Gegenstand der vorliegenden Arbeit ist der Einfluss verschiedener wirtschaftspolitischer Vorstellungen der EU-Staaten bei der rechtlichen Ausgestaltung von transnationalen Arbeitsbeziehungen. Untersucht werden soll das Fallbeispiel einer gescheiterten europäischen Sozialpartnerrichtlinie zur Einsetzung eines europäischen Betriebsrates im Sozialen Dialog der EU.
Hierzu wird die Vermutung zugrunde gelegt, dass im Politikfeld der Arbeitnehmermitbestimmung nichtkompatible historische Pfadabhängigkeiten, Wertorientierungen und Kausalannahmen aufeinander treffen. Besonders hervorzuheben ist die historische Pfadabhängigkeit, die zu diesen in Europa aufeinandertreffenden divergenten institutionellen Rahmenbedingungen führt. Insofern soll nun überprüft werden, in welchem Maße die historisch-institutionalistischen Überlegungen zur europäischen Integration von Paul A. Pierson im vorliegenden Falle hilfreich sein können. Mit diesem lassen sich sowohl die kulturell kognitiven institutionellen Muster als auch die nutzenorientierten Handlungsprämissen der beteiligten Akteure über einen längeren Zeitraum deuten, die zu einem bestimmten Zeitpunkt zu einem „lockin“ eines Entwicklungspfades geführt haben. Diese konträren wirtschaftspolitischen Vorstellungen reichen jedoch nicht aus, um eine gewisse Stagnation im Zwangsverhandlungssystem des zu untersuchenden Fallbeispiels zu erklären. Auf Grund dessen bediene ich mich des advocacy-coalition-Ansatz von Sabatier, der insbesondere den Schwerpunkt auf bestimmte Deutungsmuster, Grundüberzeugungen („belief-systems“) und Wertorientierungen von sog. Fachbruderschaften im EU-policy-Prozess betont.
1. Einleitung
Mit der Einführung des Betriebsverfassungsgesetzes im Jahre 1952 auf dem Gebiet der damaligen Bundesrepublik Deutschland musste sich dieses Gesetz zur Regelung der Arbeitsbeziehungen in deutschen Unternehmen permanent den ökonomischen Herausforderungen der jeweiligen Zeitepoche stellen.
Anfangs waren es die „der Wirtschaftswunderjahre“, in den 70er und 80er Jahren des 20. Jahrhunderts die Herausforderungen der innergesellschaftlichen Spannungen, verursacht durch eine Massenarbeitslosigkeit und seit Beginn der 90er Jahre die des europäischen Binnenmarktes. Im Laufe der europäischen Wirtschaftsgeschichte kam es zunehmend zu transnationalen Firmenzusam-menschlüssen, Firmensitzverlagerungen oder zu Gründungen von transnatio-nalen Tochterunternehmen. Das Europäische Recht wurde sukzessive diesen Bestrebungen der Unternehmen durch positive bzw. negative Integration angepasst. Allerdings blieb das Mitbestimmungsrecht sowie das Informations- und Konsultationsrecht der Arbeitnehmer national hoheitlicher Gesetzgebung vorbehalten (Lecher/ Platzer 2004: 588).
Nach mehr als zwanzig Jahren kontroverser Diskussionen und Verhandlungen wurde 1990 der erste Richtlinienvorschlag zur Bildung einer transnationalen Arbeitnehmervertretung von der EU-Kommission vorgelegt und kam 1994 unter deutscher Ratspräsidentschaft zum Abschluss (Müller-Jentsch 2007a: 117). Den Arbeitnehmern wurden lediglich transnationale Informations- und Anhörungsrechte eingeräumt. Dies wurde aus Art. 153 (1e) (AEUV) abgeleitet. Für tatsächliche transnationale Mitbestimmungsrechte gemäß 153 (1f) (AEUV) dieses Gremiums fand man keinen Konsens im Rat. Es gab weiterhin keine supranationale Rechtsgrundlage, auf deren Basis verbindliche und wiederum einklagbare konzernweite transnationale Unternehmensvereinbarungen möglich gewesen wären. In Deutschland beispielsweise können dies Betriebsräte vor einem Arbeitsgericht oder einer Einigungsstelle erzwingen (Müller-Jentsch 2007b: 52). Der Kompromiss war auch nur möglich, in dem Großbritannien ein „ Opting-Out“ zum Sozialprotokoll des Vertrages von Maastricht eingeräumt wurde – für Großbritannien besaß das Sozialprotokoll keine Gültigkeit (Müller-Jentsch 2007a: 110).
