Trotz der wissenschaftlich begründeten Notwendigkeit nationaler und internationaler Klimaschutzmaßnahmen, existiert bislang keine wirksame, kollektive Antwort der Staatengemeinschaft auf den Klimawandel. Vor diesem Hintergrund wird untersucht, wer sich auf nationalstaatlicher und supranationaler Ebene gegen Klimaschutzregulationen ausspricht und wie diese Haltung legitimiert wird. Die Verbreitung von Skeptizismus gegenüber dem vom Weltklimarat hergestellten wissenschaftlichen Konsens, wird in der aktuellen Forschungsliteratur als zentrale Strategie des „non-decision-making“, also des „politischen Nichthandelns“, erachtet. Vor diesem Hintergrund wird zudem untersucht, ob der Klimaskeptizismus als zentraler Treiber der „Legitimation des Nichthandelns“ identifiziert werden kann. Dazu wird mit einem komparativen Framing-Ansatz die Medienberichterstattung zum Thema Klimawandel in Deutschland und Großbritannien untersucht. Die empirische Erhebung stützt sich auf eine extensive Inhaltsanalyse von 885 Medienbeiträgen, über einen zweijährigen Untersuchungszeitraum von 2011 bis 2012.
Diese Untersuchung zeigt auf, dass sich das Spektrum der Akteure, welche Klimaschutzregulationen ablehnen, auf nationalem, bzw. supranationaler Ebene stark unter-scheidet. Während Regulationsgegner auf der transnationalen Bühne kaum Frames bewirtschaften, bezieht sich ihre dominante Argumentationsstruktur in den nationalen Debatten vorwiegend auf mögliche sozioökonomische Folgen der Energiewende. Klimaskeptizismus ist weder in Deutschland noch in Großbritannien ein zentraler Treiber der Regulationsdebatte. In der britischen Arena kommen Skeptiker jedoch häufiger zu Wort, was insbesondere auf die Kampagne einer Zeitung zurückgeführt werden kann.
Inhaltsverzeichnis
Abbildungs- und Tabellenverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
1 Einleitung
2 Theoretische Basis
2.1 Gesellschaftliche Akteure in der Medienöffentlichkeit
2.1.1 Funktionen von Öffentlichkeit
2.1.2 Ebenen der Öffentlichkeit
2.1.3 Strategische Kommunikation gesellschaftlicher Akteure
2.2 Framing-Ansatz
2.2.1 Definition
2.2.2 Anwendung in den Kommunikationswissenschaften
2.2.3 Systematisierung von Frames
2.3 Forschungsstand zur Klimadebatte
2.3.1 Der Klimawandel in der Kommunikationswissenschaft
2.3.2 Exkurs: Konsens, Skeptizismus und wissenschaftliche Unsicherheit
2.3.3 Erforschung von Kommunikatoren
2.3.4 Erforschung von öffentlicher Meinung
2.3.5 Erforschung von Medieninhalten
2.4 Diskussion des Forschungsstandes
2.4.1 Kritik an gängigen Forschungsdesigns
2.4.2 Erweiterung und Spezifikation des Forschungsdesigns
3 Forschungsfragen und Hypothesen
3.1 Forschungsfragen
3.2 Hypothesen
3.2.1 Akteurstypologie
3.2.2 Argumentationstypologie
3.2.3 Kommunikationstypen
3.2.4 Legitimation des Nichthandelns
4 Methode und Operationalisierung
4.1 Forschungsdesign
4.1.1 Vorteile komparativer Kommunikationsforschung
4.1.2 Anschluss an das Forschungsprojekt Framing Climate Change
4.1.3 Länderauswahl und Kontextfaktoren
4.2 Operationalisierung
4.2.1 Formale Variablen
4.2.2 Akteurstypen
4.2.3 Argumentationstypen
4.3 Gütekriterien einer Medieninhaltsanalyse
4.3.1 Validität
4.3.2 Reliabilität
5 Empirische Ergebnisse
5.1 Hypothesenprüfung
5.1.1 Hypothesenprüfung: Akteurstypen (H1.1-H1.5)
5.1.2 Hypothesenprüfung: Argumentationstypen (H2.1-H2.4)
5.1.3 Exploration: Kommunikationstypen
5.1.4 Hypothesenprüfung: Regulationsgegner und Skeptizismus (H3,H4)
5.2 Qualitative Vertiefung des „Nichthandelns“
5.2.1 Themen und Akteure der Regulationsgegner
5.2.2 Deutungsmacht der Regulationsgegner
5.2.3 Bedeutung des Klimaskeptizismus
5.2.4 Unterschiede zwischen den Medienarenen
6 Zusammenfassung und Diskussion
6.1 Theoretische Schlussfolgerungen
6.2 Empirische Erkenntnisse
6.3 Methodische Schlussfolgerungen
7.Literaturverzeichnis
8 Anhang
Abstract
Trotz der wissenschaftlich begründeten Notwendigkeit nationaler und internationaler Klimaschutzmaßnahmen, existiert bislang keine wirksame, kollektive Antwort der Staatengemeinschaft auf den Klimawandel. Vor diesem Hintergrund wird untersucht, wer sich auf nationalstaatlicher und supranationaler Ebene gegen Klimaschutzregulationen ausspricht und wie diese Haltung legitimiert wird. Die Verbreitung von Skeptizismus gegenüber dem vom Weltklimarat hergestellten wissenschaftlichen Konsens, wird in der aktuellen Forschungsliteratur als zentrale Strategie des „non-decision-making“, also des „politischen Nichthandelns“, erachtet. Vor diesem Hintergrund wird zudem untersucht, ob der Klimaskeptizismus als zentraler Treiber der „Legitimation des Nichthandelns“ identifiziert werden kann. Dazu wird mit einem komparativen Framing-Ansatz die Medienberichterstattung zum Thema Klimawandel in Deutschland und Großbritannien untersucht. Die empirische Erhebung stützt sich auf eine extensive Inhaltsanalyse von 885 Medienbeiträgen, über einen zweijährigen Untersuchungszeitraum von 2011 bis 2012.
Diese Untersuchung zeigt auf, dass sich das Spektrum der Akteure, welche Klimaschutzregulationen ablehnen, auf nationalem, bzw. supranationaler Ebene stark unterscheidet. Während Regulationsgegner auf der transnationalen Bühne kaum Frames bewirtschaften, bezieht sich ihre dominante Argumentationsstruktur in den nationalen Debatten vorwiegend auf mögliche sozioökonomische Folgen der Energiewende. Klimaskeptizismus ist weder in Deutschland noch in Großbritannien ein zentraler Treiber der Regulationsdebatte. In der britischen Arena kommen Skeptiker jedoch häufiger zu Wort, was insbesondere auf die Kampagne einer Zeitung zurückgeführt werden kann.
Abbildungs- und Tabellenverzeichnis
Abbildung 1: Zugriffe des Framing-Ansatzes
Abbildung 2: Korrespondenzanalyse Gesellschaftsbereich und Skeptikerklasse
Abbildung 3: Korrespondenzanalyse Politische Position und Frame
Tabelle 1: Erwähnung von Klimaskeptikern nach Medienarena
Tabelle 2: Kennzahlen als Kontextfaktoren
Tabelle 3: Intracoder-Reliabilitätstest: Holsti-Koeffizient nach Variablen
Tabelle 4: Chi-Quadrat-Test: Gesellschaftsbereich und Minimalkonsens Anthropogenität
Tabelle 5:Korrespondenzanalyse: Datenblatt Gesellschaftsbereich/Skeptikerklasse (abs. Häufigkeiten)
Tabelle 6: Chi-Quadrat-Test: Politische Position und Frame
Tabelle 7: Korrespondenzanalyse: Datenblatt Politische Position/Frame (abs. Häufigkeiten)
Tabelle 8: Kommunikationstypen: Kombinationen von Akteurs- und Argumentationstypen (abs. Häufigkeiten)
Tabelle 9: Regulationsgegner: Skeptikerklasse und Frame
Tabelle 10: Skeptizismus: Gesellschaftsbereich und Akteursherkunft nach Medienarena
Tabelle 11: Einstellung zu den Elementen des Masterframes
Tabelle 12: Anzahl Medienbeiträge nach Medienarena und Medium
Tabelle 13: Aufhänger der Medienbeiträge und Akteursaussagen nach Gesellschaftsbereich
Tabelle 14: Politische Position und Aufhänger der Berichterstattung
Tabelle 15: Regulationsgegner: Akteursherkunft und Aufhänger der Berichterstattung nach Medienarena
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
1 Einleitung
Der Klimawandel stellt vielleicht die größte Herausforderung für die ökologischen, sozialen, politischen und ökonomischen Systeme dar, welche die Menschheit je erlebt hat (vgl. z.B. Dryzek et al. 2011: 3). Mitte 1990er Jahre etablierte der Zwischenstaatliche Ausschuss für Klimaänderungen (Intergovernmental Panel on Climate Change, IPCC) erstmals einen weitgehenden, wissenschaftlichen Konsens über die Ursachen und Folgen des Klimawandels (vgl. IPCC 1996). Seitdem hat sich die Erkenntnislage erhärtet, dass die globale Erderwärmung maßgeblich menschenverursacht ist und in absehbarer Zukunft große globale Probleme verursachen wird (vgl. IPCC 2007). Nachdem die globalen Treibhausgasmissionen im Rahmen des Kyoto-Protokolls von 1997 nicht effektiv hatten eingedämmt werden können, stiegen die Erwartungen an die UN-Klimakonferenz von Kopenhagen 2009. Doch die Verhandlungen wurden weitgehend als gescheitert betrachtet, da die von den USA und China erwirkte Vereinbarung weder bindende Klimaziele noch wirksame Durchsetzungsmechanismen vorsah (vgl. Dryzek et al. 2011: 12–13). Trotz der wissenschaftlich begründeten Notwendigkeit nationaler und internationaler Klimaschutzmaßnahmen, existiert bislang keine effektive, kollektive Antwort der Staatengemeinschaft auf den Klimawandel (vgl. Christoff/Eckersley 2011: 432). Vor diesem Hintergrund interessiert mich die Frage, wer sich auf nationalstaatlicher und supranationaler Ebene gegen Klimaschutzregulationen ausspricht und wie diese Haltung legitimiert wird.
