Bis die modernen Staaten ihr Gewaltmonopol legitimieren und tatsächlich durchsetzen konnten, dauerte es mehrere Jahrhunderte. Dies gelang erst mit der Aufklärung am Ende des 18. Jahrhunderts. Seit dem waren die Gewaltmonopole weitestgehend stabil. Dies änderte sich jedoch in den letzten Jahrzehnten und zwar nicht etwa, weil andere Gewalteinflüsse die Staaten zur Aufgabe des Monopols gezwungen hätten, sondern die Staaten entschieden sich freiwillig dazu, bestimmte Bereiche ihrer staatlichen Gewalt in die Hände privater Unternehmen zu geben. In nahezu allen Bereichen, die im Zusammenhang mit der staatlichen Gewalt stehen, angefangen von der Logistik, über die Ausbildung und das Training von Sicherheitskräften, die Wartung von Fahrzeugen und Kriegsgeräten, die Lieferung von Waffensystemen sowie deren Betrieb und sogar im direkten Kampfgeschehen sind inzwischen private Militärfirmen im Auftrag des Staates im Einsatz.
Dies wirft zwei wichtige Fragen auf: wie verhält sich die Privatisierung der Gewalt zum staatlichen Gewaltmonopol bzw. zum Staat selbst? Welche Folgen ergeben sich dadurch für die Macht der Staaten?
Inhalt
1. Einleitung
2. Macht, Gewalt und Staat
2.1 Der Begriff der Macht
2.2 Macht und Gewalt
2.3 Gewalt und Staat – von der privaten Gewalt zum staatlichen Gewaltmonopol
3. Privatisierung der Gewalt
3.1 Privatisierung von unten
3.2 Privatisierung der Gewalt von oben
4. Privatisierung der Gewalt in starken Staaten
4.1 Gründe für die Privatisierung der Gewalt in starken Staaten
4.2 Private Anbieter militärischer Dienstleistungen
5. Folgen der Privatisierung der Gewalt
6. Schlussbetrachtung
Literatur
1. Einleitung
Macht kann keineswegs mit Gewalt gleichgesetzt werden. Dennoch stehen diese beiden Phänomene in einem engen Zusammenhang. Gewalt ist quasi ein Aspekt der Macht. Besonders deutlich wird dies, wenn man Nationalstaaten betrachtet. Die Macht der modernen Nationalstaaten beruht darauf, dass sie über ein legitimiertes Monopol der Ausübung physischer Gewalt verfügen. Dies bedeutet nicht, dass moderne Staaten ausschließlich mittels gewaltsamer Durchsetzung funktionieren – das Gegenteil ist der Fall – sondern, dass sie auf diesem basieren und über das dadurch erzeugte Herrschaftsverhältnis definiert werden (vgl. Weber 1919: 36).
Bis die modernen Staaten ihr Gewaltmonopol legitimieren und tatsächlich durchsetzen konnten, dauerte es mehrere Jahrhunderte. Dies gelang erst mit der Aufklärung am Ende des 18. Jahrhunderts. Seit dem waren die Gewaltmonopole weitestgehend stabil. Dies änderte sich jedoch in den letzten Jahrzehnten und zwar nicht etwa, weil andere Gewalteinflüsse die Staaten zur Aufgabe des Monopols gezwungen hätten, sondern die Staaten entschieden sich freiwillig dazu, bestimmte Bereiche ihrer staatlichen Gewalt in die Hände privater Unternehmen zu geben. Dieser Sinneswandel basiert zum einen auf der umfassenden Durchsetzung der neoliberalen Wirtschaftsphilosophie, die den Staat als Bremser und die freien Märkte als Motor postuliert und zum anderen auf den politischen Veränderungen im Laufe des 20. Jahrhunderts. Seither sind die Staaten nicht mehr bestrebt, möglichst den gesamten Bereich der Gewalt selbst zu erfüllen, sondern weite Teile davon zu privatisieren. In nahezu allen Bereichen, die im Zusammenhang mit der staatlichen Gewalt stehen, angefangen von der Logistik, über die Ausbildung und das Training von Sicherheitskräften, die Wartung von Fahrzeugen und Kriegsgeräten, die Lieferung von Waffensystemen sowie deren Betrieb und sogar im direkten Kampfgeschehen sind inzwischen private Militärfirmen im Auftrag des Staates im Einsatz. Dies wirft zwei wichtige Fragen auf: wie verhält sich die Privatisierung der Gewalt zum staatlichen Gewaltmonopol bzw. zum Staat selbst? Welche Folgen ergeben sich dadurch für die Macht der Staaten (vgl. u.a. Singer 2006; Uesseler 2008)?
Um diese Frage beantworten zu können, wird zunächst auf den Zusammenhang von Macht, Gewalt und Staat eingegangen. Daran anschließend wird dargestellt, welche Möglichkeiten der Privatisierung von Gewalt bestehen und dann detaillierter, wie dies in starken Staaten umgesetzt wird, bevor die Frage beantwortet wird, welche Folgen sich daraus für die Staaten bzw. deren Gewaltmonopol ergeben (können).
2. Macht, Gewalt und Staat
Macht ist ein Begriff, auf den wir im alltäglichen Sprachgebrauch immer wieder stoßen. Dabei wird alles und jedem Macht zugeschrieben: Politikern, die dann auch gerne als Machthaber bezeichnet werden, der Bevölkerung, den Banken, Oberhäuptern von Kirchen aber auch Worten, der Liebe, dem Mond und sogar dem Universum. Doch ebenso weit wie dieser Begriff verbreitet ist, ebenso unklar ist er auch bei genauer Betrachtung. Bevor nun also auf das Verhältnis der Macht zur Gewalt und somit dann auf das Gewaltmonopol des Staates eingegangen werden kann, soll zunächst der Begriff der Macht genauer betrachtet werden.
2.1 Der Begriff der Macht
„Macht bedeutet jede Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen, gleichviel worauf diese Chance beruht“ (Weber 1972: 28). Dies bedeutet also, dass Ego als Machthaber bei Alter als Machtunterworfenem ein bestimmtes Verhalten gegen dessen Willen bzw. ohne auf Alter Rücksicht nehmen zu müssen, hervorrufen kann. Dieses Kausalitätsmodell, das vor allem den Zwangscharakter der Macht beschreibt, wird aber der Komplexität des Phänomens der Macht nicht gerecht, da lebendige Organismen nicht kausal auf äußere Reize reagieren. Eine kausale Reaktion Alters könnte Ego lediglich mittels physischer Gewalt bewirken, was aber lediglich eine Form der Macht darstellt und die später noch genauer dargestellt werden soll (vgl. Han 2005: 9-13).
Macht ist aber als Ursache eines bestimmten Verhaltens Alters nicht ausreichend beschrieben. Vielmehr fungiert sie als Katalysator, also als etwas, das den Eintritt von Ereignissen beschleunigt. Das bedeutet, dass die Macht die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass Alter sich so verhält, wie es dem Willen Egos entspricht. Dies setzt voraus, dass sowohl auf der Seite Egos, als auch auf der Seite Alters eine Wahlmöglichkeit bezüglich des Verhaltens besteht. Für Alter bedeutet dies, dass er auf Egos Forderung mit „Ja“ oder „Nein“ reagieren, also dieser zustimmen oder sie ablehnen kann, das heißt, dass auf beiden Seiten der sozialen Beziehung eine Selektivität vorliegt. Diese Selektivität bedeutet aber zugleich Unsicherheit beim jeweils anderen, die durch die Freiheit in der Situation produziert und durch die Machtanwendung wieder reduziert wird und somit eine weitere Machtvoraussetzung darstellt. Dabei kann die Macht aber nur dadurch gesteigert werden, dass die Freiheit auf beiden Seiten gesteigert wird, das heißt, die Macht wird dann gesteigert, wenn auf beiden Seiten mehr Selektionsalternativen vorhanden sind (vgl. Han 2005: 15-20; Luhmann 1975: 7-17).
Da die Macht wie eben beschrieben Freiheit – und zwar auf beiden Seiten der Beziehung – voraussetzt, ist sie vom Zwang zu unterscheiden. Durch den Zwang Egos werden Alters Wahlmöglichkeiten zunichte gemacht. Dieser hat dann nur noch die Möglichkeit eben das erzwungene Verhalten zu zeigen und nicht mehr zu wählen, ob er dieses Verhalten zeigen will oder nicht. Somit geht in dem Maße, in dem Ego Zwang ausübt, die gesamte Selektions- und Entscheidungsmacht auf ihn über. Der Zwang kann dabei zum Beispiel in Form von Befehlen erfolgen oder – und das stellt den Grenzfall des Zwangs dar – durch physische Gewalt vollzogen werden. Über die Sinnhaftigkeit der Ausübung von Zwang muss Ego in der jeweiligen Situation selbst entscheiden. (vgl. Han 2005: 14-15; Luhman 1975: 9).
