Unmöglichkeit der Entwicklung von Sozialkompetenzen im Sportartenkonzept


Masterarbeit, 2014

66 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


INHALTSVERZEICHNIS

1 Einleitung

2 Beweisführung der ersten Prämisse
2.1 Bedeutungsverlust der Sportlehrerrolle
2.2 Professionalisierungsmerkmale als Eigenschaften einer Berufsgruppe im historischen Kontext
2.3 Professionalisierungsmerkmale im systemtheoretischen Kontext
2.3.1. Professionen und Funktionssysteme
2.3.2. Drei zentrale Kennzeichen des Sportlehrerberufs

3 Beweisführung der zweiten Prämisse
3.1 Analyse der Legitimationsprobleme aus einer systemtheoretischen Perspektive
3.2 Steuerung der Schülerrolle durch die Sportlehrerrolle
3.2.1 Die Note als Orientierungskriterium
3.3 Beitrag der Sportlehrerprofession zur Lösung von gesellschaftlich relevanten Problemen
3.3.1 Die Behebung von Wissensdefiziten durch sportspezifische Wissens- und Kompetenzvermittlung
3.3.2 Angestrebte Kompetenzen im Schulsport, Bildungsstandard Baden-Württemberg
3.3.3 Analyse der im Sportunterricht angestrebten wissensorientierten Kompetenzen
3.4 Die Behebung von moralischen Defiziten durch Interaktion und pädagogische Kommunikation im Sportunterricht
3.5 Zwischenfazit

4 Beweisführung der dritten Prämisse
4.1 Das didaktische Konzept der Sportarten
4.2 Sportartenkonzept nach Söll
4.3 Leitziel für Einführung in die gesellschaftliche Bewegungskultur
4.3.1 Grundverhaltensweisen in der Leichtathletik
4.3.2 Grundverhaltensweisen im Geräteturnen
4.3.3 Grundverhalten im Sportspiel
4.4 Das Kontinuum der Sportartengruppen
4.5 Leitziel einer allgemeinen körperlich/sportlichen Ausbildung
4.6 Sölls Argumentationsstruktur im Überblick
4.7 Turnen gemäß des Sportartenkonzepts

5 Erziehung im Schulsport
5.1 Anthropologie, Lerntheorie und Ausrichtung der schulischen Lerninhalte im Spannungsfeld zwischen Individuum und Gesellschaft
5.1.1 Anthropologie
5.1.2 Lerntheorie
5.1.3 Inhaltliche Ausrichtung am außerschulischen Sport
5.2 Erziehungsbegriff und Kernsituation der Schule
5.2.1 Erziehungsbegriff im systemtheoretischen Ductus
5.2.2 Kernsituation der Schule als Erziehungssystem
5.3 Fazit

6 Rekonstruktion des gesamten Argumentes: Gliederung, Zusammenführung der Prämissen und abgeleitete Schlussfolgerung

7 Schlussbemerkung und Ausblick

Literaturverzeichnis

ABBILDUNGSVERZEICHNIS

Abbildung 1: Lehrplantypen und Schulstufen in der Bundesrepublik Deutschland

Abbildung 2: Erhaltene Schulnoten in den Fächern Deutsch, Mathematik und Sport, differenziert nach Geschlecht

Abbildung 3: beobachtbare Aggressionen bei Schülern einer Modellschule und einer Kontrollschule

Abbildung 4: Kontinuum der Sportarten nach Söll

Abbildung 5: Ziele und Aufgaben des Sportunterrichts nach Söll

Abbildung 6: Die doppelte Paradoxie des Sportunterrichts

1 Einleitung

Ein Auszug aus ProfessorPeddiwellsVorlesung zum Säbelzahn-Curriculum und weiterer paläolithischer Erziehung:

