Verbesserung der motorischen Leistungsfähigkeit im Grundschulalter


Proyecto/Trabajo fin de carrera, 2012

70 Páginas, Calificación: 1,0


Extracto


Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

1 Einleitung

2 Theoretische Grundlagen
2.1 Motorik
2.2 Motorische Fähigkeiten und Fertigkeiten
2.3 Leistung und Leistungsfähigkeit
2.4 Motorische Tests
2.4.1 Gütekriterien
2.4.2 Taxonomie von Testaufgaben
2.4.3 Klassifikation von motorischen Tests
2.5 Motorische Entwicklung
2.5.1 Konzeptionen der motorischen Entwicklung
2.5.2 Systematik der Einflussfaktoren motorischer Entwicklung

3 Forschungs- und Diskussionsstand
3.1 Skizzierung der gegenwärtigen kindlichen Lebenswelt
3.1.1 Demographische Entwicklung
3.1.2 Ernährung
3.1.3 Medien
3.1.4 Sozialstrukturen
3.1.5 Urbanisierung und Verhäuslichung
3.2 Veränderungen der motorischen Leistungsfähigkeit von Grundschulkindern
3.3 Einflussfaktoren der motorischen Entwicklung
3.3.1 Personenebene
3.3.2 Handlungsebene
3.3.3 Mikroökologische Ebene
3.3.4 Makroökologische Ebene
3.3.5 Diskussion und Ausblick

4 Studien und Projekte zur Verbesserung der motorischen Leistungsfähigkeit
4.1 Studien und Projekte aus dem deutschsprachigen Raum
4.1.1 CHILT
4.1.2 Fit sein macht Schule
4.1.3 FITOC
4.1.4 KISS
4.2 Internationale Studien und Projekte
4.2.1 Interventionsstudie in Kroatien I
4.2.2 Interventionsstudie in Kroatien II
4.2.3 Interventionsstudie in Schweden
4.2.4 MIGI
4.3 Zusammenfassung und Ausblick

5 Entwicklung eines Sportprogramms zum Abbau motorischer Defizite
5.1 Vorüberlegungen
5.2 Koordinative Fähigkeiten
5.3 Sensomotorisches Training
5.4 Praktische Umsetzung des Sportprogramms
5.4.1 Allgemeine Organisation
5.4.2 Organisation einer Einheit

6 Schlussbemerkungen

Abbildungsverzeichnis

Abb. 1. Differenzierung motorischer Fähigkeiten

Abb. 2. Taxonomie sportmotorischer Testaufgaben

Abb. 3. Operationalisiertes Rahmenmodell zu den Korrelaten der motorischen Leistungsfähigkeit im Kindes- und Jugendalter

Abb. 4. Therapiebausteine und Ablauf der Akut- und Follow-up-Phase des FITOC Programms

Abb. 5. Timeline MIGI

Abb. 6. Koordinative Anforderungskategorien: Informationsanforderungen und Druckbedingungen

Tabellenverzeichnis

Tab. 1. Differenzierung des motorischen Gegenstandsbereiches in Fähigkeiten und Fertigkeiten

