Der wesentliche Unterschied zu den geschriebenen und in der Judikatur entwickelten Rechtfertigungsgründen betreffend Eingriffe in die EU-Grundfreiheiten sind die Legalausnahmen in Art 45 IV und 51 I AUEV. Gemeint sind Beschäftigungen in der öffentlichen Verwaltung bzw. Dienstleistungen mit Ausübung öffentlicher Gewalt. Es handelt sich um staatsnahe Bereiche, die von der unionsrechtlichen Arbeitnehmerfreizügigkeit bzw. Dienstleistungsfreiheit von vornherein nicht umfasst sind, sodass insofern kein Beurteilungsspielraum offen ist. Fällt eine Tätigkeit in einen dieser Bereiche, so sind die Binnenmarktgrenzen bereits überschritten; eine Diskriminierung kommt nicht in Frage.
Die Achtung der Verfassungsidentität und der Selbstverwaltung auf nationaler und lokaler Ebene zählt zu den tragenden Prinzipien des Unionsrechts. Allerdings darf man nicht verkennen, dass mit dem supranationalen Charakter der EU eine Teilaufgabe mitgliedstaatlicher Souveränität untrennbar verbunden ist. Insofern bildet sich ein Rechtsstreit besonderer Ausprägung. Einerseits beansprucht der EuGH das Auslegungsmonopol und vertritt in ständiger Rechtsprechung und seit geraumer Zeit den unmittelbaren Anwendungsvorrang des Unionsrechts, dem keine, wie immer gearteten, innerstaatlichen Vorschriften (also auch die Verfassung als Ganzes) vorgehen können. Zudem kommt das Gebot praktischer Wirksamkeit und einheitlicher Anwendung des Unionsrechts, welches durch Abweichungen und Divergenzen in den nationalen Rechtsordnungen nicht untergraben werden darf. Andererseits wollen sich aber die Mitgliedstaaten, nicht zuletzt durch die jeweiligen Verfassungsgerichte, gegen einen derartigen vermeintlichen Imperialismus womöglich absichern und bedienen sich dabei verschiedener Rechtsvorbehalte. Dies zeigt sich an der Solange-Rechtsprechung des deutschen Bundesverfassungsgerichts , aber auch am Scheitern des Verfassungskonvents , besonders deutlich.
Die Ausnahme öffentlicher Verwaltung von der Freizügigkeit ist kein Privileg, welches etwa den Beamtenstatus für eigene Staatsbürger reservieren soll, sondern ein Staatsvorbehalt mit dem Ziel, einen staatsinternen, vom Staatsangehörigkeitsband besonders geprägten Bereich einzugrenzen. Selbst hier behält sich der EuGH aus obigen Gründen das Auslegungsmonopol. [...]
Inhaltsverzeichnis
I. Einleitung
II. Der Tatbestand der Beschäftigung in der öffentlichen Verwaltung nach Art 45 IV AEU als Bereichsausnahme von der unionalen Freizügigkeit
II.1. Der Tatbestand des Art 45 IV AEUV in der Judikatur des EuGH
II.1.1. Unionsautonome, einheitliche und restriktive Auslegung und Anwendung
II.1.2. Zu den Begriffsmerkmalen
II.2. Eingrenzung durch die Kommission14
II.3. Offene Punkte
III. Der Tatbestand der Ausübung öffentlicher Gewalt nach Art 51 AEUV als Bereichsausnahme von der Niederlassungsfreiheit
II.1. Der Tatbestand des Art 51 I AEUV in der Judikatur des EuGH21
II.1.1. Unionsautonome, restriktive Auslegung
II.1.2. Zu den Begriffsmerkmalen
II.2. Eingrenzung durch sonstige Unionsakte
II.3. Offene Punkte..28
IV. Das Tatbestandsverhältnis zwischen Art 45 IV und Art 51 I AEUV
IV.1. Verbale, systematische und teleologische Aspekte
IV.2. Divergenzen in den Tatbestandsmerkmalen
V. Einzelne Berufsgruppen
V.1. Besondere Fallgruppe: Rechtswesen
V.2. Einzelfälle zu Art 45 IV AEUV (Beschäftigung in der öffentlichen Verwaltung)
V.3. Einzelfälle zu Art 51 I AEUV (Tätigkeiten mit Ausübung öffentlicher Gewalt)
VI. Der verfassungsrechtliche Identitätsstreit im Lichte der Bereichsausnahmen
VI.1. Rechtsvergleichender Überblick zu verfassungsgerichtlichen Integrations-/Identitätsvorbehalten (insb Deutschland, Österreich, Frankreich, Tschechien)
VI.2. Das fragliche Verhältnis von Art 4 II EUV zu Art 45 IV und Art 51 I AEUV
VII. Schluss, Ausblick
VIII. Literaturverzeichnis
I. Einleitung.
Der wesentliche Unterschied zu den geschriebenen und in der Judikatur entwickelten Rechtfertigungsgründen betreffend Eingriffe in die EU-Grundfreiheiten sind die Legalausnahmen in Art 45 IV und 51 I AUEV. Gemeint sind Beschäftigungen in der öffentlichen Verwaltung bzw. Dienstleistungen mit Ausübung öffentlicher Gewalt. Es handelt sich um staatsnahe Bereiche, die von der unionsrechtlichen Arbeitnehmerfreizügigkeit bzw. Dienstleistungsfreiheit von vornherein nicht umfasst sind, sodass insofern kein Beurteilungsspielraum offen ist. Fällt eine Tätigkeit in einen dieser Bereiche, so sind die Binnenmarktgrenzen bereits überschritten; eine Diskriminierung kommt nicht in Frage.
Die Achtung der Verfassungsidentität und der Selbstverwaltung auf nationaler und lokaler Ebene zählt zu den tragenden Prinzipien des Unionsrechts.1 Allerdings darf man nicht verkennen, dass mit dem supranationalen Charakter der EU2 eine Teilaufgabe mitgliedstaatlicher Souveränität untrennbar verbunden ist. Insofern bildet sich ein Rechtsstreit besonderer Ausprägung. Einerseits beansprucht der EuGH das Auslegungsmonopol und vertritt in ständiger Rechtsprechung und seit geraumer Zeit den unmittelbaren Anwendungsvorrang des Unionsrechts, dem keine, wie immer gearteten, innerstaatlichen Vorschriften (also auch die Verfassung als Ganzes) vorgehen können.3 Zudem kommt das Gebot praktischer Wirksamkeit und einheitlicher Anwendung des Unionsrechts, welches durch Abweichungen und Divergenzen in den nationalen Rechtsordnungen nicht untergraben werden darf. Andererseits wollen sich aber die Mitgliedstaaten, nicht zuletzt durch die jeweiligen Verfassungsgerichte, gegen einen derartigen vermeintlichen Imperialismus womöglich absichern und bedienen sich dabei verschiedener Rechtsvorbehalte. Dies zeigt sich an der Solange-Rechtsprechung des deutschen Bundesverfassungsgerichts4, aber auch am Scheitern des Verfassungskonvents5, besonders deutlich.
Die Ausnahme öffentlicher Verwaltung von der Freizügigkeit ist kein Privileg, welches etwa den Beamtenstatus für eigene Staatsbürger reservieren soll, sondern ein Staatsvorbehalt mit dem Ziel, einen staatsinternen, vom Staatsangehörigkeitsband besonders geprägten Bereich einzugrenzen. Selbst hier behält sich der EuGH aus obigen Gründen das Auslegungsmonopol. Zudem werden diese Ausnahmekategorien besonders restriktiv ausgelegt, um missbräuchliche Eingriffe zu vermeiden. Zwar findet sich keine allgemein für alle Fälle gültige, positive Definition der Begriffe „öffentliche Verwaltung“ und „öffentliche Gewalt“, allerdings haben sich in der Judikatur einige Kriterien entwickelt, anhand derer bestimmte Berufsgruppen bzw. Tätigkeiten zur Gänze oder doch unter Umständen in ihrem jeweiligen öffentlich-rechtlichen Teil von der Freizügigkeit ausgenommen werden können.
Zum Forschungsvorhaben zählt die Ermittlung derartiger Kriterien und Definitionen in Rechtsprechung, anderen Unionsakten und Lehre und ihre jeweilige Überprüfung bei konkreten verwaltungsbezogenen Berufssparten, insbesondere den klassischen juristischen Berufen. Dabei soll auch der angesprochene Verfassungsstreit aus dieser Perspektive aktuell beleuchtet und ein rechtsvergleichender Überblick betreffend die Rechtslage in einzelnen Mitgliedsstaaten (insb Deutschland, Österreich, Frankreich und Bulgarien) angeboten werden. So kann der nationale Identitätsbegriff und damit zusammenhängend seine Auswirkung auf die Umsetzung auf Unions- und Staatsebene durchaus divergieren6 und somit zu wesentlichen Unterschieden führen, die kritisch zu hinterfragen sein werden. Schließlich wird nach dem Verhältnis zwischen „öffentlicher Verwaltung“ und „öffentlicher Gewalt“ sowie deren Korrelation zur Identitätsklausel in Art 4 II EUV im Lichte der verfassungsrechtlichen Identitätskontroverse gefragt.
