Als im Jahr 1864 der Laienbruder Eugen Eyraud auf der Osterinsel hölzerne Tafeln mit seltsamen Hieroglyphen fand, war das eine große Sensation. Man vermutete von Anfang an darin eine Schrift, die bisher im gesamten pazifischen Raum nicht bekannt war. Alle Versuche, diese Zeichen zu entziffern scheiterten, weil selbst die Osterinsulaner keine sachdienlichen Angaben mehr zur Klärung vortragen konnten. Erst 1954 erschien als Habilitationsschrift des deutschen Wissenschaftlers Thomas Barthel eine erste umfassende Studie zum Verständnis von Rongorongo, wie vermutlich das System der Zeichen einst genannt wurde. Alle bis dato und im Folgenden in Erscheinung getretenen Forscher waren davon überzeugt, dass Rongorongo als Schrift nur von Linguisten entziffert werden kann. Diese Publikation verfolgt den Ansatz über die "Kunst", der hier erstmals in der Rongorongo-Forschung mit zahlreichen Zeichnungen aufgezeigt wird.
In dem vorliegenden ersten Buch aus einer geplanten Reihe von 10 Publikationen wird dargelegt, dass Rongorongo keine Schrift ist, die Texte konserviert. Der Autor Michael Dietrich fand zahlreiche Informationen über die "graphics" in der wissenschaftlichen ozeanistischen Literatur und damit auch stichhaltige Beweise für die Bedeutung der Zeichen und des Systems. So lässt sich beweisen, dass die Zeichen astronomische Bedeutungen haben, deren Sinn und Zweck die im Pazifik übliche Navigation nach den Sternen der Nachwelt überliefern.
Nach mehreren wissenschaftlichen Veröffentlichungen des Autors wendet sich dieses Buch an alle interessierten Leser, die nicht über die bisher geleistete Rongorongo-Forschung informiert sind. Das Buch ist als populärwissenschaftliche Arbeit zu verstehen, ohne den wissenschaftlichen Hintergrund auszublenden.
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Inhaltsverzeichnis
1 Vorbemerkung 1
2 Nomenklatur muss sein! 5
3 Form follows function 6
4 Ein nie verfolgter Hinweis 12
5 Phantasie ist wichtiger als Wissen 15
6 Am drehenden Himmel entlang 16
7 Himmelsbahnen 22
8 Experimentelle Rongorongo-Archäologie 25
9 Eine Gebrauchsanleitung für Sterne 33
10 Von links nach rechts – wie Texte in der Bibel 37
11 … written by a trained dilettante 45
12 Krumme Dinger - Fischers Kronzeugen 47
13 Ein Loch ist im Eimer … 51
14 Circulus vitiosus 55
15 Der erste Dominostein steht noch immer. Wie lange noch? 58
16 Solo-Zeichen sind der Anfang 68
17 Kleine Augen auf großer Fahrt 83
18 Das himmlische Doppelkanu ist kein Boot 88
19 Das Pflichtenheft für Rongorongo 91
20 Der Federstab ist ein Drachenschwanz 98
21 Ausblick 109
22 Literaturnachweis 110
1 Vorbemerkung
Es wird allgemein angenommen, dass Rongorongo die Osterinselschrift ist. Seit ihrer Entdeckung im Jahr 1864 durch Eugen Eyraud auf der Osterinsel bis heute wurde viel geforscht, viel geschrieben, viel vermutet, viel (angeblich) bewiesen – aber eine überzeugende Entzifferung von „Texten“ in Rongorongo gibt es noch immer nicht. Das Interesse an der vermeintlichen Osterinselschrift wächst ständig, was zahlreiche neue Einträge im Internet belegen. Hier findet man auch Literatur zur Genüge, die aber oft wissenschaftlich geschrieben ist und an der Sache interessierte Menschen teilweise überfordert, weil das Verständnis wissenschaftlicher Arbeiten immer eine gehörige Portion Fachkenntnis voraussetzt.
Texte über Forschungsergebnisse sind keine Romane oder Kurzgeschichten. Bei allem Bemühen, so verständlich wie möglich zu schreiben, muss die wissenschaft-liche Nomenklatur bleiben.
„Sie sind doch Maler. Ich hab’ da was für Sie. Sehen Sie doch mal nach, ob Ihnen etwas auffällt !“.
Das war für mich der Anfang, der bis heute noch immer kein Ende hat. Vor über 25 Jahren war es der Tübinger Wissenschaftler Thomas Sylvester Barthel, (1923 – 1997) der mir mit diesen Worten am Ende einer Tagung im Jahr 1988 im Senckenberg-Museum, Frankfurt/M. sein Buch in die Hand legte:
Thomas Barthel
Grundlagen zur Entzifferung der Osterinselschrift
Cram, De Gruyter & Co, Hamburg 1958
Barthel hielt es für möglich, dass aus der bislang in der Rongorongo-Forschung nicht genutzten Richtung „Kunst“ neue Hinweise oder neue Sichtweisen kommen könnten.
Das Buch war die Habilitationsschrift von Barthel und zeigte nach fast 100 Jahren seit der Entdeckung von Rongorongo, wie dieses System aus Zeichen genannt wird, erstmalig die Abschriften von 24 Objekten. Heute gehen wir davon aus, dass es ca. 15.000 Zeichen sind, die noch immer auf ihre Entzifferung warten.
Barthel hatte 9 wissenschaftliche Arbeiten zu seinen Rongorongo-Forschungen veröffentlicht, die letzte im Jahre 1990.
Niemand kann ein Buch über Rongorongo schreiben, ohne immer wieder auf Barthel hinzuweisen, einen Bezug zu seiner Arbeit herzustellen, ihn als ersten Rongorongo-Forscher mit wissenschaftlichem Anspruch zu zitieren. Barthel hatte mich zu eigenen Forschungen über die vermeintliche Osterinselschrift animiert und bis zu seinem Tod 1997 auch begleitet. Wir hatten unterschiedliche Auffassungen und sind natürlich auch zu unterschiedlichen Ergebnissen gekommen.
Bei aller Kritik an seinem analytischen Vorgehen, an seinen Hypothesen und Theorien, gebührt ihm das Verdienst, die vermeintliche Osterinselschrift aus der Ecke der Vergessenheit und der unhaltbaren Behauptungen ihrer Unentzifferbarkeit geholt und in den Fokus einer wissenschaftlichen Bearbeitung gebracht zu haben.
Es gäbe vermutlich keine Rongorongo-Forschung, wenn Barthel nicht den (zwar gescheiterten) Versuch unternommen hätte, zumindest mehr Licht in das Dunkel einer Schrift von der polynesischen Insel mit dem Namen Rapanui zu bringen, die keine Schrift ist.
Barthel ist der Bewahrer von Rongorongo und der Totengräber in einer Person. Er hatte mich immer angehalten, auf unseren vielen Arbeitsgesprächen „auf der Burg“ in Tübingen, meine Kritik an seinen Ergebnissen nicht zurückzuhalten. Ein „angedachtes gemeinsames Projekt“ kam nicht mehr zustande.
Es war mir ein großes Anliegen, meine Erstveröffentlichung in
Asian and African Studies, Bratislava 1998
„Kleine Augen auf großer Fahrt.
Zur Sternnavigation in Rongorongo“
mit einer Widmung zu versehen:
In Memoriam Thomas S. Barthel
Fast 40 Jahre nach Barthels Abschriften der Rongorongo-Tafeln und des einzigen Stabes publizierte der amerikanische Wissenschaftler Dr. Fischer die Ergebnisse seiner Rongorongo-Forschungen mit neuen Abschriften der Objekte:
Steven Roger Fischer
Rongorongo
The Easter Island Script
History, Traditions, Texts
Clarendon Press, Oxford 1997
Damit gab es für die Forschung erstmals Vergleichsmaterial für die Abschriften der Originale. Das Ergebnis zwischen Barthel und Fischer ist eine entsetzliche Katastrophe, denn die Differenz beträgt mehr als 30%.
Das sind die beiden einzigen Bücher zum Thema in deutscher und englischer Sprache. Im Internet findet der interessierte Leser noch mehr Artikel – fast ausschließlich in englischer Sprache. Der gemeinsame Nenner aller Publikationen seit 1864 bis heute besteht darin, dass jeder Forscher von „Schrift“ ausgeht und seine Ergebnisse und Theorien an diesen nicht bewiesenen Fakten festmacht. Es gibt keine wissenschaftliche Arbeit, die über seriöse und nachvollziehbare Beweise darlegen kann, dass Rongorongo eine Schrift ist. Es gibt nur Hypothesen! Um Schrift zu entziffern, muss man die Sprache kennen, in der die Schrift ihre Notationen verbirgt. Das ist die Ultima Ratio in der Schriftforschung, die sich bisher stets als richtig erwiesen hat. Sind die Zeichen aber keine Schrift, dann muss man herausfinden, was das „meaning of design“ bedeutet, wie es der schweizer Osterinselforscher Alfred Métraux bereits 1934 im Zusammenhang mit Rongorongo formulierte.
