Gerade im Bereich der Beschäftigungspolitik und künftigen Arbeitswelt spaltet eine Thematik die Gesellschaft. Es ist ein besonders aktuelles und gleichzeitig prekäres Thema: die Frauenquote. Diese Kontroverse steht in der UPP-Stunde dabei pointiert für den Wandel in der Arbeitswelt und den dazugehörigen Chancen und Grenzen. Während der Großteil der Arbeitnehmerverbände und politischen Parteien die ab Januar 2016 kommende Frauenquote befürworten, kritisieren besonders Arbeitgeber(-verbände) das verabschiedete Gesetz, weil dadurch Stellen in der Führungsebene nur nach Quote anstatt durch Leistung und somit auch nicht im Sinne des Gleichstellungsgrundsatzes besetzt werden. Beanstandet werden aber auch die Ausnahmeregelungen, wonach die Frauenquote nur für die Aufsichtsräte der 108 Dax-Unternehmen gilt.
Diese tiefgreifend sozialen, wirtschaftlichen und politischen Wandlungsprozesse in der Arbeitswelt und in den privaten Lebensformen sollen in diesem Unterrichtsvorhaben vermittelt und untersucht werden.
I. Längerfristiges Unterrichtsvorhaben – Unterrichtskontext
I.1 Lernvoraussetzungen und Lernausgangslage
Bei der Lerngruppe handelt es sich um einen Grundkurs in der Qualifikationsphase eins und gemäß dem übergeordneten Auftrag der gymnasialen Oberstufe sollen Erziehung und Unterricht Folgendes leisten: 1. Hilfe zur persönlichen Entfaltung und sozialen Verantwortung geben und 2. Zu einer wissenschaftspropädeutischen Ausbildung führen. Demzufolge sind in den Bereichen der systematischen Arbeitsweise, des selbstständigen Lernens sowie der kritischen Reflexions- und Urteilsfähigkeit ein hoher Maßstab anzusetzen. Dabei sind nicht nur die sozialwissenschaftlichen „Phänomene“ Gegenstand der Betrachtung, sondern sollen in besonderem Maße und Intensität auch die kritische Überprüfung unterschiedlicher damit verbundener Theoriemodelle im Unterricht eines Grundkurses Einzug erhalten.[1] Bei dem derzeitigen Stand der Lerngruppe ist zu erwähnen, dass es sich bei dieser um einen zu Beginn des Schuljahres 2014/2015 neu zusammengesetzten Kurs handelt. Resultierend aus dem vorherigen Schuljahr konnten durch Beobachtungen[2] unterschiedliche Lernvoraussetzungen im inhaltlichen und methodischen Bereich bei den Schülerinnen und Schülern[3] festgestellt werden und gilt im Hinblick auf Unterrichtsplanung sowie Binnendifferenzierung im Folgenden zu beachten.
Hervorzuheben sind bei den meisten SuS ein gutes Textverständnis gemäß dem Anforderungsbereich I und die guten Grundkenntnisse im Umgang mit Texten. Sie erarbeiten selbstständig und differenziert die im Unterricht behandelten Fragen und Probleme und wenden diese gemäß dem Anforderungsbereich II an.
Ein differenzierteres Bild hat sich in der aktiven Mitarbeit verdeutlicht. Besonders drei SuS agieren im Unterricht sehr passiv. Dies zeigt sich gerade bei der Beteiligung an Diskussionen und der Präsentation von Arbeitsergebnissen. Infolgedessen bieten sich kooperative Lernmethoden (z.B. Einsatz von Think-Pair-Share, rotierendes Partnergespräch) an, in denen die Zusammensetzung der Lerngruppe variiert und es zumeist eine hohe SuS-Aktivierung gibt, um dadurch den passiveren SuS mehr Gelegenheiten zur aktiven Teilnahme am Unterricht zu ermöglichen. Kooperatives Lernen ist demnach ein wichtiger Bestandteil der Reihenplanung.
Deutlich differenzierte SuS-Leistungen zeigen sich ebenso auf der Urteilsebene gemäß Anforderungsbereich III, bei der richtigen Unterscheidung von Beurteilung und Bewertung. So ist bei mehreren SuS zu beobachten, dass diese bei der Präsentation ihres Urteils häufig bei der Beurteilung der Sachebene bereits auf die Werturteilsebene übergehen. Demzufolge ist es notwendig, die Beurteilung und Differenzierung von Sach- und Werturteil im längerfristigen Unterrichtsvorhaben zu vertiefen und das stetige Üben bei den unterrichtsmethodischen Entscheidungen zu berücksichtigen, in dem der Fokus der Stunde auf dem Prinzip der Urteilsbildung liegt.
