Im vorliegenden Referat geht es um die Frage nach der Bedeutung des Tieres im Kontext des Alten Testamentes. Tiere sind im Alten Testament allgegenwärtig - dennoch wurde dem Verhältnis zwischen Mensch und Tier in der Bibelforschung lange Zeit wenig Beachtung geschenkt.
Erst in den letzten Jahrzehnten ist die Thematik im Zusammenhang mit der Umweltproblematik in den Blick geraten. Lassen sich aus den alttestamentlichen Schriften ethische Prinzipien im Umgang mit der (lebendigen) Schöpfung ableiten oder gar christliche Leitlinien, die zeitübergreifende Gültigkeit beanspruchen können?
Unter der Berücksichtigung des zeitgenössischen Erfahrungshorizontes des alttestamentlichen Menschen werden zentrale Bibelstellen (unter anderem aus den Schöpfungsberichten) diskutiert. Das Ergebnis lässt sich zusammenfassen:
„Das Alte Testament sieht jedenfalls die Tiere als das an, was sie sind: Geschöpfe Gottes, die unter die Obhut des Menschen gegeben sind.“ ( Florian Schmitz-Kahmen)
Inhaltsverzeichnis
Einführung
Das Verschwinden der Tiere aus dem Erfahrungshorizont des modernen Menschen
Das Tier in der Lebenswelt des alten Israel
Tiere als ökonomischer Faktor – Kapital und Lebensgrundlage
Tiere als Feinde
Die Allgegenwart der Tiere
Emotionale bzw. affektive Seite des Mensch-Tier-Verhältnisses Tier und Mensch als Freunde
Das Tier in der religiösen Wahrnehmung des alttestamentlichen Menschen
Tiere als Mitglieder des Gottesbundes
Geschichtlich-prophetische Texte
Schöpfungstexte
Jahwistischer Schöpfungsbericht (Gen 2,4b – 25)
1) Es existieren keine ontologischen Unterschiede zwischen Mensch und Tier
2) Die Tiere wurden geschaffen, um mit dem Menschen in Beziehung zu leben
3) Das Tier ist als Hilfe für den Menschen gedacht
Der priesterschriftliche Schöpfungsbericht Gen 1,1-2,4a Das Problem des „dominium terrae“ (V. 26b.28)
Zusammenfassung
Psalmen
Psalm 8
Psalm 104: Mensch und Tiere – Mitgeschöpfe
Gesetzlich-priesterliche Texte
(a) Recht der Tiere auf Ertrag ihrer Arbeit, Sabbatgesetzgebung
(b) Respekt vor der Weitergabe des Lebens
(c) Tiere als Rechtssubjekte
Schluss: Bedeutung für eine christliche Ethik
Verwendete Literatur
Tierethik im Alten Testament
Einführung
- „Tiere“ sind im Alten Testament allgegenwärtig, es gibt kaum eine Seite, auf der nicht in irgendeiner Weise Tiere auftreten und erwähnt werden[1] ; ca. 130 Tierarten tauchen auf; davon mehr als zwei Drittel in dem Katalog reiner und unreiner Tiere (3 Mose 1, 1; 5Mose. 14)
- dennoch wurde in der Bibelforschung dem Verhältnis Mensch-Tier lange Zeit nur wenig Beachtung geschenkt; erst in den letzten Jahrzehnten ist es im Zusammenhang mit der Umweltproblematik in den Blick geraten
- um angemessen über die Wahrnehmung des Tieres und über das Verhältnis zwischen Mensch und Tier zu sprechen, muss der Erfahrungshorizont des alttestamentlichen Menschen berücksichtigt werden, der ein grundsätzlich anderer ist als der des modernen Menschen
Das „Verschwinden der Tiere“ (Bernd Janowski) aus dem Erfahrungshorizont des modernen Menschen
- enge Verbundenheit des Menschen mit dem Tier lange Zeit auch in unserem abendländischen Kulturraum
- Tiere als Gefährten und Feinde des M. allgegenwärtig; mehr wilde als domestizierte Tiere; beträchtliche Gefahren, aber auch Grundlage der Ernährung (Jagd)
- Allgegenwärtigkeit der Tiere => europäische Literatur und Kunst
- heute keine Rede mehr von der Allgegenwart der Tiere; Bruch zwischen Tier und Mensch, Zeitalter der industriellen Massentierhaltung und Ausrottung ganzer Arten
- Beziehung zum Tier bewegt sich heute zwischen immer größerer Entfremdung und Verdinglichung des Tiers als materielles Gut (Massentierhaltung, immer kleiner werdender natürlicher Lebensraum der heimischen Tiere, Artensterben) und Vermenschlichung bzw. Verniedlichung (siehe Werbung für Tierfutter…)
- von einer Einheit und Zusammengehörigkeit von Mensch und Tier, wie sie im alten Orient empfunden wurde, kann heute keine Rede mehr sein
Albert de Pury formuliert dies folgendermaßen:
„Für uns abendländische Menschen von heute und besonders für diejenigen unter uns, die in einem städtischen Kontext leben, hat sich die Tierwelt dermaßen unseren alltäglichen Beschäftigungen entzogen, dass wir sehr wohl ein ganzes Leben verbringen könnten, ohne direkt mit einem Tier konfrontiert zu werden oder gezwungen zu sein, über die Nachbarschaft von Mensch und Tier nachzudenken.“[2]
- Die griechisch-abendländische Tradition hat den Wesensunterschied zwischen Mensch und Tier hervorgehoben, ja das Menschsein als Nicht-Tiersein definiert.