Die Macht, die auf der Freiheit Alters basiert und die Macht, die durch Zwang ausgeübt wird, sind dabei nicht komplett voneinander zu trennen, sondern sie stellen vielmehr zwei Endpunkte der Machtskala dar. Die Macht führt zu einer Kontinuität Egos in sich selbst und zwar dadurch, dass sie ihn in die Lage versetzt, im Anderen bei sich selbst zu sein. Die Entscheidung Egos wird erst in Alter realisiert, das heißt Ego kontinuiert sich in Alter und so kann er in Alter mittels der Macht zu sich selbst zurückkehren. Dies ist sowohl durch Zwang, als auch durch Freiheit möglich. Unterschiede entstehen dabei lediglich im Vermittlungsgrad, die im Falle der Freiheit sehr hoch und somit stabil, im anderen Falle des Zwangs hingegen aufgrund des Ausbleibens der Vermittlung nur fragil vorhanden ist (vgl. Han 2005: 14-15).
2.2 Macht und Gewalt
Macht kann also sowohl durch Freiheit, als auch durch Zwang eingesetzt werden und unterscheidet sich dabei nur im Grad der Vermittlung, was zu unterschiedlichen Stabilitätsgraden der Macht führt. Wird der Vermittlungsgrad auf Null reduziert, liegt die extremste Form des Zwangs, also Gewalt vor. Damit wird Alters Freiheit vollständig zerstört und die gesamte Entscheidungs- und Selektionslast auf die Seite Egos verschoben. Dennoch wirkt die Macht auch in diesem Fall nicht nur zerstörend, da sie nach wie vor als generalisiertes Kommunikationsmedium, also eine Zusatzeinrichtung zur Sprache in Form eines Codes generalisierter Symbole, die Möglichkeit zu Anschlusskommunikationen wahrt (vgl. Han 2005: 14-17; Luhmann 1975: 6-9).
Wie kann nun durch Zwang eine Änderung des Verhaltens Alters bewirkt werden? Grundsätzlich kann Ego Alters Verhalten durch eine Veränderung der Situation (Situationskanal) oder durch eine Veränderung von Alters Absichten (Absichtskanal) erreichen. In beiden Fällen kann dies sowohl mittels positiver, als auch durch negative Sanktion erfolgen. Daraus ergeben sich vier Möglichkeiten: die Absichten lassen sich durch Überredung (positiv) oder den Appell an Wertbindungen (Commitments) (negativ) beeinflussen, die Situation kann hingegen durch die Darbringung eines Anreizes (positiv) oder eben durch Zwang (negativ) verändert werden. Hier ist nur die letzte Möglichkeit der Herbeiführung eines bestimmten Verhaltens, die Situationsänderung mittels negativer Sanktion, also der Zwang, von Bedeutung. Dessen Einsatz erfolgt in zwei Schritten: im ersten Schritt droht Ego Alter damit, dass er im Falle der fehlenden Kooperation auf Seiten Alters eine negative Sanktion vollstrecken wird. Entspricht Alter dieser Forderung nicht, so muss Ego im zweiten Schritt die angedrohte Sanktion vollziehen. Würde Ego trotz Nichtbefolgung seine Drohung nicht in die Tat umsetzen, so würde er seine Glaubwürdigkeit und damit seine Macht einbüßen. Folgt Alter hingegen der Forderung Egos, so bleibt der zweite Schritt aus. Die Wirkung des Zwangs soll dabei präventiv erfolgen, zum einen in der Art, dass Alter die Sanktion abwenden möchte und deswegen das gewünschte Verhalten zeigt oder zum anderen dadurch, dass die Sanktion einmal vollstreckt wird und Alter aufgrund dieser Erfahrung in Zukunft die Forderungen Egos umsetzt (vgl. Luhmann 1975: 21-22; Parsons 1980: 71-73).
Wie bereits angeführt setzt Macht voraus, dass auf beiden Seiten gewisse Freiheitsgrade bestehen. Diese sind bei der Anwendung von Zwang für Alter zwar deutlich eingeschränkt, aber immer noch vorhanden. Er kann wählen, ob er das von Ego geforderte Verhalten zeigt und damit der Sanktion entgeht oder, ob er sich anders verhält und folglich damit rechnen muss, dass Ego seine Drohung wahrmacht und die angekündigte negative Funktion vollzieht. Der Sanktionsvollzug kann dabei – und das ist nicht unwahrscheinlich, da das von ihm gewünschte Verhalten Alters ja nicht gezeigt wird – auch für Ego die schlechtere Alternative darstellen, die er lieber vermeiden möchte. Voraussetzung ist lediglich, dass Alter eher als Ego geneigt ist, die Sanktion zu vermeiden, da sie für ihn schlechtere Konsequenzen hätte, als für Ego. Beispielsweise kann Ego eben mit physischer Gewalt drohen, wenn es sich sicher ist, dass er in einer physischen Auseinandersetzung weniger leiden würde, als Alter. Letzterer wäre dann eher bestrebt, diese Auseinandersetzung zu vermeiden und würde der Forderung Egos wahrscheinlich nachkommen. Die Macht Egos zeigt sich hierbei darin, dass er als Machthaber entscheiden kann, ob diese Situation hergestellt wird oder nicht (vgl. Luhmann 1975: 22-23; Parsons 1980: 74-75).
Was bisher unerwähnt blieb, aber einen wichtigen Punkt darstellt ist die Tatsache, dass alle bisherigen Ausführungen zur Macht kommunikativen Charakter hatten, das heißt, dass sie dazu eingesetzt werden, um beim Anderen ein bestimmtes Verhalten zu erzeugen. Dies gilt in diesem Falle auch für Gewalt, da auch damit intendiert ist, ein bestimmtes Verhalten, wenn unter Umständen auch nur für die Zukunft, herbeizuführen. Dies ist die Form der Gewalt, die im Folgenden gemeint ist, wenn vom Gewaltmonopol des Staates, der Privatisierung von Gewalt etc. die Rede ist. Davon zu unterscheiden ist die nackte, sinnlose Gewalt, die um ihrer selbst Willen eingesetzt und mit der keinerlei Kommunikation bewirkt, sondern lediglich die Tilgung der Alterität erreicht werden soll. Diese Form der Gewalt muss hier außen vor bleiben. Entscheidend ist lediglich die Gewalt als Form des Zwangs bzw. der Macht, mit der ein kommunikativer Akt verfolgt wird (vgl. Han 2005: 32-33).
2.3 Gewalt und Staat – von der privaten Gewalt zum staatlichen Gewaltmonopol
Wie wir gesehen haben, ist Gewalt ein Extremfall des Zwangs und somit der Macht. Hauptakteur der Macht und somit auch der Gewalt in modernen Gesellschaften ist der Staat. Max Weber (1919: 35-37) zufolge lässt sich der moderne Staat ausschließlich über das ihm eigene Mittel der physischen Gewalt definieren. Dabei sieht er in der Gewalt keineswegs das übliche oder einzige, aber als das spezifische Mittel des Staates und den Staat als „ein auf das Mittel der legitimen (…) Gewaltsamkeit gestütztes Herrschaftsverhältnis von Menschen über Menschen“ (Weber 1919: 36) an. Der Staat verfügt also auf einem bestimmten Gebiet über das „Monopol legitimer physischer Gewaltsamkeit“ (Weber 1919: 36).
Moderne Staaten zeichnen sich durch ihr Gewaltmonopol aus, das bedeutet, dass der Staat die einzige Instanz ist, die legal auf Mittel der Gewalt zurückgreifen kann. Die Anwendung sowie die Vorhaltung von eigenen Truppen, die zur Gewaltanwendung eingesetzt werden kann, basieren dabei auf Rahmenbedingungen, die ihre Legitimation sichern, das heißt, es handelt sich um legitimierte Gewaltanwendung. Diese bedarf zum einen gesetzlicher Grundlagen, die den Gewalteinsatz regeln sowie demokratischer Prozesse, in denen über den Einsatz von Gewalt entschieden wird. Bis die Staaten dieses Gewaltmonopol für sich beanspruchen konnten, dauerte es mehrere Jahrhunderte. Zuvor gab es in allen Epochen unterschiedlichste Gesellschaften, die in gewalttätige Konflikte verstrickt waren und dabei zumeist auf den Einsatz von angeheuerten Kombattanten zurückgriffen, also Söldnertruppen einsetzten, was bedeutet, dass der Einsatz von Gewalt nicht an Legitimation und Demokratie als vielmehr an monetäre Mittel gebunden und damit privatisiert war. Die eingesetzten Truppen kämpften nicht für Volk und Vaterland sondern, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen (vgl. Deitelhoff 2009: 3-5; Deitelhoff/Geis 2009: 3-4; Uesseler 2008: 89-90; 104).
Die ältesten Berichte über den Einsatz von Söldnertruppen, also angeheuerten Streitkräften, die gegen Bezahlung in den Kampf ziehen, finden sich bereits im 21. Jahrhundert vor Christus bei König Schulgi von Ur. Umfangreiche Hinweise in diese Richtung finden sich auch bei Pharao Ramses II., der in der Schlacht der Ägypter gegen die Hethiter numidische Söldnerheere für sich kämpfen ließ. Auch von David wird berichtet, dass er nachdem er nach Goliaths Tötung bei König Saul in Ungnade fiel ein eigenes Söldnerheer aufbaute wodurch er zu militärischen Ehren kam und so den Weg für seinen Aufstieg zum König ebnete. Auch bei den Griechen war das Söldnertum weit verbreitet. Zum einen wurden viele Kriege aufgrund der sozialen Strukturen in der griechischen Polis sowie der neuen Kriegstechniken, die sich dort herausgebildet hatten, von anderen Truppen zum Krieg angeworben (vgl. Singer 2006: 45-49; Uesseler 2008: 89-93).