Kurz vor Beginn der Klimakonferenz in Kopenhagen waren hunderte, über einen Hackerangriff auf die Klimaforschungsabteilung der University of Eeast Anglia in England gestohlene, vertrauliche Dokumente im Internet veröffentlicht worden. Klimaskeptiker weltweit behaupteten daraufhin, darin Beweise für die gezielte Manipulierung klimawissenschaftlicher Ergebnisse durch britische und amerikanische Wissenschaftler gefunden zu haben. Obwohl sich die Vorwürfe schlussendlich auf Basis mehrerer offizieller Untersuchungen als unhaltbar herausstellten, erlitt die Klimawissenschaft durch die sogenannte Climategate-Affäre einen bedeutenden Reputationsschaden (vgl. Jasanoff 2011: 136–137; Leiserowitz et al. 2013: 828–829). Verschiedene empirische Untersuchungen der US-amerikanischen Klimadebatte haben aufgezeigt, wie eine konservativ-wirtschaftsfreundliche Koalition aus Politikern, Think-Tanks und Exponenten der Energie- und Brennstoffindustrie die Umsetzung wirksamer Umweltpolicy seit den 1990er Jahren erfolgreich verhindert hat (vgl. z.B. Dunlap/McCright 2011; Oreskes/Conway 2010). Die Verbreitung von Skeptizismus gegenüber dem vom IPCC hergestellten, wissenschaftlichen Konsens, wird als zentrale Strategie des „non-decision-making“ (McCright/Dunlap 2010), also des politischen Nichthandelns, angesehen. Vor diesem Hintergrund interessiert mich die Frage, ob der Klimaskeptizismus auch in der europäischen Klimadebatte als zentraler Treiber für die Legitimation des Nichthandelns identifiziert werden kann.
In den letzten zwei Jahrzehnten hat sich das Thema Klimawandel weltweit in der medialen Agenda etabliert (vgl. Boykoff et al. 2014; Schmidt et al. 2013). Parallel dazu stieg auch die Anzahl wissenschaftlicher Arbeiten, die sich mit der Klimadebatte auseinandersetzen (vgl. Schäfer/Schlichting 2014). Im Rahmen dieser Arbeit wird aufgezeigt, dass ein Großteil dieser Studien auf die Feststellung von Klimaskeptizismus fokussiert ist. Um verschiedene Formen der Legitimation des Nichthandelns zu erfassen, wird in der vorliegenden Untersuchung statt einer skeptizismuszentrierten, eine akteurs- und regulationszentrierte Erhebung durchgeführt. Zu diesem Zweck wird mit einem ländervergleichenden Forschungsdesign die strategische Kommunikation gesellschaftlicher Akteure in der deutschen und britischen Klimadebatte erforscht. Dafür werden in einem zweijährigen Untersuchungszeitraum von 2011 bis 2012, alle relevanten Artikel und Akteursaussagen in fünf deutschen und fünf britischen Medien analysiert.
In Kapitel 2 wird eine theoretische Basis für die Bearbeitung der Fragestellung geschaffen. Erstens wird hergeleitet, mit welchen Zielen und Strategien gesellschaftliche Akteure in den Medien strategisch kommunizieren und warum es sinnvoll ist, einen gesellschaftsrelevanten Diskurs wie die Klimadebatte über die systematische Beobachtung der Medienöffentlichkeit abzugreifen (2.1). Vor diesem Hintergrund werden Definition und Bedeutung des Framing-Ansatzes in den Kommunikationswissenschaften besprochen (2.2). Die Auseinandersetzung mit der relevanten Forschungsliteratur schafft zudem einen Ausgangspunkt für die Herleitung zentraler Forschungsfragen (2.3) und ermöglicht eine Abgrenzung und Spezifikation des anzuwendenden Forschungsdesigns (2.4). Aufgrund der erarbeiteten, theoretischen und empirischen Grundlage, werden in Kapitel 3 spezifische Forschungsfragen formuliert (3.1) und davon wiederum überprüfbare Hypothesen abgeleitet (3.2). Ziel von Kapitel 4 ist, die vorliegende Untersuchung intersubjektiv nachvollziehbar zu machen. Dazu wird erstens das Forschungsdesign eingehend besprochen. Es wird im Speziellen auf die Vorteile komparativer Forschungsansätze sowie auf zu berücksichtigende Kontextfaktoren für den Vergleich zwischen Deutschland und Großbritannien eingegangen. Zudem wird geklärt, inwiefern die vorliegende Arbeit stellenweise Anschluss an das Projekt Framing Climate Change des Instituts für Publizistik- und Medienwissenschaft der Universität Zürich findet (4.1). Zweitens wird die Operationalisierung des Forschungsgegenstandes beschrieben und in das Kategoriensystem eingeführt, welches spezifisch für diese Erhebung entworfen wurde (4.2). Drittens werden die Gütekriterien Validität und Reliabilität diskutiert (4.3). In Kapitel 5 werden die empirischen Ergebnisse der durchgeführten Untersuchung vorgestellt. Dazu werden in einem ersten Schritt die Hypothesen geprüft (5.1) und in einem zweiten Schritt, in einer qualitativen Vertiefung auf das „Nichthandeln“ eingegangen (5.2). Dazu werden die Themen und die Akteure der Regulationsgegner erst isoliert betrachtet. Um die Deutungsmacht der Regulationsgegner einzuschätzen, wird ihre Präsenz im Kontext der jeweiligen Regulationsdebatte untersucht. Des Weiteren wird auf die Bedeutung des Klimaskeptizismus für die Regulationsdebatte eingegangen und schließlich, die Unterschiede zwischen den Medienarenen diskutiert (5.2). Zum Schluss gehe ich auf die theoretischen (6.1), empirischen (6.2) und methodischen (6.3) Schlussfolgerungen und Erkenntnisse der vorliegenden Arbeit ein.
2 Theoretische Basis
Ziel dieses Kapitels ist es, eine theoretische Basis für die Bearbeitung der Fragestellung zu schaffen. In einem ersten Schritt wird hergeleitet, warum es sinnvoll ist, einen gesellschaftsrelevanten Diskurs wie die Klimadebatte über die systematische Beobachtung der Medienöffentlichkeit abzugreifen (2.1). Dazu bedarf es eines Exkurses über die Funktionen und Ebenen von „Öffentlichkeit“ (2.1.1 und 2.1.2) und insbesondere einer Darlegung der strategische Kommunikation der Akteure in der Medienöffentlichkeit (2.1.3). Über das gezielte Hervorheben und Weglassen von Argumenten schaffen Akteure spezifische Deutungsrahmen oder „Frames“, die in medialen Debatten identifiziert werden können (2.2). Dazu werden Definition (2.2.1) und Bedeutung des Framing-Ansatzes in den Kommunikationswissenschaften (2.2.2) und Versuche, den Framing-Ansatz zu systematisieren (1.2.3) herausgearbeitet. Um fundierte Forschungsfragen zu formulieren, ist eine Auseinandersetzung mit dem Forschungsstand nötig. Das Ziel des Teilkapitels (2.3) ist einerseits, vor dem theoretischen Hintergrund einen Überblick über die relevante Literatur zu geben, die vorliegende Arbeit von anderen Forschungsinteressen abzugrenzen und eine Basis für die Herleitung zentraler Forschungsfragen zu schaffen. Andererseits adressiere ich den Fokus dieser Arbeiten auf den Klimaskeptizismus, um die Herangehensweise für einen akteurszentrierten Ansatz zu diskutieren. Als erstes gehe ich deshalb auf die Etablierung der Klimathematik in den Medien und in der Medienforschung ein (2.3.1). Danach bedarf es eines kurzen Exkurses zur Definition einiger wichtiger Begriffe (2.3.2). In der Folge bespreche ich einige Studien, welche die zentralen Kommunikatoren in der Klimadebatte (2.3.3), die öffentliche Meinung (2.3.4) und die Medieninhalte zum Thema Klimawandel und Klimawissenschaft (2.3.5) untersuchen.
2.1 Gesellschaftliche Akteure in der Medienöffentlichkeit
Im Folgenden wird hergeleitet, inwieweit Debatten zu gesellschaftsrelevanten Themen über die systematische Analyse der Massenmedien erörtert werden können. Dazu wird zunächst auf die Funktionen von Öffentlichkeit (2.1.1) und Ebenen von Öffentlichkeit (2.1.2) eingegangen und danach erörtert, wie gesellschaftliche Akteure in den Massenmedien ihre Themen und Meinungen strategisch positionieren (2.1.3).
2.1.1 Funktionen von Öffentlichkeit
Auf eine vertiefte Aufarbeitung der historischen und sozialwissenschaftlichen Auslegung des Öffentlichkeitsbegriffs wird hier verzichtet. Maßgebend ist das von Gerhards/Neidhardt (1993: 58) geprägte Konzept von Öffentlichkeit, als „intermediäres System […], das zwischen dem politischen System einerseits und den Bürgern und den Ansprüchen anderer Teilsysteme der Gesellschaft vermitteln soll“. Demnach ist die Öffentlichkeit „offenes Kommunikationsforum“ (Neidhardt 1994: 7), in dem jeder seine Meinungen verkünden und andere Meinungen anhören kann. Aus Sicht des politischen Systems stellt die Öffentlichkeit die Bühne dar, auf der politische Akteure ihre Positionen vorstellen und bewerben können. Die Wähler nutzen die Öffentlichkeit im Gegenzug dazu, um sich über die konkurrierenden politischen Positionen zu informieren. Öffentlichkeit kann demzufolge als Kommunikationssystem begriffen werden, das zwischen Gesellschaft und Politik vermittelt und Orientierung stiftet.
In diesem Kommunikationssystem werden Themen und Meinungen gesammelt („Input“), verarbeitet („Throughput“) und weitergegeben („Output“). Daraus lassen sich drei zentrale Funktionen von Öffentlichkeit ableiten, nämlich die Transparenz-, Validierungs- und Orientierungsfunktion (Neidhardt 1994: 8–9): Die Transparenzfunktion ist aus normativer Sicht gegeben, wenn auf Input Ebene die Öffentlichkeit sowohl für Akteure aus allen gesellschaftlichen Gruppen, wie auch für alle gesellschaftlich relevanten Themen und Meinungen offen steht. Dadurch sind der Zugang aller Interessensgruppen und die Darstellung aller relevanten Themen und Meinungen gewährleistet. Die Validierungsfunktion ist gegeben, wenn im Throughput die Diskussion diskursiv verläuft, alle relevanten Argumente einander gegenübergestellt werden und sich die Diskursteilnehmer vom besseren Argument überzeugen lassen. Wenn die ersten beiden Funktionen gegeben sind, wird die aus der Kommunikation erzeugte öffentliche Meinung als glaubhaft aufgenommen und akzeptiert. Dadurch erhält die Öffentlichkeit eine politisch wirksame Orientierungsfunktion.
Anders ausgedrückt, stellt Öffentlichkeit ein Mittel gesellschaftlicher Selbstreferenz dar: Durch die „Spiegelung“ der Gesellschaft erlaubt Öffentlichkeit die Selektion gesellschaftsrelevanter Themen und Ereignisse, die Gewährleistung von Intersubjektivität und die Kontrolle der politischen Institutionen des Staates (Imhof 1996: 4). Der öffentliche Austausch von Information und Meinungen zwischen Personen, Gruppen und Institutionen erlaubt die Bildung einer „öffentlichen Meinung“ (Gerhards/Neidhardt 1993: 58–60). Die öffentliche Meinung ist dabei nicht als Summe der Einzelmeinungen definiert, wie sie über Meinungsbefragungen erfasst werden kann, sondern eine kollektive Größe, die in der Öffentlichkeit von einem großen Publikum wahrgenommen werden kann.