Nicht nur eine systematische, sondern auch eine teleologische Betrachtung der arbeitsgegenständlichen Legalausnahmen in Art 45 IV bzw. 51 I AEUV begründet das Forschungsinteresse. Das Gebot der einheitlichen Auslegung, welche sich auf diese Tatbestände erstreckt, gerät in einen unvermeidlichen Gegensatz mit der eingangs erwähnten Selbstverpflichtung der Union gemäß dem zitierten Art 4 II EUV, auf die Souveränität der mitgliedstaatlichen Selbstverwaltung zu achten. Der lange gezogene Kompromiss zwischen nationaler7 und (sparsam als solcher bezeichneter) europäischer Identität („ immer engere Union der Völker Europas“)8 hatte bereits im Vertrag von Maastricht seinen wahren Ausgangspunkt gefunden. Der Hinweis auf die nationale Identität wurde in den Fassungen von Amsterdam und Nizza beibehalten. Der Europäische Konvent wollte neben dem Identitätsbegriff auch noch die nationale und regionale Vielfalt der Mitgliedsstaaten berücksichtigen.9 Der Vertrag von Lissabon übernahm den Wortlaut des Art I-5 Abs 1 VerfEU mit einigen kosmetischen Änderungen linguistischer Natur („verfassungsmäßig“ statt „verfassungsrechtlich“ sowie „lokale“ statt „kommunale“ Selbstverwaltung). Die nationale Sicherheit verblieb weiterhin in die alleinige Zuständigkeit der Mitgliedsstaaten. Insofern könnte man die Mitgliedsstaaten auch nach Lissabon weiterhin als „Herren der Verträge“ bezeichnen10, was allerdings wiederum auf eine fortwährende Divergenz zwischen nationalen und europäischen Strukturen hindeutet, da die Schwelle zum Bundesstaat offensichtlich nicht überschritten wurde.11
Dieses oft im Sinne einer höchstgerichtlichen Identitätskontrolle verwendetes Argument ist in seiner Natur ambivalent. Konzipiert man nach der Terminologie des deutschen Bundesverfassungsgerichts die EU als „Staatenverbund“ (was auch dem Konzept des Lissaboner Vertrags entspricht), so spricht dies gerade gegen eine potentielle Gefahr von unkontrollierbarer Kompetenzausweitung. Diesem Gedanken trägt auch Art 4 II EUV Rechnung, welcher die Bemühungspflicht seiner Vorgängernorm zu einem umfassenden rechtlichen und politischen Gebot als verlässliches Gegengewicht zur voranschreitenden EU-Integration ausgestaltet hat. Die systematische Nähe zur Loyalitätspflicht (Art 4 III EUV) zeugt von der engen Verzahnung der beiden Typen von Rechtsordnungen. Eine Berufung auf diese Bestimmung ist daher nur in Extremfällen und nach Ausschöpfung des Vorabentscheidungsverfahrens denkbar.12
Der angesprochene Gegensatz verschärft sich dadurch, dass die Abgabe von Teilen innerstaatlicher Souveränität selbst verfassungsrechtlich vorgesehen ist. Dabei spielt es keine Rolle, ob dies – wie im deutschen Art 23 I GG13 - aufgrund eines „Integrationshebels“ oder aber durch ein gesondertes, nicht in den Stammtext inkorporiertes Sonderverfassungsgesetz (Bsp: Österreich14 ) erfolgt. Auch die Gesamtakttheorie Ipsens 15 sieht in der Übertragung hoheitlicher Befugnisse die Bedeutung der Verfassungsermächtigung als erschöpft an (daher immer noch „europarechtliche Lösung“). Formell und materiell handelt es sich um eine Anerkennung des jeweiligen acquis communautaire, welches seit der Costa/E.N.E.L.16 -Rechtsprechung die Vorrangswirkung des Unionsrechts und die primärrechtliche Kompetenzordnung mitumfasst. Aufgrund der hiedurch geschaffenen Eigenständigkeit und unmittelbaren Geltung des Unionsrechts lässt sich eben keine Reservekompetenz für die insofern hinter die Supranationalität zurücktretenden Mitgliedsstaaten ableiten, will man der EU seine Funktionsfähigkeit nicht dem Grunde nach absprechen17. Streinz18 weist zurecht darauf hin, dass die unionsrechtliche Autonomie noch nichts über ihr Verhältnis zu anderen Rechtsordnungen besage. Dieser Grundsatz kann aber gerade auch der Ansicht des deutschen BVerfG entgegengehalten werden: denn das verfassungsrechtlich wirksam Übertragene im Sinne einer Ultra-vires-Kontrolle vermag das Übertragbare („Identitätskontrolle“) nicht zu begründen und auch nicht umgekehrt. Es fehlt insofern an der kollisionsentscheidenden, integrationswesentlichen Kompetenz-Kompetenz19. Indes ist anerkannt, dass die primärrechtlich angesiedelte EU-Hoheitsgewalt als originäre Befugnis des supranationalen Verbands anzusehen sei, die eigenständig ausgeübt werde.20
Dessen ungeachtet haben sich trotz unterschiedlicher Ausprägung und sprachlich-kultureller Divergenz alle mitgliedsstaatlichen Verfassungen für das Unionsrecht entsprechend „geöffnet“21. Das Ausmaß der jeweiligen Verfassungsermächtigung darf nicht zu einem Maßstab der innerstaatlichen unionalen Rechtsgeltung werden – denn sonst wäre die Einheitlichkeit und Effektivität der Letzteren gefährdet. Hingegen ist die Bestimmung der nationalen politischen und verfassungsmäßigen Strukturen iSd Art 4 II EUV den Mitgliedsstaaten überlassen. In diese Richtung hin deutet die Judikatur des EuGH zu den arbeitsgegenständlichen Legalausnahmen, welche das Spannungsverhältnis dadurch zu lösen versucht, dass in einem ersten Schritt den Mitgliedsstaaten unbenommen ist, den unantastbaren Verfassungskern22, der sich letztlich definitionsgemäß auch und vor allem auf die öffentliche Verwaltung bezieht, selbst zu konkretisieren, was allerdings aufgrund der Loyalitätspflicht Art 4 III EUV „europafreundlich“ erfolgen muss. In einem zweiten Schritt soll dann durch den EuGH eine Überprüfung anhand der Gründungsverträge erfolgen, wobei die Mitgliedsstaaten nicht völlig23 selbst (mit-)bestimmen dürfen, wann öffentliche Gewalt bzw. öffentliche Verwaltung vorliegt. Das löst allerdings noch nicht den Konflikt zwischen nationaler Identität und Kompetenzanspruch der Union per se. In diesem Fall wird theoretisch gefordert, dass Letzterer zurückstehen solle24 ; wiederum wird teilweise der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (Art 5 I S.2 EUV) zu Unrecht angewandt25, da es sich um keine Kompetenzwahrnehmungsfrage handelt. Teilweise wird sogar unkritisch die Nichtumsetzung von EU-Richtlinien auf Art 4 II EUV in Extremfällen gestützt.26
Um diese verfassungs-völkerrechtliche Kontroverse zumindest in Teilen zu beleuchten, bietet sich eine systematische, teleologische und rechtsvergleichende Analyse der Ausnahmetatbestände in Art 45 IV sowie Art 51 I AEUV besonders gut an. Nachstehend folgt eine einleitende Beschreibung der beiden Kategorien im Sinne der hier behandelten Identitätsproblematik.
