Mitte der 1960er Jahre trat eine neue Form der Theaterkunst auf, deren Ursprünge in den 1920er Jahren unter anderem bei Bühnenstücken Berthold Brechts oder Erwin Piscators zu finden sind. Diese neue Theaterkunst wird als Dokumentartheater bezeichnet und schlug wegen seinem starken Bezug zur Wirklichkeit besonders bei den jeweiligen Uraufführungen hohe Wellen, so dass es nicht selten zu Tumulten und Auseinandersetzungen unter den Zuschauern kam. Im Folgenden soll diese Ausarbeitung klären, was das Dokumentartheater eigentlich erst zum Dokumentartheater macht und was den wesentlichen Unterschied zu klassischen Theaterstücken ausmacht. Danach soll verdeutlicht werden, was Dokumentartheater für Peter Weiss, einen der wichtigsten Verfechter dieser Literaturgattung, bedeutet. Seine Handhabung mit dokumentarischen Elementen in den jeweiligen Theaterstücken wird verdeutlicht anhand des "Diskurs über die Vorgeschichte und den Verlauf des lang andauernden Befreiungskrieges in Viet Nam als Beispiel für die Notwendigkeit des bewaffneten Kampfes der Unterdrückten gegen die Unterdrücker sowie die Versuche der Vereinigten Staaten von Amerika die Grundlage der Revolution zu vernichten", kurz „Viet Nam Diskurs“ aus den Jahren 1967/1968. Im weiteren Verlauf lautet die Fragestellung dieser Arbeit, wie und vor allem weshalb Peter Weiss jedoch die Schiene des Dokumentartheaters in seinem nächsten Stück „Trotzki im Exil“ aus dem Jahre 1970 verlässt. Bei der Untersuchung der jeweiligen Stücke wird nicht das gesamte Werk herangezogen, da dies den Rahmen dieser Ausarbeitung übertreffen würde, sondern sich auf einige Szenen beschränkt.
Inhaltsverzeichnis
1. EINLEITUNG
2. DAS DOKUMENTARTHEATER
3. DAS DOKUMENTARTHEATER BEI PETER WEISS
4. DAS DOKUMENTARTHEATER IM „VIET NAM DISKURS“
5. TROTZKI IM EXIL
6. SCHLUSS
7. LITERATURVERZEICHNIS
1. Einleitung
Mitte der 1960er Jahre trat eine neue Form der Theaterkunst auf, deren Ursprünge in den 1920er Jahren unter anderem bei Bühnenstücken Berthold Brechts oder Erwin Piscators zu finden sind. Diese neue Theaterkunst wird als Dokumentartheater bezeichnet und schlug wegen seinem starken Bezug zur Wirklichkeit besonders bei den jeweiligen Uraufführungen hohe Wellen, so dass es nicht selten zu Tumulten und Auseinandersetzungen unter den Zuschauern kam. Im Folgenden soll diese Ausarbeitung klären, was das Dokumentartheater eigentlich erst zum Dokumentartheater macht und was den wesentlichen Unterschied zu klassischen Theaterstücken ausmacht. Danach soll verdeutlicht werden, was Dokumentartheater für Peter Weiss, einen der wichtigsten Verfechter dieser Literaturgattung, bedeutet. Seine Handhabung mit dokumentarischen Elementen in den jeweiligen Theaterstücken wird verdeutlicht anhand des "Diskurs über die Vorgeschichte und den Verlauf des lang andauernden Befreiungskrieges in Viet Nam als Beispiel für die Notwendigkeit des bewaffneten Kampfes der Unterdrückten gegen die Unterdrücker sowie die Versuche der Vereinigten Staaten von Amerika die Grundlage der Revolution zu vernichten", kurz „Viet Nam Diskurs“ aus den Jahren 1967/1968. Im weiteren Verlauf lautet die Fragestellung dieser Arbeit, wie und vor allem weshalb Peter Weiss jedoch die Schiene des Dokumentartheaters in seinem nächsten Stück „Trotzki im Exil“ aus dem Jahre 1970 verlässt. Bei der Untersuchung der jeweiligen Stücke wird nicht das gesamte Werk herangezogen, da dies den Rahmen dieser Ausarbeitung übertreffen würde, sondern sich auf einige Szenen beschränkt.