2.1.2 Ebenen der Öffentlichkeit
Öffentlichkeit kann auf drei Ebenen hergestellt werden; durch einfache, interpersonale Interaktion („encounters“), an öffentlichen Veranstaltungen sowie durch massenmediale Kommunikation (Gerhards/Neidhardt 1993: 63–67):
In der Encounter-Öffentlichkeit treffen sich Personen an öffentlichen Orten zufällig und konversieren spontan. Beispiel dafür ist das Gespräch in einem Laden, an der Bushaltestelle oder am Arbeitsplatz. Diese heterogene Gruppe verbindet sich dadurch, dass sich Personen räumlich und zeitlich am gleichen Ort befinden und miteinander kommunizieren. Die Encounter-Öffentlichkeit ist ein „einfaches Interaktionssystem“, welches den „geringsten Grad der strukturellen Verfestigung von Öffentlichkeit“ (Gerhards/Neidhardt 1993: 63) aufweist. Obwohl über die Wiederholung der Begegnungen und das Wiederaufnehmen von Gesprächsthemen die Kommunikation kontinuierlich weiter geführt wird, ist diese Ebene der Öffentlichkeit relativ fragil; sowohl die Themen, die Teilnehmer wie auch die Meinungen variieren über die Zeit. Außer unter gewissen Umständen, wie zum Beispiel in totalitären Systemen, ist die Relevanz der Encounter Öffentlichkeit für die Beeinflussung der öffentlichen Meinung relativ gering.
Bei der zweiten Ebene, der Versammlungsöffentlichkeit, findet das Zusammentreffen geplant statt und sowohl das Thema wie auch der Ablauf werden von den Organisatoren festgelegt. Beispiele für die Versammlungsöffentlichkeit sind Diskussionsrunden und Kundgebungen. Im Gegensatz zur heterogenen Encounter-Ebene versammeln sich hier Personen, die sich für das spezifische Veranstaltungsthema interessieren und überwiegend ähnliche Meinungen vertreten. Dadurch kann sich eine homogene Meinung bilden. Da aber nur ein eingeschränkter Publikumskreis erreicht wird, ist auch hier die Beeinflussung der öffentlichen Meinung eingeschränkt.
Die dritte Ebene ist die Medienöffentlichkeit, die über die Massenmedien hergestellt wird. Besonders in modernen Gesellschaften kommt der Medienöffentlichkeit eine zentrale Bedeutung zu, weil die Massenmedien eine breitflächige, kontinuierliche Beeinflussung der öffentlichen Meinung ermöglichen. Diese Ebene unterscheidet sich von den anderen Ebenen durch den komplexeren Organisationsgrad, die Professionalisierung und die Reichweite der Verbreitung.
Durch die Professionalisierung der Medienöffentlichkeit, bilden sich gemäß Gerhards/Neidhardt (1993: 66) differenzierte Leistungs- und Publikumsrollen heraus. Das Publikum wird größer, aber es hat weniger Möglichkeiten, seine Meinung im öffentlichen Raum zum Ausdruck zu bringen. Die Kommunikation verläuft überwiegend in einer Richtung und zwar von den Medien zum Publikum. Die Medienöffentlichkeit ist jedoch nicht nur durch journalistische Medieninhalte definiert, sondern sie kann sinnbildlich als „Arena und Galerie“ (Gerhards/Neidhardt 1993: 68) begriffen werden, in der gesellschaftliche Akteure bei einem Publikum um Aufmerksamkeit und Deutungshoheit ringen. Parteien, Regierungen, Interessengruppen, soziale Bewegungen, Bürgerinitiativen und andere Kollektiv- oder Einzelakteure versuchen deshalb, durch öffentliche Kommunikation, für sie relevante Themen und Meinungen durchzusetzen.
Mit der Etablierung des Internets bilden sich neue Kanäle, über die sich das Publikum an der öffentlichen Diskussion beteiligen kann. Einige bieten eine Erweiterung der Medienöffentlichkeit (z.B. Kommentarfunktion in Onlinemedien, User Generated Content), andere ergänzen die Ebenen der Öffentlichkeit um die Öffentlichkeit des Internets. Über letztere wird in der Scientific Community diskutiert, wobei die enthusiastische Position der skeptischen Position gegenübersteht. (vgl. Jarren/Donges 2011: 110–113). Erstere geht von einer starken und positiven Beeinflussung des Willensbildungs- und Entscheidungsprozesses aus, da Bürger mehr Möglichkeiten haben, miteinander zu kommunizieren. Letztere postuliert, dass der Austausch unter den Bürgern nicht zunimmt, weil dieser nicht technisch, sondern sozial bedingt ist. Empirische Studien zur Qualität und Diskursivität von Debatten sehen das partizipatorische Potential des Internets eher kritisch (vgl. Jarren/Donges 2011: 113).
Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass die Medienöffentlichkeit Kommunikation regional, breitflächig und zeitlich, langfristig beobachtet. Dabei bieten die Massenmedien nicht nur journalistische Inhalte, sondern stellen eine Arena zur Verfügung, in der unterschiedliche Akteure relevante Themen und Meinungen einbringen. Die Medienöffentlichkeit bietet deshalb für die Analyse der Kommunikation von Akteuren einige Vorteile gegenüber den anderen Öffentlichkeiten: In der Encounter-Öffentlichkeit kann zwar auf Äußerungen von politischen Akteuren Bezug genommen werden, diese haben jedoch auf die Darstellung nur wenig Einfluss. In der Versammlungsöffentlichkeit stehen die unterschiedlichen Positionen nicht direkt einander gegenüber. In der Medienöffentlichkeit können Argumentationen von Akteuren aus verschiedenen gesellschaftlichen Teilbereichen und verschiedenen Regionen analysiert werden. Dies erweist sich als Vorteil für die Untersuchung der Klimadebatte, die sowohl national wie auch international von unterschiedlichen Akteuren geführt wird.
2.1.3 Strategische Kommunikation gesellschaftlicher Akteure
Die Konkurrenzbeziehung zwischen den Akteuren ist im massenmedialen Diskurs besonders ausgeprägt (Neidhardt 1994: 20–25). Um die eigene Meinung prägnant zu formulieren und gut zu positionieren, bedarf es also einer Strategie. Indem Akteure in ihren öffentlichen Aussagen gezielt bestimmte Aspekte hervorheben oder weglassen, geben sie einen spezifischen Interpretations- oder Deutungsrahmen vor. Es gilt, im knappen Gut der Aufmerksamkeit eigene Themen zu setzen (Thematisierungsstrategien) und im Diskurs zu überzeugen (Überzeugungsstrategien). Thematisierungsstrategien dienen dazu, ein Publikum für die eigenen Themen zu gewinnen. Diese müssen sowohl als interessant als auch als wichtig wahrgenommen werden (Neidhardt 1994: 18). Es muss an dieser Stelle erwähnt werden, dass die Akteure bei der „Produktion von Aufmerksamkeit“ auch von der Selektionslogik der Medien abhängig sind (Gerhards 1994: 89–92): In der Zeitdimension erhält Aufmerksamkeit, was als neu wahrgenommen wird und einen hohen Aktualitätsbezug hat, wobei die Neuigkeit auch in einem Themenbereich eingebettet werden kann, über den eine längere Zeit diskutiert wird. In der Sozialdimension werden von den Medien Themen aufgegriffen, in denen Konflikte zwischen den Akteuren vorkommen, beispielsweise in Form von verbalen Konflikten (Pro und Contra), Handlungskonflikten (Kriege oder Proteste) oder Normabweichungen (Kriminalität). Auch private oder kollektive Akteure mit einem hohen Status erhalten eine höhere Aufmerksamkeit. In der Sachdimension erhalten Entwicklungen eine höhere mediale Resonanz, die sich in der Quantität stark verändern, beispielsweise Börsenkurse oder Wetterereignisse. In dieser Dimension werden auch Themen mit lokalem Bezug oder „Human Interest“ Charakter bevorzugt.
Überzeugungsstrategien dienen dazu, die eigene Meinung durchzusetzen. Dazu muss das Publikum davon überzeugt werden, dass die Argumentationen legitim und plausibel sind und die Folgerungen notwendig und nützlich. Neidhardt (1994: 18–19) zählt mögliche Überzeugungsstrategien auf: Da das Publikum aus Laien besteht, müssen die Argumentationen im Sinne des commom sense plausibel wirken. Dabei kann z.B. auf „natürliche Beweise“ (Ueding/Steinbrink 1986; zit. nach Neidhardt 1994: 18) Bezug genommen werden, also auf Erlebnisberichte von Augenzeugen oder Zitaten von glaubwürdigen Quellen. Eine weitere Strategie ist es, eine Argumentation so zu gestalten, dass das Publikum diese aufgrund von eigenen Erfahrungen nachvollziehen kann (Snow/Benford 1988; zit. nach Neidhardt 1994: 19). Drittens kann auf allgemein geltende Maßstäbe wie Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit Bezug genommen werden, wobei der Angriff auf andere – über die Skandalisierung – eine mögliche Form dieser Überzeugungsstrategie darstellt.
Mit Strategien versuchen Akteure, die öffentliche Meinung zu beeinflussen und dadurch auf politische Entscheide einzuwirken (Pan/Kosicki 2001: 39–40). Die Akteure verfolgen dabei spezifische „Kommunikations- und Handlungsziele“ (Pfetsch/Wehmeier 2002: 46–54). In den von Neidhardt (1994: 18–19) geschilderten Strategien werden formale Kriterien aufgezeigt denen eine Aussage genügen muss, um innerhalb eines Mediums platziert zu werden und beim Publikum zu überzeugen. Strategien, die auf die Durchsetzung von Deutungen und Interpretationen eingehen, wurden hier nicht besprochen. Dies wird im folgenden Kapitel nachgeholt. Zunächst wird jedoch eine Kategorisierung der strategisch kommunizierenden Akteure herausgearbeitet.