„Der erste große Praktiker und Theoretiker in der Erziehung, von dem ich Kenntnis habe war ein Mann aus der Altsteinzeit, dessen vollständiger Name Neuer-Faustkeil-Macher war und den ich einfach Neue Faust nenne. Seine Jagdkeulen waren allgemein überlegene Waffen, und seine Techniken beim Gebrauch des Feuers waren beispielhaft in ihrer Einfachheit und Präzision. Er verstand es, Dinge zu tun, die seinem Stamm nützten, und er besaß die Energie und den Willen, sie in Angriff zu nehmen. Aufgrund dieser Eigenschaften war er ein gebildeter Mann. Neue Faust war zudem ein Denker. Dieselbe Intelligenz, die ihn dazu veranlaßte, gesellschaftlich anerkannte Handwerkzeuge zu erfinden und herzustellen, brachte ihn auch dazu, sich im Denken zu üben, was von der Gesellschaft jedoch nicht anerkannt wurde. […] Er starrte unruhig in das flackernde Feuer und staunte über verschiedene Dinge seiner Umwelt, bis er schließlich völlig unzufrieden wurde mit dem gewohnten Leben seines Stammes. Er begann, sich Gedanken darüber zu machen, wie er das Leben seiner Familie und seines Stammes besser gestalten könnte. Das war der Hintergrund, der diesen Tatmenschen und Theoretiker dazu brachte, auf das Konzept einer bewußten, systematischen Erziehung zu stoßen. Den direkten Anstoß, der ihn auf die Erziehungspraxis brachte, erhielt er durch die Beobachtung seiner Kinder beim Spielen.

Er sah seine Kinder vor dem Höhleneingang beim Feuer, beschäftigt mit Knochen, Stöcken und bunten Kieselsteinen. Er bemerkte, daß sie in ihrem Spiel keinen anderen Sinn sahen als das augenblickliche Vergnügen an der Beschäftigung selbst.[…] "Wenn ich nun diese Kinder dazu bringen könnte, sich mit solchen Dingen zu beschäftigen, die ihnen dazu verhelfen, mehr Nahrung, besseren Wohnraum und mehr Sicherheit zu bekommen", dachte Neue Faust, "dann könnte ich dazu beitragen, daß dieser Stamm ein besseres Leben führt. Wenn die Kinder dann erwachsen wären, hätten sie mehr Fleisch zum Essen, mehr Fell, um sich warm zu halten, bessere Höhlen zum Schlafen und wären weniger gefährdet durch den gestreiften Tod mit seinen geschweiften Zähnen, der nachts auf Raubzüge geht." Nachdem er ein Erziehungsziel gesetzt hatte, machte Neue Faust sich daran, ein Curriculum zu konstruieren, um auf dieses Ziel hin zu lehren. "Was müssen wir Stammesmenschen können, um mit vollem Bauch, warmer Kleidung und ohne Furcht leben zu können?" fragte er sich selbst. Um diese Frage beantworten zu können, machte er sich einige Gedanken: "Wir müssen im Teich jenseits der großen Flußbiegung mit bloßen Händen Fische grabschen. Wir müssen mit den Händen fischen, in jedem Teich auf dieselbe Weise. Immer fischen wir nur mit den Händen." So entdeckte Neue Faust den ersten Gegenstand seines Curriculum: Fische-grabschen-mit-bloßen-Händen. "Wir knüppeln die kleinen zottigen Pferde mit unseren Stöcken zu Tode", fuhr er in seiner Analyse fort, "wir knüppeln sie auf der Sandbank im Fluß, wo sie immer zum Trinken sind. Und in den Dickichten, wo sie immer schlafen. Und auf der Ebene, wo sie immer grasen. Überall, wo wir sie finden." Das war der zweite Gegenstand seines Curriculum: die-kleinen-zottigen-Pferde-knüppeln. "Und schließlich vertreiben wir den Säbelzahntiger mit Feuer." Neue Faust dachte weiter. "Wir vertreiben ihn von unseren Höhleneingängen mit Feuer. Wir vertreiben ihn von unseren Wegen mit brennenden Zweigen. Wir machen Feuer und vertreiben ihn von unserem Wasserloch. Überall müssen wir ihn vertreiben, und überall tun wir es mit Feuer." Das war der dritte Gegenstand: Tiger-vertreiben-mit-Feuer.

