Heterogene Lerngruppen in inklusiven Lernsettings spielen in der deutschen Schullandschaft eine immer bedeutendere Rolle. Unter dem Begriff Lernsetting werden Faktoren wie Ort, Zeit, Umgebung, Angebote etc. einer Bildungsveranstaltung zusammengefasst. Durch die Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention durch die Bundesrepublik Deutschland im Jahr 2009 und die damit einhergehende Überführung in verbindliches Recht hat sich die Wahrscheinlichkeit in allen Schulformen rapide erhöht, dass alle Lehrkräfte auch mit SchülerInnen mit sonderpädagogischem Förderbedarf arbeiten. In der Debatte um inklusive Lernsettings wird häufig konstatiert, dass auch außerschulische Lernorte als Teil inklusiver Bildungslandschaften zu verstehen sind und somit eine große Rolle spielen. Auch verweist die UN-Behindertenrechtskonvention in Artikel 24 auf ein „integratives Bildungssystem auf allen Ebenen und lebenslanges Lernen“ (UN-BRK 2006, 1436). In diesem Zusammenhang wird auch der Bereich der Umweltbildung konkret benannt. Die Waldschulen der Berliner Forsten als außerschulische Umweltbildungseinrichtungen, die im Jahre 2011 von mehr als 20.000 SchülerInnen z.B. im Rahmen von Projekttagen und -wochen oder Wandertagen besucht wurden, sind in Berlin die einzigen mit dem seit 2011 verbindlichen „Zertifikat Waldpädagogik“ ausgestatteten Anbieter waldpädagogischer Umweltbildungsveranstaltungen. Die Teilnehmergruppen sind in den letzten Jahren zunehmend heterogener geworden. Ein Zusammenhang mit der steigenden Anzahl an SchülerInnen mit sonderpädagogischem Förderbedarf, die im Zuge der Inklusion in „allgemeinen Schulen“ unterrichtet werden, kann vermutet werden.
Mit dieser Arbeit werden konzeptionelle Grundlagen der Waldpädagogik hinsichtlich ihrer inklusionspädagogischen Eignung überprüft. Hierzu dienen Indikatoren, die von ausgewählten inklusionsdidaktischen Konzepten abgeleitet wurden, als Folie, unter der konzeptionelle Grundlagen der Waldpädagogik betrachtet werden. Das Ziel dieser Arbeit ist es, die Praxis der Waldpädagogik durch ein Aufzeigen konzeptioneller Schnittmengen, Ergänzungen und ggf. Widersprüchen in ihrer Arbeit mit heterogenen Gruppen zu unterstützen. Diese Arbeit kann darüber hinaus Lehrkräften als Anregung dienen, waldpädagogische Angebote für ihre heterogenen Lerngruppen wahrzunehmen, um so deren pädagogischen Wert für inklusive Lernsettings zu nutzen.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
1.1 Problemstellung und Zielsetzung
1.2 Struktur der Arbeit
2. Inklusion
2.1 Zum Begriff der Heterogenität
2.2 Was ist inklusive Pädagogik?
2.3 Rechtliche Grundlagen der Inklusion
2.3.1 Salamanca, Behindertenrechtskonvention und KMK
2.3.2 Das Berliner Schulgesetz
2.3.3 Das Berliner Gesamtkonzept „Inklusive Schule“
2.4 Inklusion im Kontext regionaler Bildungslandschaften
2.4.1 Die Bedeutung des Konzepts Bildungslandschaften für Inklusion
2.4.2 Umweltbildung im Kontext regionaler Bildungslandschaften
2.5 Didaktische Konzepte in der Inklusion
2.5.1 Historische Wurzeln vor und in der Reformpädagogik
2.5.2 Lernen am gemeinsamen Gegenstand – Georg Feuser
2.5.3 Gemeinsame Lernsituationen – Hans Wocken
2.5.4 Leitlinien didaktischen Handelns – Simone Seitz
2.6 Differenzierungsformen in der inklusiven Didaktik
2.7 Indikatoren inklusionspädagogischer Konzepte
3. Umweltbildung
3.1 Jüngere Entwicklung und rechtliche Grundlagen der Umweltbildung
3.2 Ganzheitliche Umweltbildung
3.2.1 Ziele ganzheitlicher Umweltbildung
3.2.2 Bildung für Nachhaltige Entwicklung (BNE)
3.3 Waldpädagogik
3.3.1 Historische Vorläufer und rechtliche Grundlage der Waldpädagogik
3.3.2 Die Waldschulen der Berliner Forsten und deren waldpädagogische Ziele
3.3.3 Konzeptionelle Grundlagen der Waldpädagogik
4. Überprüfung der Waldpädagogik auf ihre inklusionspädagogische Eignung
5. Diskussion
6. Literatur:
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Koexistente Lernsituation, eigene Darstellung nach Wocken (1998)
Abbildung 2: Kommunikative Lernsituation, eigene Darstellung nach Wocken (1998)
Abbildung 3: Subsidiär unterstützende Lernsituation, eigene Darstellung nach Wocken (1998)
Abbildung 4: Subsidiär prosoziale Lernsituation, eigene Darstellung nach Wocken (1998)
Abbildung 5: Kooperative komplementäre Lernsituation, eigene Darstellung nach Wocken (1998)
Abbildung 6: Kooperativ solidarische Lernsituation, eigene Darstellung nach Wocken (1998)
Abbildung 7: Einordnung der Waldpädagogik, Bolay & Reichle (2011, 23)
Abbildung 8: Ausbildungsmodule des "Zertifikat Waldpädagogik", Haus des Waldes (2012, URL)
Abbildung 9: Standorte der Waldschulen der Berliner Forsten, Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt/Berliner Forsten (2012)
Abbildung 10: Waldschule Zehlendorf, Waldschulhütte; JIBW. e.V. 2012, URL
Abbildung 11: Ziele der Berliner Waldpädagogik, eigene Darstellung nach Ball (2012)
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Heterogenitätsdimensionen, eigene Darstellung verändert nach: Heinzel (2008) 7
Tabelle 2: Indikatoren inklusionspädagogischer Konzepte, eigene Darstellung 34
Tabelle 3: Komponenten ganzheitlicher Umweltbildung, Thon (2005, 3ff.), nach: Neels (2003) und Willmann (2003) 40
Tabelle 4: Kompetenzkonzept nach de Haan (2008), nach: Haus des Waldes Stuttgart (2012), URL 59
Anhangverzeichnis
Anhang 1: Offenbacher Erklärung
Anhang 2: Exemplarischer Waldtag in der Waldschule Zehlendorf
Beim Schreiben wurde durchgängig Wert darauf gelegt, beide Geschlechter durch eine inklusive Schreibweise anzusprechen. Zu Gunsten einer leichteren Lesbarkeit wurden doppelte Nennungen, z.B. Schülerinnen und Schüler, durch die Verwendung von SchülerInnen ersetzt. In dem Bewusstsein, dass es sich hierbei um eine nicht Duden-konforme Schreibweise handelt, hoffe ich darauf, dass in der Deutschen Sprache bald eine als flüssig empfundene inklusive Schreibweise entstehen wird.