Als Akteure werden Personen (individuelle Akteure) oder Gruppen (kollektive Akteure) verstanden, die sowohl bestimmte Interessen verfolgen, wie auch über Handlungsressourcen verfügen, was sich auf ihre Erfolgschancen auswirkt (vgl. Jarren/Donges 2011: 129). Da politische Prozesse öffentlich sind, nehmen verschiedene Akteure daran teil. Es gibt unterschiedliche Arten diese Akteure zu klassifizieren. Jarren/Donges (2001: 130) subsumieren alle in der politischen Kommunikation aktiven Akteure als politische Akteure. Diese unterscheiden sie nach ihren „Funktionen im Kommunikationsprozess“ (Jarren/Donges 2011: 130). Zu den Akteuren der Interessensartikulation werden Verbände, Neue Soziale Bewegungen und sonstige soziale Organisationen gezählt. Diese stellen teilweise politische Forderungen, indem sie Themen aufgreifen und als politisch relevant definieren. Die Akteure der Interessenaggregation sind dadurch gekennzeichnet, dass sie als Vertretung des Volkes für eine längere Zeit auf die politische Willensbildung Einfluss ausüben möchten. Zu dieser Gruppe werden vor allem die politischen Parteien gezählt. Die Akteure der Politikdurchsetzung setzen das durch, „was zuvor formal zuständigen Entscheidungsgremien miteinander ausgehandelt haben“ (Jarren/Donges 2011: 130). Zu diesem politisch-administrativen System gehören Parlament (Legislative), Regierung und Verwaltung (Exekutive). Eine solche Einteilung der Akteure ist dann sinnvoll, wenn das Forschungsinteresse darauf liegt, die politische Kommunikation innerhalb des politischen Prozesses zu untersuchen. In der vorliegenden Arbeit liegt das Forschungsinteresse darin zu verstehen, wie gesellschaftliche Akteure ihre spezifischen Interessen kommunizieren, um die öffentliche Meinung zu beeinflussen. Deshalb eignet sich diese Kategorisierung für die vorliegende Studie nicht. Eine Kategorisierung, an die sich das vorliegende Forschungsinteresse andocken lässt, bezieht sich auf die systemtheoretische Kategorisierung von Gesellschaftsbereichen. Diese werden in der Literatur häufig anhand ihrer Nähe zum politischen Prozess – auf einer Achse zwischen Zentrum und der Peripherie – dargestellt (Habermas 2006: 417; Imhof 2006b: 16–17; Pfetsch/Wehmeier 2002: 46–54). Im Folgenden stütze ich mich auf die Unterteilung von Imhof (2006b: 14–17), der zwischen etablierten Akteuren, nicht-etablierten Akteuren und Akteuren der semiautonomen Sphären unterscheidet:
Zu den etablierten Akteuren gehören Akteure des politischen Gesellschaftsbereichs, des Wirtschafts- und des Mediensystems. Politische Akteure umfassen politische Organisationen, die im politischen Prozess zentral eingebunden sind (Regierung, Parlament, Fraktionen, Behörden, Parteien und Verbände). Zu den wirtschaftlichen Akteuren zählen Unternehmen, die in Bezug auf den Markt und der möglichen Gewinnmaximierung bzw. Verlustminimierung handeln. Die Medienakteure umfassen öffentlich-rechtliche und private Medienorganisationen, die sich im Zuge der Ablösung vom politischen System (Parteipresse), stärker an einem kaufkräftigen Publikum orientieren. Den Medienorganisationen kommt eine spezielle Rolle zu, weil sie erstens als „eigenständiger Institutionentypus“ (Jarren 1996: 81) eine Vermittlungsinstanz für die Meinungen unterschiedlicher Akteure darstellen. Diese Funktion führen sie nicht nur als Chronisten aus, sondern sie sind von systemspezifischen Selektions- und Interpretationslogiken beeinflusst, welche sich über die Zeit wandeln können. Dadurch nehmen sie Einfluss auf den Zugang der Akteure zu den Medienarenen und deren Interaktionsmöglichkeiten innerhalb der Medien.1 Zweitens greifen sie selbst aktiv als Akteure in die Diskussion ein, indem sie zum Beispiel über Kommentare eigene Interpretationen darlegen (vgl. Jarren 1996: 81; Neidhardt 1994: 14). Zu den nicht-etablierten Akteuren zählt Imhof (2006b: 15–16) Akteure der Zivilgesellschaft, die eng an Akteure des politischen Gesellschaftsbereichs gekoppelt, aber nicht direkt am politischen Verfahren beteiligt sind. Zu dieser Gruppe gehören Bürgerinitiativen, soziale Bewegungen, NGO und Think-Tanks.
Akteure der semiautonomen Sphäre umfassen Akteure aus Wissenschaft, Religion und Kultur. Diese beziehen sich auf einen „spezifischen Weltbezug“ (Imhof 2006a: 157–170). Wissenschaftliche Akteure beziehen sich auf die objektive und kognitive Welt und definieren sich über den „Geltungsanspruch der Wahrheit“ (Imhof 2006a: 157). Diese Akteure treten als Experten auf, die mit wissenschaftlich-technischen Kompetenzen spezifische Richtigkeitsfragen beantworten (vgl. Neidhardt 1994: 14). Akteure des Gesellschaftsbereichs Religion beziehen sich auf die normative Richtigkeit und vertreten die moralischen und ethischen Aspekte innerhalb der politischen Öffentlichkeit. Dabei orientieren sie sich an religiöse Prinzipien (Imhof 2006a: 158). Letztlich zählt Imhof (2006a: 166) die Akteure des Gesellschaftsbereichs Kunst zur semiautonomen Sphäre. Diese fokussieren sich auf die Auseinandersetzung über „Authentizität, Originalität und Schönheit von Expressionen subjektiver Innerlichkeit“ (Imhof 2006b: 16) und somit auf den „expressiven Weltbezug“.
Zusammenfassend kann Folgendes festgehalten werden: In diesem Kapitel wurde hergeleitet, wie unterschiedliche gesellschaftliche Akteure die massenmediale Kommunikation strategisch dazu nutzen, ihre Themen und Meinungen zu positionieren. Dazu verwenden sie unterschiedliche Strategien, die auf die Logik des Mediensystems und die Perzeption des Publikums zugeschnitten sind. In der Ausarbeitung der Typisierung von Akteuren wurde festgestellt, dass die Einordnung von Akteuren nach gesellschaftlichen Teilbereichen (Gesellschaftsbereichen) sich für die Frage eignet, wie gesellschaftliche Akteure ihre Interessen kommunizieren. In Bezug auf die vorliegende Arbeit kann festgehalten werden, dass die systematische Analyse der Medienöffentlichkeit ein sinnvolles Mittel für die Untersuchung eines gesellschaftsrelevanten Diskurses wie der Klimadebatte und der daran beteiligten Akteure darstellt.
2.2 Framing-Ansatz
Die Partizipation gesellschaftlicher Akteure an öffentlichen Debatten bedeutet das strategische Schaffen, Platzieren und Bewirtschaften von akteursspezifischen Interessen. Die bisher diskutierten Thematisierungs- und Überzeugungsstrategien von Neidhardt (1994) gehen darauf ein, wie Akteure sich an die Aufmerksamkeitslogik des Mediensystems anpassen und definieren, welchen formalen Kriterien ein Argument genügen muss, um beim Publikum zu überzeugen. Diese Kriterien sind relativ statisch und themenunabhängig. Die Ansätze gehen nicht darauf ein, wie Akteure inhaltlich argumentieren, bzw. wie Akteure versuchen, ihre eigenen Interpretationen und Deutungen zu einem Thema in der Öffentlichkeit durchzusetzen. Dieser dynamische Prozess lässt sich mit Framing-Ansätzen beschreiben. Im Folgenden werden Definition (2.2.1) sowie die kommunikationswissenschaftliche Anwendung (2.2.2) und Systematisierungen (1.2.3) von Framing-Ansätzen besprochen.
2.2.1 Definition
Gemäß Matthes (2007: 26–29) werden die Ursprünge der Framing-Forschung weitgehend dem Soziologen Goffman sowie den Psychologen Kahneman und Tversky zugeschrieben. Goffman benutzte erstmals die Metapher des „Rahmens“ bzw. des „Frames“, um sich Wahrnehmungsprozessen von Individuen zu nähern. Er definierte Frames als Interpretationsrahmen, die es dem Individuum erlauben, ein Thema oder ein Ereignis sinnvoll einzuordnen. Kahneman und Tversky beschäftigten sich mit der Frage, warum identische Informationen in unterschiedlichen Kontexten zu anderen Entscheidungen führen können. Diese beiden Arbeiten bieten einen historischen Ausgangspunkt für den kommunikationswissenschaftlichen Framing-Ansatz, werden dessen Komplexität aber nicht gerecht (vgl. Matthes 2007: 29).
In den Kommunikationswissenschaften erlebten Framing-Ansätze in den 1990er Jahren einen Popularitätsanstieg und so existiert mittlerweile eine unübersichtliche Fülle von theoretischen Definitionen, methodischen Herangehensweisen und empirischen Studien. Die theoretischen Ausführungen von Gamson/Modigliani (1989) und Entman (1993) gehören in der inhaltsanalytischen Framing-Forschung zu den meistverwendeten (vgl. Matthes 2007: 78–80). Gamson/Modigliani (1989) prägten das Verständnis von Frames als „interpretative Päckchen“ (interpretive packages):
“[…] media discourse can be conceived of as a set of interpretive packages that give meaning to an issue. A package has an internal structure. At its core is a central organizing idea, or frame, for making sense of relevant events, suggesting what is at issue” (Gamson/Modigliani 1989: 3, Hervorheb. i. O.).
Ein Kommunikator gruppiert unterschiedliche kommunikative Bausteine (Metaphern, Slogans, Bildern oder moralische Appelle) zu einem Päckchen, welches die Interpretation eines Themas anleitet. Der mediale Diskurs ist geprägt von unterschiedlichen und sich konkurrierenden Päckchen. Entman (1993: 51) kritisierte angesichts der wachsenden Popularität von Framing-Ansätzen, es handle sich dabei um ein zerstreutes Konzept (scattered conceptualization). Aus diesem Grund drängte er auf eine Vereinheitlichung dieses zerstückelten Paradigmas (fractured paradigm), um der kommunikationswissenschaftlichen Anwendung mehr Gewicht zu verleihen (vgl. Entman 1993: 51). Seine vielzitierte Definition lautet:
“Framing essentially involves selection and salience. To frame is to select some aspects of a perceived reality and make them more salient in a communicating text, in such a way as to promote a particular problem definition, causal interpretation, moral evaluation, and/or treatment recommendation for the item described” (Entman 1993: 52, Hervorheb. i.O.).
Ein Frame wird gemäß dieser Definition als Rahmen verstanden, in dem gewisse Informationen betont (Salienz) und andere ausgeblendet (Selektion) werden, um eine bestimmte Problemdefinition, Interpretation, Bewertung und Lösung voranzutreiben. In der politischen Kommunikation ist das Ziel eines Frames, die Unentschlossenen zu überzeugen und die eigene Position hervorzuheben. Dabei müssen die Bürger von „der Tatsächlichkeit von Tatsachen, der Plausibilität von Erklärungen, der Angebrachtheit von Wertungen und der Notwenigkeit der vorgeschlagenen Maßnahmen“ (Matthes 2007: 19) überzeugt werden. Die Bürger informieren sich in den Massenmedien über die Frames der Akteure aus unterschiedlichen Gesellschaftsbereichen. Die politischen Akteure versuchen, ihre Frames öffentlich zu platzieren, um bei den Wählern Zustimmung zu erhalten. Im öffentlichen Diskurs stehen somit die unterschiedlichen Akteure im Wettbewerb um den bestimmenden Deutungsrahmen, welcher ein zentraler Einflussfaktor für das politische Handeln darstellt (vgl. Matthes 2007: 26). Das strategische Framing stellt somit eine weitere Dimension der strategischen Kommunikation gesellschaftlicher Akteure dar.