Nachdem er nun ein Curriculum entwickelt hatte, nahm er seine Kinder mit und machte sich an die Arbeit. Er gab ihnen Gelegenheit, diese drei Dinge zu praktizieren. Die Kinder lernten gern. Es machte ihnen mehr Freude, diese sinnvollen Dinge zu tun, als mit bunten Steinen nur so aus Spaß zu spielen. Sie lernten die neuen Fertigkeiten gut, und so wurde das Erziehungssystem ein Erfolg. Als Neue Fausts Kinder älter waren, konnte man leicht erkennen, daß sie gegenüber den anderen Kindern, die keine systematische Erziehung bekommen hatten, im Vorteil waren, was ein gutes, sicheres Leben betraf. Einige der intelligenteren Stammesmitglieder begannen, es ähnlich wie Neue Faust zu machen. Damit wurde der Unterricht im Fischegrabschen, im Pferdeknüppeln und in der Tigervertreibung zum Kern jeder Erziehung.[…] Dem Stamm ging es gut, und er lebte zufrieden. Man kann nun annehmen, daß auf der Grundlage dieses Erziehungssystems alles so gut geblieben wäre, wenn die Lebensbedingungen des Stammes dieselben geblieben wären. Aber die Bedingungen änderten sich, und das Leben, das einst so sicher und glücklich gewesen war, wurde unsicher und unruhig. Eine neue Eiszeit näherte sich diesem Teil der Welt. […] Das Wasser wurde schlammig. Der früher kristallklare Fluß, in dem man leicht bis auf den Grund sehen konnte, war nun ein schlammiger Strom, in dem nichts mehr erkennbar war. Das Leben des Stammes wurde so wesentlich verändert. Es war nicht mehr möglich, Fische mit der bloßen Hand zu grabschen, denn man konnte die Fische im trüben Wasser nicht mehr sehen. […]Das Gebiet um den Fluß herum wurde sumpfig. Die kleinen wolligen Pferde, die nur 5 bis 6 Hände hoch waren und auf 4zehigen Vorderfüßen und 3zehigen Hinterfüßen liefen, hatten eine gefährliche Eigenschaft, obwohl der Stamm sie gerne jagte. Sie waren ehrgeizig. Sie alle wollten gerne auf ihren mittleren Zehen gehen. Sie hatten den Wunsch, mächtige, starke Tiere zu werden und nicht so klein und furchtsam zu bleiben. Sie träumten von einem weit entfernten Tag, an dem ihre Nachkommen 16 Hände hoch sein würden, mit einem Gewicht von einer halben Tonne, und in der Lage, diejenigen, die auf ihnen reiten wollten, in den Sand zu werfen. Sie wußten, daß sie dieses Ziel niemals im nassen, sumpfigen Land erreichen konnten; deshalb begaben sie sich nach Osten in die trockenen, offenen Steppen, weit entfernt von den Jagdgründen des Stammes. Ihr Platz wurde eingenommen von kleinen Antilopen, die mit dem Eis gekommen waren und die so scheu und schnell waren und einen Spürsinn für Gefahren hatten, daß niemand nah genug an sie herankam, um sie erlegen zu können. Die besten Pferdeknüppler des Stammes versuchten es jeden Tag mit den effektivsten Methoden, die sie in der Schule gelernt hatten, aber jeden Tag kehrten sie mit leeren Händen zurück. Schließlich, um den Zusammenbruch des gewohnten Lebens und der Erziehung in der Altsteinzeit zu vervollständigen, verursachten der Nebel und der Dunst in der Luft bei den Tigern Lungenentzündungen, wofür sie besonders anfällig waren. Die meisten von ihnen verendeten. Einige schon geschwächte Tiere schleppten sich zwar nach Süden in die Wüste, aber es waren nur wenige und bemitleidenswert schwache Vertreter einer einstmals starken, mächtigen Tierart. So gab es in diesem Gebiet nun keine Tiger mehr, und die besten Jagdtechniken wurden zu theoretischen Übungen, die an sich zwar gut waren, aber für die Sicherheit des Stammes keine Bedeutung mehr hatten. Doch diese Gefahr für die Menschen wurde nur abgelöst von einer anderen, noch größeren Gefahr, denn mit dem Eis kamen wilde Eisbären, die keine Angst vor Feuer hatten und tagsüber und nachts auf den Pfaden des Stammes zu finden waren. Sie konnten selbst mit den fortschrittlichsten Methoden, die man bisher in den Schulen für das Tigervertreiben entwickelt hatte, nicht verscheucht werden. Der Stamm befand sich in einer schwierigen Situation. Es gab keinen Fisch und kein Fleisch zum Essen, keine Felle für die Kleidung und keine Sicherheit vor dem pelzigen Tod, der nachts und tagsüber auf den Wegen um die Höhlen herum lauerte. Anpassung an diese Schwierigkeiten war erforderlich, wenn der Stamm nicht zugrunde gehen wollte. Zum Glück für den Stamm gab es jedoch Männer von der Art des Neuen Faust, die die Fähigkeit zum Handeln hatten und Mut zum Denken besaßen. Einer von ihnen stand mit hungrigem Magen am trüben Fluß und überlegte, wie er einen Fisch zum Essen fangen könnte. Immer wieder an diesem Tag versuchte er es mit der alten Methode, aber in seiner Verzweiflung verwarf er schließlich alles, was er in der Schule gelernt hatte, und dachte nach über eine neue Art des Fischfangs im Fluß. Es gab starke, aber dünne Zweige, die von Bäumen am Ufer herabhingen. Er brach sie ab und begann, sie zu befestigen, mehr oder weniger ohne feste Absicht. Bei der Arbeit wurde der Gedanke daran, wie er seinen eigenen Hunger und den seiner schreienden Kinder in den Höhlen sättigen könnte, immer stärker. Da legte sich seine Verzweiflung etwas. Er arbeitete schneller und bewußter. Schließlich hatte er es - ein Netz, ein Fangnetz. Er rief einen Stammesgefährten und erklärte seinen Plan. Die zwei Männer legten das Netz ins Wasser, nacheinander in jede Bucht des Flusses, und in einer Stunde fingen sie mehr Fische - intelligente Fische im trüben Wasser -, als der gesamte Stamm an einen Tag mit den alten Methoden hätte fangen können.