Nach stRsp des EuGH ist die Bereichsausnahme in Art 45 IV AEUV restriktiv auszulegen und umfasst nur noch hoheitliche Tätigkeiten im engen Sinne. Ausgenommen von der Freizügigkeit sind daher nur diejenigen Stellen, „ die eine unmittelbare oder mittelbare Teilnahme an der Ausübung hoheitlicher Befugnisse und an der Wahrnehmung solcher Aufgaben mit sich bringen, die auf die Wahrung der allgemeinen Belange des Staates oder anderer öffentlicher Körperschaften gerichtet sind und deshalb ein Verhältnis besonderer Verbundenheit des Stelleninhabers zum Staat sowie die Gegenseitigkeit von Rechten und Pflichten voraussetzen, die dem Staatsangehörigkeitsband zugrunde liegen. “27 (Hervorhebungen durch Schriftsatzverfasser)
Diesem Kernsatz lassen sich zunächst mehrere Kriterien entnehmen. Einerseits ist auch eine mittelbare Teilnahme an der Ausübung öffentlicher Gewalt mitumfasst. Daher können auch staatliche Leitungs- und Beratungsfunktionen28 bzw. die Teilnahme am staatlichen Willensbildungsprozess im Vorfeld der Ausübung hoheitlicher Befugnisse29 von Art 45 IV AEUV umfasst sein. Mit der „Wahrung der Belange des Staates“ und dem Begriff des „Staatsangehörigkeitsbandes“ verdeutlicht der Gerichtshof, dass nur noch die Verwaltung im eigentlichen Sinne30 gemeint sein kann, nicht aber Stellen, die zwar dem öffentlichen Sektor bzw. öffentlich-rechtlichen Einrichtungen zuzuordnen sind, jedoch keine Mitwirkung an der Staatsgewalt mit sich bringen, so zB der Unterreicht an öffentlichen Schulen und Hochschulen31, das Gesundheitswesen32, Verkehrs- und Transportdienste33 ua. Dabei bedient sich der EuGH zwangsläufig unbestimmter Kategorien, wie jene der „besonderen Verbundenheit“ des jeweiligen Stelleninhabers zum Staat bzw. der Gegenseitigkeit von Rechten und Pflichten, die dem „Staatsangehörigkeitsbande“ zugrunde liegen. Eine derart enge staatliche Verknüpfung wird bei Polizei, Militär, Justiz und Steuerverwaltung vorliegen, nicht aber bei freien Berufen wie die eines Rechtsanwalts, etwa im Hinblick auf die Dienstleistungsfreiheit.34
Die Judikatur zur „Ausübung öffentlicher Gewalt“ iSd Art 51 I AEUV bedient sich hingegen meist einer negativen Abgrenzung. Es gibt keine starren Kriterien, wann diese vorliegen soll35 ; vielmehr wird von einer zweistufigen Prüfweise ausgegangen, indem den Mitgliedsstaaten im Rahmen ihrer verfassungsrechtlichen Autonomie überlassen wird, zunächst eigene Kategorien zu bilden. Diese werden sodann vom EuGH objektiv, anhand Wortlaut, Systematik und Zweck der nationalen Bestimmungen nachgeprüft, ob sie dem unionsrechtlichen Begriff entsprechen.36 Erforderlich ist eine unmittelbare und spezifische Teilnahme an der Ausübung hoheitlicher Befugnisse.37 Eine gedankliche Aufspaltung des Berufs in hoheitliche und nichthoheitliche Tätigkeiten ist sohin möglich, da sich die Bereichsausnahme auf das unbedingt Erforderliche38 beschränken muss.
Der EuGH betont mehrfach das Erfordernis des effet utile und der einheitlichen Auslegung des Unionsrechts und bemüht sich dabei offensichtlich um klare Abgrenzungskriterien, wovon obig zitierter Kernsatz zeugt. Allerdings zeigt sich die Schwierigkeit einer derartigen Grenzziehung besonders deutlich, wenn einerseits die jeweiligen nationalen Verfassungsbestimmungen in Bezug auf Staatsbürgern vorbehaltenen Stellen stark divergieren, andererseits aber aufgrund des Binnenmarktgedanken und der autonomen Auslegung des Unionsrechts durch den EuGH eine möglichst enge Präzisierung angestrebt wird. Dazu kommt der Umstand, dass im Hinblick auf Art 4 II EUV sowie dem Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung jeglicher Eingriff in die Verfassungsidentität oder Selbstverwaltung eines Mitgliedsstaates rechtswidrig wäre. Nicht zu verkennen ist auch, dass der Sinn und Zweck der Ausnahmekategorien nicht die Einschränkung der Arbeitnehmerfreizügigkeit bzw. Dienstleistungsfreiheit, sondern vielmehr die Wahrung der Verfassungsautonomie der Staaten ist. Insofern erscheint es gewissermaßen kontrovers, wenn eine nichtstaatliche, sondern supranationale Instanz wie der EuGH über staatsinterne Verwaltungsbereiche entscheiden muss, auch wenn dieser wiederum Richter aus den Mitgliedsstaaten angehören.39 So sah sich selbst der EuGH gelegentlich nicht in der Lage, über das Vorliegen der besonderen Ausnahmekriterien im Einzelfall zu entscheiden und forderte die Mitgliedsstaaten bzw. die Kommission auf, weitere Informationen vorzulegen oder aber den Streit gemeinsam beizulegen.40
Diese verfassungsrechtliche Kontroverse, die über den Binnenmarktgedanken weit hinausgeht, hat sich seit der Lissabon-Entscheidung des deutschen BVerfG41 besonders zugespitzt. Stellte hier das Verfassungsgericht konkrete Merkmale für die Verfassungsidentität auf (Staatsbürgerschaft, das zivile und militärische Gewaltmonopol, Aspekte der Strafrechtspflege, die staatliche Finanzhoheit sowie die sozial-kulturelle Gestaltung von Lebensverhältnissen42 ), so entschied das tschechische Verfassungsgericht, dass es grundsätzlich dem Gesetzgeber im Rahmen seines politischen Ermessens obliege, die Übertragung hoheitlicher Befugnisse an die EU zu beschließen.43 Vergleicht man diese Kriterien mit den vom EuGH herausgearbeiteten Grundsätzen in Bezug auf Art 45 IV AEUV, so zeigen sich schockierende Ähnlichkeiten. Dies leitet zur Frage über, welches Verhältnis diese beiden Kategorien zueinander haben und insbesondere, ob im Sinne der deutschen Verfassungsjudikatur entgegen der Sicht des EuGH ein autonomer Regelungsspielraum für die Mitgliedsstaaten offen verbleibt. Die Relevanz dieser Abgrenzungsfrage, die in sich verfassungs-,europa- und völkerrechtliche Elemente vereint, wurde indes in der Lehre besonders hervorgehoben, ist aber nach wie vor umstritten.44 Würde man letztere Frage bejahen, so erschiene die soweit gefestigte EuGH-Rechtsprechung außerordentlich bedenklich. Kritisiert wurden bislang im Schrifttum vor allem die mangelnde Bestimmbarkeit der Begriffskategorien samt Begründungsdefiziten45 (sh etwa oben zum „Staatsangehörigkeitsband“) sowie die allein gemeinschaftliche (autonome) Auslegung46. Dies hätte wiederum bedeutende Konsequenzen für das geltende Binnenmarktkonzept, welches vom Grundsatz der Inländer(gleich-)behandlung47 beherrscht ist. Schließlich dürfen doch die nationale und die Unionsbürgerschaft nicht in ein Spannungsverhältnis geraten, sondern müssen sich einander sinnvoll ergänzen.
II. Der Tatbestand der Beschäftigung in der öffentlichen Verwaltung nach Art 45 IV AEUV als Bereichsausnahme von der unionalen Freizügigkeit.
Obschon sich die vorzitierte EuGH-Definition bis heute beibehalten hat, birgt sie viele Unklarheiten und Risiken mit sich; zudem ist eine institutionelle Herangehensweise je nach innerstaatlichem Staatsorganisationsrecht ausgeschlossen. Eine Ausnahme hievon bilden lediglich Stellen im Dienst einer natürlichen oder juristischen Person des Privatrechts, unabhängig von den zu erfüllenden Aufgaben.48 Dies zieht Generalanwalt Jacobs 49 aus einem Erst-recht-Schluss im Hinblick auf die Rechtsprechung des EuGH, welche den Tatbestand des Art 45 IV AEUV nicht auf alle Tätigkeiten im öffentlich-rechtlichen Bereich ausstreckt und daher noch weniger für (auch vereidigte) Privatpersonen im Dienste einer privatrechtlichen Person gelten könne. Selbst wenn private Wachleute bei einer öffentlichen Dienststelle beschäftigt würden, könne daran kein Staatsangehörigkeitserfordernis geknüpft werden. Daraus ergebe sich der generelle Ausschluss der Anwendung der Bereichsausnahme auf Beschäftigungen im Dienste einer privatrechtlichen juristischen oder natürlichen Person. Dieser Grundsatz gilt auch für die privatrechtliche Station bei Rechtsreferendaren.50 Zwar wird der Rechtssicherheit und der gebotenen restriktiven Auslegung insofern Genüge getan, als einer EU-Kompetenzausuferungsgefahr vorgebeugt wird; zugleich wird aber mE die ebenfalls etablierte funktionelle Betrachtungsweise zumindest teilweise vernachlässigt, ist es doch möglich, hoheitliche Befugnisse im Wege der Ausgliederung oder Beleihung einer privatförmigen Organisation zu übertragen. Problematisch könnte daran freilich der Begriff der „Verwaltung“ selbst sein, da dieser per definitionem umfassender ist als derjenige der „Ausübung öffentlicher Gewalt“; insofern entscheidet letztlich die innerstaatliche Kompetenzordnung.51 Die nachstehenden Ausführungen bemühen sich daher zunächst, die vorhandenen Beurteilungsmaßstäbe möglichst erschöpfend herauszuschälen und diese sodann von den möglichen (Rück-)Ausnahmen und Einschränkungen abzugrenzen.
