Warum gibt es keinen weiblichen Leonardo da Vinci, Tizian oder Poussin? Das fragte Australiens bekannteste Feministin, die Schriftstellerin, Journalistin und Historikerin Germaine Greer, in ihrem Buch „Das unterdrückte Talent“ über bedeutende Malerinnen. Sie erklärte dieses Phänomen mit der durch die männliche Dominanz gebrochenen Persönlichkeit.
In Wirklichkeit traten in der Geschichte der Kunst immer wieder Malerinnen auf, die wahre Meisterwerke schufen. Man denke nur an die Italienerin Sofonisba Anguissola, die Mexikanerin Frida Kahlo, die Schweizerin Angelica Kauffmann, die Deutsche Paula Modersohn-Becker, die Französin Séraphine oder die Russin Marianne Wladimirovna von Werefkin.
Die Gemälde von Sofonisba Anguissola beeindruckten sogar den genialen italienischen Bildhauer, Maler, Baumeister und Dichter Michelangelo. Er stellte ihr die schwierige Aufgabe, einen weinenden Jungen zu zeichnen. Sofonisba löste dies bravourös mit dem Motiv des „Knaben, der von einem Krebs gezwickt wird“.
Zu den berühmtesten Porträt- und Historienmalerinnen des 18. Jahrhunderts gehört zweifellos Angelica Kauffmann. Der deutsche Theologe und Dichter Johann Gottfried Herder lobte sie mit den Worten: „Bei aller demütigen Engelsklarheit und Unschuld ist sie vielleicht die kultivierteste Frau in Europa“.
Frida Kahlo gebührt die Ehre, Lateinamerikas berühmteste Malerin zu sein. Ihr Leben und ihre Kunst wurden von Kindheit an durch Krankheiten, Schmerzen und Operationen geprägt. Die „Malerin der Schmerzen“ gilt als Bahnbrecherin einer weiblichen Ästhetik und gehört zu den Kultfiguren der feministischen Ideologie.
Das Taschenbuch „Superfrauen 9 – Malerei und Fotografie“ präsentiert insgesamt 15 Biographien aus den Bereichen Malerei, Design, Graphik, Objektkunst, Plastik, Wachsbildnerei und Fotografie.
Dank
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
VORWORT
Frauen als große Meister
Warum gibt es keinen weiblichen Leonardo da Vinci, Tizian oder Poussin? Das fragte Australiens bekannteste Feministin, die Schrift- stellerin, Journalistin und Historikerin Germaine Greer, in ihrem Buch „Das unterdrückte Talent“ über bedeutende Malerinnen. Sie erklärte dieses Phänomen mit der durch die männliche Dominanz gebrochenen Persönlichkeit.
In Wirklichkeit traten in der Geschichte der Kunst immer wieder Malerinnen auf, die wahre Meisterwerke schufen. Man denke nur an die Italienerin Sofonisba Anguissola, die Mexikanerin Frida Kahlo, die Schweizerin Angelica Kauffmann, die Deutsche Paula Modersohn- Becker, die Französin Séraphine oder die Russin Marianne Wladi- mirovna von Werefkin.
Die Gemälde von Sofonisba Anguissola beeindruckten sogar den genialen italienischen Bildhauer, Maler, Baumeister und Dichter Michelangelo. Er stellte ihr die schwierige Aufgabe, einen weinenden Jungen zu zeichnen. Sofonisba löste dies bravourös mit dem Motiv des „Knaben, der von einem Krebs gezwickt wird“.
Zu den berühmtesten Porträt- und Historienmalerinnen des 18. Jahrhunderts gehört zweifellos Angelica Kauffmann. Der deutsche Theologe und Dichter Johann Gottfried Herder lobte sie mit den Worten: „Bei aller demütigen Engelsklarheit und Unschuld ist sie vielleicht die kultivierteste Frau in Europa“.
Frida Kahlo gebührt die Ehre, Lateinamerikas berühmteste Malerin zu sein. Ihr Leben und ihre Kunst wurden von Kindheit an durch Krankheiten, Schmerzen und Operationen geprägt. Die „Malerin der Schmerzen“ gilt als Bahnbrecherin einer weiblichen Ästhetik und gehört zu den Kultfiguren der feministischen Ideologie.
Das Taschenbuch „Superfrauen 9 -- Malerei und Fotografie“ präsentiert insgesamt 15 Biographien aus den Bereichen Malerei, Design, Graphik, Objektkunst, Plastik, Wachsbildnerei und Fotografie.
MALEREI
Sofonisba Anguissola
Die erste Malerin
der Neuzeit
Z
u den bedeutendsten Malerinnen des 16. und 17. Jahrhunderts gehörte die italienische Künstlerin Sofonisba Anguissola (um 1535-1625), nach anderer Schreibweise auch Anguisciola. Ihre Werke fanden bereits zu ihren Lebzeiten den Gefallen von großen Meistern und reichen Adligen. Dank ihres Talents konnte Sofonisba als Zeichenlehrerin am spanischen Königshof nicht nur ihren eigenen Unterhalt, sondern auch den ihrer Eltern verdienen. Man bezeichnet sie als erste Malerin der Neuzeit.
Sofonisba Anguissola kam um 1535 als ältestes von sieben Kindern des Amilcare Anguissola und seiner Frau Bianca Ponzoni in Cremona (Oberitalien) zur Welt. Das von vielen Autoren auf 1527/1528 festgelegte Geburtsjahr beruht auf der falschen Aussage des flämischen Malers Anton van Dyck (1599-1641), der Sofononisba 1624 kennen lernte und als „96-jährig, blind, aber von lebendigem Verstand“ bezeichnete.