Auch im Mittelalter setzten fast alle Herrscher auf Söldnertruppen. Das arabische Imperium wurde fast ausschließlich von Söldnern verteidigt, bevor es von den Söldnertruppen, die für die Osmanen in den Kriege zogen niedergeschlagen wurde. Auch das Heilige Römische Reich Deutscher Nationen wurde von Karl dem Großen mit Hilfe von Söldnertruppen errichtet. Wie diese Beispiele zeigen, stützten sich im Mittelalter die meisten Kaiser, Könige, Fürsten, Ritter sowie die Päpste auf die Dienste von Söldner. Die Hauptgründe dafür sind darin zu sehen, dass das feudale Militärsystem äußerst ineffizient war. Dies ist darauf zurückzuführen, dass nur eine begrenzte Zahl von Soldaten und nur für kurze Zeit zur Verfügung stand und dass diese kaum ausgebildet waren. Hinzu kommt, dass die Kriegsherren die Soldaten von Lehnsherren anheuern mussten, gegen die sich aber oftmals ihre militärischen Aktionen richteten (vgl. Singer 2006: 49-50; Uesseler 2008: 94-96).
Zur enormen Bedeutung der Söldner im Mittelalter trugen vor allem die italienischen Stadtstaaten wie Florenz, Genua und Venedig bei. Hier drängten die unternehmerischen Gilden die Fürsten dazu, die Verteidigung an Söldnertruppen zu übergeben. Dies hatte zwei Vorteile: zum einen waren diese gut ausgebildet und ihre Macht konnte durch die sogenannte „Condotta“, einen Mietvertrag, in dem die zu erbringende Leistung sowie der dafür anfallende Sold festgeschrieben wurden und zum anderen, damit die einheimische Bevölkerung, die als Arbeitskraft benötigt wurde, nicht mobilisiert werden musste. Dies brachte dem Söldnertum nochmals einen enormen Vorschub. Kurz darauf bildeten sich in der Schweiz schlagkräftige Söldnertruppen heraus, die Schweizer Garden, die ursprünglich der Verteidigung der eigenen Waldkantone dienten, bald aber durch ihren Mut und ihr Geschick überregionale Bekanntheit erlangten und von ausländischen Auftraggebern angeheuert wurden. Diese Söldnertruppe lebt als einzige bis heute fort, da sie nach wie vor für die Verteidigung der Päpste verantwortlich ist, wozu sie erstmals 1506 durch Papst Julius II. angeheuert wurde. Ähnlich wie die Schweizer organisierten sich alsbald auch Söldnertruppen aus Süddeutschland und Österreich, die quasi eine Kopie der Schweizer Garden darstellten. Ein Hauptunterschied bestand darin, dass in den Reihen der deutschen Landsknechte neben „normalen“ Rekruten auch Adelige zu den Waffen griffen. Zunächst als zweitklassige Nachahmer abgekanzelt, wurden sie bald auf dem gesamten Globus, beispielsweise in Süd- und Mittelamerika und Indien, eingesetzt (vgl. Singer 2006: 50-58; Uesseler 2008: 96-100).
Im 17. Jahrhundert bildeten sich langsam erste staatliche Strukturen aus, die enorm von den Geldern profitierten, die durch die Eroberungen in Asien und Amerika in die Heimatländer flossen. Dies ermöglichte es, die Söldnertruppen, die immer nur für eine bestimmte Einsatzzeit angeheuert wurden, durch stehende Heere zu ersetzen und diesen festen Lohn zu bezahlen. Dies war ein Hauptproblem der Söldnertruppen: da diese immer nur für kurze Zeit ihren Sold beziehen konnte, plünderten sie die Kriegsgebiete aus, worunter die jeweilige Bevölkerung enorm zu leiden hatte. Dies führte dazu, dass Söldnertruppen eigentlich nur in fremden und nicht im eigenen Territorium eingesetzt werden konnten. Während des Dreißigjährigen Krieges wurden so verheerende Schäden angerichtet, dass man beschloss, jedes Volk selbst über seine innere Ordnung bestimmen zu lassen. Dies wurde im Westfälischen Frieden von 1648 niedergeschrieben, was die Souveränität der Nationen in inneren Angelegenheiten stärkte und es so ermöglichte, das staatliche Gewaltmonopol zu sanktionieren. Fortan war ein Einsatz von Gewalt, das Anbieten von Kriegsdiensten oder Waffen an Privatleute ohne ausdrückliche Genehmigung durch den Staat untersagt (vgl. Singer 2006: 58-61; Uesseler 2008: 99-100).
Mit der Zuschreibung des Gewaltmonopols an den Staat war der Einsatz von Söldnern an sich aber noch nicht beendet. Jeder Staat konnte selbst darüber entscheiden, ob er eigene Truppen in den Kampf schickt oder für diesen Zweck freie Söldner bezahlt. Großbritannien setzte beispielsweise im amerikanischen Unabhängigkeitskrieg noch eine enorme Zahl an Söldnern ein. Das endgültige Ende der Söldner wurde mit der Französischen Revolution eingeleitet. Frankreich beschloss als erster Staat in der Konstituierenden Versammlung vom 28. Februar 1790 ein Verbot von Söldnern auf dem eigenen Gebiet, was Napoleon zunächst nicht daran hinderte, bei seinen Feldzügen durch Europa (außerhalb Frankreichs) eine enorme Zahl von Söldnern einzusetzen. Nachdem jedoch die österreichischen und preußischen Söldnertruppen von den französischen Revolutionsheeren besiegt wurden, beschloss man dort, eine allgemeine Wehrpflicht und somit eine Bürgerarmee einzuführen. Zudem wurde es den Bürgern verboten, sich von ausländischen Staaten anwerben zu lassen (vgl. Singer 2006: 61-63; Uesseler 2008: 103-104).
Nachdem die Preußen als Reaktion auf die Niederlage gegen die französischen Revolutionstruppen ihre eigenen Truppen umstrukturiert hatten, konnten sie sofort wieder gegen diese in den Krieg ziehen, was ihnen auch mit Erfolg gelang. Ein Grund für diesen Sieg dürfte darin zu sehen sein, dass die eigenen Soldaten eher bereit waren, für das eigene Volk in den Krieg zu ziehen und dort unter Umständen ihr Leben zu lassen, als dies bei den Söldnertruppen der Fall war. So wurde das preußische Vorgehen zum Vorbild und nach und nach von anderen Staaten nachgeahmt. Zudem kehrten sich die Staatsführer zunehmend von den Söldnertruppen ab, da sie die Verantwortung für Gewalttaten tragen mussten, die von ihrem Hoheitsgebiet ausgingen und dies bei Söldnerheeren nicht oder nur unzureichend möglich war. Die Söldner wurden zunehmend als vaterlandslose Gesellen bezeichnet, ihr Ansehen schwand immer stärker und kehrte sich ins Gegenteil um. Auch Herrscher, die aus Gewinnstreben zu Gewalt griffen, was in den vorhergehenden Jahrhunderten eher die Regel als die Ausnahme war, wurden nun mit Verbrechern auf eine Stufe gestellt. Somit konnte also mit der Französischen Revolution das Gewaltmonopol des Staates endgültig durchgesetzt werden, das bereits im Westfälischen Frieden 1648 festgeschrieben wurde. Fortan spielten Söldner und private Kriegsführung lediglich mehr eine marginale Rolle (vgl. Singer 2006: 62-64; Uesseler 2008: 104-106).
3. Privatisierung der Gewalt
Wie eben kurz skizziert, dauerte es mehrere Jahrhunderte, bis das staatliche Gewaltmonopol tatsächlich realisiert und eine Abkehr von privater Kriegsführung und Gewaltanwendung erreicht werden konnte. Dieser Zustand konnte fast 200 Jahre lang aufrecht erhalten werden. In der Zeit von der Französischen Revolution bis zum Ende des 20. Jahrhunderts spielte der Einsatz von privaten Truppen kaum mehr eine Rolle. Deutsche Legionäre wurden während des Deutschen Reichs zum Teil noch in China, der Türkei oder in Südafrika eingesetzt, nach dem 1. Weltkrieg auch in der Sowjetunion. Mit Ende des 2. Weltkriegs begaben sich ehemalige Mitglieder der Waffen-SS und des Afrikakorps ins Ausland, um dort als Militärberater, Waffenhändler oder auch im direkten Kriegseinsatz tätig zu werden. Im Verhältnis zu den Streitkräften, die von den Staaten legitim eingesetzt wurden, waren diese Truppen jedoch kaum von Bedeutung (vgl. Deitelhoff 2009: 3-5; Uesseler 2008: 104-105).