Bezüglich der Sicherung der Ergebnisse ist zu erwähnen, dass die SuS auf eigene Initiative Mitschriften anlegen und im Sinne der Selbstständigkeit verantwortlich für die Übertragung von Tafelbildern etc. sind.
I.2 Synopse der Unterrichtsreihe
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
I.3 Darlegung und Begründung der Reihenkonzeption
Das Ziel der Reihe besteht darin, den SuS ein Grundverständnis sozioökonomischer Zusammenhänge, Einflüsse und Interessenlagen der Gesellschaftsstruktur mit zurückliegenden und zukünftigen Entwicklungen zu vermitteln, um somit insbesondere Urteilskompetenz zu erzeugen, die notwendig ist, um aktuelle sozialwissenschaftliche Themen und Kontroversen verstehen und beurteilen zu können. Aufbauend darauf soll im konkreten Unterrichtsvorhaben die Untersuchung des sozialen Wandels komplexer Gesellschaften dazu beitragen, eine fundierte Bewertung gesellschaftlicher Kernstrukturen und ihrer Auswirkungen auf Bevölkerungsentwicklungen, Arbeitsverhältnisse und private Lebensformen zu erlangen.[4]
Dafür werden in der Unterrichtsreihe soziologische Theorien und Modelle vermittelt, die zentral für das Grundverständnis gesellschaftlicher Prozesse sind. Zudem sollen die SuS die wechselseitigen Beziehungen zwischen Gesellschaft, Wirtschaft und Politik erkennen und deren Einfluss auf die gesellschaftliche Entwicklung verstehen. Dadurch lernen SuS das „polarisierende Verhältnis“ zwischen Chancen und Grenzen des sozialen Wandels kennen und können damit auch die eigene Lebenswelt kritisch hinterfragen.[5] Nach Petrik entwickelt sich so bei den SuS sukzessiv die Fähigkeit und Bereitschaft gesellschaftliche Realität problembewusst wahrzunehmen, aber auch konstruktiv zu gestalten, indem eigene Bedürfnisse erkannt und definiert werden.[6] All dies wird benötigt, um die zentrale Aufgabe des sozialwissenschaftlichen Unterrichts zu erreichen, die Erziehung zu einem politisch mündigen Bürger.[7]
Zentral im Zusammenhang mit dem sozialen Wandel sind nachhaltige Veränderungen gesellschaftlicher Strukturen zu erwähnen und einzubeziehen. Diese Prozesse können entweder schneller oder langsamer vonstattengehen und bleiben den Gesellschaftsmitgliedern mitunter über einen längeren Zeitraum oftmals verborgen.[8] Hinzu kommt der Aspekt, dass eine Vielzahl gesellschaftlicher Entwicklungen lediglich begrenzte Teilbereiche der Gesellschaft berühren, etwa das Familienleben, während andere die gesamte Gesellschaft betreffen. So findet in den 1980er Jahre ein bemerkenswerter Wandel im Wertebewusstsein der deutschen Bevölkerung statt.[9] Nicht mehr die Einkommensmaximierung steht im Fokus, sondern ökologische Werte und individuelle Entfaltungsmöglichkeiten gewinnen an Bedeutung. Inmitten des gesamtgesellschaftlichen Wandels entsteht gleichzeitig ein Entwicklungsprozess in der Arbeitswelt, der von Einflussgrößen wie Globalisierung und technologischem Fortschritt in Verbindung mit neuen Berufsbildern geprägt wird, ebenso von Problemen wie Arbeitsmigration und zunehmender Alterung der Bevölkerung.[10] Begleitend zum Prozess des sozialen Wandels ist demnach von einer kulturellen wie politischen Polarisierung und einer zunehmenden Ausdifferenzierung von Lebensstilgemeinschaften und dem Bereich der Beschäftigung zu sprechen.[11]
In Verbindung zum sozialen Wandel sind die dazugehörigen soziologischen Theorien zu nennen. Diese Fragen nach den Ursachen, dem vergangenen Verlauf und nach der zukünftigen Entwicklung der Sozialstruktur von Gesellschaften. Bis in die Gegenwart hinein sind dabei mannigfache Theorietraditionen des sozialen Wandels einflussreich geblieben. Idealtypisch wird daher zur besseren Verständlichkeit zwischen Zyklentheorien (Inglehart) und Evolutionstheorien (Marx, Spencer) differenziert.[12] Dennoch gibt es auch heutzutage noch keine einheitliche Theorie, was die Erklärung des sozialen Wandels erschwert. Trotz verschiedenartiger Definitionen liegen aber ebenso einige Gemeinsamkeiten vor. Beispielsweise werden unter dem sozialen Wandel primär makro- und mesosoziologische Entwicklungen untergeordnet, die ein sinnvolles Verständnis des Begriffs ermöglichen.[13]