1. Einleitung
1.1 Problemstellung und Zielsetzung
Heterogene Lerngruppen in inklusiven Lernsettings spielen in der deutschen Schullandschaft eine immer bedeutendere Rolle. Unter dem Begriff Lernsetting fasse ich Faktoren wie Ort, Zeit, Umgebung, Angebote etc. einer Bildungsveranstaltung zusammen. Durch die Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention durch die Bundesrepublik Deutschland im Jahr 2009 und die damit einhergehende Überführung in verbindliches Recht hat sich die Wahrscheinlichkeit in allen Schulformen rapide erhöht, dass alle Lehrkräfte auch mit SchülerInnen mit sonderpädagogischem Förderbedarf arbeiten (Heimlich & Kahlert 2012). In der Debatte um inklusive Lernsettings wird häufig konstatiert, dass auch außerschulische Lernorte als Teil inklusiver Bildungslandschaften zu verstehen sind und somit eine große Rolle spielen (vgl. Schroeder 2002, Mack 2012, Moser & Redlich 2012). Auch verweist die UN-Behindertenrechtskonvention in Artikel 24 auf ein „ integratives Bildungssystem auf allen Ebenen und lebenslanges Lernen “ (UN-BRK 2006, 1436). In diesem Zusammenhang wird der Bereich der Umweltbildung durch Schroeder (2002) konkret benannt. Die Waldschulen der Berliner Forsten als außerschulische Umweltbildungseinrichtungen, die im Jahre 2011 von mehr als 20.000 SchülerInnen (JIBW e.V. 2012) z.B. im Rahmen von Projekttagen und -wochen oder Wandertagen besucht wurden, sind in Berlin die einzigen mit dem seit 2011 verbindlichen „Zertifikat Waldpädagogik“ ausgestatteten Anbieter waldpädagogischer Umweltbildungsveranstaltungen.
Durch langjährige persönliche Kontakte zu den Waldschulen der Berliner Forsten und eigene praktische Erfahrungen bei der Durchführung von dort stattfindenden waldpädagogischen Veranstaltungen konnte ich feststellen, dass die Teilnehmergruppen in den letzten Jahren zunehmend heterogener geworden sind. Ein Zusammenhang mit der steigenden Anzahl an SchülerInnen mit sonderpädagogischem Förderbedarf, die im Zuge der Inklusion in „allgemeinen Schulen“ unterrichtet werden, kann vermutet werden (vgl. Statistisches Bundesamt 2012, 22). Die überwiegende Mehrheit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Berliner Waldschulen sind jedoch nicht umfassend pädagogisch oder sonderpädagogisch ausgebildet. Daher kommt es mitunter zu Unsicherheiten, Problemen oder Ängsten im Umgang mit heterogenen Lerngruppen, wenn sich z.B. abweichendes Verhalten oder eine verminderte Frustrationstoleranz oder Aufmerksamkeitsspanne direkt auf das Bildungsangebot auswirkt. Andererseits kann die Tatsache, dass die MitarbeiterInnen in den Waldschulen im Gegensatz zu den Lehrkräften nicht von vornherein um die Beeinträchtigung/Benachteiligung der SchülerInnen wissen, eine echte Chance darstellen. Die WaldpädagogInnen können im Sinne einer inklusiven Pädagogik unter Umständen völlig unvoreingenommen und vorurteilsfrei mit den SchülerInnen arbeiten, was sich für diese in Bezug auf das Selbstwertgefühl und das „so angenommen sein wie ich bin“ positiv auswirken kann.
Aus der Fachliteratur für Schul- bzw. Unterrichtsdidaktik sind gängige Konzepte bekannt, die ihre Wurzeln mitunter schon in der Reform- oder Integrationspädagogik haben. Diese wurden teilweise um Aspekte der Inklusionspädagogik erweitert bzw. an die Anforderungen an eine inklusive Didaktik angepasst. Hierzu zählen neben anderen das Konzept des „Lernens am gemeinsamen Gegenstand“ von Georg Feuser, das Konzept der „gemeinsamen Lernsituationen“ von Hans Wocken sowie die von Simone Seitz formulierten „Leitlinien didaktischen Handelns“. Diesen Konzepten gemein ist, dass sie innerhalb der gegenwärtigen Inklusionsdebatte als besonders geeignet für inklusive Lernsettings angeführt werden.
Mit dieser Arbeit werden konzeptionelle Grundlagen der Waldpädagogik hinsichtlich ihrer inklusionspädagogischen Eignung überprüft. Hierzu dienen Indikatoren, die von ausgewählten inklusionsdidaktischen Konzepten abgeleitet wurden, als Folie, unter der konzeptionelle Grundlagen der Waldpädagogik betrachtet werden. Das Ziel dieser Arbeit ist es, die Praxis der Waldpädagogik durch ein Aufzeigen konzeptioneller Schnittmengen, Ergänzungen und ggf. Widersprüchen in ihrer Arbeit mit heterogenen Gruppen zu unterstützen. Diese Arbeit kann darüber hinaus Lehrkräften als Anregung dienen, waldpädagogische Angebote für ihre heterogenen Lerngruppen wahrzunehmen, um so deren pädagogischen Wert für inklusive Lernsettings zu nutzen.
1.2 Struktur der Arbeit
In Kapitel 2 der Arbeit werden zunächst die Kernaspekte der Inklusion sowie die Dimensionen von Heterogenität beschrieben. Es werden außerdem die historischen Wurzeln der Integration und der Inklusion sowie die rechtlichen Grundlagen für deren institutionelle Umsetzung aufgezeigt. Auch wird die Bedeutung der Inklusion als Teil der Bildungslandschaft vorgestellt. Anschließend erfolgt eine Vorstellung ausgewählter didaktische Konzepte der Inklusion, aus denen Indikatoren herausgearbeitet werden.
Das dritte Kapitel widmet sich dem Bereich Umweltbildung. Es werden die historischen Wurzeln und rechtlichen Grundlagen dargestellt und eine Konkretisierung zur ganzheitlichen Umweltbildung vorgenommen. Nach der Vorstellung der Ziele ganzheitlicher Umweltbildung folgt eine Eingrenzung des Teilgebietes Waldpädagogik als Teil der Umweltbildung. Hier werden ebenfalls die historischen Vorläufer sowie die rechtliche Grundlage aufgezeigt. Nach einer exemplarischen Vorstellung der Berliner Waldschulen und deren waldpädagogischen Zielen werden abschließend die konzeptionellen Grundlagen der Waldpädagogik dargestellt.
Das vierte Kapitel dient dazu, die konzeptionellen Grundlagen der Waldpädagogik hinsichtlich ihrer inklusionspädagogischen Eignung zu überprüfen. Hierzu werden Kategorien gebildet, denen die in Kapitel 2 herausgearbeiteten Indikatoren inklusionspädagogischer Konzepte gegenübergestellt werden. Dies wird in Form einer Übersichtsgrafik erfolgen.
Im fünften Kapitel findet eine abschließende Diskussion der Ergebnisse dieser Arbeit statt. Hier wird u.a. erörtert, ob und wie die Waldpädagogik den inklusionspädagogischen Konzepten entspricht und somit für heterogene Lerngruppen in inklusiven Settings geeignet ist. Es wird auch diskutiert, welche inklusionspädagogischen Konzepte für die Praxis der Waldpä- dagogik hilfreich und förderlich sein könnten und damit die Waldschulen der Berliner Forsten, stellvertretend für andere Umweltbildungseinrichtungen, in ihrer Arbeit mit heterogenen Gruppen unterstützen könnten.
2. Inklusion
„ Inklusiv denken bedeutet, bis an die Wurzeln unseres Denkens, unserer Gestaltung von Bildung und unserer Weltkonstruktion nach Elementen zu graben, die es uns ermöglichen, zu einer Überwindung der defizitären Sichtweise von Menschen zu finden. “ Dreher (1998), zit. n. Thoma & Rehle (2009), 40
Das Hauptanliegen der Inklusion ist der wirksame Abbau von Barrieren für das Lernen und die uneingeschränkte Teilhabe aller Menschen in allen Lebensbereichen. Nicht die Person als förderungs- oder therapiebedürftiges Individuum, sondern das gesamte Lebens- und Lernumfeld steht somit im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. „ Inklusion wendet sich der Heterogenität von Gruppierungen und der Vielfalt von Personen positiv zu “ (Hinz 2010, 33). Dabei sollen alle Dimensionen von Heterogenität gemeinsam in den Blick genommen werden (ebd.). Diese werden in Kapitel 2.1 näher dargestellt. Nachfolgend wird zunächst der Aspekt der Teilhabe genauer erläutert.