Aufgrund von Befragungen innerhalb 400 bestehenden europäischen Betriebsrats-Gremien (EBR) durch die Universität Manchester und dem verstärkten Lobbying seitens des Europäischen Gewerkschaftsbundes auf die EU-Kommission wurde das erste Anhörungsverfahren im Jahre 2004 durch die EU-Kommission eingeleitet (EWC-academy 2012: 2; Mailand 2010: 13-15). Das Sozialpartnerverfahren wurde von der Arbeitnehmerseite im Frühjahr 2008 für gescheitert erklärt. Im Juli 2008 konnte auf Initiative der französischen Ratspräsidentschaft ein informeller Kompromiss gefunden werden, in dem zuvor informell je zur Hälfte die Vorstellungen der europäischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände berücksichtigt wurden (Mailand 2010: 18-20).
Gegenstand der vorliegenden Arbeit ist der Einfluss verschiedener wirtschaftspolitischer Vorstellungen der EU-Staaten bei der rechtlichen Ausgestaltung von transnationalen Arbeitsbeziehungen. Untersucht werden soll das Fallbeispiel einer gescheiterten europäischen Sozialpartnerrichtlinie zur Einsetzung eines europäischen Betriebsrates im Sozialen Dialog der EU. Aus Gründen der bisherigen Einmaligkeit des zu untersuchenden Gesetzgebungsprozesses wird in der vorliegenden Hausarbeit eine Einzelfallstudie („case study“) vorgenommen. Die Thematik dieser Analyse, die Mitwirkung der Sozialpartner während der Neufassung zur Europäischen Betriebsräte Richtlinie, ist von der erkenntnis-theoretischen Orientierung her als empirisch-analytisch zu verorten (Hofmann/ Dose/ Wolf 2007: S. 27). Nach einer Typologie von Hague/ Harrop (2010) wird diese Art von Untersuchungen auch als repräsentative Fallstudie („Representative Case Study") bezeichnet. Eine repräsentative Einzelfallstudie verfolgt man mit der Grundannahme, dass das ausgewählte Beispiel typisch für eine Kategorie von Problemen ist. Ein sample von repräsentativen Einzelfallstudien bildet das „Rohmaterial" für das spätere Generieren von allgemeinen Erkenntnissen (Hague/ Harrop 2010: 43f). Hierzu wird die Vermutung zugrunde gelegt, dass im Politikfeld der Arbeitnehmermitbestimmung nichtkompatible historische Pfadabhängigkeiten, Wertorientierungen und Kausalannahmen aufeinander treffen. Besonders hervorzuheben ist die historische Pfadabhängigkeit, die zu diesen in Europa aufeinandertreffenden divergenten institutionellen Rahmen-bedingungen führt. Insofern soll nun überprüft werden, in welchem Maße die historisch-institutionalistischen Überlegungen zur europäischen Integration von Paul A. Pierson im vorliegenden Falle hilfreich sein können. Mit diesem lassen sich sowohl die kulturell kognitiven institutionellen Muster als auch die nutzenorientierten Handlungsprämissen der beteiligten Akteure über einen längeren Zeitraum deuten, die zu einem bestimmten Zeitpunkt zu einem „lock-in“ eines Entwicklungspfades geführt haben. Diese konträren wirtschaftspolitischen Vorstellungen reichen jedoch nicht aus, um eine gewisse Stagnation im Zwangsverhandlungssystem des zu untersuchenden Fallbeispiels zu erklären. Auf Grund dessen bediene ich mich des advocacy-coalition -Ansatz von Sabatier, der insbesondere den Schwerpunkt auf bestimmte Deutungsmuster, Grundüberzeugungen („ belief-systems“) und Wertorientierungen von sog. Fachbruderschaften im EU- policy -Prozess betont.
Bei diesen außerparlamentarischen Aushandlungsprozessen sind die informellen Netzwerke zwischen Verbandsmitgliedern, EU-Beamten und Fachpolitikern besonders hervorzuheben, die zwar ein legislatives außerparlamentarisches Abkommen verhindert haben, aber das im Anschluss hieran stattgefundene administrative Verfahren positiv beeinflusst und gemeinsam im Dezember 2008 erfolgreich abgeschlossen haben.
Hieraus wurde folgende zentrale Fragestellung abgeleitet:
Welchen Einfluss haben Wertorientierungen und historische Pfadabhängigkeiten im Politikfeld der transnationalen Arbeitsbeziehungen?