Ein wichtiger Bereich im Prozess des sozialen Wandels ist die bereits erwähnte veränderte Arbeitswelt, da diese von enormer Bedeutung für die Entwicklung hin zu einer modernen Leistungsgesellschaft ist. Der beschleunigte wirtschaftliche Wandel, neue Technologien und weltweite Vernetzung sowie die Arbeitsteilung sind dabei (mit-)verantwortlich für eine sich ständig ändernde Arbeitswelt.[14] Gleichzeitig wird die zukünftige Arbeitswelt vom Arbeitskräfteangebot in Deutschland besonders durch die demographische Entwicklung, von Zuwanderungen, der Bildungspolitik und dem Erwerbsverhalten der Bevölkerung bestimmt werden. Hierbei besteht also die problematische Wechselbeziehung zwischen gesellschaftlicher Struktur und Entwicklung in der Bevölkerung. Gemeint ist damit, dass in Folge der niedrigen Geburtenraten und der zunehmenden Bevölkerungsalterung in den nächsten Jahrzehnten ein Mangel an (Fach-)Arbeitskräften entstehen wird. Selbst die Zuwanderung hoch qualifizierter Arbeitskräfte könnte nur kurzfristig das Stellenbesetzungsproblem beheben.[15] Dennoch ist Arbeitsmigration unabdingbar für die zukünftige Arbeitswelt. Deshalb besteht von Seiten der Politik die Notwendigkeit, Anreize dafür zu schaffen. Ebenso sind Beschäftigungspotenziale innerhalb Deutschlands mit Fördermaßnahmen zu erschließen sowie Flexibilitäts- und Mobilitätsbereitschaft zu erhöhen.[16]
Im Bezug zum sozialen Wandel ist darüber hinaus auf die zweite Phase der Individualisierung ab den 1960er Jahren hinzuweisen, die einen Wandel zur „subjektiven“ Modernisierung beinhaltet. Kennzeichnend hierfür sind die Pluralisierung der Lebensform, Emanzipation und Bildungsexpansion.[17] Lebensformen wie Singles und nichteheliche Lebensgemeinschaften manifestieren sich zunehmend in der Gesellschaft und führen „beinah“ zur vermeintlichen Bedeutungslosigkeit der Familie und Ehe. Vielmehr erlebt die Familie einen Funktionswandel, hin zu einem Ort der Erholung, sie schafft einen Ausgleich zum Stress im Alltag.[18]
Für die gegenwärtige und zukünftige Arbeitswelt ist die veränderte Rolle der Frau ebenfalls von Bedeutung. Auf der Grundlage der Emanzipation und Bildungsexpansion der 1960er Jahre verändert sich seitdem sukzessiv der Frauenanteil im Berufsleben nach oben.[19] Gerade im Bereich der Beschäftigungspolitik und künftigen Arbeitswelt spaltet eine Thematik die Gesellschaft. Es ist ein besonders aktuelles und gleichzeitig prekäres Thema, die Frauenquote. Diese Kontroverse steht in der UPP-Stunde dabei pointiert für den Wandel in der Arbeitswelt und den dazugehörigen Chancen und Grenzen. Während der Großteil der Arbeitnehmerverbände und politischen Parteien die ab 1.1.2016 kommende Frauenquote befürworten, kritisieren besonders Arbeitgeber(-verbände) das verabschiedete Gesetz, weil dadurch Stellen in der Führungsebene nur nach Quote anstatt durch Leistung und somit auch nicht im Sinne des Gleichstellungsgrundsatzes besetzt werden. Beanstandet werden aber auch die Ausnahmeregelungen, wonach die Frauenquote nur für die Aufsichtsräte der 108 Dax-Unternehmen gilt.[20]
Diese tiefgreifend sozialen, wirtschaftlichen und politischen Wandlungsprozesse in der Arbeitswelt und in den privaten Lebensformen sollen im vorliegenden Unterrichtsvorhaben vermittelt und untersucht werden.
II. Planung der UPP-Stunde
II.1 Angestrebte Lernziele
Stundenziel: Die SuS beurteilen, ob die Frauenquote in den Führungspositionen eine Chance oder ein Problem ist, indem sie kontroverse Standpunkte zu dieser Problematik kennenlernen, unterschiedliche Argumente aus den konträren Darstellungstexten erarbeiten und vergleichen, anschließend im Plenum ein Urteil über die Problematik der Frauenquote in den Führungspositionen bilden.