Summa summarum kommen dann doch etwa 40 Jahre Forschung bei mir zusammen. Wie oft ich gebeten wurde, doch endlich mal aufzuschreiben (aber so, dass es jeder versteht), was ich herausgefunden habe, kann ich nicht mehr angeben.
Wäre Rongorongo tatsächlich eine Schrift, hätte ich kein einziges Atom zu deren Verständnis beitragen können, denn ich verstehe keinen der ca. 40 gesprochenen Dialekte auf den Inseln im Pazifik.
Ohne näher darauf einzugehen, kann man davon ausgehen, dass ab 1938 Rongorongo alternativlos zur Schrift erklärt wurde und zur Osterinselschrift durch den österreichischen Wissenschaftler Heine-Geldern.
Der Fundort der meisten Objekte ist nachweisbar die Osterinsel, aber keinesfalls aller noch existierenden Artefakte. So wurde beweislos der Fundort zum Tatort stilisiert, was von Steven Fischer extrem mehr behauptet als bewiesen wurde.
So kann es doch nicht verwundern, dass alle bisher in Erscheinung getretenen Wissenschaftler Linguisten waren. Das ist nun einmal ihr Job und das können sie perfekt. Zwar fanden diese Spezialisten bis heute keine einzige zutreffende Zeichenerklärung in den Rongorongo-Glyphen, aber sie kämpfen mit Nachdruck und ohne Beweise dafür, dass Rongorongo eine Schrift ist und nur sie davon etwas verstehen. Das ist so seit immerhin fast 150 Jahren!
Querdenker gab es zu allen Zeiten und der so sehr gefürchtete Quereinsteiger in ein wissenschaftliches Fachgebiet hat schon immer wie ein Peitschenknall im Hühnerhof gewirkt. Citizen Science kommt aus Amerika und meint, dass der normale Bürger ohne akademischen Hintergrund, sehr nützliche Forschungen machen kann, die letzten Endes dann Wissenschaftlern wieder helfen.
In diese Ecke will ich aber nicht abgedrängt werden, denn Kunst ist eine Profession, die der Wissenschaft nicht unterlegen ist. Kunst und Wissenschaft haben sich vor etwa 400 Jahren getrennt, um eigene Wege zu gehen. Rongorongo verlangt aber, dass hier ein runder Tisch eingerichtet werden muss, denn ohne das Duo Kunst und Wissenschaft bleibt Rongorongo so stumm, wie seit 150 Jahren.
Ich habe die vermeintliche Osterinselschrift nicht entziffert - aber über meine Profession der bildenden Kunst einen neuen Ansatz gefunden und beweiskräftig vorgetragen, der das Verständnis von Rongorongo in gänzlich neue Bahnen lenkt.
Nach 150 Jahren erfolgloser Forschung kann doch nur ein neuer Gedanke, ein neues Denken den so lange gesuchten Ausweg zeigen.
In der Wissenschaft hat man sich schon immer schwer getan, neues Denken zuzulassen. Man muss doch nur die alten Paradigmen an neue Ideen anlegen und schon ist die Sache vom Tisch. Früher wurde das Neue noch bekämpft, aber dadurch bekam es Öffentlichkeit. Heute wird es verschwiegen, was sehr viel effektiver ist.
Rongorongo ist ein System bildhafter Zeichen zur Notation astronomischer Befunde wiederum zum Zwecke der Navigation zwischen den Inseln im unendlich großen Stillen Ozean. Bildhafte Zeichen zu analysieren ist im Pflichtenheft der Grafiker festgeschrieben und ganz gewiss nicht bei Linguisten.
Wenn nach über 400 Jahren erstmals wieder eine Forschungsarbeit vorgelegt wird, die Kunst als den Primus bestimmt, ist das alleine schon eine spannende Sache.
Nur einmal in der Geschichte der Wissenschaft, Kunst und Kultur der Menschheit wurde ein System von Zeichen erfunden, mit dem astronomische/navigatorische Aufzeichnungen möglich waren, die das alte Wissen für eine erhoffte Renaissance ihrer ursprünglichen Kultur bewahren sollte. Rongorongo ist absolut einmalig! Der Leser wird entscheiden, was und wie meine Forschungen über Rongorongo erklären, wenn er ohne Vorverurteilung bereit ist, sich ein Urteil zu bilden.
2 Nomenklatur muss sein
Kompromisse sind selten gut, aber leider oft genug die einzige Möglichkeit, zu einem Ergebnis zu kommen. Für das ganze Buch wurde festgelegt, alle Belegstellen auf den Objekten nach der Nomenklatur von Barthel zu bezeichnen, die er 1958 eingeführt hatte. Für jeden Leser, der wissenschaftliches Interesse an Rongorongo hat, ist diese Nomenklatur eine Selbstverständlichkeit. Er braucht von mir keine nähere Erklärung oder sonstige Belehrung. Für die Mehrzahl der an Rongorongo nicht aus wissenschaftlicher Sicht interessierten Leser sind diese Belegstellen völlig belanglos. Er muss nicht erst lernen, nach welchen Kriterien Barthel sie anlegte. Jeder Leser kann bedenkenlos darüber wegsehen, denn er versteht den Text und die Zusammenhänge auch ohne diese Nomenklatur. Ich dagegen bin gehalten, Beleg-stellen anzugeben, weil der Text ansonsten nicht überprüfbar ist.
Als eine herausragende Arbeit wird meinem Mentor Prof. Thomas Barthel gerne als besondere Leistung attestiert von Rongorongo-Forschern, dass er die Zeichen auf insgesamt 7 Formentafeln ordnete. Das ist in der Tat eine herausragende Leistung, denn diese Formentafeln sind so unsachlich und unprofessionell angelegt, dass sie seit 1958 bis heute jedes Verständnis der vermeintlichen Osterinselschrift verhindern konnten. Wenn im Text darauf Bezug genommen wird, gilt das gleiche, wie schon gesagt: einfach ignorieren.
Nach 150 Jahren wird hier erstmalig der Versuch unternommen, ein bisher nur wissenschaftlich bearbeitetes Problem so zu erklären, dass keine besonderen Vorkenntnisse erforderlich sind, den Text zu verstehen. Es ist immer eine Grat-wanderung zwischen populär und wissenschaftlich. Ich bin nicht der erste und werde auch nicht der letzte Autor sein, der diesen dornigen Weg geht.
Das ist kein mea culpa und erst recht keine Entschuldigung für alle die Passagen, die man einfacher hätte erklären können. Aber auch das ist eine Gratwanderung, denn zwischen „noch einfach“ und bereits „unsachlich, falsch“ ist es die oft zitierte Haaresbreite. Ich habe mich entschieden, lieber „richtig“ zu schreiben und schwer verständlich in Kauf zu nehmen, als leicht verständlich, aber gründlich daneben. Keine Sorge, es sind ohnehin nur wenige solcher Passagen im Text.
Dieses Buch ist nach über 400 Jahren ein Versuch, zwischen Kunst und Wissen-schaft über bildhafte Zeichen aus der Südsee wieder eine Annäherung herzustellen. Heute haben Kunst und Wissenschaft nicht mehr die gleiche Sprache, es gibt keine Berührungspunkte, weil Vertreter beider Fraktionen sich auch nicht darum bemühen. Die Schöpfer des Systems Rongorongo waren aber die Wissenschaftler und Künstler in Personalunion zu ihrer Zeit. Um mit ihnen auf Augenhöhe zu kommunizieren, brauchen wir heute Protagonisten aus Kunst und Wissenschaft. Linguisten, Ethnologen, Archäologen und andere Wissenschaftler haben nicht das Rüstzeug und dessen Bedienung erlernt, dass ein Künstler aus der Profession bildender Kunst einbringen kann. Er kann nicht einbringen, was ein Studium vermittelt.
Auch, wenn das ein seltsamer Vergleich ist, aber eine Bombe kann doch nur entschärfen, der weiß, wie man eine Bombe baut. Der es nur vorgibt zu wissen, ist so ungeeignet, wie derjenige, der es überhaupt nicht kann.