Ein anderer schlauer Stammesgefährte wanderte hungrig durch den Wald, wo früher die kleinen Pferde geweidet hatten, wo jetzt aber nur die kleinen, schnellen Antilopen zu sehen waren. Er hatte es mit der alten Jagdmethode versucht, bis er zur Überzeugung kam, daß sie nutzlos war. Er wußte, daß derjenige verhungern würde, der sich auf sein Schulwissen verließ und in den Wäldern Fleisch nach der alten Methode bekommen wollte. Ähnlich wie der, der das Fischnetz erfand, wurde auch er vom Hunger auf neue Ideen gebracht. Er spannte einen festen, elastischen jungen Baum über einen Antilopenwildwechsel und befestigte eine Schlinge aus einer Weinrebe so, daß das vorbeispringende Tier einen Mechanismus auslösen mußte, der es fesselte, wenn der Baum hochschnellte. Dadurch, daß er mehrere Schlingen befestigte, konnte er in einer Nacht mehr Fleisch und Fell bekommen als ein Dutzend Pferdeknüppler früher in einer Woche. Ein dritter Stammesgenosse, der entschlossen war, die Gefahr, die von den Bären drohte, zu beseitigen, vergaß ebenso, was er in der Schule gelernt hatte und begann nachzudenken. Schließlich, als Ergebnis seiner Überlegungen, grub er ein tiefes Loch in einen Bärenpfad, bedeckte es so mit Zweigen, daß ein Bär ohne Mißtrauendarüberlaufen und in die Grube fallen würde und gefangen blieb, bis die Männer des Stammes kommen würden, um ihn mit Stöcken und Steinen zu töten. Der Erfinder zeigte seinen Freunden, wie sie auf allen Pfaden um das Dorf herum solche Gruben anlegen und unauffällig verdecken sollten.