Teilziele:
- Die SuS lernen die kontroverse Debatte zur Problematik der Frauenquote in den Führungspositionen kennen, indem sie mittels zweier Zitate die Frage erarbeiten, ob die Frauenquote eine Chance oder ein Problem ist.
- Die SuS erarbeiten zunächst in Einzel- und anschließend in Partnerarbeit jeweils einen Standpunkt und formulieren Argumente.
- Die SuS vergleichen in Partnerarbeit die Ergebnisse beider Seiten und beurteilen die Argumente der Autoren im Hinblick auf deren Plausibilität.
- Die SuS bilden abschließend auf dieser Grundlage ein Urteil.
II.2 Zentrale methodisch-didaktische Begründungen
II.2.1 Curriculare Legitimation
Das Fach Sozialwissenschaften zeichnet sich wie wohl kein anderes Fach durch einen hohen Aktualitätsdruck aus. Damit sind Chancen für den Unterricht verbunden, weil sich der Lernprozess attraktiv sowie durch aktuelle Problemlagen und gesellschaftliche Konflikte brisant gestalten lässt. Im vorliegenden Fall lässt sich diese Verbindung leicht herstellen. Die Unterrichtsstunde ist in die Reihe: „Die Auswirkungen des sozialen Wandels in der Arbeitswelt und den privaten Lebensformen - Alles wird anders und besser?“ eingebettet. Gemäß dem Lehrplan des Landes NRW[21], den Vorgaben für das Abitur 2016[22] und dem schulinternen Curriculum des Gymnasiums[23] liegen die inhaltlichen Schwerpunkte bzgl. der „Gesellschaftsstrukturen und des sozialen Wandels“[24] komplexer Gesellschaften in wichtigen Bereichen wie Lebensformen, Werte sowie den Arbeitsverhältnissen und den damit verbundenen tagespolitischen Kontroversen und Konflikten. In der betreffenden Stunde werden folgende Kompetenzbezüge, laut dem KLP Sek. II[25] und des entsprechend künftigen schulinternen Curriculum hergestellt: Die SuS „beschreiben Tendenzen des Wandels der Sozialstruktur in Deutschland auch unter der Perspektive der Realisierung von gleichberechtigten Lebensverlaufsperspektiven für Frauen und Männer“[26] [Sachkompetenz]. Des Weiteren beurteilen die SuS „Tendenzen sozialen Wandels aus der Sicht ihrer zukünftigen sozialen Rollen als abhängig Arbeitende bzw. Unternehmerin und Unternehmer“[27] [Urteilskompetenz]. Für das Unterrichtsvorhaben im Bereich Sozialwissenschaften werden darüber hinaus Methoden festgelegt, die zur Förderung der Methodenkompetenz der SuS im Laufe der Reihe beitragen. Konkret in der geplanten Stunde werden folgende Methoden eingesetzt und trainiert: Die systematische Analyse und der analytische Umgang mit Texten.[28]
II.2.2 Sachstrukturanalyse
Seit Jahren wurde über die Notwendigkeit einer gesetzlichen Frauenquote zur Chancengleichheit in beruflichen Karrieren diskutiert. Gefordert wurde die Quote unter anderem von den Frauenverbänden, Teilen der Gewerkschaften und den Parteien SPD, Bündnis 90/Grüne und Die Linke. Die Frauenquote soll garantieren, dass künftig mehr weibliche Führungskräfte in den Chefetagen sitzen. Arbeitgeberverbände, der konservative Flügel der Union und die FDP waren dagegen, weil sie befürchteten, dass durch die Einführung der Quote die Besetzung nicht mehr nach Qualifikation erfolge und somit dem Unternehmen schade.[29]
Der Wirtschaftsflügel der CDU setzt anstatt der starren Frauenquote weiterhin eher auf das Leistungsprinzip zur Einsetzung von Führungspersonal in den Unternehmen. Außerdem sei die Regelung der Besetzung von Führungsstellen einzig und allein die Angelegenheit der Firmen und nicht die der Politik. Eine gesetzliche Regelung komme deshalb nicht in Frage. Die Einführung der Frauenquote wurde auch zu einem zentralen Thema im Bundestagswahlkampf 2013. Nach langen Koalitionsgesprächen beschlossen CDU/CSU und SPD als Grundlage für die gemeinsame Regierungsarbeit einen Koalitionsvertrag, der unter anderem die künftige Einführung der gesetzlichen Frauenquote vorsieht. Ab dem 1. Januar 2016 soll dann eine dreißig Prozent Quote für rund 108 mitbestimmungspflichtige und börsennotierte Unternehmen in Kraft treten. Die SPD konnte sich in diesem Punkt mit ihren Forderungen durchsetzen.[30]