3 Form follows function
Mit diesem Terminus stecke ich von Anfang an das Revier ab, in dem sich die hier vorgetragenen Ergebnisse meiner Forschung an der vermeintlichen Osterinselschrift orientieren. Bereits 12 Jahre vor der Entdeckung von Rongorongo (1864) formulierte 1852 der amerikanische Bildhauer Horatio Greenough im Zusammenhang mit den organischen Prinzipien der Architektur diesen berühmten Begriff. Wie alles Gute und Richtige wird es oft so lange diskutiert, bis es endlich verschlimmbessert ist. In diesem Fall sorgten Freidenker des Bauhauses in Weimar dafür, den Kernsatz des Amerikaners 1919 zu Fall zu bringen. Gelungen ist ihnen das aber nicht, denn nach wie vor sorgt die richtige Erkenntnis des Amerikaners für manche falsche Diskussion.
Rongorongo-Forschung war oft genug nur das „Ansehen“ der figurativen Zeichen und der formalen Beschreibung. Daraus wurde dann die Bedeutung abgeleitet. Ab jetzt beginnen wir, in die Zeichen „hineinzusehen“. Wir werden sie nicht verstehen, wenn die Messlatte wieder die seit 150 Jahren gleiche ist: eurozentrisches Denken.
Aber wenn wir richtig hinsehen und widerspruchslos zuhören, sagen uns die Zeichen ganz alleine, was sie bedeuten. Und so fangen wir nun auch an.
Als Maler weiß ich natürlich, dass der Betrachter eines Bildes immer nur die letzte Malschicht sehen kann. Wir Maler sagen, das Bild liegt „darunter“. Bilder bestehen oft aus vielen Farbschichten.
Caspar David Friedrich (1774 – 1840) war ein Meister in der Darstellung von Nebel oder Nebelstimmungen in der Natur. Restauratoren konnten bis zu 80 Lasuren, also feinste Farbschichten, auf seinen Bildern nachweisen. Solche Untermalungen sind unerlässlich, um einen ganz bestimmten Eindruck zu erreichen.
Mir ist aufgefallen, dass in der Rongorongo-Forschung den rein formalen Aspekten der 24 erhaltenen Objekte wenig Aufmerksamkeit entgegengebracht wird. Erst in jüngster Zeit wurden einige der hölzernen Tafeln untersucht auf das Alter des Holzes. Das ist nicht mein Thema und darüber findet der interessierte Leser gute Arbeiten im Internet.
In der bildnerischen Kunst ist die Frage nach der Abhängigkeit von Form und Funktion sowie Inhalt ein philosophischer Dauerbrenner, für den es keine abschließende Antwort geben kann. Warum kerbten die Maori Rongorongo ihre Zeichen „ochsenwendig“ (bustrophedon)? Könnte es nicht sein, dass in dieser sicher bewusst gewählten Form eine Information steckt, die bislang nicht erkannt wurde? Noch extremer gefragt, gab es eine Notwendigkeit für die Anordnung der Zeichen in dieser Form?
Nur das Londoner Reimiro zeigt eine einzeilige Notation, alle anderen Objekte sind einheitlich im Bustrophedon gekerbt. Warum – was ist die Antwort?
Für fast alle Zeichen gab es realistische Vorlagen, die abstrahiert, also verkürzt, umgesetzt wurden in die Zeichen, die wir auf den Objekten finden. Mit großer Sorgfalt und erstaunlicher Professionalität sind viele Zeichen „nach der Natur“ gestaltet. Wenn aber jedes Zeichen mit großer Sorgfalt und Überlegung entstand, ist anzunehmen, dass auch die Tafel mit zielgerichteter Absicht insgesamt gestaltet wurde. Deshalb habe ich die Hypothese formuliert, dass in der Anordnung der Zeichen eine inhaltliche Absicht steckt, die verstanden werden muss.
Das hier abgebildete Objekt wurde 1868 von Missionaren auf der Osterinsel im Zeremonialdorf „Orongo“ im Schutt gefunden. Es ist die „Kleine Santiagotafel“, die seit 1870 in Santiago de Chile verwahrt wird:
[Abbildungen werden in dieser Leseprobe nicht dargestellt]
In dieser Tafel sehe ich zwei „gestalterische Absichten“, für die es möglicherweise Erklärungen gibt. Rein formal misst die Kleine Santiagotafel 32 cm in der Länge und ca. 12 cm in der Höhe. Auf jeder Seite sind 8 Zeilen mit insgesamt ca. 750 Zeichen eingekerbt. Die Holzart ist noch nicht bestimmt.
Die untere und obere Zeile sind jeweils zur Hälfte auf einer Seite und dann umgebogen zur anderen Hälfte auf der anderen Seite. Mein spontaner Eindruck war, dass der Gestalter mit voller Absicht diese eigenartige und sehr schwierig zu arbeitende formale Besonderheit kerbte. Er hätte weniger Probleme mit einer geraden Zeichenfolge, anstelle dieser komplizierten „um die Kante herum“ gearbeiteten Zeichen. Ich erkenne darin eine künstlerische Metapher, zu zeigen, dass es eigentlich nicht zwei Tafelseiten sind, sondern nur eine einzige, denn die Kante, die eine Tafel in Vorder- und Rückseite trennt, ist ja in gewisser Weise aufgehoben.
Es gibt noch andere Objekte mit dieser Besonderheit.
(Die Küchenrollen liegen bei uns oben auf einem Schrank. Wenn man sich nur ungeschickt genug anstellt, eine solche Rolle von oben herab zu nehmen, kann es passieren, dass sich die ganze Rolle unbeabsichtigt entrollt, was eine mittlere Küchenkatastrophe auslöst und entsprechende Kommentare der Hausfrau sowieso. Zum Glück ist mir genau das passiert und ich erkannte spontan ein Rongorongo-Experiment mit Auswirkungen, die ich nicht erträumen konnte.)
Die Tafel Tahua ist mit ca. 1.850 Zeichen eines der besterhaltenen Rongorongo-Objekte. Sie misst ca. 91 cm in der Länge und ca. 11,5 cm in der Breite. Die Tafel ist aus Eschenholz eines europäischen oder amerikanischen Ruderblattes gearbeitet.
Noch unbeantwortet im Zusammenhang mit Rongorongo ist die Frage, was zuerst war - die Menge der zu kerbenden Information oder das hölzerne Objekt?
Im Fall der Tahua scheint die Sache klar zu sein, denn die Tafel war nach sorgfältiger Vorarbeit das von der Größe her vorgegebene „Schreibfeld“. Man hätte sie allenfalls kleiner machen können, aber niemals größer.
Die Tahua war keine auf Maß gearbeitete Tafel. Wie war das bei den anderen Objekten? Der Santiagostab war ebenfalls als Ast vorgegeben und die Menge der Zeichen musste angepasst werden. Wurden Tafeln praktisch „auf Maß gefertigt“ oder mussten die Meister damit auskommen, was man als Treibholz fand oder aus heimischen Hölzern herstellte?
Der Herstellung von Brettern aus ganzen Baumstämmen war in Ozeanien nicht bekannt. Sonst hätten sie auch Plankenboote bauen können, die sie nicht mehr bei dem Bau ihrer Boote einschränkte durch die Größe des Baumes.
Die Küchenrollen brachten mich auf die Idee eines Experimentes. Ich habe alle Zeichen der Tahua nach den Abschriften von Barthel hintereinander zusammen geklebt und hatte dadurch die Zeichen - ohne erkennbare einzelne Zeilen - als einen einzigen langen Streifen. Dieser Streifen ist 7,50 Meter lang. Die Abschriften bei Barthel sind aber nur etwa halb so groß wie die Zeichen auf dem Original. Hätte ich das Original „abgeschrieben“, wäre ein fast 15 Meter langer Streifen entstanden.
Anschließend wurde der Anfang der Zeichenfolge auf dieser Tafel mit dem Ende der Zeichen auf der Rückseite zusammengeklebt. Das Ergebnis ist eine einzige Zeile, die eigentlich ein Zeichenkreis ist. Das sieht dann so aus:
[Abbildungen werden in dieser Leseprobe nicht dargestellt]
So sieht der „Tahua-Streifenwurm“ auf Papier aus. Die ca. 1.850 Zeichen hinterein-ander sind auf der Tafel auf zwei Seiten untergebracht.
Um den Anfang und das Ende einer Zeile zusammenzufügen, gibt es keine andere Möglichkeit, als dies über einen Kreis zu tun.