- Von solchen Ansichten ist die biblische Tradition weit entfernt: Ihr gilt das Tier vorrangig als Geschöpf Gottes und zwar als das Lebewesen, das den Menschen am nächsten steht (Genesis 2,18ff.)
Das Tier in der Lebenswelt des alten Israel
- intensive Wahrnehmung der natürlichen Lebenswelt: Lebensbedingungen (landschaftliche Dreiteilung in Kulturland, Steppe und Wüste)
- Risikofaktoren: Erdbeben (1 Sam 14,15; Am 1,1; Sach 14,5), ausbleibender Niederschlag, Dürre- und Hungerkatastrophen (2 Sam 21; 1 Kön 17f; Jer 14 u.a.), Gefährdung der Pflanzenkulturen durch Insektenbefall und Heuschreckenplagen (Dtn 28,22.38f; Joel 1) oder die Dezimierung der Herden durch Krankheit und Seuchen
- Abhängigkeit des Menschen => elementares Wissen, auf die natürlichen Lebensbedingungen angewiesen zu sein; dieses Wissen spiegelt sich im sorgenden Bemühen um die Arbeits- und Nutztiere wieder
Tiere als ökonomischer Faktor – Kapital und Lebensgrundlage
- Schaf- und Ziegenherden bildeten die Hauptlebensgrundlage der agrarischen Gesellschaft Palästinas/Israels; mit den domestizierten Tieren teilten die Menschen den engen, geschützten Lebensraum der Dörfer und Städte
- dieses Zusammenleben der Menschen mit Haustieren setzte früh ein; in Vorderasien ist die Domestikation von Schafen und Ziegen als den ältesten Wirtschaftstieren am Ende des 9. Jahrtausends vor Christus anzusiedeln[3] ; die Einteilung der Tierarten in Gen 2,20 setzt domestizierte Tiere voraus (schon in der Zeit der Entstehung dieses Textes keine Erinnerung mehr an die Zähmung der Tiere)
- Schafe als Opfertiere und Wolllieferanten; Ziegen als Milchgeber und Opfertiere, aber auch als Lieferanten von Lederschläuchen (als Behälter für Flüssigkeiten) und Haaren (Herstellung von Zeltbahnen), Rinder als Zug- und Arbeitstiere sowie als Opfertiere und Milchlieferanten; Esel und Kamele als Reit- und Lasttiere, Tauben als Opfertiere, Hunde als Wächter und Begleiter)
Tiere als Feinde
- Ebenso präsent war aber die Bedrohung durch wilde Tiere; die Tierwelt Palästinas war zur Zeit der Entstehung des AT wesentlich zahl- und artenreicher als heute
- viele wilde Tiere: Löwen, Leoparden, Wölfe, Hyänen; einige, wie der Löwe (seit dem 13. Jh. n. Chr.) oder der syrische Elefant (bereits im 8. Jh. v.Chr.: Elfenbein) wurden schon früh ausgerottet
- Das Tier war nicht nur der schwächere, oft ausgenützte Gefährte, sondern auch der gefürchtete, manchmal überlegene Feind
- 2 Kön 17,25: Bedrohung durch Löwen
Die Allgegenwart der Tiere
- kaum ein Lebensbereich blieb von der Mensch-Tier-Beziehung ausgespart: abgesehen von den bekannten Esstabus und Sexualvorschriften ( Sodomie: Ex 22,18, vgl. Lev 23,23, Dtn 21); Tiere bildeten den „innersten Kreis der menschlichen Umgebung“[4]
- der antike Mensch empfand Tier und Mensch noch als wesenhaft zusammengehörig, keine scharf markierte Trennungslinie
Emotionale bzw. affektive Seite des Mensch-Tier-Verhältnisses
Tier und Mensch als Freunde
- 2 Sam 12, 1-10: Parabel des Nathan: ein armer Mann hält sein einziges Lamm wie eine Tochter, lässt es auch seinem Becher trinken, an seinem Busen ruhen; als einmal der Reiche Besuch bekommt und er dem Besucher ein Gastmahl zubereiten will, möchte er dafür aus Geiz keins seiner eigenen Tiere nehmen; stattdessen schlachtet er das Lamm des armen und bereitet es dem Mann zu, der ihn besucht; der Verlust ist für den Bauern mehr als ein materieller Schaden; verliert Lebewesen, das ihm ans Herz gewachsen ist
- Reaktion des Königs David, dem das im Rahmen der Gleichniserzählung zur Rechtsbeurteilung vorgetragen wird: „Ein Kind des Todes ist der Mann, der das getan hat.“
- für den Verlust des mit dem Tier vernichteten Herzenswertes kann kein Ersatz geleistet werden (bezogen auf die durch frevelhafte Verführung der Gattin zerstörte Ehe Urias)
