Seit dem Jahr 2005 befindet sich die Türkei offiziell in den Beitrittsverhandlungen mit der Europäischen Union (EU). Diese Verhandlungen dauern seit neun Jahren an, ohne ein erfolgreiches Ende absehen zu können.
Der sogenannte innertürkische Kurdenkonflikt spielt dabei eine entscheidende Rolle. Besondere Hürden auf dem Weg der Türkei in die EU, stellen in diesem Konflikt der Minderheitenschutz und die Nichtbeachtung von Menschenrechten dar. sind zwei Punkte, die in diesem Konflikt eine besondere Hürde für die Türkei auf dem Weg in die EU darstellen.
Die vergangenen Beitritte zur EU, so im Rahmen der EU-Osterweiterung, haben gezeigt, dass ein solcher Beitritt mit grundlegenden Veränderungen verbunden ist. Möglicherweise bietet sich durch einen Beitritt der Türkei daher auch eine Chance, den Konflikt einer Lösung näher zu bringen.
Diese Veränderungen müssen jedoch nicht notwendigerweise durch einen vollständigen Beitritt bedingt sein. Dies könnte der Fall sein, weil der Aufnahmeprozess mit der Türkei als offiziellem Beitrittskandidat, immerhin schon fast ein Jahrzehnt andauert und es während dieser Zeit zum sogenannten „Heranführungsprozess“ der Türkei an die EU kam. Dieser Prozess bereitet die Türkei auf den Beitritt vor und hat als Ziel, dass die Türkei zum Beitrittszeitpunkt alle „Kopenhagener Kriterien“ erfüllt und auf politischer und wirtschaftlicher Ebene vorbereitet ist ein Teil der EU zu sein. Alleine durch diesen Prozess, kann es bereits zu Veränderungen in der Türkei gekommen sein, die sich positiv auf den türkisch-kurdischen Konflikt ausgewirkt haben. Auch solche Auswirkungen wären bei der Feststellung des Beitrittseffektes der Türkei zur EU zu berücksichtigen (wenn die Auswirkungen des Beitrittes auf den Konflikt insgesamt festgestellt werden soll.)
Inhalt
A. Einleitung
B. Material & Methode
I. Methode
II. Material
C. Der Kurdenkonflikt in der Turkei
I. Geschichte
II. Rechtliche Probleme
1. Definition der Minderheit
2. Minderheitenschutz in der Verfassung
3. Internationale Vertrage und Abkommen
4. Weitere Rechtsgebiete
5. Zwischenergebnis
III. Okonomische Probleme
1. Erweiterung des GAP Action Plans
2. Industrie- und Handelspolitik
3. Tourismus
4. Grenzuberschreitende Handel
5. Landwirtschaft und Viehzucht
6. Zusammenfassung
IV. AuRenpolitische Probleme
1. Syrien
2. Irak
3. Iran
4. Zusammenfassung
V. Zwischenergebnis
D. Auswirkungen eines EU-Beitritts im Allgemeinen
I. Kopenhagener Kriterien
1. Politische Kriterien
2. Wirtschaftliche Kriterien
3. Acquis Kriterien
4. Zusammenfassung
II. AuRen,- Sicherheits,- und Verteidigungspolitik
III. Wirtschaftsforderung durch die EU
1. Strukturfonds
2. Europa 2020 - die Ausrichtung der Forderperiode 2014-2020
3. Zusammenfassung
IV. Europaischer Binnenmarkt
1. Freiheit des Warenverkehrs
2. Freizugigkeit der Arbeitnehmer
3. Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit
4. Freiheit des Kapital- und Zahlungsverkehrs
5. Zusammenfassung
V. Zwischenergebnis
E. Auswirkungen eines EU-Beitritts der Turkei auf die Kurdenfrage
I. Erfullung der Kopenhagener Kriterien
1. Politische Kriterien
2. Wirtschaftliche Kriterien
3. Zwischenergebnis
II. AuRen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik
III. Wirtschaftliche Forderung durch die EU
IV. Zugang zum Binnenmarkt
V. Zwischenergebnis
F. Gesamtzusammenfassung
G. Literaturverzeichnis
A. Einleitung
Seit dem Jahr 2005 befindet sich die Turkei offiziell in den Beitrittsverhandlungen mit der Europaischen Union (EU). Diese Verhandlungen dauern seit neun Jahren an, ohne ein erfolgreiches Ende absehen zu konnen.
Der sogenannte innerturkische Kurdenkonflikt[1] spielt dabei eine entscheidende Rolle. Besondere Hurden auf dem Weg der Turkei in die EU, stellen in diesem Konflikt der Minderheitenschutz und die Nichtbeachtung von Menschenrechten dar. sind zwei Punkte, die in diesem Konflikt eine besondere Hurde fur die Turkei auf dem Weg in die EU darstellen.
Die vergangenen Beitritte zur EU, so im Rahmen der EU-Osterweiterung, haben gezeigt, dass ein solcher Beitritt mit grundlegenden Veranderungen verbunden ist. Moglicherweise bietet sich durch einen Beitritt der Turkei daher auch eine Chance, den Konflikt einer Losung naher zu bringen.
Diese Veranderungen mussen jedoch nicht notwendigerweise durch einen vollstandigen Beitritt bedingt sein. Dies konnte der Fall sein, weil der Aufnahmeprozess mit der Turkei als offiziellem Beitrittskandidat, immerhin schon fast ein Jahrzehnt andauert und es wahrend dieser Zeit zum sogenannten „Heranfuhrungsprozess" der Turkei an die EU kam. Dieser Prozess bereitet die Turkei auf den Beitritt vor und hat als Ziel, dass die Turkei zum Beitrittszeitpunkt alle „Kopenhagener Kriterien" erfullt und auf politischer und wirtschaftlicher Ebene vorbereitet ist ein Teil der EU zu sein. Alleine durch diesen Prozess, kann es bereits zu Veranderungen in der Turkei gekommen sein, die sich positiv auf den turkisch-kurdischen Konflikt ausgewirkt haben. Auch solche Auswirkungen waren bei der Feststellung des Beitrittseffektes der Turkei zur EU zu berucksichtigen (wenn die Auswirkungen des Beitrittes auf den Konflikt insgesamt festgestellt werden soll.)
