Ein Schatz von unvorstellbarer Größe, ein Schwert mit einem Namen, ein Unsichtbarkeits-Mantel, ein Keuschheitsgürtel und eine goldene Rute. Das Nibelungenlied geizt nicht mit begehrenswerten Gegenständen. Dabei sind auch Brünhilds Ring und Gürtel nicht nur mit Bedeutungen gefüllte Dinge, sogenannte Semiophore, sondern gleichzeitig entscheidend für die Fortführung der Sage.
Dieses Essay befasst sich mit der magischen Bedeutung von Ring und Gürtel im "Nibelungenlied"
Ein Schatz von unvorstellbarer Größe, ein Schwert mit einem Namen, ein Unsichtbarkeits-Mantel, ein Keuschheitsgürtel und eine goldene Rute. Das Nibelungenlied geizt nicht mit begehrenswerten Gegenständen. Dabei sind auch Brünhilds Ring und Gürtel nicht nur mit Bedeutungen gefüllte Dinge, sogenannte Semiophore, sondern gleichzeitig entscheidend für die Fortführung der Sage.
Am Anfang des Nibelungenlieds reist Gunther mit Hagen und Siegfried nach Island, um dort um die Herrscherin Brünhild zu werben. „Nur derjenige, der in der Lage ist, die ungeheure Stärke der Königin […] im Kampf zu übertreffen und sie so zu besiegen, soll sie zur Frau bekommen“.[1] Durch die Standeslüge und den Betrug mit der Tarnkappe wird Brünhild Gunthers Ehefrau. „ […] [D]ie Vorgehensweise Siegfrieds bei der Unterstützung Gunthers [wird] vom Erzähler oder von Siegfried selbst als ' listic ' bezeichnet (337,4; 426,4; 432,3; 452,4; 455,1; 464,3; 471). Das Wort 'list' gebraucht Siegfried noch einmal bei Brünhilds endgültiger Überwindung in der Brautnacht (vgl. 653,3)“.[2] Dort erreicht der gemeinsame Betrug der beiden seinen Höhepunkt.[3] Siegfried soll auf Anordnung von Gunther mithilfe der Tarnkappe Brünhild gefügig machen, sodass dieser selbst die Hochzeitsnacht mit der Königin vollziehen kann. Die Bedingungen werden vorab abgesprochen: Siegfried darf Brünhild in sexueller Hinsicht nicht zu nahe kommen, bei der Gewalt sind jedoch keine Grenzen gesetzt, auch wenn das ihren Tod bedeuten würde (vgl. 653). Nach einem kurzen Kampf, gelingt es Siegfried schließlich den Willen Brünhilds zu brechen. „[D]ie Überwindung wird vollzogen, aber [Brünhild] bleibt am Leben“.[4] Siegfried und Gunther tauschen die Plätze um den ausgeheckten Plan zu vollenden. Doch bevor Siegfried das Zimmer verlässt, stiehlt er unbemerkt Ring und Gürtel von Brünhild:
Sîfrit stuont dannen. ligen lie er di meit,
sam er von im ziehen wolde vil gar sîniu kleit.
er zôch ir ab ir hende ein guldîn vingerlîn,
daz si des nie wart innen, diu edle kunegîn.
Dar zuo nam er ir gürtel, daz was ein borte guot,
ine weiz, ob er das tæte durch sînen hôhen muot.
er gab ez sînem wîbe, daz wart im sider leit.
dô lâgen bî einander Gunther unt diu schœniu meit. (V. 676, 677)
Nach dieser Szene stellt sich der Zuhörer, oder der heutige Leser, drei Fragen: Warum stiehlt Siegfried überhaupt und wieso ausgerechnet Ring und Gürtel? Und was hat die Vorausdeutung des Erzählers, dies würde ihm später noch leidtun, zu bedeuten?
Ring und Gürtel sind Gegenstände „magische[r] Zeichenhaftigkeit: der Ring als magischer Kraftring, […] der Gürtel nicht vorrangig ein 'Sinnbild der Liebe, Reinheit und Keuschheit', sondern der 'Kraft und Herrschaft'“[5], da Brünhilds Körperkraft an ihre Jungfräulichkeit gebunden ist.
