Einleitung
Seit den 50er Jahren beschäftigen sich Sprachwissenschaftler intensiver mit der Valenz als Beschreibung syntaktischer Beziehungen. Es wird weitläufig die Theorie vertreten, dass sowohl in syntaktischer als auch in semantischer Hinsicht das Verb der Kern eines Satzes ist, auf den sich alle anderen Satzglieder oder Wörter beziehen. „Die Prädikation ist [...] die grundlegende satzsemantische Einheit.”, schreibt Wolfgang Teubert.1 Verschiedene Verben weisen verschiedene Wertigkeiten auf, verlangen verschieden viele Ergänzungen, um einen vom Sinn her korrekten Satz zu formen: „Wie das Sauerstoffatom die Wertigkeit ‘zwei’ hat und mit zwei Wasserstoffatomen ein Wassermolekül (H2O) bildet, hat ein syntaktisches Wort wie sehe die Wertigkeit „zwei” und verbindet sich z.B. mit dem Wort ich und dem Wort dich zum Satz ich sehe dich.”2
Aber auch Substantive können eine Valenz aufweisen, nämlich meistens dann, wenn es sich um deverbiale Substantive, also um Ableitungen eines Verbes handelt. Dann erfüllen diese Substantive die Aufgabe der Prädikation. So lässt sich „Ich fahre bald nach Schweden. Das kostet einen Haufen Geld.” umformen in „Meine Fahrt nach Schweden kostet einen Haufen Geld.” ‘Meine Fahrt’ ergibt alleinstehend keinen Zusammenhang, es wird noch mindestens die Information verlangt, was für eine Fahrt gemeint ist.
Die Fragen, die sich stellen, sind folgende: ist es auch möglich, Valenzbeziehungen bei originären - also nicht von Verben abgeleiteten - Wörtern wie zum Beispiel „Vater” festzustellen? Und wenn ja, welche originären Wörter weisen eine Valenz zu anderen Wörtern auf? Diese Fragen gilt es im folgenden Text zu untersuchen. Dazu ist es allerdings notwendig, auf die Valenz des Substantivs im Allgemeinen sehr genau einzugehen.
[...]
Inhalt
1. Einleitung
2. Substantivklassen
2.1. Teuberts Einteilung
2.2. Einteilung von Sommerfeldt/Schreiber
2.2. Einteilung von Sommerfeldt/Schreiber
2.3. Gegenüberstellung dieser Klassen
2.4. Graphische Darstellung der Wertigkeit eines Substantivs
2.5. Obligatorische und fakultative Ergänzungen
2.6. Das Genitivattribut
3. Originäre Substantive
3.1. Analogien zu Verbalsubstantiven
3.2. Das Genitiv-Attribut als Zeichen von Valenz
4. Zwei Beispiele
4.1. Das Donnern
4.2. ‘Das Buch’
5. Zusammenfassung
1. Einleitung
Seit den 50er Jahren beschäftigen sich Sprachwissenschaftler intensiver mit der Valenz als Beschreibung syntaktischer Beziehungen. Es wird weitläufig die Theorie vertreten, dass sowohl in syntaktischer als auch in semantischer Hinsicht das Verb der Kern eines Satzes ist, auf den sich alle anderen Satzglieder oder Wörter beziehen. „Die Prädikation ist [...] die grundlegende satzsemantische Einheit.”, schreibt Wolfgang Teubert.1 Verschiedene Verben weisen verschiedene Wertigkeiten auf, verlangen verschieden viele Ergänzungen, um einen vom Sinn her korrekten Satz zu formen: „Wie das Sauerstoffatom die Wertigkeit ‘zwei’ hat und mit zwei Wasserstoffatomen ein Wassermolekül (H2O) bildet, hat ein syntaktisches Wort wie sehe die Wertigkeit „zwei” und verbindet sich z.B. mit dem Wort ich und dem Wort dich zum Satz ich sehe dich.”2
Aber auch Substantive können eine Valenz aufweisen, nämlich meistens dann, wenn es sich um deverbiale Substantive, also um Ableitungen eines Verbes handelt. Dann erfüllen diese Substantive die Aufgabe der Prädikation. So lässt sich „Ich fahre bald nach Schweden. Das kostet einen Haufen Geld.” umformen in „Meine Fahrt nach Schweden kostet einen Haufen Geld.” ‘Meine Fahrt’ ergibt alleinstehend keinen Zusammenhang, es wird noch mindestens die Information verlangt, was für eine Fahrt gemeint ist.
