur scheinbar ist, ein bloßer Behelf für unsere Vorstellung, die in ein Nacheinander zerlegt, was wesentlich eine Allgegenwart ist, wenn alles stimmt, was mir immer wieder durch den Kopf geht, und wenn es auch nur für das eigene Erleben stimmt: warum erschrickt man über jedem Sichtbarwerden der Zeit?
Als wäre der Tod eine Sache der Zeit.[8]
Diesen Zweifel versucht Frisch zu lösen, indem er von zwei verschiedenen Zeitbegriffen ausgeht[9]:
Vielleicht müßte man unterscheiden zwischen Zeit und Vergängnis: die Zeit, was die Uhren zeigen, und Vergängnis als unser Erlebnis davon, daß unserem Dasein stets ein anderes gegenübersteht, ein Nichtsein, das wir als Tod bezeichnen. Auch das Tier spürt seine Vergängnis; sonst hätte es keine Angst. Aber das Tier hat kein Bewußtsein, keine Zeit, keinen Behelf für seine Vorstellung; es erschrickt nicht über einer Uhr oder einem Kalender, nicht einmal über einem Kalender der Natur. Es trägt den Tod als zeitloses Ganzes, eben als Allgegenwart: wir leben und sterben jeden Augenblick, beides zugleich, nur daß das Leben geringer ist als das andere, seltener,...[10]
Die hier mit dem Begriff Zeit definierte Zeit ist also sowohl die objektiv gemeinte Zeit des Nacheinanders als auch die subjektive des menschlichen Bewusstseins, welche Frisch abermals als die uneigentliche, scheinbare Zeit benennt. Der Begriff der Vergängnis dagegen lässt sich mit dem Erlebnis, der Allgegenwart und dem Tod in Einklang bringen.
Demnach erweist sich die Frage nach der Zeit „als eine Frage nach der Gesamtheit unseres Erlebnisses, und das nennt Frisch die Allgegenwart. Zeit begegnet uns als alltägliche objektive Uhrzeit, die über uns hinweggeht oder uns auch daran hindert zu leben, und gleichzeitig als jenes innere, allvertraute Erlebnis“[11].
Bei der Frage nach dem Erleben stellt sich auch die Frage nach dem Erleben in der Gegenwart. Hierzu schreibt Frisch:
Man fragt sich manchmal, inwiefern eine Gegenwart überhaupt erlebbar ist. Könnte man unser Erleben darstellen, und zwar ohne unser Vorurteil, beispielsweise als Kurve, so würde sie sich jedenfalls nicht decken mit der Kurve der Ereignisse; eher wäre es eine Welle, die jener anderen verwandt ist, die ihr vorausläuft und wieder als Echo folgt; nicht die Ereignisse würden sich darstellen, sondern die Anlässe der Ahnung, die Anlässe der Erinnerung. Die Gegenwart bleibt irgendwie unwirklich, ein Nichts zwischen Ahnung und Erinnerung, welche die eigentlichen Räume unseres Erlebens sind; die Gegenwart als bloßer Durchgang, die bekannte Leere, die man sich ungern zugibt.[12]
Obwohl also die Gegenwart existiert, kann der Mensch sie als solche kaum erleben.
Die Gegenwart ist also unerlebbar, und auch die Vergangenheit ist nach Frisch eine Erfindung, die nicht zugibt, eine Erfindung zu sein, ein Entwurf rückwärts [13] . Die eigentliche Zeit liegt also in der Zukunft begründet:
Ich weiß nie, wie es war. Ich weiß es anders – nicht als Geschichte, sondern als Zukunft. Als Möglichkeit. Wie es war, als ich in einer Prüfung durchgefallen bin, oder wie es war mit einer Frau, die mich verlassen hat oder die ich verlassen habe, ich erzähle nie, wie es war, sondern wie ich mir vorstelle, daß es wäre, wenn ich es nochmals erleben müßte. Erfahrung zeigt sich als Ahnung, als Voraussage. Das gilt nicht nur für den Schriftsteller, glaube ich, es gilt für alle Menschen.[14]
Wie im ersten Zitat dieses Abschnitts bereits angedeutet[15], sieht Frisch nur im Traum und in der Dichtung die Möglichkeit, Uhrzeit und Vergängnis nicht als entgegengesetzt und voneinander getrennt, sondern als sich ergänzend und gleichzeitig zu erleben.[16]
Im folgenden Abschnitt sollen diese hier dargestellten Erkenntnisse nun mit dem Begriff der Wiederholung in Zusammenhang gebracht werden.
