Immer mehr Menschen verlassen ihre Heimat, um Sicherheit und Schutz vor Kriegen und Unruhen zu finden. Viele der Flüchtlinge sind Kinder und Jugendliche, die ohne ihre Eltern oder andere erwachsene Bezugspersonen in Deutschland ankommen. Diese unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge haben einen langen, beschwerlichen und gefährlichen Weg mit traumatischen Erlebnissen hinter sich. Sie haben ihre Eltern verloren oder wurden weggeschickt, um in Europa eine bessere Zukunft zu finden.
Dieses Buch gibt einen Überblick über die Situation der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge in Deutschland und fasst Problematiken aus verschiedenen Bereichen zusammen.
Aus dem Inhalt:
– Motive und Umstände der Flucht
– Internationale Abkommen zum Schutz von Minderjährigen
– Einreisebestimmungen in das Bundesgebiet
– Kinder- und Jugendhilfegesetz und Deutsches Ausländerrecht
– Das Clearingverfahren
– Pädagogischer Bezug
Inhaltsverzeichnis
Sonja Bergler: Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge. Vom Aufbruch im Herkunftsland bis zur Ankunft in Deutschland ... 7
Abkürzungsverzeichnis ... 8
Rassistische Gewalt und Hetze gegen Flüchtlinge ... 9
Begriffsbestimmungen ... 10
Motive und Umstände der Flucht ... 11
Zahlen, Herkunftsländer und Verteilung innerhalb Deutschlands ... 13
Internationale Abkommen zum Schutz von Minderjährigen ... 14
Einreisebestimmungen in das Bundesgebiet ... 18
Inobhutnahme und Clearing ... 20
Fazit ... 23
Literaturverzeichnis ... 24
Anna Efler: Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge. Kinder- und Jugendhilfe im Spannungsfeld zwischen dem SGB VIII und dem deutschen Ausländerrecht ... 27
Abkürzungsverzeichnis ... 28
Einleitung ... 31
Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge ... 33
Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge – Kinder- und Jugendhilfegesetz ... 61
Exkurs: Internationale Übereinkommen ... 93
Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge – Deutsches Ausländerrecht ... 96
Gegenüberstellung SGB VIII - Ausländerrecht ... 112
Zwischenfazit ... 123
Empirischer Zugang zum Spannungsfeld – Das Spannungsfeld aus der Perspektive der Akteure/innen von Kinder- und Jugendhilfe ... 123
Fazit ... 154
Literaturverzeichnis ... 157
Henriette Ortel: Integrations- und Bildungschancen von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen in Deutschland ... 169
Einleitung ... 170
Rechtsgrundlage für den Umgang mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen in Deutschland ... 171
Spannungsfeld zwischen ordnungspolitischen Rahmenbedingungen und sozialer Gerechtigkeit ... 173
Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge und ihre schulischen und beruflichen Bildungs- und Ausbildungschancen ... 175
Fazit ... 179
Wissenschaftliche Selbstreflexion ... 180
Literaturverzeichnis ... 183
Kirsten Reindl: Zum pädagogischen Bezug in der praktischen Arbeit mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen ... 187
Einleitung ... 188
Flüchtlinge und unbegleitete minderjährige Flüchtlinge: Begriffsklärungen ... 192
Warum Kinder und Jugendliche aus ihrem Heimatland fliehen ... 194
Rechtliche Rahmenbedingungen für den Umgang mit UMF in Deutschland ... 200
Das Clearingverfahren ... 203
Der Pädagogische Bezug nach Herman Nohl ... 209
Untersuchungsmethodik ... 213
Ergebnisse ... 223
Fazit ... 232
Literaturverzeichnis ... 236
Anlagen ... 242
Einzelbände ... 292
Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge. Vom Aufbruch im Herkunftsland bis zur Ankunft in Deutschland
Sonja Bergler, 2015
[…]
Rassistische Gewalt und Hetze gegen Flüchtlinge
Immer mehr gewalttätige Angriffe werden in Deutschland gezählt. So nimmt auch rassistische Hetze zu – auf Onlineplattformen wie Facebook oder auf der Straße.[1] „Statistisch gesehen finden in Deutschland pro Woche fünf rassistische Kundgebungen oder Demonstrationen gegen Flüchtlinge statt. Zu Angriffen auf Flüchtlingsunterkünfte kommt es im Schnitt drei Mal pro Woche.“ [2] Die bundesweite Dokumentation der Amadeu Antonio Stiftung und PRO ASYL veranschaulicht ein beängstigend hohes Maß an rassistischer Gewalt und Hetze gegen Flüchtlinge. Angesichts der 153 Fälle von Anschlägen auf Flüchtlingsunterkünfte und 77 Fälle von tätlichen Angriffen auf Flüchtlinge leben Migranten sowie Flüchtlinge vielerorts in Deutschland in Angst.
