Während der Sommerferien stehlen die beiden 14-jährigen Klassenkameraden Maik Klingenberg und Andrej Tschichatschow, den alle nur Tschick nennen, ein altes Auto der Marke Lada und unternehmen eine Reise quer durch Ostdeutschland. Dabei sind sie mehr oder weniger orientierungslos, obwohl ihr Ziel die Walachei ist.
Beide, sowohl Tschick als auch Maik, kommen aus kaputten Familien: Tschick lebt erst seit vier Jahren gemeinsam mit seinem Bruder in Deutschland, seine Eltern werden im gesamten Roman nicht erwähnt. Auf den ersten Blick stammt Maik hingegen aus einer reichen Familie, die in einer Villa mit Pool lebt und Angestellte hat. Doch auch für ihn sind seine Eltern kein Rückhalt: Maiks Mutter ist Alkoholikerin, während sein Vater mit seinem Immobiliengeschäft gescheitert ist und eine jahrelange Affäre mit seiner Sekretärin hat. Maik ist genau wie Tschick ein Außenseiter, der Angst davor hat, sein ganzes Leben lang als „Langweiler“ und „Angsthase“ zu gelten.
In der gezeigten Stunde soll die Verhandlung vor Gericht thematisiert werden. Aus didaktischen Gründen wird hier der Fokus auf den Protagonisten Maik und den Umgang mit Jugenddelinquenz gelegt. Aus diesem Grund wird Tschick nicht an der Gerichtsverhandlung vertreten sein.
Im Verlauf der Gerichtsverhandlung wird deutlich, dass Maik zu seiner Freundschaft zu Tschick steht: Sein Freund ist ihm nun wichtiger als sein kurzfristiger eigener Vorteil, wodurch auf seine Fähigkeit zur Selbstkritik und auf den Zugewinn an innerer Stärke hingewiesen wird. Neben der Entwicklung Maiks soll die Frage nach den Straftaten und der Angemessenheit des Strafmaßes thematisiert werden. Denn obwohl Maik durch die Reise eine positive Entwicklung durchgemacht hat, hat er sich strafbar gemacht und mehrere Mitmenschen durch sein Verhalten geschädigt. Er selbst ist sich schon länger darüber im Klaren, dass er durch mehrere Delikte zu einem „Verbrecher “ geworden ist. Dass das Urteil des Richters sehr milde ausfällt, liegt vor allem an dem Gutachten des Jugendgerichtshelfers, der Maiks familiäres Umfeld als „asozial“ bewertet und somit Maiks Verhalten in einem Zusammenhang mit dem fehlenden Rückhalt durch seine Eltern sieht. Dadurch, dass die Straftaten im Kontext mit möglichen Ursachen betrachtet werden, liegt für die SuS darin eine Chance, sich mit dem Thema Jugenddelinquenz auseinanderzusetzen, wodurch dem Erziehungsauftrag der Institution Schule Rechnung getragen wird.
1 Überblick über die Unterrichtsreihe
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
2 Lerngruppe und spezielle Unterrichtsvoraussetzungen
In der Klasse 9b, die ich seit Beginn des Schuljahres eingenverantwortlich unterrichte, lernen insgesamt 26 SuS, davon 10 Mädchen und 16 Jungen. 14 SuS haben einen Migrationshintergrund.
Das Leistungsniveau der Lerngruppe ist sehr heterogen, tendenziell jedoch als durchschnittlich einzustufen. Es gibt einige Schüler, die durch eine Vielzahl qualitativ hochwertiger Beiträge das Unterrichtsgeschehen voranbringen und stets interessiert den Unterricht verfolgen. Andere Schüler beteiligen sich jedoch kaum am Unterricht und/ oder benötigen oftmals Hilfestellung bei der Erledigung der Arbeitsaufträge. Dies liegt bei einigen Schülern zum einen am sprachlichen Vermögen, zum anderen aber auch an fehlender Selbstständigkeit und mangelhaftem Konzentrations-vermögen.
Lange Phasen des Frontalunterrichts überfordern die Konzentrationsfähigkeit einiger SuS der Lerngruppe. So stören vor allem A und B ab und an durch permanentes Gerede den Unterricht. Beide müssen immer wieder zu Ruhe und Disziplin angehalten werden. Auf Ermahnungen reagieren sie manchmal trotzig und uneinsichtig. In letzter Zeit kommen Störungen jedoch viel seltener vor und ihre mündlichen Leistungen sind deutlich besser geworden.
Auch C und D neigen dazu, sich gegenseitig vom Unterrichtsgeschehen abzulenken. Gleiches gilt für E und F. Bei Ermahnungen zeigen sich eben genannte Schüler jedoch kooperativ und einsichtig.
Seit Beginn des neuen Halbjahres befindet sich eine neue Schülerin in der Klasse. Sie macht bisher einen sehr zurückhaltenden Eindruck, arbeitet in den Erarbeitungsphasen jedoch ruhig und konzentriert, sodass man von einem Verständnis des Lernstoffes ausgehen muss. Seit einiger Zeit arbeitet sie kontinuierlicher mit, wodurch von einer gelungen Integration in die Lerngruppe ausgegangen werden kann.