Das staatliche Gewaltmonopol war jedoch auch in diesen zwei Jahrhunderten nicht in Gänze umgesetzt und insbesondere in den vergangen Jahrzehnten ist ein diesbezüglicher Wandel festzustellen: die Gewalt des Staates unterliegt einer zunehmenden Privatisierung. Die Privatisierung der Gewalt, von der hier die Rede sein soll, darf nicht mit der Gewalt verwechselt werden, wie sie bei Verbrechen von einzelnen Bürgern ausgeübt wird, sondern lediglich solche Gewalt, die an die Stelle der staatlichen Gewalt tritt bzw. diese anficht. Während in der Vergangenheit wie beschrieben privatisierte Gewalt hauptsächlich darin zu sehen war, dass bezahlte Söldnertruppen zu Kampfhandlungen eingesetzt wurden, ist das Bild der neuerlichen Privatisierung von Gewalt facettenreicher. Im Folgenden werden zunächst zwei Möglichkeiten der Privatisierung der Gewalt dargestellt (vgl. Deitelhoff/Geis 2009: 3-4; Eppler 2002: 13-14).
3.1 Privatisierung von unten
Zunächst einmal sind bei der Privatisierung der Gewalt zwei grundsätzliche Möglichkeiten zu unterscheiden: die Privatisierung von unten und die Privatisierung von oben. Diese beiden Möglichkeiten unterscheiden sich dahingehend, dass bei der Ersten der Anstoß zur Privatisierung von der Bevölkerung, bei der Zweiten hingegen von Regierungen ausgeht.
Die Privatisierung der Gewalt von unten geht in der Regel von Aufständischen, von Revolutionären und Rebellen aus. Diese wollen, zumeist einer bestimmten Ideologie (politisch, religiös etc.) folgend, den bestehenden Staat nach ihren Vorstellungen ändern oder einen neuen Staat erschaffen. Oftmals spielen hierbei aber auch kommerzielle Interessen der jeweiligen Gruppe eine Rolle, wobei die ideologischen und die finanziellen Beweggründe oftmals gemeinsam auftreten. Dies zeigt das Beispiel der Abu Sayyaf, einer Rebellengruppe aus Manila, die aus muslimischen Fundamentalisten besteht und die im Jahr 2000 eine deutsche Familie als Geiseln nahm und ernorme Lösegeldforderungen stellte. Der Eindruck, dass diese Gruppe neben den fundamentalistischen Überzeugungen, zu denen sie sich offiziell bekennt, von monetären Interessen geleitet ist verstärkte sich, als sie zu der Familie auch noch einige Journalisten in ihre Gewalt brachten. Dies zeigte, dass hier sowohl ideelle, als auch kommerzielle Interessen zum Einsatz von Gewalt durch eine private Gruppe führten. Wie diese Gruppe weisen viele Rebellentruppen mafiöse Strukturen auf und finanzieren sich auf kriminellem Wege durch Schmuggel, Drogenhandel, Schutzgelderpressungen oder dergleichen. Insbesondere mit zeitlichem Fortschreiten und dem Andauern der Konflikte ist oftmals nicht mehr klar, ob die Gruppen nach wie vor ihre politischen Ziele verfolgen oder diese als Vorwand benutzen, um ihr florierendes illegales Geschäft weiter betreiben zu können (vgl. Eppler 2002: 30-32; Uesseler 63-64; Wulf 2005: 15-17).
Die Privatisierung der Gewalt von unten kann aber auch aus anderen Gründen als der Verfolgung einer ideologischen Überzeugung oder dem kommerziellen Interesse an zumeist illegalen Geschäften erfolgen. Zur Privatisierung der Gewalt von unten kann es auch kommen, und das zeigen die Beispiele der sogenannten „Bakassi-Boys“ in Nigeria sowie der Entstehung einer Bürgerwehr im Südwesten Benins besonders eindrücklich, wenn die staatlichen Kräfte zu schwach sind. Am Markt der nigerianischen Handelsstadt Aba wurden die Händler über Jahre hinweg von Kriminellen terrorisiert und ausgebeutet. Als 1998 eine Händlerin brutal ausgeraubt und ermordet wurde, solidarisierten sich hunderte von Händlern und zogen die Verbrecher selbst zur Rechenschaft, indem sie sie mit Macheten in Stücke hackten. Über mehrere Wochen gingen die Händler auf diese brutale Art und Weise vor, verstärkten sich durch angeheuerte Jugendliche, eben die „Bakassi-Boys“, bis es ihnen gelang, die Kriminellen zum weitgehenden Rückzug zu zwingen. Ähnlich verhielt es sich auch im Benin. Hier war die Bevölkerung äußerst unzufrieden mit der Strafverfolgung durch die Justiz, insbesondere bei Gangsterbanden, die raubend und vergewaltigend durch das Land zogen, was Ehoum Zinsou Devi nutzte, um die Jahrtausendwende eine ca. 1.000 Mann starke Truppe aufzubauen, um die Verbrecher – zumindest diejenigen, die in den Augen der Truppe Verbrecher sind – selbst hart zu bestrafen und sogar hinzurichten. Allein im Jahr 1999 wurden von der selbsternannten Bürgerwehr mehr als 100 Menschen hingerichtet. In beiden Fällen zeigt sich, dass die Privatisierung der Gewalt dadurch ausgelöst wurde, dass der Staat bzw. die vom Staat eingesetzten Kräfte nicht in der Lage waren, für Sicherheit der Bevölkerung zu sorgen. Diese mangelnde Fähigkeit die Sicherheit zu gewährleisten kann auf den Verfall des Staates zurückgeführt werden, der nicht mehr in der Lage ist, Korruption unter den Beamten zu vermeiden und dafür Sorge zu tragen, dass Recht und Gesetz durchgesetzt werden (vgl. Eppler 2002: 34-39; Wulf 2005: 19-20).
Mangelnde Sicherheitsgarantie durch den Staat kann aber auch zu einer weiteren Form der Privatisierung der Gewalt führen. Hierbei greifen die Bürger nicht selbst zu Waffen, um sich zu schützen oder ihre Vorstellung von Recht durchzusetzen, sondern beauftragen Dienstleistungsfirmen, für ihre Sicherheit zu sorgen. Insbesondere Wirtschaftsunternehmen, die ihren Sitz in unsicheren Gebieten haben, setzen auf den Einsatz privater militärischer Truppen, um ihre Betriebe zu sichern. Zudem setzen auch Privatpersonen, verstärkt durch die Anschläge vom 11. September 2001, auf den Schutz durch Dienstleistungsunternehmen. Diese überprüfen alle alltäglichen Abläufe auf Risiken oder bewachen ganze Wohngebiete, um die dortige Bevölkerung zu schützen (vgl. Blakely/Snyder 1997: 1-3; Uesseler 2008: 61-68).
3.2 Privatisierung der Gewalt von oben
Der Privatisierung der Gewalt von unten gegenüber steht die Privatisierung der Gewalt von oben, also durch die Regierungen selbst. Dies kann zum einen auf illegitime Art und Weise erfolgen, nämlich dann, wenn Regierende ihre Macht um ihres eigenen Vorteils Willen missbrauchen. Diese Art liegt wie die meisten Fälle der Privatisierung von unten außerhalb der Gesetze und erfolgt ohne jegliche Legitimation. Zum anderen können aber Regierungen auch ohne gegen Gesetze zu verstoßen auf die Privatisierung von Gewalt setzen. Die legitime Ausübung der Gewalt obliegt für gewöhnlich – und dies besagt auch das Gewaltmonopol – einzig und allein dem Staat. Dieser hat mittels der ihm zur Verfügung stehenden Ressourcen dafür Sorge zu tragen, die Sicherheit der Bevölkerung zu garantieren, wofür zumindest in der Vergangenheit vor allem eigenes, staatliches Personal eingesetzt wurde. Wie in vielen anderen Branchen gehen mittlerweile aber viele Staaten, allen voran die USA dazu über, den öffentlichen Sektor zu privatisieren, also die staatlichen Aufgaben durch private Unternehmen erbringen zu lassen, was eine Form des Outsourcings darstellt. Dahinter steht die Idee, dass privatwirtschaftliche Anbieter die gleichen Leistungen besser und billiger erbringen können, also vornehmlich ökonomische Überlegungen. Dieses Postulat hat mittlerweile auch den Sicherheitsbereich, insbesondere das Militär erreicht. Waren von der Privatisierung hier zu Beginn lediglich nichtkritische Bereiche betroffen, so erstreckt sich diese heute auf die gesamte Bandbreite des militärischen Spektrums: Logistik, Intelligence, Ausbildung und Beratung, Personal-, Konvoi- und Gebäudeschutz, die gesamte Waffentechnologie, von der Produktion über die Wartung bis hin zum Einsatz sowie auch die indirekte und direkte Unterstützung im Kampfeinsatz. Neben ökonomischen Überlegungen können legitime Regierungen auch aus anderen Gründen auf die Möglichkeit der Privatisierung von Gewalt zurückgreifen, ohne damit gegen Gesetze zu verstoßen und zwar dann, wenn sie selbst unter Druck geraten und Gefahr laufen, gestürzt zu werden. Dies war in der Vergangenheit beispielsweise bei den Regierungen in Papua Neu Guinea, Sierra Leone und Zaire der Fall, die sich gegen aufständische Rebellen erwehren mussten und zu diesem Zweck private Anbieter militärischer Leistungen um Hilfe baten. Aus manchen Ländern wird sogar berichtet, dass sich die zunächst nur kurzfristig angeheuerten Truppen etablieren und eine echte Alternative zu den eigentlichen Streitkräften darstellen. Die erste Form der Privatisierung von oben, die aus ökonomischen Gründen erfolgt, findet man vor allem in den westlichen Industrienationen, während die zweite Form, die zur Eigensicherung der Regierung dient, vor allem in schwachen Staaten auftritt (vgl. Binswanger 2012: 23-27; Deitelhoff/Geis 2009: 6-9, Eppler 2002: 47-49; Singer 2006: 118-122; Wulf 2005: 52-59).