[Abbildungen werden in dieser Leseprobe nicht dargestellt]
Rongorongo-Zeichen sind aber auf hölzernen Tafeln gekerbt, teils in vorher eingeschliffenen leicht runden Furchen. Deshalb muss die Anordnung der Zeichen in einem Kreis segmentiert werden, damit einzelne Zeilen entstehen, deren nahtlose Verbindung rückgängig zu machen zu einer einzigen Zeile möglich ist, wenn man sie bustrophedon, d.h. ochsenwendig, anordnet.
Im nächsten Experiment wird nun der Zeichenkreis segmentiert, so dass die Anzahl der Zeichen auf eine Tafelseite passen.
[Abbildungen werden in dieser Leseprobe nicht dargestellt]
Damit ist die Anordnung der Zeichen auf den Tafeln aus dem Dunstkreis esoterischer Geheimniskrämerei und unbewiesener Behauptungen in die alternativlose Form der bustrophedon Anordnung erklärt. Es geht überhaupt nicht anders, wenn Zeichen aus einem geschlossenen Kreis auf eine Ebene gebracht werden müssen. Bustrophedon ergibt sich bei Rongorongo zwangsläufig und ist darüber hinaus ein erster deutlicher Hinweis auf den Sinn und Zweck der Zeichen.
Ob nun die Zeichen auf allen Tafeln einen einzigen Kreis bilden oder ob auf den beiden Seiten zwei Kreise unabhängig voneinander notiert wurden, wenn die Anschlüsse über ungleiche Anzahl der Zeilen nicht passen, wird man noch untersuchen.
Bustrophedon ist keine Marotte der Maori Rongorongo, hat nichts Geheimnisvolles an sich, sondern zeigt als naturalistisches Abbild das Vorbild aus der Bewegung der sichtbaren Wanderung der Sternbilder und Planeten, des Mondes und aller „heavenly bodies“, wie man auch die ra-ririki, die „kleinen Sonnen“ nannte.
Die Segmente des Zeichenkreises konnten nicht anders als in der Anordnung bustrophedon „geschrieben“ werden, damit die Anschlüsse unmittelbar passen. Im unteren Block stehen die Zeichen in den Zeilen 1 – 3 – 5 aufrecht, die Zeilen 2 und 4 auf dem Kopf.
Hat man die Zeichen der 1. Zeile „gelesen“, wird die Tafel um 180° gedreht. An welcher Stelle allerdings der Anfang zu suchen ist, oder welches der oft über 1.000 Zeichen auf einem Objekt das erste sein soll, ist bis heute nicht bekannt.
[Abbildungen werden in dieser Leseprobe nicht dargestellt]
Auf die zahlreichen Versuche, sich von Osterinsulanern die vermuteten Texte von den Tafeln „ablesen“ zu lassen, gehe ich nicht näher ein. Alle Versuche sind nicht nur gescheitert, sie sind lächerlich gescheitert! Sich darauf einzulassen und es so hinzuforschen, dass völlig Sinnloses zu den „großen alten Worten“ als tradiertes Wissen über Jahrhunderte hinweg „gezaubert“ wird, haben genug Rongorongo-Forscher versucht. Was die bisher geleistete Rongorongo-Forschung wirklich reichhaltig anzubieten hat, ist ein Kübel voller Misserfolge. „Undeciphered“ – so steht es in den meisten Artikeln über Rongorongo zu lesen. Und das entspricht nun wirklich der Wahrheit!
(Es gab einen Kunstfälscher, der sich auf Fälschungen im Stil des Malers Paul Gauguin spezialisiert hatte. Der arme Kerl wusste aber nicht, dass er farbenblind war. Nicht anders verhält es sich mit den angeblich „heiligen Gesängen“ einiger weniger Osterinsulaner von Rongorongo-Tafeln, deren Qualität und Glaubwürdigkeit der eines Analphabeten entspricht, der mit der Bibel in der Hand Texte vorliest, die aus einer Zeitung stammen.)
Aus meiner Sicht ist die Frage nach der Bedeutung der Zeichen nicht die primäre. Wenn man herausfinden könnte, was der ursprüngliche Sinn von Rongorongo war, hätte man das, was jeder Profiler als eine „ganz heiße Spur“ bezeichnen würde. Aus der wissenschaftlichen und populären Literatur über die Osterinsel habe ich mehr als 50 Hinweise auf den Inhalt der vermeintlichen Texte gefunden. Aber ich habe keinen einzigen Ansatz gefunden, der sich gelohnt hätte, aufgegriffen und weiterverfolgt zu werden.
4 Ein nie verfolgter Hinweis
Die radikalen Verfechter der „Osterinselschrift“ haben sich das nicht einfach ausgedacht. Sie zitieren einen ersten Zeugen, der das aber so nicht gesagt hat. Gesagt hat er übrigens nichts – er hat es aufgeschrieben für Bischof Jaussen in Tahiti. Es war der Entdecker von Rongorongo, Eugen Eyraud, der über seinen Aufenthalt von 6 Monaten im Jahr 1864 auf der Osterinsel einen Bericht für den Bischof schrieb. Darin äußerte der Laienbruder die Vermutung, dass Rongorongo ursprünglich eine Schrift gewesen sein könnte. Das hatten ihm Osterinsulaner nicht gesagt, sie konnten Eyraud gegenüber keine inhaltlichen Angaben machen, auch nicht zu den Objekten, den Zeichen und der Bedeutung von Rongorongo ganz allgemein.
Später wurde diese „Schrift-Vermutung“ als gesicherte Erkenntnis ausgegeben und der Begriff „Osterinselschrift“ nie mehr infrage gestellt. Eyraud war Zeitzeuge und avancierte zum Kronzeugen. Das ist die Ursache, dass wir bis heute so gut wie nichts wissen über den Sinn und Zweck von Rongorongo, weil von Anfang an eine Spur verfolgt wurde, die sich Forscher zurechtgelegt hatten. Niemals in der Historie der Rongorongo-Forschung gab es einen anderen Ansatz als den, der doch angeblich „gesicherten Erkenntnis“ einer Schrift von der Osterinsel.
Nun wissen wir, warum wir nichts wissen über eine angebliche Schrift, die nur in den Fantasien von Forschern und Laien herumspukt seit 1864 bis heute. Aber wir hätten es wissen können, wenn man nur zugehört hätte. Stattdessen wurde besserwisserisch eine Spur missachtet, weil sie den Intentionen der Rongorongo-Forschung von Anfang an im Wege war und natürlich noch immer ist.
Im Jahr 1870 ankerte die chilenische Corvette O’Higgins in der Bucht vor Anakena. Kapitän Don Anacleto Goñi tauschte von dem Franzosen Dutrou Bornier gegen Waffen und Schießpulver einen hölzernen Stab ein. Das Objekt hat eine Länge von ca. 126 cm und misst an der dicksten Stelle ca. 6 cm. Fast 2.400 Zeichen sind auf 14 Linien gut zu erkennen.
[Abbildungen werden in dieser Leseprobe nicht dargestellt]
Foto vom Verfasser
Die Abbildung zeigt einen Ausschnitt aus diesem Objekt, dass nach seinem Verwahrungsort in Chile als „Santiagostab“ bekannt ist. Die Aufnahme ist von einer Replik des Stabes, die in Tübingen verwahrt wird.
Ordnungsgemäß notierte der Kapitän in dem Logbuch den ganzen Vorgang des Tauschhandels Stab gegen Waffen und Munition.
Er hatte die anwesenden Osterinsulaner nach der Bedeutung des Objektes gefragt und notierte dazu:
… shown the sky and the hieroglyphics that (the staff) contained with such respect that I was inclined to believe that these hieroglyphics recalled something sacred“.
Das ist der einzige Hinweis auf eine mögliche Bedeutung von Rongorongo, der jemals über ein heute noch erhaltenes Objekt abgegeben wurde. Die anwesenden Osterinsulaner bei diesem Tauschhandel zeigten an den Himmel und auf den Stab, um über „Körpersprache“ auszudrücken: was da oben ist – ist auf diesem Stab! Da oben ist der Himmel mit Sternen und Planeten, dem Mond und der Sonne, mit allen „heavenly bodies“. Da oben war für die Völker in Ozeanien das Reich der Atua, der vergöttlichten Ahnen, die nach ihrem Tod in ihrer sichtbaren Form als Stern nach wie vor das Geschick ihres Stammes leiteten – von da oben! Sie waren nicht tot, sie waren in einer anderen, immer noch sichtbaren Form am Himmel in der Nacht so lebendig, wie einst hier auf der Erde.