Die Königin wird in dieser Nacht „um die Möglichkeit der freiwilligen Selbstübergabe […] gebracht“[6]. Beide Männer missachten ihren Willen. „Die Schilderung dieser Szene läßt es durchaus zu, von einer Vergewaltigung Brünhilds zu sprechen“.[7]
Barbara Siebert sieht den Diebstahl der Beweismittel als eine Wiederholung der Missachtung Brünhilds Willen und deshalb nötig, da Siegfried die „Überwindung ihres Körpers“ nicht vollenden kann. Das Abnehmen von Ring und Gürtel ist der einzige Weg, dass Siegfried die Tat zu Ende führen kann.
Irmgard Gephardt sieht hinter diesem „Abschluss“ eine ähnliche Motivation, spitzt diese jedoch zu: Durch das Einhalten der Absprache mit Gunther, keinen Geschlechtsverkehr mit dessen Frau zu haben, „möchte er seine männliche Kraft zumindest in symbolischen Werten unter Beweis gestellt sehen, wenn ihm schon die Spiegelung seiner Stärke im Genuß dieser Frau versagt bleibt“.[8] Gephardt geht dabei noch weiter: „ […] [M]it der Entwendung von Brünhilds Attributen 'rächt' sich ein insgeheim gekränkter Siegfried an Gunther, indem er ihm sein Liebesobjekt 'entwertet', wie jener ihn in seiner Männlichkeit 'entwertet' hat“.[9]
Siegfried also als verstimmter Mann, da Brünhilds Defloration nicht selbst vollzogen hat? Gegen Gephardts Argumentation würde Siegfrieds früheres Verhalten sprechen. Bei der Brautwerbung Brünhilds mag seine Hilfe noch von der vermeintlichen Heirat mit Gunthers Schwester, Kriemhild, angetrieben worden sein. In der Hochzeitsnacht jedoch, bot er freiwillig seine Kräfte an, ohne Aussicht auf Belohnung. Der Erzähler betont darüber hinaus Siegfrieds Mitleid für Gunther: ez ist mir wærliche leit (647,4) und seine Treue zu Kriemhild: diu schœne swester dîn, diu ist mir vor allen, di ich noch ie gesach (vgl. 653).
[...]
[1] Claudia Schopphoff: Der Gürtel. Funktion und Symbolik eines Kleidungsstücks in Antike und Mittelalter. In: Pictura et poesis. Interdisziplinäre Studien zum Verhältnis von Literatur und Kunst, Bd. 27 (2009), S. 198.
[2] Barbara Siebert: Rezeption und Produktion. Bezugssysteme in der »Kudrun«. In: Göppinger Arbeiten zur Germanistik, Nr. 491 (1988), S. 91.
[3] Vgl. Claudia Schopphoff: Der Gürtel, S. 199.
[4] Irmgard Gephardt: Der Zorn der Nibelungen. Rivalität und Rache im »Nibelungenlied«. Böhlau u.a. 2005, S. 72.
[5] Otfried Ehrismann: Nibelungenlied. Epoche – Werk – Wirkung. In: Arbeitsbücher zur Literaturgeschichte, München 2002, S. 89.
[6] Barbara Siebert: Rezeption und Produktion, S. 102.
[7] Monika Schausten: Der Körper des Helden und das „Leben“ der Königin: Geschlechter- und Machtkonstellationen im „Nibelungenlied“. In: ZfdPh, Bd. 118, Heft 2 (1999), S. 42.
[8] Irmgard Gephardt: Der Zorn der Nibelungen, S. 74. Gephardt beruft sich hier auf Gabriele Raudszus (Die Zeichensprache der Kleidung, Hildesheim 1985), welche von einer „erotischen Trophäe und einem „Schicksalsrequisit“ Siegfrieds (S. 58-59) spricht.
[9] Ebd.
- Quote paper
- Lisa Demmel (Author), 2015, Die magische Bedeutung von Ring und Gürtel im „Nibelungenlied“, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/300503