Der Einfluss von Sigmund Freuds Psychoanalyse auf Salvador Dalís Kunst soll in dieser Seminararbeit herauskristallisiert werden. Im Fokus steht die Analyse von Dalís Werk „Métamorphose de Narcisse“ (1937) als eine visuelle, weiterführende Interpretation Freuds Theorien durch Anwendung der von Dalí entwickelten paranoisch-kritischen Methode.
Der Surrealismus greift die psychoanalytische Traumlehre auf: Ziel ist nicht die Abbildung der Realität, sondern deren Erweiterung unter Einbezug des Unbewussten – denn erst die Verschmelzung von Realem und Irrealem führt zur „Überwirklichkeit“, der „sur-réalité“. Doch wie erschließt sich das Unbewusste, dieses ursprüngliche, irreale Material? Die Antwort lieferte Dalí mit der Entwicklung der revolutionären paranoisch-kritischen Methode, die für ihn die Funktion einer „Formel“ zum bewussten Nacherleben des Entstehungsprozesses der Phantasiegebäude von Träumenden oder Paranoiden hatte. Dalí wandte diese Interpretationsmethode bedingungslos auf seine Kunst an, so auch in dem Gemälde „Métamorphose de Narcisse“ (1937).
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Sigmund Freud
2.1 Freuds Weg zur Psychoanalyse
2.2 Psychoanalyse und Traumdeutung
3 Salvador Dalí
3.1 Dalí und die surrealistische Bewegung
3.2 Prägung durch Freud
3.3 Entwicklung der paranoisch-kritischen Methode
3.4 Werkanalyse: Métamorphose de Narcisse, 1937
4 Fazit
5 Literaturverzeichnis
1 Einleitung
Schon immer ging für die Menschheit eine gewisse Faszination von ihren rätselhaf- ten, über Nacht gediehenen Traumbildern aus, die früher als Eingebung von göttli- cher Seite verstanden wurden.1 Diese vorwissenschaftlichen Traumauffassungen sind im Einklang mit einer auf Religiosität basierenden Weltanschauung zu verste- hen. Aristoteles dagegen war der erste, der Mitte des 4. Jh. v. Chr. in seiner Schrift „Über Träume und Traumdeutung“ den Traum zum Objekt der Philosophie erklärte.
Ende des 19. Jahrhunderts entwickelte Sigmund Freud, der Urvater der Psychoana- lyse, die revolutionäre Theorie des tiefenpsychologischen Persönlichkeitsmodells, die für die Entwicklung der surrealistischen Bewegung eine bedeutsame Rolle spielen sollte. Inspiriert von Freuds erstmals wissenschaftlich begründetem Hauptwerk „Die Traumdeutung“ (1899) entstand eine neuartige Bewegung der modernen Kunst.
Salvador Dalí war einer der Hauptakteure der surrealistischen Bewegung, in der traumhafte, irrationale Bilder in den Tiefen des psychisch Unbewussten erstmals auf- gegriffen wurden und künstlerisch dargestellt werden sollten. Scheinbare Grenzen zwischen Traum und Wirklichkeit, Irrealem und Realem wurden in einer „Über-Wirk- lichkeit“2 aufgelöst, wobei die ursprüngliche visionäre Empfindung im Vordergrund stand. In die „traditionellen Konventionen eines fixierten Wirklichkeitsbildes“3 wurden fortan Absurditäten und Phantasien integriert, die den „Dingkonstellationen“4 einen magischen Charakter verliehen und in traumhaften, überillusionistischen Raumkon- struktionen aufgehen ließen.
Der Einfluss von Sigmund Freuds Psychoanalyse auf Salvador Dalís Kunst soll in dieser Seminararbeit herauskristallisiert werden. Im Fokus steht die Analyse von Dalís Werk „Métamorphose de Narcisse“ (1937), als eine visuelle, weiterführende Interpretation Freuds Theorien durch Anwendung der von Dalí entwickelten paranoisch-kritischen Methode.
