Die Bachelorarbeit untersucht, ob Selbstmordattentäter und andere Terroristen irrational sind oder ihr Verhalten auf grundsätzlichen, logischen Mustern beruht und versteh- und erklärbar, sprich „rational“, ist. Dieser Fragestellung widmet sich die Arbeit mithilfe von ökonomischen Ansätzen zur Erklärung terroristischen Verhaltens. Abschließend werden sinnvolle und effektive staatliche Maßnahmen der Antiterrorpolitik abgeleitet, die sich gegen rational agierende Terroristen richten.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung ... 1
2 Konzepte terroristischer Rationalität ... 2
2.1 Das ökonomische Verhaltensmodell ... 2
2.2 Die Suche nach einem passenden Modell terroristischer Rationalität ... 3
2.3 Sind terroristische Akteure psychisch krank? ... 7
3 Der Markt des Terrorismus ... 7
3.1 Modellierung der Nachfragekurve ... 7
3.2 Modellierung der Angebotskurve ... 9
3.3 Das Marktgleichgewicht des Terrorismus ... 10
4 Rationalität unterschiedlicher terroristischer Akteure ... 10
4.1 Zur Rationalität von aktiven Terroristen ... 11
4.1.1 Die politische Rationalität ... 11
4.1.2 Die soziale Rationalität ... 13
4.1.3 Die soziale Rationalität und die Clubtheorie ... 14
4.1.4 Fazit: Rationalität von aktiven Terroristen ... 17
4.2 Zur Rationalität terroristischer Organisationen ... 18
4.2.1 Das taktische und operative Level: Humankapital... 18
4.2.2 Das taktische und operative Level: Rekrutierung ... 19
4.2.3 Das taktische und operative Level: Zielauswahl und Timing ... 20
4.2.4 Das taktische und operative Level: Substitution ... 21
4.2.5 Das strategische Level: Ökonomische Kriegsführung ... 25
4.2.6 Das strategische Level: Zielerreichung ... 25
4.2.7 Fazit: Rationalität auf taktischem, operativem und strategischem Level ... 27
4.3 Zur Rationalität von Selbstmordattentätern ... 27
4.3.1 Der Aspekt der Religion ... 28
4.3.2 Der Aspekt der terroristischen Identität ... 30
4.3.3 Der Aspekt der Gruppensolidarität ... 33
4.3.4 Fazit: Rationalität von Selbstmordattentätern ... 38
5 Ökonomische Konzepte staatlicher Antiterrorpolitik ... 39
5.1 Erhöhung der Kosten des Terrorismus ... 39
5.2 Senkung des Nutzen des Terrorismus ... 40
6 Rationalität terroristischer Akteure und staatliche Antiterrorpolitik ... 41
6.1 Maßnahmen gegen aktive Terroristen ... 41
6.1.1 Abschreckungspolitik, negative Anreize und politische Rationalität ... 41
6.1.2 Abschreckungspolitik, positive Anreize und soziale Rationalität ... 43
6.1.3 Möglichkeiten über Abschreckungspolitik hinaus: Die soziale Rationalität 44
6.1.4 Polyzentrische und dezentrale Orientierung : Die politische Rationalität .. 46
6.1.5 Reduktion medialer Aufmerksamkeit: Die politische und soziale Rationalität ... 47
6.2 Maßnahmen gegen terroristische Organisationen ... 47
6.2.1 Abschreckungspolitik: Substitutionseffekte und politische Rationalität .. 48
6.2.2 Rekrutierung, Humankapital und strategische Rationalität ... 49
6.3 Maßnahmen gegen Selbstmordattentäter ... 50
6.3.1 Die religiöse Rationalität ... 50
6.3.2 Die soziale Rationalität und der Aspekt der terroristische Identität ... 50
6.3.3 Die soziale Rationalität und der Aspekt der Gruppensolidarität ... 52
7 Zusammenfassung ... 53
Literaturverzeichnis ... III
Abbildungsverzeichnis ...VII
1 Einleitung
Terrorismus ist spätestens seit den Anschlägen auf das World Trade Center im Jahr 2001 in der öffentlichen Wahrnehmung angekommen. Innerhalb der Bevölkerung, aber auch der akademischen Fachwelt, werden Terroristen oftmals als irrationale Fanatiker angesehen, die an jenseitige Verheißungen und das ewige Leben im Paradies glauben. Darüber hinaus werden effektive, staatliche Gegenmaßnahmen gefordert, um dem Terrorismus Einhalt zu gebieten. Vor dem Hintergrund solch einer geforderten Antiterrorpolitik stellt sich die Frage, ob Terroristen tatsächlich irrationale Fanatiker sind, oder ihr Verhalten auf grundsätzlichen, logischen Mustern beruht und dabei versteh- und erklärbar, sprich „rational“, ist. Genau dieser Fragestellung widmet sich diese Arbeit mit der Hilfe von ökonomischen Ansätzen zur Erklärung terroristischen Verhaltens. Wenn Terroristen tatsächlich rationale Akteure sind, sollen zudem sinnvolle und effektive staatliche Gegenmaßnahmen abgeleitet werden.
