Das Wort "Talmud" leitet sich von der hebräischen Verbwurzel für "lernen" ab und bedeutet "Lehre; Studium". Der Talmud ist neben der Thora, den ersten fünf Büchern der hebräischen Bibel, die wichtigste Quelle der jüdischen Religion.
Nach orthodox-jüdischem Glauben erhielt Mose am Sinai von Gott nicht nur die "fünf Bücher Mose", die schriftliche Thora, die wir aus der hebräischen Bibel kennen, sondern auch ergänzende Erläuterungen und Ausführungsbestimmungen hierzu, die sogenannte "mündliche Thora", oder auch "zweite Thora". Die mündliche Überlieferung wurde gemäß dieser jüdischen Lehrtradition von Mose an seine Nachfolger und Schüler weitergegeben, und diese gaben sie wiederum an ihre Schüler weiter, und so fort, als äußeres Zeichen symbolisiert durch die "Semicha" = "Handauflegung".
Inhaltsverzeichnis
1. Begriffserklärung
2. Theologischer Hintergrund: Eine „zweite Thora“
3. Zum inneren Aufbau: Die 6 Ordnungen der Mischna und die Gemara
4. Zwei Kommentarsammlungen: Der „Jerusalemer“ und der „Babylonische Talmud“
5. Inhalt und Bedeutung für das Judentum
6. Literaturangaben
Anhang: Abbildung Talmudseite
1. Begriffserklärung
Das Wort "dwmlt" (Talmud) leitet sich von der hebräischen Verbwurzel d-m-l (lernen) ab und bedeutet "Lehre; Studium". Der Talmud ist neben der Thora, den ersten fünf Büchern der hebräischen Bibel, die wichtigste Quelle der jüdischen Religion.
2. Theologischer Hintergrund: Eine „zweite Thora“
Nach orthodox-jüdischem Glauben erhielt Mose am Sinai von Gott nicht nur die "fünf Bücher Mose", die schriftliche Thora ("hrwt" bedeutet "Lehre, Unterweisung; Gesetz"), die wir aus der hebräischen Bibel kennen, sondern auch ergänzende Erläuterungen und Ausführungs-bestimmungen hierzu, die sogenannte "mündliche Thora", oder auch "zweite Thora". Die mündliche Überlieferung wurde gemäß dieser jüdischen Lehrtradition von Mose an seine Nachfolger und Schüler weitergegeben, und diese gaben sie wiederum an ihre Schüler weiter, und so fort, als äußeres Zeichen symbolisiert durch die "hkyms" (Semicha = "Handauflegung", rabbinische Ordination; vgl. Num 27,15-23; Dtn 34,9).
Diese zweite Thora wurde, so besagt es die Tradition weiter, durch die Propheten und Lehrer Israels stets mündlich überliefert (eine Verschriftlichung galt als nicht statthaft) und innerhalb der sich im Frühjudentum herausbildenden pharisäischen Richtung bewahrt, deren spirituelle Führer den Ehrentitel "Rabbi" trugen ("ybr"= "[mein] Meister, Lehrer"), weswegen es heute auch "rabbinisches Judentum" genannt wird. (Die sadduzäische Tempelaristokratie erkannte allein die schriftliche Thora als kanonisch und verbindlich an, daher eine Reihe von Konflikten zwischen Pharisäern und Sadduzäern, die sich zum Teil auch im NT wiederspiegeln, vgl. z.B. Apg 23,6-10.)
3. Zum inneren Aufbau: Die 6 Ordnungen der Mischna und die Gemara
Nach dem Fall des Zweiten Tempels im Jahre 70 und der Verwüstung Jerusalems durch die Römer im Jahre 135 unserer Zeitrechnung drohte dieses mündlich überlieferte Wissen jedoch verlorenzugehen. Das kulturelle und geistige Zentrum Israels lag in Trümmern, und das jüdische Volk wurde in die Verbannung geschickt. Darum machten sich in Jawneh (Jabne) in Palästina unter Rabbi Jochanan Ben Sakkai, sowie in den großen jüdischen Gemeinden Babylons unter Raw Abba Arikha u.v.a. die großen Gelehrten des rabbinischen (pharisäischen) Judentums daran, die mündlichen Traditionen Israels zu sammeln, entgegen allen Bedenken schriftlich zu fixieren und zu systematisieren. Diese zusammengetragenen religionsgesetzlichen Überlieferungen des jüdischen Volkes bildeten die Mischna ("hnvm", auf Dt.: "Wiederholung"), den inneren Kern des Talmuds.