2. Das Dokumentartheater
Die Uraufführung des ´Stellvertreters` von Rolf Hochhuth vom 20.02.1963 an der Berliner Volksbühne löste eine Welle neuer Theaterstücke aus, welche später von Peter Weiss als ´Dokumentartheater` betitelt wurde. Seitdem wurde das Dokumentartheater auf verschiedenste Art definiert, allerdings bleibt festzuhalten, dass das dokumentarische Theater primär politisches Theater darstellt.
Beispielsweise ist nach Siegfried Melchingers Auffassung die Politik zu einem Charakteristikum des modernen Theaters geworden. Für Melchinger ist Politik in diesem Sinne eine Auseinandersetzung in der organisierten Form des menschlichen Zusammenlebens, in welcher das Individuum in eine Gruppe integriert sei und aus dieser heraus agiere. Sofern bei den dargestellten Individuen bzw. Vorgängen dieser Aspekt im Vordergrund des Interesses stehe, spreche man von politischem Theater.[1] Mit dieser Definition grenzt Melchinger das politische vom unpolitischen Theater ab, jedoch stellt er gleichzeitig die Beziehung zwischen den modernen Theatern und der gesamten europäischen Theatergeschichte her.[2] Nach seiner Auffassung ist bereits Aischylos „Perser“ politisches Theater, ebenso wie Shakespeare, Schiller, Büchner und Brecht. Zwar räumt er gewisse Unterschiede zwischen dem Theater der Griechen und dem Büchners ein, jedoch beginne das politische Theater an der Stelle, an der der gewöhnliche Mensch zum Helden gemacht werde.[3]
Eine etwas andere Definition von Dokumentartheater liefert Henning Rischbieter:
„Ich bin, anders als Melchinger, der Meinung, dass politisches Theater nicht schon da gegeben ist, wo politische Thematik vorherrscht. Sondern ich meine, dass erst da, wo politische Vorgänge als Prozess dargestellt werden, der aus der Vergangenheit über die Gegenwart in die Zukunft geht, wo Richtungen des Prozesses nicht nur konstatiert, sondern auch unterstrichen, bejaht, gewünscht werden, von politischem Theater gesprochen werden kann. Wir nähern uns einem gefährlichem Gebiet: die Tendenz macht das politische Theater.“[4]
Zudem neige er dazu, das politische Theater nicht zu sehr thematisch zu definieren und es daher nicht auf die Auseinandersetzung in der organisierten Form des menschlichen Zusammenlebens zu beschränken, sondern es von der Tendenz zur Veränderung, also von der einbezogenen Zukunftshoffnung zu definieren .[5]
Nach Rainer Tâenis Vorstellungen gehört das politische Theater nicht zu einem dramaturgischem Konzept, sondern lediglich zu dem Bestreben eines Autors, geschichtliche Tatbestände auf der Bühne abzuhandeln, die oftmals weitgehend unbekannt, aber dokumentarisch belegbar seien.[6] Oder wie es Marianne Kesting kurz, jedoch treffend formuliert: „Das Dokumentar – Drama beruht auf dokumentarisch belegten Fakten.“[7] Erwin Piscator hingegen versteht unter Dokumentartheater, dass mit Hilfe der jeweiligen Techniken der Dramenstoff dokumentierbar gemacht werde. Der Stoff soll wissenschaftlich durchdrungen, auf die Umwelt bezogen und solcherart beweiskräftig sein.[8] Des Weiteren erwähnt Piscator als Grundgedanken aller Bühnenhandlung die Steigerung der privaten Szenen ins Historische, Politische, Ökonomische und Soziale, da man nur so die Bühne in Verbindung mit dem alltäglichen Leben setze.[9]
Otto F. Best sieht den entscheidenden Unterschied des Theaters der zwanziger Jahre zu dem der sechziger Jahre in dem Verzicht auf Fiktion. Piscators und Brechts Dramenstoffe basieren noch auf erfundenen Fabeln, allerdings sei beim dokumentarischem Theater der sechziger Jahre das entscheidend Neue die Dokumentierbarkeit des Themas, der Fabel, der Figuren.[10]
Eine sehr ausführliche Genrebestimmung des Dokumentartheaters liefert Brian Barton in seinem Buch „Das Dokumentartheater“. Er sieht die Notwendigkeit des Dokumentartheaters darin, „dass die Fiktion nicht mehr in der Lage sei, gewisse Aspekte der Wirklichkeit ausreichend darzustellen“.[11] Zudem erkennt Barton:
„Die dokumentarischen Wellen im deutschsprachigen Theater - 1924 bis 1929 und 1963 bis 1970 – entstehen zu Zeiten, in denen bestimmte soziale und politische Fragen der Zeit als zu dringend, zu komplex oder zu überwältigend empfunden werden, um mit fiktiven Handlungen und Figuren behandelt zu werden.“[12]
Nach seiner Auffassung wird „das dokumentarische Element dazu benutzt, die sonst bestehende Trennung zwischen Kunst und Wirklichkeit aufzuheben und die gesellschaftliche bzw. politische Funktion des Theaters stärker hervorzuheben“.[13] Die Stärke des dokumentarischen Theaters liege dabei in der Fähigkeit, die Kernfragen der heutigen Zeit auf der Bühne darzustellen und zu interpretieren.[14] Barton grenzt das dokumentarische Theater von anderen Formen, wie z.B. dem historischen Dokument ab:
„Im dokumentarischen Theater wird die authentische und vor allem belegbare Qualität des Faktenmaterials zur unentbehrlichen Vorraussetzung für die Darstellung und Analyse der heutigen Zeit.“[15]
Die historischen Dokumente hingegen gewinnen neue Funktionen, indem andere Rezeptionsverhältnisse geschaffen werden. Allerdings hat er seine Zweifel im Zusammenhang mit Bühnendokumenten von Authentizität zu sprechen. Er gesteht dem Bühnenstück zwar eine gewisse Art von Authentizität zu, jedoch sei es eine andere Authentizität, als in historischen Quellen.[16] Barton ist der Überzeugung, dass das dokumentarische Theater eine „kritische Neubearbeitung aus der Gegenwartsperspektive beabsichtigt. Dokumentarische Belege werden dazu verwendet, das uns durch die Massenmedien überlieferte Bild der Wirklichkeit in Frage zu stellen“.[17] Als besonders wichtige Merkmale des Dokumentartheaters führt er die Montage und Schnitttechnik an. Bezüglich der Montage kommt er zu der Auffassung, dass „Partikel der Wahrheit durch ihre Auswahl und Zusammensetzung im Kunstwerk neue Bedeutungen und Funktionen erhalten. Nur durch die Montagetechnik können einzelne faktische Elemente ihre Authentizität bewahren und gleichzeitig über den Stoff hinaus auf größere Themen verweisen“.[18] Ähnlich verhält es sich bei den jeweiligen Schnitttechniken. Auf diese Weise können Fakten von verschiedenen Quellen in einen thematischen Zusammenhang gebracht werden. Dadurch wird jede Auswahl von Montage dokumentarischen Materials zu einer subjektiven Meinungsäußerung. Allerdings muss darauf geachtet werden, dass trotz jeglicher Parteilichkeit in der Analyse und Darstellung, die logischen Zusammenhänge zwischen dem Beweismaterial und der Kommentarebene durchschaubar bleiben.[19]
[...]
[1] Vgl. Melchinger, Siegfried. Von Sophokles bis Brecht. In: Theater. o.O. 1965. S. 42
[2] Vgl. Blumer, Arnold. Das dokumentarische Theater der sechziger Jahre in der Bundesrepublik. 1. Auflage. Meisenheim. 1977. S. 2
[3] Vgl. Melchinger, S. Von Sophokles bis Brecht. S. 43
[4] Rischbieter, Henning. Theater und Politik. In: Theater. o.O. 1965. S. 47 f.
[5] Vgl. ebd. S. 48
[6] Vgl. Taêni, Rainer. Drama nach Brecht. Basel. 1968. S. 123
[7] Kesting, Marianne. Völkermord und Ästhetik. In: Neue Deutsche Hefte 113. o.O. 1967. S. 94
[8] Vgl. Piscator, Erwin. Das Politische Theater. Reinbek 1963. S. 65
[9] Vgl. ebd. S. 150 f.
[10] Vgl. Best, Otto F.: Peter Weiss. Bern. 1971. S. 126 f.
[11] Barton, Brian. Das Dokumentartheater. Stuttgart. 1987. S. 1
[12] Ebd. S. 1 f.
[13] Ebd. S. 2
[14] Vgl. ebd.
[15] Ebd.
[16] Vgl. Barton, B. Das Dokumentartheater. S. 3
[17] Ebd. S. 4
[18] Ebd. S. 4 f.
[19] Vgl. ebd. S. 5
- Arbeit zitieren
- Daniel Pater (Autor:in), 2004, Das Dokumentartheater des Peter Weiss - Am Beispiel des "Viet Nam Diskurs" und "Trotzki im Exil", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/31334
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