Die Regierungskoalition erntet gleichermaßen Lob und Tadel für diese Entscheidung: So sei es volkswirtschaftlich dringend geboten und demzufolge ein positives Signal, auf die Kompetenzen der universitär exzellent ausgebildeten Frauen zurückzugreifen.[31] Während ein Großteil der parlamentarischen Opposition die Frauenquote ausdrücklich begrüßte, hagelte es Kritik von den Arbeitgebern und einzelnen Kabinettsmitgliedern. Ein wesentlicher Kritikpunkt war und ist, dass die Frauenquote nur für die Aufsichtsräte der 108 größten Dax-Unternehmen[32], nicht für Führungspositionen allgemein gilt.[33] Im Bezug auf die Thematik wird ebenso über die Rechtslage kontrovers diskutiert. Ein neues Rechtsgutachten kommt laut einem Bericht der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" (FAS) zum Schluss, dass die Quotenpläne gegen das Grundgesetz verstoßen könnten. Demgegenüber führen Befürworter der Quote an, dass der niedrige Frauenanteil insgesamt dem Gleichstellungsgrundsatz und dem Diskriminierungsverbot des Grundgesetzes (Art. 3 GG) zuwiderlaufe.[34]
Zusammengefasst könnte für Frauen mit den gleichen Qualifikationen wie bei der männlichen Konkurrenz, somit die Problematik der Chancenungleichheit bei der Besetzung der Führungsebene beendet werden und faire Berufsmöglichkeiten bieten.[35] Gleichzeitig wird problematisiert, dass die Frauenquote der Wirtschaft schaden könnte, weil statt Leistung lediglich die Quote zählen würde.[36] Folglich kommt es zu der Problematik, ob die gesetzliche Frauenquote in den Führungspositionen eine Chance oder ein Problem darstellt. Für die vorliegende Stunde ist es daher von zentraler Relevanz, dass die SuS die kontroverse Debatte erkennen und Argumente beider Seiten kennenlernen. Diese Kontroversität zur Thematik Frauenquote soll demnach in der vorliegenden Stunde das Thema sein.
II.2.3 Didaktisches Prinzip und unterrichtsmethodische Entscheidungen
Die Bedeutung der Urteilsfähigkeit verdeutlichen Kayser und Hagemann, indem sie sagen: „Urteilsbildung steht im Zentrum des dritten und anspruchsvollsten Anforderungsbereiches der schulischen Ausbildung im gesellschaftswissenschaftlichen Aufgabenfeld. Ein qualifiziertes Urteil fällen zu können gilt als die Grundlage, um am politischen Leben der Gesellschaft teilnehmen zu können.“[37] Demnach ist zur Aufrechterhaltung einer demokratischen Grundordnung die aktive Mitwirkung der Bürgerinnen und Bürger erforderlich und daher ist es eine zentrale Aufgabe des sozialwissenschaftlichen Unterrichts, die SuS mit den kognitiven, normativen und handlungsleitenden Bewusstseinsinhalten auszustatten, um ihnen dadurch die Kompetenzen zu vermitteln und sie somit zu mündigen Mitgliedern der Gesellschaft heranreifen zu lassen.[38] Aufbauend auf der dargelegten Wichtigkeit des didaktischen Prinzips für das Fach Sozialwissenschaften sowie auf Grund der beschriebenen Lerngruppenanalyse mit den Schwierigkeiten der SuS bezüglich der Urteilsfähigkeit liegt der Schwerpunkt der UPP auf der politischen Urteilsbildung. Das primäre Ziel der Unterrichtsstunde stellt demnach die Vertiefung der Kompetenz im Hinblick auf die politische Urteilsbildung der SuS dar.