Um diesen Fragen nachgehen zu können, ist es essentiell, zuerst ein Grundverständnis von der Funktionalität und den Grenzen ökonomischer Verhaltensmodelle zu erlangen. Erst ein einheitliches Verständnis von „terroristischer Rationalität“ ermöglicht es, die Verhaltensmuster und Motive von Terroristen zu deuten und zu verstehen. Diese Punkte werden innerhalb des zweiten Kapitels um die „Konzepte terroristischer Rationalität“ erörtert. Kapitel drei befasst sich mit dem grundsätzlichen Nutzen- und Kostenkalkülen von Terroristen. Es liefert einen deduktiven Startpunkt für die weitere Analyse terroristischer Rationalität, indem es terroristisches Verhalten auf einer Metaebene vorstellt. Im folgenden Kapitel vier wird auf die Rationalität unterschiedlicher terroristischer Akteure eingegangen. Im genaueren sind dies aktive Terroristen, terroristische Organisationen und Selbstmordattentäter. Hierbei folgt diese Arbeit den Handlungsempfehlungen von Abrahms (2008: 103f.), Caplan (2006:93f.) und van Um (2011:176f.), die sich ebenfalls mit der Rationalität von Terroristen auseinandersetzen. Sie kommen zu dem Schluss, dass erst eine Differenzierung zwischen unterschiedlichen Akteuren und deren Motiven terroristisches Verhalten nachvollzieh- und greifbar macht. Deshalb geht es in Kapitel vier vorrangig um die Frage, welchen unterschiedlichen Motiven terroristisches Handeln zu Grunde liegt und inwieweit diese mit der Definition von Rationalität aus Kapitel zwei vereinbar sind.
Von dieser Differenzierung wird ein erweitertes Potential hinsichtlich zielgenauen, antiterrorpolitischen Maßnahmen erwartet. In Kapitel fünf werden die grundsätzlichen Möglichkeiten staatlicher Antiterrorpolitik aufgezeigt, welche auf ökonomischen Konzepten basieren. Diese werden dann in Kapitel sechs mit den Ergebnissen der Rationalität unterschiedlicher terroristischer Akteure kombiniert.
2 Konzepte terroristischer Rationalität
2.1 Das ökonomische Verhaltensmodell
Ein ganzheitliches Verständnis von terroristischem Verhalten erfordert neben ökonomischen Aspekten auch die Einbeziehung von sozialen, politischen und psychologischen Aspekten. Hierbei bietet das Konzept der Ökonomik einen vielversprechenden, interdisziplinären Handlungsansatz:
„Ökonomik ist der Versuch, menschliches Verhalten dadurch zu erklären, indem man unterstellt, dass sich die einzelnen Individuen „rational“ verhalten. Individuen handeln dadurch, dass sie aus den ihnen zu Verfügung stehenden Möglichkeiten eine rationale Auswahl treffen, wobei sie sich in ihrer Entscheidung an den (erwarteten) Konsequenzen ihres Handelns orientieren. Dies gilt unabhängig vom Gegenstandsbereich: Menschen haben zwar unterschiedliche Handlungsoptionen, aber sie verhalten sich grundsätzlich nicht anders, wenn sie soziale und politische Probleme lösen, als wenn sie wirtschaftliche…Aufgaben angehen“ (Kirchgässner 2008: 2). In den Sozialwissenschaften wird dieser ökonomische Ansatz als „Rational Choice Approach“ (zu dt. Theorie der rationalen Entscheidung) bezeichnet (Kirchgässner 2008: 2).
