Immer häufiger rücken freiheitsentziehende Sanktionen in den Fokus von Diskussionen und Reformgedanken. Ebenfalls wird die Idee des Besserungsgedankens im Rahmen der spezialpräventiven Bemühungen nach der Feststellung der Nachteile von Freiheitsstrafen von Bedeutung. So begrüßten die Gesetzgeber „alternative Sanktionen zur Freiheitsstrafe“.
Entkriminalisierungstendenzen der gesetzgeberischen Regelungen zeigten sich zuerst unter der bedingten Verurteilung, insbesondere unter dem angloamerikanischen Institut „probation“. Diese Art von Verurteilung ist einerseits spezialpräventiv ausgestaltet, indem während der Verhängung der Strafe der Ermessensspielraum des Tatrichters gilt. Andererseits hat sie ermöglicht, dem Täter eine Chance zu geben, sich wieder in die Gesellschaft zu integrieren. Somit steht das Grundprinzip der ultima ratio in der heutigen Gesellschaft im Vordergrund.
Ein Beispiel in der deutschen und türkischen Kriminalpolitik für diese materiellrechtliche und verfahrensrechtliche Entkriminalisierung ist die vorbehaltene Strafe bzw. die Aufschiebung des Urteils. Damit wird die Warnfunktion der Verurteilung einer Strafe in diesem Sinne ausreichend angesehen. So versuche ich in meiner Arbeit, dieses Rechtsinstitut unter dem geschichtlichen Wandel und im Lichte des deutschen und türkischen Rechts zu erläutern.
Vorwort
Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 2014 im Rahmen des LL.M. Programms „Kriminologie und Strafrechtspflege“ von der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität Greifswald als Masterarbeit angenommen. Für die Veröffentlichung wurde die Arbeit teilweise korrigiert bzw. verbessert sowie einige Darstellungen eingefügt.
Mein Dank gilt zunächst zu meinem Lehrer und Betreuer Prof. Dr. jur. Frieder Dünkel. Ohne seine wertvollen Vorlesungen, Veranstaltungen sowie Unterstützung wäre diese Arbeit kaum möglich geworden. Mein besonderer Dank gilt auch dem Ministerium für nationale Erziehung der Republik Türkei. Das Stipendium der türkischen Regierung ermöglichte mir, in Deutschland weiterzustudieren.
Ich möchte auch Frau Dr. jur. Joanna Grzywa-Holten, LL.M. als Sprechpartnerin während meines Studiums in Greifswald und als zweite Prüferin für ihre Unterstützung und Freundschaft danken. Ich möchte auch dem Grin-Verlag dafür danken, dass er sich Mühe gibt, die Wissenschaft zu stärken.
Schließlich möchte ich ganz herzlich meiner Familie danken. Ohne ihre Unterstützung wäre dieser wissenschaftliche Weg nicht möglich gewesen.
Saarbrücken, im Februar 2016
Semih Yumak
Inhaltsübersicht
Erster Teil: Einführung in das Thema
1. Einleitung 1
2. Strafzwecke 1
2.1 Sinn und Zweck der Strafe 1
2.1.1 Rechtssoziologischer Aspekt 1
2.1.2 Kriminologische Aspekte 3
2.1.3 Strafrechtswisenschaftlicher Aspekt 6
2.2 Straftheorien/Zwecktheorien 6
2.2.1 Absolute Theorie 7
2.2.2 Relative Theorien 9
2.2.2.1 Generalprävention 9
2.2.2.2 Spezialprävention 11
2.2.3 Vereinigungstheorien 13
2.3 Zwischenergebnisse im Lichte des deutschen und türkischen
Strafgesetzbuches 14
3. Geschichtliche Entwicklung des Rechtsinstituts 16
3.1 Bedingte Verurteilung 16
3.2 Probation 18
3.3. Sursis 20
3.4 Zwischenergebnis 21
Zweiter Teil: Eine Alternative Sanktion zum Freiheitsentzug im deutschen und im türkischen Recht: Die Verwarnung mit Strafvorbehalt (§§ 59 ff. StGB) und Der Aufschub der Verkündung des Urteils (Art. 231 türk. StPO)
1. Sanktionen in deutschem und in türkischem Recht 22
1.1 Sanktionen im Überblick 22
1.2 Ein Überblick zu Sanktionen nach deutschem Recht 23
1.3 Ein Überblick zu Sanktionen nach türkischem Recht 26
1.4 Dritte Spur: Wiedergutmachung? 29
2. Die Verwarnung mit Strafvorbehalt nach §§ 59 ff. StGB 32
2.1 Allgemeines 32
2.2 Formelle Voraussetzungen 34
2.2.1 Verwirkung zu einer Geldstrafe bis 180 Tagessätzen 34
2.3 Materielle Voraussetzungen 35
2.3.1 Positive Täterprognose 35
2.3.2 Vorliegen besonderer Umstände 36
2.3.3 Fehlen der Verteidigung der Rechtsordnung 37
2.4 Die Rechtsfolgen der Verwarnung 39
2.4.1 Obligatorische Bewährungszeit 39
2.4.2 Fakultative Auflagen 40
2.4.2.1 Schadenswiedergutmachung 41
2.4.2.2 Zahlungsauflagen 41
2.4.3 Fakultative Weisungen 42
2.4.3.1 Ausgleich mit dem Verletzten (Bemühung des
TOA) 42
2.4.3.2 Ambulante Maßnahmen 43
2.4.3.3 Sozialer Trainingskurs 43
2.4.3.4 Verkehrsunterricht 44
2.5 Prozessuales 44
2.5.1 Feststellung über das Bewenden (§ 59b Abs. 2) 44
2.5.2 Verurteilung zu der vorbehaltenen Strafe (§ 59b Abs. 1) 45
2.6 Reformbestrebungen, Entwicklungstendenz 46
2.7 Kriminalpolitische Zielsetzung 51
3. Der Aufschub der Verkündung des Urteils nach Art. 231 türk. StPO 53
3.1 Allgemeines 53
3.2 Formelle Voraussetzungen 55
3.2.1 Priorität des Täter-Opfer-Ausgleichs 55
3.2.2 Verurteilung zu einer Strafe bis 2 Jahre 55
3.3 Materielle Voraussetzungen 57
3.3.1 Fehlen der Vorbestrafung wegen vorsätzlicher Tat 57
3.3.2 Gute Kriminalprognose 57
3.3.3 Schadenswiedergutmachung 58
3.3.4 Zustimmung der Beschuldigte 59
3.4 Die Rechtsfolgen des Aufschubs des Urteils 59
3.4.1 Obligatorische Bewährungszeit 59
3.4.2 Fakultative Verpflichtungen 60
3.4.2.1 Teilnahme an einem Erziehungsprogramm 60
3.4.2.2 Arbeitspflicht gegen Vergütung 61
3.4.2.3 Andere Verpflichtungen 61
3.5 Prozessuales 62
3.5.1 Einstellung des Verfahrens 62
3.5.2 Verkündung der im Urteil vorbehaltene Strafe 63
3.6 Reformbestrebungen, Entwicklungstendenz 63
3.7 Kriminalpolitische Zielsetzung 65
Dritter Teil: Zusammenfassung und Ausblick 66
Literaturverzeichnis 69
Grafische Darstellungen
Grafische Darstellung 1: Struktur zu den Straftheorien 16
Grafische Darstellung 2: Kriminalsanktionen im deutschen Strafrecht 26
Grafische Darstellung 3: Kriminalsanktionen im türkischen Strafrecht 29
Grafische Darstellung 4: Die Voraussetzungen zur Verwarnung mit Strafvorbehalt 50