Hierzu wurden von mir mehrere Teilfragen abgeleitet, mit denen ich den Versuch unternehme, die Aushandlungsprozesse und Politikergebnisse der Fallstudie mit Hilfe des vorliegenden Theorieangebotes zu bewerten.
- Warum benötigte man für die Neufassung der Richtlinie einen Zeitraum von etwa 10 Jahren?
- Welche Akteure hatten kein Interesse an einer Neufassung?
- Welche der Sozialpartner bevorzugten nach Abschluss der 2. Phase der Konsultationen eine Neufassung kraft Gesetz anstelle einer Vereinbarung im Sozialen Dialog?
- Warum wurden die Anhörungs-, Schulungs- und Informationsrechte der Europäischen Betriebsräte lediglich konkretisiert bzw. verbessert statt qualitativ die Mitbestimmungsrechte zu erweitern?
- Darüber hinaus ist von großer Bedeutung aus welchen Gründen letztlich inoffiziell der Wille der Sozialpartner Niederschlag fand im Schatten einer europäischen Hierarchie.
Die zugrunde liegenden Dokumente und wissenschaftlichen Veröffent-lichungen werden mittels einer Inhaltsanalyse ausgewertet. Darüber hinaus werden halbstandardisierte Befragungen von beteiligten Akteuren durch-geführt.
In einem weiteren Schritt wird das Fallbeispiel mit dem vorliegenden Theorieangebot verglichen.
Im Schlusskapitel besteht die Möglichkeit Erkenntnisse aus der vorgestellten Fallstudie zu generieren.
2. Historischer Institutionalismus (HI) – Pfadabhängigkeiten bei der Gestaltung transnationaler Arbeitsbeziehungen
In diesem Kapitel wird mittels einer abstrakten Herangehensweise der Versuch unternommen, den historischen Kontext des Politikfeldes der transnationalen Arbeitsbeziehungen in der EU theoretisch zu verorten.
Der historische Institutionalismus gilt als einer von drei Hauptschulen des Neo-Funktionalismus. Zum einen findet man den soziologischen Institutionalismus. In diesem theoretischen Ansatz wird ein Akteur zugrunde gelegt, der vor allem nach Erwartungssicherheit strebt, die ihm von Institutionen bereitgestellt werden. Erwartungssicherheit betrifft in zeitlicher Hinsicht zukünftiges Geschehen, und zwar in der Sach- wie vor allem in der Sozialdimension. Ein Akteur antizipiert durch Institutionen, was „Alter“ in einer bestimmten Situation für eine Erwartungshaltung besitzen und was sie beabsichtigen - "Was möchte die Gesellschaft von mir?" (Schimank 2007:113) .
Im Gegensatz zu diesem postuliert der Rational-Choice-Institutionalismus (RCI) vielmehr eine rationale nutzenorientierte Perspektive. Nach Hall/ Taylor (1996) nimmt der RCI von politischen Akteuren an, dass diese ihre Zielsetzungen und Vorstellungen klar definiert hätten, die maximale Befriedigung dieser Präferenzen anstrebten und sich im politischen Konkurrenzkampf strategisch-rational verhielten. Sofern sämtliche Akteure auf diese Weise ihre Handlungen rational rechtfertigen, dann könne davon ausgegangen werden, dass das Verhandlungsergebnis aufgrund auftretender „ collective action dilemmas “ suboptimal sei. Diese Akteure antizipieren kontinuierlich ihre strategischen Handlungsmöglichkeiten im Zusammenspiel mit den beteiligten Akteuren. Aufgrund dessen lasse sich die Ausbildung von Institutionen, mit den Intentionen der Beteiligten erklären, dass man durch freiwillige Kooperationen Gewinne zu erzielen möchte, die ohne bestimmte getroffene Absprachen nicht hätten realisiert werden können (Hall/ Taylor 1996: 944-946).
Als alternative neo-institutionalistische Sichtweise legt der historische Institutionalismus seinen Fokus auf pfadabhängige Entwicklungen, deren institutionelle Weichenstellungen sich über längere Zeiträume auswirken (Hall/ Taylor 1996: 5-10). Der HI beschäftigt sich mit Institutionendynamiken als Nachwirkungen früherer, bisweilen sehr lange zurückliegender Ereignisse, Konstellationen und Abläufe, die einem aktuellen Gestaltungszugriff weitgehend entzogen bleiben (Schimank 2007: 119) .
