Der Stoff zu Hoffmanns 1819 im Band Die Serapionsbrüder erschienener Erzählung Die Bergwerke zu Falun geht auf ein Ereignis aus dem Jahre 1670 zurück und wurde vor Hoffmanns Bearbeitung bereits von Johann Peter Hebel als Erzählung Unverhofftes Wiedersehen in den Kalendergeschichten (1810) und von Gotthilf Heinrich von Schubert in den Ansichten von der Nachtseite der Naturwissenschaft (1808) behandelt. Gerade Schuberts Bericht war es, der Hoffmann „brennend interessierte“. Die dämonische ‚Nachtseite‘ als geheimnisvolle und schwer erklärbare Gegenwelt zur bürgerlich-menschlichen ‚Tagseite‘ wird zum charakteristischen Handlungselement in Hoffmanns Erzählung.
Die binäre Konstruktion der Textelemente soll in dieser Arbeit untersucht werden, wobei Beschaffenheit und Bedeutung des Umstands herausgearbeitet werden sollen, daß die semantischen Oppositionen der Außenwelt sich auch in der Innenwelt der Figur des Elis Fröbom widerspiegeln und somit ein weiteres Gegensatzpaar Außen – Innen entsteht.
Der Stoff zu Hoffmanns 1819 im Band Die Serapionsbrüder erschienener Erzählung Die Bergwerke zu Falun geht auf ein Ereignis aus dem Jahre 1670 zurück und wurde vor Hoffmanns Bearbeitung bereits von Johann Peter Hebel als Erzählung Unverhofftes Wiedersehen in den Kalendergeschichten (1810) und von Gotthilf Heinrich von Schubert in den Ansichten von der Nachtseite der Naturwissenschaft (1808) behandelt.1 Gerade Schuberts Bericht war es, der Hoffmann „brennend interessierte“2. Die dämonische ‚Nachtseite‘ als geheimnisvolle und schwer erklärbare Gegenwelt zur bürgerlich-menschlichen ‚Tagseite‘ wird zum charakteristischen Handlungselement in Hoffmanns Erzählung.
Die binäre Konstruktion der Textelemente soll in dieser Arbeit untersucht werden, wobei Beschaffenheit und Bedeutung des Umstands herausgearbeitet werden sollen, daß die semantischen Oppositionen der Außenwelt sich auch in der Innenwelt der Figur des Elis Fröbom widerspiegeln und somit ein weiteres Gegensatzpaar Außen - Innen entsteht.3
Zunächst wird Elis Fröbom mit seinem Verhalten in Kontrast gezeigt zu den auffallend überschwänglich geschilderten Feierlichkeiten anläßlich der Heimkehr des Ostindienfahrers. Die eröffnende Formulierung „an einem heitern sonnenhellen Juliustage“4 etabliert sogleich einen Term, der in seiner Symbolhaftigkeit zusammen mit dem Begriff „azurblaue Luft“ (3) eine im mythisch-religiösen Denken verankerte positive Bedeutung5 zugeschrieben bekommt. Er wird im Verlaufe der Erzählung auch räumlich realisiert; zum einen als „das gute Göthaborg im schönsten Handelsflor“ (ebd.), und zum andern - in Kontrast zur finsteren ‚Unterwelt‘ der Bergwerke -, als weiter gefaßter Parallelraum der oberirdisch-menschlichen Welt.