Im Teilhabebegriff verschränken sich nach Kardorff (2010) aus soziologischer Sicht drei Momente. Zunächst nennt er das Moment des „Teil-Seins“. Hier wird die „ ungeteilte bürger- und sozialrechtliche Zugehörigkeit zum Ganzen der Gesellschaft“ (ebd., o.S.) betont. Dies impliziert das Gefühl in einer lokalen Gemeinschaft gebraucht zu werden und respektiert zu sein. Negativ verweist die Betonung dieses Moments auf sozialen Ausschluss, Diskriminierung, emotionale Ablehnung und verweigert Anerkennung. Das zweite Moment ist das der „Teil-Habe“. Hierzu gehört die „ Einbeziehung in gesellschaftliche Aktivitäten und Entscheidungen sowie die Teilhabe an gesellschaftlichen Gütern “ (ebd., o.S.) wie Sicherheit, sozialen Leistungen, Wohnung und Arbeit. Negativ verweist dies auf vorenthaltene Beteiligungsmöglichkeiten, auf materielle wie immaterielle Zugangsbarrieren, etwa zu Bildung, Beschäftigung und zum öffentlichen Leben. Als drittes Moment nennt Kardorff das der „Teil-Nahme“. Hierunter versteht er, „ die Bürgerrolle engagiert wahrzunehmen, Gestaltungsmacht und Möglichkeiten zu nutzen, die Lebensbedingungen im eigenen lokalen Lebensumfeld mitzubestimmen und durch eigene Ideen und Handeln zu bereichern. “ (ebd., o.S.)
Die Auseinandersetzung mit dem Teilhabebegriff verdeutlicht, dass sich Inklusion längst nicht nur auf die schulische Ebene bezieht, sondern als Paradigmenwechsel gesehen werden muss, der sich auf alle Bereiche einer sozialen Gemeinschaft bezieht.
Im Rahmen schulischer oder bildungsinstitutioneller Pädagogik ist es das Ziel inklusiver Bestrebungen, alle Kinder gemeinsam zu unterrichten, und zwar unabhängig von ihren individuellen Stärken und Schwächen, ihrer körperlichen, seelischen, kognitiven oder geistigen Beeinträchtigung, ihrer sozialen Herkunft, ihrer Hautfarbe oder ihrer Religionszugehörigkeit. Unter der uneingeschränkten Achtung der menschlichen Vielfalt muss Teilhabe ermöglicht werden, um damit Ausgrenzung, Stigmatisierung und Vorurteilen entgegenzuwirken. Dieses Paradigma ist auch in Deutschland nicht neu und findet sich in ähnlicher Weise schon in der Integrationspädagogik (vgl. Biewer 2009, Schöler 2009, Thoma & Rehle 2009, Hinz 2010, Mack 2012, et al.). Neu ist jedoch, dass der Inklusionsbegriff die oben bereits erwähnten Heterogenitätsdimensionen, die in der Integrationspädagogik schon „mitgedacht“ wurden, ausdrücklich benennt, und er somit ein wenig systematischer, ausgereifter und damit verbindlicher als frühere Entwürfe ist, die sehr stark auf Behinderung bezogen waren (Hinz 2010). Biewer (2009) verweist in diesem Zusammenhang auf den englischen Begriff „diversity“, der zunächst mit Verschiedenheit oder Vielfalt übersetzt werden kann. Er bezeichnet jedoch nicht nur die Verschiedenheit aufgrund von Behinderung, sondern auch die des „ kulturellen, ethnischen und sozialen Hintergrundes “ (ebd., 152). Verschiedenheit, Vielfalt und Heterogenität werden demnach zu zentralen Begriffen einer inklusiven Pädagogik (ebd.).
Aufgrund der bisherigen Ausführungen und in Bezug auf die angenommene heterogene Zusammensetzung der Teilnehmergruppen waldpädagogischer Veranstaltungen ist es unabdingbar, einen kurzen Exkurs in die Heterogenitätsdebatte zu unternehmen und die Dimensionen von Heterogenität herauszustellen.
2.1 Zum Begriff der Heterogenität
Heterogenität als Terminus einer neuen erziehungswissenschaftlichen Herausforderung erscheint seit etwa 20 Jahren in der wissenschaftlichen Debatte (Moser 2010). So neu der Begriff auch erscheinen mag, und als solcher in der Praxis häufig als völlig neue Herausforderung diskutiert wird, hat sich schon Johann Friedrich Herbart (1776-1841) in seinem „Umriß pädagogischer Vorlesungen“ mit der Individualität des Kindes auseinandergesetzt und konstatiert: „ Die Unbestimmtheit des Kindes ist beschränkt durch dessen Individualität. “ (Herbart 1841, 8) Für die aktuelle Debatte um Verschiedenheit sei besonders Annedore Prengel hervorzuheben, durch deren erstmals 1993 erschienenes Grundlagenwerk „ Pädagogik der Vielfalt. Verschiedenheit und Gleichberechtigung in Interkultureller, Feministischer und Integrativer Pädagogik “ die Heterogenitätsdebatte in Deutschland heute eine hohe Popularität genießt (Moser 2010). Prengel hat in der Debatte um Gleichheit und Verschiedenheit den Begriff der „egalitären Differenz“ geprägt. Dieser Begriff eröffnet eine Perspektive, in der sowohl nach der Verschiedenheit als auch nach der Gleichberechtigung von Menschen gefragt wird. Egalität und Differenz bedingen sich damit gleichermaßen wechselseitig (vgl. Prengel 2001 & 2006). Egalitäre Differenz bezieht sich dabei immer auf einzelne Menschen verschiedener Geschlechter, verschiedener Kulturen, Menschen mit und ohne Behinderung und andere Gruppen, und auf die Beziehungen zwischen ihnen (Prengel 2001). Nach Katzenbach & Schroeder (2007, 4) reklamiert der Begriff der egalitären Differenz den Anspruch, „ Unterschiede zunächst einmal als Verschiedenheit hinzunehmen, ohne gleich hierarchisierende Wertungen vorzunehmen.“ Folglich ist der Begriff der egalitären Differenz das „ sozialphilosophische Komplement zur gesellschaftstheoretischen Idee der Inklusion.“ (ebd.)
In der Fachwelt überwiegt heute die Auffassung, dass homogene Lerngruppen in der Realität nicht existieren. Das gegenwärtige Schulsystem jedoch versucht, durch Klassifizierung und Sortierung von SchülerInnen Heterogenität zu vermeiden, und bevorzugt Homogenität (Gomolla 2009). Anhand der nachfolgend in Anlehnung an Heinzel (2008) tabellarisch aufgeführten, sich in vielfacher Weise überschneidenden Dimensionen von Heterogenität wird deutlich, dass der in der Praxis immer noch verbreitete Wunsch nach homogenen Lerngruppen schon im Kern paradox ist.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tabelle 1: Heterogenitätsdimensionen, eigene Darstellung verändert nach: Heinzel (2008)
Zum Umgang mit Heterogenität können derzeit laut Heinzel (2008) drei pädagogische Ansätze ausgemacht werden, die bis heute gleichermaßen in der Praxis Anwendung finden. In „kompensatorischen Ansätzen“ wird stets die Gleichheit der Individuen betont. Lediglich mangelnde Fähigkeiten und soziokulturelle Benachteiligungen werden als Ursachen für Ungleichheit angenommen. „Integrative Ansätze“ hingegen beziehen sich auf einzelne Heterogenitätsdimensionen, wobei der Blick sich jedoch von den Defiziten abwendet und die Potentiale der Kinder in den Blick nimmt. Die „inklusiven Ansätze“ beziehen sich grundsätzlich auf alle bereits genannten Heterogenitätsdimensionen und bemühen sich um einen flexiblen Umgang damit. Heterogenität wird hier als Normalfall angesehen (ebd.). Hierin spiegelt sich
das weiter oben von Annedore Prengel bereits beschriebene Paradigma der „egalitären Differenz“ wider.