Hall/ Taylor (1996) konstatieren, dass sich der HI von den beiden anderen Theorieschulen in vier Aspekten unterscheide:
Zum einen beschreibe der HI die Institutionen sowie das Verhalten von Individuellen Akteuren in Relation zu den Institutionen, indem sowohl strategisch-rationale als auch kulturelle Handlungsprämissen in die Erklärungsmuster herangezogen würden. Zudem untersuche der HI eine ungleiche Machtverteilung von politischen Akteuren, die durch die Herausbildung von Institutionen hervorgerufen würden. Der Fokus liege vor allem bei den Aktivitäten von Akteuren und ihren hieraus resultierenden politischen Gewinnen und Verluste. Des Weiteren wird davon ausgegangen, dass Institutionen historische Entwicklungen beeinflussen. Demzufolge werde das Handeln von politischen Akteuren durch historisch begründete Handlungspfade vorgegeben, welche durch Institutionen determiniert seien. Darüber hinaus richte der HI sein Untersuchungsinteresse auch auf transintentionale Konsequenzen aufgrund der Etablierung von Institutionen sowie auf die Ineffizienz bestehender Institutionen und deren Auswirkungen auf das Verhalten politischer Akteure. Aus der Perspektive des HI seien Institutionen jedoch nicht die einzigen Faktoren, welche das Verhalten von Akteuren beeinflussen. Vielmehr würden auch Ideen und Leitvorstellungen, die z.B. im Kontext wirtschaftspolitischer Präferenzen stehen, in die Ursachenforschung der Entwicklung politischer Systeme berücksichtigt (Hall/ Taylor 1996: 938-942).
Mit Hilfe des historischen Institutionalismus vermag man sowohl die kulturell kognitiven institutionellen Muster als auch die nutzenorientierten Handlungsprämissen der beteiligten Akteure über einen längeren Zeitraum zu deuten, die zu einem bestimmten zurückliegenden Zeitpunkt zu einem „lock-in“ eines Entwicklungspfades geführt haben.
Für die vorliegende Arbeit ist die theoretische Auseinandersetzung Paul Piersons (1996) über die europäische Integration auf der Basis des historischen Institutionalismus von besonderem Interesse.
Pierson unterstellt bei seinen Betrachtungen der Entwicklung von Institutionen über einen größeren Zeitraum, dass deren Struktur und Funktionslogik nicht die ursprünglichen Intentionen der derjenigen Akteure abbilden, welche sie schufen (Pierson 1996: 131).
Für ihn ist der Zeitraum zwischen der eigentlichen Politikentscheidung und ihren langfristigen Auswirkungen entscheidend. Insofern definiert Pierson den historischen Institutionalismus als “( ... ) historical because it recognizes that political development must be understood as a process that unfolds over time. It is institutionalist because it stresses that many of the contemporary implications of these temporary processes are embedded in institutions - whether these be formal rules, policy structures, or norms” (Pierson 1996: 126).
In weiteren Forschungen verweisen Pierson und Leibfried (1998) in ihrer Arbeit über die Entstehung und Entwicklung der europäischen Sozialpolitik darauf, dass derartige Institutionalisierungsprozesse auf supranationaler Ebene sich auch dann geschehen, wenn die Mitgliedstaaten explizit kein gemeinsames Interesse an starken ,,konstituierenden Einheiten der EU" besitzen (Pierson/ Leibfried 1998a: 20). Sie ermittelten Divergenzen zwischen mitgliedstaatlichen Präferenzen und der tatsächlichen Funktionsweise der EU-Organe und bezeichneten diese als sog. „Kontrolllücken“.
Pierson (1996) identifiziert vier Faktoren, aus welchem Grunde Kontrolllücken der Institutionen nach ihrer Einrichtung durch die Mitgliedstaaten nicht mehr behoben werden können (Morisse-Schilbach 2006 {Pierson 1996}: 277).
1) Die bedingte Autonomie supranationaler Akteure:
Die aus dem Neo-Funktionalismus abgeleitete Autonomie supranationaler kollektiver Akteure unterstreicht die Notwendigkeit, Arrangements zu finden, die einen halbwegs effizienten kollektiven Entscheidungsprozess und eine effektive Umsetzung in einer Gesellschaft ermöglichen. Aus der Erwartungshaltung, dass künftige Regierungen versuchen werden, vormalige Entscheidungen ihrer Vorgänger rückgängig zu machen oder zu modifizieren, resultiert das Bestreben der EU-Mitgliedsstaaten, die europäischen Institutionen mit umfangreichen Machtbefugnissen auszustatten (Morisse-Schilbach 2006 {Leibfried/ Pierson 1998b}: 278).
