Jean Piaget (1896-1980) war sicherlich einer der einflussreichsten Entwicklungspsychologen des 20. Jahrhunderts. Sein Hauptuntersuchungsfeld lag vor allem in der genetischen Erkenntnistheorie, in welcher versucht wird, Erkenntnis durch seine Historie, seine Soziogenese und durch die psychologischen Ursprünge der Begriffe und Operationen, auf denen Erkenntnis beruht, zu erklären (vgl. Piaget, 1973). Piaget interessierte sich hauptsächlich für die Frage, wie man zu neuer Erkenntnis gelangt und wie sich in diesem Zusammenhang die Intelligenz beim Menschen entwickelt. Da jedoch die Dimension der Phylogenese, also die Entwicklung des Menschen über den Urzeitmenschen bis zum modernen Status, nicht zugänglich ist, wird die Dimension der Ontogenese genutzt. Die Entwicklung des Erkennens wird an Kindern untersucht, da in dieser eine Parallele gesehen wird.
Kognitive Entwicklung nach Jean Piaget
Sensomotorische Phase
Prä-operative Phase
Konkret-operative Phase
Formal-operative Phase
Jean Piaget (1896-1980) war sicherlich einer der einflussreichsten Entwicklungspsychologen des 20. Jahrhunderts. Sein Hauptuntersuchungsfeld lag vor allem in der genetischen Erkenntnistheorie, in welcher versucht wird, Erkenntnis durch seine Historie, seine Soziogenese und durch die psychologischen Ursprünge der Begriffe und Operationen, auf denen Erkenntnis beruht, zu erklären (vgl. Piaget, 1973)[1]. Piaget interessierte sich hauptsächlich für die Frage, wie man zu neuer Erkenntnis gelangt und wie sich in diesem Zusammenhang die Intelligenz beim Menschen entwickelt. Da jedoch die Dimension der Phylogenese, also die Entwicklung des Menschen über den Urzeitmenschen bis zum modernen Status, nicht zugänglich ist, wird die Dimension der Ontogenese genutzt. Die Entwicklung des Erkennens wird an Kindern untersucht, da in dieser eine Parallele gesehen wird.
Erkenntnis bzw. Wissen wird verstanden als ein aktiver Prozess, eine Konstruktion in der der Erkennende, eine wichtige Rolle spielt, indem er an der Konstruktion maßgeblich mitbeteiligt ist.
Piaget wendet sich explizit gegen bestimmte wissenschaftliche Traditionen und Positionen, wie z.B. gegen den logischen Positivismus. Dessen Vertreter behaupten, dass bspw. Mathematik und Logik nichts anderes seien als spezielle sprachliche Strukturen (vgl. Piaget, 1973). Piaget wendet dagegen ein, dass es schon vor der Entwicklung der Sprache bei Säuglingen eine Logik gibt, die sich aus dem tätigen Umgang mit der Umwelt entwickelt. Die hierbei gebildeten Handlungsschemata und deren Koordination bildet eine „praktische Intelligenz“ aus, eine „Logik der Aktion“ (Piaget, 1973:50), welches die Grundlage für jegliche spätere Logik darstellt. Das Beispiel taubstummer Kinder zeigt ebenfalls, dass logische Strukturen nicht auf Sprache basieren, da diese Kinder, wenn auch mit einiger zeitlicher Verzögerung, dieselben logischen Strukturen aufbauen, wie normale Kinder.
Im Sensualismus (Abbildungstheorie) bleibt das Erkennen passiv, der Mensch erkenne Objekte dadurch, indem er diese abbildet. Allerdings führt diese Annahme in einen infiniten Regress, da man für ein Abbild das Vorbild kennen muss, das Vorbild jedoch nur erkannt werden kann, indem man es abbildet (vgl. Piaget, 1973). Menschliches Erkennen ist nach Piaget aktiv, denn die Realität wird an bestehende Transformationssysteme assimiliert und diese Systeme werden im Laufe der Entwicklung immer adäquater (vgl. Piaget, 1973). Etwas erkennen, bedeutet also auf es einzuwirken und nicht einfach abzubilden.