Vor allem seit den Pegida-Demonstrationen ist die Angst vor rassistischen Angriffen, insbesondere in Sachsen, gestiegen. [3] “‘Woche zu Woche wird es schlimmer, die Atmosphäre ist sehr vergiftet und die Leute haben Angst. Montag ist das Stadtzentrum fast zu einer No-Go-Area definiert worden und montags schicken viele ihre Kinder nicht zur Schule. Und die Frauen, die Kopftuch tragen, die trauen sich nicht aus dem Haus’, sagte Ali Moradi vom Flüchtlingsrat Sachsen im Deutschlandfunk.“ [4]
Häufig treten bei diesen flüchtlingsfeindlichen Demonstrationen organisierte Rechtsextreme unter dem Deckmantel ‘besorgter Bürger’ auf. Zudem werden die Teilnehmer dieser Veranstaltungen zumeist über Facebook mobilisiert, wobei Asylsuchende als Wirtschaftsflüchtlinge und potenzielle Gefahr denunziert werden.[5]
Geschäftsführer der Amadeu Antonio Stiftung, Timo Reinfrank, ergänzt: “Wie auch immer sich Pegida offiziell von Rassismus und Gewalt distanzieren mag: Eine Bewegung, die massiv von rassistischen Ressentiments geprägt ist und sich selbst als ‘Volkes Wille’ inszeniert, schafft ein Klima, das rassistische Gewalttäter motiviert, den vermeintlichen ‘Volkswillen’ zu vollstrecken.”[6]
Angesichts dieser Tendenzen appellieren Organisationen an die politisch Verantwortlichen sowie die Zivilgesellschaft, sich entschieden der rechten Hetze entgegen zu stellen. So finden sich häufig weit mehr Gegendemonstrierende als Kundgebende zu den Demonstrationen ein und solidarisieren sich mit den Flüchtlingen.[7]
Aufgrund dieser Entwicklungen des vergangenen Jahres wird sich im Folgenden mit der Situation von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen hinsichtlich ihrer Fluchtmotive und ihrem besonderem Schutzbedürfnis auseinandergesetzt, sowie der rechtliche Umgang mit ihnen näher betrachtet. Im Abschluss wird das Vorgehen im Clearingverfahren eingehender untersucht.
[…]
Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge. Kinder- und Jugendhilfe im Spannungsfeld zwischen dem SGB VIII und dem deutschen Ausländerrecht
Anna Elfer, 2013
[…]
Einleitung
„Also insgesamt finde ich, dass die jungen Flüchtlinge für unsere Gesellschaft eine große Bereicherung darstellen und ich würde mir wünschen, dass da das Ausländerrecht mehr mit dem Kinder- und Jugendhilfegesetz korrespondiert, damit man nicht den Kindern und Jugendlichen, die sich hier sehr einbringen wollen und auch sehr viel leisten, in der letzten Minute dann die ,Beine wegkloppt', sozusagen.“ (Stellungnahme einer für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge zuständigen Sozialpädagogin des Jugendamtes[8])
„Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge – Wer oder was soll genau damit gemeint sein?“ So oder in ähnlicher Weise würden wahrscheinlich die Reaktionen der meisten Menschen lauten, wenn sie mit der Thematik dieser Personengruppe konfrontiert würden. Vor allem in den ländlichen Regionen, aber auch in den Großstädten der Bundesrepublik Deutschland sind die unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge kaum Jemandem ein Begriff (vgl. Dieckhoff in: Dieckhoff (Hrsg.) 2010, S. 7).