Wenn es als wahrscheinlich anzusehen ware, dass wahrend des Heranfuhrungsprozesses sowie nach einer Aufnahme in die EU, der Konflikt sich sukzessiv entscharfen konnte, so wurde dies den Sinn der Forderung, die „Losung der Kurdenfrage als Voraussetzung des Beitritts", relativieren.
Aus europaischer Sicht durfte dann namlich die ungeloste „Kurdenproblematik" in der Turkei kein Hindernis mehr darstellen, da die EU durch die Aufnahme der Turkei in der Lage ware, selbst tatig zu werden, um den Konflikt zu losen.
Diese „europaische" Sichtweise auf das Zusammenspiel zwischen Turkei, EU, Aufnahmeprozess und turkisch-kurdischen Konflikt, die nur den turkisch-kurdischen Konflikt als Hindernis fur die Aufnahme in die EU sieht und dabei das Konfliktlosungspotential der Aufnahme ubersieht, ist in der bisherigen wissenschaftlichen Bearbeitung die Regel.
Die vorliegende Arbeit versucht folglich einen vollstandig andern Blickwinkel auf den Themenkomplex aufzuzeigen. Dieser wurde in bisherigen Untersuchungen nicht vollstandig unbeachtet gelassen, aber doch auRerst vernachlassigt.
Die „klassische" Perspektive konzentriert sich darauf, Fragen der Menschen- und Grundrechte im Allgemeinen und Minderheitenrechte im Speziellen zu untersuchen. Daneben spielen haufig noch weitere rechtliche Problemfelder wie die Anti-Terror Gesetzgebung der Turkei oder die Ausgestaltung der turkischen Demokratie eine Rolle.
NaturgemaR werden dabei Fragen, die die Auswirkungen des Annahrungsprozesses bzw. des Beitrittes untersuchen, weniger stark beachtet. Mit diesem Aspekt setzt sich die Arbeit auseinander, indem sie die Thematik in Policy-Felder einteilt, namentlich Politik, Wirtschaft und Recht.
Dadurch sollen beispielsweise die wirtschaftlichen Auswirkungen eines hypothetischen EU- Beitritts festgestellt werden.
Es soll untersucht werden, in welchem MaRe sich durch den Beitritt zur Europaischen Union die okonomische Lage in der kurdischen Region der Turkei verandern wurde und welche Auswirkungen eben diese Veranderungen auf den Konflikt hatten. In Betracht kommen hier vor allem FordermaRnahmen der EU, die nach einem Beitritt der Turkei greifen wurden und moglicherweise die besonders schwach entwickelten kurdischen Gebiete privilegiert unterstutzen wurden.
Daneben konnte auch die Offnung des Binnenmarktes fur die Kurden eine wichtige Rolle spielen. Hier muss beachtet werden, dass in der Vergangenheit durch die Offnung des
Binnenmarktes nicht immer nur Vorteile fur die beitretenden Staaten entstanden sind. Viele gut ausgebildete Menschen nutzen die Moglichkeit sich in anderen EU-Staaten nach Beschaftigungsmoglichkeiten umzusehen und dann auszuwandern: Dieser „Brain-Drain" betraf vor allem die Staaten der EU-Osterweiterung zwischen 2004 und 2007. Wurde der soziale Konflikt in den kurdischen Regionen sich dadurch ausweiten, konnte der EU-Beitritt auch ganzlich negative Folgen fur den Konflikt zwischen Kurden und Turken haben.
Der rechtliche und der politische Bereich hangen, wie in jeder Demokratie, eng miteinander zusammen. Im Speziellen geht es daher auch in dieser Arbeit um Fragen der Menschenrechte sowie der des Minderheitenschutzes. Allerdings steht hier nicht im Fokus, wie sehr moglichen Abweichungen von EU-Standards dem Beitritt im Wege stehen, sondern, wenn uberhaupt vorhanden, welche Abweichungen durch den Aufnahmeprozess beseitigt werden konnten und ob dies Auswirkungen auf den turkisch-kurdischen Konflikt hatte.
Diese Rechtsfragen werden insbesondere auch durch internationale Vertrage und Abkommen beeinflusst, deren Untersuchung deswegen mit in die rechtliche Untersuchung einflieRen soll.
Auf der politischen Ebene im engeren Sinne sind besonders die auRen-, sicherheits-, und verteidigungspolitischen Komponenten beachtenswert. Die kurdischen Gebiete liegen unmittelbar an den Grenzen zu vielen Krisenherden des Nahen Ostens und wurden nach einem EU-Beitritt die neue EU-AuRengrenze bilden. Dass diese EU-AuRengrenze eine besondere Auswirkung auf die Kurdenfrage hat, kann vermutet werden. Immerhin betrifft diese Grenze das gesamtkurdische Gebiet, welches sich uber Turkei, Irak, Iran und Syrien verteilt.
Wahrend gerade bei politischen und wirtschaftlichen Fragen eine gewisse Kontinuitat vermutet werden kann, ist dieser Bereich standig im Wandel. Zum Zeitpunkt der Abgabe dieser Arbeit, unterstutzt der Iran die Autonomen Kurden im Irak mit Waffen im Kampf gegen die schiitischen Dschihadisten der Terrororganisation „Islamischer Staat"; die Turkei ladt die syrischen Abspaltung der Arbeiterpartei Kurdistans (Partiya Karkeren Kurdistan, PKK) nach Ankara ein und diskutiert uber die Unterstutzung der kurdischen Autonomie in Syrien und reduziert Zeitgleich die Rohstoffabhangigkeit vom Iran. Diese und viele weitere komplexe Zusammenhange konnen nur verstanden werden, wenn auch die Geschichte des turkisch- kurdischen Konfliktes in einen Zusammenhang mit den aktuellen Ereignissen gesetzt wird.
Somit sollte sich auch bewerten lassen, ob die aktuelle AuRen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik einen groRen Einfluss auf den Konflikt hat und welche Veranderungen sich durch die Eingliederung der Turkei in die Gemeinsame AuRen- und Sicherheitspolitik der EU ergeben wurden.
Die konkrete Fragestellung dieser Arbeit lautet demzufolge: „In welcher Weise tragt der Beitrittsprozess sowie die zu erwartende Auswirkungen eines vollzogenen EU-Beitritts der Turkei, zu einer Losung des Konfliktes zwischen der Turkei und den in der Turkei lebenden Kurden bei?"