Bei der Framing-Definition von Entman (1993: 52), sind Problemdefinition, Interpretation, Bewertung und Lösung eng an das Frame geknüpft; diese Faktoren werden durch das Framing vorangetrieben (promoted). Diese Terminologie lässt offen, wie stark die Faktoren durch das Framing determiniert werden. Gemäß Nisbet (2010: 49) sind Frames nicht mit einer politischen Position gleichzusetzen, weil sich Akteure auf das gleiche Frame beziehen, aber dabei unterschiedliche politische Handlungen fordern können. Guo et al. (2012: 1927–1931) schlagen deshalb vor, die Problemdefinition, die Diagnose der Ursache, die moralische Bewertung und den Lösungsvorschlag einzeln zu erheben. Diese Framing-Funktionen (framing functions) werden als dem Framing untergeordnete Dimensionen verstanden, die gewisse Aspekte einer Argumentation hervorheben. Des Weiteren ist in empirischen Studien der Kontext als eine weitere Framing-Perspektive zu beachten, die den regionalen Bezug definiert. Dabei schlagen sie die Unterscheidung in individuell, national und global vor (vgl. Guo et al. 2012: 1929).
D'Angelo (2002) widerspricht Entmans Forderung nach einer Vereinheitlichung der Framing-Forschung. Er hebt den Erkenntnisgewinn durch das sukzessive Lernen und den Wettbewerb zwischen den Framing-Ansätzen hervor und spricht dabei eher von einer Diversität anstatt einer Zerstückelung der Forschung (vgl. D'Angelo 2002: 871–874). Reese (2007: 148–151) wägt ab, inwiefern die Vielfältigkeit der Framing-Forschung neue Forschungsfragen erschlossen hat und inwiefern eine wage Auslegung der Definition zu einer großen Anzahl von Studien geführt hat, die nur den Bezug auf die Bezeichnung „Frame“ gemeinsam haben. Er schlägt eine Definition von Frames vor, die genügend offen ist, um die dynamische Herausbildung von Frames zu ermöglichen, aber Frames auch genügend von der reinen Beschreibung von Themen (topics bzw. themes) abgrenzt (vgl. Reese 2001: 11): “Frames are organizing principles that are socially shared and persistent over time, that work symbolically to meaningfully structure the social world.” Demgemäß dienen Frames, ähnlich wie bei der Definition von Gamson/Modigliani (1989) und Entman (1993) dazu, die soziale Welt sinnvoll zu strukturieren. Er hebt indes stärker hervor, dass Frames sozial geteilt werden und über einen längeren Zeitraum anhalten, ohne dabei zu statischen Gesetzen zu erstarren.
Unter Berücksichtigung der diskutierten Definitionen, werden Frames in dieser Studie definiert als Rahmen, mit dem Akteure Informationen betonen (Salienz) und andere ausblenden (Selektion) um eine bestimmte Deutung strategisch hervorzuheben. Diese Deutung wird sozial geteilt und hält über einen längeren Zeitraum an. Durch den Prozess des Framing können je nach Ziel unterschiedliche Problemdefinitionen, Interpretationen, Bewertungen und Lösung kommuniziert und in unterschiedliche Kontexte eingebettet werden.
2.2.2 Anwendung in den Kommunikationswissenschaften
Gemäß Entman (1993: 52) kommen Frames auf vier Ebenen vor: Kommunikator, Text, Empfänger und Kultur. Der Kommunikator entscheidet bewusst oder unbewusst was er sagen möchte und bezieht sich auf Deutungen, die seinem Glaubensansatz entsprechen. Im Text werden diese Frames über gewisse Stichwörter, Formulierungen, Bilder, Quellen und Sätze manifestiert. Diese Frames leiten die Gedanken und die Schlussfolgerungen des Empfängers an. Der Empfänger entscheidet selbst, welche Sichtweisen er aus den Texten übernimmt, an welcher Stelle er die Intension des Kommunikators hinterfragt und welche Argumentationen er vernachlässigt. Die Kultur wird von Entman (1993: 53) als das empirisch nachweisbare Spektrum von Frames innerhalb einer sozialen Gruppe definiert.
In der medial vermittelten Kommunikation muss diese Einteilung ergänzt werden: Zwischen der Aussage oder dem Text eines Akteurs (Kommunikator) und dem Text, der vom Rezipient gelesen wird, steht ein weiterer Akteur: der Journalist, der den Medienbeitrag verfasst. Die Journalisten bzw. die Medien übernehmen dabei nicht zwingend Deutungsmuster oder Frames, welche der Kommunikator in Pressemitteilungen, öffentlichen Reden oder historischen Dokumenten hervorgehoben hat, sondern entscheiden selbst, über welche Themen berichtet wird und welche Sichtweisen in den Artikel einfließen (vgl. Matthes 2007: 20). Durch investigativen Journalismus können Journalisten auch eigene Themen einbringen oder über Kommentare eigene Sichtweisen hinzufügen. Der Framing-Ansatz erhebt den Anspruch, den gesamten Kommunikationsprozess zu beschreiben, also von der strategischen Kommunikation des politischen Akteurs, über die Selektion der Medien bis zur Wirkung und dem Handeln des Rezipienten. Matthes (2007: 20) gibt dazu eine schematische Übersicht der Zugriffe des Framing-Ansatzes (Abbildung 1).
Abbildung 1: Zugriffe des Framing-Ansatzes
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Q: Matthes 2007, 20
Es gibt eine große Anzahl von Studien, die auf unterschiedliche Beziehungen innerhalb des Kommunikationsprozesses fokussiert sind. Studien zu journalist frames analysieren die Selektion und Interpretation der Journalisten innerhalb des Mediensystems (vgl. z.B. Brüggemann/Engesser 2014; Entman/Rojecki 1993; Gamson/Modigliani 1989; Scheufele 2003). Die Framing-Prozesse zwischen den Ebenen Medienbeitrag und Empfänger sind Gegenstand der Medienwirkungsforschung. Es wird dabei erforscht, welche Wirkung Medien-Frames auf den Rezipienten ausüben. Empirische Studien zu framing effects finden sich beispielsweise bei Matthes (2007), Scheufele (2003; 2004) und Simon/Xenos (2000). Diese Studien untersuchen auch den Kontext, in welche die Frames eingebettet sind, wie zum Beispiel die „Voreinstellung“ des Rezipienten oder „Bedingungen“ von Framing-Effekten wie Häufung der Berichterstattung oder die Glaubwürdigkeit der Quelle (vgl. Matthes 2007: 132).
Für die hier zu bearbeitende Fragestellung steht die textliche, inhaltliche Ebene von Medieninhalten im Vordergrund. Gegenstand der Medieninhaltsforschung ist der massenmedial hergestellte „Raum“, in dem Akteure aus den verschiedenen Gesellschaftsbereichen interagieren. In diesem Raum konkurrieren sich Problemdefinitionen, Interpretationen, Bewertungen und Lösungsansätze. Zu den inhaltsanalytischen Studien zu Medien-Frames (news frames) zählen beispielsweise die Arbeiten von Böcking (2009), D'Angelo (2002), Scheufele (2006) und Semetko/Valkenburg (2000).
Zusammenfassend kann Folgendes festgehalten werden: Die systematische Analyse von Texten in den Massenmedien erlaubt die Erörterung von Frames, mit denen gesellschaftliche Akteure eine bestimmte Darstellung oder interpretative Rahmung verfolgen. Framing ist also immer an Akteursaussagen gebunden und somit gilt: „Ohne Akteur kein Frame“ (Matthes 2007: 152).
2.2.3 Systematisierung von Frames
Seit der Definition von Entman (1993) gab es verschiedene Vorstöße, den stetigen Zuwachs an Framing-Ansätzen aufzuarbeiten und zu systematisieren, beispielsweise von Scheufele (2003), Reese (2007) oder Matthes (2007; 2009).
In einer Metastudie zur Framing-Forschung zwischen 1990 und 2005 stellte Matthes (2007: 56–62; 2009: 350) fest, dass zwei Stufen von inhaltsbezogenen Frames erhoben wurden: themenspezifische und themenübergreifende Frames. Themenübergreifende Frames weisen einen gewissen „thematischen Leitaspekt“ (Matthes 2007: 59) auf, unter dem verschiedene Themen diskutiert werden können. Semetko/Valkenburg (2000: 95–96) identifizieren aus Studien zu politischen Diskursen in den USA und in Europa folgende themenübergreifende Frames, die in verschieden Studien aufgegriffen wurden: wirtschaftliche Konsequenzen, Moral, Konflikt, Human Interest und Verantwortung. Im Gegensatz dazu, beziehen sich Themenspezifische Frames oder issue-specific frames ausschließlich auf ein bestimmtes Thema und sind somit relativ detailliert. Leonartz (2006: 105) konstatiert, dass die Anzahl der identifizierten Frames mit dem Grad der spezifischen Klassifizierung einher geht. Matthes (2007: 57) stellt hierzu die Frage nach dem Nutzen des Framing-Ansatzes, wenn jede empirische Studie neue, themenspezifische Frames ermittelt.
Guo et al. (2012: 1932–1933) bauen die Kategorisierung von Matthes (2007: 56–62; 2009: 350) aus, indem sie den Aspekt der Globalisierung berücksichtigen. Sie beziehen sich auf globale Themen (global issues), die in unterschiedlichen Medienarenen diskutiert werden, z.B. die globale Wirtschaftskrise, die Naturkatastrophen in Japan oder den Klimawandel. In der transnational vergleichenden Medienforschung sei es deshalb sinnvoll zu untersuchen, welche Deutungen und Interpretationen dieser Themen in unterschiedlichen Medienarenen formuliert werden. Guo et al. (2012: 1923–1927) beschreiben zudem eine Sammlung von Frames (framing pool) aus mehreren, vorausgehenden Framing-Analysen. Die darin enthaltenen Frames teilen sie in „generische“ (generic), „heimische“ (domestic) und themenspezifsiche Frames (issue-specific) auf. Sowohl generic als auch domestic frames gelten dabei als themenübergreifend, wobei erstere zudem auch als regionenübergreifend und letztere als länderspezifisch beschrieben werden.