1. Der Tatbestand des Art 45 IV AEUV in der Judikatur des EuGH.
Bereits früh erkannte der Gerichtshof die Gefahr einer einseitigen Einschränkung des Binnenmarkts durch die Mitgliedsstaaten in Bezug auf die Beschäftigung im öffentlichen Sektor und behielt sich die autonome Auslegung und Anwendung vor.52
1.1. Unionsautonome, einheitliche und restriktive Auslegung und Anwendung.
Es gehört zum Wesen des Unionsrechts, dass seine Begriffe einheitlich und autonom ausgelegt werden, um seine praktische Wirksamkeit zu gewährleisten; dies bezieht sich gleichwohl auf die Beschäftigung in der öffentlichen Verwaltung.53 Daher ist der Rückgriff auf verfassungsrechtliche Bestimmungen der Mitgliedsstaaten höchstens eine rechtsvergleichende Vorstufe im Rahmen der Begriffsbildung und des Auslegungsstils des EuGH, die nicht zuletzt vorwiegend den Generalanwälten vorbehalten ist.54 Zugleich ist ein Rückgriff auf die „gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen“ als allgemeine Rechtsgrundsätze iSd Art 6 III EUV kaum möglich, da sich die verfassungsrechtlichen Strukturen gerade im öffentlichen Sektor identitätsstiftend55 nicht unerheblich voneinander unterscheiden und einem unionsrechtlichen Einschnitt bereits Art 4 II EUV (vgl oben I.) entgegensteht. Das erklärt, warum der telos des Art 45 IV AEUV den Mitgliedsstaaten zwar eine eigene (originäre) Kategoriebildung auf bloß theoretischer Ebene souveränitätsbedingt zunächst zubilligt, diesen aber gleichzeitig den Ermessensspielraum hinsichtlich der Legalausnahme wegnimmt.56
Da es sich um einen Eingriff in einer Grundfreiheit (Arbeitnehmerfreizügigkeit) handelt, muss sich jede Auslegung der „öffentlichen Verwaltung“ auf das zur Wahrung der Staatsbelange unbedingt Erforderliche beschränken.57 Der Zugang zu denjenigen Stellen, die nicht zur „öffentlichen Verwaltung“ iSd Unionsrechts gehören, darf Ausländern nicht erschwert werden; zugleich ist eine diskriminierende Behandlung von Nichtstaatsangehörigen, die in die öffentliche Verwaltung zugelassen wurden, im Verhältnis zu Inländern verwehrt.58
1.2. Zu den Begriffsmerkmalen.
Die beiden wesentlichen Kriterien der Ausübung hoheitlicher Befugnisse und der Wahrnehmung der allgemeinen Belange des Staates bzw. anderer öffentlicher Körperschaften, wie schon in der Einleitung angedeutet, müssen nach nunmehr hL kumulativ vorliegen.59 Dafür spricht der Umstand, dass der EuGH die beiden Kriterien mit der Konjunktion „ und “ verbindet60 und die gebotene restriktive Auslegung (oben 1.1.).
Die Ausübung hoheitlicher Befugnisse ist funktionell anhand des Bündels von Rechten und Pflichten des jeweiligen Stelleninhabers zu prüfen; die Rechtsnatur des Beschäftigungsverhältnisses sowie die öffentlich-rechtliche Stellung des Arbeitgebers sind keine Maßstäbe. Es ist insbesondere ohne Belang, ob es sich um einen Arbeitnehmer, Angestellten oder Beamten handelt, oder ob das Beschäftigungsverhältnis öffentlich- oder privatrechtlich normiert ist.61 Ein Zusammenhang mit der Ausübung hoheitlicher Befugnisse reicht für den Vorbehalt des Art 45 IV AEUV schon aus.62 Zudem genügt eine bloß mittelbare Teilnahme an der Ausübung derartiger Befugnisse. Dazu zählt im Sinne der EuGH-Rsp etwa eine staatliche Leitungs- oder Beratungsfunktion, so etwa in wissenschaftlichen und technischen Fragen63. Der Gerichtshof bejahte die Anwendung des damaligen Art 39 IV EGV bei Stellen der Brüsseler Stadtverwaltung mit den Bezeichnungen „Leiter der Technischen Kontrolle“, „Hauptkontrolleur“, „Nachtwächter“ und „Architekt“64 ; ein möglicher Grund dazu (der aus dem Urteil selbst nicht hervorgeht), könnte der Zugang zu Geheimnissen der Stadtverwaltung gewesen sein.65
Der Begriff der „Hoheitlichkeit“ hat der EuGH bislang nicht näher präzisiert. Jedenfalls darunter fallen soll eine Tätigkeit, die einseitig verbindliche Anordnungen trifft. Das meint wohl der Gerichtshof, indem er auf die „Verwaltung im eigentlichen Sinne“ verweist und diejenigen öffentlich-rechtlichen Stellen aus dem Tatbestand ausnimmt, die keine solchen Aufgaben mit sich bringen.66 Die Zuordnung orientiert sich daran, ob die betreffenden Stellen typisch für die spezifischen Tätigkeiten der öffentlichen Verwaltung sind.67 Umfasst dürfte nicht nur das auf dem Souveränitätsgedanken beruhenden imperium, sondern grundsätzlich auch das potestas, verstanden als die Macht, gegen den Willen anderer eigene, rechtsverbindliche Entscheidungen mit Zwang durchzusetzen.68 Ausgenommen sind Tätigkeiten, die nur einen sehr geringen Teil der Ausübung hoheitlicher Gewalt in sich vereinigen.69 Für schwierige Abgrenzungsfälle, die gleichzeitig in nicht unerheblichem Umfang hoheitliche und nichthoheitliche Tätigkeiten umfassen, wird vereinzelt vorgeschlagen, den Zugang zu jenen Teilbereichen zu gewähren, die nicht genuine hoheitliche Gewalt erfordern.70
Betroffen ist nur der Zugang zur öffentlichen Verwaltung; hingegen unterliegt die Ausgestaltung der Arbeitsbedingungen bezüglich einmal zugelassener Personen dem umfassenden Diskriminierungsverbot.71
Das ebenfalls verlangte Kriterium der Wahrung staatlicher72 Belange setzt ein Verhältnis besonderer Verbundenheit des Stelleninhabers zum Staat voraus sowie die Gegenseitigkeit von Rechten und Pflichten, die dem Staatsangehörigkeitsband zugrunde liegen.73 Dieses Erfordernis hat der EuGH bislang noch nicht näher präzisiert. Will man dem Wandel der Zeit, dem Gedanken einer „ immer engeren Europa der Völker “, die nicht zuletzt in der Unionsbürgerschaft klar, aber nicht erschöpfend zum Ausdruck kommt, gerecht werden, so kann man die alten Grundsätze der ius soli und ius sanguinis nicht mehr ohne Weiteres aufrechterhalten. So weisen die Generalanwälte zutreffend auf verstärkt festzustellende Tendenzen wie die Privatisierung, Ausgliederung öffentlicher Gewalt und die Globalisierung hin, sodass der Begriff der Souveränität nicht mehr so starr wie im herkömmlichen Sinne verstanden werden kann.74 Dieser Ansatz ist begrüßenswert. Freilich hat der EuGH im Zusammenhang mit der Erteilung einer Prüfplakette entschieden, dass eine Ausdehnung der Ausübung öffentlicher Gewalt über das nationale Hoheitsgebiet hinaus nicht vom Anwendungsbereich des dort gegenständlichen EWG-Vertrag umfasst sei, da die Verträge das völkerrechtlich angesiedelte Territorialitätsprinzip nicht außer Kraft setzen könnten.75 Insofern stehen sich die bereits in der Präambel und in Art 3 EUV enthaltenen Grundsätze, zusammen mit der Unionsbürgerschaft76 und das Achtungsgebot des Art 4 II EUV zum Teil gegenüber. Feststeht allerdings, dass sich nicht nur die EU seit ihrer Gründung, sondern auch die Mitgliedsstaaten im Staatsangehörigkeitskonzept in Richtung einer Europäisierung und Abbau von Schranken erheblich fortentwickelt haben, sodass die „sehr strengen Voraussetzungen“77 von Art 45 IV AEUV aus aktueller Perspektive kritisch zu hinterfragen sind.