Tab. 2. Testgütekriterien

Tab. 3. Beschreibung von sechs motorischen Tests

Tab. 4. Metatheoretische Entwicklungskonzeptionen

Tab. 5. Untersuchungen zur motorischen Leistungsfähigkeit von Kindern I

Tab. 6. Untersuchungen zur motorischen Leistungsfähigkeit von Kindern II

Tab. 7. Untersuchungen zur motorischen Leistungsfähigkeit von Kindern III

Tab. 8. Methodischer Aufbau eines sensomotorischen Trainings

Tab. 9. Hinweise zur Trainingsgestaltung auf Stufe B

Tab. 10. Organisation des Sportprogramms innerhalb eines Schuljahres

Tab. 11. Zeitlicher und inhaltlicher Ablauf einer Einheit

1 Einleitung

In der deutschen Medienlandschaft tauchten in den letzten Jahren immer wieder Berichte über die motorische Leistungsfähigkeit heutiger Kinder im Vergleich zu früheren Generationen auf. Die Aussagen sind dabei häufig negativ geprägt. So liest man beispielsweise in den Schlagzeilen „Viele Kinder haben schlechte Ausdauer“ (N24.de, 2010), „Kinder heute ungeschickter“ (N-tv.de, 2009) oder „Die motorischen Fähigkeiten deutscher Kinder haben sich drastisch verschlechtert“ (Zeit Online, 2002). Untermauert werden die Aussagen in den Artikeln durch befragte Ärzte oder Sportpädagogen sowie wissenschaftliche Studien. In den Begründungen, welche Faktoren zu der schlechten sportlichen Entwicklung geführt hätten, ist man sich weitestgehend einig und nennt folgende Punkte: zu wenig Bewegung, zu langes Sitzen, falsche Ernährung, eingeschränkte Bewegungswelt, verkümmerte Sinnentwicklung, zu hoher Medienkonsum (Focus Online, 2008; N24.de, 2010; N-tv.de, 2009; Stern.de, 2003; Zeit Online, 2002).

Brettschneider (2000) und Emrich (2004) kritisieren in den Fachzeitschriften „Sportunterricht“ und „Deutsche Zeitschrift für Sportmedizin“ diese ihrer Meinung nach einseitige und undifferenzierte Berichterstattung seitens der Medien und fordern mehr Seriosität in dem Umgang mit dem Thema:

Glaubt man der aktuellen medialen Berichterstattung, dann wimmelt es auf den Straßen und Schulhöfen nur so von körperlichen Wracks und motorisch unterentwickelten Kindern. Magazine, Fernsehberichte und Zeitungen übertreffen sich in der Entwicklung von Horrorszenarien. Und da es in Deutschland eine systematische Sozialberichterstattung [] z. T. aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht gibt, blüht die Spekulation. Es bleiben miteinander unvergleichbare Einzelanalysen. Theoretische Ansätze werden dort kaum berichtet, die referierten Befunde sind uneinheitlich und nicht selten widersprüchlich, die Datenquellen bleiben zumeist diffus. Sportmediziner und auch Sportpädagogen sind nicht ganz unschuldig an der Situation, helfen solche dramatisierten Defizitanalysen doch - auch wenn sie nicht haltbar sind -, die Bedeutsamkeit und Notwendigkeit der eigenen Zunft zu betonen. (Brettschneider, 2000, S. 340)

Die vorliegende Arbeit versucht der Aufforderung von Brettschneider (2000) und Emrich (2004) nachzukommen und ihr bei der Beantwortung von sechs zentralen Fragen gerecht zu werden, wobei der Untersuchungsschwerpunkt auf Kinder im Grundschulalter gelegt wird:

1. Wie sieht die heutige Lebenswelt von Grundschulkindern aus? (3.1)
2. Wie haben sich die motorischen Fähigkeiten der in Deutschland lebenden Grundschulkinder in den letzten Jahrzehnten verändert? (3.2)
3. Welche Faktoren haben einen bedeutenden Einfluss auf die motorische Ent wicklung von Grundschulkindern? (3.3)
4. Welche Interventionsstudien/Projekte zur Verbesserung motorischer Fähigkei ten von Grundschulkindern gab/gibt es in Deutschland und international? (4)
5. Bestehen Zusammenhänge zwischen Unfallhäufigkeit und motorischen Defizi ten bei Grundschulkindern? (5.1)
6. Wie könnte ein geeignetes Sportprogramm aussehen, welches gezielt motori sche Defizite bei Grundschulkindern abbauen will? (5)

Der Erläuterung der theoretischen Grundlagen im zweiten Kapitel, schließt sich eine sukzessive Beantwortung der Fragen an. Das sechste Kapitel gibt eine abschließende Zusammenfassung der Arbeit und weiterführende Gedanken wieder.