Wie verhält sich die Privatisierung der Gewalt nun zum Gewaltmonopol und damit zur Macht des Staates? Im Falle der Privatisierung von unten durch Aufständische scheint dies recht deutlich zu sein: da diese wie dargestellt eben gezielt dazu eingesetzt wird, die Gewalt des Staates zu unterminieren, steht sie dem Gewaltmonopol klar entgegen. In den Fällen, in denen aufgrund unzureichender Sicherheitsgarantien durch den Staat auf private Gewalt zurückgegriffen wird, stellt sich die Frage eigentlich nicht, da in diesen Fällen ohnehin kein wirkliches staatliches Monopol bezüglich der Anwendung von Gewalt besteht, das angegriffen werden könnte. Ähnlich verhält es sich in den Fällen, in denen Regierungen zu ihrem eigenen Schutz auf den Einsatz privater Gewalt zurückgreifen, da auch hier das staatliche Gewaltmonopol de facto nicht mehr besteht, da die Regierungen sonst nicht zu dieser Maßnahme gezwungen wären. Diese Fälle betreffen vor allem schwache Staaten. Hiervon zu unterscheiden sind die Fälle der Privatisierung, die vor allem in den westlichen Industrienationen zu beobachten sind. Diese verfügen tatsächlich über ein staatliches Gewaltmonopol, wodurch tatsächlich nur der Staat zur legitimen Anwendung von Gewalt in der Lage ist. Bevor darauf eingegangen wird, welche möglichen Folgen sich aus der Privatisierung für diese Staaten bzw. deren staatliche Macht ergeben, soll die Ausgestaltung dieser Form der Privatisierung genauer betrachtet werden.
4. Privatisierung der Gewalt in starken Staaten
Wie eben dargestellt setzen nicht nur schwache Staaten oder deren Bevölkerung in für sie nahezu ausweglosen Situationen auf Unterstützung durch die Anbieter privater Dienstleistungen, sondern auch die westlichen Industrienationen, die zum Unterhalt und zur Führung eines eigenen öffentlichen Militärapparats in der Lage wäre, dies in der Vergangenheit taten und auch in weiten Teilen heute noch tun. Dennoch setzen auch diese Staaten, allen voran die angelsächsischen Länder, zunehmend auf die Ausübung der Gewalt durch private Unternehmen. Hierbei stellen sich zwei Fragen: Worauf ist dieser Sinneswandel vom Staat als einzigen Akteur der Gewaltausübung zurückzutreten und für diese Aufgabe wieder als Dienstleistung, wie es bis vor wenigen Jahrhunderten eher die Regel denn die Ausnahme war, zurückzukehren, begründet? Wie und in welchen Bereichen erfolgt die Auslagerung von Gewalt an private Anbieter?
4.1 Gründe für die Privatisierung der Gewalt in starken Staaten
Der wichtigste Grund für die Privatisierung der Gewalt auch in westlichen Industrienationen dürfte in der neoliberalen Wirtschaftsphilosophie zu sehen sein, die sich auf die von Adam Smith postulierte unsichtbare Hand des Marktes berufen dass nur mittels des Wettbewerbs auf einem Markt Effizienz und Innovation hervorgehen können. Hierfür bedarf es der möglichst weitgehenden Freiheit der Marktteilnehmer von jeglichen Regularien, da diese hemmend wirken. Der Staat hingegen, der für die Regulierung verantwortlich ist, steht für Ineffizienz und Innovationsfeindlichkeit. Basierend auf diesem Versprechen wird der Staat in allen Bereichen verschlankt, zum Beispiel das Postwesen, die Eisenbahn oder die Telekommunikationsdienste. Der Bereich der staatlichen Sicherheit war lange Zeit von derartigen Privatisierungsbestrebungen ausgenommen, was sich jedoch im Laufe des 20. Jahrhunderts änderte, insbesondere unter der Regierung Ronald Reagans in den USA und Margaret Thatchers in Großbritannien (vgl. Binswanger 2012: 23-24; Eppler 2002: 83-85; Hummel 2001: 35-38; Singer 2006: 27-30).
In doppelter Hinsicht ist das Ende des Kalten Krieges als einer der Gründe für die Privatisierung der Gewalt zu sehen. Eine Konsequenz davon war, dass die Militärhaushalte sowie die Streitkräfte der meisten Länder enorm reduziert wurden. Nachdem in den 1990er Jahren die Zahl der Militärinterventionen weltweit zunahm und es nach den Anschlägen vom 11. September 2001 und dem daraus resultierenden weltweiten Kampf gegen den Terror zu einem weiteren Anstieg des Bedarfs an Militärs kam, setzte man zunehmend auf den Einsatz privater Dienstleister. Mittels dieser lässt sich die Flexibilität erhöhen, Belastungen der Truppen reduzieren und schnelle Truppenaufstockungen vornehmen. Mit den vorhandenen permanenten Truppen hätte man diesen Anforderungen nicht nachkommen können. Zum anderen wurden eben aufgrund der Truppenreduktionen nach dem Ende des Kalten Krieges eine Vielzahl gut ausgebildeter Soldaten frei, die ihre Dienste und ihr Wissen nun auf dem freien Markt feil boten. Dies ermöglichte es den privaten Anbietern auf umfangreiches Wissen zuzugreifen, dieses für sich zu nutzen und wieder den Auftraggebern anzubieten (vgl. Deitelhoff 2009: 8-9; Wulf 2005: 51).
Eine weitere Veränderung, die die westlichen Industrienationen zur Inanspruchnahme von privaten Dienstleistungsunternehmen bewegte, ist die technologisch-elektronische Revolution. Die fortschreitenden Entwicklungen im Bereich der Informationstechnologie wirkten sich sowohl auf die Waffentechnik an sich, als auch auf die Kriegsführung aus. Vor allem schwere Waffen sind ohne elektronische Systeme und Vernetzung nicht mehr einsetzbar. Die Nutzung derartig ausgeklügelter Waffensysteme erfordert jedoch auch hoch spezialisiertes Personal, über das die Streitkräfte in der Regel nicht verfügen. Da eine Ausbildung der eigenen Leute zu kostenintensiv wäre, wird das Bedienungspersonal gleich mit dem jeweiligen Waffensystem eingekauft. Doch nicht nur für die Bedienung, auch für die Wartung dieser aufwendigen Systeme bleiben die Streitkräfte auf die Dienste der privaten Unternehmen angewiesen. Deshalb setzen die starken Staaten auch hier auf die Vergabe von Aufgaben an Wirtschaftsunternehmen (vgl. Deitelhoff/Geis 2009: 8-9; Uesseler 2008: 116-118).
Zudem ist ein Grund für die Privatisierung der Gewalt in der Energiepolitik der westlichen Industriestaaten zu sehen. Diese geht davon aus, dass in den kommenden Jahren die weltweite Nachfrage nach Energie, insbesondere nach Öl das Angebot übersteigen und zu einem „Kampf ums Öl“ führen wird. Um die Nachschublinien zu sichern, setzen vor allem die USA auf eine verstärkte militärische Präsenz sowie die Verbesserung der Ausbildung einheimischer Armeen in kritischen Gebieten wie Afghanistan und dem Irak. Zudem wird die Überwachung von Ölpipelines, der relevanten Häfen sowie des ölreichen Golfs von Guinea forciert. Um dies gewährleisten zu können, werden vermehrt private Militärfirmen eingesetzt, da die eigenen Truppenkontingente wie bereits dargestellt diese Aufgabe schon quantitativ nicht mehr leisten können. Hinzu kommt, dass die öffentliche Kritik an der gestiegenen Zahl verwundeter und gefallener eigener Soldaten in letzten Jahren zunahm. Hierbei spielen die Erfahrungen der Vergangenheit, wie beispielsweise im Vietnamkrieg eine entscheidende Rolle. Diese Kritik veranlasst die Regierungen dazu, auf private Unternehmen zu setzen und so die eigenen Truppen zu schonen (vgl. Uesseler 2008: 113-116, Wulf 2005: 53)
4.2 Private Anbieter militärischer Dienstleistungen
Es liegen also zahlreiche Gründe vor, die die Regierungen der starken Staaten, also hauptsächlich der westlichen Industrienationen dazu bewegen, Teile ihres Gewaltmonopols an private Unternehmen abzugeben. Dabei bleibt zu klären, wer diese privaten Unternehmen sind und welche Aufgaben diese tatsächlich übernehmen.