Zusammenfassend kann festgehalten werden: Eine solche Einteilung von Frames dient dazu, den Framing-Ansatz zu systematisieren. Denn mehr als zwei Jahrzehnte nach Entmans Kritik (fractured paradigm) (1993: 51) gibt es noch immer eine unüberschaubare Anzahl von unterschiedlichen Definitionen und Operationalisierungen von Frames. In der vorliegenden Studie dient der Framing-Ansatz dazu, die Inhalte und Deutungen von Akteuren zu systematisieren. Dabei gilt es zu vermeiden, eine eigene, fragmentierte Liste von spezifischen Frames zu erstellen. Es ist deshalb sinnvoll, die zu erhebenden Frames aus der aktuellen Forschungsliteratur abzuleiten.
2.3 Forschungsstand zur Klimadebatte
In den vorausgehenden Teilkapiteln wurde hergeleitet, wie gesellschaftliche Akteure in der Medienöffentlichkeit strategisch kommunizieren, um auf die öffentliche Meinung einzuwirken und dadurch indirekt politische Entscheide zu beeinflussen. Demnach kommunizieren Akteure strategisch, indem sie in ihrer Argumentation spezifische Aspekte einer Thematik hervorheben oder ausblenden und damit einen Deutungsrahmen schaffen. Als wissenschaftliche Herangehensweise, um Kommunikation aus dieser Perspektive zu erfassen, wurde der Framing-Ansatz besprochen.
Das Ziel dieses Teilkapitels ist einerseits, vor diesem theoretischen Hintergrund einen Überblick über den Forschungsstand zu geben, die vorliegende Arbeit von anderen Forschungsinteressen abzugrenzen und eine Basis für die Herleitung zentraler Forschungsfragen zu schaffen. Andererseits adressiere ich den Fokus dieser Arbeiten auf den Klimaskeptizismus, um die Herangehensweise für einen akteurszentrierten Ansatz zu diskutieren. Als erstes gehe ich deshalb auf die Etablierung der Klimathematik in den Medien und in der Medienforschung ein (2.3.1). Danach bedarf es eines kurzen Exkurses zur Definition einiger wichtiger Begriffe (2.3.2). In der Folge bespreche ich einige Studien, welche die zentralen Kommunikatoren in der Klimadebatte (2.3.3), die öffentliche Meinung (2.3.4) und die Medieninhalte zum Thema Klimawandel und Klimawissenschaft (2.3.5) untersuchen.
2.3.1 Der Klimawandel in der Kommunikationswissenschaft
Seit den 1990er Jahren hat sich das Thema Klimawandel weltweit in der medialen Agenda etabliert. Dies geht aus einer Studie von Schmidt et al. (2013) hervor, in der die Medienaufmerksamkeit in 37 führenden Printmedien aus 27 Ländern zwischen 1996 und 2010 gemessen wurde. In allen untersuchten Medienarenen konnte eine steigende Resonanz des Themas aufgezeigt werden. Eine zentrale Erkenntnis der Studie ist, dass die Zunahme nicht linear verlief, sondern im Zusammenhang mit länderspezifischen Ereignissen fluktuierte. Speziell an dieser Studie ist sowohl die Anzahl verglichener Medienarenen als auch der Einbezug von Schwellenländern. Der Großteil der Studien, in denen die Medienaufmerksamkeit der Klimawandelthematik erforscht wurde, befassen sich mit einzelnen Medienarenen in Industrieländern (vgl. Schmidt et al. 2013: 1234–1237). Ein ähnlich angelegtes Forschungsprojekt von Boykoff et al. (2014) untersucht die Resonanz der Klimadebatte fortlaufend in 50 Medien aus 25 Ländern seit 2004. Daraus folgt, dass die Medienaufmerksamkeit nach 2010 eine Abwärtstendenz aufweist. Es zeichnen sich jedoch zeitlich begrenzte, länder- und regionenspezifische Ausschläge in der Resonanz ab.
Parallel zur medialen Etablierung der Klimawandelthematik stieg auch die Anzahl wissenschaftlicher Arbeiten, die sich mit der Klimadebatte auseinandersetzen. Dies geht aus einer Metastudie von Schäfer/Schlichting (2014) hervor, für die 133 wissenschaftliche Publikationen der letzten Jahrzehnte empirisch ausgewertet wurden. Es wurde festgestellt, dass die akademische Berücksichtigung der Klimadebatte stark angestiegen ist. Die Forschungsaktivität begann in den frühen 1990er Jahren und blieb auf moderatem Niveau, bis sie gegen Ende der 2000er Jahre einen beachtlichen Anstieg verzeichnete. Weitere zentrale Erkenntnisse beinhalteten erstens, dass ein Großteil der Studien ausschließlich Printmedien analysiert hatte. Zweitens, verzeichneten quantitative und qualitative Ansätze ungefähr gleich große Anteile, wobei Studien, die sowohl quantitative als auch qualitative Auswertungen vorgenommen hatten, vergleichsweise unterrepräsentiert waren (vgl. Schäfer/Schlichting 2014: 150–152). Welche spezifischen Aspekte der Klimadebatte jeweils untersucht wurden, ist aufgrund dieser Studie nicht nachvollziehbar. Deshalb werden im Folgenden einige weitere wissenschaftliche Publikationen besprochen. Vorab bedarf es jedoch eines kurzen Exkurses, um einige zentrale Begriffe zu klären.
2.3.2 Exkurs: Konsens, Skeptizismus und wissenschaftliche Unsicherheit
Schon in frühen empirischen Untersuchungen der Klimadebatte stand die öffentliche Auseinandersetzung über die Richtigkeit klimawissenschaftlicher Erkenntnisse im Vordergrund. Über einen Vergleich von zwei Studien zur medialen Deutung der Klimadebatte, wird im Folgenden die Notwendigkeit klarer Begriffsdefinitionen illustriert und eine Definition der Begriffe Konsens, Skeptizismus und wissenschaftliche Unsicherheit vorgenommen.
2.3.2.1 Begriffsdefinitionen
Trumbo (1996) konstatierte aufgrund einer Analyse amerikanischer Zeitungen zwischen 1985-1995, der wachsende wissenschaftliche Konsens (scientific consensus) über die Anthropogenität der Klimaerwärmung sei der dominante Aufhänger der Berichterstattung. Zehr (2000), der ein beinahe identisches Mediensample zwischen 1989-1995 untersucht hatte, kam hingegen zum Schluss, die Klimadebatte sei von wissenschaftlicher Unsicherheit (scientific uncertainty) geprägt. Gründe für diese abweichende Einschätzung können einerseits im unterschiedlichen Forschungsdesign ausgemacht werden.2 Der maßgebende Unterschied liegt jedoch in der Definition von Konsens, respektive Unsicherheit. Trumbo berief sich auf den wissenschaftlichen Konsens im damals aktuellen, zweiten Synthesebericht des IPCC (1996: 3–7) über die Anthropogenität der Erderwärmung (vgl. Trumbo 1996: 273). Seine Messung bezog sich auf übereinstimmende, respektive abweichende Äußerungen gegenüber diesem Konsens. Zehr war hingegen an der medialen Konstruktion von Unsicherheit interessiert. Als Fälle „wissenschaftlicher Unsicherheit“ wurden Textstellen erfasst, in denen das wissenschaftliche Verständnis klimatischer Naturphänomene nicht als absolut zweifelsfrei dargestellt wurde. Dadurch wurde weit mehr als die Skepsis gegenüber dem IPCC-Konsens als wissenschaftliche Unsicherheit ausgewertet.3 Dass die zwei Studien in ihrer Einschätzung so weit auseinander liegen, ist nach eingehender Betrachtung nicht erstaunlich. Es veranschaulicht jedoch die Wichtigkeit einer klaren Begriffsdefinition für die vorliegende Arbeit.
Unter (klima)wissenschaftlichem Konsens wird der durch den IPCC etablierte Konsens verstanden (vgl. IPCC 2007), der sich aus den folgenden vier, auf einander aufbauenden Feststellungen zusammensetzt: 1) Erderwärmung: Die durchschnittliche globale Temperatur ist in den letzten 150 Jahren gestiegen. 2) Anthropogenität: Dieser Temperaturanstieg ist weitgehend auf menschenverursachte CO2-Emissionen4 zurückzuführen. 3) Globale Probleme: Die anthropogene Erderwärmung wird mit großer Wahrscheinlichkeit beträchtliche Probleme für unser globales Ökosystem verursachen. 4) Emissionsreduktion: Die Menschheit muss ihre Treibhausgasemissionen reduzieren, um zukünftige Klimaerwärmung und deren Negativfolgen einzudämmen (vgl. Brüggemann/Engesser 2014: 6). Die Existenz dieses Konsenses wurde in mehreren unabhängigen Metastudien klimawissenschaftlicher Publikationen bestätigt (Oreskes 2004; vgl. Anderegg et al. 2010; Cook et al. 2013).
(Klima)Skeptizismus bezeichnet eine zweifelnde oder ablehnende Haltung gegenüber dem IPCC-Konsens. Rahmstorf (2004) unterscheidet drei Gruppen von Skeptiker: Folgenskeptiker anerkennen, dass die Klimaerwärmung auf die menschliche Aktivität zurückzuführen ist, halten deren Folgen jedoch für harmlos. Ursachenskeptiker anerkennen zwar, dass sich die Erde erwärmt hat, sehen jedoch natürliche Ursachen dahinter. Trendskeptiker bestreiten hingegen, dass eine signifikante Erderwärmung überhaupt stattfindet.
Wissenschaftliche Unsicherheit bezieht sich auf die Argumentation von Klimaskeptikern, die Klimawissenschaft sei sich über die Anthropogenität des Klimawandels uneinig.
2.3.2.2 Klimaskeptizismus
Ergänzend zur Definition von Klimaskeptizismus wird kurz auf die Hintergründe des Phänomens eingegangen. Klimaskeptizismus wird weitgehend als das Geistesprodukt des amerikanischen conservative movement angesehen – einer Koalition von Exponenten der Kohle- und Erdölindustrie sowie wirtschaftsfreundlich-konservativ eingestellten Politikern und NGO (vgl. Dunlap/McCright 2011). Austin (2002) beschreibt diese als antienvironmental countermovement mit dem Ziel, wirtschaftliche Partikularinteressen vor gesetzlichen Einschränkungen progressiver Umweltpolicy zu schützen. Anfang 1990er Jahren begann sich der Fokus dieser Bemühungen darauf auszurichten, die Problemperzeption der Klimaerwärmung herunterzuspielen und entsprechende wissenschaftliche Erkenntnisse zu diskreditieren (vgl. McCright/Dunlap 2000). Um Zweifel über die Richtigkeit der Klimawissenschaft zu verbreiten, wurde die selbe Strategie der Falschinformation adaptiert, mit der Jahre zuvor erfolgreich die wissenschaftlichen Erkenntnisse über die Schädlichkeit von Tabakkonsum verschleiert worden waren. Ähnlich wie bei der „Tobacco Strategy“ spielten dabei von den Stakeholdern beauftragte Wissenschaftler und PR-Strategen eine bedeutende Rolle (vgl. Oreskes/Conway 2010). Ein zentrales Instrument dieser klimaskeptischen Kampagne ist das Astroturf Lobbying (vgl. Cho et al. 2011): Dabei werden organisationsspezifische Partikularinteressen als Bevölkerungsanliegen und Bürgerinteresse getarnt (vgl. Irmisch 2011: 95–96). Mit dieser Strategie werden von institutionellen Geldgebern finanzierte Kampagnen (top-down) als grassroots movement (bottom-up) verschleiert (vgl. Pfau et al. 2007).
