Der Roman „Agnes“ aus dem Jahr 1998 von Peter Stamm erzählt aus der Sicht des namenlosen Protagonisten „Ich“ über dessen Beziehung zur jungen Physikerin Agnes.
Diese fordert ihn auf, eine Geschichte über sie zu verfassen, um ein gutes „Portrait“ von sich zu erhalten. Das „Ich“ schreib bald jedoch nicht nur über vergangene Erlebnisse, sondern nimmt auch die Zukunft vorweg, was letztlich zum (vermeintlichen) Tod der Protagonistin seines Werks und seiner Freundin führt.
Das Ich aus „Agnes“ will oder kann nicht erkennen, dass seine Beziehung zum Scheitern verurteilt ist. Und letztlich trägt seine Unfähigkeit, seine Partnerin zu verstehen, zu erkennen, einen wesentlichen Teil dazu bei, dass Agnes vermeintlich stirbt.
In vielen Situationen im Leben scheitert man dadurch, dass man die wichtigen Aspekte verkennt bzw. sie erkennt, aber nicht darauf reagieren kann.
Nicht nur das Ich und Agnes‘ Tod sind ein Beispiel für mögliche Auswirkungen des „Nichterkennens“. Auch „Dantons Tod“ von Georg Büchner aus dem Jahre 1835 zeigt seinen Protagonisten Danton als einen zu spät erkennenden Revolutionär, der dadurch letztlich sein Leben verliert und das seiner Gefährten ebenfalls beendet. Das Drama spielt vor dem Hintergrund der Französischen Revolution (1789-99), deren führende Köpfe Danton und Robespierre sich auf keinen gemeinsamen Weg zur Fortführung der Revolution einigen können. Diese Auseinandersetzung endet schließlich im Tod Dantons, der den Radikalismus der Jakobiner den Anhängern Robespierres, nicht akzeptierten will und deshalb als Aristokrat beschimpft wird.
Ebenfalls den eigenen Tod führt Walter Faber, Protagonist des Berichts „Homo faber“ von Max Frisch aus dem Jahre 1957 herbei. Der rational denkende Techniker erkennt seine Krankheit zu spät, außerdem wird er durch sein Nicht-Erkennen von Dingen in die inzestuöse Beziehung zu seiner Tochter Sabeth gestoßen.
Neben einer Szenenanalyse bietet diese Arbeit einen vergleichenden Blick auf das Erkennen und Verkennen der Protagonisten der jeweiligen Werke.
Inhaltsverzeichnis
- Teil I: Interpretation der Textstelle im Kontext der vorangegangenen Handlung und Einbeziehung der sprachlichen und erzählerischen Gestaltung
- Textstelle: Stamm, Peter: Agnes. Fischer. Frankfurt a. M., 2009. S. 57-60.
- Teil II: Eine vergleichende Betrachtung, inwiefern der Ich-Erzähler, Walter Faber und Danton erkennen bzw. verkennen
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Dieser Text analysiert die Textstelle aus Peter Stamms Roman „Agnes“ im Kontext der Beziehung zwischen dem namenlosen Ich-Erzähler und Agnes. Er untersucht die sprachliche und erzählerische Gestaltung der Szene und setzt sie in Bezug zu den vorangegangenen Handlungen. Anschließend werden die Figuren des Ich-Erzählers aus „Agnes“, Walter Faber aus „Homo faber“ und Danton aus „Dantons Tod“ verglichen, um die Auswirkungen des Nicht-Erkennens und Verkennens in ihren jeweiligen Situationen zu beleuchten.
- Die Rolle des Nicht-Erkennens in Beziehungen
- Die Auswirkungen von Verkennung und Missverständnissen
- Die Beziehung zwischen Sprache, Erzählung und Wirklichkeit
- Die Bedeutung von Perspektiven und Interpretationen
- Die Grenzen von Rationalität und Empathie
Zusammenfassung der Kapitel
Teil I
Die Textstelle aus „Agnes“ zeigt eine Szene, in der das Ich und Agnes einen Tag im Freien verbringen. Der Ich-Erzähler hat seine „Portrait-Geschichte“ über Agnes bereits bis zur Vergangenheit abgeschlossen und schreibt nun über die Gegenwart und Zukunft. Die Szene zeichnet sich durch eine gewisse Distanz und Fremde zwischen den beiden Protagonisten aus. Agnes und das Ich nehmen Vergangenes unterschiedlich wahr und kommunizieren nur oberflächlich miteinander. Der Ich-Erzähler beobachtet Agnes und ihre Handlungen, ohne sie wirklich zu verstehen. Die Szene endet mit dem Gefühl des Ichs, Agnes gleichzeitig fremd und nah zu sein, was auf eine wachsende Abhängigkeit und Machtdynamik in der Beziehung hindeutet.
Teil II
Dieser Teil des Textes vergleicht den Ich-Erzähler aus „Agnes“ mit Walter Faber aus „Homo faber“ und Danton aus „Dantons Tod“. Alle drei Figuren scheitern aufgrund ihres Unvermögens, wichtige Aspekte ihrer Situation zu erkennen oder darauf zu reagieren. Das Ich in „Agnes“ verkennt Agnes' Gefühle und Bedürfnisse, was zu einer wachsenden Distanz und schließlich zu ihrem vermeintlichen Tod führt. Danton verkennt den Radikalismus der Jakobiner und wird deshalb hingerichtet. Walter Faber verkennt seine Krankheit und stürzt sich in eine inzestuöse Beziehung mit seiner Tochter.
Schlüsselwörter
Die wichtigsten Schlüsselwörter dieses Textes sind: Nicht-Erkennen, Verkennung, Beziehung, Kommunikation, Distanz, Fremde, Machtdynamik, Erzählung, Wirklichkeit, Perspektiven, Interpretationen, Rationalität, Empathie.
- Quote paper
- Mimy Le (Author), 2015, Erkennen und Verkennen in "Agnes" von Peter Stamm, "Dantons Tod" von Max Büchner und "Homo faber" von Max Frisch, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/300705