Grafische Darstellung 5: Prozessualer Ablauf der Verwarnung mit Strafvorbehalt 50
Grafische Darstellung 6: Die Rechtsfolgen der Verwarnung mit Strafvorbehalt 52
Grafische Darstellung 7: Formalle Voraussetzungen des Aufschiebs der Verkündung des Urteils 57
Grafische Darstellung 8: Materielle Voraussetzunden des Aufschubs der Verkündung des Urteils 61
Grafische Darstellung 9: Die Rechtsfolgen des Aufschubs des Urteils 62
Erster Teil: Einführung in das Thema
1. Einleitung
Immer häufiger rücken freiheitsentziehende Sanktionen in den Fokus von Diskussionen und Reformgedanken. Ebenfalls wird die Idee des Besserungsgedankens im Rahmen der spezialpräventiven Bemühungen nach der Feststellung der Nachteile von Freiheitsstrafen von Bedeutung. So begrüßten die Gesetzgeber alternative Sanktionen zur Freiheitsstrafe.
Entkriminalisierungstendenzen der gesetzgeberischen Regelungen zeigten sich zuerst unter der bedingten Verurteilung, insbesondere unter dem anglo- amerikanischen Institut probation. Diese Art von Verurteilung ist einerseits spezialpräventiv ausgestaltet, indem während der Verhängung der Strafe der Ermessensspielraum des Tatrichters gilt. Andererseits hat sie ermöglicht, dem Täter eine Chance zu geben, sich wieder in die Gesellschaft zu integrieren. Somit steht das Grundprinzip der ultima ratio in der heutigen Gesellschaft im Vordergrund.
Ein Beispiel in der deutschen und türkischen Kriminalpolitik für diese materiellrechtliche und verfahrensrechtliche Entkriminalisierung ist die vorbehaltene Strafe bzw. die Aufschiebung des Urteils. Damit wird die Warnfunktion der Verurteilung einer Strafe in diesem Sinne ausreichend angesehen. So versuche ich in meiner Arbeit, dieses Rechtsinstitut unter dem geschichtlichen Wandel und im Lichte des deutschen und türkischen Rechts zu erläutern.
2. Strafzwecke
2.1 Sinn und Zweck der Strafe
2.1.1 Rechtssoziologischer Aspekt
Die Beschreibung und Klassifizierung der Verhaltensordnungen, d.h. Verhaltensmuster, ist „eine zentrale Aufgabe der Soziologie“ und in diesem Sinne haben Sanktionen eine große Wirkung bei der Durchsetzung der Normen.
Als Hauptaufgabe des Rechts wird die Integration der Rechtsgemeinschaft verstanden.1 Das Wichtigste ist demnach, mit den Rechtsinstrumenten ein Zusammenleben in der Gesellschaft zu ermöglichen.2
Die Folgen der Anwendung der Rechtsinstrumente sind vielfach bzw. umstritten. Nach einer Auffassung dient die Sanktionen bei der Übereinstimmung und Akzeptanz von Normen {Anerkennungstheorien) und nach Weber ist der Glaube an die Legitimität der legalen Ordnung ein wichtiger Faktor der sozialen Integration {Befolgung des Normbefehls). Deshalb sind die Rechtsnormen zwangsweise durchzusetzen.3
Soweit die Normen vorhanden sind, handelt es sich sowohl um Verstöße als auch um Einhaltung der Normen.4 Wenn die Norm nicht eingehalten wird, so ist die Rechtsgemeinschaft mit deren Instrumenten {Rechtsstab5) zu reagieren, um die Validität der Norm als noch gültig erscheinen zu lassen. In diesem Fall geht es aber nur um negative vorgesehenen Sanktionen. Man geht davon aus, dass diese Sanktionen mit drei unterschiedlichen Funktionen ausgestattet sind: repressiv, restituirv, sozialpsychologisch.6
Die repressive Funktion nennt man künftige Bewirkung, also Spezialprävention bzw. Generalprävention. Die repressive Funktion der negativen Sanktionen wird entweder auf den Normenbrecher oder auf die Allgemeinheit ausgeübt. Als restitutive Funktion kommt eine Entschädigung und Genugtuung in Betracht {Vergeltungsfunktion). Mit Hilfe dieses Zweckes wird Rechtsgutverletzungen begegnet. Und als letztes, sozialpsychologisch, geht es um Bewältigung der sog. kognitiven Dissonanz (Befriedung). Dieser theoretische Ansatz ist empirisch bestätigt und geht davon aus, dass durch das wegen der verhängten Sanktion entstehende Gefühl „Aggressionsgefühle“ gegenüber dem Normverletzer beruhigt werden.7
Die Frage „Welches Verhalten ist eine Straftat?“ führt uns zum Kernbereich der Rechtssoziologie, weil es der Normierung durch den Gesetzgeber bedarf. Dies reagiert auf abweichendes Verhalten bzw. setzt auf sanktionsbewehrte Normen.8
Sanktionsnormen sind ein Mittel der Verhaltenssteuerung. Unmittelbares Ziel der Verhaltensteuerung ist die Schaffung bzw. Sicherung von Rechtssicherheit9 Das Recht hat auch die Aufgabe, künftige Konflikte durch juristisch gut bestimmte Rechtsnormen vorzubeugen.10
In der heutigen Gesellschaft gibt es keine Alternative zur sozialen Kontrolle, also jede Gesellschaft benötigt sie.11 Mittels sozialer Kontrolle weißjeder, woran er sich halten muss und welche Handlungen als Eingriff in der Freiheit, also Schutz der Rechtsgüter, zuungunsten der anderen bewertet werden. Da das gesamte System des Strafrechts mit den schärfsten Mitteln zur Beseitigung der Konflikte oder Vorbeugung solcher Handlungen ausgerichtet ist, spielt das Strafrecht eine zentrale Rolle bei der Erfüllung dieser Aufgabe.12 Deswegen bilden die gesetzlich vorgesehenen Strafen die Möglichkeit, eine stabile Ordnung und Freiheit zu gewährleisten, nämlich mit der Bestimmung bzw. Definition des abweichenden Verhaltens. Nach der Art und Intensität den Sanktionen wird alltägliche Sozialkontrolle gewährleistet.13
2.1.2 Kriminologische Aspekte
Im StGB wird normativ abweichendes Verhalten geregelt.14 Das heißt, dass die Strafrechtswissenschaft sich mit den normative Voraussetzungen und der Voraussetzungen der Strafbarkeit beschäftigt. Man kann im Lichte des StGB auf die Fragen „was verboten ist“ oder „was bestraft wird“ eingehen,15 indem man die Strafe als menschliches Verhalten, das durch Strafgesetz mit Strafe bedroht ist, versteht; so gerät das Thema Kriminalität in den Fokus der Aufmerksamkeit.