2 Sigmund Freud
2.1 Freuds Weg zur Psychoanalyse
Sigmund Freud (1856-1939) wurde als erster Sohn der zweiten Frau seines Vaters Jakob Freud in Freiberg im Nordosten des damaligen österreichischen Kaiserreichs geboren. Freud erfuhr stets eine gewisse Bevorzugung gegenüber seinen zwei Stiefbrüdern väterlicherseits und später auch gegenüber seinen vier weiteren Geschwistern, wodurch er sich sein ausgeprägtes Selbstbewusstsein oder „Eroberungs- gefühl“5, wie er es nannte, erklärt.
1859 sah die Familie sich aufgrund der weltwirtschaftlichen Schwierigkeiten, die die berufliche Existenz Freuds Vater als Textilhändler infrage stellten, gezwungen, in an- fangs eher beengte Verhältnisse nach Wien zu ziehen. Während seiner gesamten Schulausbildung zeigte sich Freud als ehrgeiziger Schüler, der überdurchschnittliche Leistungen erbrachte und 1873 die Matura mit Auszeichnung bestehen sollte. Dabei lassen sich schon hier erste Tendenzen für das Interesse an der menschlichen Psy- che erkennen:
„ Mich trieb eine Art Wissbegierde, die sich mehr auf die menschlichen Ver h ä ltnisse bezog als auf nat ü rliche Objekte [ … ] “ 6
Freud verwarf seine anfänglichen Überlegungen Jura zu studieren und ging seiner Neigung nach, als er 1873 sein Studium in der medizinischen Fakultät in Wien antrat. Die Promotion zum Doktor der Medizin erhielt Freud 1881 nach erfolgreicher Präsentation seiner Dissertation7.
Eine besondere Prägung erfuhr Freud durch Jean Martin Charcot, einem bedeutenden Professor für pathologische Anatomie, den er 1885 auf einer Studienreise nach Paris kennen lernte. Charcot hatte ihn mit zahlreichen Phänomenen der Hysterie, die er erstmals als eine eigene Krankheitsgattung diagnostizierte und zu dessen Behandlungsmethode u.a. die Hypnose zählte, vertraut gemacht und so den damals 30- jährigen Freud entscheidend geprägt.
Eine weitere Prägung ging von Josef Breuer aus, einem bedeutenden Arzt, Psy- chologen und Philosophen aus Wien, der neben Freud als Wegbereiter der Psycho- analyse angesehen wird. Breuer schaffte es erstmals, im Rahmen seines Behand- lungsprozesses die psychischen Krankheitssymptome seiner Patientin Bertha Pap- penheim zu heilen, indem er die wahren Ursachen in - aufgrund von moralischen Vorstellungen der Gesellschaft verdrängten - kränkenden Erfahrungen und ver- störenden Erlebnissen suchte. Das ab 1897 von Freud unter dem Namen „Psycho- analyse“ angewandte Verfahren zeigt noch starke Parallelen zu den Ansätzen Breuers: Beide sahen die Ursachen für zahlreiche psychische Störungen in der Er- fahrung sexueller Gewalt. Diesen Ansatz sollte Freud bald relativieren; er war davon überzeugt, den Ursprung psychischer Krankheiten in der Verdrängung außer Kon- trolle geratener Triebe und Wünsche von Kindern gegenüber ihrer Eltern zu finden. Daraus entwickelte er die Theorie des „Ödipus Komplexes“. Es folgt 1899 „Die Traumdeutung“, sowie 1913 seine Schriften über „Totem und Tabu“.
2.2 Psychoanalyse und Traumdeutung
Die Psychoanalyse zählt zu den aufdeckenden Therapien, deren Ziel es ist, das Gefühlserleben in speziellen Situationen, die als Symptome für ein psychisches Lei- den ausgemacht wurden, umzustrukturieren und so den Patienten an ein normales, den gesellschaftlichen Normen angepasstes Verhalten heranführen zu können. Die psychoanalytische Therapie bedient sich der Methode der Traumdeutung.