Hierbei gehen die Oberlegungen diese Arbeit von der (hier zu uberprufenden) Vermutung aus, dass die Anderungen, die von einem EU-Beitritt ausgehen wurden und von denen die Turkei insgesamt betroffen ware, positive Auswirkungen auf den Kurdenkonflikt im Speziellen haben wurden. Daraus leiten sich, den drei vorgestellten zeitlichen Ebenen entsprechend, die folgenden vier Thesen ab:
1. Durch die Erfullung der Voraussetzungen fur den EU-Beitritt, wurde die Turkei in Fragen der Menschenrechte und des Minderheitenschutzes sich positiv im Sinne einer Losung des Kurdenkonflikts entwickeln.
2. Der Kurdenkonflikt hat eine bedeutende wirtschaftliche Dimension, welcher durch einen EU-Beitritt und anschlieRender Forderung durch die EU effektiv begegnet werden wurde.
3. Dadurch, dass die kurdische Gebiete der Turkei die neuen AuRengrenzen der EU darstellen wurden, kommt es zu einer besonderes intensiven Trennung der kurdischen Gebiete und zu einem Ruckgang des grenzubergreifenden Austausches.
4. Der EU-Beitritt wurde die Abwanderung jungerer Menschen aus den kurdischen Gebieten befordern und somit zu einem nachteiligem „Brain-Drain" fuhren.
In einer finalen Abwagung konnte dann die oben genannte Fragestellung beantwortet werden. Daraus konnte als verwertbares Ergebnis nicht nur eine Empfehlung entstehen, ob es der EU zu raten ware, die Turkei in die EU aufzunehmen, umso die Situation der Kurden in der Turkei zu verbessern. Sollten alleine durch den bisher vollzogenen Annaherungsprozess viele positive Anderungen eingetreten sein, konnte auch die Vermutung aufgestellt werden, dass diese positiven Anderungen sich mit einem Abbruch der Beitrittsverhandlungen zuruckentwickeln und die Situation der Minderheiten in der Turkei so aktiv durch die EU verschlechtert wird.
B. Material & Methode
I. Methode
Ausgangspunkt dieser Arbeit zur Folgenabschatzung einer moglichen EU-Aufnahme der Turkei ist der Konflikt zwischen dem kurdischen Teil der turkischen Bevolkerung und der Regierung (und weiten Teilen der nicht-kurdischen Bevolkerung) des Landes.
Dabei sollen zuerst die Entwicklungen und Probleme des turkisch-kurdischen Konfliktes herausgearbeitet werden. Im zweiten Schritt, wird untersucht, welche Auswirkungen und Veranderungen grundsatzlich durch einen EU-Beitritt fur einen Staat eintreten konnen.
Diese beiden Variablen, sollen dann im dritten Teil der Arbeit zusammengefugt werden.
Dabei wird festgestellt, ob die Folgen des Beitritts, die im zweiten Teil der Arbeit zusammengefasst wurden, genau die Ursachen des Konfliktes, die im ersten Teil herausgearbeitet wurden, behoben werden konnen.
Der Schwerpunkt liegt dabei weniger auf einer umfassenden historischen Darstellung, als vielmehr auf einer Bestandsaufnahme der aktuellen Situation. Daher wird ein besonderer Schwerpunkt der historischen Untersuchung, auf die Entwicklung ab den 80er Jahren gelegt, dem Zeitpunkt an dem die heutige gultige Verfassung der Turkei in Kraft trat und die PKK sich konstituierte.
AnschlieRend sollen die rechtlichen Probleme des Konfliktes beleuchtet werden. Insbesondere der Minderheitenschutz und die besondere Rolle, die internationale Vertrage und Abkommen spielen, werden untersucht.
Wie stark die wirtschaftliche Komponente Auswirkungen auf den Konflikt zwischen Turken und Kurden hat, ist in der weiteren Untersuchung von Belang.
Dabei ist eine der Ausgangsvermutungen, dass ein signifikantes Ungleichgewicht zwischen den kurdischen Regionen der Turkei und den nicht-kurdischen Regionen im Westen existiert. Wurde ein solches Ungleichgewicht existieren, besteht die Moglichkeit, dass der Konflikt eine bedeutsame okonomische Komponente enthalt.
Selbiges gilt fur den Konflikt hinsichtlich der turkischen AuRenpolitik. Moglicherweise spielen die Beziehungen zu den Nachbarstaaten eine wichtige Rolle. Besonders in den Fokus genommen werden die Beziehungen zu den Nachbarn des turkischen Sudostens. Dabei handelt es sich um das historische Siedlungsgebiet der Kurden, welches sich heute auf Syrien, Irak, Iran und die Turkei erstreckt.
Nach dem festgestellt wurde, welches die Ursachen des Konfliktes sind, werden die Auswirkungen des EU-Beitritts im Allgemeinen Untersucht.
Hier werden auf der einen Seite mogliche Auswirkungen untersucht, die schon durch den Aufnahmeprozess bzw. die Heranfuhrungsphase entstehen konnen, wie z.B. die Erfullung der Kopenhagener Kriterien. Auf der anderen Seite werden Moglichkeiten abgewogen, welche z.B. wirtschaftliche oder gesellschaftliche Veranderungen nach einem EU-Beitritt eintreten konnten, durch Veranderungen wie der Offnung des europaischen Binnenmarktes oder der finanzielle Forderung strukturschwacher Regionen in neuen Mitgliedsstaaten.
Ob diese Veranderungen auch fur den Fall der Turkei gelten und ob sie dort dann die Probleme aus dem ersten Teil dieser Arbeit beheben wurden, wird im abschlieRenden dritten Teil der Arbeit uberpruft.
Nach der Zusammenfuhrung der ersten beiden Teile und sollte es dann durch den dritten Teil bzw. in der finalen Gesamtzusammenfassung moglich sein, die eingangs gestellte Forschungsfrage zu beantworten und die zu uberprufenden Hypothesen zu falsi- oder verifizieren.
II. Material
Die Quellenlage zum Kurdenkonflikt in der Turkei ist sehr umfangreich. Wie Eingangs beschrieben, beziehen sich die meisten Untersuchungen jedoch auf die Perspektive die den turkisch-kurdischen Konflikt als Hindernis fur den turkischen EU-Beitritt sieht. Die hier eingenommen Perspektive findet sich beispielsweise als Exkurs bei Nebi Kesen (2009: S.211 ff.) wieder, der den Schwerpunkt seiner Arbeit zur Kurdenfrage und dem EU-Beitritt jedoch anders gesetzt hat.