Für einen flexiblen Umgang mit Heterogenität nennt Wocken (2011) als eine der fachlichen Kompetenzen von Lehrkräften die „Heterogenitätskompetenz“, die er sogleich als unter fachlich-systematischen Gesichtspunkten nicht zu rechtfertigenden vorläufigen Arbeitsbegriff einschränkt. Heterogenität bewegt sich in einem anderen Spannungsfeld als die kategorialen Komponenten „ Erziehung, Unterricht, Diagnose und Förderung“ (ebd., 212). Diese Teilkomponenten erhalten erst durch die konstitutive Bedingung Heterogenität eine individuelle inhaltliche Füllung. Daher gilt es, diese immer unter der jeweils bedingenden Ausprägung einer anthropologischen Vielfalt zu betrachten. Lehrkräfte in inklusiven Lernsettings müssen entsprechend vielfältig qualifiziert sein. Um allen oben genannten Heterogenitätsdimensionen zu entsprechen, müssen Lehrkräfte also über Basiskompetenzen bezüglich einer geschlechtergerechten Erziehung, einer interkulturellen Erziehung, im Hinblick auf soziokulturelle Unterschiede und bezüglich differierender Begabungen verfügen (ebd.). Einschränkend bemerkt Wocken (2011) jedoch, es könne selbstverständlich keinen über alle Heterogenitätsdimensionen hinweg omnikompetenten Lehrer geben bzw. können nicht immer alle Heterogenitätsdimensionen in einem inklusiven Lernsetting gleichrangig Berücksichtigung finden.
2.2 Was ist inklusive Pädagogik?
In der Annäherung über die Heterogenitätsdimensionen soll deutlich geworden sein, dass nur eine inklusive Pädagogik die verschiedenen Dimensionen konstruktiv in didaktische Konzepte überführen kann. Ich schließe mich daher der Definition inklusiver Pädagogik von Biewer (2009) an:
„ Inklusive Pädagogik bezeichnet Theorien zur Bildung, Erziehung und Entwicklung, die Etikettierungen und Klassifizierungen ablehnen, ihren Ausgang von den Rechten vulnerabler und marginalisierter Menschen nehmen, für deren Partizipation in allen Lebensbereichen plädieren und auf eine strukturelle Veränderung der regulären Institutionen zielen, um der Verschiedenheit der Voraussetzungen und Bedürfnisse aller Nutzer/innen gerecht zu werden. “ (Biewer 2009, 193)
Mit dem Ansinnen, dass diese Arbeit für die Praxis der Waldpädagogik eine unterstützende Wirkung entfaltet und um auch fachfremden LeserInnen abschließend zu erläutern, was mit dem Begriff Inklusion konkret gemeint ist und was nicht, wird nachfolgend kurz auf den Index für Inklusion rekurriert. Mit dem Index für Inklusion haben Ines Boban und Andreas Hinz (2003) den im Jahr 2000 erstmals auf einer Tagung in Manchester (UK) vorgestellten „Index for Inclusion“ in die deutsche Sprache übersetzt. Der Index für Inklusion stellt ein umfangreiches Werkzeug dar, mit dessen Hilfe Schulen im Rahmen von Schulentwicklung ein inklusives Leitbild entwickeln, umsetzen und überprüfen können. Um den Lehrkräften, und für den Kontext dieser Arbeit auch anderen pädagogisch Tätigen, zunächst eine Orientierung zu geben, wird auf Seite 10 des Index die Bedeutung von Inklusion in Bildung und Erziehung in Stichpunkten zusammengefasst:
„ Inklusion in Erziehung und Bildung bedeutet ...
- die gleiche Wertschätzung aller SchülerInnen und MitarbeiterInnen,
- die Steigerung der Teilhabe aller SchülerInnen an (und den Abbau ihres Ausschlus- ses von) Kultur, Unterrichtsgegenständen und Gemeinschaft ihrer Schule,
- die Weiterentwicklung der Kulturen, Strukturen und Praktiken in Schulen, so dass sie besser auf die Vielfalt der SchülerInnen ihres Umfeldes eingehen,
- den Abbau von Barrieren für Lernen und Teilhabe aller SchülerInnen, nicht nur sol- cher mit Beeinträchtigungen oder solcher, denen besonderer Förderbedarf zu- gesprochen wird,
- die Anregung durch Projekte, die Barrieren für Zugang und Teilhabe bestimmter SchülerInnen überwinden und mit denen Veränderungen zum Wohl vieler Schü- lerInnen bewirkt werden kon nten,
- die Sichtweise, dass Unterschiede zwischen den SchülerInnen Chancen für das ge- meinsame Lernen sind und nicht Probleme, die es zu überwinden gilt,
- die Anerkennung, dass alle SchülerInnen ein Recht auf wohnortnahe Bildung und Erziehung haben,
- die Verbesserung von Schulen nicht nur für die SchülerInnen, sondern auch für alle anderen Beteiligten,
- die Betonung der Bedeutung von Schulen dafür, Gemeinschaften aufzubauen, Wer- te zu entwickeln und Leistungen zu steigern,
- den Auf- und Ausbau nachhaltiger Beziehungen zwischen Schulen und Gemeinden,
- den Anspruch, dass Inklusion in Erziehung und Bildung ein Aspekt von Inklusion in der Gesellschaft ist. “ (Boban & Hinz 2003, 10)
Da in der öffentlichen Diskussion häufig die Frage nach dem Elternwahlrecht und der Freiwilligkeit der Teilnahme an inklusiven Bildungsangeboten gestellt wird, scheint es für eine Legitimation von Inklusion von großer Bedeutung und unabdingbar, auch die Perspektive der Betroffenen mit in den Blick zu nehmen. Dies kann nur in der Form geschehen, als dass den Betroffenen der nötige Raum im wissenschaftlichen Diskurs eingeräumt wird. Dies soll nachfolgend geschehen.
Im November 2009 fand in Offenbach eine Fachtagung der Bundesvereinigung Lebenshilfe[1] mit dem Titel „ Eine Schule für Alle! Schülerinnen und Schüler auf dem Weg zur Inklusion “ statt. Der Nucleus dieser Tagung wurde von den 380 TeilnehmerInnen in der „Offenbacher Erklärung“ festgeschrieben. Diese Erklärung ist in klaren und leicht verständlichen Worten als ausdrückliches Forderungspapier verfasst und wird nachfolgend auszugsweise zitiert. Die vollständige Erklärung befindet sich im Anhang dieser Arbeit.
„ Offenbacher Erklärung
'Eine Schule für Alle!' Schülerinnen und Schüler auf dem Weg zur Inklusion
Die Teilnehmer/innen fordern die Weiterentwicklung eines inklusiv gestalteten Lebens und Lernens in unserem Land. Dies beinhaltet die barrierefreie Gestaltung der Gesellschaft und die Überwindung des selektiven Schulsystems. Eine inklusive Schule ist für alle Kinder zugänglich und ermöglicht ihnen umfassende Bildung: Sie ist „Eine Schule für Alle“! Deshalb fordern wir die Umsetzung der Ziele der „UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderung“.
[…] Sie [die Schule; T.S.] muss entsprechend personell und sächlich ausgestattet sein. Sie benötigt Lehrpersonen, die dafür ausgebildet sind, Lerngruppen aus unterschiedlichen Schülern (Heterogenität/Diversity) so zu unterrichten, dass alle Kinder und Jugendlichen erfolgreich lernen und zusammenarbeiten können. [...]
[…] Wir fordern eine umgehende Überarbeitung der Schulgesetze in allen Bundesländern und inklusive Bildungs- und Lehrpläne. […]
Eine inklusive Schule muss eingebettet sein in eine alle Lebensbereiche umfassende Inklusion. Die Behindertenrechtskonvention der UN verpflichtet dazu, künftig allen Kindern in ihrer Vielfalt unbehinderten Zugang zu inklusiver Bildung in Kindertagesstätten und Schulen zu ermöglichen. Die Gesellschaft hat zukünftig für jeden Menschen ein Recht auf inklusive allseitige schulische und lebenslange Bildung in Kindertagesstätten, Schule und Erwachsenenbildung zu sichern. Vereine, Nachbarschaften und Gemeinwesen sowie kulturelle Veranstaltungen müssen sich immer mehr für alle Menschen öffnen, unabhängig von ihrer Persönlichkeit, eventuellen Beeinträchtigungen und ihrem Unterstützungsbedarf.
