1.Einleitung
Die vorliegende Arbeit hat eine Analyse von Paul Valérys erstem Faustfragment: „Lust. Das Fräulein von Kristall. Komödie.“(1) zum Inhalt. Um den Zugang zu Valérys Werk zu erleichtern, wird zuerst kurz seine Konzeption der „Comédie Intelectuelle“ erläutert.
Im Interpretationsteil wird besonders auf das Problem des Bösen in der Neuzeit, auf den „faustischen Augenblick“ und auf Liebesproblematik in Valérys „Mon Faust“ eingegangen. Es soll gezeigt werden, daß Valéry zwar auf Grundkomponenten des
Faustmythos, insbesondere des Goetheschen Faust(2), zurückgegriffen hat, daß er die übernommenen Motive jedoch in einen völlig neuen, durchaus originalen inneren Zusammenhang gebracht hat.
An die Interpretation schließt sich ein kurzer Schluß an, der zeigen soll, wie unterschiedlich „Mon Faust“ von den Kritikern beurteilt wird.
[...]
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1 Paul Valéry: Mein Faust. In: ders.: Werke. Frankfurter Ausgabe in 7 Bänden, Bd. 2: Dialoge und Theater, herausgegeben von Karl Alfred Blüher, Frankfurt am Main 1990.
2 Johann Wolfgang von Goethe: Faust. Eine Tragödie./ Der Tragödie zweiter Teil in fünf Akten. In: ders.: Werke. Hamburger Ausgabe in 14 Bänden, Bd.3: Dramatische Dichtungen I, textkritisch durchgesehen
und kommentiert von Erich Trunz, 16., überarbeitete Auflage, München 2000.
Inhalt
1. Einleitung
2. Kurzbiographie
3. »Mein Faust« (Fragmente) Lust. Das Fräulein von Kristall. Komödie
3.1 Entstehung
3.2 Inhalt
3.3 Bezüge
3.4 Gattung
3.5 Die Komödie des Geistes
3.6 Die Konzeption des Bösen in „Lust“
3.7 Das Problem der Liebe und der Augenblick höchster Daseinserfüllung
4. Schluß
5. Literaturangaben
1.Einleitung
Die vorliegende Arbeit hat eine Analyse von Paul Valérys erstem Faustfragment: „Lust. Das Fräulein von Kristall. Komödie.“[1] zum Inhalt. Um den Zugang zu Valérys Werk zu erleichtern, wird zuerst kurz seine Konzeption der „Comédie Intelectuelle“ erläutert.
Im Interpretationsteil wird besonders auf das Problem des Bösen in der Neuzeit, auf den „faustischen Augenblick“ und auf Liebesproblematik in Valérys „Mon Faust“ eingegangen. Es soll gezeigt werden, daß Valéry zwar auf Grundkomponenten des Faustmythos, insbesondere des Goetheschen Faust[2], zurückgegriffen hat, daß er die übernommenen Motive jedoch in einen völlig neuen, durchaus originalen inneren Zusammenhang gebracht hat.
An die Interpretation schließt sich ein kurzer Schluß an, der zeigen soll, wie unterschiedlich „Mon Faust“ von den Kritikern beurteilt wird.
2. Kurzbiographie
Paul Ambroise Valéry wurde am 30. Oktober 1871 in Sète, Frankreich, geboren und starb am 20. Juli 1945 in Paris.[3] Er studierte Jura und war sein Leben lang mit André Gide befreundet. Als Dichter setzte er die große Tradition der französischen Symbolisten fort und war vor allem Stephane Mallarmé verpflichtet, dessen Schüler er war.
Nach einer zwanzigjährigen Pause, in der er sich vornehmlich mit philosophischen und mathematischen Studien beschäftigte, wandte er sich erst 1917 wieder der Dichtung zu,“ [...] für die ein von klassizistischer Formenstrenge getragener und in äußerster geistiger Selbstdisziplin zu einer Poésie pure sublimierter Symbolismus kennzeichnend ist.“[4] Zahlreiche seiner Essays beschäftigen sich mit der Analyse des künstlerischen Bewußtseins und dem Problem der Dichtung.
1925 wurde Paul Valéry Mitglied der Académie Français und 1937 Professor für Poetik am Collège de France, außerdem war er langjähriger Vorsitzender des PEN-Clubs. Zu seinen bekanntesten Werken zählen u.a. die Gedichtsammlung „Charmes“, der Prosazyklus „Monsieur Teste“ und die zwei dramatischen Skizzen „Mon Faust“. Er selbst betrachtete die erst postum veröffentlichten, 27000 Seiten umfassenden „Cahiers“ als den wichtigsten Teil seines Werkes.
Paul Valéry zählt heute zu den bedeutendsten französischen Schriftstellern und Dichtern des 20. Jahrhunderts. Aufgrund der thematischen Vielschichtigkeit und Formenvielfalt seiner Werke, gilt er als Repräsentant der klassischen Moderne.