Sofonisbas fünf Schwestern hießen Anna Maria, Elena, Europa, Lucia und Minerva. Ihr jüngster Bruder trug den Vornamen Asdrubale. Von ihrem Vater wurde Sofonisba bereits mit zehn Jahren zusammen mit ihrer Schwester Elena für drei Jahre in die Lehre zu dem manieristischen Maler Bernardino Campi (1522-1591) in Cremona geschickt. Der Entschluss Amilcares, seine Töchter als Malerinnen ausbilden zu lassen, war damals eine Sensation. 1549 setzte Sofonisba ihr Studium bei dem Maler Bernardino Gatti, genannt Il Sojaro (um 1495-um 1575), fort.
Amilcare Anguissola reiste mit Sofonisba sowie ihren Zeichnungen und Selbstporträts zu den Adelshöfen in Mantua, Ferrara und Parma. Ihre Werke beeindruckten sogar den berühmten italienischen Bildhauer, Maler, Baumeister und Dichter Michelangelo (1475-1564). Er stellte Sofonisba die besonders schwierige Aufgabe, einen weinenden Jungen zu zeichnen. Sie löste dies bravourös mit dem Motiv des „Knaben, der von einem Krebs gezwickt wird“.
Auch die Künstler Giorgio Vasari (1511-1574), Francesco Salviati (1510-1563) und Antoine Caron (1521-1599) wussten Sofonisbas Gemälde zu schätzen. Als Beweis ihrer Anerkennung gilt ihre Aufnahme in die zweite Auflage der Künstlerbiographie Vasaris, die 1568 erschienen. Sofonisba genoss in Italien und im Ausland hohes Ansehen und stand mit Herrschern, Literaten und Künstlern in Verbin- dung.
Die väterlichen Investitionen in die Zukunft von Sofonisba Angouissola machten sich bezahlt. 1559 war die 24-Jährige zu Gast am Hof des Vizekönigs Duca di Sessa in Mailand, von wo aus man sie 1560 nach Madrid an den königlichen Hof geleitete. Dort diente sie Isabella von Valois (1546-1568), der jungen Braut des spanischen Thronfolgers Philipp II. (1527-1598), als Hofdame und Zeichenlehrerin. Dafür erhielt Sofonisba nicht nur eine jährliche Rente für sich selbst, sondern auch für ihre Eltern.
Von Sofonisba blieben auch Zeugnisse ihres Schriftwechsels erhalten. Dazu gehören ein am 16. September 1561 in Madrid verfasster Brief an Papst Pius IV. (1499-1565) und ein am 21. Oktober 1561 ebenfalls in Madrid zu Papier gebrachter Brief an Bernardino Campi. Nach dem Tod Isabellas 1568 blieb Sofonisba Anguissola am spanischen Hof. Deren Nachfolgerin, die Erzherzogin Anna von Österreich (1549- 1580), wusste ebenfalls ihre Gesellschaft und ihre Kunst zu schätzen. Während ihres Aufenthalts bei Hofe verhielt sich Sofonisba stets untadelig und zurückhaltend.
Als Sofonisba Anguissola etwa 45 Jahre alt war, bot der spanische König ihr bei der Suche nach einem Ehemann seine Hilfe an. Doch sie wollte einen Italiener und keinen Spanier heiraten. Um 1571 vermählte sich Sofonisba mit dem Bruder des Prinzen von Paterno auf Sizilien, Fabrizio von Moncada. Das Paar lebte auf Sizilien. Der Gatte ertrank 1576 bei einem Piratenüberfall auf ein Schiff, mit dem er nach Spanien fahren wollte.
Nach dem Tod ihres ersten Mannes verließ Sofonisba zu einem nicht genau bekannten Zeitpunkt Sizilien. Sie heiratete in Genua, wo ihre Existenz ab 1578 belegt ist, den adligen Schiffskapitän Orazio Lomellino (1532-1625), mit dem sie zunächst in dessen Heimatstadt Genua und später in Palermo (Sizilien) lebte.
Während Sofonisba Anguissolas Zeit in Cremona bis 1559 entstanden unter anderem das Porträt des jungen Bernardino Campi, der gerade Sofonisba malt (um 1559), Selbstbildnisse (1554 bis 1559), das Gemälde „Heilige Familie“ (1559, „Ruhe auf der Flucht nach Ägypten“) sowie die Hauptwerke „Schachpartie“ (1555) und „Gruppenbild der Familie Anguissola“ (um 1558).
Während des Aufenthaltes von 1560 bis vermutlich 1571 in Spanien schuf Sofonisba Porträts der königlichen Familie. Aus dieser Zeit stammen das Selbstbildnis am Spinett mit Amme (um 1561) und das Selbstbildnis in der Brera (um 1561). Sehr selten sind gesicherte Werke der letzten Schaffensperiode (nach 1580), zu denen die „Madonna Lactans“ (1588) und das nach 1599 entstandene Porträt der Infantin Isabella Clara Eugenia (1566-1633), der späteren Erzherzogin von Österreich, gehören.
Der flämische Maler Anton van Dyck besuchte die erblindete Sofonisba Anguissola 1624 ein Jahr vor ihrem Tod in Palermo. Dabei fertigte er eine Skizze von ihr an, die in seinem „Italienischen Reisebuch“ enthalten ist. Sofonisba wies ihn darauf hin, dass bei einem bestimmten Lichteinfall die Falten in ihrem Gesicht nicht ganz so scharfe Schatten werfen würden. Van Dyck lobte sie, er habe von ihr mehr gelernt als durch das Studium der vortrefflichen Meister.
Im November 1625 starb Sofonisba Anguissola in Palermo. Ihr Mann Orazio Lomellino ließ auf den Grabstein meißeln, seine Gattin habe durch ihre Vornehmheit, ihre Schönheit und außerordentlichen Gaben zu den berühmtesten Frauen der Welt gehört und sie sei im Darstellen des menschlichen Gesichts so vorzüglich gewesen, dass niemand zu ihrer Zeit gleich geschätzt worden sei.
