Da sich das an strenge Verhaltensrichtlinien geknüpfte, patriarchalisch strukturierte Erziehungskonzept des Bürgertums und der Zustand der Mündigkeit aufgrund deren Definitionen gegenseitig auszuschließen scheinen, wird die Frage beleuchtet, ob und wenn ja, inwiefern die Erziehung zur Tugend einer Erziehung zur Unmündigkeit gleichzusetzen ist. Hierzu wird auf literarischer Ebene, genauer, innerhalb der Gattung des bürgerlichen Trauerspiels geforscht, da sich diese aufgrund ihrer zielgerichteten Problematik des Familienkonflikts für die Beantwortung des zu erörternden Themas anbietet.
Als Beispielwerke werden hauptsächlich Lessings „Emilia Galotti“ und Schillers „Kabale und Liebe“ herangezogen. Beide Werke eignen sich deshalb besonders gut, da sie in das Zeitalter der Aufklärung, beziehungsweise in das der aufklärerischen Strömung des Sturm und Drangs fallen, dessen Fokus auf die Emanzipation des Bürgers gerichtet war und das sich darüber hinaus verstärkt mit der Frage nach mündigem und unmündigem Handeln beschäftigte.
Im Zeitalter der Aufklärung entwickelte sich in Deutschland aufgrund wirtschaftlicher Faktoren ein erstarkendes Bürgertum. Dieses fand sich angesichts der dominierenden feudalen Ordnung jedoch in einer öffentlichen, politischen Ohnmacht wieder, wandte sich daraufhin dem Privaten zu und grenzte sich damit sowohl politisch als auch räumlich vom Adel ab. Innerhalb dieser kulturellen Emanzipation folgte auch die Entwicklung neuartiger Ideale und bestimmter bürgerlicher Werte und Tugenden. Neben diesen Entwicklungen machten ebenfalls die Struktur und die Rollenverteilung der bürgerlichen Familie ab der Mitte des 18. Jahrhunderts wesentliche Veränderungen durch.
Die familiäre Struktur wandelte sich in die auch heute noch typische Form der Kleinfamilie. Das vorherrschende bürgerliche Familienideal zeichnete sich nun durch das intensivierte und intimisierte Verhältnis zwischen den Familienmitgliedern und der Abschottung vor der Öffentlichkeit aus. Innerhalb der familiären sozialen Rollenverteilung sorgte der Vater nun mehr außerhalb des Hauses für die „ökonomische Absicherung der Familie [und] stellte den Kontakt zur Gesellschaft her, deren Gesetz und Ordnung er innerhalb des Familienraums“ vertrat; der Mutter oblag die Kindererziehung. Allerdings blieb der Vater das uneingeschränkte und autoritäre Oberhaupt der Familie, wodurch sich die Struktur der bürgerlichen Familie demnach weiterhin als patriarchalisch bestimmt beschreiben lässt.
Inhaltsverzeichnis
- Gegenstand der Arbeit und Zielstellung
- Das bürgerliche Trauerspiel
- Lessings „Emilia Galotti“
- Schillers „Kabale und Liebe“
- Der Einfluss bürgerlicher Tugenderziehung auf die Mündigkeit am Beispiel zweier weiterer bürgerlicher Trauerspiele ....
- Fazit
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit untersucht die Frage, ob die Erziehung zur Tugend im bürgerlichen Trauerspiel als Erziehung zur Unmündigkeit betrachtet werden kann. Der Fokus liegt dabei auf den ausgewählten Beispielen „Emilia Galotti“ von Lessing und „Kabale und Liebe“ von Schiller.
- Die Entwicklung bürgerlicher Ideale und Tugenden im Zeitalter der Aufklärung
- Die Rolle der Familie und der Erziehung in der bürgerlichen Gesellschaft
- Die Bedeutung von Mündigkeit und Selbstbestimmung in der aufklärerischen Gesellschaft
- Die Darstellung von Tugenden und deren Einfluss auf das Handeln der Figuren in den ausgewählten Dramen
- Die Kritik an der bürgerlichen Tugenderziehung durch die Autoren Lessing und Schiller
Zusammenfassung der Kapitel
Das erste Kapitel beleuchtet die Entwicklung des bürgerlichen Trauerspiels im Kontext des Zeitalters der Aufklärung und stellt die beiden zu untersuchenden Dramen, „Emilia Galotti“ und „Kabale und Liebe“, vor.
Das zweite Kapitel widmet sich der Analyse von Lessings „Emilia Galotti“, indem es die Tugenden der Hauptfigur Emilia und deren Einfluss auf ihr Handeln untersucht. Es werden die kritischen Aspekte der bürgerlichen Tugenderziehung in Bezug auf Emilias Schicksal diskutiert.
Das dritte Kapitel befasst sich mit Schillers „Kabale und Liebe“, indem es die Tugenden der Hauptfigur Luise und deren Einfluss auf ihr Handeln analysiert. Das Kapitel untersucht ebenfalls die kritischen Aspekte der bürgerlichen Tugenderziehung in Bezug auf Luises Schicksal.
Das vierte Kapitel analysiert die Auswirkungen bürgerlicher Tugenderziehung auf die Mündigkeit am Beispiel weiterer bürgerlicher Trauerspiele, wie Lessings „Miss Sara Sampson“ und Hebbels „Maria Magdalena“.
Schlüsselwörter
Die Arbeit befasst sich mit den Themen der bürgerlichen Tugenderziehung, der Mündigkeit und der Unmündigkeit, dem bürgerlichen Trauerspiel, der Aufklärung, der Familie und den Werken von Lessing und Schiller. Weitere wichtige Begriffe sind Emilia Galotti, Kabale und Liebe, Miss Sara Sampson, Maria Magdalena, Tugenden, patriarchalische Strukturen, und die Rolle der Frau in der bürgerlichen Gesellschaft.
- Quote paper
- Agnetha Hinz (Author), 2014, Erziehung zur Tugend als Erziehung zur Unmündigkeit im bürgerlichen Trauerspiel? Gotthold Ephraim Lessings „Emilia Galotti“ und Friedrich Schillers „Kabale und Liebe“, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/302881