Kriminalität hat den Charakter, als ,,Werk und Spiegel der Gesellschaft. Die Inhalte der Kriminalität werden durch Normabweichung, Toleranz und Repressionsbedürftigkeit bestimmt.16
Die Handlungen, die unter dem strafrechtlichen Vorwurf stehen, und deren Ursachen sind der Kernbereich der Kriminologie.17 Man versucht die Ursachen der Kriminalität realistisch mittels empirischer Beobachtungen und Untersuchungen zu verstehen.18 Kriminologie will sich nicht nur im engeren Sinne mit Kriminalität befassen, sondern im weiteren Sinne die Kriminalität erforschen und beschreiben.19
Nach der Annahme des Phänomens Kriminalität versucht die Kriminologie Ursachen zu erfassen, um der Kriminalität bzw. der Primärabweichung vorzubeugen und um die Sekundärabweichung bzw. den Rückfall zu verhüten. Allerdings beschäftigt sich nicht nur die Kriminologie mit der Kriminalität und der Verbrechenskontrolle. Vor allem befasst sich auch die Strafrechtswissenschaft mit diesem Gegenstand, indem sie den theoretischen und normativen Weg weist.20
Kriminalitätsverhütung ist seit langer Zeit ein gesellschaftliches Ziel. Jedoch soll man politisch deutlich machen, das Ziel auf der Ebene des Rechtssystems zu erreichen. Deswegen kommt die ,,Kriminalpolitik“ ins Spiel.
Ob die Kriminalpolitik mit den Begriffen Justiz oder Rechtspolitik korreliert, ist umstritten. Nach Schwind unterscheidet man zur Abgrenzung von Strafrecht eine enge Auffassung und eine weite Auffassung von Kriminalpolitik. Im engen Sinn befasst sie sich mit Vorbeugung bzw. Bekämpfung von Verbrechen, und im weiten Sinn beschreibt sie alle präventiven Maßnahmen, die dem Gesellschaftsschutz zur Verfügung stehen. Also geht man davon aus, dass die wichtigsten Ziele der Kriminalpolitik stets Verhütung und Bekämpfung des Verbrechens zum Gesellschafts- und Bürgerschutz sind.21 Zum anderen befasst die Kriminalpolitik sich mit Kontrolle (Kontrollpolitik) und Prävention (Präventionspolitik) und diese Begriffe werden durch das Strafrecht bestimmt.22 Letztendlich erscheint die Kriminalpolitik als Teil der strafrechtlichen sozialen Kontrolle.23
Die strafrechtliche Sozialkontrolle bewegt sich dynamisch mit anderen staatlichen Organen.24 Dementsprechend werden die Strafrechtstheorien ausführlich mit Hilfe kriminologischer Einsichten erörtert.25 In diesem Rahmen unterscheidet man Verbrechens- und Straftheorien. Bei Verbrechenstheorien geht es um soziologische empirisch begründete Hypothesen (z.B. ökonomische, sozialstrukturelle, politische Konzepte). Jedoch ist die Gleichstellung nicht möglich, da die Theorien unterschiedliche Konzepte haben.26
Da das Ziel zur Prävention führt, kann man sagen, dass im Hinblick auf kriminologische Aspekt die Idee der Prävention über die Bestrafung eine große Rolle spielt.27 Im Gegensatz zur strafrechtlich repressiven Konzeption hat die Kriminologie Strafe und Wirklichkeit miteinander verknüpft und hat kritisch die Frage gestellt, ob die vernünftigen Ziele, die vom Gesetzgeber bestimmt werden, gerechtfertigt sind.28 Diese präventiven Ziele beziehen sich nicht auf das Strafrecht, sondern auf die sozialen Normensysteme und Institutionen.29 Freilich befassen sich die repressiven Interessen der Prävention mit der Zeit, in der schon eine Straftat begangen worden ist.30 Strategisch kann man sich mit Prävention im Bereich der sozialen Kontrolle beschäftigen.31
Als Fazit kann man resümieren, dass die Kriminologie, als realistische Sozialwissenschaft, die die Wahrheiten rationalistisch und täterorientiert versucht zu erfassen32, die Aufgabe der Verhütung und Bekämpfung von Kriminalität erfüllt.