Fur die Untersuchungen der Geschichte des Konfliktes dienen auf der einen Seite Werke, die ihren Fokus auf die politische Entwicklung legen (z.B. Deschner 2003), auf der anderen Seite aber auch Untersuchungen die sich vornehmlich auf den bewaffneten Konflikt konzentrieren (z.B. Krech 1999).
Viele Rechtsfragen konnen durch die Untersuchung der entsprechenden Rechtsquellen selbst beantwortet werden und es besteht nicht die Notwendigkeit, Sekundarliteratur heranzuziehen. Die Untersuchungen der turkischen Verfassung, des Vertrags von Lausanne
oder aber auch der Ratifizierungsprotokolle internationaler Abkommen scheint hier besonders aufschlussreich zu sein.
Viele Themengebiete sind aber durch wesentlich jungere Entwicklungen beeinflusst und somit ist es unumganglich, von „klassischen Monographien" als Hauptquelle einer wissenschaftlichen Arbeit abzuweichen.
Um herauszufinden, wie sich die tatsachliche Anforderungslage der kurdischen Region aus okonomischer Perspektive darstellt, soll die Untersuchung der Turkish Economic and Social Studies Foundation (TESEV) herangezogen werden (TESEV 2008).
Um die aktuellsten Entwicklungen im Konflikt zu berucksichtigen, aber auch um die Auswirkungen des Annaherungsprozesses an die EU richtig zu beurteilen, ist es notwendig auf Zeitungsartikel, Stellungnahmen staatlicher Institutionen und der europaischen Gremien zuruckzugreifen. Besonders wichtig sind hier die jungsten Berichte der Europaischen Kommission zur Entwicklung des Beitrittsverfahren der Turkei, der „Turkey 2012 [bzw. 2013] Progress Report".
Die Europaische Kommission wie auch andere europaische Institutionen sind auch die Herausgeber der wichtigsten Quellen, wenn es um die Beurteilung der grundsatzlichen Auswirkungen eines EU-Beitritts geht.
Aktuellste Entwicklungen im Konflikt mit Syrien oder der Terrororganisation „Islamischer Staat" sind wichtig, um die auGenpolitische Dimension des Konflikts zu beurteilen. Das Verhalten der betroffenen Akteure wie z.B. der Autonomen Region Kurdistan im Nordirak, der kurdischen „Partei der Demokratischen Union" in Syrien oder des Irans ist dabei von groGem Einfluss, kann aber nur durch die Analyse aktuellster Zeitungsartikel oder Pressemeldungen beurteilt werden.
C. Der Kurdenkonflikt in der Turkei
Der Konflikt zwischen dem turkischen Staat und der kurdischen Bevolkerung ist nur zu verstehen, wenn auch die historische Entwicklung mit einbezogen wird.
Der Verlauf des Kurdenkonflikts in der Turkei lasst sich grob in funf Phasen einteilen. Er beginnt mit der fruhzeitlichen Geschichte der Kurden im Osmanischen Reich. Die nachste Phase verlauft parallel zur Entwicklung der Turkei und betrifft die Zeit nach dem Ende des ersten Weltkriegs und der damit verbunden „Grundung" der Turkei in den 20er Jahren des 20. Jahrhunderts durch Mustafa Kemal Ataturk. Der dritte Abschnitt beginnt 1978/ 1980 mit der
Grundung der PKK und dem turkischen Militarputsch vom 12. September 1980. Ab diesem Zeitpunkt nimmt der Konflikt Zuge eines modernen innerstaatlichen Burgerkrieges an (vgl. dazu die Definition in der Einleitung), der mindestens bis 1999 andauert. Die Inhaftierung des PKK-Fuhrers Abdullah Ocalan im Jahr 1999 lautet eine Episode internationaler Interventionen in den Konflikt ein, sowie eine Entspannung der militarischen Auseinandersetzungen. Konsequenterweise nehmen die Versuche, den Konflikt auf politische und nicht auf militarische Art zu losen, konkretere Zuge an und zeigen erste Erfolge.
Fur die vorliegende Arbeit sind gerade diese Aspekte von hochster Relevanz- besteht doch hier mutmaRlich ein groRes Potential fur Anderungen, die durch einen EU-Beitritt eintreten konnten.
I. Geschichte
Kurdistan war, soweit es sich zuruckverfolgen lasst, nie ein geeinter, zentral regierter Staat. Vielmehr war es immer schon von pluralistischen Strukturen der einzelnen Clans und Furstentumer gepragt (Kesen 2009: S.138). Diese Strukturen erleichterten es fremden Machten die kurdischen Gebiete zu erobern und sie unter ihre Herrschaft zu stellen (Kesen 2009: S.138).
Der Begriff „Kurdistan" wurde im Osmanischen Reich benutzt, um sprachlich ein Gebiet zu erfassen, welches als Dotation im Laufe der Geschichte an verschiedene Fursten vergeben wurde.
Dies war fur die Kurden solange eine akzeptable Situation, bis im 19. Jahrhundert sich so etwas ein kurdischer Nationalgedanke entwickelte und es zu ersten Aufstanden gegen die Fremdherrschaft kam (Kesen 2009: S.138). Von groRerer Bedeutung fur den heutigen Konflikt ist aber der Zerfall des osmanischen Reiches nach dem ersten Weltkrieg. Durch die Siegermachte wurde das Bevolkerungsgebiet der Kurden so zerteilt, dass sie auf einmal nicht mehr Mitglied des osmanischen Reichs waren, sondern sich auf die neu entstandenen Staaten Syrien, Irak, Iran und die Turkei verteilt wiederfanden (Deschner 2003: S.13).