Für die Menschen in der Südsee war das Geschehen am Himmel in der Nacht genau so wichtig, wie alles, was auf der Erde geschah. Himmel und Erde waren nicht zwei getrennte Sphären, es war ein und dieselbe kosmische Einheit. Es waren ja auch ihre Ahnen in der sichtbaren Form von Sternen, die ihnen die Wege im großen Meer durch die Nacht zeigten. Mit ihrer Hilfe entdeckten sie eine Insel nach der anderen, die ihnen einen neuen Lebensraum bot. Es waren die Sterne und Planeten, die über den Jahreslauf und letzten Endes über das ganze Leben bestimmten.
Die Tradition der mündlichen Überlieferung ging unter, als Europäer und Amerikaner die Inseln im Pazifik okkupierten. Das einzige, was es wert war, für die Nachwelt zu erhalten, war das kosmologische und kosmogonische Wissen aus einer uralten Tradition heraus, als die Stränge der „oral history“ für immer zerrissen waren. Immer gegenwärtig war den Menschen in der Südsee die von ihren Sehern vorausgesagte Renaissance ihrer Traditionen. Und solche Bestrebungen sind heute erkennbar in Neuseeland, in Hawaii und noch auf weiteren Inseln des polynesischen Dreiecks.
Es rumort allenthalben und Bestrebungen, die einst aufgegebene oder genommene Eigenständigkeit zurückzubekommen, sind an der Tagesordnung.
Bis auf den heutigen Tag wird der Völkermord an den Rapanui in der Literatur über die Osterinsel nur selten angesprochen. Als man begann gegen Ende des 19. Jahrhunderts Fragen zur Vergangenheit zu stellen, an den kläglichen Rest einer einst intakten Gesellschaft, gab es keine Antworten mehr, weil es keine Menschen mehr gab, die noch über das alte Wissen und die alten Traditionen hätten Auskunft geben können. Unser ganzes Wissen über die Osterinsel und speziell über Rongorongo, das als authentische Information ausgegeben wird, ist gesammelt zu einer Zeit, als es keine authentischen Angaben mehr geben konnte.
Sehr überzeugend und in zahlreichen Gesprächen darüber hatte mir 1972 Pater Melchior Schwarzmüller auf der Osterinsel das in der damaligen Zeit übliche „Hineinfragen“ erklärt, um die Antworten zu bekommen, die man bereits vorformulierte. Vor jedem Gericht sind das Suggestivfragen, die kein Richter in einem Rechtsstaat zulässt.
Auf der Osterinsel hatte das bestens funktioniert und niemals wurde darüber Scham geäußert oder offen ausgesprochen, unter welchen unwürdigen Bedingungen Informationen gesammelt wurden, denen man dann den Stempel sacrosanct aufdrückte.
Mit der Schnapsflasche in der einen und der Muskete in der anderen Hand waren es Europäer und Amerikaner, die Wissen über Rongorongo erpressten, die Wissen erkauften, die eigene Fantasien als historische Tatsachen deklarierten. Aus diesem Konglomerat aus Lügen und Fantasien, aus Wunschdenken und vorformulierten Antworten entstand die Grundlage der Theorie einer Osterinselschrift, die bis heute niemals bewiesen wurde.
Kurz bevor Missionare zur Osterinsel geschickt wurden, endete mit dem Jahr 1862 die alte Geschichte der Menschen auf Rapanui – und zwar für immer! Es waren in erster Linie peruanische Sklavenjäger, die fast die gesamte Bevölkerung der Osterinsel auf 3 Schiffen abtransportierten und zu den Chincha-Inseln brachten, auf denen der Guano-Dünger für den Weltmarkt abgebaut wurde.
5 Phantasie ist wichtiger als Wissen
denn Wissen ist begrenzt. Nie könnte ein Maler Albert Einstein widersprechen ohne seine eigene Existenz infrage zu stellen. Kunst und Wissenschaft könnte es ohne die göttliche Gnade der Fantasie überhaupt nicht geben. Und dieser gemeinsame Nenner besteht nach wie vor, auch wenn es von der einen und der anderen Seite bezweifelt wird.
Um überhaupt weiterleben zu können, waren die wenigen überlebenden Menschen auf der Osterinsel gezwungen die Wurzeln ihrer Geschichte, ihre Herkunft und ein Leben für sich und ihre Kinder neu zu erfinden. Sie mussten ihre Geschichte neu schreiben und ihre Vergangenheit neu definieren. Sie konnten nicht anknüpfen an das, was verloren war, was zerstört war - teilweise auch durch sie selbst - und durch unsere Ahnen. Nur über einen Neuanfang hatten sie wieder eine Zukunft.
Das haben die Menschen auf dieser kleinen Insel im großen Pazifik hervorragend hinbekommen und sie verdienen dafür Respekt und unsere Anerkennung.
Dass Menschen 1870 auf der Osterinsel überhaupt noch die Antwort geben konnten, die im Logbuch der O’Higgins festgehalten wurde, war für mich lange nicht zu verstehen und ich bezweifelte vehement die Glaubwürdigkeit der Information zum Santiagostab.
Heute kenne ich die Zeichen auswendig und weiß deshalb, dass es genug davon gibt, deren bildhafte Erscheinung leicht mit Sternen und anderem himmlischen Inventar in Beziehung gesetzt werden kann, ohne den Sinn des ganzen zu kennen. Ich gehe davon aus, dass es diese Zeichen waren, die den Menschen auf der Osterinsel den für sie durchaus verständlichen Hinweis gaben, welche Information auf dem Santiagostab verschlüsselt sein könnte. Sie haben es wohl nicht nur erraten, sie erkannten damals Zeichen, die wir erst heute anfangen zu verstehen!
Dieser „Galopp durch die Geschichte der Osterinsel“ ist zum Verständnis des Buchtextes so wichtig, dass ich darauf nicht verzichten konnte. Es gibt zahlreiche ausführliche Literatur über alles das, was hier nur ganz kurz angesprochen wurde.
Wer heute ein Buch über Rongorongo schreibt, kann nicht so tun, als gäbe es darüber kaum Literatur. Das ist ganz und gar nicht der Fall, die Forschungen gehen mit Tempo voran, das Internet ist hierfür ein sensibles Instrument, um das zu verfolgen. Alle meine bisherigen und künftigen Veröffentlichungen gehen davon aus, dass Rongorongo keine Schrift ist. Damit stehe ich gänzlich im Gegensatz zu allen vermeintlichen Erkenntnissen über Rongorongo.
Entscheidend ist aber nun, dass alle Informationen über Rongorongo, die von Osterinsulanern (und anderen Menschen) jemals abgegeben wurden, nichts anderes sind als erfundene Fantasien, weil man Antworten geben musste. Forschung ist keine Glaubensfrage, das ist den Religionen vorbehalten. Ich bin zu der festen Überzeugung gekommen, dass es keine einzige verwertbare Information über Rongorongo gab, die sich überprüfen lässt und weiterführend zu einem Verständnis der Zeichen und letzten Endes zum Verständnis des ganzen Systems führt.
Im Jahre 1877 lebten noch 111 Menschen auf der Osterinsel, aber nur 36 von ihnen lebten dort länger als eine Generation.
Wer die Messlatte der bisherigen Rongorongo-Forschung anlegt, deren Parameter „Schrift“ heißen, kann mit den von mir erarbeiteten Ergebnissen nichts anfangen. Denn, so lange die „Macht der Meinungen“ über Forschung bestimmt, hat die Wahrheit keine Stimme.
6 Am drehenden Himmel entlang
Forschung beginnt mit Hypothesen. Je mehr man hat, desto besser. Dann beginnt der Zweifel sich zu melden und man kann sehr erleichtert sein, wenn eine oder zwei Annahmen übrigbleiben ohne Beweis dafür, dass sie überhaupt auf einen Weg oder wenigstens in eine Richtung führen.
Nach meinen rein formalen Untersuchungen der Zeichen aus den Abschriften von Barthel und den Abzeichnungen der Objekte, legte ich die Priorität meiner Aufmerksamkeit an den Himmel in der Nacht, weil ich ein Gefühl hatte, dass astro-nomische Notationen für kalendarisches Wissen und möglicherweise auch für Sternkurse notiert sein könnten.
Damit kreisen die Gedanken nicht ständig um 360° im Kopf herum, man hat den Anker geworfen und hofft … worauf hofft man eigentlich?
Mein Ansatz war nicht von vornherein aussichtslos, weil es ihn in den vergangenen 150 Jahren noch nicht gab. Allenfalls fand ich in der Literatur hier und da einen Hinweis auf Zeichen, die als „Stern“ verstanden wurden.