Frida Kahlo
Die „Malerin
der Schmerzen“
D
er Ruhm, Lateinamerikas berühmteste Malerin zu sein, gebührt der mexikanischen Künstlerin Frida Kahlo (1907-1954). Ihr Leben und ihre Kunst wurden von Kindheit an durch Krankheiten, Schmerzen und Operationen geprägt. Als das bekannteste unter ihren ingesamt 271 Werken zählt das Selbstbildnis „Die gebrochene Säule“. Die „Malerin der Schmerzen“ gilt als Bahnbrecherin einer weiblichen Ästhetik und gehört zu den Kultfiguren der feministischen Ideologie. Frida Kahlo erblickte am 6. Juli 1907 im Stadtteil Coyoacán von Mexiko City das Licht der Welt. Sie war die Tochter eines aus Ungarn stammenden deutschen Juden, der aus Baden-Baden emigrierte, und einer Mexikanerin, in deren Adern spanisches und indianisches Blut floss.
1910 brach die mexikanische Revolution aus. Mit diesem Ereignis identifizierte sich Frida Kahlo später so stark, dass sie 1910 als ihr Geburtsdatum angab. Als Sechsjährige erkrankte Frida an Kinderlähmung, worauf ein Bein im Wachstum zurückblieb. Fortan hatte sie wegen der mit diesem Leiden verbundenen Behinderungen in der Schule unter manchem Spott zu leiden.
Die zierliche und temperamentvolle Frida bereitete sich auf das Medizinstudium vor, als sie im September 1925 in Mexiko-City beim Zusammenprall einer Straßenbahn mit einem Bus, in dem sie saß, folgenschwere Verletzungen erlitt. Dabei wurden ihre Wirbelsäule, ihr Schlüsselbein, ihre Rippen, ihr Becken und ihr bereits verkümmertes Bein mehrfach gebrochen. Nach dem Unfall bis zum Tod musste Frida insgesamt 32 Operationen und acht Korsetts ertragen. 1929 heiratete die 22-jährige Frida Kahlo in einer Vorstadt von Mexiko- City den 20 Jahre älteren Künstler Diego Rivera (1886-1957). Für den Bräutigam war es bereits die dritte Ehe. Die Verbindung wurde von Frida als „die Hochzeit zwischen einem Elefanten und einer Taube“ empfunden.
Das Ehepaar wohnte in Coyoacán hinter blau getünchten Mauern im „Blauen Haus“. Im Garten lebten Affen, Hunde, Rehe und Papageien. Diego Rivera betrog Frida Kahlo fortgesetzt, auch Frida stürzte sich bald in Affären. Frida und Diego waren überzeugte Kommunisten. Rivera schmückte mit revolutionärem Elan die öffentlichen Gebäude Mexikos mit monumentalen Wandbildern.
Als 1937 der russische Revolutionär Leo Trotzki (1879-1940) mit seiner Frau nach Mexiko kam, nahm Frida Kahlo ihn bei sich auf, worüber Diego Rivera eifersüchtig getobt haben soll. Trotzki hielt sich während seines Exils in Mexiko zwei Jahre lang im „Blauem Haus“ in Coyoacán auf und wurde zeitweise Fridas Geliebter. Nach seinem Auszug ließ Trotzki sein neues Domizil zur Festung ausbauen, trotzdem ermordete man ihn an seinem Schreibtisch.
Die Ehe von Frida Kahlo und Diego Rivera wurde 1939 auf Wunsch des Mannes geschieden. Aus Kummer über die Trennung schuf Frida ihr „Selbstbildnis mit abgeschnittenem Haar“ (1940): Frida hat sich ihr von Diego geliebtes langes Haar abgeschnitten, das auf dem Bild in Büscheln auf dem Fußboden liegt, und die ansonsten von ihr bevorzugte Tracht mexikanischer Frauen mit einem Herrenanzug vertauscht.
Als Frida Kahlo und Diego Rivera erkannten, wie sehr sie beide einander brauchten, heirateten sie 1940 zum zweiten Mal. Auch nach der Wiedervermählung kam es immer wieder zu Seitensprüngen Diegos, der als klassischer „Macho“ einerseits offen seine Frau betrog, andererseits aber mit der Pistole herumfuchtelte, wenn ein Rivale auftauchte. Die Liebe Fridas zu Diego und ihre turbulente Ehe bildeten ein wichtiges Thema ihrer Kunst.
Seit 1944 führte Frida Kahlo ein gemaltes Tagebuch, in dem sie eine Brücke zwischen dem Schmerz ihres Körpers und der Herrlichkeit der Welt schlug. Die Malerei entwickelte sich für sie zur Überlebensstrategie: Dabei fand sie Trost, indem sie ihre Qualen mit expressiver Kraft auf die Leinwand bannte.
Nach einer Operation malte Frida Kahlo 1944 ihr Selbstporträt „Die gebrochene Säule“. Es zeigt ihren in der Mitte aufgebrochenen Körper, den ein orthopädisches Korsett zusammenhält. Durch den Riss ist ihre Wirbelsäule sichtbar, die durch eine zerbröckelte ionische Säule, auf deren Kapitell ihr Kinn ruht, dargestellt wird. Nägel, die in ihre nackte Haut geschlagen sind, veranschaulichen ihre Qual.
1946 entstand Frida Kahlos Doppelporträt „Baum der Hoffnung bleibe stark“. Das Motiv: Auf dem Krankenbett sitzt neben der am Rücken Aufgeschnittenen eine weitere Frida in rotleuchtender mexikanischer Tracht. Dieses Bild verkörpert ihren Lebenswillen, der über die Verletzte wacht. Andere Gemälde Fridas geben traumatische Erlebnisse wider, die alle Frauen betreffen können, wie etwa die Darstellung einer ihrer Fehlgeburten auf dem Werk „Henry Ford Hospital“.