Die Auftragnehmer, denen die Regierungen ihre Aufgaben übertragen sind private Wirtschaftsunternehmen, die sich auf die Ausübung militärische Leistungen spezialisiert haben. Diese werden als „Private Security and Military Companies“ (PSMC) oder als „Privatized Military Firms“ (PMF) bezeichnet. Ihre Angebotspalette reich von einfachen Beratungstätigkeiten über Ausbildung und nachrichtendienstliche Operationen bis hin zu Kampfeinsätzen. Wie in Kapitel 2.3 dargestellt, wurden angeheuerte Kämpfer, die in der Regel als Söldner bezeichnet werden, international geächtet. Durch das Zusatzprotokoll zur Genfer Konvention vom 12. August 1949 wurde den Söldnern sogar der Kombattantenstatus sowie die damit verbundenen Kriegsrechte abgesprochen. Weitere Regelungen finden sich in der Konvention der Organisation für Afrikanische Einheiten betreffend das Verbot des Söldnertums von 1977 sowie in der Internationalen Konvention gegen die Rekrutierung, die Nutzung, die Finanzierung und die Ausbildung von Söldnern von 1989. Diese Regelungen würden es den Regierungen eigentlich verbieten, ihre Aufgaben der Gewaltausübung an privatwirtschaftliche Unternehmen abzutreten und nicht von ihren offiziellen Streitkräften erbringen zu lassen. Allerdings verlangt das Zusatzprotokoll zur Genfer Konvention, dass alle Kennzeichen, die dort für die Definition von Söldnern aufgeführt sind, vorliegen, um jemanden als Söldner zu definieren. So ist beispielsweise jemand nur dann ein Söldner, wenn er direkt in Kampfhandlungen eingebunden ist. Dies trifft in den meisten Fällen nicht zu, da nur Logistik, Aufklärung oder ähnliche Dienste erbracht werden. Zudem lässt sich die Deklaration als Söldner durch die Zugehörigkeit zu den Streitkräften umgehen. Somit können die PMFs nicht als Söldnertruppen bezeichnet und damit eigentlich legal von den jeweiligen Auftraggebern eingesetzt werden, auch wenn das Völkerrecht dies nur für direkt untergebene der kämpfenden Parteien vorsieht. Die PMFs sind also keine illegalen Söldnertruppen, sondern Unternehmen einer mittlerweile starken Wirtschaftsbranche, die – wie Unternehmen in jeder anderen Branche auch – ihre Dienste anbietet (vgl. Comite International Geneve: Artikel 47; Deitelhoff 2009: 9-10; Ruf 2002: 83-85; Singer 2006: 29-32; 77-87).
Genaue Aussagen dazu, in welchem Umfang und für welche Bereiche Aufträge an die private Militärbranche vergeben werden, sind kaum möglich, da es sich dabei um registrierte Unternehmen handelt, die zum Teil sogar börsennotiert sind und somit keine Verpflichtung zur Gabe von Auskünften haben. Eine Einsicht für Dritte in die abgeschlossenen Verträge ist nicht möglich, noch nicht einmal für Parlamentsabgeordnete. Hinzu kommt beispielsweise in den USA, dass die Regierung nur Aufträge, die über 50 Millionen Dollar hinausgehen, dem Parlament offenlegen muss. Somit bleibt dieses in vielen Fällen uninformiert. Details zu den angebotenen Leistungen legen auch die Firmen selbst nicht offen. Sie werben nur allgemein mit Diensten wie „Ausbildung und Training“, „Personen- und Sachschutz“, „Flugdienste“ oder dergleichen mehr. Andere verstecken ihre Tätigkeiten hinter hoch spezialisierten Begriffen wie „Elektronischer Kampf“ oder „Informationskriegsführung“, was auch kaum eine Vorstellung über die tatsächliche Aktivität zulässt. Dennoch lässt sich konstatieren, dass es sich um eine florierende Branche handelt, deren Umsatz jährlich um ca. 8% zunimmt und sich insgesamt auf 100 - 200 Milliarden US-Dollar pro Jahr beläuft. Man geht davon aus, dass derzeit ca. 200 - 300 PMFs, die hauptsächlich in den westlichen Industrienationen angesiedelt sind, in über 90 Ländern der Erde und auf jedem Kontinent eingesetzt werden (vgl. Deitelhoff 2009: 10-11; Singer 2006: 30-31; Uesseler 2008: 26-27).
Auch wenn über konkrete Aufträge wenig bekannt ist, so lässt sich doch ein enorm breites Dienstleistungsspektrum der PMFs erkennen. Dieses deckt alle Aufgabenkreise ab, die „in Bezug auf die äußere Sicherheit normalerweise als Aufgabe den nationalen Streitkräften, dem militärischen Abschirmdienst und dem Auslandsgeheimdienst“ (Uesseler 2008: 27) obliegen „und im Bereich der inneren Sicherheit von Polizei, Zoll, Grenzschutz und Inlandsgeheimdienst“ (Uesseler 2008: 27) erbracht werden. Hierzu zählen einmal Personen-, Objekt-, Anlagen und Institutionenschutz, was sowohl die Erstellung von Sicherheitskonzepten und Risikoanalysen als auch den direkten Schutz beinhaltet. Weiter Angebote beziehen sich auf den Bereich der Ausbildung und des Trainings, wobei die Spanne von Grundausbildung für Polizei und Armee bis hin zur spezialisierten Weiterbildung zum Einsatz neu entwickelter Waffensysteme reicht. Für Spezialausbildungen wie sie zur Bewachung von Erdölfördergebieten oder dergleichen notwendig sind, halten die PMFs sogar eigene Trainings- und Ausbildungscamps vor. Des Weiteren umfasst das Portfolio den Bereich der Intellegence, also Informations- und Spionagetätigkeiten, die eigentlich den Geheimdiensten obliegen. Die Techniken der Informationsbeschaffung und –analyse sind mittlerweile soweit fortgeschritten, dass sie nur noch von einigen wenigen Spezialisten beherrscht werden. Dies machen sich die PMFs für ihre Geschäfte zu Nutze. Die wohl größten Bereiche, in denen die Regierungen auf den Einsatz privater Unternehmen setzen, sind die Logistik und Wartungsarbeiten. Im Bereich der Logistik ist das Angebot inzwischen kaum mehr zu überblicken und reicht von Alltagsgegenständen wie Toilettenpapier über das Catering, die Bereitstellung und den Bau von Unterkünften, Straßen- und Brückenbau bis hin zur Konstruktion von Luftverkehrsbasen. Ebenso werden Wartungsdienstleistungen für alle erdenklichen Bereiche angeboten. Angefangen bei normalen Kraftfahrzeugen über Transporter bis hin zu Kampfhubschraubern und jeglicher Art von Flugzeugen; für alle halten die PMFs Wartungspersonal vor. Insbesondere bei den modernen Waffensystemen, die auf Basis der Informationstechnologie eingesetzt werden, sind die Wartungsdienste der Privatunternehmen unverzichtbar geworden. Neben diesen Dienstleistungen können auch Einsatzkräfte für direkte Kampfhandlungen von den PMFs bezogen werden, was jedoch nur einen geringen Teil der Gesamtleistungen darstellt (vgl. Deitelhoff/Geis 2009: 6-7; Uesseler 2008: 27-32).
Somit lässt sich festhalten, dass private Militärfirmen mittlerweile in allen sicherheitsrelevanten Bereichen, von der Lieferung alltäglicher Dinge an die Truppen bis hin zum Kampfeinsatz, eingesetzt werden. Es gibt keinen Bereich der staatlichen Gewalt mehr, für den kein Angebot aus der Privatwirtschaft besteht und in dem dieses nicht auch genutzt wird. Welche Konsequenzen ergeben sich daraus für die Staaten und das staatliche Gewaltmonopol?
5. Folgen der Privatisierung der Gewalt
Wie wir gesehen haben, setzen viele Regierungen aus zahlreichen Gründen auf die Möglichkeit des Outsourcings im Bereich ihrer staatlichen Gewalt. Ein Ziel, das damit erreicht werden soll, ist die Steigerung der Flexibilität und der Einsatztruppen in Zeiten, in denen die Nachfrage nach militärischen Aktivitäten extrem hoch ist. Tatsächlich lässt sich feststellen, dass die PMFs einen Flexibilitätsvorteil bieten, da ein Auf- und Umbau der eigenen Sicherheitskräfte enorm zeitaufwendig wäre. Die privaten Unternehmen, die keines umfangreichen Bürokratieapparats wie die Staaten bedürfen und sich eben auf derartige Einsätze spezialisiert haben, können binnen kurzer Zeit eingesetzt werden. Somit führt die Privatisierung der Gewalt in dieser Hinsicht zu einer Erhöhung der Einsatzfähigkeit (vgl. Deitelhoff/Geis 2009: 9-12; Uesseler 2008: 171-172).