Die Mischna wurde in sechs Ordnungen eingeteilt und umfaßt insgesamt 63 Traktate. Die Traktate sind wiederum in Kapitel und Lehrsätze unterteilt. Die sechs Ordnungen der Mischna lauten:
I. זרעים(Seraim = Saaten) – Vorschriften zur Landwirtschaft II. מועד(Moed = Festzeit) – Gebete und Gesetze zu Fest- und Feiertagen III. נשים(Naschim = Frauen) – Ehe- und Familiengesetzgebung IV. נזיקין(Nesikin = Schädigung) – Zivil- und Strafrecht V. קדשים(Kodaschim = Heilige Dinge) – Opfer- und Schlachtbestimmungen VI. טהרות(Toharot = Taugliche Dinge) – vielgestaltige Reinheitsbestimmungen
Nach der schriftlichen Sicherung der Mischna im 2. Jahrhundert. u.Z. begannen die versammelten rabbinischen Gelehrten mit eingehenden Analysen, teilweise recht kontroversen Diskussionen und diversen Kommentaren zur Mischna, und auch dieser Vorgang wurde bis ins Detail protokolliert und gesammelt. Diese Diskussionen und ihre anschließende Redaktion dauerten bis ins 4. und 5. Jh. u.Z. an, die Ergebnisse wurden dann als Gemara ("hrmg", dt. "Vollendung"; "Hinzufügung") der Mischna komplettierend hinzugefügt. Diese Zusammenfügung von Mischna und Gemara bildete schließlich den Talmud.
4. Zwei Kommentarsammlungen: Der „Jerusalemer“ und der „Babylonische Talmud“
Neben der einen Mischna wurden im Laufe der Zeit zwei unterschiedliche Kommentarsammlungen gebildet. So entstanden am Ende zwei verschiedene Werke an zwei verschiedenen Orten unabhängig voneinander, der Jerusalemer bzw. Palästinensische Talmud ("Talmud Jeruschalmi") mit der Jerusalemer Gemara, sowie der Babylonische Talmud ("Talmud Bawli") mit der Babylonischen Gemara. Der Babylonische Talmud ist wesentlich umfangreicher, genauer und sorgfältiger ausgearbeitet, auch wenn er unvollendet blieb, und so hat er sich letztlich als der autoritative Talmud durchgesetzt. Wenn wir heute von "Talmud" sprechen, dann meinen wir normalerweise den letzteren von beiden. Und fragt man einen orthodoxen oder konservativen Juden nach den Grundlagen seiner Religion, so wird er wahrscheinlich "Bibel und Bawli" antworten.
5. Inhalt und Bedeutung für das Judentum
Inhaltlich-thematisch wird in der umfangreichen talmudischen Literatur zwischen "Halacha" und "Aggada" (bzw. "Haggada") unterschieden. Halacha ("hklh", dt. "Wandel"; "Norm") bezeichnet den religionsgesetzlichen Teil der rabbinischen Überlieferung, der auf Verhaltensregeln abzielt, die das gesamte Leben der Gläubigen betreffen, und welcher oft streng und formalistisch gehalten ist. Die Aggada ("hdga", dt. "Verkündung; Erzählung" im allgemeinen Sinne) bzw. Haggada ("hdgh" meint eine einzelne, konkrete Erzählung) hingegen dient der Erbauung der Gläubigen, indem sie Legenden, Anekdoten, Aussprüche großer Persönlichkeiten (über)liefern, welche religiöses jüdisches Denken widerspiegeln, jedoch nicht als verbindliche Lehren betrachtet werden.
Der bekannte Judaist Günter Stemberger schreibt über den Babylonischen Talmud, er wirke fast wie eine Enzyklopädie: "Alles, was an rabbinischen Schulen gelehrt wurde und als erhaltenswert galt, wurde aufgenommen: neben die gesetzlichen Diskussionen treten vielerlei Legenden (z.B. über Totenerscheinungen), Anekdoten über Rabbinen, historische Erinnerungen, Wissensstoff aus Medizin, Biologie, Mathematik, Astronomie, Astrologie usw. So ist der Talmud weniger ein thematisch geschlossenes Buch als vielmehr eine im Aufbau an der Mischna orientierte Nationalbibliothek des babylonischen Judentums." (G. Stemberger: Der Talmud. Einführung, Texte, Erläuterungen. München ³1994, S. 46.)
Und Rabbi Adin Steinsaltz schreibt: "Der Talmud ist die Quelle jüdischer Weisheit von Tausenden von Jahren. Das mündliche Gesetz, das so alt und so bedeutsam wie das schriftliche Gesetz (Tora) ist, findet hier Ausdruck. Es ist ein Konglomerat von Gesetz, Legende und Philosophie, eine Mischung einzigartiger Logik, cleverem Pragmatismus, Geschichte und Wissenschaft, Anekdote und Humor."