3. »Mein Faust« (Fragmente)
Lust. Das Fräulein von Kristall. Komödie
3.1 Entstehung
1932 wurde Paul Valéry anlässlich des hundertjährigen Todesjahres Goethes aufgefordert, in der Sorbonne einen Vortrag über den deutschen Dichter zu halten. Diese Gedenkrede stellte für Valéry den ersten Anstoß zu einer eigenen Beschäftigung mit dem Faustthema dar.[5]
Den Entschluß, einen eigenen „Faust“ zu schreiben, faßte er, wie er später erzählte, 1935. Die Schwierigkeiten eines solchen Unterfangens wurden ihm sehr schnell bewußt, und so schrieb er im Vorwort zu A. Fabre-Luce´s „Discours de Méphisto“:
Der Schatten eines Planes, einen Dritten Faust zu schreiben, hat mehr als einmal meinen Geist heimgesucht oder versucht. Ich habe einige Züge notiert, einige Möglichkeiten ins Auge gefaßt. Doch bis jetzt bin ich nicht hinausgekommen über zögernde Versuche und die Scheu vor einer Arbeit, die einem gewaltig, ja ungeheuerlich vorkommen muß: Der Gebrauch der französischen Sprache und der Name Goethes sind nicht die kleinsten Hindernisse, vor denen man bei der Erwägung eines solchen Planes zurückschreckt.[6]
Mit der Zeit häuften sich die Entwürfe zu seinem „Faust“ zwar, doch mit der Niederschrift des eigentlichen Werkes begann er erst 1940 in Dinard, wohin er sich mit seiner Frau beim Herannahen der deutschen Truppen zurückgezogen hatte.
Zunächst entstanden die beiden ersten Akte der Komödie „Lust. Das Fräulein von Kristall“ und der erste Akt und das Zwischenspiel der Zauberposse „Der Einsame oder die Verfluchungen des Universums“.
Beide Fragmente erschienen bereits im Mai 1941 unter dem Titel „Études pour ‚Mon Faust’“ im Verlag Les Cent-Une, Paris. Das um den dritten Akt der Komödie Lust ergänzte Werk wurde Anfang 1945 unter dem endgültigen Titel „‚Mon Faust’ (Ébauches)“ veröffentlicht. Nach dem Tod Valérys wurde im Gallimard-Verlag eine textgleiche Ausgabe in höherer Auflage publiziert, die inzwischen vielfach aufgelegt worden ist.
Bis zu seinem Tode konnte Valéry drei der geplanten vier Akte von „Lust“ und einen der geplanten zwei Akte des „Einsamen“, einschließlich des Zwischenspiels, beenden.
Mittlerweile wurden, neben den schon zu Lebzeiten des Autors veröffentlichten Fragmenten, noch zahlreiche Entwürfe zum vierten Akt von „Lust“ und zum zweiten Akt des „Einsamen“ herausgegeben.
3.2 Inhalt
Paul Valéry selbst hat mehrfach betont, daß er in seiner Faustdichtung eine Fortsetzung des „Faust I“ und „Faust II“ Goethes sah, woraus sich der im Vorwort zu „Mon Faust“ genannte Generaltitel „Faust III“ erklärt, der, laut Valéry, „[...] eine beliebige Anzahl mehr oder weniger für die Bühne geeigneter Werke [...]: Dramen, Komödien, Tragödien, Zauberpossen, je nach Gelegenheit; Verse oder Prosa, je nach Laune; nebeneinander herlaufende, doch voneinander unabhängige Produktionen [...]“(254)[7] hätte umfassen können.
Trotzdem knüpft Valérys „Faust“ in keiner Weise direkt an die Handlung und die Konzeption des Goetheschen „Faust“ an. Stattdessen übernimmt er die beiden Hauptgestalten Faust und Mephisto, da diese, dank Goethe, zu „[...] Werkzeugen des Weltgeistes [...]“(253) erhoben worden seien und variiert einige der Goetheschen Zentralmotive.
Die beiden Protagonisten aus Goethes „Faust“ versetzt er in die Welt des zwanzigsten Jahrhunderts. Damit verändert er ihre Gestalten nicht nur in sich, sondern auch in ihrem Verhältnis zueinander. Dieser Faust ist Mephistopheles weit überlegen und so ist es nun er, der dem Teufel den „Pakt“ vorschlägt.(272)
Auch das Problem der Liebe greift Valéry auf, indem er die Beziehung Fausts zu seiner Sekretärin Lust schildert. Die zentrale Stellung Lusts wird allein schon dadurch verdeutlicht, daß sie die Namensgeberin der Komödie ist. Gretchen als Symbol des Weiblichen und Verkörperung des Prinzips der Liebe erfährt hier eine Umdeutung, die Valérys großen Abstand von Goethes Idee des „Ewig Weiblichen“ verrät und zugleich noch einmal die Gelegenheit gibt, seine problematische Liebesauffassung aufzurollen.[8] Als weiteres Hauptthema greift Valéry den Augenblick der höchsten Daseinserfüllung auf. Neben diesen drei Hauptmotiven treten noch eine Reihe von Unter- und Nebenthemen auf, wie z.B. die moderne Variante des „habe nun ach ...“ in einer, im Vergleich zu Goethe, stark ausgebauten Schülerszene.