Man wird bestraft, weil Gesellschaft und Bürger geschützt werden müssen; und letztlich werden die Strafen geregelt, um die Kriminalität zu bekämpfen. Die ursprüngliche Strafe diente daher zur Beseitigung des Verbrechers.33
2.1.3 Strafrechtswissenschaftlicher Aspekt
Wieso bedient sich der Staat so einschneidender Mittel? Warum hat noch kein Staat auf dieses Mittel verzichtet? Mit solchen Fragen beschäftigt man sich seit längerem. Hier kommt nicht zuerst ein theoretisches Problem in Betracht, sondern die Frage, „wie und unter welchen Voraussetzungen es sich rechtfertigen lässt“.34 Allerdings bleibt die Frage nach ihrer Rechtfertigung, ihrem Wesen und ihrem Sinn eines der umstrittensten Probleme der Rechtswissenschaft.35
Diese Legitimationsbedarf kommt historisch aus zwei wesentlichen Grundgedanken: Vergeltung und Vorbeugung36 Nach heute herrschender Meinung dienen die strafrechtlichen Verhaltensnormen dem Schutz von Rechtsgütem - unter Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen.37
2.2 Straftheorien/Zwecktheorien
Die Aufgabe des Strafrechts, also die Aufrechterhaltung der Rechtsordnung in der Gesellschaft und der Rechtsgüterschutz der einzelnen Bürger, führt uns seit dem Altertum zu Straftheorien. Diese wissenschaftlichen Meinungen mit vielfältiger Sinngebung beschäftigen sich mit der Rechtfertigung, den Zielen und Aufgaben der Strafe.38 Wenn wir diese Ziele systematisch beschreiben wollen, dann kommen Strafrechtstheorien in Betracht.39 Der Rechtsgüterschutz und die Aufrechterhaltung der Rechtsordnung sind daher die übergeordneten Ziele. Die Strafe verfolgt untergeordnete Ziele bzw. Vergeltung und Vorbeugung, die durch übergeordnete Ziele bestimmt werden.40
Sinn und Zweck der Strafe werden gelegentlich identisch erörtert.41 Aber trotzdem muss man sie unterscheiden. Bei dem Sinn der Strafe geht es umjenes Phänomen, das wir objektiv-allgemein erleben. In diesem Rahmen hat die Strafrechtswissenschaft noch keine einheitliche Antwort gegeben. Im Gegensatz zu dieser Trennung steht der Zweck der Strafe, die objektiv erreichbaren Ziele und individuelles seelisches Erlebnis enthält.42 Und bei dem Zweck der Strafe handelt es sich um die Bemessung der Strafe, in der Art und Weise bestimmt werden sollen.43
2.2.1 Absolute Theorie
Die Wiederherstellung des Rechts durch die Strafe ist zentrale Funktion der Strafe. Hier geht es darum den Rechtsbruch symbolisch aufzuheben.44 Dementsprechend liegen der Rechtsgrund und der Sinn der Strafe im Ausgleich des Vergangenen, also in der Vergeltung.45
Vergeltung erscheint als sehr emotionale, rein negative Reaktion auf die Tat und bedeutet eine Antwort auf das verschuldete Unrecht. Als Gerechtigkeit muss ein gleichwertiges, entsprechendes Übel zugefügt werden (Ausgleichungsgedanke, lat. quapeccatum est)46 Und dann entwickelt sie sich aus der Perfektion der Idee.47 In diesem Sinn bleibt die Strafe zwecklos und kommt als alleiniges Ziel ,,Übelszufügung’’ in Betracht.48 in diesem Rahmen steht das Talionsprinzip, Auge um Auge, Zahn um Zahn, hinter der Vergeltungstheorie.49 Man hat den Wunsch, um der Gerechtigkeit willen zu bestrafen. Deswegen könnte man die absolute Theorie als ,,Gerechtigkeitstheorie” benennen. Also wäre das Reden über sie besser, wenn die Strafe nur der Gerechtigkeit dient. Ohne diesem Zweck wäre absolute Strafauffassung zu leugnen.50
Unter den Einfluss des deutschen Idealismus, namentlich Kant und Hegel, beansprucht die Theorie einen Platz in Strafrecht.51 Nach dieser Annahme geht die Gerechtigkeit unter, ist nicht mehr ein Grund vorhanden, auf Erden zu leben {kategorischer Imperativ von Kant)52 Dieser metaphysische Gedanke ist nach neueren Vertretern abzulehnen, weil der Maßstab nicht begrenzbar ist. Nach der neueren bleibt nur die Ausgestaltung des Zwecks absolut.53
Der Ausgangspunkt dieser Theorie ist die Schuld des Täters.54 Nach dem Ansatz Willensfreiheit bzw. Handlungsfreiheit handelt der Täter frei und vermeidbar. Aus diesem Grund steht die Schuld des Täters auf der Ebene der Tätermotivation. Hier geht es um Legitimationsproblem wegen des zweckfrei gebildeten Schuldbegriffs.55
Ob die Vergeltung ein auf der Ebene der Wissenschaft zu vertretender Zweck ist, ist umstritten. Nach Roxin ist es kein wissenschaftliches Argument. Im Gegensatz zu diesem bewertet Hassemer es als wissenschaftliche Meinung.56
In der Rechtsprechung wird die Zufügung eines Übels als Wesen oder Zweck der Strafe durch Vergeltung dargestellt.57 In der Rechtsprechung wird die Sühne teilweise als Synonym für die Vergeltung benutzt.58 Zum einen wird der Schuldausgleich als Hauptzweck der Strafe gesehen.59 Beim Schuldausgleich sieht man nicht mehr den metaphysischen Inhalt, vielmehr ist es als eine soziale Aufgabe zu sehen, dem Täter soziale Verantwortung aufzuerlegen.60
Letztendlich kann man resümieren, dass es von den Strafrechtswissenschaftlern viele Kritiken an der absoluten Theorie gibt. Daher könnte man sagen, dass das nicht mehr vertretbar ist.61
2.2.2 Relative Theorien
In moderner Zeit geht es um nicht mehr zweckfreie Vergeltung, sondern es sind die jetzigen vertretbaren Straftheorien der Meinung, dass der Zweck der Strafe nur im Rahmen der präventiven Art zu verstehen ist.62 Mit der beginnenden Objektivierung der Strafe werden Maß und Ziel bestimmt,63 mit der Ablehnung der metaphysischer Gedanke und mit der Entwicklung humanitäre Aufgaben des Staats werden zukunftsorientierte, rationale, utilitaristische und soziale Überlegungen gegen die absoluten Theorien gestellt.64 Wegen dieser Gedanken bezeichnet man diese Theorie als Zwecktheorien.
Unter diesem Aspekt ist der Ursprung der Strafe als ein Ausgangspunkt durch Anhänger dieser Theorie maßgeblich geworden und wird die effektive Strategie als Grundlage der Bestrafung allmählich entwickelt.