Die eigenwillige Künstlerin wehrte sich dagegen, von der Fachwelt als Surrealistin bezeichnet zu werden. Sie legte großen Wert darauf, niemals Träume, sondern ihre Realität gemalt zu haben. Aber da sie sich nicht mit der Darstellung der Wirklichkeit begnügte, wenn sie beispielsweise auf dem Bild „Der verletzte Hirsch“ einem von Pfeilen getroffenen Hirsch ihr Gesicht gab, rechnen Experten ihren Stil dem „Phantastischen Realismus“ zu.
Ab 1950 verschlechterte sich der Gesundheitszustand von Frida Kahlo drastisch. Nach mehreren Operationen malte sie im Liegen weitere Bilder. 1953 musste ihr rechtes Bein wegen Wundbrand amputiert werden. Danach ließ sie sich ein Paar rote Luxusstiefel mit chinesischen Goldverzierungen und kleinen Schellen anfertigen.
1953 erlebte Frida Kahlo die erste Einzelausstellung ihrer Werke in Mexiko. Ihr letztes Bild präsentiert ein Stilleben mit Wassermelonen, unter das sie mit blutroter Farbe schrieb: „Viva la Vida“ („Es lebe das Leben“). Ein letztes Foto von 1954 zeigt sie im Rollstuhl sitzend bei einer politischen Demonstration in Guatemala.
Frida Kahlo starb am 13. Juli 1954 im Alter von nur 47 Jahren in ihrem Geburtsort Coyoacán. Diego Rivera zog nach ihrem Tod in einen anderen Stadtteil um. Er sagte über Frida: „Sie ist die einzige Frau in der Geschichte der Kunst, die mit absoluter und schonungsloser Aufrichtigkeit, und man könnte sagen, mit ruhiger Gewalt, diejenigen allgemeinen und besonderen Themen aufgriff, die ausschließlich Frauen betreffen.“
Angelica Kauffmann
Die Schweizer Porträtmalerin
Z
u den berühmtesten Porträt- und Historienmalerinnen des 18. Jahrhunderts zählt die aus der Schweiz stammende Künstlerin Angelica Kauffmann (1741-1807). Ihre Porträtkunst wurde von englischen Malern beeinflusst. Bei der Wahl ihrer historischen Mo- tive bevorzugte sie Themen aus der Antike und zeitgenössischen Literatur. Der deutsche Theologe und Dichter Johann Gottfried Herder (1744-1803) lobte sie mit den Worten: „Bei aller demütigen Engelsklarheit und Unschuld ist sie vielleicht die kultivierteste Frau in Europa“.
Maria Anna Angelica Catharina Kauffmann kam am 30. Oktober 1741 als einziges Kind des aus Vorarlberg (Österreich) stammenden Malers Joseph Johann Kauffmann (1707-1782) und seiner zweiten Frau Cleopha Luz (1717-1757) in Chur im schweizerischen Kanton Graubünden zur Welt. Von ihrem Vater lernte sie bereits im Kindesalter die Kunst der Malerei. Früh arbeitete das malende „Wunderkind“ an Aufträgen des Vaters mit.
Mit neun Jahren schuf Angelica die ersten Porträts in Pastell. In dieser Technik malte sie 1752 ein Porträt des Bischofs von Como, Monsignore Nevrone. Ihr künstlerisches Vorbild war die damalige venezianische Malerin Rosalba Carriera (1675-1757). Mit ihrer musikalischen Begabung und ihrer Stimme hätte Angelica auch als Sängerin eine Karriere machen können, doch für eine entsprechende Ausbildung fehlte vermutlich das Geld.
Nach dem frühen Tod von Angelicas Mutter reisten der Vater und seine Tochter umher, um Aufträge auszuführen. In Schwarzenberg im Bregenzer Wald (Vorarlberg) beispielsweise malten beide gemeinsam die Pfarrkirche aus. Ab 1762 begleitete Angelica ihren Vater auf Reisen durch Italien. Dort studierte und kopierte sie die Werke der alten Meister. Schon 1762 wurde sie Mitglied der Akademie in Florenz und später - 1765 - auch der „Academia di San Luca“ in Rom.
1763 kamen Joseph Johann Kauffmann und seine Tochter nach Rom. Dort lernte Angelica den deutschen Archäologen und Kunstgelehrten Johann Joachim Winckelmann (1717-1768) kennen, der sie mit der Welt der Antike vertraut machte und in die Gesellschaft einführte. Winckelmann gilt mit seinem Hauptwerk „Geschichte der Kunst des Altertums“ (1764) als Begründer der Archäologie.
Erheblichen Einfluss auf Angelica Kaufmanns künstlerische Arbeit übte der in Rom arbeitende deutsche Maler Anton Raffael Mengs (1728- 1779) aus. Fortan vereinigten ihre Werke sowohl die klassische Gemessenheit als auch die Leichtigkeit der Rokokomalerei. In der italienischen Hauptstadt fertigte Angelica vor allem für reiche Engländer Porträts an. Eine Zeit lang war sie mit dem britischen Maler Nathaniel Dance (1735-1811) verlobt.
Der Empfehlung englischer Freunde folgend, reiste Angelica Kauff- mann im Juni 1766 nach London, wohin ihr der Vater bald nach- folgte. In der britischen Hauptstadt gehörte sie bald den besseren Kreisen an und wurde regelrecht mit Aufträgen überhäuft. Die füh- renden englischen Porträtmaler Thomas Gainsborough (1727-1788) und Sir Joshua Reynolds (1723-1792) beeinflussten sie bei ihren Einzelporträts und Gruppenbildern. Mit Reynolds hatte sie vielleicht eine Affäre.
1767 heiratete Angelica den vermeintlichen schwedischen Grafen Horn, der sich jedoch als geldgieriger Schwindler entpuppte. Ein Jahr später - 1768 - kam es bereits zur Scheidung. Damals genoss sie künstlerisch schon ein so hohes Ansehen, dass sie zu den 36 Gründungsmitgliedern der „British Royal Academy of Arts“ gehörte. Vor 1781 entstand ein Selbstbildnis, das im Goethemuseum in Frankfurt am Main aufbewahrt wird.