Ein weiteres Versprechen der Privatisierung ist die Kosteneinsparung und die Steigerung der Qualität. Wie in allen Bereichen verspricht man sich auch hier eine Reduktion der Kosten und Qualitätsgewinne dadurch, dass private Unternehmen effizienter und effektiver agieren, als staatliche Institutionen, weil sie auf dem Markt mit anderen Anbietern konkurrieren müssen. Hierbei ist allerdings zunächst ein ethisches Problem hervorzuheben: Viele Kostenvorteile ergeben sich dadurch, dass die privaten Unternehmen geringere Löhne bezahlen und geringere Sozialleistungen erbringen müssen, als dies beim Staat der Fall wäre. Somit geht der Kostenvorteil der privaten Anbieter mit Lasten für die Arbeitnehmer einher. Abgesehen davon gibt es keine verlässlichen Daten, die die Einsparung der Kosten und die Steigerung der Qualität bestätigen würden. Im Gegenteil zeigt sich eher eine Steigerung denn eine Reduktion der Kosten. Dies hat mehrere Gründe. Zunächst einmal scheint kein wirklicher Wettbewerb im Bereich der privaten Militärdienstleister gegeben zu sein, bestenfalls kann man hier von einem Oligopol sprechen. Hinzu kommt, dass viele Verträge auf lange Zeit geschlossen werden und somit auf beiden Seiten ein Quasi-Monopol erzeugt wird. Ein weiteres Problem dieser Verträge besteht darin, dass diese zumeist relativ offen geschlossen werden, da konkrete Leistungen bei Vertragsschluss noch nicht abgesehen werden können. Dies bietet den Auftragnehmern die Möglichkeit, Leistungen nach dem „moral hazard“-Prinzip zu erbringen, also mehr und kostenintensivere Dinge zu leisten, als eigentlich sinnvoll notwendig wäre. Zudem fallen bei der Vergabe von Aufgaben an private Unternehmen zusätzliche Kosten für den Prozess des Vertragsabschlusses und die Evaluation an, was die Gesamtkosten weiter erhöht. Kostenvorteile und Qualitätssteigerungen sind allgemein nicht zu erkennen (vgl. Markusen 2001: 10-17; 33-37 Wulf 2005: 192-196).
Eine weitere Folge, die sich aus der Privatisierung der Gewalt ergibt, ist ein gewisser Verlust an Kontrolle. Kontrolle ist eine der wichtigsten Voraussetzungen, damit die Privatisierung tatsächlich funktionieren kann. Die Kapazitäten der Verteidigungsministerien lassen die notwendige Überprüfung der Aktivitäten der PMFs allerdings nicht zu. Während beispielsweise das Auftragsvolumen für private Militärdienstleister zwischen 1997 und 2005 verdoppelt wurde, wurde im gleichen Zeitraum die Zahl der Angestellten, die für den Vertragsabschluss und die Überwachung zuständig sind, um ein Drittel reduziert. Dabei wird nicht nur de facto auf Kontrollen verzichtet, sondern diese sind in den meisten Verträgen auch gar nicht vorgesehen. Die PMFs agieren also mit staatlicher Lizenz, ohne jedoch vom Staat bei der Ausführung ihrer Aufgaben überwacht zu werden. Dies öffnet ihnen Tür und Tor, schlechte Leistung zu liefern, so ihre eigenen Kosten zu minimieren und die Gewinne zu maximieren. Wie die Beispiele Halliburton, CACI, Titan und Blackwater zeigen, konnten sogar Auftragnehmer, die nachweislich schwere Menschenrechtsverletzungen begangen haben, wieder Verträge mit ihren vormaligen Auftraggebern abschließen. Die mangelnde Kontrolle bei der Ausführung der vereinbarten Aufgaben führt also nicht nur zu Erhöhung der Kosten und schlechter Qualität, sondern auch zu Verletzungen des Völkerrechts (vgl. Deitelhoff 2009: 9-11; Uesseler 2008: 154-157; Wulf 2005: 194-195).
Die Vertragskonstellation zwischen den Staaten als Auftraggebern und den PMFs als Auftragnehmer bergen ein weiteres Risiko: ebenso wie die Verträge von den beiden Parteien geschlossen werden, so kann auch eine der beiden Parteien aus diesen Verträgen aussteigen. Die Gründe zum Vertragsausstieg sind für die PMFs beispielsweise darin zu sehen, dass ihnen möglicherweise das Sicherheitsrisiko für das eigene Personal im Laufe des Einsatzes zu groß wird und sie sich zurückziehen, um ihre Angestellten zu schützen. Dies war beispielsweise im Jahr 2003 der Fall, als angeheuerte südkoreanische Truppen sich nach dem Fall zweier Soldaten aus den umkämpften Gebieten zurück zogen. Zum anderen ergeben sich Ausstiegsgründe schon allein aus der Tatsache, dass es sich um Wirtschaftsunternehmen handelt: diese sind immer der Gefahr des Konkurses ausgesetzt, was dazu führen würde, dass die vereinbarte Leistung nicht mehr erbracht werden kann. Zudem handeln Wirtschaftsbetriebe eben nach ökonomischen Gesichtspunkten, was dazu führen, kann, dass sie den einen Vertrag kündigen, wenn sie wo anders ein lukrativeres Geschäft abschließen können. Der Vertragsausstieg der privaten Militärfirmen gefährdet sowohl den Einsatz an sich, als auch die Streitkräfte in den Einsatzgebieten, da diese dann nicht mehr mit Nachschub versorgt werden. Eine Handhabe wie im Falle der Befehlsverweigerung oder Desertion besteht gegenüber den privaten Militärdienstleistern jedoch nicht. Eine weitere Gefahr, die sich daraus ergibt, dass sich die Auftraggeber der Loyalität der Truppen nie sicher sein können, besteht darin, dass sich die angeheuerten Truppen auch gegen ihren Auftraggeber stellen können, entweder auf der Gegenseite (wenn diese bessere Konditionen bietet) oder selbst versuchen, die Macht zu erlangen. Auch wenn dies vor allem in schwachen Staaten eine reale Gefahr darstellen dürfte, darf dieses Potential nicht übersehen werden (vgl. Singer 2006: 266-269; Uesseler 2008: 156-157).
Eine weitere mögliche Folge der Privatisierung der Gewalt durch die Regierungen ist darin zu sehen, dass die Legitimationsprozesse, die hinter dem Einsatz der Gewalt stehen, untergraben werden. Der Einsatz privater Militärfirmen in Konflikten ermöglicht es den Regierenden, die von den Parlamenten verabschiedeten Begrenzungen der Truppenstärken zu umgehen. Zudem wird die Manipulation der öffentlichen Meinung bzw. der Zustimmung der Öffentlichkeit zu militärischen Interventionen ermöglicht. Studien zeigten, dass die Zustimmung zu Militäreinsätzen maßgeblich von der Aussicht auf Erfolg sowie vom Gefährdungspotential für die eigenen Truppen abhängt. Wenn nun aber an der Stelle der eigenen Soldaten private Unternehmen in die Krisengebiete geschickt werden, fällt der Unmut der Bevölkerung deutlich geringer aus. Hinzu kommt, dass die Verträge mit den privaten Militärdienstleistern in der Regel alleine durch exekutive Organe ausgehandelt werden. Die Parlamente haben hier nur äußerst limitiert die Möglichkeit zur Einsichtnahme, sofern sie überhaupt über die Verträge in Kenntnis gesetzt werden. Somit wird also das Demokratiegebot, das die Grundlage der meisten modernen Staaten darstellt, durch die Privatisierung im Bereich der staatlichen Gewalt unterlaufen. Dies führt zwar – zumindest kurzfristig – nicht dazu, dass die Organisation der staatlichen Gewalt selbst, sowie die staatliche Kontrolle der Gewalt durch die Privatisierung ausgehebelt werden, aber die Legitimationsgrundlage des Einsatzes von Gewalt wird zumindest in einigen Fällen umgangen. Die Frage, wie sich die Praxis des Outsourcings im Bereich der staatlichen Gewalt langfristig auf den Staat auswirken wird, kann bislang noch nicht abschließend beantwortet werden. Die Situation in den USA, in denen die Privatisierung am weitesten fortgeschritten ist, lässt jedoch vermuten, dass auch starke Staaten mit zunehmender Privatisierung Gefahr laufen, das Gewaltmonopol bzw. die eigenständige Möglichkeit zu dessen Ausübung zumindest teilweise einzubüßen. Dies liegt zum einen daran, dass die Staaten selbst nicht mehr über die notwendigen Ressourcen, sprich Waffensysteme, Expertise, Einsatzkräfte etc. verfügen und zum anderen am wachsenden Einfluss der militärischen Dienstleister. Letzteres zeigt sich daran, dass schon heute die Außenpolitik der USA von den Auftragnehmern dahingehend abhängt, welche Art der Kriegsführung und Sicherheitspolitik überhaupt umgesetzt werden kann. Hinzu kommt ein starker Einfluss durch Wahlkampfspenden und Lobbyarbeit (vgl. Deitelhoff 2009: 21-23; Deitelhoff/Geis 2009: 23-25; Uesseler 2008: 190-195).