2. Eingrenzung durch die Kommission.
Die mit der Einheitlichen Europäischen Akte geschaffene Bemühung um (fristgerechte) Vollendung des Binnenmarktes bis zum 31.12.1992 war trotz ihres programmatischen Charakters78 ohne sichere und vollständige Gewährleistung der Mobilität kaum denkbar. Dementsprechend sorgte die Kommission schon früh mit ihrer systematischen Aktion auf dem Gebiet des Art 48 Abs 4 EWG-Vertrag aF79 für eine angemessene Sensibilisierung der Mitgliedsstaaten und forderte, ausgehend von der EuGH-Rechtsprechung, zu einer weitgehender Öffnung des öffentlichen Dienstsektors auf. Sie wies ua. auf die Möglichkeit der Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens nach Art 169 EWG-Vertrag aF hin und argumentierte dies mit der notwendigen Konkretisierung des Ausnahmetatbestandes und der hieraus entstehenden Gelegenheit für die Mitgliedsstaaten, ihren Standpunkt entsprechend darzulegen. Zudem forderte sie die einzelnen Bürger auf, sich bei Missständen, strittigen Fällen und Verstößen an die Beschwerdekommission zu wenden und die innerstaatlichen Gerichte den Vorrang des Primärrechts zu beachten bzw. das Vorabentscheidungsverfahren erforderlichenfalls auszuschöpfen. Schließlich setzte sie sich für eine „aktive und wirksame Kooperation“ der Mitgliedsstaaten und ggf. Mitteilung vorhandener „objektiver Schwierigkeiten“ ein. Dieser von Kommission und EuGH zusammen nicht unerheblich ausgeübte Druck80 führte zu einer umfassenden Liberalisierung des öffentlichen Dienstsektors.
Um diesen Zielen Genüge zu tun, schuf die Kommission in Anlehnung an die vorhandene Rechtsprechung81 eine eigene Abgrenzung entsprechend ihrer Auffassung. Danach fielen die Streitkräfte, die Polizei und sonstige Ordnungskräfte, die Rechtspflege, die Steuerverwaltung und die Diplomatie ausdrücklich in den Anwendungsbereich der öffentlichen Verwaltung. Zudem zählte die Kommission staatsspezifische Verwaltungsämter in der Zuständigkeit der Ministerien auf zentraler und lokaler Ebene oder sonstiger Körperschaften öffentlichen Rechts82, die mit Erlass von Rechtsakten, Überwachung ihrer Anwendung und der Beaufsichtigung nachgeordneter Dienststellen betraut sind. Ausdrücklich von der öffentlichen Verwaltung iSd Art 48 IV EWGV aF ausgenommen waren laut Kommission Einrichtungen, die auf die Verwaltung und Erbringung kommerzieller Dienstleistungen ausgerichtet sind (etwa öffentliches Verkehrswesen, Energieversorgung, Rundfunk, Post- und Fernmeldewesen ua.); Gesundheitsämter; Unterricht an staatlichen Bildungseinrichtungen sowie zivile Forschung in staatlichen Forschungsanstalten.
In ihrer Mitteilung „Freizügigkeit der Arbeitnehmer: Volle Nutzung der Vorteile und Möglichkeiten“83 aus dem Jahre 2002 fasste die Kommission unter 5.2. ihren Standpunkt betreffend den öffentlichen Dienstsektor erneut zusammen. Insbesondere kündigte sie eine „striktere Auslegung“ in Bezug auf Verwaltungsstellen in Ministerien und sonstigen Körperschaften öffentlichen Rechts insoweit ein, als diese ausdrücklich eine konkrete Zwangsentscheidungsbefugnis bzw. Wahrung staatlicher Belange erforderten und nicht aus der bloßen Ansiedlung in Verwaltungseinheiten resultierten. In Wahrheit handelt es sich lediglich um eine Klarstellung und Betonung der funktionellen (im Gegensatz zur sektorenbezogenen) Einzelfallbetrachtung, da diese Voraussetzungen, wie oben dargestellt, bereits dem älteren Stand der EuGH-Rechtsprechung entsprechen.84 Weiters wies die Kommission auf die Nichtanwendung des Art 39 IV EGV aF bei Beschäftigungen im privaten Dienst unabhängig vom Aufgabenspektrum hin85. Die Kommission machte auf einige unionswidrige nationale Anwendungen aufmerksam, bei denen die enge Verknüpfung zum Staat nach ihrer Auffassung nicht vorlag, die aber gleichwohl als öffentlichen Dienst behandelt wurden (etwa Gärtner, Elektriker, Bibliothekar). Hier sei eine entsprechende Anpassung an das Unionsrecht erforderlich. Eine besondere Erwähnung verdient die Stellung von Wanderarbeitnehmern, welche von den Einstellungsauswahlverfahren nicht ausgeschlossen werden dürfen (es sei denn, Art 45 IV wäre vollständig erfüllt, hier führt die Kommission die Richter als Beispiel an). Inländergleichbehandlung hinsichtlich Einstellung und sonstiger Arbeitsbedingungen (Bsp: staatliche Krankenhäuser) wird verlangt, nicht aber umgekehrte Diskriminierung, sofern es sich um einheitliche Maßnahmen handelt. Schließlich müssen auch ausländische Qualifikationen entsprechend berücksichtigt werden.86
Im Jahr 2009 startete die EU-Kommission eine neue systematische Untersuchung der innerstaatlichen Vorschriften auf dem Gebiet der öffentlichen Verwaltung. Diese basierte auf einem Fragebogen, der vom Fachausschuss für die Freizügigkeit der Arbeitnehmer erstellt wurde und an die Mitgliedsstaaten gerichtet wurde. Die Zusammenfassung erfolgte durch den hiezu beauftragten Prof. Jacques Ziller 87, daher die Bezeichnung „Ziller-Bericht88 “. Die Ergebnisse dieses Berichts und sonstiger aktueller Studien wurden im Arbeitsdokument der Kommissionsdienststellen v. 14.12.2010 zusammengefasst und ausgewertet (Fn 80). Die politische und rechtliche Brisanz des Themas ist nicht zuletzt durch die stark divergierenden Sprachfassungen und innerstaatlichen Ordnungen im öffentlichen Dienstsektor sowie den relativ hohen Anteil dort beschäftigter Arbeitnehmer (etwa 20,3 % aller Beschäftigten in den Mitgliedsstaaten bzw. über 42 Mio. Personen) bedingt.89 Unter dem Kapitel 1b („ Mutual respect and sincere cooperation between the EU and its Member States”) nimmt der Bericht ausdrücklich auf Art 4 II EUV Bezug und stellt klar, dass die Arbeitnehmerfreizügigkeit die innerstaatliche Organisationsautonomie90 dem Grunde nach nicht berührt, was letztlich in die gegenseitigen Loyalitäts- und Achtungsgebote zum Ausdruck kommt. Als Beispiel wurde die Abhängigmachung einer Einstellung als Kunstlehrer im öffentlichen Bereich von der Beherrschung der nationalen Amtssprache angeführt, insofern dies legitimen staatlichen Interessen diene.91 Die zentralen Probleme, die sich aus dieser Studie ergaben, fasst Ziller als das Verständnis der Bereichsausnahme (aufgrund sprachlicher und verwaltungsrechtlicher Divergenz), der Abbau von Schranken (insb bezüglich Anerkennung von Berufsqualifikationen, Beschäftigungszeiten, sprachlicher Voraussetzungen, sowie Kompetenzniveau) sowie die funktionelle Herangehensweise92 zusammen.