Offenbach, am 14. November 2009 “
(Bundesvereinigung Lebenshilfe 2009, URL)
Die VerfasserInnen berufen sich mit dieser Erklärung ausdrücklich auf die UN-Behindertenrechtskonvention. Diese wird im nachfolgenden Kapitel dargestellt. Auch die anderen aus der Offenbacher Erklärung zitierten Aspekte werden in dieser Arbeit wieder aufgegriffen. Im folgenden Kapitel wird die rechtliche Fundierung der Inklusion dargestellt.
2.3 Rechtliche Grundlagen der Inklusion
Mit der juristischen Verortung soll deutlich gemacht werden, dass sich die Inklusion neben ihrem ethischen Selbstverständnis auch auf rechtliche Vorgaben der Vereinten Nationen stützen kann und auch deshalb den Charakter internationaler Verbindlichkeit aufweist. Es werden jedoch auch bestehende Diskrepanzen bei der Transformation der internationalen Vorgaben auf Bundes- und Länderebene aufgezeigt.
2.3.1 Salamanca, Behindertenrechtskonvention und KMK
Der Begriff „Inclusion“ wurde auf der Konferenz der Vereinten Nationen in Salamanca im Jahr 1994 in die internationale schulpädagogische Diskussion eingeführt (Heimlich & Kahlert 2012). Im Jahr 2006 hat die UN-Generalversammlung in New York das „ Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen“ (kurz: Behindertenrechtskonvention – BRK) verabschiedet. Dieses ist durch das im Dezember 2008 beschlossene und am 26. März 2009 in Kraft getretene „ Gesetz zu dem Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 13. Dezember 2006 über die Rechte von Menschen mit Behinderungen sowie zu dem Fakultativprotokoll vom 13. Dezember 2006 zum Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen “ von der Bundesrepublik Deutschland ratifiziert und damit rechtsverbindlich geworden. Von besonderer bildungspolitischer Relevanz ist vor allem der Artikel 24 „ Bildung “. Hier schreibt die BRK in Absatz 1 „[...] das Recht von Menschen mit Behinderungen auf Bildung […] ohne Diskriminierung und auf der Grundlage der Chancengleichheit [...]“ fest (BRK 2006, 1436). In Absatz 2 ist der „Zugang zu einem integrativen, hochwertigen und unentgeltlichen Unterricht an Grundschulen und weiterführenden Schulen“ (ebd. 2006, 1436f) geregelt. In der englischen Originalfassung wird von einem „inclusive education system“ (ebd. 2006, 1436) gesprochen, weshalb sich der Fokus in Deutschland auch zunehmend von der Integration auf die Inklusion verlagert hat. Das Menschenrecht auf inklusive Bildung im Sinne des gemeinsamen Unterrichts u.a. behinderter und nicht behinderter Kinder hat damit verbindliche Anerkennung gefunden (Moser 2012, 13). Die Kultusministerkonferenz der Länder der Bundesrepublik Deutschland (KMK) hat mit ihrem Beschluss vom 20.10.2011 mit dem Titel „Inklusive Bildung von Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen in Schulen“ auf die neuen rechtlichen Vorgaben reagiert, indem sie einleitend formuliert:
„ Menschen mit Behinderungen gehören selbstverständlich zu einer Gesellschaft, die die gleichberechtigte Teilhabe, Selbstbestimmung und Entfaltung aller anstrebt und verwirklicht. In allen Lebensbereichen haben Menschen mit Behinderungen die gleichen und unveräußerlichen Rechte. Dies gilt auch für die schulische Bildung und bezieht sich auf den gleichberechtigten Zugang zu den Schulen und auf eine die Entwicklung des Einzelnen unterstützende Teilnahme am Unterricht und Teilhabe am Schulleben. “ (KMK 2011, 2)
Als richtungsweisend an dem Beschluss der KMK hebt Moser (2012, 7) hervor, „ dass inklusive Bildung nicht mehr als Problem der sonderpädagogischen Förderung gesehen wird “, wenngleich ein eindeutiger Vorzug inklusiver Bildung gegenüber dem Sonderschulsystem noch nicht erkennbar sei (ebd.). Die KMK hält sich mit der Formulierung „ Bildung und Erziehung von jungen Menschen mit Behinderungen sind Aufgaben aller Bildungseinrichtungen. […] Hierbei ist das gesamte Lernumfeld mit seinen Bedingungen pädagogisch bedeutsam.“ (2011, 4) noch recht vage. Demgegenüber steht ein bereits 1997 ergangener Beschluss des deutschen Bundesverfassungsgerichtes, wonach Schulen schon damals im Einzelfall nachzuweisen hatten, welchen besonderen Förderbedarfen sie nicht entsprechen können und die Möglichkeiten hierzu herzustellen sie auch nicht in der Lage seien (Boban & Hinz 2003). Jedoch wurde in diesem Beschluss vom höchsten deutschen Gericht der Ressourcenvorbehalt akzeptiert, wonach der benötigte personelle und sachliche Aufwand mit den der Schule zur Verfügung stehenden Personal- und Sachmitteln bestritten können werden muss (Biewer 2009).
In Artikel 24, Absatz 2e fordert die BRK ausdrücklich „ Unterstützungsmaßnahmen in einem Umfeld, das die bestmögliche schulische und soziale Entwicklung gestattet “ (2006, 1437). Die Kontextbedingungen und damit auch das außerschulische Umfeld sollen im Sinne eines ganzheitlichen Inklusionsansatzes miteinbezogen werden (Mack 2012, 40). Auf diesen für die vorliegende Arbeit bedeutsamen Aspekt im Bezug auf die Umweltbildung wird im Kapitel 2.4 näher eingegangen.
Nachfolgend wird die schulrechtliche Situation bezogen auf den gemeinsamen Unterricht im Land Berlin umrissen. Diese Eingrenzung findet statt, da die schulrechtlichen Rahmenbedingungen für die Inklusion von Bundesland zu Bundesland variieren und sich diese Arbeit explizit auf die Situation in Berlin, auch durch den Bezug zu den Waldschulen der Berliner Forsten, beschränkt.
2.3.2 Das Berliner Schulgesetz
Das Berliner Schulgesetz von 2004 in der geänderten Fassung von 2010 sieht in § 4 Abs. 3 den gemeinsamen Unterricht vor: „ Die Förderung von Schülerinnen oder Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf soll vorrangig im gemeinsamen Unterricht erfolgen.“ (Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft 2010[2], 11) In § 36 Abs. 2 heißt es dann lediglich noch: „ Die sonderpädagogische Förderung kann an allgemeinen Schulen oder an Schulen mit sonderpädagogischem Förderschwerpunkt erfolgen. “ (ebd., 40) In § 36 Abs. 4 wird ein Elternwahlrecht für einen gemeinsamen Unterricht ihrer Kinder an allgemeinen Schulen eingeräumt: „ Die Erziehungsberechtigten einer Schülerin oder eines Schülers mit sonderpädagogischem Förderbedarf wählen, ob sie oder er eine allgemeine Schule oder eine Schule mit sonderpädagogischem Förderschwerpunkt besuchen soll.“ (ebd., 40) Der bereits in Kapitel 2.3.1 dieser Arbeit angesprochene Ressourcenvorbehalt, der das Elternwahlrecht stark einschränkt, findet sich auch im Berliner Schulgesetz in § 37 Abs. 3: „ Die Schulleiterin oder der Schulleiter der allgemeinen Schule darf eine angemeldete Schülerin oder einen angemeldeten Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf nur abweisen, wenn für eine angemessene Förderung die personellen, sächlichen und organisatorischen Möglichkeiten nicht vorhanden sind. “ (ebd., 41)
Die Behindertenrechtskonvention wird somit durch das Landesrecht teilweise ausgehöhlt und die rechtliche Verbindlichkeit der BRK durch den Ressourcenvorbehalt ad absurdum geführt. Es kann also durch Landesrecht legitimiert argumentiert werden, dass im gemeinsamen Unterricht nicht beschult werden kann, da die o.g. Möglichkeiten nicht vorhanden sind.