In diesem Exkurs wurden die Begrifflichkeiten Konsens, Skeptizismus und wissenschaftliche Unsicherheit definiert, die für die Auseinandersetzung mit dem Forschungsstand von zentraler Bedeutung sind. Die Ausführungen zu den Hintergründen des Klimaskeptizismus sind besonders wichtig, um die sozialwissenschaftliche Auseinandersetzung einzuordnen. Im Folgenden werden einige prominente Studien besprochen, welche die zentralen Kommunikatoren in der Klimadebatte (2.3.3), die öffentliche Meinung (2.3.4) und die Medieninhalte zum Thema Klimawandel und Klimawissenschaft (2.3.5) untersuchen.
2.3.3 Erforschung von Kommunikatoren
Einige Studien befassen sich mit der Rolle zentraler Kommunikatoren in der Klimadebatte. Aufschlussreiche Literaturübersichten geben beispielsweise Rhomberg (2012) zu wissenschaftlichen und politischen Akteuren, Schlichting (2013) zu Industrieakteuren, Lipschutz/McKendry (2011) sowie Schmidt (2012) zu zivilgesellschaftlichen Akteuren und Neverla/Trümper (2012) zu Journalisten. Medienakteure gelten als zentrale Vermittler zwischen Wissenschaftssystem und Öffentlichkeit (vgl. Brüggemann/Engesser 2014: 2). Die Haltung von Journalisten gegenüber der Klimawissenschaft ist deshalb ein wichtiger Untersuchungsgegenstand empirischer Forschung. Als Methoden werden dazu beispielsweise Medieninhaltsanalysen und Expertenbefragungen eingesetzt: Wilkins (1993: 81–82) argumentierte aufgrund einer Untersuchung der Berichterstattung zum Treibhauseffekt in amerikanischen Zeitungen: „[…]the goals and aims of science writers have become more closely tied to the goals and aims of the scientists they cover“. Elsasser/Dunlap (2013) untersuchten die Verbreitung von Klimaskeptizismus in Texten konservativer Kolumnisten in den USA. Sie kamen zu Schluss, diese würden sich des Op-Ed-Formats bedienen, um Zweifel über die Wahrhaftigkeit des Klimawandels sowie Anschuldigungen gegen Klimawissenschaftler zu verbreiten.5
Fragen zum Fachwissen von Klimajournalisten werden vorwiegend anhand von Expertenbefragungen erörtert. Wilson (2000) befragte Mitglieder der Society of Environmental Journalists (SEJ). Seine ernüchternde Erkenntnis war: „A minority of SEJ reporters were knowledgeable about the scientific certainty of the greenhouse effect and the acceptance by most scientists in the field of the theory of climate change”. Eine Ausnahme bildeten hauptberufliche Wissenschaftsjournalisten, die über ein fundiertes Wissen verfügten.6 Zu einer positiveren Einschätzung gelangten Brüggemann/Engesser (2014) aufgrund einer Befragung von Klimajournalisten aus Deutschland, Großbritannien, Indien, der Schweiz und den USA. Ihre zentrale Erkenntnis war, dass sich Klimajournalisten an ähnlichen, wissenschaftlich fundierten Quellen ausrichten und dadurch eine „interpretive community“ bilden, die weitgehend mit dem vom IPCC konstituierten Konsens übereinstimmt. Abweichungen von diesem Konsens wurden bei Journalisten festgestellt, die nur gelegentlich über die Klimathematik berichtet hatten.
2.3.4 Erforschung von öffentlicher Meinung
Ein weiterer Forschungsstrang stützt sich auf länderspezifische Meinungsumfragen, um die Bezüge zwischen Klimawandel und Öffentlichkeit zu erforschen. Der Fokus liegt dabei häufig „[…] on how much the imagined public does not understand or know about climate change and the perceived 'gap' or 'divide' between aggregated survey results and expert views“ (Nisbet 2010: 355). Lorenzoni/Pidgeon (2006) führten beispielsweise eine Metastudie von amerikanischen und europäischen Meinungsbefragungen durch. Sie kamen zum Schluss, dass sich sowohl Amerikaner als auch Europäer mit Umweltfragen und dem Klimawandel auseinandersetzen. Die Thematik wurde jedoch als weniger wichtig eingeschätzt als persönliche oder soziale Probleme, wobei das Verständnis von Ursachen und Lösungen der Klimawandelproblematik begrenzt war. In einer Metastudie von McCright/Dunlap (2011) wurden zwischen 2001 und 2010 in den USA durgeführte Meinungsbefragungen ausgewertet. Die zentrale Erkenntnis war, dass sich die Haltung gegenüber dem Klimawandel je länger desto mehr entlang der Grenzen von politischer Ideologie und Parteizugehörigkeit polarisiert hatte. Liberale/Demokraten verzeichneten eine deutlich größere Übereinstimmung mit dem wissenschaftlichen Konsens als Konservative/Republikaner.7 Poortinga et al. (2011) folgerten aufgrund einer persönlichen Befragung, Unsicherheit und Skeptizismus gegenüber den potentiellen Folgen des Klimawandels seien in Großbritannien zwar vorhanden aber nicht weit verbreitet. Zu einem ähnlichen Schluss kamen Arlt et al. (2011) durch die Auswertung einer telefonbasierten Befragung in Deutschland. Sie fanden unter anderem heraus, dass die Medien für einen Großteil der Befragten die Hauptinformationsquelle zum Thema Klimawandel darstellte. Dies bestätigte das Forschungsergebnis einer Befragung von amerikanischen Studenten von Stamm et al. (2000).
In den vorausgehenden zwei Unterkapiteln wurde auf Studien der Kommunikatoren und der öffentlichen Meinung eingegangen. Als Zwischenfazit kann festgehalten werden: Die Medien bilden die zentrale Arena für die Produktion, Reproduktion und Transformation von Fakten und Anschauungen zum Klimawandel. Gleichzeitig sind sie Akteure in der Klimadebatte die sie konstituieren (vgl. Carvalho 2010: 172). Deshalb wird im Folgenden vertieft auf die Erforschung von Medieninhalten eingegangen.
2.3.5 Erforschung von Medieninhalten
Ein Großteil der Publikationen, die sich mit den Medieninhalten der Klimadebatte befassen, sind auf die Feststellung von Skeptizismus und dessen Verbreitung fokussiert. Nacos et al. (2000) verglichen das Framing der Klimafrage von deutschen Zeitungen mit dem amerikanischer Zeitungen und Fernsehnachrichten. Der Untersuchungszeitraum betrug sechs Monate vor, während und nach der Ende 1997 stattfindenden UN-Klimakonferenz von Kyoto. Sie fanden heraus, dass die Erderwärmung in allen untersuchten Medien größtenteils als reale Bedrohung gerahmt war und weitaus weniger häufig als etwas Unbewiesenes, Unbestimmtes oder gar Vorteilhaftes. Dennoch waren in den USA deutlich mehr Vorbehalte gegenüber der vorwiegend konsensuellen Haltung der Kyoto-Verhandlungen erkennbar (vgl. Nacos et al. 2000: 56). Mit ihrem ländervergleichenden Framing-Ansatz verfolgte die Studie zum Zeitpunkt der Durchführung ein äußerst progressives Forschungsdesign.
Die Ausbreitung von Klimaskeptizismus in den USA war nach den Kyoto-Verhandlungen besonders in den Fokus amerikanischer Wissenschaftler gerückt.8 Die Untersuchung von McCright/Dunlap (2000) zum Zusammenhang zwischen der konservativen Bewegung in den USA und klimaskeptischen Behauptungen kann als wegweisend bezeichnet werden. Aus der empirischen Auswertung von Positionspapieren konservativer Think-Tanks ließen sich drei Gegenbehauptungen (counter-claims) bezüglich der Klimaerwärmung ableiten: Erstens sei die wissenschaftliche Erkenntnisgrundlage schwach, wenn nicht falsch. Zweitens sei der Nettoeffekt der Erderwärmung – sollte sie denn stattfinden – nutzbringend. Drittens würden die angestrebten Regulationen zur Milderung des vermeintlichen Problems mehr Schaden anrichten als sie nutzten. Aufgrund dieser Erkenntnisse formulierten McCright/Dunlap (2000: 517–518) den Aufruf, zukünftige Forschung müsse sich weiter mit dem Phänomen des Klimaskeptizismus auseinandersetzen.9
Nennenswert ist in dieser Hinsicht die Untersuchung von Dispensa/Brulle (2003), welche explizit auf die Erforschung von Klimaskeptizismus ausgerichtet war. Ein progressiver Aspekt dieser Studie war, dass darin ein amerikanisches Mediensample der jeweils größten Zeitung Finnlands und Neuseelands gegenübergestellt wurde. Dadurch konnte festgestellt werden, dass die amerikanischen Medientitel weitaus mehr Skepsis dargestellt hatten als die zwei Vergleichsentitäten. Aufgrund dieser Erkenntnis erachteten Dispensa/Brulle (2003: 98) ihre Hypothese, die im Ländervergleich hervorstechende Dominanz der Brennstoffindustrie in den USA würde die Klimadebatte beeinflussen, als bestätigt.
Eine auffallend häufig zitierte Studie ist die quantitative Inhaltsanalyse der amerikanischen Qualitätspresse zwischen 1988 und 2002 von Boykoff/Boykoff (2004). Die Untersuchung ergab, die Berichterstattung zum Klimawandel sei in gravierendem Maße mangelhaft und weise erhebliche Diskrepanzen zum wissenschaftlichen Konsens auf. Dies gelte sowohl in Bezug auf die Anthropogenität der Klimaerwärmung wie auch auf die daraus ableitbare Notwendigkeit politischer Maßnahmen. Aufgrund dieser Erkenntnis leiteten die Autoren die These ab, die journalistische Norm der ausgewogenen Berichterstattung (balanced reporting) fördere verzerrte Darstellungen der Klimadebatte. Angesichts des wissenschaftlichen Konsenses, führe die Beachtung dieser Norm im Fall der Klimadebatte zu einer proportionalen Überrepräsentierung von Skeptikern (vgl. Boykoff/Boykoff 2004: 129–134). Boykoff (2008) gelang die Bestätigung dieser These in einer Untersuchung amerikanischer Fernsehberichterstattung zwischen 1995 und 2004.