Die Tatsache, dass es sich hierbei um Kinder und Jugendliche handelt, die ihre Heimat hinter sich gelassen haben und ohne Eltern oder andere Verwandte ganz allein nach Deutschland gekommen sind, bleibt damit vielen genauso verborgen, wie das Wissen über die (traurigen) Hintergründe, die diese jungen Menschen dazu bewegt haben, ihr Leben in der vertrauten Umgebung aufzugeben.
Endlich in Deutschland angekommen, werden die Kinder und Jugendlichen aber keinesfalls mit ihren Hoffnungen auf bessere Lebensumstände allein gelassen. So treffen sie hier insbesondere in Großstädten wie Berlin auf ein Netz an Hilfe- und Unterstützungsangeboten, die ihnen von zuständige Akteure/innen der Kinder- und Jugendhilfe aufgezeigt werden.
Diese (sozialpädagogischen) Fachkräfte der Kinder- und Jugendhilfe, genauer formuliert, ihre in der Praxis gesammelten Erfahrungen und Einschätzungen, stehen in der vorliegenden Arbeit im Zentrum des Interesses. Das Augenmerk liegt dabei auf dem Spannungsfeld, das aus den zum Teil gegensätzlichen Bestimmungen des SGB VIII auf der einen und des deutschen Ausländerrechts auf der anderen Seite resultiert. Die Frage, ob und inwiefern sich die diesbezüglichen Konfliktpunkte unmittelbar auch auf die praktische Arbeit der Kinder- und Jugendhilfe auswirken, soll in dieser Arbeit empirisch untersucht werden. Anlass dazu geben der bis dato rudimentäre Forschungsstand im Hinblick auf das Arbeitsfeld mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen im
Allgemeinen, bzw. die speziell auf die Sichtweise von Akteure/innen der Kinder- und Jugendhilfe bezogene fehlende empirische Erkenntnisgewinnung. Der Jahresbericht des Bundesfachverbandes Unbegleitete Minderjährige Flüchtlinge e.V. (B-UMF) des Jahres 2012 gab zudem Aufschluss darüber, dass die Nachfrage nach Fortbildungen im Hinblick auf die Betreuung der Kinder und Jugendlichen und den diesbezüglichen rechtlichen Grundlagen seitens professioneller Vertreter/innen der Kinder- und Jugendhilfe stetig ansteigt (vgl. Bundesfachverband für Unbegleitete Minderjährige Flüchtlinge (Hrsg.) 2012, S. 10).
Aufgrund dessen, dass sich die Vorgaben zum Umgang mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen innerhalb Deutschlands teilweise als heterogen (z.B. im Bezug auf die Schulpflicht) erweisen und damit eine Untersuchung der Situation samt Vergleichen in allen Bundesländern die Kapazität dieser Arbeit übersteigen würde, konzentriert sich die empirische Forschung in dieser Arbeit auf den Raum Berlin.
Bevor sich der theoretischen Darstellung des Spannungsfeldes gewidmet wird, erfolgt zunächst eine Charakterisierung der Personengruppe der unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge, um dem/der Leser/in einen Eindruck über die Hintergründe der Kinder und Jugendlichen zu ermöglichen.
Alsdann schließt sich die Darlegung der die unbegleiteten Minderjährigen betreffenden Gesetzesgrundlagen des SGB VIII an, im Zuge derer auch die Akteure/innen der Kinder- und Jugendhilfe zusammen mit ihren spezifischen Aufgaben konkretisiert werden.
Das folgende Kapitel informiert als Exkurs über internationale kinderrechtliche Abkommen. Die Konzentration in der vorliegenden Arbeit liegt zwar auf den nationalen Bestimmungen, die Erwähnung internationaler Abkommen erweist sich aber als unerlässlich, da diese nationale Gesetzesformierungen beeinflussen.
Als zweiter Bestandteil des Spannungsfeldes veranschaulichen die Erläuterungen im nächsten Kapitel die ausländerrechtlichen Vorgaben im Hinblick auf ihre Bedeutung für die unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge.
Nachdem somit die einzelnen im Spannungsfeld involvierten Faktoren betrachtet wurden, gliedert sich mit dem darauffolgenden Kapitel die Gegenüberstellung des SGB VIII und des Ausländerrechts an, wobei nicht nur spezifische Konfliktpunkte des Spannungsfeldes ergründet werden, sondern auch die diesbezüglich resultierende Ausgangslage für die Akteure/innen der Kinder- und Jugendhilfe thematisiert wird.