Nach Durchsicht der bestehenden Literatur zeigt sich, dass es keine einheitliche Definition von Rationalität gibt. Dies gilt für alle Felder der Terrorismusforschung, ebenso wie für den gesamten Bereich der Sozialwissenschaften, einschließlich Ökonomik. Diese Erkenntnis ist kongruent mit den Aussagen von Berrebi (2009: 169f.); van Um (2011: 162f.); Caplan (2006: 93f.); Kirchgässner (2008: 28ff.); Witte (2007: 26ff.); Diekmann und Voss (2004: 19f.). Demnach differenziert der zugrunde liegende Schweregrad der Rationalität teilweise sehr stark und erschwert die Interpretation verschiedener Forschungsergebnisse in einem ganzheitlichen Kontext. Grundsätzlich kann zwischen einer „weichen“ und „harten“ Rationalität differenziert werden (Diekmann und Voss 2004: 19f.). Diese ist wiederum davon abhängig, in welchem Ausmaß unterschiedliche Konzepte und Annahmen der Entscheidungstheorie, in den Rationalitätsbegriff mit einfließen. Im Folgenden sollen elementare Eckpunkte umrissen werden, welche das Verhalten von Individuen aus der Perspektive ökonomischer Gesichtspunkte erklären können. Darauf aufbauend wird aufgezeigt, welcher Schweregrad „terroristischer Rationalität“ zu Grunde gelegt werden sollte, um das Verhalten unterschiedlicher terroristischer Akteure versteh- und greifbar zu machen.
Das Entscheidungsverhalten eines Individuums kann durch vier Eckpunkte modelliert werden: Einem Akteur, Restriktionen, Präferenzen und durch eine Entscheidungsregel (vgl. Diekmann und Voss 2004: 15). Akteure stellen dabei natürliche Personen, aber auch Organisationen, Unternehmen oder Staaten dar. Restriktionen unterscheiden sich hinsichtlich Einkommen, Marktpreisen, einem Zeitfaktor, institutionellen Regelungen, dem erwarteten Verhalten anderer und sozialen Normen (vgl. Diekmann und Voss 2004: 15; vgl. Kirchgässner 2008: 13; vgl. Frey 2004: 49). Die Rolle der Präferenzen hat eine große Bedeutung für den Erklärungsgehalt ökonomischer Verhaltensmodelle. Inwieweit lässt das Eigennutzaxiom des homo oeconomicus Altruismus als Teil einer Nutzenfunktion zu und ist in der Anwendung vertretbar? Welchen Motiven liegt terroristisches Handeln zugrunde? Die Entscheidungsregel umfasst die Frage, wie sich Akteure bei „gegebenen Präferenzen und Ressourcen verhalten…“ (Diekmann und Voss 2004: 16). Hierbei kann zwischen der Maximierung des Erwartungsnutzens, oder dem Ansatz der eingeschränkten Rationalität nach Simon unterschieden werden (vgl. Diekmann und Voss 2004: 16; vgl. Kirchgässner 2008: 27ff.).
2.2 Die Suche nach einem passenden Modell terroristischer Rationalität
Ein Modell terroristischer Rationalität sollte im Kontext des methodologischen Individualismus (empirisch) überprüfbar sein (vgl. Diekmann und Voss 2004: 21). Das hat den Vorteil, dass ein ganzheitliches Verständnis unterschiedlich handelnder Akteure des Terrorismus abgeleitet werden kann. Das Ziel ist die Erklärung „kollektiver Effekte und sozialer Prozesse auf der gesellschaftlichen Makroebene“ (Diekmann und Voss 2004: 21). Gleichwohl wird in dieser Arbeit nicht darauf bestanden, dass jede abgeleitete Theorie dem „universalistischen Anspruch des ökonomischen Paradigmas“ genügen muss, wie es Witte (2007: 40) unterstellt. In diesem Kontext wäre die Rationalität eines terroristischen Akteurs nur dann valide, wenn diese auf das Verhalten aller Akteure nahezu widerspruchsfrei projiziert werden könnte. Van Um (2011: 177) konkludiert in seiner Diskussion zu Konzepten terroristischer Rationalität: „A general approach to combating all terrorist actions thus seems to be an illusion“. Demnach sollte ein theoretisches Fundament vor dem Hintergrund des universalistischen Anspruchs auch dann gültig sein, wenn es nur einen kleinen Teil des Verhaltens einer terroristischen Gruppierung valide erklären kann. Die betreffenden Akteure, welche in dieser Arbeit näher betrachtet werden sind aktive Terroristen, Selbstmordattentäter und die terroristische Organisation. Es ist offensichtlich, dass sich die vorgestellten Akteure wohl hinsichtlich ihrer Restriktionen und Präferenzen unterscheiden. Auf den ersten Blick macht es deshalb durchaus Sinn, eine sehr weiche Definition von Rationalität anzuwenden, welche viele unterschiedliche Nutzenkalküle berücksichtigt.