Bei den möglichen Wirkungsebenen der Strafe kommen entweder „Einwirkung auf die Allgemeinheit“ (Generalprävention) oder „Einwirkung auf den Täter (Spezialprävention) in Frage. Im Folgenden werden diese Wirkungsrichtungen deutlich gemacht.
2.2.2.1 Generalprävention
Die generalpräventive Konzeption beginnt mit der sog. „psychologischen Zwangstheorie“, die vom Strafrechtswissenschaftler und Kriminalist Feuerbach (1775-1833) entwickelt wurde.65 Durch die Androhung, Verhängung und Vollstreckung soll die Allgemeinheit so ein Bewusstsein bekommen, dass sie von weiteren Taten zurückgehalten werden sollen.66 Die Dimension der Strafe, also die Wirklichkeit, stellt sich nicht mehr als psychologischer Effekt dar. In diesem Rahmen erscheint die Vergeltung nicht mehr als Selbstzweck, sondern als ein Mittel zur Aufrechterhaltung der Rechtsordnung.67
Bei der Variante der Generalprävention, trotz der nicht sauberen Trennung, handelt es sich um eine positive und eine negative Perspektive bzw. Funktionen.
Bei der positiven Generalprävention geht es um Bestärkung der Rechtsnormen, Normbestätigung gegen Rechtsverletzungen. Dieser Aspekt beschreibt: Wenn es eines Rechtsverstoß gibt, gilt die Rechtsvorschrift. Darum hält die Bevölkerung die Normanerkennung für gültig und rechtfertigt, dass die Rechtsordnungen in der Rechtsgemeinschaft unverbrüchlich sind {Lerneffekt). Das Recht hat also eine positive Aufgabe, die Rechtstreue zu bestärken ('Vertrauenseffekt).68 Außerdem verweist das Konzept darauf, dass das Strafrechtsystem, als Teilbereich sozialer Kontrolle, an der Enkulturation und Sozialisation von Menschen so mitwirkt, dass es die Geltung sozialer Normen zum konfliktloses Leben sichtbar macht {Befriedungseffekt., ,,Überzeugung statt Einschüchterung69). Aus diesem Grund haben manche Verfasser es „Integrationsprävention“ genannt.70
Dieses Konzept gibt die Möglichkeit, hier die sozialwissenschaftlichen Überlegungen zur Funktion der sozialen Kontrolle zu verbinden. Mit anderen Worten, die Normgeltung bleibt nicht reaktionslos.71 Dementsprechend wird dieses Konzept in der neuen Literatur mehr und mehr vertreten.72
Man bezeichnet die negative Generalprävention auch als Abschreckungsgeneralprävention. Denn der Hintergrund ergibt sich aus Feuerbachs Überlegungen. In diesem Sinn geht man davon aus, dass es viele Leute gibt, bei denen der Effekt der Strafdrohung, bzw. durch die Verhängung und dem Vollzug, die potentielle kriminelle Handlungen entkriminalisiert.73 Anhand dieses Effekts sollen potentielle Straftäter von Straftaten abgehalten werden. Allerdings zum anderen werden Handlungen mit der Gefahr der Entdeckung entkriminalisiert (Entdeckungsrisiko).74
Im Hintergrund dieser Prävention steht ein utilitarisches Menschenbild. Nach diesem Bildnis entscheidet man mit Kosten-Nutzen-Abwägungen {ökonomische Kriminalitätstheorien), ob man eine Straftat begeht. Dieser generelle Ausgangspunkt gilt also für die Begehung der meisten Straftaten.75
2.2.2.2 Spezialprävention
In „Marburger Programm“ von Liszt werden die Ursachen der Kriminalität wissenschaftlich untersucht und verlangt das Programm, die Strafe als adäquates Mittel gegen Verbrechen einzusetzen. Dieser Versuch hat einen Streit gegenüber der die Vergeltungsstrafe behauptenden klassischen Schule mit sich gebracht und im Zentrum dieser Diskussion wird der Zweckgedanke reflektiert und die theoretische Zielsetzung hat einen großen Einfluss in der Kriminalpolitik des 20. Jahrhunderts gehabt. Die Vergeltungsstrafe wandelt sich allmählich zur Zweckstrafe.76
Die Aufgabe der Strafe besteht in diesem Rahmen darin, den Täter von künftigen Taten abzuhalten, indem die Einwirkung auf der Ebene des Täters eingesetzt wird.77 Deshalb nennt man das auch Individualprävention78
Spezialprävention hat zwei erhebliche Bedeutungen: zum einen bei der Bemessung der Strafe und und zum anderen beim Strafvollzug. Nach § 46 Abs. 1 S. 2 StGB sind bei der Strafzumessung die Wirkungen, die von der Strafe für das künftige Leben des Täters in der Gesellschaft zu erwarten sind, zu berücksichtigen. Das heißt, das Gericht hat die Aufgabe, die Spezialprävention sowohl bei der Bestimmung der Höhe der Strafe als auch bei den Entscheidungen über die Strafart und die Art und Weise der Strafvollstreckung zu beachten.79 Bei dem Strafvollzug kommt nun einziges Ziel des Vollzugs „Resozialisierung“ (Besserung) in Frage. Im Übrigen hat sie die beidseitige Funktion: Sicherung der Allgemeinheit und Besserung. Maßregeln der Besserung und Sicherung (§§61 ff. StGB) zeigen eine Form der Spezialprävention.80
Die Spezialprävention ist nicht einfach mit dem Gesetz gewährleistet, Grundgesetz und Bundesverfassungsgericht81 geben vor, dass der Staat zur Resozialisierung des einzelnen Straftäters verpflichtet ist. Diese Prinzipien stammen aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art 1. Abs. 1 GG und aus dem Sozialstaatsprinzip.82 Außerdem fordern internationale Rechtsgrundlagen die Behandlung der Strafgefangenen zu Wiedereingliederung in die Gesellschaft. Gemäß Art. 10 Abs. 3 S. 1 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte und nach Nr. 59 der Mindestgrundsätze für die Behandlung der Strafgefangenen von UN und nach den Europäischen Strafvollzugsgrundsätzen führen diese Prinzipien zu diesem Zweck.
