In den letzten Wochen löste der sogenannte Fall Henri reges Medieninteresse aus und brachte das Thema der Inklusion ein weiteres Mal in den Fokus der Öffentlichkeit. Hierbei handelt es sich um den elfjährigen Jungen Henri, der mit dem Down-Syndrom zur Welt kam und den Wunsch hat, nach der vierten Klasse das örtliche Gymnasium besuchen zu dürfen. Dieses möchte den Jungen allerdings nicht aufnehmen, da es nicht im Rahmen von Henris Möglichkeiten läge, den Abschluss zu erreichen und eine angemessene Förderung von der Schule nicht geleistet werden könne. Doch geht es Henri beziehungsweise seinen Eltern nicht um diesen Abschluss, sondern vielmehr darum, dass Henri weiterhin zusammen mit seinen Freunden die Schule besuchen kann.
Dieser Fall spiegelt die Aktualität des Themas Inklusion wider. Es gibt kaum Fälle, auf welche hierbei Bezug genommen werden kann, so wird über diesen speziellen Fall letztendlich Andreas Stoch, der Kultusminister des Landes Baden-Württembergs, entscheiden. Zwischenzeitlich haben sich in der Öffentlichkeit zwei unterschiedliche Meinungen zum Thema gebildet. So gibt es die Befürworter der Inklusion, welche die schulische Zukunft Henris am Gymnasium gutheißen und die Gegner, die der Meinung sind, dass Henri an dieser Schule keine Zukunft haben wird und sich selbst sowie der Klassengemeinschaft keinen Gefallen tun würde, wenn er inklusiv in dieser Klasse beschult wird (vgl. Allgöwer 2014).
Henri besucht zurzeit noch eine Grundschule, die durch inklusiven Unterricht ermöglicht, dass Kinder mit Beeinträchtigungen gemeinsam mit den Kindern aus der Nachbarschaft ein und dieselbe Schule besuchen können. Grundschulen praktizieren Inklusion schon seit einiger Zeit, weshalb sich die Frage stellt, wie inklusiver Unterricht in der Praxis gestaltet wird. Die vorliegende Arbeit möchte sich daher mit der Gestaltung inklusiven Unterrichts befassen, wobei der Fokus auf den Englischunterricht gerichtet ist: Wie kann der Englischunterricht der Grundschule inklusiv gestaltet werden, welche Methoden und Unterrichtsformen bieten sich an, und ist der Fremdsprachenunterricht hier überhaupt durchführbar? Diese Fragen sollen im Laufe dieser Arbeit bearbeitet und geklärt werden.
Da die Ausarbeitung dieser Hausarbeit auf einen Zeitraum von drei Monaten begrenzt ist und sich dieses Thema als äußerst komplex und vielschichtig erwiesen hat, wurden einige thematische Eingrenzungen vollzogen [...]
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
1. Inklusion
1.1 Herkunft und Entstehung des Inklusionsbegriffs
1.1.1 1930 bis 1980: Von der Exklusion zur Segregation
1.1.2 1980 bis 1990: Integration
1.1.3 1990 bis heute: Inklusion
1.1.4 In Zukunft: Allgemeine Pädagogik für alle Kinder
1.2 Definition des pädagogischen Inklusionsbegriffs
1.3 Problematik zwischen Integration und Inklusion
1.4 Inklusive Pädagogik in der Grundschule
1.4.1 Institution
1.4.2 Schulleben
1.4.3 Klassenleben
1.4.4 Didaktik
1.4.5 Lernmaterialien
1.4.6 Leistungsbewertung
1.4.7 Professionelle Kooperation
1.5 Der Index für Inklusion als Hilfestellung zur Schulentwicklung
2. Englischunterricht in der Grundschule
2.1 Wege des Fremdsprachenunterrichts in die Grundschule
2.2 Richtlinien im Bildungsplan Baden-Württembergs
2.3 Grundsätze für einen kindgerechten Englischunterricht
2.3.1 Authentizität im Unterricht
2.3.2 Multisensorisches Lernen
2.3.3 Unterricht in der Zielsprache
2.3.4 Differenzieren und Individualisieren
2.4 Offene Lernangebote im Englischunterricht
2.4.1 Freiarbeit
2.4.2 Planarbeit
2.4.3 Projektarbeit
2.4.4 Task-based Language Learning
2.5 Inklusion im Bezug zum Englischunterricht der Grundschule
3. Erfahrungen aus der Praxis
3.1 Theoretische Grundlagen zur qualitativen Sozialforschung
3.1.1 Qualitative Sozialforschung
3.1.2 Leitfadengestützte Experteninterviews
3.2 Methodisches Vorgehen der Erhebung
3.2.1 Planung
3.2.2 Durchführung
3.2.3 Auswertung
3.3 Ergebnisse der durchgeführten Befragung
3.3.1 Tabellarischer Überblick
3.3.2 Ausführliche Beschreibung der Ergebnisse
3.4 Zusammenfassung der Ergebnisse
Schlussbetrachtung
Literaturverzeichnis:
Anhang
I. Transkripte der Experten-Interviews
Interview 1: Sonderschullehrerin
Interview 2: junge Grundschullehrerin
Interview 3: Inklusionserfahrene Grundschullehrerin
II. Interviewleitfäden
Leitfaden zu Interview 1
Leitfaden zu Interview 2
Leitfaden zu Interview 3
Einleitung
In den letzten Wochen löste der sogenannte Fall Henri reges Medieninteresse aus und brachte das Thema der Inklusion ein weiteres Mal in den Fokus der Öffentlichkeit. Hierbei handelt es sich um den elfjährigen Jungen Henri, der mit dem Down-Syndrom zur Welt kam und den Wunsch hat, nach der vierten Klasse das örtliche Gymnasium besuchen zu dürfen. Dieses möchte den Jungen allerdings nicht aufnehmen, da es nicht im Rahmen von Henris Möglichkeiten läge, den Abschluss zu erreichen und eine angemessene Förderung von der Schule nicht geleistet werden könne. Doch geht es Henri beziehungsweise seinen Eltern nicht um diesen Abschluss, sondern vielmehr darum, dass Henri weiterhin zusammen mit seinen Freunden die Schule besuchen kann.
Dieser Fall spiegelt die Aktualität des Themas Inklusion wider. Es gibt kaum Fälle, auf welche hierbei Bezug genommen werden kann, so wird über diesen speziellen Fall letztendlich Andreas Stoch, der Kultusminister des Landes Baden-Württembergs, entscheiden. Zwischenzeitlich haben sich in der Öffentlichkeit zwei unterschiedliche Meinungen zum Thema gebildet. So gibt es die Befürworter der Inklusion, welche die schulische Zukunft Henris am Gymnasium gutheißen und die Gegner, die der Meinung sind, dass Henri an dieser Schule keine Zukunft haben wird und sich selbst sowie der Klassengemeinschaft keinen Gefallen tun würde, wenn er inklusiv in dieser Klasse beschult wird (vgl. Allgöwer 2014).
Henri besucht zurzeit noch eine Grundschule, die durch inklusiven Unterricht ermöglicht, dass Kinder mit Beeinträchtigungen gemeinsam mit den Kindern aus der Nachbarschaft ein und dieselbe Schule besuchen können. Grundschulen praktizieren Inklusion schon seit einiger Zeit, weshalb sich die Frage stellt, wie inklusiver Unterricht in der Praxis gestaltet wird. Die vorliegende Arbeit möchte sich daher mit der Gestaltung inklusiven Unterrichts befassen, wobei der Fokus auf den Englischunterricht gerichtet ist: Wie kann der Englischunterricht der Grundschule inklusiv gestaltet werden, welche Methoden und Unterrichtsformen bieten sich an, und ist der Fremdsprachenunterricht hier überhaupt durchführbar? Diese Fragen sollen im Laufe dieser Arbeit bearbeitet und geklärt werden.