2 Theoretische Grundlagen

Dieses Kapitel behandelt die theoretischen Aspekte zu folgenden Schwerpunkten: Motorik (2.1), motorische Fähigkeiten und Fertigkeiten (2.2), Leistung und Leistungsfähigkeit (2.3), motorische Tests (2.4) und motorische Entwicklung (2.5). Allzu extensive Diskurse werden jedoch verkürzt dargestellt und durch weiterführende Literaturhinweise ergänzt.

2.1 Motorik

Der Begriff „Motorik“ (engl.: motor system) stellt im Allgemeinen einen zentralen Begriff der Sportwissenschaft und im Besonderen einen der Bewegungslehre des Sports dar (Bös & Mechling, 1992; Wirszing, 2007). In Bezug auf Bös und Mechling (1992) wird nach Singer und Bös (1994) Motorik als „die Gesamtheit aller Steuerungs- und Funktionsprozesse verstanden, die Haltung und Bewegung zugrundeliegen“ (S. 15). Ein wichtiger Aspekt dabei ist die eindeutige Unterscheidung „von 'Motorik' als [] Gesamtheit aller Steuerungs- und Funktionsprozesse einerseits und ihrem vielfältigen Ergebnis, der 'Haltung und Bewegung' andererseits“ (Singer & Bös, 1994, S. 15). Neben dieser Differenzierung liegen weitere Begriffssysteme in der Literatur vor, bei denen jeweils andere Akzente gesetzt werden (Singer & Bös, 1994; Wagner, 2011; Willimczik & Singer, 2009). Der Begriff „Neuromotorik“ verweist beispielweise „auf die neurophysiologischen Grundlagen von Bewegung und Haltung, während im Begriff ‚Sensomotorik‘ auf die Wechselwirkung sensorischer und motorischer Vorgänge [] abgehoben wird. Die Begriffswahl ‚Psychomotorik‘ will deutlich machen, dass für die Koordination von Bewegungen höhere psychische Vorgänge erforderlich sind“ (Willimczik & Singer, 2009, S. 17).

Generell unterscheidet die Motorik- und Bewegungsforschung zwischen verschiedenen Ansätzen und Betrachtungsweisen (Bös & Mechling, 1983; Roth & Willimczik, 1999). Grundlage dieser Arbeit ist die fähigkeitsorientierte Betrachtungsweise. Diese „befaßt sich mit der Beschreibung und Erklärung von individuellen motorischen Leistungsdifferenzen. Sie ist wissenschaftshistorisch aus einer Übernahme der zentralen Gedanken und Methoden der Differentiellen Psychologie entstanden“ (Roth, 1999, S. 228).

2.2 Motorische Fähigkeiten und Fertigkeiten

Nach Hirtz (2003a) kann eine Fähigkeit (engl.: ability) allgemein als eine „relativ verfestigte, mehr oder weniger generalisierte individuelle Voraussetzung bzw. Disposition zum Vollzug bestimmter Tätigkeiten, Handlungen und Leistungen [angesehen werden]“ (S. 188). Hinsichtlich der motorischen Fähigkeiten werden in der Literatur verschiedene Systematisierungsansätze diskutiert (Bös & Mechling, 1983; Roth, 1999). Abbildung 1 zeigt die Differenzierung nach Bös (1987), welche in der Sportwissenschaft nachhaltige Verwendung findet (u. a. Bös, Worth, Opper, Oberger & Woll, 2009; Nobis, Lohmann & Noack, 2009; Wagner, 2011) und fortan weiteren Darstellungen als Grundlage dienen soll.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 1. Differenzierung motorischer Fähigkeiten (nach Bös, 1987, S. 94)