Um die Resozialisierung zu verwirklichen, werden zwei Verfahren vorgesehen: ambulante oder stationäre Durchsetzung. Bei der ambulanten Resozialisierung handelt es sich um Strafen und Maßregeln, deren Charakteristika vom Persönlichkeitsbild des Täters abhängen. Dennoch ist zu beachten, dass diejenigen, die sich keiner unerträglichen Angriffe gegen die Rechtsgüterordnung schuldig gemacht haben, nicht mit Hilfe strafrechtlicher Sanktionen resozialisiert werden dürfen.83
Auf der Ebene der stationären Resozialisierung kommt freilich der Vollzug der Freiheitsstrafe in Betracht. In diesem Rahmen steht auch immer die Vermeidung von Entsozialisierung im Hintergrund (z.B. bedingte Entlassung).84 Das Konzept stellt sich also nicht als utopischer Gedanke dar, sondern als Angebot oder die Möglichkeit an den Delinquenten, selbst mitzuwirken.85
Es ist also auf jeden Fall sinnvoll, Behandlungsvollzug anstatt Vergeltungsvollzug durchzuführen, weil so eine Chance besteht, eine zukunftsorientierte Hilfe zur Verfügung stellen zu können. Dies wird nur durch den Resozialisierungsvollzug realisiert.86
Die Negative Spezialprävention spielt zwei wesentliche Rollen87: Durch Abschreckung bzw. den Schock durch Sanktionswahrscheinlichkeit, und Sicherung oder Verwahrung, bzw. Trennung von der Gesellschaft die weitere Begehung von Straftaten unmöglich zu machen.
Der Abschreckungseffekt bzw. der Schockeffekt durch mögliche künftige Sanktionswahrscheinlichkeit kann für den normal sozialisierten Täter abschreckend wirken. Mit diesem Schock bekommt der Straftäter so ein Bewusstsein, dass der Straftäter Angst davor hat, nochmals straffällig zu werden.88 Demzufolge werden die Rechtsinstitute Geldstrafen (§§ 40 ff. StGB), Probation (Strafaussetzung, Verwarnung mit Strafvorbehalt, §§ 56 ff. StGB) und Diversion (Verfahrenseinstellung nach §§ 153 ff. StPO) von dem Gesetzgeber vorgesehen. In diesem Zusammenhang ist die Geldstrafe „wichtigste Anwendungsform einer abschreckenden Sanktion“.89 Daher bezeichnet man das auch als „Königsweg“.90 Diese warnende Wirkung ist wörtlich in § 56 Abs. 1 S. 1 so geregelt: „zur Warnung dienen lassen“. Infolgedessen spricht man auch von der ,,Denkzettelfunktion der Strafe“., also individualpräventive Abschreckung insb. beim Ersttäter.91
2.2.3 Vereinigungstheorien
Ein weiterer Entwurf, welcher aus dem Streit zwischen klassischer und moderner Schule hervorgegangen ist, ist die Spezial- und Generalprävention als Strafzwecke nebeneinander kombiniert.92 Im Hintergrund der Vereinigungstheorien steht der zwischen den absoluten und relativen Theorien vermittelnde Versuch.93 Somit können Straftaten durch Einwirkung auf den Einzelnen sowie auf die Allgemeinheit gleichermaßen legitim erscheinen. Das heißt, dass beide Ansätze gleichberechtigt nebeneinander stehen und daher dürfen sie nicht gegeneinander ausgespielt werden (Notwendigkeit der Abwägung im Einzelfall).94 Erstens, diese Kombination wird dann wichtig, wenn der Verurteilte mit dem Rehabilitations- oder Besserungsvollzug nicht zu erreichen ist. Daher muss die Strafe wegen der Rechtfertigung der Generalprävention vollzogen werden. Zweitens, bei der Strafzumessung wird ermöglicht, dass Richtern eine flexible
Beurteilungsspielräume haben, indem sie abwägen, wobei dies von Einzelfall abhängig ist.95
Der Zweck der Vergeltung zeigt sich in diesem Punkt als ,, koordinierte Stellung“ neben den künftigen Zwecken.96 Deshalb spielt der präventive Effekt der Strafe eine wesentlichere Rolle als die Sühne.
Die Strafwirkungen wurden seit Mitte des 20. Jahrhunderts in der Strafrechtsreform berücksichtigt. Mit verschiedenen Nuancen wird die Vereinigungstheorie vertreten97 (auch in der Welt bemerkt man dieselbe Tendenz. z.B. in Österreich, in Schweden, in der Schweiz, in Italien, in Frankreich, in Belgien, in Spanien, in den Niederlanden, in England, in Brasilien) und wird sie seit langem von der Rechtsprechung der deutschen Gerichte verfolgt.98
2.3 Zwischenergebnisse im Lichte des deutschen und türkischen Strafgesetzbuches
Das türkische StGB (türk. StGB), das im Juni 2005 in Kraft trat und mit Hilfe unterschiedlicher Strafgesetze von Ländern Gestalt angenommen hat, wie beispielsweise aus Italien, Frankreich, Spanien, Russland, sogar England und USA und vor allem aus Deutschland.99 Ebenso ist das osmanische und türkisch-republikanische Recht seit mehr als 100 Jahren durch europäische Einflüsse geprägt worden.100
Der türkische Gesetzgeber folgte neuen Tendenzen, die vom Tatstrafrecht zum Täterstrafrecht führten,101 und wollte die Strafzwecke, die im vorherige türkische StGB von 1926 unter italienischen Rechtssprache, insbesondere unter Codice ZanardeHi und Codice Rocco autoritativ im Rahmen der Sühne und im Rahmen dem Schutz der Gesellschaft durch Abschreckung entwickelt wurden, deshalb abschaffen. Infolge dieser Tendenz wurde die Zielsetzung zwischen General- und Spezialpräventiven Bemerkungen im Rahmen der Vereinigungstheorie aufgesetzt. Das türkische StGB Art. 1 stellt ein Beispiel dafür dar, dass das Strafgesetz zwei wesentliche Zielsetzungen hat. Einmal Schutz von Rechtsgütern, wie Rechte und Freiheiten von Menschen, zum anderen die Verhütung von Straftaten.102 Allerdings bringt dieser Artikel zulassend einige Defizite mit, da es ohne klare Hinweise hinsichtlich der Kriminologie und Soziologie die Grundsätze bestimmt.103 Auf der anderen Seite wird betrachtet, dass die präventive Zielsetzung durch diesen Artikel offensichtlich geregelt wurde.104
Dennoch räumt der Gesetzgeber mit neuen alternativen Sanktionen (z.B. Alternative Sanktionen bei kurzfristiger Gefängnisstrafen nach Art. 50 türk. StGB) zu den Richtern im konkreten Fall nach der Persönlichkeit des Täters eine Möglichkeit ein, die Strafzumessung des Täters nicht rein generalpräventiv, sondern spezialpräventiv zu betätigen. Auf dieser Verweisung wurde parallel der Zweck des Strafvollzugs im türkische Strafvollzugsgesetz, das im auch 2005 Kraft trat (türk. StVollzG), als die Besserung des Straftäters zum Schutz der Gesellschaft geregelt.105
Im Hinblick auf Deutschland kann man so bewerten, dass trotz Diskussionen seit den 1960er Jahren auf der Welt über den Gedanken der Resozialisierung die neuen Entwicklungen und Tendenzen durch Strafrechtsreformgesetze von 1969 und 1974 in das Strafgesetzbuch eingefügt wurden. Aus diesem Grund kann man freilich feststellen, dass die Vereinigungstheorie, insbesondere der Gedanke der ultima ratio und die Grundidee der schuldangemessenen Strafe nach spezialpräventiven Bemühungen, im Mittelpunkt stehen.