Im Hinblick auf die entsprechenden theoretischen Darstellungen in sämtlicher Fachliteratur, stellt sich die Frage, ob und inwieweit sich das Spannungsfeld zwischen dem SGB VIII und dem deutschen Ausländerrecht auf die praktische Arbeit der Kinder- und Jugendhilfe auswirkt. Aus diesem Grund erfolgt im Anschluss an ein Zwischenfazit der Übergang von der theoretischen Skizzierung des Spannungsfeldes hin zu einer empirischen Forschung, die auf die Beantwortung dieser Frage abzielt. Nachfolgend schließt die Arbeit mit einem Fazit ab.
[…]
Integrations- und Bildungschancen von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen in Deutschland
Henriette Ortel, 2015
Einleitung
Krieg, Folter, Verfolgung, mangelnde Befriedigung der physischen und psychischen Bedürfnisse, Zwangsrekrutierung, Zwangsheirat, Vergewaltigung, Prostitution und/oder der Verlust der Angehörigen bewegen Kinder[9] häufig dazu aus ihrer Heimat zu fliehen. Oft sind sie durch gravierende Einschnitte in ihrer Biografie oder durch Erlebnisse auf der oft langen und bedrohlichen Flucht traumatisiert. Auch konnte ein Großteil der unbegleiteten[10] minderjährigen [11] Flüchtlinge noch nie ein Leben in Sicherheit und „Normalität“, mit regelmäßiger Essensaufnahme, dem täglichen Schulbesuch und ohne wirtschaftliche Notsituationen, erleben. Diese Kinder fliehen vor der Perspektivlosigkeit in ihrem Herkunftsland oder aufgrund der völligen Zerstörung ihrer Existenzgrundlage. Sie suchen Schutz und eine Lebensperspektive in der Bundesrepublik Deutschland.[12]
Aber was erleben diese unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge in Deutschland tatsächlich? Nach geltendem Recht stehen ihnen theoretisch wie allen anderen Menschen in Deutschland auch, jene Maßnahmen und Subventionen zu, welche sie vor allem in ihrer speziellen Lebenssituation schützen, fördern und unterstützen sollen. Erfahren diese essenziellen Grundbedürfnisse der unbegleitet minderjährigen Flüchtlinge in Deutschland aber tatsächlich Berücksichtigung? Wie sieht es speziell mit dem Recht auf (Schul-)Bildung aus?
Die vorliegende Hausarbeit setzt sich damit auseinander, inwieweit in Bezug auf die Integrations- und Bildungschancen von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen in Deutschland von sozialer Gerechtigkeit gesprochen werden kann und welche Rolle diesbezüglich dem Spannungsfeld zwischen der sozialen Gerechtigkeit, wozu auch die eigentlichen sozialpädagogischen Ziele und Aufträgen der Sozialen Arbeit zählen und den Zuschreibungen und Bedingungen einer ordnungspolitisch bestimmten Zuwanderungspolitik in Deutschland, zu Teil wird?
[…]
Zum pädagogischen Bezug in der praktischen Arbeit mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen
Kirsten Reindl, 2015
Einleitung
Aufgrund aktueller Weltkrisen steigt die Anzahl der Flüchtlinge in Deutschland in den letzten Jahren stetig an. Eine Vielzahl an Menschen aus Afrika und dem Nahen Osten, genauer gesagt aus Krisenstaaten wie Syrien, Irak, Eritrea oder Somalia fliehen aufgrund von Bürgerkriegen, politischen Umbrüchen, Terror und großer Armut aus ihren Heimatländern nach Europa (vgl. Siems 2014).
Wer als Flüchtling in ein europäisches Land kommt, hat i. d. R. keine ausreichenden finanziellen Mittel um dies legal, beispielsweise in Form einer Flugreise zu tun. Flüchtlinge überqueren daher häufig durch die Hilfe von Schleppern und gefälschten Ausweisdokumenten Landesgrenzen auf illegalem Weg und gehen dabei hohe Risiken ein (vgl. Milborn 2009 zit. n. Detemple 2013, S. 22).