3.3 Bezüge
Seit der Veröffentlichung der „Historia“[9] von 1587 läßt sich eine ununterbrochene Tradition des Faustthemas in der Geschichte der Weltliteratur feststellen.[10] Die Faustarbeiten der Gegenwart sind zum großen Teil von vorausgegangenen Leistungen abhängig, weshalb man die Frage stellen muß, auf welche älteren Faustdichtungen sich die neueren Werke beziehen. Paul Valérys Faust steht in erster Linie in Goethes Nachfolge. Dies betont er schon im Vorwort:
Der Schöpfer des Faust und des Anderen hat diese beiden mit solcher Mächtigkeit begabt, daß sie nach ihm zu Werkzeugen des Weltgeistes wurden: sie wuchsen über das hinaus, was sie in seinem Werke waren. Er hatte ihnen »Aufgaben« und nicht nur Rollen gegeben; er hatte sie auf immer zu Prototypen gewisser Extreme des Menschlichen und Unmenschlichen gemacht und sie damit jedem besonderen Schicksal entrückt. Also habe ich mich ihrer zu bedienen gewagt.
So vieles in dieser Welt hat sich seit hundert Jahren geändert, daß es einen locken konnte, die beiden berühmten Protagonisten aus Goethes Faust in unsere gegen das beginnende neunzehnte Jahrhundert von Grund auf verwandelte Welt zu versetzen.(253)
Goethes Werk im Originaltext zu lesen vermochte Valéry wegen mangelnder Deutschkenntnisse zeit seines Lebens nicht. Sein Faustbild wurde vor allem von zwei Werken geprägt, die damals in Frankreich sehr bekannt waren: zum einen von der romantisierenden Faustübertragung Gérards de Nervals[11] zum anderen von der „Damnation de Faust“ von Berlioz.
In „Mon Faust“ finden sich zahlreiche intertextuelle Bezüge zu anderen Werken. Valéry verarbeitet eine Fülle von bekannten literarischen Motiven, die er variiert und in einer für sein eigenes Denken charakteristischen Form abwandelt.[12] In „Lust. Das Fräulein von Kristall“ spielt Valéry beispielsweise häufig auf das Alte und das Neue Testament, auf Pascal, auf Baudelaire und auf Molière etc. an. Er parodiert das bekannte „Tout est dit“ aus Jean de La Bruyères „Caractères“[13], das er dem Schüler in der fünften Szene des dritten Aktes in den Mund legt (335), indem er bekannte Elemente neu kombiniert und originell umdeutet.
[...]
[1] Paul Valéry: Mein Faust. In: ders.: Werke. Frankfurter Ausgabe in 7 Bänden, Bd. 2: Dialoge und Theater, herausgegeben von Karl Alfred Blüher, Frankfurt am Main 1990.
[2] Johann Wolfgang von Goethe: Faust. Eine Tragödie./ Der Tragödie zweiter Teil in fünf Akten. In: ders.: Werke. Hamburger Ausgabe in 14 Bänden, Bd.3: Dramatische Dichtungen I, textkritisch durchgesehen und kommentiert von Erich Trunz, 16., überarbeitete Auflage, München 2000.
[3] PC Bibliothek: Meyers Lexikon. Das Wissen A-Z, Bibliographisches Institut & F.A. Brockhaus AG, Mannheim1993.
[4] Farbiges großes Volkslexikon in zwölf Bänden. Bibliographisches Institut AG, Mannheim 1981.
[5] Karl Alfred Blüher: Strategie des Geistes. Paul Valérys Faust, in: Fritz Schalk (Hg.): Analecta Romanica. Beihefte zu den romanischen Forschungen. Heft 10, Frankfurt am Main 1960, S. 19-20.
[6] A. Fabre-Luce: Discours de Méphisto. Préface Paul Valéry, Paris 1935, S.11.
[7] Seitenangaben in Klammern zitiert nach: Paul Valéry: Mein Faust. In: ders.: Werke. Frankfurter Ausgabe in 7 Bänden, Bd. 2: Dialoge und Theater, herausgegeben von Karl Alfred Blüher, Frankfurt am Main 1990.
[8] Franz Walter Müller: Studien zu Aufbau und Thematik von Paul Valérys »Mon Faust«. In: Die neueren Sprachen, Heft 3, Würzburg 1954, S. 253.
[9] Johann Spies (Hg.): Historia von D. Johann Fausten. Dem weitbeschreyten Zauberer und Schwarzkünstler, Frankfurt 1587.
[10] Hans Henning: Faust im zwanzigsten Jahrhundert. Ein Versuch, in: Faust Variationen: Beiträge zur Editionsgeschichte vom 16. bis zum 20. Jahrhundert, München 1993, S. 381.
[11] Gérard de Nerval: Les Deux Faust de Goethe. In: ders.: Œuvres complètes, Paris 1932.
[12] F.W. Müller: Studien zu Aufbau und Thematik von Paul Valérys »Mon Faust«.
[13] La Bruyère : Les caractères ou les moeurs de ce siècle. Paris 1854.
- Arbeit zitieren
- Christine Schwall (Autor:in), 2000, Paul Valèry - Mon Faust, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/3168