1.3 Zeit und Wiederholung
Wie im vorherigen Abschnitt deutlich gemacht wurde, spielt der Zeitbegriff in Frischs Werk eine große Rolle. Hierbei ist wichtig anzumerken, dass die Figuren in seinem Werk oftmals den Versuch unternehmen, „außerhalb der Zeitlichkeit zu leben, indem sie die erlebte Zeit, die Bedeutung der Vergänglichkeit und des Todes in ihrem Leben negieren wollen“[17]. Sie empfinden eine Entfremdung von der Zeit, was z.B. beinhaltet, dass sie die Vergangenheit als leer und ereignislos ansehen. Sie leben deshalb in der ständigen Erwartung in Neues, doch auch dies wird nach kurzer Zeit zu Gewohntem. „Die lineare Chronologie des äußeren Zeitablaufs wird in der monotonen Wiederholung von äußeren Handlungen als zyklisch empfunden, weil alles als ewige Wiederkehr des Gleichen wirkt.“[18]
Die Figuren bei Frisch empfinden sich als Sklaven der Zeit, was sich auch in ihrer Furcht vor dem Alltag ausdrückt, der als das Sinnbild für das ungelebte Leben angesehen werden kann.[19] Dieser Alltag bedeutet vor allem Wiederholung, aus der die Figuren ausbrechen wollen: „Die Gestalten versuchen aus dem Gefängnis der Zeit, wie es anscheinend ihr Leben beschränkt, auszubrechen und sich ihr Leben außerhalb des Zeitablaufs und frei vom Fluch der Wiederholung einzurichten. [...] Doch alle Versuche, die Tatsache des Zeitablaufes aus ihrem Bewußtsein zu verdrängen, entfremden sie dermaßen von der Wirklichkeit, daß sie nicht mehr zum wahren Leben kommen.“[20]
Hier wird also bereits deutlich, dass die Figuren bei Frisch die Wiederholung vor allem als Fluch empfinden, dem sie sich entgegen zu stellen versuchen. Diese Thematik wird im dritten Kapitel dieser Arbeit noch ausführlich behandelt. Zuvor jedoch soll der Begriff der Wiederholung im Vergleich zu anderen Ansätzen untersucht werden, um so zu einem Verständnis des Begriffs bei Max Frisch zu gelangen.
2 Der Begriff der Wiederholung im Vergleich
In einem Gespräch mit Heinz Ludwig Arnold im November 1974 beantwortete Frisch die Frage, in welcher Weise das Studium, insbesondere das der Germanistik, seine schriftstellerische Arbeit beeinflusst und welche Denkanstöße er dadurch erhalten habe:
Ich bin heute der Meinung, daß das Theoretische nie meine Stärke gewesen ist. Ich hab’s natürlich auch versucht, aber ich denke anderen Menschen dann doch sehr nach, also ich glaube nicht, daß ich eigentliche genuine theoretische Einfälle gehabt habe.[21]
Auch im Hinblick auf den Begriff der Wiederholung findet man einige Menschen, denen er nach-gedacht zu haben scheint. Somit wird es in den folgenden Abschnitten darum gehen zu untersuchen, inwieweit Frischs theoretische Ansichten zum Begriff der Wiederholung, so wie sie in seinem Werk zum Ausdruck kommen, auf das theoretische Denken Anderer beruhen. Hierbei geht es nicht darum, einen direkten Einfluss nachzuweisen, sondern vielmehr um eine Einordnung seines Begriffs der Wiederholung durch den Vergleich zu anderen Ansätzen. Es soll also gegebenenfalls auch darauf hingewiesen werden, inwieweit sich seine Auffassungen von der Wiederholung von den jeweiligen theoretischen Ansätzen unterscheiden.