Weiterhin kann die Wahl des didaktischen Prinzips durch die kontroverse Thematik der Frauenquote begründet werden. So erschließen die SuS aus unterschiedlichen Texten konträre Argumente, um anschließend in Partnerarbeit die Ergebnisse vergleichen und diskutieren zu können und auf dieser Grundlage ein differenziertes Sach- und evtl. Werturteil zu bilden. Durch die methodisch arrangierte Multiperspektivität wird das didaktische Prinzip der Kontroversität zu einem grundlegenden Charakteristikum und zur Voraussetzung der Urteilsbildung.[39]
Angelehnt ist die geplante Stunde an das fachdidaktische Modell FairUrteilen von Sander. Dieses beabsichtigt den SuS ausgehend von einer ersten spontanen Meinung zu einem in der Gegenwart politisch bedeutsamen Entscheidungsfall oder strittigen Konflikt, eine selbstständige, an Kriterien oder Kategorien gestützte Beurteilung zu ermöglichen.[40]
Die Themenwahl für die Stunde kann einerseits allgemeinpädagogisch begründet werden, da die Thematik „Geschlechterverhältnisse“ nach Klafki eines von insgesamt acht sogenannten epochaltypischen Schlüsselproblemen ist, die dem Unterricht einen verbindlichen Rahmen geben.[41] Andererseits basiert die Themenentscheidung auf fachdidaktischen Aspekten der Aktualität, Lebensweltbezug, Kontroversität und Schülerorientierung.[42] Auf Grund des Alters stellt sich den SuS zunehmend die Frage nach ihrer persönlichen Zukunft und ihren Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Dabei ist die faktische Ungleichheit der Geschlechter in der Berufswelt nicht nur für den einzelnen SuS ein Problem, sondern ebenso für unsere demokratische Gesellschaft, die den Anspruch der Gleichberechtigung von Mann und Frau im Grundgesetz festgeschrieben hat.[43]
Da gerade dem Staat hier eine besondere fördernde Rolle der tatsächlichen Durchsetzung dieser Gleichberechtigung zukommt, ist die Beurteilung des Instrumentes der Frauenquote auf Grundlage zentraler Kategorien[44] für die SuS von Bedeutung, da eine unmittelbare Betroffenheit bei der Berufswahl realistisch ist. Neben dem prozentualen Anteil von Frauen in bestimmten Berufsbereichen spielen die Gehaltsunterschiede eine weitere Rolle. Seit mehr als 50 Jahren gilt die Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau, trotzdem verdienen Frauen in Deutschland durchschnittlich 22 Prozent weniger als ihre männlichen Kollegen.[45] In der Politik, Wirtschaft und innerhalb verschiedenartiger Interessengruppen der Gesellschaft ist die faktische Ungleichstellung von Mann und Frau als Problem bekannt, dennoch, oder gerade deshalb, spalten sich die Urteile über Rechtfertigung und Wirkung des staatlichen Instruments der Frauenquote. Zudem stellt sich die Frage, ob es sich bei der Frauenquote nicht sogar um eine umgekehrte Diskriminierung des Mannes handelt und demnach im Widerspruch zum Gleichheitsgrundsatz steht. Diese kontroverse Diskussion, die in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft geführt wird, vollziehen die SuS im Rahmen der UPP nach und sollen abschließend in der Lage sein, ein rationales und begründetes Urteil darüber zu fällen.
[...]
[1] Vgl.: Ministerium für Schule und Weiterentwicklung des Landes NRW (Hg.): Richtlinien und Lehrpläne für die Sekundarstufe II – Gymnasium/Gesamtschule in NRW, Sozialwissenschaften 1999, Düsseldorf, S. XI; 51 ff.
[2] Anmerkung: Im Anschluss an die gehaltenen Stunden wird durch entsprechende Kürzel die Mitarbeit der einzelnen Schüler notiert. In regelmäßigen Abständen erfolgt ein gemeinsamer Austausch mit dem Fachlehrer des Kurses, um die Eindrücke miteinander zu vergleichen und eine gemeinsame Grundlage zu finden. Neben den mündlichen Beiträgen, in denen die Qualität vor der Quantität steht, zählen Referate, Gruppenarbeiten und Präsentationen zu den Grundlagen der Beobachtungen.
[3] Zur Verbesserung der Lesbarkeit und Wahrung der geschlechterneutralen Sprache im Folgenden als SuS abgekürzt.
[4] Vgl.: Ministerium für Schule und Weiterentwicklung: Richtlinien und Lehrpläne, S. 24 f.
[5] Vgl.: Falck, Oliver: Beschäftigung in wirtschaftswissenschaftlicher Perspektive, in: Althammer, Jörg (u.a. Hg.): Handbuch ökonomisch-politische Bildung, Schwalbach/Ts. 2007, S. 238-254, hier S. 239 f.
[6] Vgl.: Petrik, Andreas: Von den Schwierigkeiten, ein politischer Mensch zu werden – Konzept und Praxis einer genetischen Politikdidaktik, Budrich 2007, S. 38 ff.
[7] Vgl.: Detjen, Joachim: Politische Bildung - Geschichte und Gegenwart in Deutschland, München 2013, S 420 f.
[8] Vgl.: Meulemann, Heiner: Soziologie von Anfang an: Eine Einführung in Themen, Ergebnisse und Literatur, 3. Auflage, Wiesbaden 2013, S. 398-403.