Eine klare und für den Kontext dieser Arbeit relevante Vorgabe macht das Berliner Schulgesetz mit § 5 Abs. 1 in Bezug auf Kooperationen zwischen Schulen und außerschulischen Bildungseinrichtungen wie den Waldschulen der Berliner Forsten. Demnach haben sich die Schulen gegenüber ihrem Umfeld zu öffnen. „ Zu diesem Zweck arbeiten sie im Rahmen des Bildungs- und Erziehungsauftrags mit den Trägern der öffentlichen und freien Jugendhilfe sowie mit außerschulischen Einrichtungen und Personen zusammen, deren Tätigkeit sich auf die Lebenssituation der Schülerinnen und Schüler auswirkt. “ (ebd., 12) Auf diesen Aspekt wird mit Verweis auf regionale Bildungslandschaften in Kapitel 2.4 näher eingegangen.
2.3.3 Das Berliner Gesamtkonzept „Inklusive Schule“
Am 25.01.2011 hat die damalige Berliner Senatsverwaltung für Bildung, Wissenschaft und Forschung unter Jürgen Zöllner dem Abgeordnetenhaus von Berlin ein „Gesamtkonzept `Inklusive Schule` - Umsetzung der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen“ vorgelegt. Eingangs verweist die Senatsverwaltung auf den Beschluss des Abgeordnetenhauses vom 25.06.2009, wonach „[d] er Grundsatz `Integration hat Vorrang` – entsprechend dem gültigen Schulgesetz – gilt und […] im Rahmen der Entwicklung eines Gesamtkonzepts der `Inklusiven Schule` entsprechend der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderung weiter ausgebaut [wird; T.S.].“ (Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft 2011, 1f.) Bemerkenswerter Weise wird in den Ausführungen des Gesamtkonzepts als „Ausgangslage“ unter Berufung auf ein Urteil des Verwaltungsgerichtshofes Kassel vom 12.11.2009 unter anderem dargestellt, dass der Artikel 24 BRK (vgl. Kapitel 2.3.2) „ keine unmittelbare Rechtswirkung [entfalte], weil die Vorschrift nicht hinreichend bestimmt ist. “ (ebd., 6) Diese einleitende Feststellung legt den Schluss nahe, dass sich die Senatsverwaltung hier unter keinen Umständen verbindlich in die Pflicht nehmen lassen möchte.
Mit dem „Gesamtkonzept Inklusive Schule“ soll unter anderem dargestellt werden, „ wie das Wahlrecht der Eltern gewährleistet und der Ausbau der gemeinsamen Erziehung umgesetzt werden kann “ (ebd., 2). Das Papier schlägt hierzu eine Reduzierung der Anzahl von Förderzentren bei einer Erhöhung des Anteils der inklusiven Beschulung von SchülerInnen mit sonderpädagogischem Förderbedarf in den Grund- und weiterführenden Schulen vor und bleibt in dieser Frage unverbindlich und schwammig.
Erstaunlich konkret und fast selbstkritisch heißt es im Gesamtkonzept zu den Personalressourcen: „ Obwohl seit 2003/04 die Anzahl der VZE [Vollzeiteinheiten = Vollzeitstellen der Lehrkräfte; T.S.] in den Förderzentren um 223 gesunken ist, ist dies nicht vergleichbar in die Ressource für die Integration eingeflossen. Dies bremst die Weiterentwicklung des im Schulgesetz vorgesehenen Vorrangs des gemeinsamen Unterrichts an allgemeinen Schulen.“ (Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft 2011, 8) Hierzu schlägt die Senatsver-
waltung ab dem Schuljahr 2011/12 eine „Umsteuerung der Personalressourcen“ für die sonderpädagogische Förderung vor. Wie diese konkret umgesetzt werden soll, bleibt offen.
Auf das Gesamtkonzept Inklusion hat unter anderem die Berliner Landesgruppe des Grundschulverbandes unter Vorsitz von Inge Hirschmann zuletzt am 23.03.2012 mit einer schriftlichen Stellungnahme reagiert. Hierin wird die Umsetzung des Gesamtkonzeptes unter der Prämisse der Kostenneutralität, also insbesondere ohne die Aufstockung des sonderpädagogischen Personals und der Schulassistenzkräfte, für „ nicht machbar “ erklärt (Grundschulverband 2012, 2). Die Berliner Bildungssenatorin Sandra Scheeres kündigte am 28. November 2012 im Beirat „Inklusive Schule“ an, einen Kostenplan für die Inklusion in der Schule für den nächsten Doppelhaushaltsplan 2014/2015 von einer Projektgruppe erstellen lassen zu wollen. Den Vorsitz wird ein langjähriger Grundschul-Rektor aus Kreuzberg übernehmen (Tagesspiegel vom 29.11.2012, 13). Diese jüngste Entwicklung lässt hoffen, dass damit die Prämisse der Kostenneutralität endlich überwunden ist.
Der Bereich schulische Inklusion scheint mittel- bis langfristig eine Dauerbaustelle zu bleiben. Mit dem nachfolgenden Kapitel wird der Bereich der außerschulischen Inklusion und damit das Konzept der bereits genannten regionalen Bildungslandschaften in den Blick genommen.
2.4 Inklusion im Kontext regionaler Bildungslandschaften
In der ökosystemischen Entwicklungspsychologie erfolgt menschliche Entwicklung stets im Wechselspiel von Individuum und Umwelt. Demzufolge stellt das außerschulische Umfeld einen bedeutsamen Einflussfaktor für die individuelle Entwicklung dar. Für diese Arbeit erscheint die Tatsache, dass in der Inklusionsdebatte zunehmend auch der Aspekt der regionalen Bildungslandschaften als fester sozialräumlicher Bestandteil von Inklusion mit einbezogen werden muss, als besonders hervorzuheben. Wie schon in Kapitel 2.3.1 gezeigt wurde, werden sowohl in der BRK als auch von der KMK die Kontextbedingungen, also das außerschulische Umfeld des Bildungssystems angesprochen. Die BRK verweist in Artikel 24 auf ein „ integratives Bildungssystem auf allen Ebenen und lebenslanges Lernen “ (UN-BRK 2006, 1436).
Mit dem Konzept der regionalen Bildungslandschaften sollen vielfältige Gelegenheiten und Angebote für Bildung an vielen verschiedenen Orten geschaffen werden. Hierdurch sollen Bildungsbenachteiligungen von Kindern und Jugendlichen in schwierigen Lebensverhältnissen sowie in benachteiligten Lebenslagen abgebaut werden und ein Beitrag zu mehr Bildungsgerechtigkeit geschaffen werden (Mack 2012).
2.4.1 Die Bedeutung des Konzepts Bildungslandschaften für Inklusion
In der sonderpädagogischen Debatte wird Inklusion häufig auf die institutionelle Gestaltung von Bildungsangeboten reduziert. Für den Anspruch der uneingeschränkten Teilhabe aller Menschen in allen Lebensbereichen (vgl. Kap. 2. dieser Arbeit), also dessen, was mit dem Begriff Inklusion analytisch, politisch und ethisch verbunden ist, greift diese Perspektive aber zu kurz (Mack 2012). Es ist deshalb erforderlich, auch auf Prozesse der sozialräumlichen Ausgrenzung und Marginalisierung Bezug zu nehmen und Inklusion „ im Gesamt der Bildungsmöglichkeiten und -gelegenheiten in einem Quartier oder einer Kommune “ (ebd., 45) zu diskutieren. Inklusion wird nach eingehender Analyse also „ für alle Institutionen im Bereich der Bildung und der sozialen Arbeit als handlungsleitende Maxime relevant.“ (ebd., 47)
Der Anspruch der damit auch an außerschulische Bildungseinrichtungen wie die Waldschulen der Berliner Forsten gestellt wird und für diese Arbeit einleitend schon vorgezeichnet wurde, ist damit deutlich geworden. Nachfolgend soll u.a. kurz dargestellt werden, welchen Beitrag die eben bezeichneten Einrichtungen aber auch für den Aufbau regionaler Bildungslandschaften leisten können.