Diekmann und Voss (2004: 20) weisen jedoch darauf hin, dass eine zu schwache Auslegung von Rationalität zu einer Immunisierung der Theorie führen kann. Demnach verliert eine Theorie ihre Aussagekraft, wenn sie (empirisch) nicht mehr überprüfbar ist. So ist davon abzusehen, immer weitere Komponenten in eine Nutzenfunktion einfließen zu lassen. Auf der anderen Seite hat eine zu starke Auslegung von Rationalität den Nachteil, dass das Verhalten von Individuen nicht mehr schlüssig erklärt werden kann. So lässt sich ein Modell mit einer sehr strengen Auslegung des Eigennutzaxioms sowie ausschließlich materiell motivierter Individuen sehr leicht messen und überprüfen (Diekmann und Voss 2004: 19). Das Dilemma besteht schlussfolgernd in einem Trade-off zwischen einer möglichst realistischen Darstellung terroristischer Nutzenkalküle und der objektiven Überprüfbarkeit.
Dennoch zeichnet sich zumindest eine Einigung hinsichtlich einer Minimalanforderung für die terroristische Rationalität ab. Im Kontext von Abrahms (2008: 80); Berrebi (2009: 169f.); Caplan (2006: 93); Diekmann und Voss (2004: 17); Enders und Sandler (2012: 139); Krieger und Meierrieks (2011: 4) und van Um (2011: 163f.) kann dies wie folgt zusammengefasst werden: Akteure besitzen eine Nutzenfunktion, welche ihre Präferenzen widerspiegelt. Diese Präferenzen können durch die Annahme des Axioms der Transitivität logisch angeordnet werden: Wird a der Alternative b vorgezogen und b der Alternative c, dann muss auch a gegenüber c bevorzugt werden (vgl. Diekmann und Voss 2004: 17; vgl. Just 2008: 3). Dementsprechend wählt ein terroristischer Akteur diejenige Alternative aus, die nach gründlicher Abwägung und unter Berücksichtigung der vorhandenen Restriktionen den höchsten Nutzen erwarten lässt. Inwieweit diese „schwache“ Theorie zu einer „starken“ Theorie erweitert werden kann und soll, hängt von den Präferenzen der terroristischer Akteure und der zu Grunde gelegten Entscheidungsregel ab.
Einen wichtigen Beitrag zur Diskussion terroristischer Präferenzen liefert van Um (2011: 164ff.). Dieser teilt die Motivatoren terroristischen Handelns auf Grundlage des Rationalitätsprinzips in verschiedene Kategorien ein, von denen zwei als relevant für diese Arbeit eingestuft werden: Politisch motivierter und sozial motivierter Terrorismus. Im Folgenden wird ein Terrorist näher betrachtet, welcher durch soziale Beweggründe motiviert ist. Die Annahme sozialer Präferenzen stellt im Sinne des Eigennutzaxioms eine gewisse Schwierigkeit dar. Nach Kirchgässner (2008: 170) handelt ein Individuum dann altruistisch, „wenn es einen positiven Beitrag leistet, welcher den Nutzen eines anderen Individuums fördert, und wenn dieser Beitrag für das Individuum mit Kosten verbunden ist.“ Das Axiom des Eigennutzes bleibt erfüllt, wenn das Individuum einen Nettonutzen aus seinem Handeln generieren kann. Kirchgässner (2008:170f.) spricht in diesem Zusammenhang von der Generierung eines psychologischen Nutzens bei tiefen und starken emotionalen Bindungen zwischen Akteuren. Beispiel hierfür sind Familie oder enge Freunde. Gleichwohl stellt er fest, dass das durchschnittliche Individuum lediglich auf den eigenen, egoistischen Vorteil bedacht ist und dies „in vielen Situationen typisch und insofern auch realistisch ist“. Die Berücksichtigung von Altruismus in einer Nutzenfunktion muss deshalb sehr gut begründet sein. Ein Beispiel für diese Notwendigkeit ist das Verhalten mancher Selbstmordattentäter, welche einen Nutzen aus dem Märtyrertod generieren können. Hinsichtlich des Eigennutzaxioms macht es also im begründeten Einzelfall Sinn, eine flexible Nutzenfunktion zu verwenden, sodass intangible psychologische oder soziale Belohnungen möglich sind (vgl. Berrebi 2009:170; vgl. van Um 2011: 165f.). Demnach kann ein terroristisches Individuum nicht nur rein egoistische Motive in seiner Nutzenfunktion berücksichtigen.