Die EU-Kommission weist ua. auf die volle Anwendbarkeit der Freizügigkeitsvorschriften auf in die Heimat zurückkehrende Wanderarbeitsnehmer sowie auf Familien- (auch: Drittstaats-)angehörigen hin. Schließlich wird mehrfach betont, Art 45 IV sei zwar als Ermächtigung, nicht aber als Gebot zu verstehen, sodass den Mitgliedsstaaten überlassen ist, ihren öffentlichen Dienstsektor unbeschadet dieser Bereichsausnahme zu öffnen.93
Insgesamt lässt sich einer Reihe offizieller und informeller Untersuchungen und Berichte auf Unionsebene zum Thema Beschäftigung in der öffentlichen Verwaltung feststellen, die allesamt auf eine möglichst kohärente Anwendung der primärrechtlichen Vorschriften abzielen.94
3. Offene Punkte.
Für einige Kontroversen sorgte die EuGH-Rechtsprechung zu Art 45 IV AEUV vor allem in der Lehre. Wie oben (vgl Fn 45) erwähnt, wurde insbesondere die angeblich mangelnde Begriffsklarheit und Begründung sowie die ausgeprägt restriktive Auslegung durch den EuGH kritisiert. Hintergrund dieser Streitfrage war der Umstand, dass eine supranationale europäische öffentliche Gewalt bislang nur im Ansatz begriffen werden kann.95 Mittlerweile ist durch EuGH-Rechtsprechung und Kommission eindeutig geklärt worden, dass zwar die Organisationsautonomie der Mitgliedsstaaten zu achten, der Ausgangspunkt der Auslegung aber im Sinne des effet utile im Unionsrecht zu suchen ist und die Begriffe eng auszulegen sind96.
[...]
1 Art 4 II EUV.
2 Sh dazu etwa Streinz, Europarecht, 9. Aufl. 2012, Rn 129ff.
3 Vgl EuGH, Van Gend en Loos (Rs 26/62), Costa/ENEL (Rs 6/64) (grundlegend).
4 BVerfG v. 29.5.1974 – BvL 52/71 (Solange I); BVerfG v. 22.10.1986 – 2 BvR 197/83 (Solange II); weiterführend BVerfG 12.10.1993, 2 BvR 2134, 2159/92 (Maastricht); BVerfG v. 7.6.2000 – 2 BvL 1/97 (Bananenmarkt); BVerfG v. 30.6.2009 – 2 BvE 2, 5/08 (Lissabon); BVerfG v. 6.7.2010 – 2 BvR 2661/06 (Honeywell).
5 Ein wesentlicher Grund war der Begriff der „Verfassung“ selbst, der sich kontraproduktiv erwies (vgl Streinz, EurR 9 Aufl. Rn 59).
6 Walter, Integrationsgrenze Verfassungsidentität – Konzept und Kontrolle aus europäischer, deutscher und französischer Perspektive; in: ZaöRV 72 (2012), 177-200.
7 Art F ABs 1 Hs. 1 EUV idF von Maastricht lautete: „Die Union achtet die nationale Identität ihrer Mitgliedsstaaten, deren Regierungssysteme auf demokratischen Grundsätzen beruhen.“
8 Art 1 Abs 2 EUV aF. Teilweise missverstanden als EU-Supranationalität. Letztere bezieht sich allerdings auf die rechtliche Struktur einer internationalen Organisation mit weitgehenden Zwangs- und Entscheidungsbefugnissen und hat mit dem (historischen, kulturellen und politischen – vgl Streinz, Eurroparecht, 9. Aufl., Rn 9ff) Europabegriff (später auch: „Europaidee“) im Wesentlichen nichts zu tun.
9 So auch der Penelope -Entwurf unter Präsidenten Prodi sowie der Entwurf vom Februar 2003 (vgl dazu Calliess/Puttler in Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 4. Aufl. 2011, Art 4 EUV, Rn 6), die schließlich zu Art 5 Abs 1 idF des Vorentwurfs v. 24/26.5.2003, CONV 850/03 führten (mit Hinweis auf die regionale und kommunale Selbstverwaltung sowie die „grundlegenden Funktionen des Staates“).
10 So bereits Puttler nach dem (gescheiterten) Verfassungsvertrag, Puttler, Sind die Mitgliedsstaaten noch Herren der EU?, EuR 2004, 669 (673ff).
11 BVerfG, Beschluss vom 06. Juli 2010 - 2 BvR 2661/06, Rn 57 (mit Verweis auf BVerfGE 123, 267, 370 f.).
12 Puttler/Kahl, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 4. Aufl. 2011, Art 4 EUV Rn 22.
13 Unklar ist das Verhältnis zwischen Art 23 I S. 2 und 3 GG – denn jede Übertragung von Hoheitsrechten durch den Bund an die EU bedeutet, materiell betrachtet, zugleich eine Verfassungsänderung, sodass ein einfaches Verfassungsgesetz nie in Frage käme. Dies versucht die Lehre (Streinz, Europarecht, Rn 240; Jarass, in : Jarass/Pieroth, GG-Kommentar, 11. Aufl. 2011, Art 23, Rn 37; Classen, in: von Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), GG-Kommentar, 6. Aufl. 2010, Art 23, Rn 14) dadurch zu lösen, dass S. 3 dergestalt restriktiv ausgelegt werde, dass eine verfassungsändernde Mehrheit nur bei Übertragung von Verfassungsinhalten per se erforderlich sei. Dabei fehlt nicht nur die hinreichende Bestimmtheit für eine derartige Differenzierung (Streinz aaO, Rn 240); auch rechtsdogmatisch im Sinne des Stufenbaus der Rechtsordnung erscheint dies besonders bedenklich.
14 Art 9 II des ö B-VG, welcher inhaltlich dem Art 24 GG ähnelt, wurde wegen seines beschränkten Umfangs im Vergleich zur EU-Supranationalität nicht als ausreichende Rechtsgrundlage angesehen. Die unvermeidliche Zersplitterung der Verfassung ist dabei mangels formellen Inkorporationsgebotes eine Besonderheit des österreichischen Verfassungsrechts (vgl Wendel, Permeabilität im europäischen Verfassungsrecht, 2011, 297). Dessen ungeachtet finden sich die verfassungsrechtlichen Grundprinzipien auf der Spitze des Stufenbaus der Rechtsordnung gemäß der Kelsens Doktrin, vgl https://richtervereinigung.at/justiz/rechtssystem/stufenbau-der-rechtsordnung/ 11.4.2015.
15 Ipsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, 1972, S. 59 (Zu dieser sog. „europäischen Grundnorm“ siehe Schroeder, Das Gemeinschaftsrechtssystem, 2002, 243).
16 EuGH, Rs. 6/64, Slg. 1964, 1151.
17 So bereits EuGH, Rs 106/77 (Van Gend & Loos) sowie später EuGH, Rs 11/70 (Internationale Handelsgesellschaft).
18 Ebd Rn 209.
19 Zu unterscheiden ist idS zwischen kompetenzlosem und kompetenzwidrigem Handeln. Da Ersteres als Nichthandeln aus der Sicht des Verfassungsverbandes gar keine oder nur eingeschränkte (Rechtsschein-)Wirkungen erzeugen kann, muss eine verfassungsgerichtliche Anfechtung unionsrechtlicher „ausbrechender“ Rechtsakte diese gerade als von der Kompetenz der EU originär umfasst (kompetenzgemäß und kompetenzwidrig) zumindest implizit anerkennen; vgl dazu Nettesheim, Kompetenzen, 421, in: v. Bogdandy (Hrsg.): Europäisches Verfassungsrecht, 2003.
20 Insofern sind die übertragenen hoheitlichen Befugnisse nicht bloß „abgeleitet“, sondern „aus eigenem Recht zugewiesen“. Dies spricht wiederum für die Supranationalität. Vgl in diesem Sinn bereits BVergE 37, 271 (279 f.).
21 v. Bogdandy/Cruz Villalón/Huber (Hrsg.), Handbuch Ius Publicum Europaeum, Band II: Offene Staatlichkeit - Wissenschaft vom Verfassungsrecht. 2008.
22 Vgl dazu BverfG in der Lissabon-Entscheidung (Fn 11); darauf muss sich die Ausnahme des Art 45 IV AEUV beschränken, vgl Urteil Colegio de Oficiales de la Marina Mercante Española, EU:C:2003:515, Rn. 41 – „unbedingt erforderlich“).
23 Diese etwas unpräzise Formulierung hat der EuGH zuletzt in der Rs 270/13 verwendet und auf die einheitliche Auslegung und Anwendung in der gesamten Union hingewiesen (Rn 43).
24 Puttler/Kahl, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 4. Aufl. 2011, Art 4 EUV Rn 22.
25 Vgl v. Bogdandy/Schill, ZaöRV 70 (2010), 701 (725ff). Danach könne dem Begriff „Achten“ in Art 4 II EUV nichts anderes als eine Selbstverpflichtung der EU-Organe entnommen werden, die einheitliche Geltung des Unionsrechts „schonend“ bzw. „verhältnismäßig“ auszuüben.