Werden die Menschen dieser Welt zunächst nur als Gruppen geschildert, die Matrosen „zu Paar und Paar“ (4), sticht Fröbom unter ihnen als „nur ein einziger Seemann“ (ebd.) hervor, der von einem Kameraden sogleich als „mal wieder ein recht trauriger Narr“ (ebd.) bezeichnet wird. Der Figur Fröbom wird hier eine exponierte Stellung innerhalb des semantischen Raumes der ‚Oberwelt‘ zugeschrieben, die sich noch verdeutlicht, als Elis dem Gespött der Seemänner trotzt, er könne nicht saufen (vgl. 5), indem er einen Becher Branntwein „mit einem Zug“ (ebd.) leert. Elis, dem Mut und Tapferkeit bereits attestiert wurden (vgl. ebd.), ist somit äußerlich als Figur der Oberwelt etabliert, seine Veranlagung zur Traurigkeit hingegen, die - ganz im entsprechenden Denkmuster ablaufend -, von Joens mit Elis‘ Herkunft aus dem Landstrich Närke begründet wird (vgl. ebd.), weist darauf hin, daß Fröboms Konflikt ein interner ist. Daß es hier um Verlust geht, wird deutlich, als Fröbom die tragische Geschichte vom Tod seiner Eltern und Geschwister berichtet, und besonders der kürzliche Verlust seiner Mutter ist es, der ihn verzweifeln läßt. Hing sein eigenes Leben bisher von dem seiner Mutter ab, war der Gedanke an sie ihm die Motivation, seinen vorbestimmten (vgl. 7) Beruf als Seemann gewissenhaft auszuüben, indem er gar seinen Sold für sie verdiente, so verliert er mit ihr nicht nur seine wichtigste Bezugsperson, sondern auch sich selbst. Dieser Selbstverlust drückt sich in zwei Eigenschaften aus: In Elis‘ Verhalten wird eine Schicksalsergebenheit deutlich, die insbesondere zum Ausdruck kommt, als der Tröstungsversuch seiner Kameraden, ihm eine „Dirne“ (ebd.) zu schicken, fehlschlägt, denn obwohl „der Dirne süß Gelispel recht in sein Inneres hineingeklungen“ (6), lehnt er „wie sich besinnend“ (ebd.) das Angebot ab und versenkt sich wieder in seine Traurigkeit. Über diese fatalistische Einstellung hinaus wohnt Fröbom ferner eine Lebensverneinung inne, die schließlich in seiner ersten formelhaften Todesbeschwörung zum Ausdruck kommt: „‘Ach, läg‘ ich doch nur begraben in dem tiefsten Meeresgrunde! - denn im Leben gibt’s keinen Menschen mehr, mit dem ich mich freuen sollte!‘“ (7).
Das plötzliche Auftauchen Torberns (der zunächt nicht namentlich, sondern nur in seiner Funktion als Bergmann genannt wird), angeschlossen mit der Konjunktion „da“ (ebd.), die hier sowohl temporal als auch kausal gebraucht werden kann, läßt eine geheimnivolle Zielgerichtetheit erkennen und bedeutet die erste Begegnung Elis‘ mit einem Vertreter der Unterwelt. So ist es auch nicht die Mine selbst, von Elis als „schauerliche Höllentiefe“(10) abgelehnt, sondern „des Alten seltsame Weise, von den unterirdischen Wundern zu reden, als stehe er gerade in ihrer Mitte“ (12), die ihn fasziniert, und „sein ganzes Ich“ (ebd.) erfaßt.
Torbern hat Elis die andere Welt eröffnet, die sogleich Eingang in Elis‘ innere Welt findet: Im Traum, der als Vorahnung konstruiert ist, verschwimmen die Paradigmen der Oberwelt mit denen der Unterwelt, gleichzeitig wird hier Elis Fröboms Konflikt in deutlichster Weise aufgezeigt:
Er erlebt nicht nur die Schönheit dieser Welt, sondern fühlt auch die erotische Anziehungskraft ihrer Wesen. So erlebt er „unzählige holde jungfräuliche Gestalten“ (13), und die zentrale Opposition, die Ausdruck seiner ganzen inneren Spaltung bleiben soll, wird etabliert: „Ein unbeschreibliches Gefühl von Schmerz und Wollust ergriff den Jüngling, eine Welt von Liebe, Sehnsucht, brünstigem Verlangen ging auf in seinem Innern“ (ebd., Hervorhebung T.H.). Die venushaften Gestalten locken Elis tiefer, und Torbern, der hier, als „Riesengestalt, aus glühendem Erz gegossen“ (14), bedeutend dämonischer dargestellt wird als bei der ersten Begegnung, begleitet mahnend die Erscheinung der „Königin“ (14), erlaubt Fröbom aber einen Blick zurück.
Das im Traum erscheinende „holde(...), junge(...) Weib“ (ebd.) mit der Stimme seiner Mutter sowie die nach dem panischen Erwachen Elis‘ mit inzwischen aufkeimender Sehsucht nach der Dirne gepaarte, „mit tiefer Wehmut“ (15) verbundene Denken an seine Mutter zeigen deutlich, daß die oberweltliche Erklärung Elis, nur geträumt zu haben (vgl. ebd.), der vollzogenen inneren Spaltung nicht standhält und Elis‘ beginnende unterweltliche Initiation, die allerdings nie ganz vollzogen werden wird, mit der schmerzhaften Erfahrung des Versuchs verbunden ist, die nicht sexualisierte Mutter mit einer sexuellen Frau gleichzusetzen.
Noch bevor der topographische Raum ‚Falun‘ bzw. ‚Bergwerke in Falun‘ von Elis betreten wurde, ergibt sich damit folgendes:6 Elis Fröbom ist als Handlungsträger etabliert, der sich zwischen den semantischen Räumen Ober- und Unterwelt zu bewegen vermag, was ihn von den Figuren der Oberwelt unterscheidet.