[9] Vgl.: Klein, Ansgar: Der Diskurs der Zivilgesellschaft: Politische Hintergründe und demokratietheoretische Folgerungen, Wiesbaden 2001, S. 392.
[10] Vgl.: Schlösser, Hans-Jürgen: Wachstum und Strukturen in fachdidaktischer Perspektive, in: Althammer, Jörg (u.a. Hg.): Handbuch ökonomisch-politische Bildung, Schwalbach/Ts. 2007, S. 223-238, hier: S. 227 f.
[11] Vgl.: Klein, Ansgar und Speth, Rudolf: Demokratische Grundwerte in der pluralisierten Gesellschaft - Zum Zusammenspiel von politischen Verfahren und bürgerschaftlichem Engagement, in: Breit, Gotthard und Schiele, Siegfried (Hg.): Werte in der politischen Bildung, Band 22, Schwalbach/Ts. 2000, S. 30-55, hier: S. 32-35.
[12] Vgl.: Scheuch, Erwin: Sozialer Wandel, Theorien des sozialen Wandels, Band 1, Wiesbaden 2003, S. 9-14.
[13] Vgl.: Jäger, Wieland und Weinzierl, Ulrike: Moderne soziologische Theorien und sozialer Wandel, 2. Auflage, Wiesbaden 2011, S. 13.
[14] Vgl.: Falck, Oliver: Beschäftigung in wirtschaftswissenschaftlicher Perspektive, S. 239 ff.
[15] Vgl.: Geißler, Rainer: Struktur und Entwicklung der Bevölkerung, in: Bundeszentrale für politische Bildung (Hg.): Informationen zur politischen Bildung – Sozialer Wandel in Deutschland, Heft 324, Bonn 2014, S. 4-9, hier: S. 4 ff.
[16] Vgl.: Falck, Oliver: Beschäftigung in wirtschaftswissenschaftlicher Perspektive, S. 239 f.
[17] Vgl.: Hradil, Stefan: Die „Single-Gesellschaft, München 1995, S. 96.
[18] Vgl.: Huinink, Johannes u.a. (Hg.): Familiensoziologie – Eine Einführung, Frankfurt / Main 2007, S.71.
[19] Vgl.: Nave-Herz, Rosemarie: Familie zwischen Tradition und Familie – Ausgewählte Beiträge zur Familiensoziologie, Oldenburg 2003, S. 203.
[20] Vgl.: FAZ Net: Frauenquote womöglich verfassungswidrig, in: FAZ NET, 01.11.2014. http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/wirtschaftspolitik/rechtsgutachten-der-stiftung-familienunternehmen-frauenquote-verstoesst-womoeglich-gegen-grundgesetz-13242628.html; Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Bonn 2009, S. 11 (abgerufen am 13.2.2015).
[21] Vgl.: Ministerium für Schule und Weiterentwicklung: Richtlinien und Lehrpläne, S. 16; 24 f.
[22] Vgl.: Ministerium für Schule und Weiterentwicklung des Landes NRW (Hg.): Vorgaben zu den unterrichtlichen Voraussetzungen für schriftliche Prüfungen im Abitur in der gymnasialen Oberstufe im Jahr 2016. Vorgaben für das Fach Sozialwissenschaften, S. 2.
[23] Vgl.: Schulinternes Curriculum des Faches Sozialwissenschaften des Gymnasiums.
[24] Vgl.: Ebenda.
[25] Anmerkung: Der Kompetenzlehrplan (KLP) für die Qualifikationsphase 1/2 in Sozialwissenschaften tritt ab dem Schuljahr 2015/2016 in Kraft.
[26] Kernlehrplan für die Sekundarstufe II – Gymnasium/Gesamtschule in Nordrhein-Westfalen, Sozialwissenschaften, Düsseldorf 2013, S. 36.
[27] Ebenda.
[28] Vgl.: Gymnasium: Schulinternes Curriculum, S. 3f.
[29] Vgl.: Spiegel-Online: Gleichberechtigung - Die Positionen der Parteien zur Frauenquote, in: Spiegel-Online, 15.4.2013. http://www.spiegel.de/politik/deutschland/positionen-der-parteien-zur-frauenquote-a-894467.html (abgerufen am 14.2.2015); Prantl, Heribert: Rechts von der CDU wächst die Konkurrenz, in: Süddeutsche Zeitung, 1.9.2014. http://www.sueddeutsche.de/politik/alternative-fuer-deutschland-rechts-von-der-cdu-waechst-die-konkurrenz-1.2110227 (abgerufen am 14.2.2015).
[30] Vgl.: ZEIT ONLINE: Was bringt die Frauenförderung?, in: ZEIT ONLINE 13.1.2015. http://www.zeit.de/karriere/beruf/2014-12/frauen-foerder-programme-wirksamkeit/komplettansicht (abgerufen am 14.2.2015).