2) Begrenzte Zeithorizonte von politischen Entscheidungsträgem:
Konsequenzen aus politischem Handeln wirken sich auf eine Gesellschaft oftmals eher mittel- und langfristig aus, während zumindest in liberalen westlichen Demokratien der Zeithorizont politischer Entscheidungsträger sich vielmehr kurzfristig an nationalen Wahlzyklen orientiert. Langfristige Auswirkungen einer beabsichtigten Entscheidung werden von politischen Entscheidungsträgern erst dann antizipiert, wenn es sich entweder um wichtige politische Projekte handelt, die im Brennpunkt der Öffentlichkeit diskutiert werden, oder wenn Politiker fürchten müssen, bei der nächsten Wahl nicht wieder gewählt zu werden. Pierson (1996) beschreibt eine Kompetenzverlagerung an die europäische Institution als Folge kurzfristiger, intentionaler Handlungen nationaler Entscheidungsträger, die die langfristigen Auswirkungen auf die Kontrollmöglichkeiten im Planungsstadium nicht berücksichtigt haben.
3) Unerwartete Konsequenzen politischer Handlungen:
Selbst wenn im Falle zuvor wahrgenommener langfristiger Auswirkungen politische Entscheidungen hiernach ausgerichtet werden, ergeben sich nicht zu erwartende, nicht einkalkulierbare Konsequenzen dieser Handlungen. Morisse-Schilbach (2006) beschreibt hierzu, dass komplexe soziale Prozesse, in die eine große Anzahl unterschiedlicher Akteure einbezogen sind, „Rückkopplungsschleifen“ generieren, derer sich die nationalen Entscheidungsträger vorab nicht in vollem Umfang bewusst sein können (Morisse-Schilbach 2006: 279). Da das komplexe System der EU eine hohe Dichte gleichzeitig zu bearbeitender Probleme aufweist, kann das Problem der so genannten Überfrachtung entstehen, d. h. nationale Regierungen und ihre administrative Systeme müssen permanent die Entwicklungen auf der europäischen Ebene verfolgen. Dies erfordert einen hohen zeitlichen Druck, um Informationsasymmetrien und die daraus resultierende Notwendigkeit, Entscheidungen an Experten zu delegieren, zu bewältigen. Auf Grund dessen können die europäischen Institutionen die Herausbildung ihrer eigenen institutionellen Gestalt weiter voran treiben. Sie bedienen sich dabei insbesondere ihres Informationsvorsprunges und ihrer exponierten Stellung als Prozessmanager. Die Mitgliedsstaaten (MS) verlieren bei diesem Prozess ihre Gestaltungsmacht, da es sich teilweise um hochgradig technische Problemstellungen handelt, die von der EU-Kommission in Zusammenarbeit mit Experten, Verbandsvertretern und Fachbeamten bearbeitet und gelöst werden (Morisse-Schilbach 2006 {Pierson 1996}: 280). Auf Grund dessen nehmen die Kompetenzen der EU und ihrer Institutionen automatisch zu, da im komplexen europäischen Mehrebenensystem verwandte Politikbereiche oftmals eng miteinander verwoben sind und die Integration eines Politikbereiches automatisch eine Sogwirkung auf den anderen ausübt (ebenda: 280)
4) Präferenzwandel bei den Regierungen:
Als Resultat veränderter politischer Präferenzen bei den MS entstehen Kontrolllücken der supranationalen Organisationen. Als Beispiel für solche veränderten politischen Präferenzen benennt Pierson neue Informationen, sich wandelnde Umweltbedingungen und insbesondere Regierungswechsel. Jede neu gewählte Regierung versucht, ihrer nationalen Europapolitik ihr eigenes Gesicht zu verleihen (ebenda: 280).
Diese vier Erklärungsfaktoren für die Entstehung von Kontrolllücken der europäischen Institutionen erklären jedoch nicht abschließend, warum die Mitgliedsstaaten, obwohl sie sich der Lücken bewusst sind, im Nachhinein diese Kontrolldefizite nicht überwinden können.
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- Quote paper
- Volker Haubrich (Author), 2013, Wertorientierungen und historische Pfadabhängigkeiten im Politikfeld der transnationalen Arbeitsbeziehungen, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/313991
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