Da die Ausarbeitung dieser Hausarbeit auf einen Zeitraum von drei Monaten begrenzt ist und sich dieses Thema als äußerst komplex und vielschichtig erwiesen hat, wurden einige thematische Eingrenzungen vollzogen. So beziehen sich die Inklusionsarbeit und der Englischunterricht in der Grundschule hauptsächlich auf Deutschland bzw. Baden-Württemberg. Des Weiteren wurde, mit Bedacht auf Inklusion, davon abgesehen, die vielzähligen möglichen Beeinträchtigungen, welche Kinder aufweisen können, aufzuzählen und separat darauf einzugehen. Einer der Grundgedanken der Inklusion ist die Normalität der Vielfalt und das Absehen von Etikettierung, wodurch eine solche Einteilung der Beeinträchtigungen nicht gerechtfertigt wäre. So können auch Sprachprobleme bedingt durch Migrationshintergrund zur Inklusion gezählt werden, auch wenn in dieser Arbeit nicht explizit darauf eingegangen wird. Natürlich gilt es in der Praxis die individuellen Fähigkeiten, Beeinträchtigungen und Interessen jedes einzelnen Kindes bei der Unterrichtsplanung zu berücksichtigen, doch die Vielzahl der möglichen Faktoren hat es nicht möglich gemacht, im Rahmen dieser Arbeit darauf einzugehen.
Die Arbeit ist in drei Kapitel aufgeteilt. Die ersten beiden Kapitel behandeln die theoretischen Grundlagen, wobei zuerst auf die Inklusion und anschließend auf den Englischunterricht der Grundschule eingegangen wird. Das letzte Kapitel stellt eine empirische Auseinandersetzung mit der vorhergegangenen Thematik dar. Sie beinhaltet zum einen die theoretischen Grundlagen der empirischen Forschung und zum anderen die Durchführung einer Befragung mitsamt den daraus entstandenen Ergebnissen.
So wird im ersten Kapitel der historische Werdegang des Inklusionsbegriffs geklärt, wobei vor allem auf den Umgang im schulischen Kontext eingegangen wird. Darauf aufbauend wird versucht, eine konkrete Definition des Begriffs im pädagogischen Sinne zu geben, woraufhin anschließend die Bedeutungsproblematik zwischen den Bezeichnungen Integration und Inklusion definiert wird. Nachdem der Begriff der Inklusion ausreichend abgegrenzt ist, wird die pädagogische Umsetzung im Rahmen der Grundschule beschrieben. Hierbei wird auf die verschiedensten Bereiche eingegangen, welche im Kontext Schule zu berücksichtigen sind. Darunter fallen die Bereiche der Institution, Schul- und Klassenleben, Didaktik, verwendetes Material, sowie Leistungsbewertung und die Umsetzung durch Kooperation. Hierbei wurde zu einem Großteil Literatur von Prof. Dr. Andreas Hinz und Prof. Dr. Alfred Sander verwendet, welche sich beide durch zahlreiche Veröffentlichungen zu diesem Thema als Spezialisten auf diesem Gebiet bezeichnen lassen. Zum Abschluss des ersten Kapitels wird zusätzlich der Index für Inklusion vorgestellt, der Schulen helfen soll die Inklusion in ihrer Institution erfolgreich umzusetzen. Dieser Index wurde von Tony Booth und Mel Ainscow entwickelt und bezog sich ursprünglich auf das britische Schulsystem, wurde allerdings von Andreas Hinz und Ines Boban in die deutsche Sprache übersetzt und auf eben diese Verhältnisse adaptiert.
Das zweite Kapitel behandelt den Englischunterricht der Grundschule und soll zu Beginn beschreiben, wie der Fremdsprachenunterricht seinen Weg in den Anfangsunterricht fand. Des Weiteren werden die Richtlinien des Bildungsplans für das Bundesland Baden-Württemberg vorgestellt, wobei anzumerken ist, dass sich hierbei auf die Fassung aus dem Jahr 2004 bezogen werden musste, da zu den Ausarbeitungen für den 2015 erscheinenden neuen Bildungsplan leider kein Zugriff bestand. Da die Fassung von 2004 als erster Bildungsplan den Englischunterricht in der Grundschule einführte, werden daraus dennoch gültige Ergebnisse gezogen. Im Anschluss dazu werden grundsätzliche Aspekte eines kindgerechten englischen Fremdsprachenunterrichts aufgezeigt und darauf beziehend offene Lernangebote vorgestellt, wodurch versucht wird, einen Bogen zur inklusiven Gestaltung des Fachunterrichts zu spannen.
Die Erfahrungen aus der Praxis sollen letztendlich im dritten Kapitel dargelegt werden. Hier werden wiederum zuerst die theoretischen Grundlagen zur qualitativen Sozialforschung dargelegt und die Form der Befragung, das leitfadengestützte Experteninterview, genauer beschrieben. Bevor es gilt die Ergebnisse darzulegen, wird das methodische Vorgehen der Erhebung und Auswertung erläutert. Bei der Auswertung wurde ein spezielles Verfahren für Experteninterviews angewandt, welches von Meusner und Nagel in der Literatur beschrieben wird. Für die Befragung standen drei Lehrerinnen zur Verfügung, welche ihre Meinungen, Ansichten und Umsetzungen zum inklusiven Englischunterricht der Grundschule äußerten. Ziel der Befragung bildet eben diese Umsetzung des englischen Fremdsprachenunterrichts im inklusiven Kontext der Grundschule, welcher so aus der Sichtweise von Sonder- und Grundschullehrkräften beschrieben wird.
In der Schlussbetrachtung werden die Ergebnisse der Forschung mit den theoretischen Ansätzen aus Kapitel eins und zwei verknüpft und Übereinstimmungen, Unterschiede und daraus folgende Konsequenzen formuliert. Zudem soll ein Ausblick für die zukünftige Umsetzung gegeben werden.
1. Inklusion
Menschen mit Behinderung galten weltweit lange Zeit als krank und behandlungsbedürftig. Ihr Platz in der Gesellschaft war zumeist in speziellen Einrichtungen wie Sonderschulen, Werkstätten oder Anstalten, welche die erforderliche Hilfe versprachen. Dieses Konzept der Institutionalisierung führte zur gesellschaftlichen Segregation der genannten Personengruppe. Ein normales, selbstbestimmtes Leben war ihnen kaum möglich, da der Zugang zum allgemeinen Bildungssystem – und somit ein regulärer Schulabschluss – verwehrt wurde, wodurch die Möglichkeit auf eine Stelle auf dem regulären Arbeitsmarkt ausgeschlossen war. Zusammentreffen zwischen Menschen mit und ohne Behinderungen waren selten. Somit kam es zur sozialen Benachteiligung und Diskriminierung.
Aus diesem Grund bildeten sich während den 70er Jahren Protestbewegungen in den westlichen Industrienationen, welche das bisherige „Verständnis von Behinderung als Krankheitskategorie sowie die institutionsbezogene, aussondernde Praxis scharf kritisierten“ (Theunissen 2011: 21). Menschen mit Behinderungen sollten durch therapeutische Maßnahmen und spezielles Training an die regulären, alltäglichen Lebensbedingungen und -situationen vorbereitet und dadurch besser in die Gesellschaft eingegliedert werden. Diese Bewegungen, mit den Leitprinzipien der „Normalisierung und gesellschaftliche[r] Integration“ (ebd.), waren der Anfang für das, was heute mit Hilfe der Inklusion umgesetzt werden soll (vgl. Theunissen 2011: 21).
Ziel der Inklusion ist es heutzutage jedoch nicht mehr die Betroffenen an die gesellschaftliche Realität anzupassen, sondern vielmehr das Anpassen der Normen und Lebenssituationen an die Heterogenität der Gesellschaft (vgl. Hinz 2012: 35). Doch aufgrund verschiedener Ansätze, der relativ langen Zeitspanne und verschiedener Autoren ist es nicht einfach, den Begriff Inklusion zu definieren. Darum soll zunächst der historische Werdegang dessen, was heute unter Inklusion verstanden wird, geklärt und anschließend der Begriff definiert werden.