Die Tatsache, dass sich die öffentliche Sicherheit zumindest zum Teil in der Hand privater Unternehmen befindet birgt zudem ein Verteilungsproblem. Wie jedes andere Gut, dass auf einem Markt gehandelt wird, kann es auch beim Gut Sicherheit zu einer ungleichen Verteilung kommen. In der Konsequenz wird dies in den westlichen Industrienationen nicht derartige Ausmaße wie beispielsweise in Brasilien annehmen, wo man drei gesellschaftliche „Sicherheitszonen“ ausmachen kann, aber dennoch können dort signifikante Unterschiede auftreten. Als erste diesbezügliche Anzeichen lassen sich die „Gated Communities“ (eingezäunte Wohnsiedlungen meist finanzkräftiger Bürger, zu denen der Zugang streng kontrolliert wird) anführen, da in diesen ein höherer Grad an Sicherheit herrscht, als in den umgebenden Gebieten. Einen weiteren diesbezüglichen Indikator stellen die privatisierten Gefängnisse dar, in denen die Haftbedingungen maßgeblich von den Betreiberfirmen abhängig sind. In den USA werden einzelne Gefängnisse aus Kostengründen sogar ins Ausland, beispielsweise nach Mexiko verlagert. Die daraus resultierende ungleiche Verteilung der Sicherheit führt zu einer Segregation der Gesellschaft und zu einem Vertrauensverlust seitens der Bürger in den Staat, insbesondere dann, wenn – wie oben beschreiben – dies auf Unterminierung der demokratischen Grundlage fußt. So birgt die Privatisierung der Gewalt ein erhebliches Konfliktpotential auch innerhalb starken Staaten (vgl. Cornell 2006: 7-10; Kofner 2006: 1-3; Markusen 2001: 35; Uesseler 2008:195-196).
6. Schlussbetrachtung
Wie wir gesehen haben, gehen mit der Privatisierung der Gewalt zahlreiche Folgen für den Staat einher. Zum einen können diese zwar die Flexibilität bei der Anwendung der Gewalt erhöhen, zum anderen gelingt dies aber nur, indem die demokratische Grundlage des Staates unterminiert wird. Zudem ergeben sich zahlreiche Risiken durch die unzureichende Kontrolle, die beim Einsatz der PMFs erfolgt sowie durch die bloße Vertragsbindung, die kaum ein Sanktionspotential seitens des Staates vorsieht. Außerdem besteht die reale Gefahr, dass der Staat in mehrfacher Hinsicht von den Auftraggebern beeinflusst wird. Zum einen ist er von diesen abhängig, da er nicht mehr mit eigenen Mitteln die Einsätze ausführen kann und zum anderen besteht das Risiko, dass die Anbieter militärischer Dienstleistungen sowohl durch finanzielle Unterstützung der Parteien, als auch durch Lobbyismus gepaart mit der staatlichen Abhängigkeit einen enormen Einfluss auf die Politik des Staates entwickeln. Darüber hinaus darf das Konfliktpotential innerhalb der Gesellschaft nicht übersehen werden, das entsteht, wenn Sicherheit von einem öffentlichen zu einem privaten Gut umgewandelt wird und es so zu einer ungleichen Verteilung der Sicherheit kommt.
Moderne Staaten laufen also Gefahr, durch die neuerliche Privatisierung ihres Gewaltmonopols sich selbst zu schwächen und ihre Macht einzubüßen. Wenn wir Max Weber folgend den Staat als „ein auf das Mittel der legitimen (…) Gewaltsamkeit gestütztes Herrschaftsverhältnis von Menschen über Menschen“ (Weber 1919: 36) definieren, können wir folgern, dass sobald der Staat nicht mehr über das Mittel der legitimen Gewaltsamkeit verfügt, was durch eine weitgehende Privatisierung der Gewalt de facto möglich ist, das Herrschaftsverhältnis und somit der Staat selbst zugrunde geht.
Wie wir unter Bezug auf Han gesehen haben, werden die Entscheidungen Egos erst in Alter realisiert, was heißt, dass sich Ego in Alter kontinuiert. Durch die Macht wird Ego befähigt, in Alter bei sich selbst zu sein. Übertragen auf den Staat bedeutet dies, dass dessen Entscheidungen als Machthaber sich erst in der Bevölkerung als Machtuntergebene realisieren und sich der Staat erst dort kontinuiert. Der Staat kann also nur dadurch bei sich selbst sein, also überhaupt bestehen, dass er seine Macht gegenüber Ego anwendet. Da dies sowohl durch Zwang, im Extremfall Gewalt, als auch durch Freiheit möglich ist, lässt sich folgern, dass der Staat, auch wenn er nicht mehr selbst über die Mittel der physischen Gewalt verfügt, noch solange bestehen bleibt, solange es ihm möglich ist, seine Macht auf der Grundlage der Freiheit auszuüben. Sobald dies nicht mehr möglich und der Einsatz von Gewalt unumgänglich wird, kann es zum Untergang des Staates kommen, da dieser selbst nicht mehr in ausreichendem Maße über die Fähigkeit zur Anwendung der Gewalt verfügt (vgl. Han 2005: 14-15).
Ob diese – zugegebenermaßen pessimistischen – Folgerungen tatsächlich so eintreten, oder ob es den einzelnen Staaten gelingt, trotz einer weitgehenden Privatisierung ihres Gewaltapparates als starke Akteure weiterhin Macht auszuüben, kann noch nicht abschließend beantwortet werden. Vor allem die starken Staaten werden auch an diesen Privatisierungen wohl nicht zerbrechen - bei vielen schwachen Staaten ist dies schon vorher geschehen. Dennoch bleibt festzuhalten, dass die Privatisierung solch sensibler Bereiche wie der staatlichen Gewalt nicht risikofrei ist und mit Bedacht erfolgen muss.
Literatur
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- Binswanger, Mathias (2012): Sinnlose Wettbewerbe. Warum wir immer mehr Unsinn produzieren; Verlag Herder GmbH; Freiburg im Breisgau
- Comite International Geneve (ICRC): Protokoll I. Zusatzprotokoll zu den Genfer Abkommen vom 12. August 1949 über den Schutz der Opfer internationaler bewaffneter Konflikte; Internetpublikation: http://www.rk19-bielefeld-mitte.de/info/Recht/Genfer_Konventionen/Protokoll_1/043-047.htm (Download am: 09.04.2013)
- Cornell, Heinz (2006): Warum hört man so wenig wirklich gute Argumente für die Privatisierung des Strafvollzugs? In: Neue Kriminalpolitik – 1/2006: 7-10
- Deitelhoff, Nicole (2009): The business of security and the transformation of the state; TranState working Papers No. 87; Bremen; Internetpublikation:http://hdl.handle.net/10419/27898 (Download am: 01.04.2013)
- Deitelhoff, Nicole; Anna Geis (2009): Securing the State, Undermining Democracy: Internationalization and Privatization of Western Militaries; TranState working Papers No. 92; Bremen; Internetpublikation:http://hdl.handle.net/10419/27914 (Download am: 01.04.2013)
- Eppler, Erhard (2002): Vom Gewaltmonopol zum Gewaltmarkt? Die Privatisierung und Kommerzialisierung der Gewalt; Suhrkamp Verlag; Frankfurt am Main
- Han, Byung-Chul (2005): Was ist Macht? Philipp Reclam jun. GmbH & Co. KG, Stuttgart
- Hummel, Hartwig (2001): Die Privatisierung der Weltpolitik. Tendenzen, Spielräume und Alternativen; In: Brühl, Tanja; Tobias Debiel; Brigitte Hamm, Hartwig Hummel, Jens Martens (Hg.): Die Privatisierung der Weltpolitik. Entstaatlichung und Kommerzialisierung im Globalisierungsprozess; Verlag J.H.W. Dietz Nachfolger GmbH; Bonn: 22-57
- Kofner, Stefan (2006): Gated Communities (Geschlossene Wohnkomplexe); Zusammenfassung des Beitrags von Prof. Dr. Stefan Kofner, MCIH in Wohnungswirtschaft und Mietrecht, 59. Jg. (2006), Heft 1; Internetpublikation: http://www.hogareal.de/Gated_Communities_WM_01_2006_Zsfssg.pdf (Download am: 10.04.2013)
- Luhmann, Niklas (1975): Macht; Ferdinand Enke Verlag; Stuttgart
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- Parsons, Talcott (1980): Zur Theorie der sozialen Interaktionsmedien; Jensen, Stefan (Hg.); Westdeutscher Verlag GmbH, Opladen
- Ruf, Werner (2003): Private Militärische Unternehmen; In: Ruf, Werner (Hg.): Politische Ökonomie der Gewalt. Staatszerfall und die Privatisierung von Gewalt und Krieg; Leske + Budrich; Opladen: 76-90
- Singer, Peter Warren (2006): Die Kriegs-AGs. Über den Aufstieg der privaten Militärfirmen; Zweitausendeins; Frankfurt am Main
- Uesseler, Rolf (2008): Krieg als Dienstleistung. Private Militärfirmen zerstören die Demokratie; 3., aktualisierte und erweiterte Auflage; Christoph Links Verlag - LinksDruck GmbH; Berling
- Weber, Max (1919): Wissenschaft als Beruf 1917/1919. Politik als Beruf 1919. Studienausgabe; J.C.B. Mohr; Tübingen
- Weber, Max (1972): Wirtschaft und Gesellschaft: Grundriß der verstehenden Soziologie. 5. Auflage; J.C.B. Mohr; Tübingen
- Wulf, Herbert (2005): Internationalisierung und Privatisierung von Krieg und Frieden; BICC/DCAF Schriften zu Sicherheitssektor und Konversion; Nomos Verlagsgesellschaft, Baden Baden
- Arbeit zitieren
- Stefan Landgraf (Autor:in), 2013, Privatisierung des Gewaltmonopols. Folgen des Outsourcings staatlicher Gewalt an private Unternehmen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/312622
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