Die Entscheidungsregel legt fest, wie gut Akteure ihre Präferenzen realisieren können (vgl. Diekmann und Voss 2004: 16f.). Setzt man Nutzenmaximierung voraus, so charakterisiert dies ein Individuum, welches die Fähigkeit besitzt, stets diejenige Alternative auszuwählen, welche unter allen den höchsten Nutzen verspricht (vgl. Just 2008: 5). Gerade aber Konzepte der eingeschränkten Rationalität zeigen, dass dies in der Realität schlichtweg nicht möglich ist: „Dort verhält sich das Individuum als ,Satisficer´ und nicht als Optimierer, es sucht unter den ihm zugänglichen Alternativen so lange, bis es auf eine „hinreichend“ akzeptable Lösung stößt…“ (Kirchgässner 2008: 30). Von besonderem Gewicht ist hierbei die Annahme unvollständiger Informationen: „Findet es jedoch nach längerem Suchen keine solche Alternative, senkt es sein Anspruchsniveau und sucht dann nach … (einer anderen, d. Verf.), akzeptablen Alternative“ (Kirchgässner 2008: 30). Trotz dieser Einschränkung besitzt das Modell eingeschränkter Rationalität alle Bausteine, die für das ökonomische Verhaltensmodell entscheidend sind: Präferenzen, Restriktionen, die Einschätzung (eines Teils) der Optionen nach dem relativen Vorteil und „damit die Beeinflussbarkeit dieses Verhaltens durch veränderte Umweltbedingungen (Anreize)“ (Kirchgässner 2008: 31). In diesem Zusammenhang ist ein terroristischer Akteur auch dann rational, wenn er sich nicht im Sinne ständiger Maximierung verhält, was faktisch auch nur schwer zu realisieren ist: „Eingeschränkt rationales ist eben auch rationales und nicht irrationales Verhalten“ (Kirchgässner 2008: 32). Inwieweit alle evaluierten Faktoren die Grundlage meiner Definition terroristischer Rationalität bilden, soll folgend vor dem Hintergrund des beschriebenen Trade-offs zwischen einer weichen und harten Definition beschrieben werden.
Um die Gefahr der Immunisierung einer zu schwachen Definition von Rationalität zu umgehen, wird nach Überlegungen von Caplan (2006: 105) eine „harte“ Definition von Rationalität bevorzugt. Sollten sich die Annahmen der Rationalität im Einzelfall nicht bewahrheiten, so können diese immer noch gelockert und angepasst werden, bis sie zu den (empirischen) Fakten passen. Dennoch muss gesagt werden, dass meine Definition weniger streng ist, als diese, die Caplan (2006:93ff.) und van Um (2011:163ff.) anwenden. Wie bereits erwähnt, liegt der notwendige Schweregrad der Rationalität immer im Auge des Betrachters. Folgende Kernpunkte bestimmen das Konzept terroristischer Rationalität dieser Arbeit:
1)Terroristische Akteure wenden eine Nutzen-Kosten-Kalkulation an. Sie wählenunter Berücksichtigung ihrer Restriktionen, ihrer Präferenzen (transitiv) und
verhältnismäßigen Kosten der Informationsbeschaffung diejenige Alternative, die denhöchsten Nutzen erwarten lässt. Daraus folgt, dass sie im Sinne eines
relativenPreiseffektes systematisch auf Veränderungen ihrer Budgetrestriktion reagieren(vgl. Anderton und Carter 2004: 7ff., 2005: 279:ff.; vgl. Frey 2004:
47ff.).
2)Terroristische Akteure können sich eingeschränkt egoistisch verhalten. Ihre Nutzenfunktion beinhaltet im begründeten Einzelfall ebenfalls intangible
psychologische und soziale Belohnungen.