1.1 Herkunft und Entstehung des Inklusionsbegriffs
Das Wort Inklusion hat seine Herkunft aus dem Lateinischen von dem Wort inclusio, was so viel bedeutet wie Einschluss, Einbezug oder Zugehörigkeit (vgl. Duden 2003: 622). Im pädagogischen Zusammenhang tritt es im deutschsprachigen Raum seit der Erklärung von Salamanca auf der UNESCO-Weltkonferenz 1994 wiederholt auf. Auf dieser Weltkonferenz in Salamanca, unter dem Titel „Pädagogik für besondere Bedürfnisse: Zugang und Qualität“, wurde ein Aktionsrahmen für Inklusion beschlossen. Die UN-Konvention über die Rechte von behinderten Menschen wurde letztendlich am 13.12.2006 von der UN-Vollversammlung beschlossen und 2009 von Deutschland unterzeichnet. Hier wird in Artikel 24 „das Recht auf Bildung von Menschen mit Behinderung ohne Diskriminierung in einem inclusiven [sic!] Bildungssystem“ (Ziemen 2011: 9) gefordert, weshalb seitdem der Begriff Inklusion sehr häufig diskutiert und auch in den Medien vermehrt behandelt wird (vgl. ebd.).
Laut Alfred Sander gibt es fünf aufeinander folgende Etappen, welche den aktuellen Leitbegriff der Inklusion historisch klären können. Diese Etappen bestehen aus Exklusion, Segregation, Integration, Inklusion und letztendlich einer Allgemeinen Pädagogik für alle Kinder (vgl. Sander 2003 nach Frühauf 2012: 14).
1.1.1 1930 bis 1980: Von der Exklusion zur Segregation
Der Umgang der Gesellschaft mit Menschen mit Behinderung war aus heutiger Sicht wenig sozial. Auch wenn es Einrichtungen gab, welche sich um deren „Krankheiten“ kümmerten und die Menschen pflegte, war dies die Seltenheit. Heute wird dieser Umgang als Exklusion bezeichnet. Die Exklusion bezeichnet eine Phase, in welcher Menschen mit Behinderung, sowie andere Personengruppen, durch eine höhere Instanz das Recht und der Zugang zu Bildung verwehrt werden. Der Begriff kennzeichnet nicht nur den Ausschluss aus dem Bildungssystem, sondern eher einen kompletten Ausschluss aus der Gesellschaft (vgl. ebd.: 15). Zu Zeiten des Nationalsozialismus wurde Exklusion in Dimensionen betrieben, welche heute nicht nachvollziehbar sind. So wurden Menschen mit Behinderung als nicht-lebenswert eingestuft und im Laufe der Euthanasie-Morde in der NS-Zeit, auch bekannt unter dem Namen Aktion T4, systematisch getötet (vgl. Deutsches Institut für Menschenrechte 2014).
Nach Ende des 2. Weltkrieges änderten sich Umgang und Einstellung zu Menschen mit Behinderung. Durch das Aufkommen von verschiedenen sozialen Verbänden, die sich für das Wohl von Behinderten einsetzten, wurden Behinderungen akzeptiert und ihnen Lebensräume eingerichtet. Diese Etappe heißt Segregation oder auch Separation. Hier besuchen Kinder mit Behinderung eigene, abgetrennte Bildungseinrichtungen. In der Segregation wird nach einem individuell medizinischen Erklärungsansatz gehandelt, indem Behinderungen als physische, psychische oder kognitive Abweichung vom gesellschaftlichen Normalzustand verstanden werden (vgl. Hermes 2007: 2). Alle Kinder werden nach bestimmten Kriterien an unterschiedliche Orte des Bildungssystems verteilt, damit sich möglichst homogene Gruppen an den jeweiligen Schulen befinden. Durch das deutsche gegliederte Schulsystem wird ebenfalls versucht, Kinder nach ausgewählten Leistungskriterien in den Schulformen zu sortieren. Kriterien sind „altersgemäße Durchschnittsnormen in den sogenannten Kulturtechniken (Schreiben, Lesen, Rechnen)“ (Frühauf 2012: 15). Kann ein Kind diesen Durchschnitt nicht erfüllen, muss es eine Förderinstitution, also Sonderschule, besuchen.
In Deutschland fand diese Phase etwa von 1960-1980 statt, wird allerdings noch bis heute praktiziert. Zwar soll in diesem Abschnitt bereits die soziale Integration der Menschen mit Behinderung im Vordergrund stehen, doch in der Praxis werden lediglich Begegnungen auf freiwilliger Basis geschaffen, wodurch Vorurteile zwar abgebaut werden, eine Integration allerdings kaum stattfindet. Für Menschen mit Behinderung, vor allem geistiger Behinderung, ergibt sich aus dem Bildungssystem dieser Phase überwiegend eine aussondernde Lebensbiographie: beginnend beim Sonderkindergarten, anschließend in der Sonderschule, weiterführend im Beruf in einer Werkstatt für Menschen mit Behinderung und dem Leben in einem solchem Wohnheim (vgl. ebd.).
Diese Sondermaßnahmen sollen mit Hilfe von gezielten Rehabilitationsmaßnahmen dazu beitragen, dass die Betroffenen ihre individuellen Defizite weitgehend ausgleichen oder überwinden können, um dadurch bestenfalls ein nützliches Mitglied der Gesellschaft werden zu können. Menschen mit Behinderung sollten somit weitestgehend an die Gesellschaft angepasst werden. Dennoch wurden sie im Allgemeinen vom gesellschaftlichen Leben ausgegrenzt, da sie in ihren jeweiligen Institutionen untergebracht waren (vgl. Hermes 2007).
Zudem wurde ihr Leben größtenteils von Institutionen fremdbestimmt, weshalb ab circa Mitte der 70er Jahren in vielen westlichen Ländern Gegenströmungen „zur gesellschaftlich praktizierten Segregation behinderter Menschen“ (ebd.) aufkamen, welche sich für ein selbstbestimmtes Leben von Menschen mit Behinderung stark machten. Diese Gegenbewegung führte letztendlich zum Beginn der Phase der Integration (vgl. Schädler 2002).
1.1.2 1980 bis 1990: Integration
Ab Mitte der 1970er Jahre startete in Deutschland, wie bereits erwähnt, eine erneute Diskussion über den Umgang mit behinderten Menschen in der Gesellschaft, welche zu Beginn der 80er Jahre immer bekannter wurde. Diese Diskussion war von dem Begriff der Integration geprägt.
„Ein Beispiel für neue Leitorientierungen in dieser Zeit ist das aus Dänemark nach Deutschland kommende Normalisierungsprinzip. Zusammengefasst drückt sich das Leitbild der Normalisierung in dem Leitsatz aus: ‚Ein Leben so normal wie möglich auch für Menschen mit einer geistigen Behinderung‘.“ (Frühauf 2012: 16)
Somit sollten nicht mehr die Menschen mit Benachteiligungen jeglicher Art an die sogenannte Normalität unserer Gesellschaft angepasst werden, sondern vielmehr sollten Lebensabläufe und –standards ermöglicht werden, die für alle anderen selbstverständlich sind, wie z.B. die räumliche Trennung von Wohnraum und Arbeitsplatz. Darum sorgte die Integrationsbewegung dafür, dass Wahlmöglichkeiten zwischen unterschiedlichen Lern- und Lebensorten für Menschen mit Behinderung entstanden. Folglich war der automatische Übergang von einer Sondereinrichtung in die nächste aufgebrochen; es gab nicht mehr nur eine mögliche Lebensbiographie (vgl. ebd.: 18). Sie könnte nun auch folgendermaßen aussehen: allgemeiner Kindergarten mit spezieller Förderung (oft auch Integrationskindergärten), darauffolgend kann der Besuch an einer Schule mit integrativer Ausrichtung stattfinden, die Arbeit kann mit Hilfe eines Integrationshelfers auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt erfolgen, während der Wohnraum im eigenen Zuhause durch ambulante Betreuung ermöglicht werden kann (vgl. ebd.: 20).