Auf der ersten Einteilungsebene werden die motorischen Fähigkeiten nach energetisch determinierten (konditionellen) und informationsorientierten (koordinativen) Fähigkeiten eingeteilt. Nachfolgend werden auf der zweiten Ebene die häufig in der Literatur zu findenden Grundeigenschaften Ausdauer, Kraft, Schnelligkeit, Koordination und Beweglichkeit unterschieden (Beck & Bös, 1995; Bös, 1987; Wagner 2011). Schnelligkeit und Beweglichkeit können dabei als komplex angelegte Kategorien weder dem konditionellen noch dem koordinativen Spektrum eindeutig zugeordnet werden (Beck & Bös, 1995). Die auf der letzten Abstraktionsebene genannten zehn Fähigkeiten (AA - aerobe Ausdauer, AnA - anaerobe Ausdauer, KA - Kraftausdauer, MK - Maximalkraft, SK - Schnellkraft, AS - Aktionsschnelligkeit, RS - Reaktionsschnelligkeit, KZ - Koordination unter Zeitdruck, KP - Koordination bei Präzisionsaufgaben, B - Beweglichkeit) charakterisieren Bös, Tittlbach, Pfeifer, Stoll und Woll (2001b) „als Bausteine bzw. Dimensionen der allgemeinen körperlichen Leistungsfähigkeit“ (S. 2). Für eine detailliertere Erläuterung der Abbildung 1 sei auf Bös (1987, S. 93 ff.) sowie Nobis et al. (2009, S. 10 ff.) verwiesen.

Als eine Fertigkeit (engl.: skill) beschreibt Hirtz (2003b) eine durch „Wiederholung und Übung mehr oder weniger stark automatisierte Komponente einer Tätigkeit oder Handlung“ (S. 196). Motorische Fertigkeiten untergliedert man ferner in Basisfertigkeiten (z. B. laufen, springen, werfen) und komplexe Fertigkeiten (z. B. dribbeln, klettern, schwimmen) (Bös et al., 2001b). Daraus ergibt sich die in Tabelle 1 dargestellte Differenzierung:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tab. 1. Differenzierung des motorischen Gegenstandsbereiches in Fähigkeiten und Fertigkeiten (nach Bös et al., 2001b, S. 4)

„Mit dieser Differenzierung von Fähigkeiten und Fertigkeiten wird getrennt zwischen der Gesamtheit aller Steuerungs- und Funktionsprozesse (Motorikebene) einerseits und ihren vielfältigen Ergebnissen (Bewegungsebene) andererseits“ (Bös et al., 2001b, S. 4).

2.3 Leistung und Leistungsfähigkeit

Der Begriff „Leistung“ hat je nach Sichtweise sehr unterschiedliche Ausprägungen (Hahn, 1992a). Den sportlichen Leistungsbegriff definiert Hahn (1992a) wie folgt: „Unter L. wird sowohl der Vorgang als auch das Ergebnis von Handlungen verstanden. Vielfach werden auch die Anforderungen, die an jemanden gestellt werden, als L. bezeichnet“ (S. 274). Der deutsche Leistungsbegriff unterscheidet nicht nach deskriptiven und normativen Betrachtungsweisen - im englischen Sprachgebrauch ist das jedoch anders, denn dort benennt man das reine Handlungsresultat mit dem Wort „performance“ - unter einem normativen Blickwinkel wird der Begriff „achievement“ gebraucht. Hierbei wird das Handlungsresultat in Relation zu einem wissenschaftlich anerkannten Normativ gesetzt (Hahn, 1992a; Wagner, 2011).

Unter Leistungsfähigkeit versteht Mechling (1989) eine „potentielle personale Leistungs- voraussetzung, die es gestattet, konkrete Aufgaben und Leistungsanforderungen zu bewältigen“ (S. 241). Nach Hahn (1992b) ist das Potential der Leistungsfähigkeit eines Individuums abhängig vom Leistungspotential (Fähigkeiten, Begabung, Training), von der Stressresistenz in Bezug auf externe Einflüsse und von der Regenerationsfähigkeit. Inwieweit das maximale Potential der Leistungsfähigkeit in Form einer Leistung zu einem bestimmten Zeitpunkt erbracht werden kann, hängt ferner „stark von der Leistungsbereitschaft, dem augenblicklichen Leistungszustand und dem Grad der psychologischen Gesundheit ab“ (Hahn, 1992b, S. 278).