Auf Frischs Auffassung zum Begriff der Wiederholung haben möglicherweise zwei Philosophen Einfluss ausgeübt. In der Anfangsphase seiner Schaffensperiode scheint Frisch mit seinen Gedanken vor allem dem Nihilismus Nietzsches nahe zu stehen, später dann ist es vor allem Kierkegaard, zu dem sich einige Parallelen nachweisen lassen[22].
Ferner lassen sich auch Parallelen zu dem Philosophen und Psychologen Ludwig Klages nachweisen, worauf in diesem Kapitel im letzten Abschnitt ebenfalls kurz eingegangen werden soll.
2.1 Frisch und Nietzsche
Nach Kristiansen lässt sich im Werk Frischs eine Lebensproblematik nachweisen, die auf eine nihilistische Grunderfahrung zurückgeht und in seinem Werk vor allem aus den Jahren 1931-1943, d.h. aus der Anfangsphase seines Schaffens, zum Ausdruck kommt.[23] Dieser Nihilismus Frischs steht dem „biologisch-vitalistischen“[24] Nietzsches nahe und kommt besonders in den Schwierigen zum Ausdruck. Hier wird in den letzten Abschnitten geschildert, wie sich Annemarie und Hanswalter am See treffen. Hanswalter erzählt von seiner Auffassung von Reinkarnation und seinem Glauben daran, dass sich alles wiederholt. Er versucht Annemarie, von seinen Ansichten zu überzeugen:
‚Mir ist’, sagte er, ‚als hätte ich alles schon einmal erlebt... ich weiß nicht, vielleicht hat man sich schon in einem früheren Leben getroffen.’
Das Mädchen zweifelte:
‚Glaubst du daran, daß es ein früheres Leben gibt?’
‚Wer kann schon sagen, woran man heute noch glauben soll! Unser Pfarrer streitet es ab, er behauptet steif und fest, ich hätte von Indien gelesen, und es wäre besser, sagte er, ich würde einmal die Bibel lesen. Aber das kann überhaupt niemand wissen, verstehst du. Am Ende gibt es überhaupt keine Zeit, wie die Uhren sie zeigen: beweisen kann das auch niemand. Uhren sind eine Erfindung der Menschen. Vielleicht hat man alles, was kommt, schon einmal erlebt...’[25]
Für Hanswalter ist das Kommende nur die Wiederholung dessen, was schon gewesen ist, und im Hinblick auf die Zeit bedeutet die Wiederholung ihre Aufhebung.[26] Diese Zeitauffassung wird im letzten Abschnitt auch durch den Erzähler bestätigt:
Es gibt keinen Anfang, kein Ende. Alles wiederholt sich, nichts kehrt uns wieder, Sommer vergehen, Jahre sind nichts [...] Es gibt keine Zeit, wie die Uhren sie zeigen; es gibt nur, mitten durch alles hindurch, den glühenden Blitz der Vergängnis, der das Leben erhält,...[27]
Kristiansen sowie Dahms weisen darauf hin, dass dieser Wiederholungsgedanke an Nietzsches Lehre von der ewigen Wiederkunft des Gleichen erinnert.[28] Kristiansen merkt jedoch ebenfalls an, dass nicht in erster Linie die Übereinstimmungen mit Nietzsche entscheidend sind, sondern viel mehr die von Nietzsche abweichende Richtung der Auslegung.[29] Demnach versteht Frisch das Phänomen der Wiederholung vor allem als Beweis dafür, „daß die Zeit nur eine unwesentliche Täuschung und die innerzeitliche Welt- und Lebenswirklichkeit nur eine Scheinwirklichkeit ist.“[30] Das bedeutet, dass Frisch deutlich von der Meinung Nietzsches abweicht, „[d]enn der unablässige Zeitstrom des Werdens und Zerstörens, der Nietzsche zufolge die Gesamtrealität des Seins umfaßt, stellt nach der Zeitinterpretation Frischs lediglich eine seinsentfremdete Dimension unserer Wirklichkeit dar. Die Zeit hat nicht mehr wie bei Nietzsche das Sein, sondern ist diesem Sein als Schein und Fiktion entgegengesetzt worden.“[31] Damit greift Frisch auf die herkömmliche Tradition der metaphysischen Seins-Deutung zurück und wendet sich damit gegen Nietzsche.[32]
Zudem gibt es bei Nietzsche weder „im Himmel noch auf Erden“ etwas Neues. „Alles, was ist, war schon einmal und wird wieder sein, und zwar auf dieselbe Weise.“[33] Hierzu sagt Zarathustra:
Ich komme wieder, mit dieser Sonne, mit dieser Erde, mit diesem Adler, mit dieser Schlange - nicht zu einem neuen Leben oder besseren Leben oder ähnlichen Leben:
- Ich komme ewig wieder zu diesem gleichen und selbigen Leben, im Größten und auch im Kleinsten, daß ich wieder alle Dinge ewige Wiederkunft lehre, -[34]
[...]