Weitere Punkte waren die Integration aller behinderten Kinder in den allgemeinen Schulen, in welcher die Betroffenen von einer zusätzlichen Lehrkraft unterstützt werden sollten. Menschen mit Behinderung sollten allgemein in die Gesellschaft integriert werden, also auch in den Gemeinden und auf dem Arbeitsmarkt. Das Umsetzen dieser Forderungen erfordert eine Veränderung der gesellschaftlichen Bedingungen, um zu ermöglichen, dass alle Menschen am gesellschaftlichen Leben teilnehmen können (vgl. Hermes 2007). „Voraussetzung für Integration ist der Abbau von allen Barrieren, die Teilhabe verhindern.“ (ebd.)
Was in der Theorie vielversprechend klang, wurde vor allem im schulischen Kontext nur minimalistisch umgesetzt. Es wurden zwar Integrationsklassen in Regelschulen eingeführt, doch an der Sicht auf den Menschen mit Behinderung hat sich in der Institution Schule kaum etwas geändert. Hinz schreibt dazu:
„Es werden zwar integrativere Wege zugelassen, und bestehende Strukturen modifiziert, jedoch werden traditionelle Sichtweisen in der Regel nicht revidiert, d.h.: das Kind ohne Förderbedarf ist das „Normale“. Dagegen ist das Kind mit sonderpädagogischem Förderbedarf das Kind mit Problemen, das andere Kind, das funktionsgeminderte Kind, das Kind mit Defizit.“ (Hinz 2004)
Die Integration bleibt also weiterhin selektiv, da es auch künftig die Regel ist, dass ein Kind nach der Stärke seiner Beeinträchtigung einer Institution zugewiesen wird. „Je stärker ein Kind behindert ist, je höher der Unterstützungsbedarf ist, desto weniger kann es in die Regelschule integriert werden.“ (Hermes 2007: ebd.)
Festgehalten werden muss allerdings, dass „in der allgemeinen Behindertenbewegung unter Integration die generelle Abkehr von allen Sondersystemen für die Betroffenen“ (ebd.) verstanden wird, und die Definitionsabweichung vorwiegend im schulischen Bereich stattgefunden hat, weshalb die Integrationsbewegung zur Inklusion weitergeführt wurde (vgl. ebd.).
1.1.3 1990 bis heute: Inklusion
Seit den 90er Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts wurde der Begriff der Inklusion international immer häufiger verwendet. Bei der UNESCO Weltkonferenz im Jahr 1994 trafen sich über 300 Vertreter aus 92 Ländern und 25 internationalen Organisationen in Salamanca und forderten politische Änderungen im pädagogischen Umgang von Menschen mit Behinderung (vgl. ebd.). Inklusion wurde hier wie folgt verstanden: „Education is a human rights issue and persons with disabilities should be part of schools, which should modify their operations to include all students.” (Stainback & Stainback 1996: 3 nach Hermes 2007: 7) Demnach wird vollständig auf Etikettierung nach Defiziten verzichtet und die Heterogenität der Gemeinschaft als Normalzustand akzeptiert. Eine Unterscheidung nach Fähigkeiten, Geschlecht, ethnischer und sozialer Herkunft, Erstsprachen, körperlichen Bedingungen, etc. wird nicht mehr vollzogen (vgl. Frühauf 2012: 21).
Heterogene Gruppen entsprechen der gesellschaftlichen Realität, was sich auch in den Schulklassen widerspiegeln soll und weshalb es keine regionalen Sammelstellen an einer bestimmten Schule im jeweiligen Gebiet geben soll. Der Schulbesuch soll in der üblichen Umgebung stattfinden, also in den ortsansässigen Regelschulen und allgemeinen Kindergärten (vgl. Hinz 2012: 35). Ebenfalls wichtig für die inklusive Pädagogik sind das Gefühl und der Status der Gruppenzugehörigkeit: „Alle Schüler(innen) sind gleichgestellte Mitglieder der Gruppe; niemand wird z. B. durch einen Gast- oder Besucherstatus schon strukturell diskriminiert.“ ( ebd.: 36)
Sander merkt hierzu allerdings an, dass dieses Verständnis im Prinzip kein neues Konzept darstellt:
„Wenn das die Essenz der Salamanca-Erklärung ist, dann enthält sie eigentlich nichts Neues gegenüber dem, was in der führenden deutschsprachigen Fachliteratur seit etwa 1980 schon vielfach unter der Bezeichnung der Integration beschrieben worden ist. Insoweit ist es gerechtfertigt, ‚inclusion‘ mit Integration zu übersetzen. Unter diesen Bedingungen benötigt man im Deutschen den neuen Fachbegriff Inklusion nicht, und insoweit ist es verständlich, wenn nur wenige deutschsprachige Fachleute ihn verwenden. Aber nur insoweit, wie Integration und Inklusion dasselbe bedeuten!“ (Sander 2001)
Hier spricht Sander ein Problem an, welches in der deutschsprachigen Fachliteratur entstanden ist, da die Begriffe Integration und Inklusion nach der Salamanca-Erklärung oftmals synonym benutzt wurden, wodurch zu einigen Missverständnissen kam. Die Problematik zwischen Integration und Inklusion wird aber an späterer Stelle (in Kapitel 1.3) noch genauer beschrieben.
Versteht man Inklusion so wie es durch den Kongress verabschiedet wurde, ist der aktuelle Umgang der Schulen eher der Integration zuzuschreiben. Kinder mit sonderpädagogischen Förderbedarf werden in der Regel wohngebietsübergreifend gebündelt, da somit der personelle oder finanzielle Rahmen für die zusätzliche Betreuung geringer ist. Nach dem Prinzip der Inklusion wären Sondereinrichtungen überflüssig: alle Kinder mit Defiziten jeglicher Art oder auch überdurchschnittlichen Fähigkeiten, wären an der Schule willkommen, die für das jeweilige Wohngebiet zuständig ist. Sonderpädagogen wären zusätzliche Lehrkräfte an den Schulen und arbeiten gemeinsam mit den Lehrerinnen und Lehrern der Regelschule als Lehrerteam. Sie wären nicht nur für Kinder mit Förderbedarf verantwortlich, sondern binden sich in den gesamten Unterricht für die jeweilige Klasse mit ein (vgl. Sander 2001).
Doch auch davon ist die heutige Schulentwicklung noch entfernt. Zwar ist das Bewusstsein für die Wichtigkeit dieses Themas in letzter Zeit gestiegen, die Umsetzung befindet sich allerdings noch in der Probephase. Die Ausbildung des pädagogischen Personals und die Einrichtung an den Schulen weisen noch Mängel auf.
1.1.4 In Zukunft: Allgemeine Pädagogik für alle Kinder
In der letzten Etappe nach Sander kann Vielfalt als Normalfall angesehen werden. Inklusion ist in vollem Umfang in die allgemeine Pädagogik übergegangen: „Inklusion ist überall Selbstverständlichkeit geworden, der Begriff kann daher in einer fernen Zukunft vergessen werden.“ (Sander 2001) Sondereinrichtungen sind nicht mehr nötig, Sonderpädagogen haben ihren Platz an der Regelschule gefunden und arbeiten an schulischen Einrichtungen, in welchen grundsätzlich nicht mehr nach bestimmten Kategorien eingestuft wird (vgl. Frühauf 2012: 29). Doch wann es tatsächlich zu dieser Form kommen wird ist noch unklar, weshalb in dieser Arbeit auch nicht weiter auf diese Etappe eingegangen wird.
1.2 Definition des pädagogischen Inklusionsbegriffs
Zusammenfassend versteht sich Inklusion als allgemeinpädagogischer Ansatz, und ist somit explizit nicht der Sonderpädagogik zuzuordnen. Inklusive Pädagogik richtet sich gegen den Ausschluss von Minderheiten aus der Gesellschaft bzw. dem gesellschaftlichen Leben. Die Unterschiede dieser Minderheiten können von körperlichen oder geistigen Behinderungen bis zur Hochbegabung reichen, oder sie unterscheiden sich durch Herkunft und Sprache vom Großteil der Bevölkerung. Alle Menschen haben demnach dasselbe Recht auf Bildung, individuelle und soziale Entwicklung und Arbeit. Die Heterogenität der Gemeinschaft gehört zum alltäglichen Leben und wird als Normalzustand betrachtet (vgl. Hinz 2006: 96).