Im Sommer 1781 ehelichte Angelica Kauffmann - auf Wunsch ihres Vaters - den italienischen Maler Antonio Zucchi (1728-1795). Wenige Tage nach der Trauung verließen das Paar und Joseph Johann Kauffmann bereits London und reisten zur Familie des Bräutigams nach Venedig. Bald nach dem Tod des Vaters, der im Januar 1782 an den Folgen einer Erkältungskrankheit starb, zog das Ehepaar Zucchi nach Rom und kaufte dort das ehemalige Haus des erwähnten Malers Anton Raffael Mengs. Das Haus der Zucchis in Rom entwickelte sich bald zu einem beliebten Treffpunkt für Fürsten, Künstler und Gelehrte. Zu ihren Gästen gehörten unter anderem der erwähnte Archäologe und Kunstgelehrte Johann Joachim Winckelmann, der Theologe und Dichter Johann Gottfried von Herder, der Dichter Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832) sowie nach Rom reisende Adlige, obwohl sich nicht jeder von ihnen ein teures Gemälde leisten konnte.
In der „Liechtensteinischen Staatlichen Kunstsammlung Vaduz“ ist das 1783 von Angelica Kauffmann angefertigte Porträt von König Ferdinand IV. von Neapel (1751-1825), seiner Frau, Königin Marie, und ihrer sechs Kinder vor dem Hintergrund einer Parklandschaft zu bewundern. Weil das siebte Kind, für das schon ein Platz auf dem Bild vorgesehen war, tot zur Welt kam, übermalte die Künstlerin die für das Neugeborene leergelassene Wiege mit einer Decke.
Von ihrem Mann Antonio Zucchi, der 1795 starb, wurde Angelica Kauffmann tatkräftig unterstützt. Nach seinem Tod verließ seine Witwe die italienische Hauptstadt nur noch kurzfristig.
Am 5. November 1807 starb Angelica Kauffmann im Alter von 66 Jahren in Rom. Sie wurde in der Kirche Sant’Andrea delle Fratte zur letzten Ruhe gebettet. In Österreich zierte zeitweise ihr Selbstporträt eine 100-Schilling-Banknote.
Paula
Modersohn-Becker
Die Vorläuferin
des deutschen Expressionismus
M
it dem Ehrentitel „Pionierin des Expressionismus in Deutschland“ ging die Künstlerin Paula Modersohn-Becker (1876-1907), geborene Minna Hermine Paula Becker, in die Geschichte der Malerei ein. Ihre beliebtesten Motive waren bäuerliche Frauen und Kinder, Selbstbildnisse und Stilleben. Sie vertrat die Auffassung: „Die Stärke, mit der ein Gegenstand erfasst wird (Stilleben, Porträts oder Phantasiegebilde), das ist die Schönheit in der Kunst“. Minna Hermine Paula Becker kam am 8. Februar 1876 in Dresden- Friedrichstadt als drittes von sieben Kindern des Ingenieurs Carl Woldemar Becker (1841-1901) und seiner Frau Mathilde, geborene von Bültzingslöwen, zur Welt. Ihr Vater arbeitete als Bau- und Betriebsinspektor der Berlin-Dresdener-Eisenbahngesellschaft. Von den sieben Kindern der Familie Becker ist eines früh gestorben. Im Alter von zehn Jahren hatte Paula 1886 ein schreckliches Erlebnis: Sie wurde in einer Sandgrube von Hosterwitz bei Dresden beim Spielen zusammen mit anderen Kindern verschüttet. Bei diesem Unfall kam ihre elfjährige Cousine Cora Parizot ums Leben.
1888 wechselte der Vater zur „Preußischen Eisenbahnverwaltung“ nach Bremen. Dort besuchte Paula die private „Töchterbürgerschule Ida Janson“. Im April 1892 reiste die 16-Jährige nach England, wo sie ein Jahr lang bei ihrer Tante Marie und ihrem Onkel Charles Hill auf einem Landgut in Willey unweit von London verschiedene Haushaltsarbeiten und die englische Sprache lernen sollte. Ab Mitte Oktober nahm sie Zeichenunterricht in der „School of Arts“ in London. Damals reifte ihr Entschluss, Malerin zu werden.
Nach den Weihnachtsferien 1892 weigerte sich Paula, nach England zurückzukehren. Ihre Eltern zwangen sie, sich von 1893 bis 1895 am „Lehrerinnenseminar Janson“ in Bremen als Lehrerin ausbilden zu lassen. 1893 unterrichtete sie der Oberbaudirektor Ludwig Franzius (1832-1903), ein Freund ihres Vaters, im Zeichnen und der Bremer Maler Wiegandt (1851-1918) im Malen. Im September 1895 legte sie ihr Lehrerinnenexamen ab, bemühte sich aber anschließend um keine Gouvernantenstelle.
Ab April 1896 nahm Paula an einem sechswöchigen Kurs der Zeichen- und Malschule des „Vereins der Berliner Künstlerinnen und Kunstfreundinnen“ von 1867 teil. In Berlin wohnte sie bei ihrer Tante Paula Rabe, geborene Bültzingslöwen. Im Sommer 1896 reiste sie mit ihrer Tante Marie ins Allgäu und nach München. Danach setzte sie am 12. Oktober 1896 in Berlin ihre Malstudien fort und wohnte bei ihrem Onkel Wulf von Bültzingslöwen in dessen Villa.