Grafische Darstellung 1: Struktur zu den Straftheorien106
3. Geschichtliche Entwicklung des Rechtsinstituts
3.1 Bedingte Verurteilung
In 19. Jahrhunderts werden unter dem Einfluss der Französischen Revolution einerseits die vielfältigen Nachteile des Gefängnisses bzw. der Freiheitsstrafe diskutiert; dieser Debatte zufolge begann nämlich zu dieser Zeit ,,die Krise des Gefängniswesens“,107 Andererseits bemühte sich die Strafrechtsschule darum, der Sinn der Strafe zu bestimmen. Das im Jahr 1882 wesentlich von v. Liszt geprägte Marburger Programm wies in eine neue kriminalpolitische Richtung:
[...]
1 Rehbinder 2003, S. 127.
2 Kaiser 2013, S. 185.
3 Vgl. Baer 2011, S. 244 t\ Röhl 1987, S. 232.
4 Vgl .Röhl 1987, S. 309.
5 Nach Rechtsstabtheorien handelt es sich um Konzentration an besonderen Personen Während der Durchsetzung der Sanktionstätigkeit. Weber, als Vertreter der Rechtsstabtheorien, schlägt vor, die Sanktionssubjekte rechtsstab zu nennen. Siehe: Röhl 1987, S.235 f.
6 Rehbinder 2003, S. 132 f.
7 Rehbinder 2003, S. 133.
8 Röhl 1987, S. 220.
9 Rehbinder 2003, S. 135; Raiser 2013, S. 186.
10 Raiser 2013, S. 186.
11 Vgl. Hassemer 1990, S. 318; Meier 2009, S. 1.
12 Vgl. Hassemer 1990, S. 319, Meier 2009, S. 1 ff.
13 Hassemer 1990, S. 320 f. In diesem Zusammenhang definiert hassemer die Straftheorien als Muster alltäglicher Sozialkontrolle.
14 Aber im sozialem Leben wird nicht jedes abweichendes Verhalten als Strafe bzw. Verbrechen geregelt. Das ist das Thema der Kriminalpolitik, insb. Entkriminalisierung/Neuekriminalisierung. Jede gesellschaft hat eigene Normalitätsverständnis und Toleranzbereitschaft und das ist abhängig von Raum und Zeit sowie nach Umfang, Struktur und Bewegung. Siehe: Kunz 2011, S. 12; Kaiser 1996, S. 400.
15 Vgl. Kunz 2011, S. 1; Schwind2011, S.2 ff.; Schneider 1987, S. 89.
16 Kunz 2011, S. 12.
17 sog. Definition „Lehre vom 'Verbrechen“'. Liszt 1932, S. 9.
18 Kunz 2011, S. 12 ff.
19 Vgl. Schneider 1987, S. 77-84.
20 Kaiser 1996, S. 4.
21 Vgl. Schwind 2011 S. 16 ff.
22 Kunz 2011, S. 277.
23 Kaiser 1996, S. 1069; Eisenberg 2005, S. 2.
24 Meier 2009, S. 9.
25 Vgl. Hassemer 1993, S. 314.
26 Kaiser, 1996, S. 191 ff.
27 Präventionszweck wird unten, im Teil der Strafzwecktheorien, erläutert.
28 Hassemer 2009, S. 85.
29 Kunz 2011, S. 282 f.
30 Kaiser 1996, S. 247 f.
31 Kaiser 1996, S. 209, Schaubild 4: Struktur der sozialen Kontrolle.
32 Vgl. Kaiser, S. 32 ff.; Schneider 1987, S. 87; Eisenberg 2005, S. 2. Zum Bedürfnis der Erfahrungswissenschaften für Beobachtung und Forschung neben der Rechtssprechung: Mauer/Zipf 1992, S. 244.
33 Liszt 1882, S. 33.
34 Roxin 1966, S. 375.
35 Jescheck/Weigend 1996, S. 64.
36 Jescheck/Weigend 1996, S. 66.
37 Gropp 2005, S. 22; Jescheck/Weigend 1996, S. 64.
38 Roxin 2006, S. 69; Jescheck/Weigend 1996, S. 70; Hassemer 2000, S. 220.
39 Hassemer 1990, S. 281-282.
40 Einßlin 2003, S. 5.
41 Vgl. Schmidhäuser 1971, S. 39; Jescheck/Weigend 1996, S. 70; Einßlin 2003, S. 6.
42 Schmidhäuser 1971, S. 40 ff.
43 Koehler 1917, S. 37.
44 Streng 2012, S. 7.
45 Hassemer 1990, S. 281; Jescheck/Weigend 1996, S. 70.
46 Vgl. Jescheck/Weigend 1996, S. 66; Einßlin 2003, S.12; Koehler 1917, S. 41.
47 Hassemer 1990, S. 284.
48 Vgl. Jescheck/Weigend 1996, S. 70; Schmidhäuser 1971, S. 44.
49 Roxin 2006, S. 70.
50 Vgl. Hassemer 1990, S. 44 ff.
51 Vgl. Roxin 2006, S. 71; Meier 2009, S.19.
52 Kant redet hier „Strafe muss nur verhängt werden, weil er verbrochen hat“. Hegel teilt weiter mit dialektischem Prinzip „Wegen der besondere Wille des Täters zu Rechtsverletzung muss die Wiederherstellung des Rechts durch die Strafe aufgehoben werden“. Hegel ist später als die Führer der klassischen Strafrechtsschule genannt. Nach der klassischen Schule wurde das Wesen der Strafe in der gerechten Vergeltung betrachtet. Vgl. Jescheck/Weigend 1996, S. 70 f.; Roxin 2006, S. 71; Jakobs 1991,S. 16; Gropp 2005, S. 23; Liszt 1932, S. 28.