- starke Gefühlsnähe zum Tier
- Sprüche 12,10: preist den Gerechten als einen Mann, der die Lebens- und Herzensbedürfnisse seiner Haustiere kennt, während der Sinn des Gottlosen unbarmherzig und hart sei
- Freundschaftsverhältnis siehe 5. und 11. Kapitel im Buch Tobit (Tobias und sein Hund als ständiger Begleiter)
Das Tier in der religiösen Wahrnehmung des alttestamentlichen Menschen
- Marie Louise Henry: Das Tier im religiösen Bewusstsein des alttestamentlichen Menschen: Verhältnis des Menschen zur Kreatur ist ein Gradmesser für seine Ehrfurcht vor dem Leben schlechthin[5]
- also muss es auch in irgend einer Weise sinnenfällige und wesenhafte Merkmale seines Gottesverhältnisses umschließen
- aus der Berührung mit dem ganz Anderen, Nichtmenschlichen starke Impulse zur Entfaltung religiöser Kräfte und theologischer Reflexion; teilweise wird Tieren sogar ein religiöser Vorbildcharakter zugesprochen
Die Verheißung, dass auch Tiere in den Gottesbund eingeschlossen sind, ist wesentlich für eine alttestamentliche „Tierethik“.
Tiere als Mitglieder des Gottesbundes
- auch da, wo von Furcht und Schrecken der Tiere vor dem Menschen die Rede ist, geht der biblische Text weiter, als wir es je tun würden: mit der Verheißung, dass auch die Tiere zum Gottesbund gehören: Gen 9,8ff, vgl. Ez 34,25; Hos 2,20; Jon 3,3b-10)
Gen 9,8-10
„Dann sprach Gott zu Noach und seinen Söhnen, die bei ihm waren: Hiermit schließe ich meinen Bund mit euch und mit euren Nachkommen und mit allen Lebewesen bei euch, mit den Vögeln, dem Vieh und allen Tieren des Feldes, mit allen Tieren der Erde, die mit euch aus der Arche gekommen sind.“
- diese Verheißung bindet Mensch und Tier auf eine neue Weise zusammen, ohne die Distanz zwischen ihnen zu leugnen
- Gen 9,2ff.: „Furcht und Schrecken vor euch soll sich auf alle Tiere der Erde legen, auf alle Vögel des Himmels, auf alles, was sich auf der Erde regt, und auf alle Fische des Meeres; euch sind sie übergeben.“
- zum Herrschaftsauftrag des Menschen als Bild Gottes (imago Dei) später mehr
- aus dieser Perspektive ergeben sich Bedingungen für das richtige Verhalten des Menschen gegenüber Tieren, zumal das schöpfungsgemäße Mensch-Tier-Verhältnis (Schöpfungserzählung) unter dem Primat des Segens (Gen 1,22.28) steht und wird in der abschließenden „Billigungsformel“ als „sehr gut“ bezeichnet (Gen 1,31)
- das Tier selbst gilt im AT als „Manifestation des Segens“, wobei Segen eine Kraft meint, mit der „Gottes immanentes Handeln und (…) eine Art Gotthaltigkeit der Welt angezeigt ist.“[6]
[...]
[1].Keel, Otto: Allgegenwärtige Tiere. Einige Weisen ihrer Wahrnehmung in der hebräischen Bidel. S.155-193. Hier: S.155.
[2] De Pury, Albert: Gemeinschaft und Differenz. Aspekte der Mensch-Tier-Beziehung im alten Israel. In: Janowski, Bernd. S.114.
[3] vgl. Staubli, Th.: Hinweise zur Haustierwerdung im Vorderen Orient. In: „Im Schatten deiner Flügel“. Tier in der Bibel und im Alten Orient. Hg. von O. Keel und Th. Staubli. Freiburg (Schweiz) 2001. S.20-24.
[4] Berger, J.: Warum sehen wir Tiere an? In: ders.: Das Leben der Bilder oder die Kunst des Sehens. Berlin 1989. S.12-35. Hier: S.12.
[5] Henry, Marie Louise: Das Tier im religiösen Bewusstsein des alttestamentlichen Menschen. In: Janowski. S.20.
[6] Müller, H.-P.: Segen im Alten Testament. Theologische Implikationen eines halb vergessenen Themas. ZThK 87 (1990). S.3. Nach: Janowski, Bernd: Gefährten und Feinde des Menschen. S.15.
- Quote paper
- Rebecca Weber (Author), 2007, Die Geschöpfe Gottes. Tierethik im Alten Testament, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/317577
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