2.3 Sind terroristische Akteure psychisch krank?
Wenn terroristische Akteure psychisch krank sind, ist eine Untersuchung auf rationales Verhalten nicht möglich. Der Status quo psychologischer Untersuchungen besagt, dass das aussagekräftigste Charakteristikum von Terroristen ihre Normalität ist. Dies bezieht sich auf alle terroristischen Akteure, die in dieser Arbeit untersucht werden. Van Um (2011:164) kommt zu dem Schluss, dass Terroristen weder psychisch krank oder irre sind, noch anderweitigen geistigen Störungen unterliegen. Frey (2004: 54) konkludiert, dass es keine Verbindung zwischen Abnormalität und terroristischem Verhalten gibt. Berrebi (2009: 167) argumentiert, dass Selbstmordattentäter nicht durch spezielle Charaktereigenschaften beschrieben werden können und keine dysfunktionalen Eigenschaften aufweisen. Alexander und Klein (2005: 600) kommen zu dem Fazit, dass die meisten Terroristen weder psychisch krank sind, noch gewalttätige oder psychopathische Persönlichkeiten besitzen. Hudson (1999: 60) attestiert Terroristen geistig gesund zu sein. Demnach können Terroristen auf ihre Rationalität untersucht werden.
3 Der Markt des Terrorismus
Rationale Terroristen wägen Kosten und Nutzen einer jeder terroristischen Handlung genau ab. Nach Frey (2004: 68ff., 2008: 212ff.) können die zu Grunde liegenden Anreize und Restriktionen durch einfache Graphen veranschaulicht werden. Um dies modellieren zu können unterstellt Frey einen „repräsentativen Terroristen“. Ein repräsentativer Terrorist kann als ein Individuum interpretiert werden, welcher die durchschnittlichen Kalküle der terroristischen Akteure widerspiegelt. Diese Perspektive liefert einen vielversprechenden, deduktiven Startpunkt für die weitere Analyse terroristischer Rationalität zu spezifischen Akteuren des Terrorismus und staatlicher Antiterrorpolitik. Die folgenden Gliederungspunkte 3.1 und 3.2 orientieren sich hauptsächlich an den Ausführungen von Frey (2004: 68ff.; 2008: 212ff.).
3.1 Modellierung der Nachfragekurve
Die Nachfragekurve in Abbildung eins spiegelt den marginalen Nutzen für Terroristen in Abhängigkeit von der Anzahl terroristischer Handlungen wieder (Frey 2008: 213). Es ist anzunehmen, dass ein rationaler Terrorist als erstes solche Handlungen ausführen wird, welche den größten Nutzen generieren und später solche, welche einen geringeren Nutzen versprechen (Frey 2004: 70). Darüber hinaus haben zusätzliche terroristische Handlungen eine abnehmende Wirkung auf Staat und Bevölkerung (Frey 2008:212). So zeigen Becker und Rubinstein (2011: 36f.), dass sich die Bevölkerung durch Lernkurveneffekte an den Terrorismus anpassen kann und dessen Wirkungskraft reduziert, weshalb der der Graph fallend verläuft. Neben der Reaktion von Staat und Bevölkerung ist der Nutzen eines Terroristen von seinen Zielen abhängig.
[Dies ist eine Leseprobe. Grafiken und Tabellen sind nicht enthalten.]
Abbildung 1: Marginale Nutzenkurve des Terrorismus. Frey (2004: 68). MB steht für marginal benefit, zu Deutsch. marginaler Nutzen
Grundlegendes Ziel des Terrorismus ist die Umverteilung von Macht und Verfügungsrechten, als auch die Erpressung von Wohlfahrtsgewinnen Frey (2004: 70). Die Verfolgung von libertären und territorialen Zielen fußt dabei oftmals auf historischen oder religiösen Ansprüchen (Berrebi 2009: 175f.). Ein Beispiel ist die Befreiung Palästinas durch die Hamas, die mit einer Beseitigung des israelischen Staates erreicht werden soll. Auch die baskische Terrororganisation ETA hat das Ziel, ihr beanspruchtes Heimatland von der Besetzung Spaniens zu befreien. Um dies zu erreichen, versucht ein durchschnittlicher Terrorist nach Frey (2004: 70f.) drei taktische Ziele zu verwirklichen: Erstens, mediale Aufmerksamkeit, um seine Beweggründe einer großen Öffentlichkeit mitzuteilen. Der Nutzen verstärkt sich dabei mit der Intensität der medialen Berichterstattung. Zweitens, Destabilisierung der politischen Ordnung. Eine Erosion des politischen Systems soll die Wahrscheinlichkeit erhöhen, die terroristischen Ziele zu erreichen. Drittens, die Beschädigung der Wirtschaft durch Verursachung von materiellen Kosten für die Bevölkerung. Ziel ist es, die Bevölkerung gewaltsam von der Richtigkeit terroristischer Ziele zu überzeugen. Ein weitreichender ökonomischer Schaden soll die Regierung darüber hinaus zu Zugeständnissen bewegen (vgl. van Um 2011: 165; vgl. Kydd und Walter 2006: 78f.).