Dabei sah es erst so aus, als wurden die Kurden vom Zerfall des osmanischen Reiches profitieren. Die Aufteilung der Gebiete des ehemaligen osmanischen Reiches wurde 1920 im Vertrag von Sevres erstmals konkretisiert (Kuchler 2011: S. 363). In diesem Vertrag war eine Autonomie der Kurden konkret vorgesehen. Sollten die Kurden sich in einem Referendum fur eine vollstandige Unabhangigkeit entscheiden, so sollten sie laut Artikel 64 des Vertrages, auch diese erhalten (Kuchler 2011: S. 363). GroRbritannien hatte als Mandatsmacht nun eigentlich dafur zu sorgen, dass die getroffenen Vereinbarungen eingehalten werden. Allerdings sind diese nicht ubereinstimmend mit den Vorstellungen die Ataturk fur einen neugegrundeten turkischen Staat hatte (Stansfield 2006: S.2). Die Briten haben kurz nach Ende des Ersten Weltkrieges kein Interesse an einem weiteren bewaffneten Konflikt und gehen unter anderem deshalb der Auseinandersetzung mit Ataturk aus dem Weg (Stansfield 2006: S.2).
Begleitet wird dies von dem Umstand, dass die Briten nicht langer als Mandatsmacht im Nahen Osten eingebunden werden wollen und beschlossen einen GroRteil ihrer Truppen abzuziehen (Kuchler 2004: S.365). Die Mandatsgebiete der britischen Truppen die davon betroffen waren, sollten in einen neuzugrundenden Staat eingefasst werden. Als Zentrum fur diesen Staat wurde Bagdad ausgewahlt, weil es der Ort ist an dem die Briten auch weiterhin am starksten vertreten sind und sich so den groRten Einfluss auf den neuen Staat versprechen (Kuchler 2004: S.365). So entstand der heutige Irak und mit der Grenzziehung kam es zur der Teilung der kurdischen Gebiete, die bis heute anhalt.
Gleichzeitig wurden im Juli 1923 die Vertrage von Sevres durch den Vertrag von Lausanne ersetzt (Stansfield 2006: S.2). In diesem Vertrag ist von einer kurdischen Unabhangigkeit nicht mehr die Rede- allerdings findet sich hier die normierte Aufteilung des kurdischen Gebietes in den turkischen und den irakischen Teil (Stansfield 2006: S.2).
Die kurdischstammige Bevolkerung wurde dabei vielfach von wichtigen geografischen Ressourcen, wie fruchtbaren Boden, Wasser- oder Olquellen ausgeschlossen (Chaliand 1994: S.9). In Folge dessen kam es in den Jahren 1925, 1930, 1936-1937 zu kurdischen Aufstanden in der Turkei, die sehr brutal niedergeschlagen wurden (Chaliand 1994: S.9). Eine ebenso wichtige Rolle spielte sicher, dass ein groRer Teil der Kurden enttauscht waren von Mustafa Kemal Ataturk: Diesen hatten sie bisher immer unterstutzt und erwarteten dafur im Gegenzug, eine Verbesserung Ihrer Stellung in der im Jahre 1923 gegrundeten Turkei. Diese Veranderungen traten jedoch nicht ein- im Gegenteil. Die Unterdruckung der kurdischen Bevolkerung in der Turkei nahm sogar weiter zu, obwohl der turkische Staat die Existenz der Kurden offiziell abstritt (Chaliand 1994: S.9).
Sicherlich ein Hohepunkt in der kurdischen Geschichte stellt das Jahr 1946 dar. Es kommt auf dem Gebiet des sowjetisch besetzten Irans zur Grundung der „Republik Kurdistan"[2] (Chaliand 1994: S.10). Dies ist nicht nur das erste Mal in der Geschichte, dass es einen kurdischen Staat gibt, gleichzeitig wurde auch eine offizielle kurdische Armee gegrundet. Der Fuhrer dieser Armee ist der fur die Kurden bedeutende Mustafa Barzani, Grundungsmitglied der Kurdischen Demokratischen Partei (KDP) und General der Armee in der kurzlebigen Republik Kurdistan. Die Republik Kurdistan wurde im Laufe des Jahres von der iranischen Armee wiederholt angegriffen. Barzani konnte diese Angriffe, mit Unterstutzung der Sowjettruppen, abwehren woraufhin es zu einem Waffenstillstand kommt (Kuchler 2011: S.498-504). GroRbritannien sah sich, zumindest diplomatisch, in der Verantwortung und versucht (erfolglos) zwischen den Kurden und dem Iran zu vermitteln. Zeitgleich anderte Stalin seine Strategie bezuglich der Protektion der kurdischen Gebiete: Kurz nach dem Ruckzug der sowjetischen Armee, eroberten die Iraner die von den Kurden beanspruchten Gebiete zuruck und beenden damit nach nur kurzer Zeit, die Existenz der Republik Kurdistan (Kuchler 2011: S.498-504).
In der Zeit bis 1958 entwickelte sich sodann in Iran und Irak, aber auch in der Turkei, eine starke Unterdruckung und Benachteiligung der Kurden (Chaliand 1994: S.10).
Im Jahr 1958 wurde unter General Abd al-Karim Qasim, die Herrschaft von Konig Faisal II. uber den Irak durch einen Revolution des Militars beendet und die Republik Irak gegrundet (Chaliand 1994: S.10). Qasim, der noch im selben Jahr zum Premierminister gewahlt wird, ist im Gegensatz zu Konig Faisal II. den Kurden sehr wohlgesonnen. Dies manifestiert sich in dem Zuruckholen des im sowjetischen Exil lebenden Mustafa Barzani in den Irak (Chaliand 1994: S.10). Einer der Grunde fur dieses Handeln liegt zum einen daran, dass Qasim selbst kurdische Vorfahren hat. Wichtiger wird aber gewesen sein, dass er die Unterstutzung der Kurden benotigte um gegen die pro-monarchistischen Krafte im Land sowie gegen die Baath-Partei zu kampfen (Chaliand 1994: S.10).
Wahrend die Kurden dadurch auf irakischem Gebiet immer besser gestellt werden, kommt es in der Turkei zu weiteren Unterdruckungen. Dass die Turkei 1963 mit der Europaischen Wirtschaftsgemeinschaft das Assoziierungsabkommen schlieRt, hatte auf diese Entwicklung keinen Einfluss (Krech 1999: S.24). 1971 wird der turkische Ministerprasident Suleyman Demirel vom Militar gesturzt und die Turkei de facto vom Nationalen Sicherheitsrat und damit vom Militar regiert. In dieser Zeit kam es zu einer immer weitergehenden Radikalisierung verschiedener politischen Gruppen und zu einem Wiederauferstehen der, im vorherigen Jahrzehnt wenig prasenten, kurdischen Unabhangigkeitsbewegung (Chaliand 1994: S.10).