Zum Ausklang der Silberhochzeit ihrer Eltern am 11. Juli 1897 unternahm Paula Becker mit den Gästen eine Fahrt nach Worpswede bei Bremen, wo sie den Wunsch äußerte, dort eine Zeitlang malen zu dürfen. Im Juli und August 1897 hielt sie sich erstmals mit ihrer Freundin und Berliner Studienkollegin, Paula Ritter, in Worpswede auf, wo sie unter anderem die Maler Fritz Mackensen (1866-1953) und Fritz Overbeck (1869-1909) kennen lernte. Nach dem ersten Worpsweder Sommer sagte sie glücklich über sich selbst: „Du lebst ja überhaupt, Du Glückliche, lebst intensiv, das heißt: Du malst.“
Am 15. Oktober 1897 - zum Herbstsemester - war Paula Becker wieder in Berlin. Im Juli 1898 kehrte sie nach dem Abschluss der Zeichen- und Malschule nach Bremen zurück. Der zweite Aufenthalt in Worpswede folgte von September 1898 bis Dezember 1899. Diesmal wurde Fritz Mackensen ihr Lehrer und befreundete sie sich mit der Bremer Kaufmannstochter und Bildhauerin Clara Westhoff (1878- 1945).
Im Dezember 1899 stellten Paula Becker und ihre Kollegin Marie Bock (1867-1956) einige Aktzeichnungen und zwei Landschaftsbilder in der „Kunsthalle Bremen“ aus. Darüber fällte der Bremer Kritiker Arthur Fitger (1840-1909) am 20. Dezember in der „Weser-Zeitung“ ein vernichtendes Urteil: „Unsere heutigen Notizen müssen wir leider beginnen mit dem Ausdruck tiefen Bedauerns darüber, dass es so unqualifizierten Leistungen wie den so genannten Studien von Marie Bock und Paula Becker gelungen ist, den Weg in die Ausstellungsräume der Kunsthalle zu finden. Dass so etwas hat möglich sein können, ist sehr zu beklagen“.
Über das Unverständnis ihrer Umwelt war die Künstlerin Paula Becker oft bedrückt. Wie wenig ihre Werke anfangs geschätzt wurden, zeigt auch eine Begebenheit um die Jahrhundertwende. Damals stiftete Paula eines ihrer Bilder für eine Tombola, und das Gemälde wurde zum Hauptgewinn bestimmt. Nach der Ziehung besichtigte der Hauptgewinner das Bild und fragte, ob er es nicht gegen den zweiten Preis, einen Teddybär, umtauschen könne.
In der Silvesternacht 1899 unternahm Paula Becker ihre erste Reise nach Paris. Bei ihren Aufenthalten in der französischen Hauptstadt wurde sie vor allem durch die Werke von Paul Cézanne (1839-1906), Odilon Redon (1840-1916) und Paul Sérusier (1864-1927) angeregt. Im Sommer 1900 forderte Paula Beckers Familie, sie solle Lehrerin werden, was für sie bedeutete, die Malerei aufzugeben, weil sie ihre Kunst nicht nebenbei machen wollte. Als sie auf diese Forderung mit Schwächeanfällen reagierte, verordnete ihr der Arzt eine Liegekur. Daraufhin zog sich Paula nach Worpswede zurück, ruhte sich aus, malte und dachte über den Tod nach.
Für große Aufregung unter den Einwohnern von Worpswede sorgte ein Streich, den Paula Becker und Clara Westhoff am 26. August 1900 verübten: Sie läuteten nachts die Feuerglocken und schreckten die Worpsweder aus dem Schlaf. Als Wiedergutmachung mussten beide in der Kirche Malereien ausführen.
Am 12. September 1900 verlobte sich Paula Becker heimlich mit dem Maler Otto Modersohn (1865-1943), der sich 1899 in Worpswede niedergelassen hatte und dessen erste Frau Helene Schröder wenige Monate zuvor - am 14. Juni 1900 - gestorben war. Die Hochzeit wurde am 25. Mai 1901 (Pfingsten) wegen der Krankheit ihres Vaters in der elterlichen Wohnung in Bremen geschlossen. Der Bruder des Bräutigams, Pastor Ernst Modersohn, nahm die Trauung vor. Die Hochzeitsreise ging nach München, Prag, Berlin und ins Riesengebirge. In Schreberhau war das Paar bei den Brüdern Carl Hauptmann (1858- 1921) und Gerhart Hauptmann (1862-1946) zu Gast. Im Dezember 1901 starb der Vater.
Im Februar und März 1903 hielt sich Paula Modersohn-Becker zum zweiten Mal in Paris auf. Damals besuchte sie auch das Atelier des französischen Bildhauers Auguste Rodin (1840-1917) in Meudon. Von Februar bis April 1905 folgte ein dritter Aufenthalt in Paris, wo damals auch ihre Schwester Herma wohnte.
Am 23. Februar 1906 brach Paula Modersohn-Becker erneut nach Paris auf. Dort besuchte sie am 2. Mai 1906 erstmals den deutschen Bildhauer und Baumeister Bernhard Hoetger (1874-1943) in dessen Atelier, der ihr zwei Tage später einen Gegenbesuch in ihrem Atelier abstattete. Seine anerkennenden Worte über Paulas Arbeiten „Es sind alles große Werke“ lösten intensive Aktivitäten auf. Es war die Zeit, in der die Mutter-Kind-Bilder, Selbstbildnisse und Stilleben entstanden.
Am 3. September 1905 bat Paula ihren Mann brieflich, er solle sie freigeben. Als jedoch Bernhard Hoetger sie warnte, sie könne als alleinstehende Frau und Künstlerin nicht leben, und sie solle sich nicht von ihrem Gatten trennen, bat diese Otto Modersohn in einem weiteren Brief vom 9. September 1906, er solle sie zurückholen. Im Oktober kam Otto Modersohn nach Paris, vereinbarte mit seiner Frau eine Probezeit in Paris und verbrachte dort den Winter mit ihr. Ende Januar 1907 kehrte das Ehepaar nach Worpswede zurück.
Am 2. November 1907 brachte Paula Modersohn-Becker ihre Tochter Mathilde zur Welt. Sie starb wenig später am 20. November 1907 im Alter von nur 31 Jahren in Worpswede an einer Lungen- embolie.