Die drei Ziele haben oftmals einen interdependenten Charakter. Die Medien beeinflussen die Erwartungen von Konsumenten und Investoren und damit die wirtschaftliche Entwicklung (Frey 2004: 71). Wenn die Überlebensfähigkeit einer Regierung von ökonomischen Indikatoren wie Arbeitslosenquote, Inflation und der medialen Aufmerksamkeit abhängt, können Terroristen erheblichen Einfluss ausüben.
3.2 Modellierung der Angebotskurve
[Dies ist eine Leseprobe. Grafiken und Tabellen sind nicht enthalten.]
Abbildung 2: Marginale Kostenkurve des Terrorismus. Frey (2004: 71). MC steht für marginal cost, zu Deutsch marginale Kosten
Die Angebotskurve in Abbildung zwei spiegelt die marginalen Kosten für Terroristen in Abhängigkeit von der Anzahl terroristischer Handlungen wieder (Frey 2008: 212). Es ist anzunehmen, dass ein rationaler Terrorist zuerst die einfachsten und zweckdienlichsten Handlungen ausüben wird (Frey 2004: 70). Nach und nach wird es dem Terroristen jedoch schwerer fallen, lohnenswerte Handlungen auszuführen. Die Kosten steigen demnach an, weshalb die marginale Kostenkurve durch eine positive Steigung charakterisiert ist (Frey 2008: 212). Die Kosten setzen sich aus materiellen Ressourcen, Informationsbeschaffung, Vorbereitungszeit und der Gefahr, die aus der Partizipation in der terroristischen Organisation hervorgeht, zusammen (Frey 2004: 71). So besteht für einen Terroristen immer das Risiko in Gefangenschaft zu geraten, gefoltert, oder gar getötet zu werden. Die Lage der marginalen Kostenkurve beruht auf dem Verhalten eines Terroristen (Frey 2008:213). Sie kann in extrinsische und intrinsische Motivatoren aufgeteilt werden (Frey 2004: 71f., 2008: 213f.).
Sind Terroristen ausschließlich extrinsisch motiviert, so wird Terrorismus aufgrund einer zugesagten Kompensation durchgeführt (Frey 2004: 71). Materielle Belohnungen sind Entschädigungen in Form von monetären Ausgleichszahlungen an die Familie (vgl. Frey 2008: 71; vgl. Caplan 2006: 96). Unter immaterielle Belohnungen fallen Anerkennung und Verehrung durch Gleichgesinnte, sozialer Status, Freundschaft (vgl. Helmus 2009: 97f.), sowie Aufmerksamkeit durch mediale Präsenz (Frey 2004: 71). Falls ein Regimesturz gelingt, besteht darüber hinaus die Möglichkeit, in eine attraktive politische Position zu gelangen (Frey 2004: 71). Sind Terroristen ausschließlich intrinsisch motiviert, so sind sie von der Richtigkeit ihrer Handlungen absolut überzeugt (vgl. Helmus 2009: 96ff.). Externe Motivatoren haben dann keinen Einfluss mehr auf deren Entscheidungsverhalten (Frey 2008: 213). Dies kann an einer internalisierten sozialen Norm des Terroristen liegen, welche dazu führen kann, dass die marginale Kostenkurve sogar vertikal verläuft (Frey 2004: 73). Religiöse Versprechungen, wie 72 Jungfrauen und ewiges Leben im Paradies nach dem Märtyrertod können zu solch einer internalisierten Norm führen. Dies geschieht nach Iannaccone (2003:8f.) durch eine starke soziale Verbundenheit mit einem Anführer oder einer Gruppe, was wiederum sehr oft ein Charakteristikum des Selbstmordterrorismus darstellt. Frey (2004: 73) merkt jedoch an, dass sowohl extrinsische, als auch intrinsische Motive das Verhalten eines durchschnittlichen Terroristen bestimmen, weshalb die marginale Kostenkurve eine positive Steigung besitzt.