2.4.2 Umweltbildung im Kontext regionaler Bildungslandschaften
Schroeder (2002) geht in seiner Monographie „ Bildung im geteilten Raum “ auf die Umweltbedingungen menschlicher Entwicklung im sozialen Raum ein. Er fügt den vier Kapitalsorten von Bourdieu (1930-2002) „ physisches, ökonomisches, soziales und kulturelles Kapital “ die Kapitalsorten „ ökologisches und juridisches Kapital “ hinzu. Für Schroeder (2002) ist es naheliegend, „ zur Analyse des naturräumlichen und umweltabhängigen Aneignungsvermögens den Begriff 'Ökologie' aufzunehmen. “ (ebd., 233), weil durch diesen schon ein Raumbezug zur Umwelt hergestellt sei. Zur Erschließung des ökologischen Kapitals von Bildungsräumen hat sich das pädagogische Handeln auf „ die Aneignung und Reflexion von Naturerfahrungen, die Beobachtung und Analyse von Umweltphänomenen oder gar auf eine präventive und reaktive Umwelterziehung [zu] beziehen. Es handelt sich also um Themen, die […] in der Umweltbildung verhandelt werden. “ (Schroeder 2002, 234)
Der Aspekt Umweltbildung, auf den Schroeder hier konkret verweist, ist demnach für den Gesamtkontext der inklusiven Bildungslandschaften von Bedeutung. Er wird von der Thematik dieser Arbeit voll erfasst.
Zur Schaffung regionaler Bildungslandschaften schlagen Moser & Redlich (2012, 9) unter anderem die „ Entwicklung von Kooperationen [...] auch mit kommunalen Bildungs- und Kultureinrichtungen “ vor. Mack (2012, 41) nennt hierfür „ Institutionen und Initiativen aus den Bereichen Bildung, Jugend, Soziales, Wirtschaft, Kultur, Gesundheit, Sport unter Einbezug gesellschaftlicher Gruppen und Verbände, Gewerkschaften, Kirchen und Vereine; […]“. Die Waldschulen der Berliner Forsten sind als Umweltbildungseinrichtung der hier genannten Gruppe der Vereine bzw. gesellschaftlichen Gruppen zuzuordnen, da sie vom Land Berlin in den 1990er Jahren sukzessive in freie Trägerschaft gegeben wurden. Die Träger sind heute der Jugend in Berliner Wäldern e.V. (JIBW e.V.) und die INU (Infrastrukturelles Netzwerk Umweltschutz gGmbH). Inhaltlich verschränken sich bei den Waldschulen sämtliche der eben genannten Bereiche.
Schulentwicklung kann aus der sozialräumlichen Perspektive, wie gezeigt wurde, nicht länger als innerschulische Angelegenheit angesehen werden. Sie muss vielmehr in Bezug zu ihrem sozialräumlichen Umfeld im lokalen Bildungsraum erfolgen. Nur so können Bildungsbarrieren auf allen Ebenen abgebaut und der Zugang zu Bildung auch für benachteiligte Gruppen realisiert werden. Diesen Ansatz hat das Bundesministerium für Bildung und Forschung mit dem Programm „Lernende Regionen“ aufgegriffen und mit dem Programm „Lernen vor Ort“ räumlich konkretisiert. Als Voraussetzung für den Aufbau von Bildungslandschaften sollen alle wichtigen und professionellen Akteure aus dem formalen und non-formalen Bildungsbereich sowie die Adressaten der Angebote mit einbezogen werden (Mack 2012).
Es sollte deutlich geworden sein, dass der Bereich Umweltbildung und damit die Arbeit der Waldschulen der Berliner Forsten für den ganzheitlichen Aufbau von Bildungslandschaften eine nicht zu vernachlässigende Größe darstellt. Auf den zuletzt genannten Aspekt der Professionalisierung der Akteure wird unter Bezugnahme auf das „Zertifikat Waldpädagogik“ in Kapitel 3.3 noch eingegangen.
2.5 Didaktische Konzepte in der Inklusion
In diesem Kapitel werden zunächst die historischen Grundlagen und Wurzeln didaktischer Überlegungen für heterogene Lerngruppen, die bis zurück in die Zeit vor der Reformpädagogik reichen, dargestellt. Anhand neuerer Veröffentlichungen lassen sich hernach grundsätzliche Überlegungen zu didaktischen Konzepten in der Inklusion aufzeigen. Hiermit wird auch der Stand der Forschung auf diesem Gebiet für diese Arbeit repräsentiert. Daran anknüpfend werden drei ausgewählte didaktische Konzepte vorgestellt, die in der Fachliteratur häufig angeführt werden und die für inklusive Lernsettings als besonders geeignet erscheinen. Seitz & Scheidt (2012) geben zu bedenken, dass es zur Gestaltung eines inklusiven Unterrichts noch viele konzeptionelle Herausforderungen gibt. Textor (2012) konstatiert, es sei für die Zukunft sinnvoll, weitere allgemeindidaktische Modelle auf deren Eignung für die Planung und Analyse von inklusivem Unterricht zu untersuchen.
2.5.1 Historische Wurzeln vor und in der Reformpädagogik
Didaktische Konzepte für inklusive Lernsettings sind in ihrem Kern nicht neu. Frühe Überlegungen zu einem gemeinsamen Unterricht für alle SchülerInnen finden sich schon vor fast 400 Jahren bei Johann Amos Comenius (1592-1670). In seiner „Didactica Magna“ schreibt er: „ Die gesamte Jugend beiderlei Geschlechts muss den Schulen anvertraut werden. […] alle in gleicher Weise, adlige und nicht adlige, reiche und arme Knaben und Mädchen “ (Comenius 1638, 62). Mit dieser Forderung greift Comenius schon zu seiner Zeit zwei der bereits genannten Heterogenitätsdimensionen (vgl. Kap. 2.1) auf, nämlich die des Geschlechts und die des soziokulturellen Status. Die Dimension des Leistungsvermögens und damit auch SchülerInnen mit Behinderung schließt er in seine Forderung, „ daß in den Schulen alle in allem unterrichtet werden müssen “ (ebd., 65) ausdrücklich ein, indem er weiter schreibt: „ Dem steht auch nicht entgegen, daß einige von Natur stumpfsinnig und dumm scheinen: denn das empfiehlt und verlangt diese allgemeine Pflege der Geister nur noch gebieterlicher. Denn je schwerfälligerer oder boshafterer Natur einer ist, desto mehr bedarf er der Hülfe, […]. Und eine solche Unfruchtbarkeit der Anlage läßt sich nicht finden, der die Pflege durchaus keine Besserung bringen könnte.“ (ebd., 63) Mit der Forderung einer allgemeinen schulischen Bildung für alle Kinder, unabhängig von ihrem Geschlecht, ihrem sozioökonomischen Status oder ihrer kognitiven Fähigkeiten nimmt Comenius schon erkenntnistheoretisch und didaktisch den Kern der Inklusionsdebatte vorweg, den wir heute oftmals neu zu verteidigen gezwungen scheinen.