In Bezug auf das deklarative und prozedurale Wissen sowie der motivationalen Komponenten lässt sich Folgendes festhalten:
deklaratives Wissen (WISSEN):
- Kriterien einer szenischen Interpretation
- Fachbegriffe einer Interpretation
prozedurales Wissen (KÖNNEN):
- gestellte Aufgabe kann aufgabengerecht umgesetzt werden
- Formulieren eines kriteriengeleiteten Feedbacks
- Sozialform der arbeitsgleichen Gruppenarbeit
- Szenisches Interpretieren als Technik der Hermeneutik
motivationale Komponente (WOLLEN):
- aktive Beteiligung an der Gruppenarbeitsphase und in handlungsorientierten Produktionsweisen
- Interesse der SuS am Roman
3 Bezug zum Rahmenlehrplan
Die vorliegende Stunde folgt den Vorgaben des Berliner Rahmenlehrplans für die Sekundarstufe I.[2] Dieser sieht innerhalb des Themenblocks „Mit Sprache gestalten[3] “ vor, dass die SuS sich mit einem Roman auseinandersetzen, indem sie „Szenen gestalten[4].“
Weil die SuS sich bisher jedoch schwertaten, den Roman im Hinblick auf die Entwicklung Maik Klingenbergs aus unterschiedlichen Perspektiven zu interpretieren, habe ich mich dazu entschieden, den Kompetenzschwerpunkt in den Bereich des Mündlichen zu legen und die Kompetenz „ Sprechen und Zuhören: Sich mit anderen verständigen und andere informieren“ in den Mittelpunkt der Sequenz zu stellen.
4 Individuelle Kompetenzentwicklung der Lernenden
Die im Folgenden beschriebene Kompetenzentwicklung der Schüler bezieht sich sowohl auf diese Stunde als auch auf die vorausgehenden Stunden, in der die SuS einen wesentlichen Beitrag zur Vorbereitung der szenischen Interpretation geleistet haben. Daher muss das Ergebnis auch unter dem Aspekt der zuvor stattgefundenen inhaltlichen Auseinandersetzung mit dem Thema gesehen werden. Die im Folgenden fett gedruckten Kompetenzbeschreibungen beziehen sich dabei vorrangig auf diese Stunde.
Ein hohes Kompetenzniveau besitzen diejenigen SuS, die während der Gerichtsverhandlung das Strafmaß von Tschick und Maik begründen müssen. Dazu müssen sie in der Lage sein, auf die Schilderungen der beiden Angeklagten einzugehen und sich eine eigene Meinung zu bilden (Richter).
In dem szenischen Spiel übernehmen sie eine tragende Rolle. Sie nehmen aktiv an der Diskussion teil und erteilen während der Gerichtsverhandlung das Wort an die restlichen Darsteller. Diese SuS können auf Meinungen und Argumentationsstrategien ihrer KlassenkameradInnen angemessen reagieren. Sie können die aufgezeigten Probleme und Sachverhalte in einen übergeordneten Zusammenhang setzen. Sollten diese SuS nicht selbst als Darsteller fungieren, sind sie in der Auswertungsphase in der Lage, ein konstruktives und kriteriengeleitetes Feedback an die übrigen Darsteller zurückzugeben. Als Darsteller können sie auch das eigene Verhalten kritisch reflektieren.
Ein mittleres Kompetenzniveau besitzen SuS, welche die gestellte Aufgabe bewältigen können. Sie können während der Gerichtsverhandlung den jeweiligen Charakter verkörpern. Sie nehmen an dem szenischen Spiel aktiv teil und halten sich dabei an die Vorgaben. Diese SuS können auf Meinungen und Schlussfolgerungen ihrer KlassenkameradInnen angemessen reagieren. In der Auswertungsphase sind diese SuS in der Lage, ein kriteriengeleitetes Feedback an die übrigen Darsteller zurückzugeben.
Ein niedriges Kompetenzniveau besitzen SuS, welche die gestellte Aufgabe unter Beihilfen bewältigen können: Sie können während der Gerichtsverhandlung mithilfe ihrer Rollenkarten und den Formulierungshilfen den jeweiligen Charakter verkörpern. Sie nehmen an dem szenischen Spiel teil. Diese SuS können auf Meinungen und Schlussfolgerungen ihrer KlassenkameradInnen angemessen reagieren. In der Auswertungsphase sind diese SuS in Ansätzen in der Lage, ein kriteriengeleitetes Feedback an die übrigen Darsteller zurückzugeben.
5 Sachanalyse/ Didaktische Reduktion
„Tschick ist einfach ein Roman über zwei Heranwachsende, die aus ihrer gewohnten Umgebung ausbrechen, um frei und unabhängig zu werden“[5].
Kürzer als Wolfgang Herrndorf es im vorangestellten Zitat getan hat, kann man die Handlung von Tschick nicht zusammenfassen. Während der Sommerferien stehlen die beiden 14-jährigen Klassenkameraden Maik Klingenberg und Andrej Tschichatschow, den alle nur Tschick nennen, ein altes Auto der Marke Lada und unternehmen eine Reise quer durch Ostdeutschland. Dabei sind sie mehr oder weniger orientierungslos, obwohl ihr Ziel die Walachei ist.
[...]
[1] Im Folgenden als SuS abgekürzt.
[2] Vgl. Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Sport (Hg.), Rahmenlehrplan für die Sekundarstufe I. Deutsch, 2006.
[3] Ebd., S.58.
[4] Ebd. S. 60.
[5] Vgl. Herrndorf, Wolfgang; Koall, Robert: Tschick. Materialmappe, 2012, S.1.
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