Noch kurz vor ihrem Tod hatte die Künstlerin geglaubt, sie habe ihr Werk erst begonnen. Nach höchstens zehn Schaffensjahren hinterließ sie mehr als 400 Gemälde und ein Mehrfaches an Handzeichnungen. Ein halbes Jahr nach ihrem Ableben sagte ihr Mann über sie: „Paula wächst immer mehr, sie steht als eine der größten Malerinnen da, das wusste und ahnte ich lange ... das kommt immer mehr zutage, je mehr man sie im ganzen überschaut ...“
1908 arrangierte der Kunsthistoriker Gustav Pauli (1866-1938) die erste Gedächtnisausstellung für Paula Modersohn-Becker, die in der Literatur auch „Paula Modersohn“ oder „Paula Becker-Modersohn“ heißt. Erst durch diese Schau wurde die Bedeutung ihres Werkes erstmals für viele sichtbar. 1909 schloss Paulas Witwer seine dritte Ehe mit der Malerin Louise Breling (1883-1950).
Bernhard Hoetger, der Paula Modersohn-Becker in den letzten Jahren ihres Lebens verständnisvoll gefördert hatte, errichtete im Auftrag des Bremer Kaufmanns und Kunstsammlers Ludwig Roselius (1874-1943) in den 1920-er Jahren das „Paula-Becker-Modersohn-Haus“ in Bremen. Dieses Museum bewahrt wohl die umfangreichste Kollektion ihrer Werke für die Öffentlichkeit auf.
Séraphine
Frankreichs
große naive Malerin
D
ie einflussreichste naive Malerin Frankreichs war die Künstlerin Séraphine (1864-1932), eigentlich Séraphine Louis, manchmal auch Séraphine de Senlis genannt. Ihre mystisch-religiösen Bilder zeigen meistens Pflanzen und offenbaren eine suggestive Phantasie. Eines ihrer bekanntesten Werke heißt „Der rote Baum“ und ist um 1927/1928 entstanden. Das Original wird im „Musée National d’Art Moderne“ in Paris, aufbewahrt.
Séraphine Louis kam am 2. September 1864 in Assy (Département Oise) zur Welt. In ihrer Kindheit arbeitete sie als Hirtin, später zog sie nach Senlis, wo sie sich als Putzfrau betätigte. Sonst ist über ihr Leben nicht viel bekannt. Man weiß auch nicht, wie ihr Interesse an der Malerei geweckt wurde.
Auf Séraphines Talent wurde 1913 der deutsche Kunstschriftsteller Wilhelm Uhde (1874-1947) aufmerksam, der sich meistens in Paris aufhielt und früh für die zeitgenössische Kunst einsetzte. Er förderte unter anderem Pablo Picasso (1881-1973) und Georges Braque (1882-1963, aber auch Laienmaler, deren Bedeutung er als erster erkannte.
Wilhelm Uhde hatte sich in Senlis eine kleine Wohnung gemietet, um sich dort in den Ferien zu erholen, und eine Putzfrau eingestellt. Als ihm bei Einwohnern des Städtchens ein kleines Stilleben mit Äpfeln auf einem Tisch auffiel und ihn tief beeindruckte, erfuhr er, dass dieses Werk von seiner Putzfrau Séraphine stammte.
Die ersten Bilder, die Wilhelm Uhde von der 47-jährigen Séraphine erwarb, wurden zu Beginn des Ersten Weltkieges (1914-1918), als der Deutsche Frankreich verlassen musste, zusammen mit seiner Sammlung beschlagnahmt und verkauft. Diese früh von Seraphine erstandenen Werke gelten als verschollen. Erst viel später sah Uhde, der sich inzwischen in Chantilly niedergelassen hatte, auf einer Ausstellung provinzieller Maler im Rathaus von Senlis wieder Bilder von Séraphine.
Tief betroffen von der Weite und Tiefe dieser neuen Werke nahm Wilhelm Uhde mit der betagten Séraphine Kontakt auf. Diese wohnte zurückgezogen in einem armseligen Zimmer, in dem ständig eine kleine Lampe vor einem Bild der heiligen Maria brannte, und malte eifrig. Wilhelm Uhde beschaffte der kleinen Malerin mit ausgebleichten Haarsträhnen, blassem Gesicht und fanatischem Blick große Leinwände, die sie für ihre Gemälde benötigte. Das Malen in Öl war für Séraphine etwas Magisches, bei dem ihr niemand - auch Uhde nicht zusehen durfte. Ihre Bilder entstanden gleichsam in Trance.
Innerhalb weniger Jahre schuf Séraphine ein beachtliches Werk. Sie malte Bäume, Früchte, Blätter oder Blumen, die sie mit einer Phantasie gestaltete, die über jede Ähnlichkeit mit der Natur erhaben ist. Ihre phantasievollen Formen sind sehr präzise und mit ungewöhnlichen Details reiner Erfindung hingesetzt. Niemals verriet sie das Geheimnis ihrer emaillierenden, farbenfrohen Technik.
In „Knaurs Lexikon moderner Kunst“ wird über Séraphine gemutmaßt: „Möglicherweise haben die großen farbigen Flammen auf den Glasfenstern der Kirche von Senlis ihr die Idee zu den aufstrebenden Rhythmen ihrer großen Leinwände eingegeben, deren Details eine seltsame Welt offenbaren: Blätter deren Herz eine Frucht ist, oder auf denen sich Augen öffnen, von Wimpern umgeben, die an die Federn kostbarer Vögel denken lassen.“
Séraphine gehörte zusammen mit ihrem männlichen Kollegen Henri Rousseau (1844-1910), genannt „le Douanier“ („der Zöllner“), zu den besten naiven Malern Frankreichs. Rousseau arbeitete als Beamter beim Pariser Stadtzoll, ließ sich jedoch 1893 pensionieren, um sich ganz der Malerei widmen zu können 1930 verlor Séraphine Louis den Verstand und gab für sinnlose Dinge viel Geld aus. Am 11. Dezember 1942 starb sie im Alter von 78 Jahren im Hospital von Senlis. Ihr Entdecker Wilhelm Uhde rechnete sie zu den „großen Unsterblichen, die sich nicht in den Rahmen einer Bewegung oder einer Schule zwängen lassen“. Séraphines Werk wurde so berühmt, dass es nach ihrem Tod als französischer Beitrag für die Biennale in Sao Paulo (Brasilien) akzeptiert wurde.