Aus dem Landerdreieck Turkei-Irak-Iran (parallel zur turkischen Provinz Hakkari) heraus, sind mehrere kurdische Bewegungen paramilitarisch aktiv und es kommt zu einer Verhangung des Kriegsrechts (Chaliand 1994: S.41). Zwischenzeitlich wird dieses auf 11 der 88 turkische Provinzen ausgeweitet und folglich die Verfassung geandert, um politische Verbrecher langer festzuhalten (bis zu 15 Tage ohne Nennung von Grunden) und schneller und einfacher zu verurteilten (Chaliand 1994: S.41).
Im November 1978 wird dann, unter anderem von Abdullah Ocalan, die PKK an der Universitat von Ankara gegrundet. Die Partei ist marxistisch-leninistisch gepragt und tritt dabei fur eine bessere Stellung der Kurden ein. Die PKK ist dabei von Anfang an radikal und geht bewaffnet gegen ihre Gegner vor (Krech 1999: S.41). Dies ist allerdings nicht nur ein PKK-typisches Phanomen, auch andere linke sowie rechte Gruppierungen handeln ahnlich terroristisch: In der Turkei sterben durch politisch motivierte Gewalttaten in den Jahren 1979 und 1980 im Durchschnitt taglich 30 Menschen (Krech 1999: S.25).
Die Unterstutzung fur den bewaffneten Kampf kommt zu dieser Zeit aus den Warschauer- Pakt-Staaten. „Die Sowjetunion lieferte Waffen und Munition, die CSSR produzierte Spezialwaffen fur diese Gruppierungen und die Turkische Kommunistische Partei hatte ihren Exil-Sitz in Ost-Berlin in der DDR." (Krech 1999: S.42).
Im September des Jahres 1980 kommt es erneut zu einem Militarputsch in der Turkei. Als Folge dessen, radikalisiert sich die turkisch-kommunistische Partei weiter und kampft zusammen mit der PKK gegen das turkische Militar (Krech 1999: S.44). Diese Radikalisierung hat seine Wurzeln darin, dass zwei Jahre nach dem Putsch durch das Militar, eine bis heute gultige Verfassung eingefuhrt wird, die die Kurden in ihren Rechten nicht nur weiter beschneidet, sondern ihre Existenz vollkommen leugnet (vgl. Die Verfassung der Republik Turkei 1982: Art. I, II, III).
Die Anti-Terror-Gesetze der Turkei werden weiter wesentlich verscharft und das Militar ist rechtlich dazu befugt PKK Mitglieder, unabhangig von ihrer turkischen Staatsburgerschaft, ohne Gerichtsverfahren zu erschieGen (Krech 1999: S.42).
Zu diesem Zeitpunkt hatte die PKK eine nicht uberschaubare GroGe an Anhangern und Mitglieder sowie eine ungefahre Anzahl von 1000 bewaffneten Kampfern (Krech 1999: S.42).
Viele von diesen werden verhaftet oder getotet und die Fuhrung der PKK beschlieRt die Aufgabe des Kampfes gegen die Turkei und flieht ins Ausland (Krech 1999: S.42). Abdullah Ocalans Frau erhalt Asyl in Schweden, ihm selbst wird dies jedoch verweigert und er flieht nach Syrien. Dort fangt er an, neue PKK Kampfer auszubilden und ab 1983 eine zweite bewaffnete Offensive zu starten (Krech 1999: S.42). In den folgenden Jahren wird der Kampf zwischen der PKK und dem turkischen Staat immer radikaler.
Anfang des Jahres 1984 besetzte die PKK erste Stadte und griff turkisches Militar- und Polizeieinheiten an. Als Reaktion darauf, wurden kurdische Dorfbewohner, die dem turkischen Staat gegenuber loyal sind, von diesem mit Waffen ausgerustet und als sogenannte „Dorfschutzer" eingesetzt. Der Kampf verscharfte sich weiter, weil sich der bewaffnete Konflikt nun auch zwischen den Kurden selbst abspielte. In der Folgezeit kam es haufig zu Mordanschlagen auf Turkei-freundliche Kurden; besonders haufig waren dabei Lehrer betroffen (Krech 1999: S.54 -74).
Der Konflikt hat aber auch Auswirkungen auf die Beziehungen der Turkei zu Iran, Irak und Syrien. Im Oktober 1984 erlaubt der irakische Diktator Saddam Hussein den turkischen Bodentruppen, die kurdischen Terroristen auch 5 Kilometer uber die irakische Grenze hinaus zu verfolgen und ab Marz 1986 Luftangriffe in bis zu 10 Kilometer uber die Grenze hinaus zu fliegen (Krech 1999: S.57, 60).
Der Iran kritisiert regelmaRig die Harte der turkischen Militareinsatze gegen die Kurden, erlaubt grundsatzlich aber auch Bodeneinsatze des turkischen Militars bis zu 5 Kilometer uber die eigene Grenze hinaus und arbeitet ansonsten eng mit der Turkei zusammen (Krech 1999: S.65-64).
Das Verhaltnis der Turkei mit Syrien ist zu diesem Zeitpunkt weniger gut: die Turkei wirft Syrien vor, die PKK im eigenen Land zu schutzen und ihnen einen Ruckzugsort zu bieten (Krech 1999: S.59). In der Folgezeit wird die Grenze zu Syrien massiv befestigt und mit verschiedensten militarischen Anlagen gesichert (Krech 1999: S. 59). Auch wenn der syrische Ministerprasident Abderrauf al- Kasm ein Jahr spater bei seinem Besuch in Ankara eine bessere Zusammenarbeit bei dem Kampf gegen kurdische Terroristen verspricht- Syrien nimmt, aus turkischer Perspektive betrachtet, eine viel weniger unterstutzende Rolle als der Iran und Irak ein (Krech 1999: S.60) Dies zeigt sich auch an der weiteren Sicherung der syrischen Grenze im Jahr 1989: Hier werden „Wachturme, Suchscheinwerferstande, Minen- und Stacheldrahtsperren errichtet" (Krech 1999: S.66).
Diese Bundnisse andern sich nach dem Ende des zweiten Golfkriegs im Anfang des Jahres 1991 radikal.