2.4 Motorische Tests

Bös (2009) bezeichnet motorische Fähigkeiten als „latente Konstrukte, die nicht direkt der Beobachtung zugänglich sind, sondern aus beobachtbaren Indikatoren erschlossen werden“ (S. 14). Die Messung von motorischen Fähigkeiten muss demnach immer auf der Ebene der motorischen Fertigkeiten realisiert werden, denn diese sind beobachtbar und fungieren als Indikatoren für den Rückschluss auf die motorischen Fähigkeiten (Beck & Bös 1995; Bös, 2009; Bös et al. 2001b). Für die Messung motorischer Fähigkeiten bzw. der motorischen Leistungsfähigkeit stehen motorische Tests zur Verfügung. Der Begriff „motorische Tests“ wird nach Bös, Pfeifer, Stoll, Tittlbach und Woll (2001a) folgendermaßen definiert:

Motorische Tests sind wissenschaftliche Routineverfahren zur Untersuchung eines oder mehrerer theoretisch definierbarer und empirisch abgrenzbarer Persönlichkeitsmerkmale. Gegenstandsbereiche sind das individuelle, allgemeine und spezielle motorische Fähigkeitsniveau. Ziel ist eine möglichst quantitative Aussage über den relativen Grad der individuellen Merkmalsausprägung. Tests müssen unter Standardbedingungen durchgeführt werden und den statistischen Gütekriterien des jeweiligen testtheoretischen Modells genügen. (S. 533)

Die nachfolgenden Abschnitte liefern testtheoretische Grundlagen und Praxisbeispiele. Weiterführende Literatur findet man in Bös (1987, 2001), Roth (1999) sowie Singer und Willimczik (2002).

2.4.1 Gütekriterien

Bös et al. (2001a) unterscheiden bei den Gütekriterien in Haupt- und Nebengütekriterien. Erstere sind dabei unentbehrlich für die motorischen Tests, während die Bedeutung der Nebengütekriterien „in Abhängigkeit von Testzielen und Anwendungsinteressen unterschiedlich sein kann“ (Bös et al., 2001a, S. 545). Einen Überblick über die verschiedenen Kriterien gibt nachfolgend Tabelle 2:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tab. 2. Testgütekriterien (nach Bös et al., 2001a, S. 545)

2.4.2 Taxonomie von Testaufgaben

In der Taxonomie von möglichen Testaufgaben nimmt Bös (1987) eine dreidimensionale Einteilung vor (siehe Abbildung 2). Die erste Dimension ist die Fähigkeitsstruktur, welche die in Abschnitt 2.2 eingeführte Differenzierung der motorischen Fähigkeiten beinhaltet. Die Aufgabenstruktur ist die zweite Dimension. Sie beinhaltet die motorischen Fertigkeiten, die in Tätigkeiten ohne Ortsveränderung (Körperhaltung, isometrische Muskelkontraktion), Tätigkeiten mit Teilkörperbewegung (getrennt nach OE - Obere Extremitäten, R Rumpf, UE - Untere Extremitäten) und Tätigkeiten mit Ortsveränderung, sogenannte Lokomotionsbewegungen (Sprünge, Läufe und Gehen) untergliedert werden (Bös, 1987; Bös, 2009; Wagner 2011). Die letzte Dimension ist die Struktur der Handlungsumgebung. Die entsprechende Handlungssituation kann als geschlossen oder offen beschrieben werden. Unabhängig von der Wahl der Handlungssituation können Testaufgaben mit Gerät bzw. mit Gerätmanipulation und ohne Gerät durchgeführt werden. Keine Berücksichtigung finden die „psychischen Strukturen wie z.B. die Bewertung von Situationen und Bedeutungszuschreibungen, die zu einer Beeinflussung der Antriebspotenzen führen und damit entscheidenden Einfluss auf die Handlungsregulation besitzen können“ (Bös, 1987, S. 105).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 2. Taxonomie sportmotorischer Testaufgaben (nach Bös, 1987, S. 103)