In der Kunst der Maori Neuseelands gibt es zwei verschiedene Spiralmuster, die archimedische und die logarithmische. Letztere nannte man „taka-rangi“. Rangi (in verschiedenen Dialekten rangi, fangi, langi etc genannt) bezeichnet den Himmel über uns mit Wolken am Tag und Sternen in der Nacht. Für „taka“ findet man in den einschlägigen Lexika den Begriff „to revolve, to roll, to fall (from a hight)“. Taka qualifiziert den Himmel und so entsteht die Übersetzung vom „sich drehenden Himmel“. Das ist ein häufig nachgewiesener Begriff, der fast immer im Zusammen-hang mit Seefahrt und Sternnavigation gebraucht wird.
[Abbildungen werden in dieser Leseprobe nicht dargestellt]
© Iztok Bončina/ESO
Die Aufnahme der ESO am La Silla Observatorium im Norden Chiles zeigt eindrucksvoll die rotierenden Sterne in einer Nacht um den Himmelssüdpol. Die grauen diffusen Bereiche auf der rechten Seite des Bildes sind die beiden Magellanschen Wolken, die natürlich auch über Zeichen in Rongorongo vertreten sind. Die im Vordergrund sichtbare Kuppel schützt das 3,6-Meter Teleskop, dem zur Zeit erfolgreichsten Exoplanetenjäger. Das La Silla Observatorium der ESO ist eines der führenden Observatorien auf der Südhalbkugel.
Wer nun den Eindruck hat, von mir zurückversetzt zu werden in die Zeit des ptolemäischen oder geozentrischen Weltbildes, hat das richtig erkannt. Rongorongo ist mit Sicherheit erst entstanden, als die „koperkanische Wende“ längst bekannt war. Für die Maori Rongorongo blieb aber die Erde der Mittelpunkt, um den sich Sonne und Sterne drehten. Eine flache Scheibe war die Welt nicht in der sie lebten, eher ein Zylinder, an dessen oberen Ende der Polarstern stand und am unteren Crux, das Kreuz des Südens. Vom Äquator aus gesehen gab es zwei Himmel mit unter-schiedlichen Bewegungen der Sterne, der Sternbilder, der Planeten etc. Was sie beobachten am Nachthimmel auf ihren Fahrten zur zielorientierten Navigation zeigte sich „oben“ und „unten“, mal „rechts“ und dann wieder „links“. In genau diesen Polaritäten bewegen sich fast alle Zeichen in Rongorongo. Die Notationen sind nicht statisch, sie sind über die Zeichen in Bewegung.
Um das herauszufinden habe ich viele Jahre gebraucht. Die Grundgesamtheit aller Zeichen ist mit ca. 15.000 eigentlich nicht der Wirklichkeit entsprechend, es sind wesentlich mehr Zeichen, wenn man die 90% der Zeichen, die aus Zeichenverbindungen bestehen, in Einzelteile zerlegt. Ohne ein trainiertes Auge und ein „grafisches Gedächtnis“ sowie fundierte Kenntnis in der Gestaltung und dem Aufbau von Zeichensystemen, ist Rongorongo-Forschung nur sehr schwer möglich.
Entgegen der bisher gültigen Vorstellung von unterschiedlichen Zeichenkategorien habe ich festgestellt, dass es in Rongorongo nur „naturalistische Zeichen“ gibt, die zwar abstrahiert sind im Sinne einer grafischen Verkürzung, aber keinesfalls im Sinne einer grafischen Verfremdung. Abstrakte bildhafte Vorstellungen kannten die Künstler in der Südsee nicht.
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Beide oben abgebildete Zeichen gelten als geometrische Formen, aber das sind sie eben nicht. Heute kenne ich die Bedeutung der beiden Zeichen, aber als ich den Zeichenbestand untersuchte, hatte ich noch keine Vorstellung davon.
Untersucht man nun die beiden linken Zeichen unter der hier genannten Hypothese, dass es sich um astronomische Zeichen in Rongorongo handeln könnte, wird sehr schnell deutlich, dass „oben“ und „unten“, „rechts“ und „links“ immer das gleiche Zeichen ist, wie die Grafik vor Augen führt:
[Abbildungen werden in dieser Leseprobe nicht dargestellt]
Es ist unerheblich, ob der Kreis sich rechts- oder linksherum dreht, es ist immer nur ein einziges Zeichen in unterschiedlichen Positionen.
Diese Feststellung ist erforderlich, um nun neue Fragen zu stellen, die es bisher in der Forschung noch nicht gab. Es kann kein Zweifel daran bestehen, dass die inhaltliche Bedeutung des Zeichens immer die gleiche ist, egal in welcher Stellung es in den Notationen zu finden ist. Das ist außerordentlich bedeutungsvoll, denn schlagartig hat sich die Anzahl der vorkommenden Zeichen halbiert!, die es zu verstehen gilt.
„Taka-rangi“ – am drehenden Himmel entlang war die navigatorische Konzeption derer, die von Insel-Asien aus den größten von Menschen besiedelten Lebensraum für sich erschlossen. Die drehenden Zeichen in Rongorongo sind einer der Codes, die sich uns nach und nach zeigen werden.
Wer behauptet, den „Code“ in Rongorongo gefunden zu haben, hat übersehen, das es mehr als nur einen Code in der vermeintlichen Osterinselschrift gibt, von denen er wohl nichts ahnte.
Für die Bestätigung meiner Hypothese kam mit der Zeit immer mehr Material zusammen. Wie in einem Puzzle reihte sich Stück an Stück. Um es noch einmal zu sagen, die Bedeutung der einzelnen Zeichen hatte am Anfang meiner Forschungen keineswegs Priorität.
Forschung ist ein anderes Wort für Recherche. Eine Hypothese kann nur zu einer These werden, wenn genug Material beigeschafft werden konnte, das die spekulative Annahme über Fakten auf eine seriöse Basis stellt.
Der Leser wird im Text Hinweise vermissen auf Informationen von der Osterinsel. Warum? Es kann doch nicht angezweifelt werden, dass es auch auf Rapanui sternkundige Navigatoren gab, deren Wissen dem damaligen Stand entsprach. Es gibt sogar archäologische Hinweise auf Orte der Sternbeobachtung und weitere Indizien einer praktizierten Sternbeobachtung. Das war in der so genannten „vormissionarischen Zeit“, aus der wir keine authentischen Informationen haben.
In der Osterinsel-Forschung gibt es nur ganz vereinzelt Namen für Sterne und andere himmlische Erscheinungen. Lediglich Barthel sammelte ca. 30 Sternnamen auf Rapanui, von denen aber nur 5 auch anderswo bekannt waren. Die meisten dieser Namen konnten nicht übersetzt werden. Die Quellenlage bezüglich Rapanui über astronomisches/navigatorisches Wissen ist eine Nullnummer. Ganz konkret könnte ich 2 Zeichen entziffern aus den ganzen Informationen von der Osterinsel.
Ob überhaupt und welche Bedeutung Rongorongo in alter Zeit auf der Osterinsel hatte, wird man erkennen, wenn so gut wie alle Zeichen verstanden wurden.
Nach meinen Untersuchungen sind „Tatort“ und „Fundort“ von Rongorongo nicht identisch. Quod erat demonstrandum !
Die Osterinsulaner gaben an, dass es ihr Stammvater Hotu Matu’a war, der mit 67 Rongorongo-Tafeln zur Osterinsel kam. Damit wäre die vermeintliche Osterinsel-schrift nur ein Importgut und keinesfalls erst auf Rapanui entstanden. Erst, als man unentwegt die Theorie von Texten und Schrift in die Menschen auf der Insel „hinein- fragte“, ihnen permanent erklärte, dass Rongorongo eine Schrift ist, wussten sie immer mehr darüber zu erzählen, je mehr Zeit verging. Die Erinnerung von Menschen verblasst mit der Zeit und landet automatisch im Vergessen. Osterinsulaner bewiesen das Gegenteil, denn 20 Jahre nach der Entdeckung von Rongorongo wussten sie so gut wie nichts mehr. Nach 40 und 50 und sogar noch nach 80 Jahren wussten einige Osterinsulaner so viel über Rongorongo, dass es einem den Atem verschlägt. Aber über den Sinn und Zweck der vermeintlichen Osterinselschrift konnten sie alle keine Angaben machen. Nicht einmal mehr einzelne Zeichen konnten sie glaubwürdig erklären. Was da ablief an dem, was später in der Forschung unter „Sammeln von Informationen“ geführt wurde, glich einer Soap Opera, wie wir es heute nennen würden. Münchhausen lässt grüßen!