Organisationen wie der Bundesfachverband Unbegleitete Minderjährige Flüchtlinge (B-UMF) oder auch der United Nations High Commissioner for Refugees (UNHCR) greifen die Problematik der aktuellen Flüchtlingssituation durch u. a. zahlreiche wissenschaftliche Online-Publikationen regelmäßig auf und liefern dadurch eine Fülle an zuverlässigem Informationsmaterial, auf welches sich auch diese Arbeit zu einem großen Teil stützt. Dadurch konnten z. B. gegenwartsnahe Fakten und Zahlen über die Situation speziell der UMF gewonnen werden.
Nach Angaben des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF 2014) wurden im Zeitraum von Januar bis Oktober 2014 deutschlandweit insgesamt 135.634 Asyl-Erstanträge registriert. Verglichen zu den 87.442 Erstanträgen im gleichen Zeitraum zum Vorjahr stellt dies einen erheblichen Anstieg von 35,5% dar .
Ein Großteil der Einreisenden besteht aus Flüchtlingsfamilien, die gemeinsam und nicht selten in Begleitung altersschwacher Menschen oder sogar Neugeborener einwandern. Doch auch die unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge (UMF), die alleine und ohne familiären Beistand, häufig nur mithilfe eines Schleppers nach Deutschland einreisen, bilden keinen unwesentlichen Anteil der Zuwanderer. Laut Angaben des international größten Akteurs in der Flüchtlingshilfe, dem UNHCR (2012) befinden sich weltweit insgesamt 42,5 Millionen Menschen auf der Flucht, davon haben 46% noch nicht ihre Volljährigkeit erreicht. Der UNHCR verzeichnete dabei allein im Jahr 2011 insgesamt 17.700 UMF, welche einen Antrag auf Asyl stellten (vgl. ebd.).
In Deutschland ist besonders seit dem Jahr 2008 ein kontinuierlicher Anstieg der Inobhutnahme von UMF zu erkennen. Betrug die Zahl der registrierten unbegleiteten Minderjährigen im Jahr 2009 noch insgesamt 2.988, erlebte sie innerhalb von vier Jahren einen Anstieg von rund 46,7% auf insgesamt 5.605 UMF (vgl. Kemper/Espenhorst 2014).
Jenen Flüchtlingskindern, die ohne eine erziehungsberechtigte Person nach Deutschland kommen, steht ein gesondertes Unterstützungsangebot zu. Wenn sie nicht die Möglichkeit haben bei Verwandten zu wohnen, werden sie in der Regel in Jugendwohngruppen, zunächst übergangsweise in sogenannten Clearing-Einrichtungen für UMF untergebracht. Ein darauf folgendes, gesetzlich geregeltes Clearingverfahren findet in enger Kooperation mit dem zuständigen Jugendamt statt und sollte laut B-UMF nicht länger als drei Monate andauern. Dieser Prozess dient sowohl der Klärung des ausländerrechtlichen Status als auch der Feststellung des gesundheitlichen und pädagogischen Bedarfs des jugendlichen Flüchtlings. Den Kindern soll in dieser Phase zudem erstmalig nach ihrer Flucht wieder ein Gefühl von Sicherheit vermittelt werden (vgl. Detemple 2013, S. 38).
Die pädagogische Betreuung von UMF im Bereich Clearing bringt jedoch noch weitere relevante Aufgaben mit sich, die letztlich von zentralem Bestandteil sind und den Verlauf der Clearingphase stark beeinflussen können. Die oftmals erwähnte „materielle und medizinische Grundversorgung“ der Jugendlichen bildet hierbei lediglich einen Teil der pädagogischen Arbeit mit UMF.
Denn vor allem die unbegleiteten Minderjährigen leiden aufgrund der Erlebnisse vor und während ihrer Flucht unter Traumata und anderen psychischen Krankheiten, die sich insbesondere während der Clearingphase bemerkbar machen. Hinzu kommt, dass UMF von ihren Eltern und Familien getrennt, in einem neuen Land untergebracht sind, in dem sie ein neues Leben beginnen und sich somit an eine zunächst fremde Kultur anpassen müssen. Sie leben mit anderen UMF aus unterschiedlichen Kulturen, mit verschiedenartigen Sprachen, Riten und individuellen Problemen gemeinsam in entsprechenden Wohngruppen.
