Vom Sturz der Bastille 1789 bis zum Völkerfrühling 1848 – europäische Revolutionen wurden, so scheint es, eingehend und gleichsam hinreichend untersucht. Kein Sekundarstufen-Geschichtsbuch versäumt es, Heldengeschichten von der Erhebung der Unterdrückten gegen die herrschende Klasse zu entwerfen.
Doch wer eine umfassende Betrachtung der soziologischen Merkmale von Revolutionen, ihrer Auslöser, Förderfaktoren, Ereignisse und Nachwirkungen anstrebt, kann sich auf überraschend wenig Sekundärliteratur stützen. Das meiste, was der Soziologe an Literatur findet ist entweder rein historisch oder staatsrechtlich gefärbt. Beide Herangehensweisen erweisen sich schon bald als unzureichend; der Geschichtswissenschaftler ergreift oftmals Partei (wenngleich auf vielfach ansprechende Weise), der Jurist beschränkt sich auf rein staatsrechtliche Grundlagen großer historischer Umwälzungen.
Auch Ereignisse des 20. Jahrhunderts wurden bislang eher historisch als soziologisch untersucht. Die nationalsozialistische Machtergreifung im Jahre 1933 ist eines dieser Ereignisse. Der vorliegende Text behandelt daher die Frage:
„Kann die NS-Machtergreifung 1933 hinsichtlich ihrer Ziele, ihres Verlaufes und ihrer Nachwirkung als Revolution im Sinne klassischer Revolutionsmodelle bezeichnet werden?“
An dieser Stelle ist zu klären, was mit klassischen Revolutionsmodellen gemeint ist. Der dänische Soziologe Theodor Geiger (1891-1952) schrieb, beeinflusst von der formalen Soziologie Tönnies‘ und Simmels, mit „Die Masse und ihre Aktion. Ein Beitrag zur Soziologie der Revolution“ (Stuttgart, 1926) einen der bekanntesten Klassiker dieses Gebiets. Auf seinen Revolutionsbegriff, im Folgenden kurz dargelegt, wird sich der Hauptteil dieser Analyse stützen. Danach soll in einer Rundschau auf weitere bekannte Revolutionsbegriffe, darunter von Marx und Tocqueville sowie deren Anwendbarkeit auf die Machtergreifung eingegangen werden.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Ein Revolutionsmodell: Theodor Geiger
- Merkmale von Revolutionen
- Prä-Revolutionär: (Förderung der) Entstehung der Revolution
- Merkmale der Revolution selbst
- Post-Revolutionär
- Andere Revolutionstheoretiker
- 1848: Marx
- 1856: Tocqueville
- 1963: Arendt
- Fazit
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Der Text untersucht die Machtergreifung der Nationalsozialisten im Jahr 1933 unter der Frage, ob dieses Ereignis als Revolution im Sinne klassischer Revolutionsmodelle betrachtet werden kann. Er analysiert die NS-Machtergreifung anhand des Revolutionsmodells von Theodor Geiger und setzt sie in Beziehung zu anderen prominenten Revolutionsbegriffen von Marx, Tocqueville und Arendt.
- Die Merkmale klassischer Revolutionen im Kontext der NS-Machtergreifung
- Die Rolle der gesellschaftlichen Masse bei der Revolution
- Der Einfluss der Weimarer Republik und die Auflösung des bestehenden Herrschaftssystems
- Die Bedeutung der „legalen Revolution“ für die NS-Machtergreifung
- Die Anwendung von Revolutionsbegriffen aus unterschiedlichen Perspektiven
Zusammenfassung der Kapitel
- Einleitung: Der Text stellt die Fragestellung und die Relevanz der soziologischen Betrachtung von Revolutionen im Kontext der NS-Machtergreifung dar. Er kritisiert die rein historische und staatsrechtliche Herangehensweise an Revolutionen und plädiert für eine soziologische Analyse.
- Ein Revolutionsmodell: Theodor Geiger: Das Kapitel erläutert Geigers Revolutionsmodell und seine Definition von Revolution als grundlegende Umgestaltung eines bestehenden Zustands. Es wird darauf hingewiesen, dass Geigers Modell eine umfassende Betrachtung der Rolle der gesellschaftlichen Masse in Revolutionen beinhaltet.
- Merkmale von Revolutionen: Dieses Kapitel präsentiert Geigers sieben Merkmale von Revolutionen, die in drei Gruppen unterteilt werden: prä-revolutionäre Bedingungen, Merkmale der Revolution selbst und post-revolutionäre Folgen. Es wird auf die Bedeutung der Auflösung des bestehenden Herrschaftssystems, der Idealisierung und Polarisierung der Gesellschaft sowie des Bruchs der Rechtskontinuität eingegangen.
- Prä-Revolutionär: (Förderung der) Entstehung der Revolution: Das Kapitel analysiert die prä-revolutionären Bedingungen im Kontext der NS-Machtergreifung. Es wird auf die Desintegration der Weimarer Republik, die wirtschaftliche Krise, die Arbeitslosigkeit und den Vertrauensverlust in demokratische Institutionen eingegangen.
- Merkmale der Revolution selbst: Dieses Kapitel befasst sich mit den Merkmalen der Revolution selbst und analysiert den Bruch der Rechtskontinuität im Jahr 1933.
Schlüsselwörter
Die wichtigsten Schlüsselwörter des Textes sind: Revolution, Soziologie, NS-Machtergreifung, Theodor Geiger, Weimarer Republik, gesellschaftliche Masse, Rechtskontinuität, Idealisierung, Polarisierung, Desintegration, Wirtschaftskrise, Arbeitslosigkeit, legale Revolution, Bürgerkrieg.
- Arbeit zitieren
- Alexander Eriksröd (Autor:in), 2015, Kann die NS-Machtergreifung 1933 als Revolution im Sinne klassischer Revolutionsmodelle bezeichnet werden?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/300871