In einer qualitativen Untersuchung amerikanischer Zeitungen mit regionaler und nationaler Reichweite, konnte Antilla (2005: 350) diese These ebenfalls bestätigen. Ihre Kritik an der medialen Darstellung bezog sich jedoch primär auf die Feststellung, dass in mehreren Medientiteln wiederholt Skeptiker mit bekannten Verbindungen zur Energie- und Brennstoffindustrie, als primäre Experten zu Wort gekommen waren. Boykoff (2007) musste die These des „bias through balance“ jedoch auf Basis einer vergleichenden Studie der amerikanischen und britischen Qualitätspresse zwischen 2003 und 2006 relativieren. Er konstatierte für die amerikanische Medienarena einen steten Rückgang klimaskeptischer Darstellungen die auf “ausgewogener Berichterstattung” zurückzuführen waren. In der britischen Arena kam der Effekt über den gesamten Untersuchungszeitraum hinweg (in der amerikanischen Arena in den letzten zwei Jahren) nicht signifikant häufig vor (vgl. Boykoff 2007: 474–475).
Obwohl gerade komparative Studien einen größeren Erkenntnisgewinn versprechen würden (vgl. Esser/Pfetsch 2004b), sind sie noch in der Minderheit (vgl. Schäfer/Schlichting 2014: 152–153). Einige Studien befassen sich zwar mit mehreren Medienarenen, werten die Daten jedoch nur selten ländervergleichend aus. Möglicherweise aufgrund sprachlicher Barrieren ist eine Tendenz erkennbar, Länder des angelsächsischen Sprachraums miteinander zu erforschen. O'Neill/Saffron (2013) untersucht beispielsweise die amerikanische, britische und australische Arena, Howard-Williams (2009) die australische und neuseeländische. Jacques et al. (2008) und Dunlap/Jacques (2013) analysieren englischsprachige Bücher von Klimaskeptikern. Diese Arbeiten adressieren länderspezifische Unterschiede jedoch nur am Rande.
Eine verhältnismäßig groß angelegte vergleichende Studie wurde von Painter (2011) durchgeführt. Er verglich die Verbreitung von Klimaskeptizismus in einem breiten, britischen Mediensample mit zwei Längsschnittstudien in Brasilien, China, Frankreich, Indien und den USA.10 Seine zentrale Erkenntnis war, dass es sich beim Klimaskeptizismus um ein vorwiegend angelsächsisches Phänomen handle. Zwar waren in den gut zwei Jahren zwischen den Untersuchungszeiträumen skeptische Stimmen in fast allen Medien gestiegen. Die britische und amerikanische Arena verzeichneten jedoch die signifikant höheren Anteile. In den zwei Ländern war zudem ein starker Zusammenhang zwischen der Häufigkeit skeptischer Äußerungen und der ideologischen Ausrichtung der Medien erkennbar. Skeptizismus wurde dabei vorwiegend in politisch rechtsgerichteten Medien festgestellt (vgl. Painter 2011: 2, 111-112).
In einer weiteren, beachtenswerten Studie führten Shehata/Hopmann (2012) eine vergleichende Resonanz- und Inhaltsanalyse für die amerikanische und die schwedische Medienarena durch. Für zwei Qualitätszeitungen pro Medienarena wurde neben einer Resonanzanalyse für den Zeitraum von 1997 bis 2007, eine Framing-Analyse zu den zwei UN-Klimakonferenzen in Kyoto (1997) und Bali (2007) vorgenommen. Die Autoren wendeten dabei einen deduktiven Ansatz an und untersuchten die Klimadebatte auf Frames, die sich aus vorausgehenden Studien hatten ableiten lassen. Als dominanten Deutungsrahmen identifizierten sie das climate change frame, dessen Argumentationsstruktur auf dem IPCC-Konsens basiert. Daneben untersuchten sie zwei antagonistische Deutungsrahmen (counter-frames): Das scientific uncertainty frame bestreitet die Existenz eines Konsenses in der Scientific Community zu den Ursachen und Folgen des Klimawandels und eine allfällige Klimaerwärmung sei auf natürlichen Variationen zurückzuführen. Aufgrund dieser wissenschaftlichen Unsicherheit werden klimapolitische Maßnahmen unzweckmäßig beurteilt. Das economic consequences frame lehnt Klimaschutzregulationen mit dem Argument ab, diese würden der wirtschaftlichen Entwicklung schaden (vgl. Shehata/Hopmann 2012: 179–180). Die Untersuchung der zwei Klimakonferenzen ergab eine deutliche Dominanz des Climate Change Frames und bei Argumenten gegen Regulationen, ein Übergewicht des Economic Consequences Frame gegenüber dem Scientific Uncertainty Frame. Die weitgehende Absenz wissenschaftlicher Unsicherheit erklärten die Autoren damit, dass der spezifische Fokus des Forschungsdesigns auf zwei Klimakonferenzen, keine Aussagen über die Berichterstattung in routine times gestatte (vgl. Shehata/Hopmann 2012: 186–189).
2.4 Diskussion des Forschungsstandes
Die überblicksartige Darstellung der akademischen Auseinandersetzung mit der Klimadebatte hat aufgezeigt, dass je nach Forschungsinteresse, verschiedene methodische Herangehensweisen angewendet werden. Wie in Kapitel (2.1) ausgeführt wurde, eignet sich die systematische Analyse der Medienöffentlichkeit, um gesellschaftliche Diskurse und die strategische Kommunikation von Akteuren abzugreifen. Es ist für die vorliegende Arbeit von Vorteil, Anschlusspunkte in den oben vorgestellten Inhaltsanalysen zu suchen. Zu diesem Zweck werden im Folgenden einige Aspekte der besprochenen Studien kritisch diskutiert (2.4.1) und eine Erweiterung des Forschungsdesigns für die Umsetzung der vorliegenden Arbeit vorgestellt (2.4.2).
2.4.1 Kritik an gängigen Forschungsdesigns
Wie die Auseinandersetzung mit dem Forschungsstand gezeigt hat, ist die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der Klimadebatte auffallend stark auf das Phänomen Klimaskeptizismus fokussiert. Die Einschätzungen zu dessen Verbreitung variieren je nach verwendetem Forschungsdesign, untersuchten Zeiträumen, Medienarenen und Mediensamples. Das zeigt sich sowohl in den oben erwähnten wie auch in den folgenden Studien: Zehr (2009: 91) stellt in der amerikanischen Presse einen Rückgang skeptischer Darstellungen fest. Dunlap (2013: 692) hingegen bescheinigt der wirtschaftsliberalen, wertkonservativen denial machine in den USA fortwährenden Erfolg, in der Blockierung nationaler und internationaler Klimaschutzverpflichtungen. Während Russil (2008) in der neuseeländischen Presse keine Klimaskepsis nachweisen konnte, sieht Brunnengräber (2013: 47) die Klimaskeptiker in Deutschland deutlich im Aufwind. Gerade weil der Erkenntnisstand so heterogen ist, kommt eine Untersuchung der Klimadebatte nicht darum herum, sich auch mit dem Skeptizismus auseinanderzusetzen. Die Vorherrschaft skeptizismuszentrierter Forschung birgt jedoch in Hinblick auf eine akteurszentrierte Erhebung strategischer Kommunikation ein Problem. Dies wird in den folgenden Abschnitten hergeleitet. In einem ersten Schritt wird dazu auf die Verwendung von Framing-Ansätzen in der besprochenen Literatur eingegangen.
Die oben besprochenen Studien bieten nur begrenzte Anschlussmöglichkeiten für einen Framing-Ansatz. In der einen oder anderen Form, wenden einige zwar Framing-Ansätze an (vgl. Antilla 2005; Trumbo 1996; McCright/Dunlap 2000; Nacos et al. 2000; Shehata/Hopmann 2012). Je nach Fokus der Arbeiten variiert das Spektrum der untersuchten Frames und Subframes. Zudem weichen auch die Definitionen ähnlicher Frames (z.B. das Frame über die wissenschaftliche Unsicherheit) teilweise voneinander ab. Wie an anderer Stelle angetönt, ist es der Konsolidierung der Framing-Forschung abträglich, wenn für jede empirische Untersuchung neue, spezifisch Frames definiert werden (vgl. Matthes 2007: 57). In Bezug auf die vorliegende Arbeit ist es deshalb sinnvoll, einen deduktiven Ansatz zu verwenden und bereits identifizierte Frames zu untersuchen, anstatt eigene Frames induktiv zu erheben.
Doch das Hauptproblem ist ein anderes: Die bereits identifizierten Framekonstrukte vereinen Aspekte zur Haltung gegenüber der Klimawissenschaft, zur vertretenen politischen Position und zur eingesetzten Argumentation. Diese Herangehensweise ergibt sich aus der Definition von Entman (1993: 52), wonach Frames eine Problemdefinition, eine Diagnose der Ursache sowie einen Lösungsvorschlag enthalten.
[...]
1 Zur Autonomisierung und Ökonomisierung der Medien, vgl. Jarren 1996: 84. Zum neuen Strukturwandel der Öffentlichkeit vgl. Imhof 2006c: 165ff.
2 Trumbo hatte lediglich Titel und Lead, Zehr hingegen die gesamten Artikel analysiert.
3 Zehr erwähnt den IPCC in seinem Beitrag nicht.
4 CO2 gilt als das wichtigste Treibhausgas, neben Methan und Stickstoffoxid (IPCC 2007: 2). Um diesem Umstand Rechnung zu tragen, wird in der vorliegenden Arbeit der Begriff Treibhausgasemissionen dem Begriff CO2-Emissionen vorgezogen.
5 Opposite Editorial (kurz: op-ed) bezeichnet eine Kolumne (oft von Gastkommentatoren) die von der Redaktionslinie abweichen darf.
6 Wilson (2000: 10) verwendet den Ausdruck „full-time science reporters“.
7 Schuldt et al. (2011) untersuchten in einem Experiment die Wirkung von Unterschieden in der Wortwahl von Medienberichten. Sie fanden heraus, dass Konservative/Republikaner mit größerer Skepsis auf den Ausdruck „climate change“ reagierten als auf den Term „global warming“, der in konservativen Medienerzeugnissen vorwiegend verwendet wird.
8 Der US-Senat hatte bereits vor den Verhandlungen in Kyoto eine Resolution verabschiedet, um den Beitritt zu einem internationalen Abkommen zur Reduktion von Treibhausgasemissionen zu verhindern (vgl. Byrd-Hagel 1997).
9 McCright/Dunlap (2003) untersuchten daraufhin den Einfluss der Klimaskeptiker konkret am Beispiel der aus ihrer Sicht gescheiterten, amerikanischen Kyoto-Verhandlungen.
10 Es wurden zwei dreimonatige Untersuchungswellen in den Jahren 2007 und 2009/10 untersucht.
- Quote paper
- Francesco Bizzozero (Author), 2014, Der Klimawandel und die Legitimation des Nichthandelns, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/301239
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