Während die jungen Flüchtlinge vor ihrer Einreise auf sich alleine gestellt waren, Konflikte vermehrt mit Gewalt lösen mussten und Bedrohungen oft nur durch kriminelle Handlungen oder Korruptheit überlebten, müssen sie sich etwa in einem Land wie Deutschland urplötzlich umorientieren. Für ein friedliches und rücksichtsvolles Zusammenleben innerhalb einer Gruppe sowie in einer modernen Gesellschaft sollen sie daher lernen, Kompromisse einzugehen und Wege zu finden, Konflikte untereinander respektvoll und einträchtig zu lösen. Zu all dem kommt erschwerend hinzu, dass die unbegleiteten Minderjährigen ihrem Alter entsprechend ebenso spezifische Bedürfnisse und Probleme aufweisen, wie etwa deutsche Jugendliche während ihrer Adoleszenz.
Im Hinblick auf die Lebenssituation der UMF während des Clearingverfahrens diente die Studie von Katharina Detemple „Zwischen Autonomiebestreben und Hilfebedarf – Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in der Jugendhilfe“ als solide Literatur, um erforderliche Kenntnisse für die vorliegende Arbeit zu gewinnen.
Sie zitiert in ihrer Publikation (vgl. 2013, S. 30) die Autoren King und Koller (2009, S. 12), die all dies als einen „doppelten Transformationsprozess, den migrierende Jugendliche leisten müssen“, definieren. In einer weiteren Ausführung bezieht sie sich auf Autoren wie Rohr und Schnabel (2000, S. 32) sowie Klingelhöfer und Rieker (2003) die diesen Prozess beschreiben als den
„der Transformation vom Kind zum Erwachsenen und dem der Loslösung von der Herkunftsgesellschaft und der Neuanpassung in der Aufnahmegesellschaft.“ (zit. n. Detemple 2013, S. 30).
Zentrale Bestandteile in der pädagogischen Arbeit mit UMF im Bereich Clearing liegen somit nicht lediglich in grundversorgenden Maßnahmen, sondern auch in der seelischen Unterstützung, in der Konfliktprävention und -intervention sowie in der Vermittlung zwischen Kindern und Jugendlichen unterschiedlicher Kulturen.
Vor diesen Hintergründen gestaltet sich das zentrale Forschungsvorhaben dieser Untersuchung. Das wesentliche Interesse besteht diesbezüglich darin, das erzieherische Verhältnis zwischen den pädagogischen Fachkräften und den unbegleiteten Flüchtlingskindern theoriegeleitet zu analysieren und mögliche Besonderheiten einer interkulturellen Pädagogik entsprechend zu erörtern.
Ziel
Die vorliegende Arbeit soll einen Beitrag dazu leisten, in Anlehnung an die Theorie des „pädagogischen Bezuges“ nach Herman Nohl, Kenntnisse über das erzieherische Verhältnis zwischen pädagogischem Fachpersonal und den Jugendlichen in der praktischen Arbeit mit UMF während des Clearingverfahrens zu gewinnen.
Methode
Um sich dem Thema des pädagogischen Bezuges zwischen den UMF und deren pädagogischen Betreuern im Bereich Clearing zu nähern, erfolgen zunächst grundlegende Klärungen und Unterscheidungen zu den Begriffen „Flüchtlinge“ und „unbegleitete minderjährige Flüchtlinge“.
Damit die Lebenssituation der UMF in Deutschland eingehend erläutert sowie die pädagogische Arbeit mit diesen näher beschrieben werden kann, werden nebst aktueller Entwicklungen in Deutschland vorerst eine Reihe möglicher Fluchtmotive aufgezeigt. Denn insbesondere die Zeit vor und während der Flucht prägt die individuelle, psychosoziale und pädagogische Zusammenarbeit mit UMF im Clearingverfahren in hohem Maße.
Im Anschluss daran bilden die rechtlichen Rahmenbedingungen für UMF in Deutschland einen weiteren Bestandteil dieser Arbeit. Dieses Kapitel dient dazu, die Grundlagen sowohl des internationalen Flüchtlingsschutzes als auch den rechtlichen Schutz sowie im Späteren entsprechende Handlungsrichtlinien zur Inobhutnahme von UMF in Deutschland aufzuzeigen. Die rechtlichen Rahmenbedingungen der UMF sollen in dieser Arbeit keinen zentralen Gegenstand bilden, sind jedoch aufgrund ihrer Bedeutsamkeit hinsichtlich des später aufgezeigten Clearingverfahrens für UMF zu benennen.