(zit. nach: http://www.judentum-projekt.de/religion/talmud/index.html
Der Talmud stellt also schon aufgrund seines Umfangs von etwa 10.000 Druckseiten in 12 Bänden und seiner recht langen Entstehungszeit kein einheitliches Werk dar. Viele Juden verbringen ein ganzes Leben mit dem Studium des Talmuds, schulen daran ihren Intellekt, ihr Urteilsvermögen und ihren Glauben. Und noch nach Jahrzehnten des Studiums entdecken sie immer wieder neue Ansätze und Perspektiven, die zum Umdenken und Fortschreiten herausfordern.
6. Literaturangaben
Günter Stemberger: Einleitung in Talmud und Midrasch. München 81992.
Ders.: Der Talmud. Einführung, Texte, Erläuterungen. München ³1994
Roland Gradwohl: Was ist der Talmud? Einführung in die mündliche Tradition Israels. Stuttgart 41999.
Jonathan Magonet: Einführung ins Judentum.Berlin 2003.
Adin Steinsaltz: Talmud für Jedermann. Basel; Zürich ²1998.
Sowie Informationen von folgenden Web-Pages:
http://www.talmud.de/Talmud.htm
http://www.judentum-projekt.de/religion/talmud/index.html
http://de.wikipedia.org/wiki/Talmud
Anhang: Abbildung Talmudseite
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
„Babylonischer Talmud (Wilnaer Ausgabe): Beginn des Traktats „Berachoth“. In der Mitte die Mischna, ab Zeile 14 die Gemara (beginnend mit der hervorgehobenen Abkürzung „גמ“). Innen (hier: rechter Rand) der Kommentar von Raschi, außen (hier: linker Rand) spätere Kommentare.“
Zitatquelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Talmud (Text: Bildunterschrift)
Bildquelle: „First page of the first tractate of the Talmud (Daf Beis of Maseches Brachos)“ von www.talmud.de.
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Häufig gestellte Fragen
Was ist der Talmud?
Der Talmud ist neben der Thora die wichtigste Quelle der jüdischen Religion. Er leitet sich von der hebräischen Verbwurzel d-m-l (lernen) ab und bedeutet "Lehre; Studium".
Was ist der theologische Hintergrund des Talmuds?
Nach orthodox-jüdischem Glauben erhielt Mose am Sinai nicht nur die schriftliche Thora, sondern auch ergänzende Erläuterungen und Ausführungsbestimmungen hierzu, die sogenannte "mündliche Thora" oder auch "zweite Thora". Diese wurde mündlich überliefert und später verschriftlicht.
Wie ist der Talmud aufgebaut?
Der Talmud besteht aus der Mischna und der Gemara. Die Mischna enthält die religionsgesetzlichen Überlieferungen und ist in sechs Ordnungen eingeteilt: Seraim (Saaten), Moed (Festzeit), Naschim (Frauen), Nesikin (Schädigung), Kodaschim (Heilige Dinge) und Toharot (Taugliche Dinge). Die Gemara enthält Analysen, Diskussionen und Kommentare zur Mischna.
Welche zwei Kommentarsammlungen gibt es?
Es gibt den Jerusalemer bzw. Palästinensischen Talmud und den Babylonischen Talmud. Der Babylonische Talmud ist umfangreicher und gilt als der autoritative Talmud.
Was ist der Inhalt und die Bedeutung des Talmuds für das Judentum?
Der Talmud enthält Halacha (religionsgesetzliche Regeln) und Aggada (Erzählungen, Legenden). Die Halacha betrifft Verhaltensregeln, die Aggada dient der Erbauung. Der Talmud wird als eine Art Nationalbibliothek des babylonischen Judentums betrachtet, die Wissen aus verschiedenen Bereichen wie Medizin, Biologie, Mathematik, Astronomie und Astrologie enthält.
Wo finde ich weitere Informationen über den Talmud?
Weitere Informationen finden Sie in den folgenden Büchern: Günter Stemberger: Einleitung in Talmud und Midrasch; Günter Stemberger: Der Talmud. Einführung, Texte, Erläuterungen; Roland Gradwohl: Was ist der Talmud? Einführung in die mündliche Tradition Israels; Jonathan Magonet: Einführung ins Judentum; Adin Steinsaltz: Talmud für Jedermann. Sowie auf den Webseiten: http://www.talmud.de/Talmud.htm; http://www.judentum-projekt.de/religion/talmud/index.html; http://de.wikipedia.org/wiki/Talmud.
- Quote paper
- Frank Drescher (Author), 2005, Der Talmud: Die mündliche Überlieferung Israels, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/315241