Das Gegenteil vom logischen Positivismus behauptet der Rationalismus, dessen wohl prominentester Vertreter Noam Chomsky ist, Begründer der Theorie der Universalgrammatik. Sprache beruht dieser Ansicht nach auf Logik, (soweit sind sich Chomsky und Piaget wohl auch noch einig), allerdings sei diese Logik eine speziell sprachliche Logik, die angeboren sei (vgl. Szagun, 1993)[2]. Für Piaget ist jedoch klar, dass diese Logik nicht angeboren, sondern das Resultat von Entwicklung und aktiver Konstruktion ist (vgl. Piaget und Inhelder, 2004)[3]. Im späteren Verlauf der vorliegenden Arbeit wird noch auf diesen Punkt näher eingegangen werden.
Der Begriff der Strukturen ist für Piaget von grundlegender Bedeutung und müssen, zum besseren Verständnis der folgenden Darstellungen über die kognitive Entwicklung, erläutert werden. Als Struktur wird die „allgemeine Form, das Aufeinanderbezogensein der Elemente innerhalb einer organisierten Totalität“ verstanden und ist in vielen Fällen identisch mit den Begriffen der „Organisation, System, Form und Koordination“ (Piaget, 1973:103). Piaget sucht nach Strukturen und Formen in Handlungen und geistigen Operationen, die formalisiert und beschrieben werden können. Die Anwendung einer Struktur auf ein Objekt oder eine Situation bezeichnet er als Assimilation, welches „ein In-sich-Aufnehmen von Umweltdaten, nicht in einem kausalen mechanistischen Sinne, sondern als Funktion einer internen Struktur, die kraft ihrer Natur – durch Assimilation potentiellen Materials aus der Umwelt- nach Betätigung strebt“ (Piaget, 1973:97).
Die sich verändernden Umstände verlangen eine Anpassung der Strukturen an die Gegebenheiten, welches als Akkommodation bezeichnet wird. Die Akkommodation führt nicht nur zur Anpassung einer Struktur an Neues, sondern auch zur „Differenzierung einer schon ausgebildeten Struktur“ und somit zu neuen Strukturen (Piaget, 1973:96). Eine sehr wichtige Rolle auch für die gesamte Entwicklungspsychologie Piagets spielen die sogenannten drei „Mutterstrukturen“ der Bourbaki-Gruppe, eine Gruppe von Mathematikern im 20. Jahrhundert, die jede Struktur in jedem Zweig der Mathematik auf ihre elementarste Form zurückführten und somit drei, voneinander unabhängige Strukturen ausmachten (vgl. Piaget, 1973). Zu diesen drei Mutterstrukturen zählen algebraische Strukturen, die sich im wesentlichen auf Klassen und Zahlen beziehen und durch die Reversibilitätsform der Inversion charakterisiert sind, die Ordnungsstrukturen, die sich auf Beziehungen oder Relationen beziehen und durch die Reversibilitätsform der Reziprozität gekennzeichnet sind und als letztes, die topologischen Strukturen, in denen es um Nachbarschaftsbeziehungen geht. Diese drei Strukturen sind es, deren Ausbildung in der ersten Phase der Entwicklung des Kindes eine erste Logik konstituieren und die die Grundlage der späteren Denkoperationen, oder kurz, der Intelligenz, darstellen. Operationen sind im wesentlichen gekennzeichnet durch vier Merkmale: 1) es sind Handlungen, die verinnerlicht werden können; 2) es sind Handlungen, die reversibel sind, entweder durch Inversion oder Negation (+A-A=0) und durch Reziprozität (A=B ist dasselbe wie B=A); 3) sie setzen eine Invariante voraus; und 4) jede Operation unterliegt einer Gesamtstruktur, d.h. sie sind auf ein System von Operationen bezogen. (vgl. Piaget, 1973). Im folgenden werden die vier Hauptstadien der geistigen Entwicklung nach Piaget skizziert, die eine invariante Abfolge darstellen und die notwendigerweise aufeinander aufbauen, und ihre charakteristischsten Merkmale dargestellt.