Aufbauend darauf werden die Handlungsrichtlinien eines Clearingverfahrens für UMF aufgezeigt. Im Weiteren soll die Betrachtung der psychosozialen Folgen von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingskindern die Grundlage für die darauffolgende Darstellung der pädagogischen Ziele und Aufgaben im Clearingverfahren bilden.
Anschließend erfolgt der Zugang zur Theorie des „pädagogischen Bezuges“ nach Herman Nohl. Diese gibt Aufschluss darüber, wie sich nach Nohl das Verhältnis zwischen Erzieher und Zögling gestalten sollte, damit ein Erziehungsprozess erfolgreich verlaufen kann. Im Weiteren stellt sie in Anbetracht gesellschaftlicher Anforderungen dar, wie weit die Erziehung auf den Willen des Kindes gerichtet werden sollte. Diese Theorie dient somit als Basis für die vorliegende Studie im Hinblick auf die Strukturierung der pädagogischen Bezüge zwischen UMF und ihren pädagogischen Betreuern im Clearingverfahren.
Um Informationen über das pädagogische Verhältnis zwischen UMF und ihren Betreuern zu erhalten, wird eine ethnografische Studie im Stil teilnehmender Beobachtungen in einer Clearingeinrichtung in Hessen gewählt. Es werden sowohl in verschiedenen Situationen wie Gruppengesprächen, gemeinsamen Mahlzeiten und Gruppenputzen, einzelne Interaktionen zwischen insgesamt 14 UMF und deren Betreuern beobachtet als auch theoriegeleitet analysiert sowie interpretiert.
[…]
[1]
Vgl. Amadeu Antonio Stiftung, 2014, URL: http://mut-gegen-rechte-gewalt.de/
news/meldung/rechte-hetze-gegen-fluechtlinge-eine-chronik-der-gewalt-2014-03
[2]
Förderverein PRO ASYL e.V., 2015, URL: http://www.proasyl.de/de/news/detail/news/
klima_der_angst_rassistischer_gewalt_und_hetze_gegen_fluechtlinge_in_2014/
[3]
Vgl. Förderverein PRO ASYL e.V., 2015, URL: http://www.proasyl.de/de/news/detail/
news/klima_der_angst_rassistischer_gewalt_und_hetze_gegen_fluechtlinge_in_2014/
[4] MiGAZIN, 2014, URL: http://www.migazin.de/2015/01/27/jede-woche-drei-angriffe-auf-fluechtlingsunterkuenfte/
[5] Vgl. MiGAZIN, 2014, URL: http://www.migazin.de/2015/01/27/jede-woche-drei-angriffe-auf-fluechtlingsunterkuenfte/
[6] MiGAZIN, 2014, URL: http://www.migazin.de/2015/01/27/jede-woche-drei-angriffe-auf fluechtlingsunterkuenfte/
[7]
Vgl. Förderverein PRO ASYL e.V., 2015, URL: http://www.proasyl.de/de/news/detail/
news/klima_der_angst_rassistischer_gewalt_und_hetze_gegen_fluechtlinge_in_2014/
[8] Die Aussage stammt aus einem der drei geführten Interviews im Empirieteil dieser Arbeit. Aufgrund der Anonymisierung der befragten Experten/innen der Kinder- und Jugendhilfe erfolgt keine namentliche Nennung.
[9] vgl. UN-Kinderrechtskonvention, Artikel 1: Kind ist jeder Mensch, der das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hat;
[10] vgl. § 7 Abs. 1 Nr. 5 und 6 SGB VIII: unbegleitet sind alle Minderjährigen ohne Begleitung von Personensorge- oder Erziehungsberechtigten
[11] vgl. § 7 Abs. 1 Nr. 1 und 2 SGB VIII, minderjährig ist jede Person, die noch nicht 18 Jahre alt ist
[12] Zurwonne/Pape/Schneider (2014): Thema kompakt – Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge
- Arbeit zitieren
- Sonja Bergler (Autor:in), Anna Efler (Autor:in), Henriette Ortel (Autor:in), Kirsten Reindl (Autor:in), 2016, Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge. Allein auf dem Weg in eine bessere Zukunft, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/317443
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