[1] Vgl. Dahms (1976), S. 2.
[2] Zit. n. Dahms (1976), S. 3.
[3] Vgl. Dahms (1976), S. 3.
[4] Ebd.
[5] Tagebuch 1946-1949, GW II, S. 361f. (Alle Zitate aus Frischs Werk sind den Gesammelten Werken entnommen, die hier und im Folgenden mit ‚GW’ abgekürzt werden.)
[6] Vgl. Wang (1992), S. 11.
[7] Vgl. Die Chinesische Mauer, GW II, S. 162f.
[8] Tagebuch 1946-1949, GW II, S. 493.
[9] Vgl. auch Wang (1992), S. 15).
[10] Tagebuch 1946-1949, GW II, S. 499f.
[11] Wang (1992), S. 16.
[12] Tagebuch 1946-1949, GW II, S. 451f.
[13] Ausgewählte Prosa, S. 11. Zit n. Wang (1992), S. 18.
[14] Ebd., S. 8. Zit. n. Wang (1992), S. 18.
[15] Tagebuch 1946-1949, GW II, S. 361f.
[16] Vgl. Wang (1992), S. 21.
[17] Dahms (1976), S. 18.
[18] Ebd., S. 80.
[19] Vgl. Dahms (1976), S. 89.
[20] Dahms (1976), S. 97.
[21] Zit. n. Naumann (1978), S. 11.
[22] Zu bemerken ist, dass Kierkegaards Auffassung zum Begriff der Wiederholung deutlich von Frischs Ansatz abweicht, obwohl sich Frisch offensichtlich mit Kierkegaard beschäftigt und dem ersten Teil seines Romans Stiller u.a. zwei Motti vorangestellt hat, die Kierkegaards Schrift Enten-Eller bzw. Entweder-Oder, so die deutsche Übersetzung, entnommen sind.
[23] Vgl. Kristiansen (1983), S. 164.
[24] Kristiansen (1983), S. 195.
[25] Die Schwierigen oder J’adore ce qui me brûle, GW I, S. 598.
[26] Vgl. Kristiansen (1983), S. 196.
[27] Die Schwierigen, GW I, S. 599.
[28] Vgl. Kristiansen (1983), S. 196 u. Dahms (1976), S. 60.
[29] Vgl. Kristiansen (1983), S. 196.
[30] Kristiansen (1983), S. 196.
[31] Ebd. Vgl. auch Wang (1992), S. 33.
[32] Die Position Frischs ist in den Schwierigen nur in „recht vagen Umrissen sichtbar gemacht“ (Kristiansen (1983), S. 196). Deshalb ist es hilfreich, die Stellen im Tagebuch 1946-1949 zu untersuchen, in denen sich Frisch mit dem Phänomen der Zeit beschäftigt. Die dortige Zeitinterpretation ist mit der in den Schwierigen identisch. Der Zeitauffassung und dem Zusammenhang mit dem Begriff der Wiederholung ist in dieser Arbeit ein eigenes Kapitel gewidmet, so dass hier nicht näher darauf eingegangen werden soll.
[33] Ebd., S. 34.
[34] Nietzsche: Also sprach Zarathustra. Zit. n. Wang (1992), S. 34.
- Arbeit zitieren
- Christina von Bremen (Autor:in), 2001, Die Problematik der Wiederholung bei Max Frisch, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/31864
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