Im Bereich von Erziehung und Bildung bedeutet das: jedes Kind hat Zugang zum allgemeinen Kindergarten und zur allgemeinen Schule, die sich im jeweiligen Umfeld befinden. Diese Bildungseinrichtungen sind demnach dafür verantwortlich, den Bedürfnissen aller gerecht zu werden. Viele Bedürfnisse werden von der Mehrheit geteilt und zählen somit zu gemeinsamen Erziehungs- und Bildungsansprüchen. Darüber hinaus haben alle Schülerinnen und Schüler individuelle Bedürfnisse, auf welche die Institutionen eingehen müssen. Die individuellen Bedürfnisse beinhalten die verschiedensten Aspekte: Sprachbarrieren, behindertengerechte Gebäude, unterschiedliche Leistungsniveaus etc. (vgl. Schöler 2009:9).
Seit die UN-Konvention für die Rechte von Menschen mit Behinderung im Jahr 2008 in Kraft getreten ist, sind die Länder verpflichtet ein inklusives Bildungssystem für alle Kinder und Jugendlichen zu schaffen. Die Schulen und Kindergärten stehen nun vor der Aufgabe, diese Hürde zu meistern und Inklusion im noch vorherrschenden, eher selektiven, Schulsystem zu praktizieren (vgl. ebd.).
Inwiefern sich Inklusion vom Begriff der Integration abgrenzen lässt, soll nun im folgenden Abschnitt dieser Arbeit aufgezeigt werden.
1.3 Problematik zwischen Integration und Inklusion
Seit dem Jahr 2000 wird der Begriff Inklusion verstärkt im deutschsprachigen Raum verwendet, meistens in Zusammenhang mit der Integration von Behinderten, wobei Integration und Inklusion oft als synonyme Begriffe gehandelt wurden. Dadurch kam es zur verbreiteten Annahme, Integration und Inklusion hätten dieselbe Bedeutung (vgl. Schuhmann 2009: 51).
Dieses Problem entstand durch die Salamanca-Erklärung bzw. durch deren Übersetzung. Wie bereits in Kapitel 1.1.4 dieser Arbeit beschrieben wurde, hat die Salamanca-Erklärung einen großen Beitrag zur Verbreitung des Inklusionsbegriffs geleistet und wird darum international auch Inklusions-Charta genannt. In der englischen Fassung der Erklärung ist durchgehend von Inklusion, inklusiver Schule, inklusiver Bildung und ähnlichem die Rede. In der deutschsprachigen Übersetzung wurde dafür allerdings der Begriff Integration verwendet.
Alfred Sander (2001: 2) erklärt, dass die Übersetzerin inclusion und inclusive bewusst mit den Fachbegriffen Integration und integrativ übersetzt hat. Andere Fachleute seien jedoch der Auffassung, das englische Wort inclusion sei gar nicht erst ins Deutsche übersetzbar und könnte somit einfach in der englischen Schreibweise beibehalten werden. Sander selbst ist allerdings der Meinung, dass es lediglich eine Frage der Definition ist (vgl. Sander 2001: 2).
Mit Integration bezeichnet Sander ein sonderpädagogisches Konzept, welches besagt, dass nichtbehinderte und behinderte Kinder und Jugendliche in Regelklassen gemeinsam lernen und leben sollen, „erforderlichenfalls mit fachlicher Unterstützung“(ebd.: 3). Dieses Konzept gibt es allerdings bereits seit den 80er Jahren, und „wer mit Inklusion nichts anderes sagen will als mit Integration im deutschen fachsprachlichen Sinn, der sollte weiterhin ‚Integration‘ sagen und auf das Wort Inklusion verzichten.“ (ebd.)
Doch da Inklusion einem allgemeinpädagogischen Ansatz zugrunde liegt, kann man die beiden Begriffe keinesfalls synonym verwenden und es wird klar, dass Inklusion keine komplett neue Idee darstellt. Jedoch kann man die Inklusion als „eine verbesserte, weiterentwickelte, von Fehlformen bereinigte Integration“(ebd.: 4) verstehen. In der Praxis hat die Integration oft dazu geführt, die behinderten Kinder in Regelklassen zu fokussieren und sie gesondert zu behandeln, während sich der Unterricht in der Klasse im Allgemeinen nicht verändert hat. „Integration sollte aber eigentlich […] den ganzen Unterricht verbessern und zur Berücksichtigung der Bedürfnisse aller Mitschüler und Mitschülerinnen führen.“ (ebd.).
Auch Andreas Hinz hat sich ausführlich mit dem beschriebenen Problem beschäftigt. Auch er ist der Auffassung, dass Integration in der Praxis fehlerhaft durchgeführt wurde, weshalb Inklusion eine optimierte und erweiterte Form des Integrationsgedanken darstellt. Als ein Problem der Integration nennt er den inflationären Gebrauch des Begriffs: „Alles, was als gut, fortschrittlich und hilfreich gesehen werden will, heftet sich das Etikett ‚integrativ‘ an.“ (Hinz 2004: 13) So wird gemeinsamer Unterricht genauso als Integration beschrieben, wie das Feiern von einzelnen Festen oder dem Besuch einer Sonderschule.
Weitere Probleme sieht Hinz in der Schulpraxis, da „gemeinsamer Unterricht ein ergänzendes, nicht ein ersetzendes System geworden [ist].“ (ebd.) Damit bemängelt er in erster Linie die durchgeführte Integration in der Sekundarstufe, da dort gemeinsamer Unterricht nur äußerst selten vorkommt. Auch mit der Qualität der Durchführung ist Hinz keinesfalls zufrieden, da sich Kinder mit höherem Förderbedarf deutlich seltener in integrativen Klassen befinden als solche mit Lern-, Sprach- und Verhaltensstörungen. „Je schwerer die Behinderung, desto geringer die Chance auf gemeinsamen Unterricht“ (Hinz 2004: 13), scheint demnach das Motto der durchgeführten Praxis zu sein. Damit wurde die Integration in der Praxis zu einer selektiven Methode. Es stellte nicht eine Schule für alle Kinder dar, sondern vielmehr eine Schule für nichtbehinderte und leichteingeschränkte Kinder, in welcher dennoch nach Fähigkeiten etikettiert wurde (vgl. ebd.).
Folgende Tabelle soll die qualitativen Unterschiede zwischen integrativer und inklusiver Schulpraxis gegenüberstellen:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tab. 1: Praxis der Integration und der Inklusion (nach Hinz 2002:359)
So zeigt sich, dass der Grundgedanke der Inklusion bei Weitem keine neue Idee ist, sondern im Prinzip eine Erweiterung und Konkretisierung des Integrationsgedanken darstellt. Da die Integration in der Praxis allerdings auf ein Minimum reduziert bzw. verändert wurde und der Begriff durch übermäßige Verwendung an Wert verloren hat, musste ein erweitertes Konzept entwickelt werden, damit eine Schule für alle in Zukunft bestehen kann.
1.4 Inklusive Pädagogik in der Grundschule
Mit der Unterzeichnung der UN-Konvention im Jahr 2009 hat sich Deutschland verpflichtet, Menschen mit Behinderung ein inklusives Bildungssystem zu bieten, in welchem sie nicht diskriminiert und ausgeschlossen werden. Inklusive Schulen gehören somit zum internationalen Recht, wodurch eine Veränderung des bisherigen Systems enorm an Wichtigkeit gewonnen hat.