26 EuGH, Rs. C-213/07, Michaniki, Slg. 2008, I-9999 Rn. 61 ff, dazu v.Bogdandy/Schill aaO, 727.
27 EuGH, C-4/91; mit Verweis auf Urteile vom 17. Dezember 1980 in der Rechtssache 149/79, Kommission/Belgien, Slg. 1980, 3881, Randnr. 10, vom 26. Mai 1982 in der Rechtssache 149/79, Kommission/Belgien, Slg. 1982, 1845, Randnr. 7, und vom 16. Juni 1987 in der Rechtssache 225/85, I – 5640 Kommission/Italien, Sig. 1987, 2625, Rn 9).
28 EuGH Rs. 225/85, Slg. 1987,2625, Rn 9 (Kommission/Italien).
29 Brechmann in Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 4. Aufl. 2011 AEUV Art 45 Rn 106.
30 EuGH, 17.12.1980 - 149/79.
31 Vgl EuGH, Rs. 66/85, Lawrie Blum/Land Baden-Württemberg, Slg 1986, 2121 sowie die zitierte Rs. C-4/91.
32 EuGH, Rs. C-285/01, Burbaud, Slg 2003, I-8219.
33 EuGH, Rs C-149/79.
34 EuGH, Rs. C-2/74 – Reyners.
35 Denkbare Fälle wären etwa Beliehene; Rechtsanwälte und Notare, die nichthoheitliche Tätigkeiten durchführen etc.
36 Schlag, in: Schwarze/Becker/ Hatje/Schoo, EU-Kommentar2, Art 45, Rn 5; EuGH, Rs. C-42/92 (Thijssen).
37 EuGH, Rs. C-451/03 (Servizi ADC).
38 EuGH, Rs. 147/86, Slg. 1988, 1637, Rn 7 (Kommission/Griechenland).
39 Art 253 AEUV.
40 EuGH, Urt. v. 17.12.1980, Rs 149/79.
41 BVerfG v. 30.6.2009 – 2 BvE 2, 5/08.
42 Vgl BVerfGE 123, 267 (357 f).
43 Pl. ÚS 19/08 vom 26.11.2008, Rn. 109: “These limits should be left primarily to the legislature to specify, because this is a priori a political question, which provides the legislature wide discretion.”
44 Die Rechtsprechung zu Art 45 IV AEUV wird als wesentlicher Beitrag zur Lehre von den „eigentlichen Staatsaufgaben“ gedeutet (Everling, DVBl. 1990, 225).
45 Dies folgt bereits aus dem landspezifischen Charakter der gegenständlichen Kategorien und das Fehlen einer „echten“ europäischen Verfassungsstruktur. Vgl etwa Schotten, DVBl. 1994, 573; zum Begriff des Staatenverbundes in der Lehre (anders als nach BVerfG) etwa Kirchhof, Die rechtliche Struktur der Europäischen Union als Staatenverbund, in: v.Bogdandy (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, 2003.
46 Ein Rückgriff auf das nationale Recht ist nur dann zulässig, wenn das Unionsrecht selbst auf dieses verweist oder sich die Unionsbegriffe auch unter Zugrundelegung der allgemeinen Rechtsgrundsätze nicht eindeutig bestimmen lassen (Borhardt, Die rechtlichen Grundlagen der Europäischen Union, 4. Aufl. 2010, Rn 400f; EuG, T-43/90, Diaz Garcia, Slg. 1992, II – 2619; T-9/92, Peugeot, Slg 1993, II-493 sowie in Bezug auf die öffentliche Verwaltung aktuell EuGH, Rs 270/13 (Fn 23) sowie bereits EuGH, 17.12.1980 - 149/79 betreffend den damaligen Art 48 IV EWGV (allgemeiner Rechtsgrundsatz).
47 So auch EuGH in Rs. 2/74 – Reyners (amtl. Leitsatz).
48 EuGH, Rs. C-114/97, Slg. 1998, I-6717, Rn 33ff (Kommission/Spanien) – hier bzgl. Sicherheitsunternehmen im privaten Dienstsektor (weder öffentliche Verwaltung, noch Ausübung öffentlicher Gewalt); Rs. C-283/99, Slg. 2001, I-4363, Rn 25 (Kommission/Italien) – arg: „unstreitig“ mit Verweis auf die Schlussanträge des Generalanwalts Francis G. Jacobs v. 15. Februar 2001; Rs. C-405/01, Slg. 2003, I-10391, Rn 40; Rs. C- 109/04, Slg. 2005, I-2421, Rn 19; Rs. C-345/08, Slg. 2009, Rn 29.
49 Schlussanträge GA Jakobs zu Rs. C-283/99, Rn 25ff.
50 EuGH, Rs. C-109/94, Kranemann, Rn 19; vgl allgemein auch EuGH, 10.12.2009 - C-345/08, Rn 29ff. Vgl auch Rs. C-405/01, Slg 2003, I-10391 Rn 44 sowie Rs. C-47/02, Slg. 2003, I-10447 Rn 63: keine öffentliche Verwaltung, wenn hoheitliche Befugnisse nur „einen sehr geringen Teil“ ihrer Tätigkeit ausmachen. Die Begriffsbestimmung ist recht unpräzise („nur sporadisch“, „ausnahmsweise“ und „gelegentlich“, Rs. C-405/01, helfen für die Quotenbestimmung gerade nicht weiter).
51 Im konkreten Fall konnten vereidigte private Wachleute nach Art 5 des Decreto-legge vom 12. November 1936 zwar auch bei öffentlich-rechtlichen Einrichtungen beschäftigt sein; daraus ergab sich allerdings noch keine „öffentliche Verwaltung“ iSd Art 45 IV AEUV.
52 Vgl EuGH, Rs. 149/79, Slg. 1980, 3881, Rn 12; 18 (Kommission/Belgien); EuGH, Rs. 152/73, Slg. 1974, 153 Rn 5 (Sotgiu) (zum damaligen Art 48 IV EWGV).
53 EuGH, Rs. 149/79, amtl LS Nr. 3.
54 Vgl etwa die umfassende Analyse mitgliedsstaatlicher Zivilrechtsstrukturen zur Gewinnung des Instituts der gemeinschaftlichen Staatshaftung in den Schlussanträgen des GA Tesauro v. 28. November 1995 (Verb. Rs. C-46/93 und C-48/93).
55 Vgl etwa Art 3 ö StGG 1867 (noch in Geltung!).
56 So zuletzt auch EuGH in der Rs C‑270/13, Rn 43 (arg: „nicht völlig“). Diese Debatte ist indes allgemein kennzeichnend für die Kontroverse zwischen nationaler und Unionszuständigkeit, vgl Craig/Burca, EU Law: Text, Cases and Materials, 768, mit Hinweis auf GA Mancinis kritische Stellungnahme zu Rs. C-307/84 (Kommission/Frankreich).
57 StRsp; EuGH, Rs. 225/85, Slg. 1987, I- 2625, Rn 7 (Kommission/Italien); Rs. 66/85, Slg. 1986, 2121, Rn 26; Rs. C-405/01, Slg. 2003, I-10391, Rn 38; 44.
58 Ebd amtl LS Nr. 2f; daraus lässt sich allerdings keine Pflicht zur Beschäftigung als „Beamte“ , auch wenn Inländer auf vergleichbaren Stellen als solche beschäftigt werden, soweit gleiche Arbeitsbedingungen gewährleistet werden (EuGH Rs. 307/84, Slg. 1986, I-1725, Rn 6; Rs. 225/85, Slg. I-1987, 2625, Rn 13; kritisch dazu Frenz, HdB Europarecht, Bd 1, 2012, Rn 1372 mit Bedenken zur praktischen Umsetzung). In Deutschland wurde dies dahingehend geklärt, dass gem § 7 Abs 1 Nr 1 BBG auch andere Staatsangehörige (EU und sonstige Abkommen) ins Beamtenverhältnis berufen werden können (§ 7 Abs 2 BBG bestimmt allerdings, dass soweit erforderlich, nur ein Deutscher iSd Art 116 GG als Beamte beschäftigt werden könne). Eine Europäisierung des öffentlichen Dienstrechts ist schon dadurch zu erblicken, dass der Bürgermeister auf Kommunalebene als ausländischer Unionsbürger passiv wählbar ist, weshalb es kein sachliches Argument gibt, im nachgeordneten Bereich Dienststellen Deutschen vorzubehalten (in diesem Sinn auch Kämmerer, Europäisierung des öffentlichen Dienstrechts, EuR 2001, 27; Wichmann/Langer, Öffentliches Dienstrecht, 6. Aufl., 2007, Rn 101).
59 Brechmann in Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 4. Aufl. 2011 AEUV Art 45 Rn 109; Übersicht zum früheren Streit im Schrifttum bei Schwidden, RiA 1996, 171f; noch zweifelhaft Schneider/Wunderlich, in: Schwarze/Becker/ Hatje/Schoo, EU-Kommentar, 2. Aufl. 2009 Art 39 EGV Rn 133.