Informanten sind Menschen. Manchmal können es auch solche Menschen sein, die man besser nicht zitiert oder anderweitig in seine Forschungen einbezieht. Ein wichtiger Informant ist für meine Rongorongo-Forschungen der deutsche Navigationsoffizier Emil Reche, der kaiserlichen Marine. Reche war „Kap Horner“, das ist ein Seemann, der noch unter Segeln das berüchtigte Kap Horn an der Spitze Südamerikas umsegelte. Emil Reche lebte eine Zeit lang mit einer Häuptlingstochter zusammen in der damaligen deutschen Kolonie Samoa. Er schrieb mehrere Bücher, darunter auch dieses:
Tangaloa
Ein Beitrag zur geistigen Kultur der Polynesier
E. Reche
München und Berlin 1926
Wenn ein gelernter und die Weltmeere befahrener Seemann der alten Schule sich einlässt auf das navigatorische Wissen der Polynesier, hat das Bedeutung. Reche hatte dazu viel zu sagen. Und dieses Fachwissen ist nun unabhängig davon, dass der Marine-Offizier Reche leider in seinen späteren Jahren mit den Nazis sym-pathisierte. Mich hat ausschließlich sein Fachwissen als Navigator interessiert. Seine spätere politische Einstellung war mir zuwider und das wird auch so bleiben.
Das zitierte Buch von Reche ist in einer Fraktur-Schrift gesetzt, die heute nur schwer lesbar ist und von manchen jungen Leuten nicht mehr verstanden wird. Deshalb hier nun die Textstelle, die für meine Rongorongo-Forschung von großer Bedeutung ist:
Reche 1926 :
„Ich möchte nun zunächst dartun, warum der polynesische Navigationsgedanke bisher so ziemlich ganz unserer Beachtung entgangen ist.
Der völkerkundliche Forscher als seemännischer Laie, aber ebenso auch der Seemann wundert sich über die weiten Fahrten des Polynesiers und über die Zielsicherheit, mit der er sie ausführt. Beide nun, wenn sie den Polynesier fragen, wie er seinen Weg über See findet, erhalten von ihm die Antwort: „Ane te ’avili langi.“
(Am drehenden Himmel entlang). Und das übersetzt der eine wie der andere „Nach den Sternen“. Denn das diese sich am Himmel drehen, hat bei der Selbstver-ständlichkeit der bekannten Tatsache keine ihre Gedanken besonders richtende Bedeutung. Der eine wird sich nun sagen: „Also genau so, wie es alle Seeleute machen …“
Sterne und Seefahrt sind untrennbar! Jeder Matrose der Handelsschifffahrt, der nachts am Ruder eines Seglers stand, vertraute dem „großen Kompass“ über ihm am Himmel mehr, als dem kleinen Instrument mit gelegentlicher Missweisung. Jeder Karawanenführer durch die Steppen und Wüsten dieser Welt, hätte ohne die Hilfe der Sterne Menschen, Tiere und Waren niemals an den Bestimmungsort führen können.
Rongorongo-Tafeln sind das Ergebnis einer sehr aufwendigen Handarbeit, die nicht jedermann bewerkstelligen kann. Ohne geübte Hände in der Bearbeitung von Holz kann man die sehr künstlerischen Zeichen nicht kerben. Aber die Tafeln sind in erster Linie das Resultat einer wohldurchdachten Konzeption zur Informations-bewahrung.
Wie kommen 1.850 Zeichen auf zwei Seiten einer Tafel, ohne Leerstellen, ohne Absätze, ohne erkennbare Gliederung der Zeichen? Wie können so viele Zeichen so exakt auf die beiden Seiten passen, dass von der ersten Seite unten links bis zur zweiten Seite die Zeichen so exakt eingepasst sind, wie ein Puzzlestück ins andere?
Auf Treibholz siedeln sich rasch Seepocken an, Tang, Muscheln etc. Solche Hölzer mussten zuerst aufbereitet werden, bevor das erste Zeichen gekerbt werden konnte.
Aber nicht nur das machten die Maori Rongorongo, sie legten eine klar erkennbare und eigentlich nicht schwer zu deutende Spur in einige der Tafeln, die bis auf den heutigen Tag in einem sehr guten Erhaltungszustand geblieben sind.
[Abbildungen werden in dieser Leseprobe nicht dargestellt]
Abgebildet ist die Tafel mit dem Namen Aruku-Kurenga. Das Format beträgt ca. 41 cm in der Länge und ca. 16 cm an der breitesten Stelle. Die Dicke wird mit ca. 2,3 cm angegeben. Die Anzahl der Zeichen variiert von einem Forscher zum anderen, weil es bis heute keine verbindliche Definition gibt, was eigentlich als „ein Zeichen“ gilt. Nach meiner Zählung sind es fast 1.400 Zeichen. Insgesamt gibt es auf der Tafel 22 „Furchen“, davon 10 auf einer und 12 auf der anderen Seite. In der Literatur wird angegeben: The tablet is fluted. Das besagt aber nichts anderes, als dass die Aruku für längere Zeit der Gischt und dem Meerwasser des Pazifik ausgesetzt war. Es gibt noch weitere Objekte, bei denen das zutrifft. Ob man es nun wahrhaben will oder nicht, aber dieser Tatbestand ist ein eindeutiges Zeichen dafür, dass die Tafel zur Osterinsel gebracht wurde. Objekte aus Hölzern, deren Lebensraum nicht auf polynesischen Inseln war, sind fraglos Treibhölzer. Das Holz der Aruku konnte bestimmt werden als das von einem Lorbeerbaum. Lauraceae heißt die Gattung dieser Bäume, die mit 2.500 Arten in allen tropischen Regionen zu finden sind. Brettwurzeln sind ein typisches Merkmal der Lorbeerbäume.
Das Objekt fanden die ersten Missionare auf der Osterinsel im Gebiet von Tongariki. Zusammen mit 4 weiteren Rongorongo Artefakten schickte Pater Hippolyte Rousell
die Objekte 1868 an Bischof Jaussen in Tahiti. Heute wird die Aruku verwahrt vom Orden Congregazione dei Sacri Cuori, Rom.
7 Himmelsbahnen
Deutlich erkennbar sind die eingearbeiteten „Furchen“ auf der Aruku, die Zeilen markieren, in denen die Zeichen alle in gleicher Größe gekerbt wurden.
Wenn wir konsequent davon ausgehen, form follows function, dann haben die Furchen eine inhaltliche Funktion. Genau diese Funktion ist eine Notwendigkeit, denn die Furchen sind nichts anderes als eine sehr gelungene handwerkliche Übersetzung der himmlischen Bahnen von Sternen und Planeten, des Mondes und der Sonne, aller heavenly bodies, die Nacht für Nacht auf ihren Bahnen über das himmlische Zelt majestätisch dahin gleiten. Ich erkenne in den Furchen auf den Rongorongo-Tafeln darin diese Sternbahnen, die wir ganz genau so bezeichnen, denn die Ekliptik ist doch nichts anderes, als die scheinbare BAHN der Sonne in der Nacht. Planetenbahnen sind ein Begriff. Sternbahnen sind eine himmlische Ordnung und alles andere als chaotisch. Sie sind rechenbar und absolut zuverlässig. Der Meister musste zuerst diese Bahnen in das Holz schleifen, bevor er die Zeichen kerbte.
Das ist eine verständliche und nachvollziehbare Erklärung für die eingeschliffenen Furchen oder eben Bahnen auf mehreren Rongorongo-Artefakten. Sie haben nun eine sinnvolle Funktion, die den Inhalt unterstützt.
Indizien sind ihrer Natur nach niemals offensichtliche Spuren oder Hinweise. Man muss sie erkennen und die richtigen Schlüsse daraus ziehen. „Am drehenden Himmel entlang“ wurde für mich ein Indiz zum Verständnis der Zeichen. Das Indiz der „vorgegebenen Bahnen“ gehört in die gleiche Kategorie.
Übrigens ist getrocknete Haihaut ein wunderbares Schleifmittel, um die Tafeln zu glätten, und um mit dem Finger die erforderlichen Bahnen zu schleifen. Dafür hatten die Maori Rongorongo sicher Hilfskräfte, denn handwerkliche Vorarbeit mussten sie als Künstler sicher nicht verrichten.
Kunst entsteht nicht ohne Vorarbeit. Je spontaner gefertigt ein Werk aussieht, oder so auf uns wirkt, desto länger war die Vorarbeit des Künstlers.