In seinem Hauptwerk „Die Traumdeutung“ beschreibt Sigmund Freud die revolu- tionäre Traumtheorie, die erstmals den Fokus auf die persönlichen Erfahrungen eines psychisch Erkrankten legt. Die Methode der Traumdeutung ermöglicht eine Rückführung auf die tatsächlichen Ursachen psychischer Störungen, die nach Freud in der Verdrängung uneingestandener Ängste oder Gefühle liegen. Krankhafte Fehlentwicklungen in der Psyche sollten durch Behandlungsmethoden wie der „freien Assoziation“, einem Wegbereiter in die Schichten des Unbewussten, behoben wer- den. Dabei spricht der Patient alles aus, was ihm in den Sinn kommt, insbesondere Traumerfahrungen. Interessant für Freud sind dabei auffallende Wiederholungen bestimmter Motivgruppen, die eine stellvertretende Rolle für verdrängte Zwänge ein- nehmen. Freuds Theorie über unbewusste psychische Vorgänge hebt insbesondere die Verbindung zwischen dem triebgesteuerten Körperlichen und dem Mentalen, in dem die Vernunft inbegriffen ist, hervor.
Der Traum wird von Freud als ein im Unbewussten wurzelndes psychisches Phänomen verstanden, als visualisierte Befreiung eines verdrängten Wunsches, der sich verfestigt, indem er auch im Wachzustand an Gedanken anknüpft und so das Verhalten unbewusst beeinflussen kann. Damit eröffnet der Traum den „Königsweg für die Einsicht in das Geschehen des Unbewussten“, denn „die Triebhaftigkeit für den Traum“, so Freud, „wird vom Unbewussten beigestellt“8.
Dieser verdrängte Wunsch ist angesichts der Prägung durch gesellschaftliche Normen und Wertvorstellungen als eine nicht immer zulässige „Wunschphantasie“ zu verstehen, die sich über den Traum als Vermittlungsinstanz bemerkbar macht. Die Funktion des regulativen Faktors, von Freud „Zensur“ genannt, ist im schlafenden Zustand abgeschwächt und verliert an Einfluss. So können unterdrückte Triebregungen oder uneingestandene Ängste den „latenten Traumgedanken“, d.h. den Kerngedanken der Traumhandlung, bestimmen.
Dieses tief ins Unbewusste reichende Material wird vom Träumenden nur als „manifester Trauminhalt“, abgeschwächt durch das lückenhafte Erscheinungsbild der Erinnerung, wahrgenommen, wodurch der ursprüngliche Traum zwar seine Komplexität verliert, jedoch immer noch auf dem selben Gedanken basiert. Nach Freud liegen „Traumgedanke und Trauminhalt […] vor uns wie zwei Darstellungen desselben Inhalts in zwei verschiedenen Sprachen“ .
Um den „latenten Traumgedanken“ in eine Traumerzählung umzuwandeln, bedarf es der Traumarbeit. Diese bedient sich spezieller Verschleierungsmechanismen, die sich nach Freud in die „Verdichtung“ und in die „Verschiebung“ unterteilen lassen: „Verdichtung“, d.h. die Projektion vieler latenter Elemente auf ein einziges, wie beispielsweise eine im Traum auftretende Person, die die Eigenschaft einer ganzen Personengruppe vertritt, und „Verschiebung“, bei der sich ein unzulässiges Element auf ein anderes verlagert, zum Beispiel ein beschämendes Gefühl, das im Traum in Form eines neutral erscheinenden Objekts auftritt.
[...]
1 vgl. Freud, Die Traumdeutung, S. 6 Lexikon der Kunst, S. 212
2 s.a.a.O.
3 s.a.a.O.
4 Freud, Jugendbriefe, 1873-1981
5 Freud, Selbstdarstellung, 1925
6 Titel der Dissertation: „Über das Rückenmark niederer Fischarten“
7 Freud, 1972, S. 517 Rolf, S. 95
8 Zwar bietet die Freud’sche Psychoanalyse keine Möglichkeit der vollständigen
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- Giuliana Barrios (Author), 2014, Die paranoisch-kritische Methode. Der Einfluss der Psychoanalyse auf Salvador Dalís Kunst, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/310120
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