In einer Stellungnahme des Ministeriums für Kultus, Jugend und Sport des Landtags von Baden Württemberg, heißt es, die Inklusion würde weiterhin gefördert werden. Eine Änderung des Schulgesetzes, welches voraussichtlich zum Schuljahr 14/15 in Kraft tritt, soll diese Entwicklung sicherstellen. Bis dahin haben die Schulen des Landes weiterhin die Möglichkeit, ihre inklusiven Bildungsangebote auszubauen. Weiter heißt es, „dass inklusive Bildungsangebote durch die Verankerung einer Wahlmöglichkeit der Eltern ausgebaut werden sollen. Das Wahlrecht soll sich konkret auf den Besuch eines Sonderpädagogischen Bildungs- und Beratungszentrums oder eines inklusiven Angebots an einer allgemeinen Schule beziehen.“ (Stoch 2013)
Auch die Bildungsplanreform 2015 soll die inklusive Arbeit an den Schulen verbessern und weiterführen. In der Stellungnahme wird erklärt, dass sie die aktuellen Bildungspläne für die Sonderschule, welche sich an aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen und am Index für Inklusion orientieren, dazu beitragen, dass die Bildungspläne insgesamt eine gute Arbeitsgrundlage bilden werden, um „inklusive Bildungsangebote an den Schulen zu etablieren.“ (ebd.)
Bislang ist noch unklar, welche genauen Veränderungen am Schulgesetz vorgenommen werden, da komplizierte Verhandlungen mit den Kommunen den Wandlungsprozess bremsen. Dabei zeigen sich vor allem Schwierigkeiten im Hinblick auf die Finanzierung von Umbauarbeiten und Schulbegleitern. Nach Berechnungen der Kultusministerkonferenz werden hierfür 300 bis 500 Millionen Euro pro Jahr benötigt, welche durch weitere Zuschüsse vom Bund erwirkt werden müssten (vgl. Sellner 2013).
Obwohl die Änderung des Schulgesetzes zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht vollzogen wurde, existieren bereits Modelle, welche die erfolgreiche Umsetzung von Inklusion nachweisen. Im Folgenden werden die Bausteine der inklusiven Pädagogik in der Grundschule nach Prengel (2013: 42ff) genannt und veranschaulicht.
1.4.1 Institution
Zur Institution der Grundschule zählen hier Gesetze, Erlasse und strukturelle, formale Vorgaben welche die schulische Organisation betreffen. Im Hinblick auf Inklusion müssten die institutionellen Trennungen aufgehoben und die einzelnen Institutionen stattdessen miteinander verknüpft werden, was es gesetzlich zu regeln gilt und was speziell im Fall der Grundschule durch das „Einswerden von Regelschule und Sonderschule“ (Prengel 2013: 42) erreicht werden sollte. Durch die Zusammenarbeit wird gewährleistet, dass alle Kinder eine wohnortnahe Schule besuchen können und dort pädagogisches Fachpersonal zur Verfügung steht. „Je mehr die Verschmelzung der Schulen über punktuelle Einzelfälle hinausgeht und sich in der Fläche der Bildungslandschaften ausbreitet, umso deutlicher kommen die mit Inklusion einhergehenden Veränderungen der institutionellen Rahmenbedingungen zum Tragen.“ (ebd.)
Die sonderpädagogischen Tätigkeiten sind in zwei institutionelle Formen aufgeteilt. Ein Teil der Sonderpädagogen gehört zum konstanten Schulkollegium und arbeitet als fester Bestandteil in den Klassen, während der zweite Teil an einer sonderpädagogischen Beratungsstelle arbeitet. Die Beratungsstelle ist für einen größeren Bezirk zuständig und steht den umliegenden Grundschulen zur Verfügung, wenn z.B. ein Kind mit einer seltenen Behinderung eingeschult werden soll. In einem solchen Fall ist es Aufgabe der Sonderpädagogen der Beratungsstelle, der jeweiligen Schule Hilfestellung zu geben und eine angemessene materielle Ausstattung und Lernumgebung zur Verfügung zu stellen (vgl. ebd.: 43).
Durch den Anspruch auf Förder-, Unterstützungs- und Therapiemaßnahmen von Kindern mit Behinderung müssen Bildungsministerien mit Sozialministerien und kommunalen Jugendämtern verzahnt werden, damit den einzelnen Schulen bei Bedarf die nötige Unterstützung bereitgestellt werden kann. Diese Unterstützung sollte im Hinblick auf Inklusion allerdings an der Schule stattfinden und nicht an einer externen Einrichtung (vgl. ebd.).
„Es ist eine langfristige Aufgabe der Schulentwicklung, die unterstützenden Maßnahmenaus den zahlreichen unübersichtlichen außerschulischen Ressourcen, die an separierenden Orten angesiedelt sind, an die wohnortnahe Grundschule zu verlagern, sodass sie hier von den betroffenen Kindern in Anspruch genommen werden können. Schulleitungen, Schulaufsicht, Einrichtungsleiter, Trägerverwaltungen sowie kommunale und staatliche Stellen auf Landes- und Bundesebene sind dafür zuständig, inklusive Strukturen zu schaffen.“ (ebd.)
Um Inklusion erfolgreich umsetzen zu können, ist auch die Zusammenarbeit von Grundschule und Kindergarten nötig. Nur so ist es möglich, dass eine Grundschule sich ausreichend vorbereiten kann, wenn beispielsweise ein Kind mit einer seltenen Behinderung an die Schule wechseln wird. Weiterhin stellt die Kooperation zwischen Grund- und weiterführenden Schulen eine wichtige Voraussetzung dar, da Gemeinschaftsschulen im deutschen Schulsystem noch nicht zur Regel geworden sind.
1.4.2 Schulleben
Das Schulleben an einer inklusiven Schule ist gekennzeichnet durch die Zusammenarbeit der Schüler mit allen Erwachsenen, sowohl Schulleitung und Lehrkräfte, als auch Eltern. Da selbst die Schulordnung kein starres Gebilde darstellt, soll sie von allen Beteiligten gemeinsam erarbeitet und stetig weiterentwickelt werden. Eine solche demokratische Schulkultur spiegelt sich auch in den einzelnen Klassen wider. Die Klassen sind entweder Jahrgangsklassen oder altersgemischte Klassen mit mehreren Jahrgängen, in welchen auch die Kinder ihre Meinungen zur Schulorganisation einbringen können. Dies geschieht beispielsweise über regelmäßige Gespräche im Sitz- oder Stuhlkreis. In den Kreisgesprächen werden zu den Mitbestimmungen auch Konflikte innerhalb der Klasse besprochen (vgl. Prengel 2013: 43).
Eine inklusive Schule sollte auch für Verbesserungsvorschläge und Beschwerden offen sein, weshalb Prengel empfiehlt, sogenannte Kummerkästen aufzustellen. So können problematische Themen angesprochen werden, bevor diese schwerwiegende Folgen nach sich ziehen. Jedoch ist es dafür essentiell, dass sich Lehrer und andere Pädagogen durch die Beschwerden oder Vorschläge nicht persönlich angegriffen fühlen. Vielmehr sollte diese Art der Rückmeldung als Chance zur Früherkennung von Problemen und Fehlentwicklungen gesehen werden, welche mögliche Eskalationen verhindern kann (vgl. ebd.).
Auch wenn viele Schulen bereits eine ganztägige Betreuung anbieten, ist dies trotzdem ein wichtiges Kriterium einer inklusiven Schule. Für viele Eltern ist es ein wesentlicher Punkt, wenn entschieden wird, ob ein Kind mit Behinderung eine Sonderschule besuchen soll. Durch die ganztägige Betreuung werden dort spezielle Therapie- und Fördermöglichkeiten geboten, welche auch von einer ganztägigen Schule angeboten werden kann, sobald die institutionellen Hürden überwunden sind. Die Schule bzw. die Lehrperson hat so auch mehr Freiraum im Einteilen der Stundentaktung. Mit Hilfe eines sogenannten Rhythmisierungs-Konzepts soll jede Schule selbst entscheiden, welche Voraussetzungen oder Bedingungen für das Kollegium und die Schülerschaft optimal sind (vgl. ebd.).
Ein anschauliches Beispiel für die individuelle Zeiteinteilung bietet die Grundschule Berg Fidel, eine Inklusionsschule in Westfalen. Die Kinder erscheinen zwischen 7:30 und 8:00 Uhr und werden einzeln von einer der Lehrkräfte begrüßt. Vor dem offiziellen Beginn der Freiarbeit um acht Uhr können die Schüler entweder frühstücken, oder die Zeit dazu nutzen, bereits vor dem Unterricht mit der freien Arbeit an einem Thema zu beginnen. Zu Beginn findet die 90-minütige Freiarbeit mit eingeplantem Kreisgespräch und anschließender großen Pause statt, danach kann bis zur Mittagspause gegebenenfalls weiterer Fachunterricht gehalten werden. Nach der Mittagspause können schulische, freizeitliche, therapeutische sowie kreative Nachmittagsangebote genutzt werden (vgl. Wenders 2013: 24f).