Sensomotorische Phase
In dieser Phase der ersten 18 Monate des Kindes gibt es für das Kind noch nichts außerhalb seines eigenen Körpers. Alles, was es tut, ist auf seinen eigenen Körper und sein Tun konzentriert. Dies bezeichnet Piaget als Egozentrik, eine Nichtdifferenzierung zwischen sich und der Umwelt (vgl. Piaget, 1974)[4]. Daher gibt es auch noch keine Räume, in der sich (permanente) Gegenstände befinden oder Ereignisse stattfinden. Lediglich „Mund-, Tast-, Seh-, Hör-, und Posituralräume und einige zeitliche Eindrücke ohne eine objektive Koordinierung“ (vgl. Piaget und Inhelder, 2004). Auf dieser Stufe ist auch noch keine Vorstellung vorhanden. In den ersten 18 Monaten seines Lebens baut das Kind durch den oben genannten Motor der Entwicklung, dem Zusammenspiel von Assimilation und Akkommodation, die Gesamtheit der kognitiven Substrukturen auf, die der Ausgangspunkt für die späteren Operationen sind. Allein auf der Basis von Wahrnehmung und Bewegung werden durch Assimilation und Akkommodation, komplexe Handlungsschemata ausgebildet, die aus den Reflexen hervorgehen. Jede neue Anwendung eines Schemas auf eine neue Situation führt zur Anpassung, dadurch werden die Handlungsschemata immer weiter ausgebaut und differenziert. Daraus resultiert eine praktische Intelligenz, die Grundlage der Logik der Operationen. Neben diesen Strukturen, die aufgebaut und immer weiter differenziert werden, wird auch das Universum des Kindes immer mehr in raumzeitlicher Weise strukturiert und kausal verständlich.
Die Ausbildung des Schemas des permanenten Gegenstandes führt zur zentralen Differenzierung zwischen Zustands- und Ortsveränderungen, welches das Universum des Kindes immer weiter ausdehnt. Die Bildung der Objektpermanenz lässt das Kind nun sich selbst als ein Objekt unter anderen verstehen. Diese Entwicklung führt zum kausalen Verständnis der Welt, das Kind führt immer weniger alles auf sein eigenes Tun zurück und dezentriert sich somit vom eigenen Körper. Ursachen für Manipulationen von Dingen liegen nun nicht mehr nur im eigenen Tun (vgl. Piaget und Inhelder, 2004).
Piaget unterscheidet sechs Stadien der sensomotorischen Entwicklung, deren sechstes und letztes Stadium den Übergang zur nächsten Hauptphase darstellt. Im ersten Stadium der sensomotorischen Entwicklung werden angeborene Mechanismen oder Reflexe, wie z.B. der Saug- oder der Greifreflex, durch funktionelle Übung immer weiter gefestigt und durch eine wiedererkennende und verallgemeinernde Assimilation fortgeführt, z.B. durch leeres Saugen oder Saugen an neuen Dingen (vgl. Piaget und Inhelder, 2004). Man kann zu diesem Zeitpunkt noch nicht von Erwerbungen im eigentlichen Sinne sprechen, dennoch spielt die Assimilation und Akkommodation eine wichtige Rolle, da die Tätigkeiten, die in den Schemata ausgeübt werden, zur Ausweitung der Handlungsschemata und zu den ersten Gewohnheiten führen.
Im zweiten Stadium sind diese ersten Gewohnheiten nun keine reinen Reflexe mehr, da sie systematisch koordiniert werden können, z.B. das Saugen am Daumen. Es wird allerdings noch nicht zwischen den Mitteln und Zwecken unterschieden, ein Akt der Intelligenz liegt also noch nicht vor.
Im Laufe des dritten Stadiums wird das Sehen und Greifen immer mehr zusammengeschaltet. Mittel und Zwecke können nun unterschieden werden, so wird beispielsweise erkannt, dass eine bestimmte Handlungsweise immer zum selben Erfolg führt, z.B. an einer Schnur ziehen, um daran aufgehängte Spielsachen zu schütteln. Das Kind befindet sich jetzt an der „Schwelle zur Intelligenz“ (Piaget und Inhelder, 2004:21).
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[1] Piaget, Jean. Einführung in die genetische Erkenntnistheorie. Frankfurt am Main: Suhrkamp. 1973.
[2] Szagun, Gisela . Sprachentwicklung beim Kind. Eine Einführung. 5. Auflage. München: Urban & Schwarzenberg. 1993
[3] Piaget, Jean und Bärbel Inhelder. Die Psychologie des Kindes. 9.Auflage. München: dtv. 2004.
[4] Piaget, Jean. Der Aufbau der Wirklichkeit beim Kinde. Stuttgart: Ernst Klett Verlag. 1974.
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- Sina Klar (Author), 2010, Kognitive Entwicklung nach Jean Piaget, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/307849
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