Johann Heinrich Pestalozzi (1749-1832) ist es zu verdanken, dass zum Ende des 18. Jahrhunderts die Kinder der verarmten und verwahrlosten Schichten als pädagogisch bedürftig und beachtenswert wahrgenommen wurden. Mit der Gründung seiner „Rettungshausbewegung“ kann er als erster Pädagoge bezeichnet werden, der das Leben und Lernen mit benachteiligten Kindern vorlebte (Graumann 2002). So schrieb Pestalozzi 1798 aus Stans: „ Ich wußte, wie sehr die Noth und die Bedürfnisse des Lebens selbst dazu beitragen, die wesentlichsten Verhältnisse der Dinge dem Menschen anschaulich zu machen, […] und Kräfte anzuregen, die zwar in dieser Tiefe des Daseins mit Unrath bedeckt, die aber vom Schlamme dieser Umgebungen gereinigt, in hellem Glanze strahlen. “ (Pestalozzi 1798, 159) Pestalozzi beschreibt hiermit die zu seiner Zeit fest verankerte Bildungsbenachteiligung von Kindern aus ärmeren Schichten, denen durch ihre Umwelt Bildungsangebote weithin vorenthalten werden. Wenn er sich auch nicht ausdrücklich für eine gemeinsame Bildung aller Kinder ausspricht, so kann er doch als großer Verfechter von Gleichberechtigung und Bildungsgerechtigkeit angeführt werden. Diese beiden Aspekte begegnen uns in der Integrationsbewegung im 20. Jahrhundert wieder.
In der Integrationspädagogik der frühen 1970er Jahre ging es im Kern darum, „ soziale Hierarchien zwischen behinderten und nichtbehinderten Menschen abzubauen und gleichberechtigte Bildungschancen zu ermöglichen “ (Schildmann 2012, 93). Seine Fundierung erhält der gemeinsame Unterricht vor allem auf der Grundlage Feusers „entwicklungslogischer Didaktik“ durch Individualisierung, Binnendifferenzierung und Kooperation (Feuser 1989). Die Idee der entwicklungslogischen Didaktik ist nach Klauß (2011, 68) bis heute „ der einzige theoretisch fundierte und ausgearbeitete Ansatz “, der der Frage nachgeht, wie eine gemeinsame schulische Bildung von SchülerInnen mit den unterschiedlichsten kognitiven Voraussetzungen in die Praxis umgesetzt werden kann. Es sei angemerkt, dass sich eine inklusive Didaktik nicht ausschließlich auf die unterschiedlichen Lernvoraussetzungen von SchülerInnen bezieht, sondern selbstverständlich immer auch Unterschiede hinsichtlich Geschlecht, sozialer Herkunft (Milieu) sowie Kulturalität sensibel berücksichtigt (Seitz & Scheidt 2012). Zur Realisierung eines solchen gemeinsamen Unterrichts schien schon damals der Projektunterricht am geeignetsten. Hier sollen die SchülerInnen nicht nur von der Lehrkraft, sondern selbsttätig und arbeitsteilig voneinander entsprechend ihren individuellen Handlungsmöglichkeiten lernen. Eine Orientierung sollen hierbei die eigenen Interessen und Stärken bieten (Klauß 2011).
Pädagogische Fachkräfte aller Disziplinen können also auf eine 40-jährige praktische Erfahrung in der integrativen Beschulung von SchülerInnen zurückblicken (vgl. Seitz 2006, Textor 2012, Katzenbach & Schnell 2012). Die Anfänge schulischer Integration standen dabei in enger Verbindung zur Gesamtschulreform und zur Integration im Elementarbereich. Hier wurden überwiegend bereits erprobte didaktische Konzepte wie offene Unterrichtsformen, Binnendifferenzierung und reformpädagogische Ansätze verfolgt, welche sich für den integrativen Unterricht als besonders geeignet erwiesen (vgl. Seitz 2006, Textor 2012). Auch bezieht sich die gegenwärtige Debatte um die Weiterentwicklung von Schulen, insbesondere im inklusiven Kontext, häufig auf reformpädagogische Schulen. Hier werden u.a. Montessori-, Jena-Plan-, Waldorf- und Arbeitsschulen exemplarisch herangezogen. Die heute an vielen Schulen verfolgten unterrichtsmethodischen Konzepte, die unter dem Schlagwort „Offener Unterricht“ zusammengefasst werden können, haben eine lange und erfolgreiche Tradition und sind reformpädagogischen Ursprungs. Häufig praktizierte Unterrichtsformen wie Freie Arbeit, Gesamtunterricht, Wochenplan, Projektunterricht oder jahrgangsübergreifendes Lernen (in Berlin: JÜL) werden häufig mit ReformpädagogInnen wie Maria Montessori, Berthold Otto, Célestin Freinet, John Dewey und Peter Petersen verknüpft (vgl. Graumann 2002, Hillenbrand 2007).
Dieser historischen Entwicklung scheint es geschuldet, dass in der Vergangenheit in der Integrations-/Inklusionsforschung didaktische Fragen eher vernachlässigt wurden (Seitz 2006) und häufig konstatiert wird, dass „ eine eigene Didaktik für Unterricht in inklusiven Settings nicht notwendig sei, [...]“ (Textor 2012, o.S.). Um sich didaktischen Fragen in der Inklusion anzunähern, ist es zunächst notwendig hervorzuheben, dass es in der Inklusion nicht das Ziel ist und nicht sein kann, die Vielfalt der Kinder in ein bestehendes Bildungs- bzw. Schulsystem zu pressen. Ziel ist es vielmehr, sämtliche Bildungsangebote an die heterogene Ausgangslage der SchülerInnen anzupassen, oder wie Wocken es formuliert: „ Wenn nun die schier unbegrenzte Vielfalt der Kinder die konstitutive Eingangsbedingung der Inklusionspädagogik ist, dann hat dies zur Folge, dass dann auch das gesamte pädagogische Haus, das diese Kinder bewohnen, dieser Kindervielfalt angepasst werden muss. “ (Wocken 2010, 205)
Das von Wocken so genannte „ Haus der Vielfalt “ ruht auf drei Säulen: Vielfalt der Kinder, Vielfalt der Pädagogen und Vielfalt des Unterrichts. Dieses Haus der Vielfalt begründet Wocken mit Jean Piaget, der menschliche Entwicklung als Folge von zwei Adaptionsprozessen beschrieben hat. Danach wird der menschliche Entwicklungsaufbau sowohl durch Assimilation (Anpassung des Subjekts an die Umwelt) und durch Akkomodation (Anpassung der Umwelt an das Subjekt) vorangetrieben (Wocken 2010). Nach Wocken müssen also für den inklusiven Unterricht zwei Passungen hergestellt werden:
1. „ Didaktische Passung zwischen den Lernbedürfnissen der Kinder und den pädagogischen Angeboten der Schule“, und
2. „ Professionelle Passung zwischen den Lernbedürfnissen der Kinder und den Kompetenzen der Pädagogen“ ( Wocken 2010, 206).
Für die professionelle Passung fordert Wocken einen zweiten Pädagogen. Diese Notwendigkeit begründet er systemtheoretisch und antwortet auf die Frage von Comenius (1657) „ Wie kann ein einziger Lehrer für eine große Schülerzahl ausreichen? “ (ebd., zit. n. Wocken 2010, 206) mit der Antwort: „ Ein einziger Lehrer kann es nicht, und zwar nie und nimmer. […] Der Komplexität einer heterogenen Schülergruppe muss die Komplexität des Pädagogen-Teams entsprechen, dann ist das Verhältnis wieder im Lot. “ (Wocken 2010, 206f.) Er fordert die Mitarbeit mehrerer pädagogischer Professionen in der Inklusion und bezeichnet die „ situative Anpassung professioneller Ressourcen “ (ebd., 206) als unumgänglich.
[...]
[1] Die Bundesvereinigung Lebenshilfe „ versteht sich als Selbsthilfevereinigung, Eltern-, Fach- und Trägerverband für Menschen mit geistiger Behinderung und ihre Familien. Die Lebenshilfe wurde 1958 in Deutschland auf Bundesebene von betroffenen Eltern und Fachleuten als Bundesvereinigung Lebenshilfe gegründet. “ (Bundesvereinigung Lebenshilfe 2012, URL)
[2] Die Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft hieß im Jahr 2010 noch Senatsverwaltung für Bildung, Wissenschaft und Forschung
- Quote paper
- Tobias Schwamm (Author), 2013, Inklusive Lernsettings in Umweltbildungseinrichtungen, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/303614
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