1.4.3 Klassenleben
Zu einem inklusiven Klassenleben gehören Praktiken, welche der Zusammengehörigkeit und der Heterogenität der Schüler entgegen kommen. So gibt es mehrere soziale Arbeitsformen: Plenumsarbeit mit Kreisgesprächen, Lehrervorträgen oder gemeinsamen Aktivitäten, Gruppen- und Einzelarbeit für selbstausgesuchte und vorgegebene Themen, und Kooperationen mit anderen Klassen. Das Arbeiten in Plenum, Gruppen- oder Einzelarbeit sollte ritualisiert ablaufen, sodass die Lehrperson Zeit hat, um weitere Anweisungen zu geben und die Schüler mehr Freiraum, um weitestgehend selbstständig zu arbeiten. Neben der Präsentation der Arbeitsergebnisse bietet sich den Schülern in den Kreisgesprächen die Gelegenheit, Kritik oder Verbesserungsvorschläge zu äußern, persönliche Rückmeldung zum Unterricht zu geben oder Spiele in der Klassengemeinschaft durchzuführen. Im Kreis kann das Geschehen lehrerdominiert oder von den Kindern selbst geleitet werden, je nachdem, was der Lehrer geplant hat (vgl. Prengel 2013: 45).
In der Grundschule hat das Spielen und Singen noch einen größeren Stellenwert als in den weiterführenden Schulen. Mit Spielen kann soziales und kognitives Lernen für alle Schüler stattfinden. Zum inklusiven Unterricht gehören Kreis- und Regelspiele, kooperative Spiele, sowie interaktive Lernspiele. Auch Theaterspiele können im inklusiven Unterricht durchgeführt werden. Generell sind Spiele ein effektives Mittel, um der Heterogenität in einer inklusiven Klasse gerecht zu werden, da durch die große Anzahl an unterschiedlichen Arten von Spielen verschiedene Fähigkeiten gefördert und angesprochen werden.
Der Unterricht ist insgesamt sehr stark von einer offenen und individualisierten Herangehensweise geprägt, da das Lernen nur auf diese Weise an das jeweilige Niveau der einzelnen Kinder angepasst werden kann. Auch das Schulcurriculum kann an einer inklusiven Schule teilweise von den Schülern gestaltet werden. Selbstverständlich existiert wie an den allgemeinen Schulen das Kerncurriculum, welches die elementaren Kulturtechniken wie Lesen, Schreiben, Rechnen und Geometrie sowie Bereiche aus den Sozial- und Naturwissenschaften und außerdem Sport, Musik und Kunst beinhaltet. Doch neben dem Kerncurriculum werden Themen behandelt, welche auf die Schüler zugeschnitten sind. Dies können sowohl freigewählte Themen der Kinder sein als auch Themen, welche auf die Interessen und Vorlieben der Schüler zugeschnitten sind (vgl. ebd.: 46).
1.4.4 Didaktik
Merkmal einer inklusiven Didaktik ist der offene und differenzierende Unterricht, mit welchem in heterogenen Gruppen auf individualisierten Niveaustufen gearbeitet werden kann. Doch auch in einem solchen Unterricht ist die Rolle des Lehrers von enormer Wichtigkeit.
Das Unterrichtsmodell der Freiarbeit, in welchem Kinder allein oder in kleinen Gruppen eigenständig mit Hilfe von bereitgestellten Materialien an individuellen Themen arbeiten, eignet sich sehr gut für den inklusiven Unterricht, da durch die Art der Aufgaben bzw. des Materials eine umfangreiche Differenzierung gewährleistet werden kann. Während die Schülerinnen und Schüler die Aufgaben bearbeiten, ist die Lehrperson bzw. das Lehrerteam dafür zuständig, sich durch den Raum zu bewegen, die Kinder zu beobachten und bei Bedarf zu unterstützen. „Um Differenzierung in der inklusiven Grundschule wirksam zu gewährleisten, halten inklusive Schulen in der Regel täglich eine Doppelstunde Freiarbeit für notwendig.“ (Prengel 2013: 47) An der Schule Berg Fidel wird morgens beispielsweise in der ersten Freiarbeitsphase stets mit Mathematik begonnen (vgl. Wenders 2013: 24), eine fachliche Vorschrift ist allerdings nicht zwingend notwendig. Die Lehrperson muss jedoch darauf achten, dass sich die Schülerinnen und Schüler mit verschiedenen Themengebieten des Kerncurriculums beschäftigen. Auch die selbstgewählten Themen des Curriculums können in der freien Arbeit behandelt werden. Durch die Entscheidungsmöglichkeit der Kinder in der Freiarbeit, kommt es immer wieder zur Differenzierung, selbst wenn sie sich mit einem bestimmten Themengebiet beschäftigen sollen. Auch die intrinsische, also die vom Kind selbst kommende, Motivation wirkt sich hier positiv auf die Arbeitshaltung aus (vgl. Prengel 2013: 48).
Um sicherzustellen, dass die verschiedenen Fachgebiete von den Schülern erarbeitet werden, erstellen viele Lehrkräfte Wochen- oder Tagespläne, um die Freiarbeit zu organisieren. Diese Pläne können entweder vorgeben, welche Themengebiete in welcher Zeitspanne behandelt werden, oder sie sind weitestgehend offen gestaltet, sodass den Kindern frei steht, welche Aufgaben zu welchem Zeitpunkt bearbeitet werden (vgl. ebd.).
Es soll allerdings nicht der Eindruck vermittelt werden, dass ausschließlich Freiarbeit einem inklusiven Unterricht gerecht werden würde. Auch differenzierender Fachunterricht findet statt. Über die speziellen Fachdidaktiken sollten allerdings Methoden gewählt werden, mit welchen Differenzierung stattfinden kann. In Kapitel 2.3.4 wird auf dieses Thema, spezifisch auf den Englischunterricht, genauer eingegangen.
1.4.5 Lernmaterialien
Für die inklusive Didaktik ist ein umfangreiches Angebot an Lehrmaterialien von Vorteil. Inklusive Didaktik ist ohne die entsprechende Materialausstattung kaum möglich, da sie das entscheidende Medium für die innere Differenzierung, also die Differenzierung innerhalb der heterogenen Gruppe, darstellt. Die Ausstattung der Lernumgebung dient zum einen dem Lernen in den Bereichen des Kerncurriculums sowie den Bereichen der Themen und Interessen der Kinder. Eine umfangreiche Materialsammlung zu erstellen ist zu Beginn sehr zeit- und arbeitsintensiv, wird allerdings mit den Jahren zeitsparender. In einer inklusiven Schule kann diese Sammlung durchaus mit weniger Mühe erstellt werden, sofern das gesamte Kollegium, mitsamt der Elternschaft wie vorgesehen kooperieren. Zudem bietet mittlerweile eine Vielzahl an Verlagen Materialien an, die der Montessori-Pädagogik nachempfunden sind (vgl. Prengel 2013: 49).
Die Materialien sollten für die Schüler frei zugänglich sein und in einem für die Kinder logischen und nachvollziehbaren System nach Fächer, Themengebieten und Schwierigkeitsstufen angeordnet sein. Da das Material für alle Kinder der heterogenen Gruppe geeignet sein soll, sollte die Komplexität von den einfachsten Grundkenntnissen an immer anspruchsvoller werden. So können Kinder mit geistiger Behinderung und Kinder mit Hochbegabung am selben Thema auf ihrem jeweiligen Niveau arbeiten. Auch für das Erlernen der elementaren Kulturtechniken Lesen, Schreiben, Beherrschen der Grundrechenarten und Geometrie, sollen systematisch aufeinander aufbauende Materialsätze vorhanden sein, sodass Üben auf jeder Entwicklungsstufe möglich ist. Bei den Stufenmodellen ist zu berücksichtigen, dass „individuelle kindliche Lernwege niemals exakt den im Modell konzipierten Schritten folgen, sondern […] auch ganz andere Verläufe nehmen können.“ (ebd.) So sind Sprünge, Rückschritte und Stillstände gewöhnliche Lernerscheinungen, selbst wenn die Materialien nach wissenschaftlich fundierten Schritten des Schriftspracherwerbs oder des Zahlbegriffserwerbs etc. aufgebaut sind.