Aufgrund dieser Taxonomie hat man 10 x 9 x 6 = 540 Aufgabentypen zur Auswahl. Da diese Anzahl für die Praxis ungeeignet ist, bedient man sich einer Reduktion. Wagner (2011) spricht über die Struktur der Handlungsumgebung „von untergeordneter Bedeutsamkeit, wenn es gelingt die äußeren Bedingungen der Testdurchführung konstant zu halten“ (S. 37). Diese Dimension entfällt somit oftmals. Auch in der Fähigkeitsstruktur und Aufgabenstruktur reduziert sich die Anzahl der zu differenzierenden Aspekte. Dies geschieht jedoch variabel und ist dabei abhängig von begründeten Testzielen des Forschers bzw. der Forschergruppe oder vorherrschenden Rahmenbedingungen der durchzuführenden Studie (u. a. Bös, 1987; Bös, 2009; Bös et al., 2001b).

2.4.3 Klassifikation von motorischen Tests

In der Klassifikation motorischer Tests nach Testumfang und Testdimensionalität werden Einzeltests, Testprofile und Testbatterien gegeneinander abgegrenzt (Bös et al., 2001b). Das Ziel eines Einzeltests besteht in der Erfassung genau eines motorischen Konstrukts (z.B. Maximalkraft der oberen Extremitäten). Testprofile und Testbatterien enthalten mehrere Einzeltests. „Die Begriffsbezeichnung ‚Testprofil‘ macht deutlich, daß es sich dabei um einen komplexen (mehrdimensionalen) Merkmalsbereich handelt“ (Bös et al., 2001b, S. 5). Eine Testbatterie hingegen beinhaltet eine Zusammenstellung homogener Einzeltests (Bös et al., 2001b). Ungeachtet dieser Klassifikation sollte eine sinnvolle Einschränkung des Gültigkeitsbereichs (Geschlecht, Alter, Zielgruppe) erfolgen (Bös et al. 2001a). Einen Überblick über die verschiedenen motorischen Tests und ihre Testaufgaben geben Beck und Bös (1995), Bös (1987, 2001, 2003) und Roth (1999). Die motorischen Tests, welche in dieser Arbeit vorrangig Beachtung finden, sind in der Tabelle 3 umfassend dargestellt.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tab. 3. Beschreibung von sechs motorischen Tests

2.5 Motorische Entwicklung

Die Begriffe „Entwicklung“ (engl.: development) und „motorische Entwicklung“ (engl.: motor development) werden in der Literatur vielfach diskutiert (Singer & Bös, 1994; Willimczik, 1983). Grundlage dieser Arbeit bildet die Definition von Scheid (2003). Für ihn ist Entwicklung „die durch endogene und/oder exogene Einflüsse hervorgerufene lebenslange Veränderung psychischer und physischer Merkmale. Motorische E. bezieht sich auf einen Persönlichkeitsbereich und umfasst die lebenslangen Veränderungen somatischer Merkmale, konditioneller und koordinative Fähigkeiten sowie fundamentaler, elementarer und sportbezogener Bewegungsfertigkeiten“ (S. 169).

2.5.1 Konzeptionen der motorischen Entwicklung

Entwicklungskonzeptionen befassen sich mit drei grundlegenden Fragen (Baur, 1994):

1. Was verändert sich? Bestimmte Merkmale werden definiert und auf ihren Wandel hin beobachtet.
2. Wie vollzieht sich die Entwicklung? Die quantitativen oder qualitativen, kontinuier lichen oder diskontinuierlichen, reversiblen oder irreversiblen, progressiven oder regressiven Veränderungen der Merkmale werden beschrieben.
3. Wodurch kommen Veränderungen zustande? Endogene und Exogene Faktoren werden auf ihr Potential, Veränderungen herbeizuführen, beleuchtet.