53 Vgl. Koehler 1917, S. 41 f.; Jakobs 1991, S. 18.
54 Vgl. Streng 2012, S. 7 f.; Jescheck/Weigend 1996, S. 66.
55 Vgl. Jakobs 1991, S. 18.
56 Roxin 2006, S. 70 (Fn. 4); Hassemer 1990, S. 282.
57 Roxin 2006, S. 72.
58 Einßlin 2003, S. 17.
59 Einßlin 2003, S. 22.
60 Vgl. Roxin 2006, S. 90; Joecks 2003, S. 18; Einßlin 2003, S. 21.
61 Roxin 2006, S. 'll, Jakobs 1991, S. 15 ff.; Meier 2009, S. 19f.
62 Vgl. Streng 2012, S. 10; Roxin 2006, S. 85.
63 Liszt 1882, S. 149.
64 Vgl. Liszt 1882, S. 133, Jescheck/Weigend 1996, S. 71.
65 Roxin 1966, S. 380; Jescheck/Weigend 1996, S. 72; Meier 2009, S. 21 f; Streng 2012, S. 14; Jakobs 1991, S. 20. Jedoch kann diese Überlegung, die von Feuerbach entwickelt worden, heute als negative Generalprävention, bzw. Abschreckungsgeneralprävention, erörtert werden. Siehe: Meier 2009, S. 22.
66 Meier 2009, S. 21.
67 Liszt 1932, S. 32.
68 Roxin, S. 80; Maurach/Zipf 1992, S. 67; Jakobs 1991, S. 20; Streng 2012, S. 14. Ob diese Effekte nur Nebeneffekte sind, umstritten. Siehe: Streng 2012, S. 15.
69 Hassemer 2000, S. 214.
70 Hassemer 1990, S. 325 f.; Roxin 2006, S. 80; Streng 2012, S. 14.
71 Meier 2009, S. 23.
72 Jakobs 1991, S. 22.
73 Vgl. Roxin 2006, S. 80; Meier 2009, S. 22; Jakobs 1991, S. 20; Einßlin 2003, S. 23.
74 Schmidhäuser 1971, S. 54.
75 Einßlin 2003, S. 23.
76 Vgl. Liszt 1932, S. 28 ff.; Maurach/Zipf 1992, S. 74 f; Einßlin 2003, S. 28 f.
77 Vgl. Jakobs 1991, S. 22; Dölling 2003, S. 597; Meier 2009, S. 24.
78 Vgl. Hassemer 1990, S. 285; Maurach/Zipf 1992, S. 82; Streng 2012, S. 17; Meier 2009, S. 25.
79 Dölling 2003, S. 598.
80 Streng 2012, S. 17.
81 „Lebach-Urteil“ v. BverfG war eine wichtigste Urteil über diesen grundrechtliche Anspruch. Das war so beschrieben: „Dem Gefangenen sollen Fähigkeit und Willen zu verantwortlicher Lebensführung vermittelt werden, er soll es lernen, sich unter den Bedingungen einer freien Gesellschaft ohne Rechtsbruch zu behaupten, ihre Chancen wahrzunehmen und ihre Risiken zu bestehen.“ BverfG , 35, S. 235.
82 Vgl. Laubenthal 2011, S. 79 f.; Dölling 2003, S. 602; Streng 2012, S. 18.
83 Roxin 1966, S. 386.
84 Vgl. Maurach/Zipf 1992, S. 83; Streng 2012, S. 18.
85 Roxin, 1966, S. 386.
86 Hassemer 1990, S. 282 ff.; Roxin 1966, S. 386.
87 Siehe Einßlin 2003, S. 41 ff.
88 Vgl. Einßlin 2003,S.41.
89 Einßlin 2003, S. 41 (Fn. 272).
90 Meier 2009, S. 57.
91 Vgl. Maurach/Zipf 1992, S. 83.
92 Vgl. Roxin 2006, S. 85; Jescheck/Weigend 1996, S. 76; Jakobs 1991, S. 27; Gropp 2005, S. 39.
93 Jescheck/Weigend 1996, S. 75.
94 Meier 2009, S. 34.
95 Roxin 2006, S. 86 ff.
96 Koehler 1917, S. 42.
97 Vgl. Jescheck/Weigend 1996, S. 77; Meier 2009, S. 33, Maurach/Zipf 1992, S. 81 ff.; Gropp 2005, S. 39.
98 Vgl. Jescheck/Weigend 1996, S. 78 f.
99 Vgl. Justizausschussbericht 2004, S. 123; Tellenbach 2005, S. 2; Dagasan 2012, S. 385.
100 Vgl. Artuk 1979, S. 5 ff.; Dagasan 2012, S. 383.
101 Yücel 2007, S. 348.
102 Vgl. Tellenbach 2005, S.2 f; Yücel 2007, S. 303 ffKecelioglu 2009, S. 70; Kumbasar 2012, S. 79 U Dagasan 2012, S. 399 ff.
103 Vgl. Yücel 2007, S. 304; Ünver 2009, S. 318; Tellenbach 2005, S.2 f; Roxin/Isfen 2006, S. 280.
104 Kumbasar 2012, S. 80.
105 Vgl. Allgemeine Begründung 2005, S. 811; Tellenbach 2005, S. 17. Hakeri verweist darauf, dass der Gesetzgeber mit diesem Gesetz halber zentrale Bürokratie den Richtern wenig Ermessenspielraum gegeben hat. Vgl. Hakeri 2009, S. 95.
106 Dünkel 2013, Nr. 3, S. 8.
107 Vgl. Scherrer 1977, S. 28; Dünkel 1983, S. 1039.
- Arbeit zitieren
- Semih Yumak (Autor:in), 2014, Eine alternative Sanktion zum Freiheitsentzug im deutschen und im türkischen Strafrecht, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/315025
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