1.4.6 Leistungsbewertung
In Anbetracht der Tatsache, dass in einer inklusiven Schulklasse Kinder mit geistigen, körperlichen oder sozialen Beeinträchtigungen mit normal entwickelten Kindern gemeinsam unterrichtet werden, stellt sich die Frage, wie die Leistungsbewertung gerecht durchgeführt werden kann.
„In internationaler Perspektive ist die inklusive Grundschule eine Schule, in der Lehrkräfte mit Kindern und Eltern über Schulleistungen verbal und nicht in Form von Ziffernzeugnissen kommunizieren. Die in deutschen Bundesländern üblichen Benotungen von Schulleistungen widersprechen, mit ihrer Reduktion auf numerische Hierarchien, dem inklusiven Leistungsverständnis auf dieser Bildungsstufe.“ (Prengel 2013: 52)
Verbale Leistungsbewertungen berücksichtigen individuelle Fortschritte ohne die Schülerinnen und Schüler miteinander zu vergleichen. Somit sollen alle Schülerinnen und Schüler mit schriftlichen Gutachten bewertet werden. Dies erzeugt zwar einen erheblichen Umfang an Mehrarbeit für die Lehrkräfte, stellt jedoch den einzig durchführbare Weg zur objektiven Bewertung der Schülerleistungen dar (vgl. Schöler 2009: 63).
Es gibt jedoch auch in inklusiven Schulen den Fall, dass auf Ziffernnoten zurückgegriffen werden muss, z.B. bei einem Schulwechsel oder dem Übergang in die Sekundarstufe. In einem solchen Fall sollten die Lehrkräfte ein vertrauliches Gespräch mit dem betroffenen Kind führen, in dem sowohl die Gesamtsituation, als auch Leistungsstärken und -schwächen des Schülers thematisiert werden. Dabei ist es nicht nur äußerst wichtig, dass die Lehrperson mit Feingefühl an das Thema heran tritt, sondern dass diese auch in der Lage ist, Trost zu spenden, falls das betroffene Kind aufgrund einer Beeinträchtigung negativ bewertet wird (vgl. ebd.: 54f).
1.4.7 Professionelle Kooperation
Für das Unterrichten in Bezug auf Inklusion ist es in der Literatur und auch aus Praxisberichten eine gängige Art den Unterricht in Teams zu führen. Doch in Deutschland bestehen gravierende Unterschiede, was das sogenannte Teamteaching betrifft, da die Lehrerinnen und Lehrer üblicherweise als Einzelpersonen unterrichten und sich zuerst an die neue Art der Zusammenarbeit gewöhnen müssen. Für die Inklusion bietet sich die Arbeit in Team an, da die Anforderungen an die Lehrperson in inklusiven Klassen oftmals höher sind als in Regelklassen. Durch die Arbeit im Kollektiv bzw. durch gegenseitige Unterstützung kann Überlastung vermieden werden. Teams bestehen im Idealfall aus Lehrern, Sonderpädagogen, Erziehern und ggf. weiteren Mitarbeitern. Regelmäßige Sitzungen, gemeinsame Unterrichtsplanung und Materialbeschaffung haben einen besonderen Stellenwert. Diese Sitzungen sollten nicht erst einberufen werden, wenn in der Klasse schwerwiegende Probleme auftreten, sondern sollten dazu genutzt werden, Schwierigkeiten frühzeitig und bereits im Vorfeld zu erkennen, zu thematisieren und zu lösen, was für alle Beteiligten von Vorteil ist (vgl. Prengel 2013: 55).
Die Sonderpädagogen gehören zum Grundschulkollegium und haben in den Lehrerteams die Aufgabe, ihre Kompetenzen im sonderpädagogischen Bereich in die Klasse einfließen zu lassen. Natürlich, um Kindern mit Behinderungen zu helfen, aber auch allen anderen Kindern der Klasse – immer dann wenn Unterstützung benötigt wird. Zudem können sie ihr qualifiziertes Fachwissen mit den Lehrern und Lehrerinnen teilen, um diese im Umgang mit schwierigen Situationen zu schulen. Darüber hinaus kommen Sonderpädagogen in den externen Beratungszentren zum Einsatz. Ihre Aufgabe ist es, bei seltenen Fällen von Behinderungen gezielte Kenntnisse im Umgang mit der Art der Behinderung zu vermitteln. Auch das Bereitstellen von Materialien, sowie das Entfernen möglicher Barrieren im Schulgebäude gehört zu ihrem Aufgabengebiet (vgl. ebd.).
Doch da das Unterrichten in Kooperation an deutschen Regelschulen bislang eher eine Seltenheit darstellt, kann die Durchführung eines solchen Konzeptes durchaus mit Schwierigkeiten verbunden sein. Probleme treten oftmals in der Aufgabenverteilung auf. Sonderpädagogen wird eher die Kompetenz zugeschrieben, den Blick auf einzelne, zumeist behinderte, Kinder gerichtet zu haben und diese zu unterstützen, während Lehrer den Blick auf die Gruppe haben und die Unterrichtsinhalte vermitteln sollen. Für den erfolgreichen inklusiven Unterricht müssen die Kompetenzen innerhalb des Lehrerteams ausgetauscht werden. Sie sollen ihr Wissen und ihre Erfahrungen miteinander teilen und im Team nach möglichen Problemlösungen suchen. Gemeinsam sollen sie „Raum für selbstgesteuertes Lernen auf ungleichen Wegen, aber in sozialer Eingebundenheit schaffen.“ (Moser 2012: 156). Für den inklusiven Unterricht wäre es förderlich, wenn in einer Klasse durchgehend ein Lehrerteam handeln würde, welches sich in Bezug auf Unterrichtsinhalte, Lernstand- und Entwicklungsdiagnostik, Förderplanentwicklung sowie Unterrichtskonzeption und –organisation abspricht (vgl. Moser 2012: 154ff.).
Es gibt verschiedene Formen der Kooperationsarbeit, die sich für inklusiven Unterricht anbieten können:
one teach, one observe: während ein Teil des Lehrerteams den aktiven Teil des Unterrichts übernimmt, fungiert die andere Person als Beobachter.
One teach, one drift: Eine Person übernimmt wieder den aktiven Part des Unterrichts, während zeitgleich die andere Person den Schülern individuelle Unterstützung bei der Bewältigung des behandelten Themas bieten kann oder bei Störverhalten intervenieren kann.
Station teaching: Die Unterrichtsinhalte werden in zwei Schwerpunkte unterteilt. Die Klasse wird in zwei Gruppen aufgeteilt, welche von einer Lehrkraft zur nächsten wechseln. Alle Schüler werden so nacheinander von beiden Lehrern unterrichtet und lernen dasselbe.
Parallel teaching: Die Schülerinnen und Schüler werden in zwei Gruppen aufgeteilt und jede Gruppe zur gleichen Zeit von einer Lehrkraft unterrichtet. Die Unterrichtsinhalte sind dabei dieselben.
Supplemental teaching: Eine Lehrkraft führt den Unterricht durch, die andere unterstützt die Schüler, die den Unterrichtsinhalt nicht bewältigen können, mit Zusatzmaterial und weiteren Differenzierungsangeboten.
Teamteaching: Die Lehrkraft der Regelschule und die Lehrkraft der Sonderschule führen den Unterricht mit allen Schülern der Klasse gemeinsam durch. Dabei nehmen sie gemeinsam oder abwechselnd die Führung. (vgl.: Nuding & Stanislowski 2013: 118f.)
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- Lea Behrens (Author), 2014, Inklusion im Englischunterricht der Grundschule, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/301193
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