Zur Theorie der motorischen Entwicklung findet man bei Baur (1994) vier verschiedene Typen von Entwicklungskonzeptionen, welche in Tabelle 4 dargestellt werden.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tab. 4. Metatheoretische Entwicklungskonzeptionen (nach Baur, 1994, S. 30)

„Die biogenetischen Konzeptionen in der Sportwissenschaft verstehen die Entwicklung der Motorik als maßgeblich genetisch determinierte Abfolge ‚natürlicher‘ Wachstums- und Reifungsprozesse, die sich phasenweise vollziehen“ (Wirszing, 2007, S. 17). Die Abfolge der Phasen ist dabei irreversibel und die Entwicklung aller Menschen verläuft universell (Baur, 1994; Wirszing, 2007). Hauptkritikpunkte dieser Konzeptionen sind die fehlende Einbindung der exogenen Faktoren und die Einteilung der Entwicklung in Phasen, welche interindividuelle Unterschiede vernachlässigen (Baur, 1994; Nobis et al. 2009).

„Strukturgenetische Entwicklungskonzeptionen [mit Piaget als Hauptvertreter] gehen von der Eigenaktivität der Person als eines lebenden Systems aus, das sich aufgrund dieser Aktivität selbst (weiter)entwickelt“ (Baur, 1994, S. 33). Die Entwicklung vollzieht sich dabei in sequentieller Wechselwirkung durch Adaption an die Umwelt und die damit verbundene Ausbildung personaler Strukturen. Das Ziel ist dabei immer das Gleichgewicht zwischen den Anforderungen der Umwelt und der selbst erworbenen personalen Struktur herzustellen (Baur, 1994; Nobis et al., 2009). Kritikpunkte bei diesen Konzeptionen sind die abermalige Einteilung des Entwicklungsverlaufs in Phasen, die Wahrnehmung der Umwelt als passive Komponente sowie das Ausklammern der endogenen Faktoren (Baur, 1994; Nobis et al., 2009; Wirszing, 2007).

„Der gemeinsame Annahmekern umweltdeterministischer Entwicklungskonzeptionen besteht darin, daß die Entwicklung der Person durch die Umwelt gesteuert werde. [.] Die Entwicklung der Person ist das Ergebnis der Summe vielfältiger Umwelteinflüsse“ (Baur, 1994, S. 38). Kritisch zu hinterfragen ist die Akzentuierung auf exogene Faktoren, welche in diesem Fall mit einer ausgeprägten Vernachlässigung der endogenen Faktoren einher geht (Baur, 1994; Nobis et al., 2009; Wirszing, 2007).

„Die interaktionistischen Konzeptionen umfassen handlungstheoretische, ökologische und dialektische Ansätze, denen trotz deutlicher Unterschiede die Ansicht gemeinsam ist, dass sich Menschen über ihr Handeln entwickeln. Dieses Handeln vollzieht sich in der Interaktion von Person und Umwelt“ (Wirszing, 2007, S. 18). Entwicklung stellt sich somit hier als ein Veränderungsprozess des aktiv mitgestaltenden Individuums dar, auf das sowohl exogene wie auch endogene Faktoren einwirken (Baur 1994; Willimczik, 1983; Wirszing, 2007). Seit den 1980er Jahren gewinnen diese Konzeptionen zunehmend an Bedeutung, da sie „die 'gegensätzlichen' Einseitigkeiten biogenetischer und umweltdeterministischer Konzeptionen überwinden und ihnen zudem strukturgenetische Elemente nicht fremd bleiben müssen“ (Baur, 1994, S. 45). Abschließend anzumerken ist, dass in dieser Arbeit die motorische Entwicklung unter einer interaktionistischen Perspektive verstanden wird.