Die Turkei gehorte zu den Unterstutzern der USA bei ihrem Kampf gegen Saddam Hussein und beteiligte sich an der Durchsetzung der Sanktionen der UNO an einem ihrer wichtigsten Handelspartner (Krech 1999: S.72). In der Folge war es der Turkei nicht mehr erlaubt, uber die irakische Grenze hinweg PKK Kampfer zu verfolgen. Im Gegenteil: Durch Saddam Hussein wurde diese sogar mit „tragbaren Luftabwehrraketen, Panzerabwehrlenkraketen, schweren MG's und Morsern" (Krech 1999: S.72) ausgestattet.
Die bewaffneten Auseinandersetzungen konnten so wieder an Scharfe gewinnen. Trotz des Verbots flog die turkische Luftwaffe Angriffe im Nordirak. Im Gegenzug startete die PKK einzelne Kampagnen mit bis zu 600 bewaffneten Kampfern auf turkischem Gebiet (Krech 1999: S.72). Diese trafen aber keinesfalls ausschlieRlich Militar- oder Polizeiangehore der Turkei. Gerade in dieser Zeit ging die PKK dazu uber in hohem Umfang kurdische Zivilsten zu toten, wenn davon auszugehen war, dass diese keine PKK Anhanger waren. Mit diesen Zivilisten sind nicht die von der Turkei mit Waffen ausgestatteten kurdischen Dorfschutzer zu verstehen, die als Gegner der PKK eine Art Miliz bildeten.
Vielmehr sind hier unbewaffnete Zivilisten gemeint, regelmaRig Lehrer denen unterstellt wurde, dass sie ideologisch die Schuler gegen die PKK aufhetzen wurden.
Bis zum Jahre 1990 wurden so ca. 1100 kurdische Zivilisten von der PKK getotet. Auf der anderen Seite versuchte die Turkei die Anzahl der bewaffneten Dorfschutzer zu erhohen. Dorfer, die sich nicht dem Kampf gegen die PKK anschlieRen, wurden „aufgelost" und die ursprungliche Bevolkerung vertrieben. Zur Begrundung wurde angefuhrt, dass die Dorfer ohne eigene, kurdische Dorfschutzer nicht ausreichend vor den turkischen Truppen geschutzt werden konnten. Demnach waren vor allem die Zivilisten in einer schwierigen Situation. Entweder sie wurden bewaffnete Dorfschutzer auf turkischer Seite, mussten damit gegen andere Kurden kampfen und wurden damit ein zentrales Ziel von Anschlagen, Morden und anderen Gewalttaten von Seiten der PKK oder sie wurden vom turkischen Militar vertrieben. Auf diese Art und Weise wurden ca. 1 Millionen Menschen aus ihrer Heimat vertrieben.
Zum weiteren Paradox des kurdischen Konflikts in der Region gehort, dass Saddam Hussein trotz seiner Waffenlieferungen an die PKK einen Genozid an der kurdischen Bevolkerung im Nordirak vornahm und dass aus der heutigen Perspektive betrachtet, dieser Umstand fur die kurdische Autonomie einer der bedeutendsten Schritte war:
Die Giftgasangriffe aus Bagdad zwangen die internationale Gemeinschaft zum Handeln und so wurde eine, nach dem Golfkrieg geschaffene Flugverbotszone zum Schutz der nordirakischen Kurden durch die USA, GroRbritannien und Frankreich aufrechterhalten (Krech 1999: S.73). Schon aus Hans Krechs Perspektive (1999: S.73) aus dem Jahr 1999 war dies ein wichtiger Schritt. Bezogen auf das internationale Protektorat im Nordirak schrieb dieser: „Damit entstanden fur die nordirakischen Kurden die Rahmenbedingungen zur Schaffung einer autonomen Selbstverwaltung. Sie wahlten ein Parlament und setzten eine kurdische Verwaltung fur den Nordirak ein" (Krech 1999: S.73).
Heute, 15 Jahre spater lasst sich bestatigen, dass die 1992 begonnene positive Entwicklung, aus der die „Autonomen Region Kurdistan" entstand, sicherlich den derzeitigen Hohepunkt einer funktionierenden, international anerkannten kurdischen Autonomie darstellt.
Es darf keinesfalls davon ausgegangen werden, dass die PKK zu diesem Zeitpunkt die Mehrheit der kurdischen Bevolkerung auf ihrer Seite hatte (vgl. Krech 1999: S.73). Die PKK sah sich nicht nur der turkischen Armee als Gegner gegenuber, auch kampften viele der sogenannten „Barzani - Kurden" gegen die PKK". Diese sogenannten Peshmerga Kampfer, waren die bewaffneten Kampfer der demokratischen kurdischen Parteien, die unter der Fuhrung von Mustafa Barzani und nach dessen Tod im Jahre 1979 unter der Fuhrung seines Sohnes Masud Barzani, zuerst gegen irakische Truppen und spater dann gegen die PKK kampften (vgl. Lortz 2005 S.59-64).
Militarisch war die PKK zu dieser Zeit nicht mehr in der Lage sich militarisch wirkungsvoll zu positionieren und so erklarte der PKK Fuhrer Abdullah Ocalan im Jahr 1992 einen umfassenden Waffenstillstand und anschlieRende Vermittlungsgesprache mit dem turkischen Prasident Turgut Ozal (Krech 1999: S.73). Als dieser wenig spater, im Jahr 1993 starb, wurden diese nach nur 3 Monaten abgebrochen und der Waffenstillstand aufgehoben (Krech 1999: S.73).
Danach kam es zu einer weiteren Phase der Gewalt, in der tausende bewaffnete Kampfer starben und regelmaRig Zivilisten ermordet oder verschleppt wurden. Die Turkei versuchte von ihrer Seite aus, den Konflikt durch politische MaRnahmen zu entscharfen. Beispielsweise wurde das vollstandige Verbot der kurdischen Sprache aufgehoben. In Schulen oder anderen offentlichen Einrichtungen bleibt es zu diesem Zeitpunkt aber bestehen. Das von der turkischen Politik nicht vollstandig kontrollierbare turkische Militar, besteht weiterhin darauf den kurdischen Konflikt ausschlieRlich durch bewaffnete Interventionen zu beenden.