3.3 Das Marktgleichgewicht des Terrorismus
[Dies ist eine Leseprobe. Grafiken und Tabellen sind nicht enthalten.]
Abbildung 3: Das Marktgleichgewicht des Terrorismus. Frey (2004: 74).
Aus dem Schnittpunkt der Angebots- und Nachfragekurve in Abbildung drei leitet sich die erwartete Menge und Intensität des Terrorismus ab. Wie bereits erwähnt, wird auf diese Modellierung genauer in Kapitel fünf eingegangen. Es sollte nicht außer Acht gelassen werden, dass die Betrachtung ausschließlich auf dem Verhalten eines durchschnittlich agierenden Terroristen beruht. Der nächste Gliederungspunkt befasst sich mit der spezifischen Rationalität unterschiedlicher terroristischer Akteure.
4 Rationalität unterschiedlicher terroristischer Akteure
In der Terrorismusforschung wird zwischen verschiedenen Akteuren differenziert. Dazu gehören unter anderem aktive Terroristen und Selbstmordattentäter (vgl. Caplan 2006: 93), ebenso wie die terroristische Organisation (vgl. Abrahms 2008: 82). Auf die Rationalität der verschiedenen Akteure kann in den folgenden Abschnitten nicht immer im wünschenswerten Umfang eingegangen werden. Dies liegt schlichtweg an dem Status quo der Terrorismusforschung: Es gibt lediglich eine begrenzte Anzahl von Untersuchungen zur terroristischer Rationalität, welche zwischen den genannten Kategorien differenzieren. Die Rationalität von terroristischen Organisationen wird im Weiteren auf dem taktischen, operativen und strategischem Level betrachtet (vgl. Berrebi 2009: 170f.). Selbstmordattentäter werden im Sinne von Witte (2007: 18) aufgrund „der besonderen, selbstdestruktiven Qualität ihrer Handlung einer eigenen Betrachtung unterzogen…“.
4.1 Zur Rationalität von aktiven Terroristen
4.1.1 Die politische Rationalität
Caplan (2006: 93) beschreibt aktive Terroristen als solche Individuen, welche sich an den Aktivitäten einer terroristischen Organisation direkt beteiligen. Im Gegensatz zu einfachen Sympathisanten des Terrorismus und einem Großteil der Bevölkerung, setzen sie sich höheren Risiken und Kosten aus. Die strategische Logik von Sympathisanten fasst Caplan (2006: 94) wie folgt zusammen: „If the cost of participation drastically fell, if they could kill hated enemies at no risk to themselves, they would stop sitting on the sidelines. “ Bedeutet dies nun, dass aktive Terroristen als irrational bezeichnet werden können? Wie können aktive Terroristen rational sein, wenn sie sich offensichtlich höheren Kosten aussetzen als Sympathisanten? Nach Frey (2004: 71) und Caplan (2006: 96) werden ihre vermeintlich höheren Kosten durch großzügige Ausgleichszahlungen an Familie und Verwandtschaft im Todesfall aufgewogen. Zum anderen sind die Gruppenmitglieder keinen höheren Risiken ausgesetzt, als die meisten Kriminellen oder Soldaten im Kriegsdienst (Caplan 2006: 95). So modelliert Ferrero (2006: 858ff.), dass der Beitritt eines Individuums zu einer terroristischen Organisation mit seinem erwarteten Nutzen aus der Mitgliedschaft verbunden ist. Ein rationales Individuum wird nur dann einer terroristischen Organisation beitreten, wenn es einen Nettonutzen erwarten kann. Dies impliziert, dass die Wahrscheinlichkeit eines erheblichen Kostenanstiegs, zum Beispiel durch die Aufforderung zur Selbstopferung, im Auge des Individuums ausreichend klein sein muss. In der Tat werden relativ wenig Terroristen, im Verhältnis zur absoluten Mitgliederzahl, zum Selbstmord aufgefordert (Iannaccone 2003: 10).
- Quote paper
- Andre Maier (Author), 2015, Die Rationalität terroristischer Akteure. Implikationen für eine staatliche Antiterrorpolitik, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/306380
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