2.5.2 Systematik der Einflussfaktoren motorischer Entwicklung

Durch die in interaktionistischen Konzeptionen festgelegte Einflusswirkung von endogenen und exogenen Faktoren auf die motorische Entwicklung, können jene beiden als Ausgangspunkte eines jeden Systematisierungsversuchs betrachtet werden (Willimczik, 1983; Wirszing, 2007). Stellt man sich den Menschen als ein beliebiges Gefäß vor, so bildet das durch endogene Faktoren bestimmte Volumen das maximale Potential der jeweiligen motorischen Entwicklung des Individuums ab. Mit wie viel Flüssigkeit das Gefäß jedoch gefüllt und ob das Maximum erreicht wird, darüber entscheiden die exogenen Faktoren, welche in Wechselwirkung mit dem Individuum stehen. In der Systematisierung der verschiedenen Einflussfaktoren findet man eine Reihe verschiedener Ansätze (Baur, Bös, Conzelmann & Singer, 2009; Singer & Bös, 1994; Willimczik, 1983; Wirszing, 2007). Eine sinnvolle, aktuelle und für empirische Studien geeignete stellt Wagner (2011) vor. Abbildung 3 gibt einen grafischen Überblick über die Systematisierung:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 3. Operationalisiertes Rahmenmodell zu den Korrelaten der motorischen Leistungsfähigkeit im Kin des- und Jugendalter (nach Wagner, 2011, S. 68)

Wagner (2011) berücksichtigt bei der Begründung von interindividuellen Differenzen in Bezug auf die motorische Entwicklung drei Modellebenen (siehe Abbildung 3).

Die Personenebene beinhaltet die motorischen Beschreibungskategorien (Zielvariablen), den Body-Mass-Index (BMI), das Interesse am Sport (psychische Komponente), das Alter und das Geschlecht. Der BMI wird dabei als eine konstitutionelle Komponente verstanden, die sich aus dem Quotienten des Körpergewichts in Kilogramm und quadrierter Körpergröße in Metern zusammensetzt. „Die Klassifikation des körperhöhen adäquaten Gewichts erfolgt i. d. R. perzentilbasiert anhand der Normstichproben“ (Wagner, 2011, S. 46). Diese findet man aktuell in Kromeyer-Hauschild (2005), Kromeyer-Hauschild et al. (2001) und Rolland-Cachera et al. (1991).

Auf der Handlungsebene befinden sich nach Wagner (2011) die Alltagsaktivität, Freizeitaktivität, Schulaktivität und Vereinsaktivität. Das Ausmaß an körperlich-sportlicher Aktivität der Person wird durch diese Variablen wiedergegeben.

Die dritte und vierte Ebene beziehen sich auf die personale Umwelt des Individuums. Wagner (2011) unterscheidet hierbei nach mikro- und makroökologischen Einflüssen. Die mikroökologischen Einflüsse bestehen aus mittelbaren und unmittelbaren Faktoren des sozialen Umfeldes. Mittelbare Faktoren beziehen sich auf die Verfügbarkeit von Geräten und Sportstätten, unmittelbare hingegen betreffen die sportliche Aktivität der Bezugspersonen.

Bei den makroökologischen Einflüssen tauchen die Variablen Sozialstatus, Wohnort, Migrationsstatus und Bildungsniveau auf (Wagner, 2011). Die Beschreibung der Systematisierung von innen nach außen ist damit ausreichend vollzogen worden und wird mit dem Hinweis, dass die einzelnen Variablen immer in Wechselwirkung mit anderen stehen können, an dieser Stelle beendet.

[...]

Final del extracto de 70 páginas

Detalles

Título
Verbesserung der motorischen Leistungsfähigkeit im Grundschulalter
Universidad
University of Rostock  (Institut für Präventivmedizin)
Calificación
1,0
Autor
Año
2012
Páginas
70
No. de catálogo
V316328
ISBN (Ebook)
9783668155183
ISBN (Libro)
9783668155190
Tamaño de fichero
2209 KB
Idioma
Alemán
Palabras clave
verbesserung, leistungsfähigkeit, grundschulalter
Citar trabajo
Stefan Kalweit (Autor), 2012, Verbesserung der motorischen Leistungsfähigkeit im Grundschulalter, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/316328

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