Marianne
Wladimirovna von Werefkin
Der „russische Rembrandt“
Z
u den genialsten Malerinnen ihrer Zeit gehörte die aus Russland stammende Künstlerin Marianne von Werefkin (1860-1938), die auch in Deutschland und in der Schweiz lebte. In ihrer Heimat wurde sie als „russischer Rembrandt“ bezeichnet. Über sich selbst sagte sie einmal: „Ein Leben ist viel zuwenig für alle die Dinge, die ich in mir spüre“.
Marianne von Werefkin wurde am 29. August 1860 als Tochter eines Barons und einer Ikonen malenden Mutter im Gouverneurs-Palais von Tula bei Moskau geboren. Im Auftrag des Zaren zog die Familie acht Jahre später nach Wilna (Litauen) um. Marianne wuchs auf dem Gut Blagodat im litauisch-russischen Department Kowno auf und erhielt Zeichen- und Malunterricht.
In ihrer Jugend hielt sich Marianne von Werefkin zeitweise in Sankt Petersburg auf. Der ukrainische Realist Ilja Repin (1844-1930) erteilte ihr Privatunterricht. 1888 durchschoss sie sich bei einem Jagdunfall die rechte Hand. Um weiter zeichnen zu können, konstruierte sie eine Bleistiftkrücke.
Durch Ilja Repin lernte Marianne von Werefkin 1891 den 27-jährigen Alexej von Jawlensky (1864-1941), der durch seinen Militärdienst nach Sankt Petersburg gelangt war, kennen und lieben. Gemeinsam mit Jawlensky, der seinen Militärdienst quittierte, verließ die Baronin 1896 Russland, zog nach München und schloss sich dort der russischen Künstlerkolonie an. Zunächst hatte sie eine Doppelwohnung in der Giselastraße 23 von Schwabing. Ihren Lebensunterhalt bestritt sie mit einer von ihrem Vater geerbten zaristischen Pension von jährlich 7000 Rubel.
Bis 1899 besuchten Marianne von Werefkin und Jawlensky die „Azbé- Schule“, wo sie 1897 den russischen Künstler Wassily Kandinsky (1866-1944), dem Begründer der abstrakten Malerei, begegneten. 1901 haben sich die Werefkin und Jawlenski einander stark entfremdet. Der Maler hatte mit der 15-jährigen Helene, die zur persönlichen Bedienung der Baronin mit nach München gekommen war, eine intime Beziehung begonnen. Nachdem Helene auf Schloss Anspacki in Russland heimlich den Sohn Andreas zur Welt gebracht hatte, wandte sich Jawlenski fortan der jungen Mutter und deren Sohn so stark zu, dass die Werefkin vereinsamte.
1907 schloss sich Marianne von Werefkin im Alter von 47 Jahren in Paris der Gruppe „Fauves“ von Malern um Henri Matisse (1869-1954) an. Damals begann sie, einen neuen Weg in der Kunst zu suchen. Sie verstand, dass sie nicht das malen musste, was sie sah, sondern nur das, was in ihrer Seele lebte. Die Natur, die vor ihr war, soufflierte ihr nur. Ebenfalls 1907 wurde die Werefkin Mitglied der „Münchner Sezession“ und der Künstlergruppe „Der Sturm“.
1909 gehörte die Malerin zu den Gründungsmitgliedern der „Neuen Künstlervereinigung München“. Später stellte sie immer wieder zusammen mit der Expressionistengruppe „Der blaue Reiter“ aus, deren Name auf einem 1903 von Wassily Kandinsky gemalten Reiterbildnis basiert. Die übrigen Gründungsmitglieder waren - neben Kandinsky - Gabriele Münter (1877-1962), Alfred Kubin (1877-1959) und Franz Marc (1880-1916).
Außerdem beteiligte sich die Werefkin an der Gründung der Künstlervereinigung „Sankt Lukas“. Ihre Gemälde stellte sie in Schweden, den Niederlanden, Russland, Österreich und in der Schweiz aus.
Beim Ausbruch des Ersten Weltkrieges 1914 wurden alle Russen aus Deutschland in die Schweiz abgeschoben. Damals ist auch die Künstlergruppe „Der blaue Reiter“ zerbrochen. Marianne von Werefkin reiste über Saint Prex nach Zürich, wo sie unter anderem dem Dichter Rainer Maria Rilke (1875-1926), dem Bildhauer Wilhelm Lehmbruck (1881-1919) und dem Pianisten und Komponisten Ferruccio Busoni (1866-1924) begegnete.
In Ascona im schweizerischen Kanton Tessin fand Marianne von Werefkin 1914 ein ärmliches neues Zuhause. Weil sie aus Russland keine Pension mehr erhielt, arbeitete sie vorübergehend als Pharmavertreterin. Obwohl sie bettelarm war, wollte sie ihre Gemälde nicht verkaufen.
1924 schloss sich die Baronin Werefkin der Künstlervereinigung „Der große Bär“ an, 1920 beteiligte sie sich an der Biennale in Venedig. Am 6. Februar 1938 starb Marianne von Werefkin im Alter von 77 Jahren in Ascona. Die Feierlichkeiten am Grab wurden von einem aus Mailand kommenden Priester in russischer, französischer und italienischer Sprache zelebriert.
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