60 Anders bisher nur in EuGH, Rs. 225/85, Rn 9 („oder“); dies wurde indes in der späteren Rsp nicht mehr beibehalten und bezieht sich auf den nicht mehr aktuellen Art 48 IV EWGV. So zuletzt im Sinne kumulativen Vorliegens EuGH, Rs. C‑270/13, Rn 44 und 46.
61 EuGH, Rs. 152/73, Slg. 1974, I- 153, Rn 5; Rs. 307/83, Rs. C-71/93, Slg. 1994, I-1101, Rn 17.
62 Brechmann in Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 4. Aufl. 2011 AEUV Art 45 Rn 106.
63 EuGH, Rs. 225/85, Slg. 1987, 2625, Rn 9 (Kommission/Italien). Dazu zählen aber nicht Universitätsprofessoren und Lehrer, Rs. C-178/04, Rn 22 oder etwa das Gesundheitsamt (EuGH, Rs. C-285/01, Slg 2003, I-8219 (Burbaud). Einen Hinweis auf die mangelnde Konkretisierung derartiger „Leitungspositionen“ gibt Steinz, Europarecht, Rn 902.
64 EuGH, Rs. 149/79, Rn 8.
65 Vgl Stellungnahme der Kommission in der Rs. 149/79, Slg. 1982, 1845, 1848).
66 StRsp; Rs. 149/79, Rn 11; Rs. C‑195/98, Österreichischer Gewerkschaftsbund, Slg. 2000, I‑10497, Rn 36; Rs. C‑224/01, Köbler, Slg. 2003, I‑10239. In diesem Sinn auch EuGH, Rs. C-345/08, ablehnend für Rechtsreferendare, soweit sie unter der Weisung und Aufsicht eines Ausbilders stehen, selbst wenn es sich um eine öffentlich-rechtliche Tätigkeit handelt.
67 EuGH, Rs. C-473/93, Slg. 1996, I-3207, Rn 27 (Kommission/Luxemburg).
68 In der EuGH-Rsp noch nicht geklärt. Vgl dazu Schlussanträge des GA Casilli zu C‑270/13, Rn 55.
69 Vgl dazu Fn 50.
70 Oppermann/Classen/Nettesheim, Europarecht, 5. Aufl. 2011, § 28 Rn 30. Unklar ist dabei, wie diese „Aufspaltung“ erfolgen soll, wenn derartige Positionen regelmäßig bereits verfassungsrechtlich determiniert sind.
71 So bereits EuGH, Rs. 152/73, Slg. 1974, 153, Rn 4 (Sotgiu).
72 Umfasst sind auch die Belange nationaler Gebietskörperschaften (Länder, Gemeinden), EuGH Rs. 149/79, Rn 14f.
73 EuGH, stRsp; Rs. 147/79, Rn 10; Rs. C-392/05, Slg 2007, I-3505, Rn 70 (Alevizos).
74 GA Wahl aaO, Rn 50f.
75 EuGH, Rs. C-55/93, Slg. 1994, I-4837, Rn 16 (van Schaik).
76 Der von GA Jakobs proklamierte Aufruf “civis europeus sum “, um sich jeder Einschränkung der Unionsgrundrechte zu widersetzen, erscheint daher materiellrechtlich immer noch ausbaufähig (vgl dazu allgemein Kadelbach, Unionsbürgerschaft, in: v. Bogdandy, Europäisches Verfassungsrecht, 2003, 539ff).
77 EuGH, Rs. C-473/93, Slg. 1996, I-3207, Rn 33 (Kommission/Luxemburg).
78 Vgl Streinz, Europarecht, Rn 940.
79 ABl. Nr. C 72/2, Mitteilung 88 / C 72/ 02.
80 Frenz, Handbuch Europarecht, Band I, Europäische Grundfreiheiten, 2. Aufl. Rn 1634. Nur drei der in diesem Rahmen eingeleiteten Vertragsverletzungsverfahren wurden letztlich vor den EuGH (Rs. C-473/93, Kommission/Luxemburg, Slg. 1996, I-3207; Rs. C-173/94, Kommission/Belgien, Slg. 1996, I-3265; Rs. C-290/94, Kommission/Griechenland, Slg. 1996, I-3285 g ebracht, vgl Arbeitsdokument der Kommissionsdienststellen v. 14.12.2010, Freizügigkeit der Arbeitnehmer im öffentlichen Sektor, SEK(2010) 1609, S. 13, Fn 46 (abrufbar unter ec.europa.eu/social/BlobServlet?docId=6400&langId=de 10.3.2015).
81 Ausdrücklich wurden das Urteil in der Rechtssache 149/79 (Kommission gegen Belgien); Urteil vom 17. 12. 1980, Slg. EuGH 1980, S. 3881; Urteil vom 26. 5. 1982, Slg. EuGH 1982, S. 1845 zitiert. Die dort aufgestellten Grundsätze (insb in Bezug auf die Merkmale und betroffenen Berufsbrachen) haben sich in weiterer Folge kaum geändert.
82 Nach Ansicht der Kommission etwa: Gemeinden, Zentralbanken, sonstige Gebietskörperschaften (aaO).
83 KOM/2002/0694, abrufbar unter: https://europadatenbank.iaaeu.de/user/view_legalact.php?id=890&lang=de 10.3.2015.
84 Als einziges Beispiel führte die Kommission den Fall eines Beamten an, der die Entscheidung über eine Baugenehmigung lediglich vorbereitet, an dieser aber sonst nicht teilnimmt (ebd).
85 Die damals noch anhängige Rechtssache betreffend Schiffskapitäne/Erste Offiziere, die polizeiliche Aufgaben wahrnehmen, ist inzwischen im freistellenden Sinne entschieden worden, soweit die hoheitliche Befugnis nur geringfügig ist bzw. nur gelegentlich ausgeübt wird (Rechtssache C-405/01, Colegio de Oficiales de la Marina Mercante Española, Slg. 2003, I-10391, und Rechtssache C-47/02, Anker, Slg. 2003, I-10447; vgl oben zu 1).
86 Vgl EuGH, Rs. C-345/08, Pesla, Slg. 2009, I-11677, amtl LS Nr 2.
87 Professor für EU-Recht, Università degli Studi di Pavia; European Group for Public Administration (EGPA).
88 Free Movement of European Union, Citizens and Employment in the Public Sector, http://ec.europa.eu/social/main.jsp?catId=465&langId=en, 11.4.2015.
89 Zum Zwecke der Studie wurde auf die Identität des Arbeitgebers abgestellt (also die öffentliche Verwaltung sowie vom Staat eingerichtete selbständige öffentliche Körperschaften; regionale und lokale Behörden sowie Unternehmen, die im Besitz öffentlicher Stellen sind oder von diesen kontrolliert werden). Quelle: Ziller-Bericht (Fn 88), S. 32.
90 So steht es den Mitgliedsstaaten frei, die Laufbahn- oder das stellenbasierte Beschäftigungssystem auszuwählen sowie politisch auf die Attraktivität öffentlicher Dienststellen hinzuwirken (SEK(2010) 1609 S. 10).
91 EuGH, Rs. 379/87 (Groener).
92 Auf eine gelegentlich verlangte „künstliche“ Zersplitterung einzelner Berufe in hoheitliche und nichthoheitliche Tätigkeiten („Grauzone“) wurde oben unter 1.2. (vgl auch Fn 70) hingewiesen.
93 SEK(2010) 1609 S. 15.
94 An einigen hier aus Knappheitsgründen nicht näher dargestellten Untersuchungen zu nennen sind: Gutachten des Expertennetzwerks im Bereich der Arbeitnehmerfreizügigkeit, updated Juli 2013 (abrufbar unter http://ec.europa.eu/social/main.jsp?catId=475&langId=de 10.3.2015); die EUPAN (European Public Administration Network)- Studie „Cross-Border Mobility of Public Sector Workers“, abrufbar unter http://ec.europa.eu/social/main.jsp?catId=465&langId=en 10.3.2015 sowie die Mitteilung der Kommission (KOM(2010)373) v. 13.7.2010 an das EP, den WSA und AdR „Bekräftigung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer: Rechte und wesentliche Entwicklungen“ ua.
95 Groeben/Schwarze/ Tiedje/Troberg, EUV/EGV, Art 45, Rn 5.
96 Brechmann, in: in Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 4. Aufl. 2011 AEUV Art 45 Rn 109.
- Quote paper
- Yordan Semov (Author), 2015, „Öffentliche Verwaltung“ und „öffentliche Gewalt“. Integrationsfester Verfassungskern am europäischen Binnenmarkt, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/309540
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