Die Fragen, die sich stellen, sind folgende: ist es auch möglich, Valenzbeziehungen bei originären - also nicht von Verben abgeleiteten - Wörtern wie zum Beispiel „Vater” festzustellen? Und wenn ja, welche originären Wörter weisen eine Valenz zu anderen Wörtern auf? Diese Fragen gilt es im folgenden Text zu untersuchen. Dazu ist es allerdings notwendig, auf die Valenz des Substantivs im Allgemeinen sehr genau einzugehen.
2. Substantivklassen
Die Einteilung der Substantive in verschiedene Klassen ist bei der Untersuchung der Valenz von Substantiven von großer Bedeutung. Kommt man zum Wasserstoffatom zurück, so weiß man nur, dass das Wasserstoffatom zweiwertig ist, weil man das Wasserstoffatom kennt und über seine Eigenschaften informiert ist. Erst wenn man die noch einzuführende Klasse der Beziehungsbezeichnungen kennt, kann man sich über die Wertigkeit der dazugehörenden Substantive unterhalten.
Aus diesem Grunde ist es unerlässlich, einzelne Substantive in Klassen einzuordnen, um sie genauer untersuchen zu können.
2.1. Teuberts Einteilung
Teubert unterscheidet zwischen fünf Prädikatsklassen: Handlungsprädikate (z.B. ich baue), Vorgangsprädikate (z.B. ich wachse), Zustandsprädikate (z.B. ich schlafe), Eigenschaftsprädikate (z.B. Wein ist herb) und Gattungsprädikate (z.B. Rauchen ist ein Laster).3
Analog lassen sich die nominalen Ableitungen, also die Substantivierungen dieser Prädikate, in ähnliche Klassen, Substantivklassen, einordnen - wobei gesagt wird, dass diese um drei weitere ergänzt werden können: Ergebnisbezeichnungen (z.B. Geschenk), Täterbezeichnungen (z.B. Kurier) und Motionsmittelbezeichnungen (z.B. Zug). Allerdings ist hier festzustellen, dass das Substantiv ‘Kurier’ nicht von einem in der Form in der deutschen Sprache vorhandenen Verb abgeleitet ist, also keine deverbiales Substantiv ist. Erst wenn man ‘Kurier’ mit dem Synonym ‘Überbringer’ ersetzt, findet man ein deverbiales Substantiv. Trotzdem fordert ‘Kurier’ (nomen agentis) noch mindestens eine Ergänzung: ‘der Kurier bringt X’.
2.2. Einteilung von Sommerfeldt/Schreiber
Hier liegen bereits zwei Ergänzungen vor, nämlich ‘bringt’(Tätigkeit) und ‘X’ (nomen patientis); wobei an der Stelle ein Problem entsteht: was ist der Valenzträger? Ist es ‘bringt’, das Zustandsprädikat, das noch einen ‘Täter’ und ein Objekt erfordert oder ‘der Kurier’, der Täter, der noch eine Tätigkeit und ein Objekt benötigt? Hierbei sieht man, dass die Bestimmung des Valenzträgers stark mit der Frage kontextueller Interpretation zusammenhängt.
2.2. Einteilung von Sommerfeldt/Schreiber
Sommerfeldt/Schreiber teilen die Substantive etwas anders ein: sie verwenden die Begriffe ‘Täterbezeichnungen (Nomina agentis)’, ‘Beziehungsbezeichnungen’, ‘Tätigkeitsbezeichnungen’, ‘Vorgangsbezeichnungen’, ‘Zustandsbezeichnungen’ und ‘Eigenschaftsbezeichnungen’4
Wichtig bei Sommerfeldt/Schreiber ist die genaue Bedeutungsaufschlüsselung von Substantiven; so wird ‘Mann’ aus der Gruppe der Beziehungsbezeichnungen aufgeschlüsselt in verschiedene Varianten: männlicher Mensch (0-wertig, also keine Beziehung) oder Ehemann (1-wertig, also Beziehung zu mind. einer Person).5 Dies wird in 3.1. noch wichtig.
Auf der Seite 17 wird angemerkt, dass auch deverbiale Substantive 0-wertig, also ohne Valenz sein können: Donnern, Blitzen. Dies ist ein Aspekt, der im Punkt 4 angegangen wird.
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1. Teubert, Wolfgang (1979): Valenz des Substantivs. Düsseldorf: Pädagogischer Verlag Schwann; S. 29
2. Linke/Nussbaumer/Portmann (1996): Studienbuch Linguistik. 3., unveränderte Auflage. Tübingen: Max Niemeyer Verlag; S. 112
3. Teubert, S.31
4. Sommerfeldt, Karl-Ernst / Schreiber, Herbert (1980): Wörterbuch zur Valenz und Distribution der Substantive. Leipzig: Bibliographisches Institut; S.14 ff.