Analog zum zunehmenden Voranschreiten des Zivilisationsprozesses innerhalb einer Gesellschaft kommt es zur kontinuierlichen Verstärkung der Ambivalenz zwischen Emotionalität und Brutalität. Während in vielen ärmeren ländlichen Gebieten der Erde menschliches und tierisches Wohlergehen noch miteinander einher gehen, zeigt sich in den westlich-industrialisierten Ländern ein hochgradig zerrissenes Bild: Schlachthöfe automatisieren und ökonomisieren ihren Betrieb; gleich um die Ecke werden Tiersalons, Kostümläden, Praxen und Schulen für Tiere errichtet. Hier hat der Mensch das Tier domestiziert und benötigt es fortan nur noch zum „[B]etüddeln“.
Schlägt man sodann die Zeitung auf und liest von der Forderung nach „Grundrechte[n] für Menschenaffen“, ist es durchaus legitim, danach zu fragen, welcher Floh den Menschen da wohl geritten haben muss. Es scheint, als würde der Durchschnittsbürger den Widerspruch im eigenen Denken und Handeln nicht bemerken. Von Situation zu Situation modifiziert er seine Einstellung wie ein Chamäleon, das sich trotz schwarz-weiß gesprenkelter Umgebung nicht von der Gesellschaft abzuheben vermag.
Aber woher nimmt sich die Krone der Schöpfung all die Rechte und das Selbstbewusstsein? Gibt es eine Kluft zwischen Mensch und Tier, die von beiden Seiten weder durch Vormachen und „Nachäffen“, noch durch angeborene Eigenschaften, höhere Mächte oder biologisch-phylogenetischen Zufallsschwankungen überwunden werden kann? Oder macht sich der Mensch durch derartigen Übereifer bloß zum Affen und hat die Krone gar wie eine diebische Elster den Tieren gestohlen? Hat er seinen vermeintlich hohen Status vielleicht sogar denselben zu verdanken und steht womöglich auf deren Stufe, holt man ihn erst von seinem hohen Ross?
All diese Überlegungen stellen eine Art Bauplan für die Konstruktion klassifizierender Natur- oder Biosysteme dar, die die verschiedensten Bestandteile eines Organismus in Beziehung zueinander erfassen.
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
1 Aktualität und Ambivalenz der Mensch-Tier-Beziehung
2 Charakterisierung der Mensch-Tier-Beziehung zwischen Bibel und Früher Neuzeit
2.1 Die Frühe Neuzeit – Ordnungssysteme und die Entdeckung der Kindheit
2.1.1 Wilde Kinder – Beschreibung, Abgrenzung und das aufkommende Interesse an ihren raren Quellen durch die zeitgenössische Wissenschaft
3 Einbindung der Wilden Kinder in den neuzeitlichen Diskurs über Wesen und Wertigkeit des Menschen
3.1 Gestaltwandel der Erziehung am Beispiel Locke
3.2 Das „Systema Naturae“ von Linne. Versuch einer übersichtlichen und überdauernden Gliederung der Natur
3.2.1 Folgen des Systema Naturae für die Erziehung
4 Analyse der literarischen Klassifikation der Wolfskinder von Midnapur als Beispiel der Moderne
4.1 Erzieherische Konsequenzen für die Wilden Kinder
4.2 Erzieherische Konsequenzen der Wilden Kinder
4.2.1 Intersystemischer Interpretationsspielraum – eine Konklusion
5 Darstellung der Ergebnisse und Ausblick
Literaturverzeichnis
- Quote paper
- Nadine Melzner (Author), 2015, Menschen, Tiere, wilde Kinder? Frühe Erziehung im Kontext zeitgeschichtlicher Natursystementwürfe, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/304409
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