Die wenigen erhaltenen Rongorongo-Objekte sind Kunstwerke. Darüber ist man sich einig. Aber, was war zuerst – waren es die Notationen oder war es das Träger-material, für das die Zeichenmenge angepasst werden musste? Wir wissen es nicht. Im Falle von Treibhölzern ist natürlich die Reihenfolge vorgegeben. Ein europäisches Ruderblatt oder ähnliches Treibgut musste vorbereitet werden, bevor die Zeichen gekerbt werden konnten. Objekte aus Lorbeerbaumwurzeln, den so genannten Brettwurzeln, konnte man nach der Vorlage der Zeichenmenge herstellen.
Für alle Rongorongo-Tafeln war eine Vorarbeit notwendig. Kein Mensch kann ohne einen Plan auf eine gebogene Holztafel 1.600 Zeichen in gleicher Größe auf zwei Seiten verteilt so anordnen, dass sie exakt beide Seiten der Tafel ausfüllen. Nicht einmal Michelangelo hätte das gekonnt. Das Beispiel bezieht sich auf die Große Santiagotafel, deren Format mit 44,5 x 11,6 cm angegeben wird. Noch schwieriger war die regelmäßige Verteilung der Zeichen auf asymmetrischen Objekten, wie z.B. der Kleinen St. Petersburgtafel oder der Großen St. Petersburgtafel.
Mich beschäftigte die Frage, wie es möglich war, alle Zeichen in gleicher Größe über Zeilen in ebenfalls stets gleicher Größe so zu verteilen, dass beide Seiten perfekt gestaltet sind? Wir wissen es seit mindestens 400 Jahren, wie eine solche Aufteilung konzipiert wird, um das gewünschte Ergebnis auch wirklich zu bekommen.
Der Meister musste eine 1 : 1 Vorlage haben. Anders geht es nicht! Er musste eine auf die Größe der Tafel abgestimmte Vorlage erarbeiten, um zu prüfen, ob er alle Zeichen unterbringen kann oder ob er z.B. die Zeilenhöhe verändern muss, bzw. die Anzahl der Zeichen. Nur 1 Millimeter größer oder kleiner kann eine zusätzliche Zeile bedeuten bei 10 Zeilen auf einer Seite oder eine Zeile weniger, wenn das notwendig wurde. Die Aufteilung der Zeichen auf den Tafeln zeigt die professionelle Arbeit, zeigt auch, dass hier Meister am Werk waren, die wussten, wie diese spezielle grafische Arbeit auszuführen ist. Amateure waren das ganz und gar nicht.
Wir gehen heute davon aus, dass die Tafeln produziert wurden erst am Anfang des 19. Jahrhunderts. Das hat mit dem Alter und der Herkunft von Rongorongo nichts zu tun. Die „hardware“ entstand um diese Zeit herum. Und das führt zu folgender Überlegung:
Bereits in der Mitte des 16.Jahrhunderts begann die Geschichte des Bleistifts, wie wir ihn heute noch benutzen. Eine Mischung aus Graphitstaub, Ton und Wasser wird gebrannt. Die Härte gibt die Farbe vor vom Abrieb der Mine über hellgrau bis tiefschwarz. Mit der Zugabe von Ton wird das gesteuert.
Missionare in Polynesien und überall in Ozeanien hatten Bleistifte und Papier, Missionare lernten in ihrer Ausbildung auf den Akademien auch die Herstellung von Büchern, lernten, wie Buchabschriften angefertigt wurden, wussten, wie aus gedruckten Seiten über die Buchbindung das fertige Buch entsteht, wie Urkunden und andere kirchliche Dokumente entstanden. Und sie lernten auch, wie man Seiten gestaltete und wie auf dem Pergament beschriftet, bemalt, vergoldet wurde. Missionare konnten erklären, was zu tun ist, um eine vorgegebene Menge an Zeichen auf die beiden Seiten einer Holztafel zu verteilen. Buchstaben sind doch auch nur Zeichen.
Mit der Verarbeitung von Daten und anderen Informationen brauchten wir neue Begriffe, um festzuhalten, und um zu erklären, was es davor noch nicht gab. So erfanden wir die Begriffe Soft- und Hardware, die es noch immer gibt.
Das alte astronomische/navigatorische Wissen der Gelehrten in der Südsee ist das, was wir unter Software verstehen. Die hölzernen Objekte sind das, was wir unter Hardware verstehen. So einfach ist das.
Ich behaupte nun, dass es Missionare waren, die einer sicher extrem kleinen Elite irgendwo in Polynesien erklärten, dass man „Sprache“ so fixieren kann, dass sie von anderen Menschen, so man sie eingeweiht hat, verstanden werden kann. Ich behaupte nun, dass es Missionare waren, die entscheidende Hinweise zur Gestaltung der „Rongorongo-Hardware“ lieferten. Die Software war nicht in ihrer Kompetenz, das Wissen hatten nur wenige Maori Rongorongo. Diese Software mag 5.000 oder sogar 10.000 Jahre alt sein und hat ihren Anfang oder Ursprung in Insel-Asien. Die Rongorongo-Hardware entstand nach jüngsten Untersuchungen einiger Artefakte von französischen Wissenschaftlern aber erst, als es längst Missionare in Ozeanien gab.
Es war übrigens „the uncrowned king“, Pater Sebastian Englert, der die Impulse gab zur Wiederaufnahme der alten handwerklichen Schnitzkunst auf der Osterinsel. Elsdon Best, der große Maori-Forscher in Neuseeland, wurde sogar von Häuptlingen gebeten, ihr altes Wissen aufzuschreiben, um es für eine Renaissance ihrer Kultur und Traditionen zu bewahren.
Ich verweigere kategorisch die Gefolgschaft der Theorie, dass in einer schriftlosen Kultur, die bewusst darauf verzichtete, ihre Sprache zu verschriften, urplötzlich eine Schrift erfunden wurde. In der Südsee gab es nur drei große machtpolitische Zentren: Hawaii – die Gesellschaftsinseln – Neuseeland. Die Osterinsel hatte zu keiner Zeit in irgendeiner Hinsicht eine Bedeutung in Ozeanien! Ein Blick auf den Globus genügt doch schon, um zu erkennen, wie weit abseits des Geschehens im Pazifik Rapanui wirklich liegt. Nun lässt sich aber alles so hin- und wegforschen, wie man es für eigene Theorien braucht. In erster Linie waren es europäische Wissenschaftler, die der Osterinsel eine Bedeutung „überstülpten“, die sie niemals hatte.
Aus der heutigen Bedeutung von Rapanui für den weltweiten Tourismus irgendeinen Rückschluss zu ziehen auf eine bedeutsame kulturelle Macht der Osterinsulaner in vormissionarischer Zeit, ist absurd und unzulässig.
Die einzigen gesicherten Erkenntnisse über die kleine Insel mit den großen Steinköpfen ist die, das wir keine gesicherten Erkenntnisse haben, weder über die Besiedlung noch über das Leben in damaliger Zeit. Was wir angeblich wissen, ist nichts anderes als haltlose Spekulation.
Das größte, aber auch leider am meisten desolate Rongorongo-Objekt, hat die Dimension von ca. 103 cm in der Länge und ca.13 cm in der Höhe. Fischer vermutet ungefähr 12 bis 14 Zeilen auf jeder Seite. Heute sind aber nur noch ca 180 Zeichen zu erkennen. Es ist die Berlin-Tafel, die unter Fachleuten als „boomerang“ bekannt ist aufgrund ihrer gebogenen Form. Man vermutet, dass es ursprünglich eine Bootsplanke war. Das Objekt war ein Geschenk des deutschen Konsuls Schlubach in Chile an das Völkerkunde-Museum in Berlin, wo es seit 1883 verwahrt wird. (Während des II. Weltkrieges wurde die Tafel ausgelagert in Celle, kam aber 1950 wieder zurück nach Berlin).
Ich schätze, dass auf diesem hölzernen Objekt mehr als 2.500 Zeichen gekerbt waren. Auf jeden Fall mehr als auf jedem anderen Objekt. Eine solche Menge an Zeichen auf dem Holz ordentlich zu platzieren, geht nur nach einer sorgfältigen und immer wieder korrigierten Planung, die in einer verbindlichen Vorarbeit dem Meister die Ausführung erst ermöglicht.
[…]
- Arbeit zitieren
- Michael H. Dietrich (Autor:in), 2016, Auf Götterpfaden über den Pazifik. Die Geschichte der vermeintlichen Osterinselschrift – Teil 1, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/317681
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