Die Formulierung „sein Ich zerfloß in dem glänzenden Gestein“ (14) verstärkt diese These. Hier wird die Ich-Konzeption als Teil der irdischen Welt egalisiert, und in der Figur des Elis Fröbom verschmelzen die Strukturen der Ober- mit denen der Unterwelt.7 So spiegelt sich die Beschaffenheit jener unirdischen Welt in Elis Fröbom genauso wider wie die der irdischen, so, wie die Grube das invertierte Himmelreich darstellt.8 Es läßt sich folgende Klassifikation vornehmen:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Die unterirdische Welt präsentiert sich dem nach Falun gereisten, von Torbern geführten Elis Fröbom zunächst fern der erotisch aufgeladenen Traumerlebnisse in Form eines „ungeheuern Höllenschlunde[s]“ (17), „ein ewiger, betäubender Schwefeldunst steigt aus der Tiefe, als würde unten der Höllensud gekocht, dessen Dämpfe alle grüne Lust der Natur vergiften.“ (ebd.). Waren es zuvor die Jungfrauen, „die sich mit weißen glänzenden Armen umschlungen hielten“ (13), so kommen ihm „das schwarze Gestein, die blaulichen, roten Schlacken des Erzes“ (18) nun vor wie „abscheuliche Untiere, die ihre häßlichen Polypenarme nach ihm ausstreckten.“ (ebd.). Erneut ruft Elis eine höhere Macht an: „‘O Herr meines Lebens, was sind alle Schauer des Meeres gegen das Entsetzen, was dort in dem öden Steingeklüft wohnt!‘“ (19) Am selben Abend trifft er das erstemal mit Ulla Dahlsjö zusammen, einer oberweltlichen Venus, durch die er den alten Bergmann Torbern vergißt (vgl. 21). Sogleich seine Zerrissenheit spürend und sich wünschend, lieber tot zu sein als „in Liebe und Sehnsucht“ (ebd.) zu vergehen, berichtet er dennoch, ganz umgestimmt, Bergmann werden zu wollen.
Daß Elis nicht zur ‚Unterwelt‘ steht, sondern das Bergwerk als Arbeitsplatz sieht und aus Liebe zu Ulla arbeitet, läßt sogleich Torbern, den Wiedergänger und Mittler zwischen den Welten, erscheinen. Er spricht
[...]
1 Hebel, Johann Peter: UNVERHOFFTES WIEDERSEHEN. In: Ders.: DIE KALENDERGESCHICHTEN. SÄMTLICHE ERZÄHLUNGEN AUS DEM RHEINISCHEN HAUSFREUND. Hrsg. von Hannelore Schlaffer und Rainer Zils, München 1999. - Schubert, Gotthilf Heinrich von: ANSICHTEN VON DER NACHTSEITE DER NATURWISSENSCHAFT. Dresden 1808.
2 Pörnbacher, Hans: NACHWORT. In: Hoffmann, E.T.A.: DIE BERGWERKE ZU FALUN / DER ARTUSHOF. Stuttgart 1966, S. 77-86, hier: S. 80.
3 Zur genannten Thematik binärer Oppositionen vgl. Lotman, Jurij M.: DIE STRUKTUR LITERARISCHER TEXTE. Übersetzt von Rolf-Dietrich Keil. 4., unveränderte Auflage, München 1993, S. 337 ff.
4 Hoffmann, E.T.A.: DIE BERGWERKE ZU FALUN / DER ARTUSHOF. Stuttgart 1966, S. 3. Im folgenden stehen die Seitenzahlen in Klammern hinter dem Zitat.
5 Vgl. hierzu Usener, Hermann: GÖTTERNAMEN. VERSUCH EINER LEHRE VON DER RELIGIÖSEN BEGRIFFSBILDUNG. Bonn 1896: „Auf die oberste höhe religiöser empfindungen und gedanken hebt uns die vorstellung des himmelslichtes...“ (sic, S. 177), bzw. „‘Rein‘ nennt Euripides das licht des tages: der wolkenlose blaue himmel mit dem ungestört entströmenden licht ist das göttliche urbild der reinheit...“ (sic, S. 179). Auch: Joh. 8, 12: „Ich bin das Licht der Welt.“
6 Vgl. zu Strukturen und Begrifflichkeit Lotman: Struktur, a.a.O., S. 329 ff.
7 Vgl. zu der Ich-Konzeption weiterführend a.a.O., S. 349 ff.
8 Vgl. 11: „... in dem wunderbaren Gestein die Abspiegelung dessen zu erkennen vermag, was oben über den Wolken verborgen.“
- Quote paper
- Till Hurlin (Author), 2004, Gründe für den Zerfall. Die Figur des Elis Fröbom in E.T.A. Hoffmanns "Die Bergwerke zu Falun", Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/31271
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