Eine wesentliche Wende begann mit der Verhaftung von Abdullah Ocalan im Jahr 1999: Dieser wurde durch die Turkei erst zum Tode verurteilt, die Todesstrafe wurde aber in der Turkei kurze Zeit spater abgeschafft und Ocalans Strafe zur lebenslangen Haft umgewandelt. Der Einfluss von Ocalan auf seine PKK nahm durch seine Verhaftung nicht ab und so kommt es, dass seine Aufforderung 1999, den bewaffneten Kampf einzustellen, bei vielen seiner Anhanger beachtet und befolgt wurde (Kesen 2009: S.170). Die organisierten Kampfe gingen damit zu Ende und ein GroRteil der bewaffneten PKK Kampfer zogen sich in den Irak zuruck (Kesen 2009: S.170).
Die Turkei reagierte auf die Entspannungspolitik der PKK ebenfalls mit einer Entscharfung ihrer Haltung gegenuber den Kurden. So wurden danach die kurdischen Rechte in der Turkei insgesamt ausgeweitet und auch Grundrechte die ansonsten fur alle Turken, nur nicht fur die Kurden galten, waren nun auch fur diese wirksam (Kesen 2009: S.170).
Insbesondere Recep Tayyip Erdogan, der spatere Ministerprasident der Turkei spricht im Jahr 2002, wenige Monate vor der Parlamentswahl, den kurdischen Konflikt zum ersten Mal offentlich an und raumt dessen Existenz ein.
Auch international wurden diese MaRnahmen registriert und zwischen der Turkei und der EU gab es positive Entwicklungen im Annaherungsprozess (Kesen 2009: S.170). Als eine Konsequenz der neuen Entspannungspolitik und der Beachtung grundlegender Menschenrechte durch die Turkei, wird der Turkei im Jahr 2005 der offizielle Status als Beitrittskandidat zur EU verliehen.
In der Folgezeit kommt es immer wieder zu verschiedenen Neuausrichtungen der PKK, neuen Konflikten aber auch Phasen der Entspannung (vgl. Kesen 2009: S.171). Insgesamt lasst sich aber feststellen, dass die Kurdenfrage in der Turkei offen diskutiert wird und auch von politischer Seite an einer einvernehmlichen Losung gearbeitet wird (Kesen 2009: S.171).
Diese Entwicklung fuhrte zu den ersten Friedengesprachen zwischen der Turkei und der PKK in den Jahren von 2009 bis 2011 in Oslo (Hess 2013: S.2).
Zeitgleich wird in der Turkei durch die Regierungspartei Adalet ve Kalkinma Partisi (AKP)[3], die Einfuhrung der „Demokratischen Initiative beschlossen" (Martens 2010).
Wesentliche Punkte dieses Programms (vgl. Martens 2010), das zur Losung des Konfliktes beitragen soll sind z.B.:
- Einfuhrung offizieller kurdischer TV- und Radiosender
- Veroffentlichung einer kurdischen Obersetzung des Korans
- Einrichtung einer Fakultat fur „Lebendige Sprachen" an der Universitat von Mardin (Sudostanatolien)- dort soll Kurdisch gelehrt werden
- Kurdischen Orten ist es erlaubt, ihre kurdischen Ortsnamen offiziell zu tragen
Die Bemuhungen um eine friedliche Losung scheiterten allerdings, da es erneut zu bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen der PKK und turkischen Militareinheiten kam. Bis zum Jahr 2012 kam es dann von Seiten der PKK zu vermehrten Bombenanschlagen und Entfuhrungen. Der Friedensprozess wird jedoch wieder aufgenommen und im Marz 2013 erklart Ocalan den Ruckzug der PKK aus der Turkei. Dieser erfolgte tatsachlich und viele der bewaffneten Kampfer zogen sich erneut in den Nordirak zuruck. Trotzdem kam es Ende 2013 noch zu weiteren Entfuhrungen durch die PKK und daraufhin zu umfassenden Militaroffensiven der Turkei.
Auf der politischen Ebene hat sich die Turkei gleichwohl im Rahmen der aktuellsten (2014) Friedensgesprache dazu verpflichtet, wirksame Minderheitenschutzrechte fur die Kurden zu schaffen und diese auch einzuhalten.
II. Rechtliche Probleme
Das rechtliche Problemfeld ist moglicherweise tief in der turkischen Gesetzgebung verankert: Der Minderheitenschutz in der Turkei, sowie eine unter Umstanden unzulassige spezielle Gesetzgebung zum Nachteil der kurdischen Bevolkerung.
Fraglich ist, in welcher Form uberhaupt eine gesetzlich, moglicherweise sogar verfassungsrechtliche Verankerung des Minderheitenschutzes in der Turkei vorliegt und wenn ja, ob die Kurden in dessen Schutzbereich fallen.
1. Definition der Minderheit
Dazu ist an erster Stelle zu uberprufen, ob die Kurden in der Turkei Oberhaupt als Minderheit bezeichnet werden konnen.
[...]
[1] Im Rahmen dieser Arbeit wird der Begriff „turkisch-kurdischer Konflikt" gewahlt, um die Auseinandersetzungen zwischen verschiedensten turkischen und kurdischen Gruppen zu bezeichen, da er eine groBtmoglichste Objektivitat behalt und eine Parteinahme fur eine der Konfliktparteien durch eine subjektive Begriffsbezeichnung vermieden werden soll. Andere wie z.B. Begriffe eines Burgerkriegs sind namlich unstrittig: Nach klassischen politikwissenschaftlichen Definition, ware es naturlich auch hier moglich von einem Krieg definiert als: „organisierte Gewaltanwendung groBeren Umfangs zwischen Staaten oder im Falle von Burgerkrieg zwischen unterschiedlichen Gruppen im Rahmen eines Staates, sei es zwischen Regierung und gegen sie kampfende bewaffnete Krafte, sei es zwischen Gruppen in einer Situation, in der keine Regierung existiert" (Nohlen/Schultze 2010: S.527) zu sprechen. Eine neuere Ansicht (vgl. Arndt 2010: S.1) sieht den Kriegsbegriff an eine offizielle Kriegserklarung geknupft, weswegen es zweifelhaft ware ob hier von einem Burgerkrieg zu sprechen ware oder die Bezeichnung jungeren Datums „nicht-internationaler bewaffneter Konflikt" anzuwenden ware.
[2] Alternativ: Republik Mahabad- benannt nach der gleichnamigen Hauptstadt
[3] Partei fur Gerechtigkeit und Aufschwung
- Arbeit zitieren
- Sven Ursinus (Autor:in), 2014, Die Auswirkungen eines EU Beitritts der Türkei auf die Kurdenfrage, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/305409
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