[31] Vgl.: Geißler, Rainer: Ungleichheiten zwischen Frauen und Männern, in: Bundeszentrale für politische Bildung (Hg.): Informationen zur politischen Bildung – Sozialer Wandel in Deutschland, Heft 324, Bonn 2014, S. 64-73, hier: S. 64 ff.
[32] Anmerkung: Deutsche Aktienindex (DAX) - Unternehmen, die an der Frankfurter Wertpapierbörse notiert sind.
[33] Vgl.: Pichler, Roland: Die Union schwächt die Frauenquote ab, in Stuttgarter Zeitung. de, 28.11.2014. http://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.wirtschaftsfluegel-setzt-sich-durch-die-union-schwaecht-die-frauenquote-ab.fd6a8c52-7e9d-4162-9f7f-75cb82528681.html (abgerufen am 14.2.2015).
[34] Vgl.: FAZ Net: Frauenquote, in: FAZ Net, 1.11.2014. http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/wirtschaftspolitik/rechtsgutachten-der-stiftung-familienunternehmen-frauenquote-verstoesst-womoeglich-gegen-grundgesetz-13242628.html (abgerufen am 15.2.2015); Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Bonn 2009, S. 11.
[35] Vgl.: Daniel Heinrich: Gleichberechtigung oder Wirtschaftsbremse?, in: Deutsche Welle.de, 10.12.2014. http://www.dw.de/gleichberechtigung-oder-wirtschaftsbremse/a-18121551 (abgerufen am 15.2.2015).
[36] Vgl.: Roßmann, Robert: Union hält Frauenquote für Belastung der Wirtschaft, in: Süddeutsche Zeitung, 14.10.2014. http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/ueberraschender-koalitionsstreit-union-haelt-die-frauenquote-fuer-belastung-der-wirtschaft-1.2173107 (abgerufen am 15.2.2015).
[37] Kayser, Jörg und Ulrich Hagemann (Hg.): Urteilsbildung im Geschichts- und Politikunterricht, Bonn 2005, S. 3.
[38] Vgl.: Reinhardt, Sibylle: Politik Didaktik, Berlin 2012 S. 149–153.
[39] Vgl.: Lange, Dirk: Politikbewusstsein und Politische Bildung, in: Lange, Dirk (Hg.): Konzeptionen Politische Bildung, Handbuch für den sozialwissenschaftlichen Unterricht, Band I, Baltmanssweiler 2010, S. 205-213, hier S. 205–208.
[40] Vgl.: Sander, Wolfgang: Sieben Regeln der Urteilsbildung. http://egora.uni-muenster.de/pbnetz/bindata/siebenregelntext.pdf (abgerufen am 18.2.2015).
[41] Vgl.: Klafki, Wolfgang: Neue Studien zur Bildungstheorie und Didaktik, Zeitgemäße Allgemeinbildung und kritisch-konstruktive Didaktik, 4. Auflage, Weinheim 1996 S. 63 f.
[42] Vgl.: Breit, Gotthard und Weißeno, Georg: Planung des Politikunterrichts - Eine Einführung, Schwalbach 2003, S. 14-20.
[43] Vgl. Grundgesetz, S. 11.
[44] Anmerkung: Die beiden Kategorien „Effizienz und Legitimität“ sind zwar von essenzieller Bedeutung für die politische Urteilsbildung. Jedoch darf die kategoriale Urteilsbildung sich nicht nur auf die beiden Kategorien beschränken. Vielmehr sind weitere Kategorien wie Moral, Macht, Zumutbarkeit, Plausibilität, Überprüfbarkeit, Gleichheit und Nachhaltigkeit einzubeziehen. Vgl.: Sutor, Bernhard: Rationale politische Urteilsbildung – Politische Bildung auf der Grundlage praktischer Politikwissenschaft bei Bernhard Sutor, in: May, Michael und Schattschneider, Jessica: Klassiker der Politikdidaktik neu gelesen, Schwalbach/Ts. 2011, S.142-166, hier: S. 148 ff.
[45] Vgl.: ZEIT ONLINE: Gehaltsunterschied: Frauen bekommen 22 Prozent weniger Lohn als Männer, in: ZEIT ONLINE, 18.3.2014. http://www.zeit.de/karriere/beruf/2014-03/lohn-unterschied-gender-pay-gap-bezahlung (abgerufen am 18.2.2015).
- Arbeit zitieren
- N. H. (Autor:in), 2015, Frauenquote in den Führungspositionen. Chance oder Problem?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/304696
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