So hatte der Stamm wieder dieselbe Sicherheit wie vorher, und außerdem hatten sie noch das Fleisch und das Fell der erlegten Bären. Als dann diese neuen Erfindungen im Stamm bekannt wurden, bemühten sich alle Mitglieder, die neuen Techniken zu erlernen. Die Männer machten Fischernetze, legten Antilopenschlingen und gruben Bärenfallen. Der Stamm war beschäftigt, und es ging ihm gut. Es gab einige nachdenkliche Männer, die sich während dieser Arbeit Fragen stellten. Einige Radikale unter ihnen kritisierten sogar die Schulen. "Diese neuen Fertigkeiten wie Netzbauen zum Fischfang, Schlingenherstellen und Fallgrubenbauen sind unerläßIich für unser modernes Leben", sagten sie. "Warum sollen sie nicht in der Schule gelehrt werden?" Die Mehrheit wußte eine schnelle Antwort darauf. "Schule!" sagten sie spöttisch. "Ihr seid jetzt nicht in der Schule. Ihr steht mitten in der Arbeit, um das Leben und das Wohl des Stammes zu erhalten. Was haben diese praktischen Arbeiten mit der Schule zu tun? Ihr sollt keinen Unterricht geben. Vergeßt eure Lektionen und eure alten Ideale vom Fischegrabschen, Pferdeknüppeln und von der Tigervertreibung, wenn ihr weiterhin essen wollt, warme Kleidung haben möchtet und vor dem Tod geschützt sein wollt." Die Radikalen beharrten auf ihren Fragen. "Alle diese neuen Fertigkeiten erfordern bestimmte Erkenntnisse und Intelligenz - Dinge, die wir doch in den Schulen entwickeln wollen. Auch brauchen wir sie zum Leben. Warum können sie denn nicht in den Schulen gelehrt werden?" Aber der größte Teil des Stammes, besonders die weisen Alten, die die Schule kontrollierten, lächelten nachsichtig über die Vorschläge. "Das wäre keine Erziehung", sagten sie. "Warum nicht?" fragten die Radikalen. "Weil es bloßes Training wäre", erklärten die alten Männer geduldig. Mit all den komplizierten Details des Fischegrabschens und Pferdeknüppelns sowie der Tigervertreibung - den Standardkulturgütern - ist das Schulcurriculum bereits überfüllt. Wir können nicht noch Kinkerlitzchen wie Netzkonstruktion usw. beifügen. Der Leichnam des großen Neue Faust, des Begründers unseres Erziehungssystems, würde sich im Grab umdrehen. Was wir tun müssen, ist folgendes: Wir müssen unserer Jugend mehr Grundkenntnisse vermitteln. Nicht einmal wenn sie mit der Reifeprüfung die Schulzeit abgeschlossen haben, beherrschen sie heutzutage das Fischgrabschen vollkommen, sie sind auch beim Pferdeknüppeln unbeholfen. Ja, sogar die Lehrer scheinen nicht alles voll zu beherrschen, was wir Alten schon in unserer Jugend konnten und niemals vergessen werden." "Aber verdammt", explodierte ein Radikaler, "wie kann ein normaler Mensch an so nutzlosen Fertigkeiten interessiert sein? Wie kann man lernen, Fische mit der Hand zu grabschen, wenn das gar nicht mehr geht? Wie kann ein Junge lernen, Pferde zu knüppeln, wenn es keine Pferde mehr gibt? Und warum sollen Kinder versuchen, Tiger mit Feuer zu jagen, wenn die Tiger ausgestorben sind?" "Seid nicht albern", sagten die alten Männer, "wir lehren Fischegrabschen mit der Hand nicht, um Fische zu fangen; wir lehren es, um eine allgemeine Beweglichkeit zu entwickeln, die man nicht durch bloße Übung erwerben kann. Wir lehren das Pferdeknüppeln nicht, um Pferde zu erlegen. Wir lehren es, um eine übergreifende Fähigkeit in dem Schüler zu entwickeln, die er niemals aus so nüchternen und spezialisierten Tätigkeiten wie Fallenstellen gewinnen kann. Wir lehren die Tigervertreibung nicht, um Tiger zu vertreiben, sondern wir lehren sie mit dem Ziel, einen erhabenen Mut zu vermitteln, den man im ganzen Leben braucht und den man nie bei niedrigen Dingen wie dem Totwerfen von gefangenen Bären gewinnt." Alle Radikalen verstummten vor solchen Argumenten. Nur der Extremste unter ihnen versuchte einen letzten Protest, wenngleich auch er sich beschämt fühlte: "Aber - aber jedenfalls müssen Sie zugeben, daß sich die Zeiten geändert haben. Könnten Sie es mit diesen modernen Dingen nicht wenigstens versuchen? Vielleicht haben sie doch einen gewissen erzieherischen Wert?!" Selbst die anderen Radikalen meinten, daß er nun zu weit gegangen sei. Die weisen Alten wurden böse. Ihr freundliches Lächeln verschwand. "Wenn du selbst eine Erziehung hättest", sagten sie ernst, "dann würdest du wissen, daß die Wirkung einer wahren Erziehung zeitlos ist. Es ist etwas, das auch unter veränderten Bedingungen andauert wie ein Felsbrocken inmitten eines reißenden Flusses. Du mußt wissen, daß es einige ewige Wahrheiten gibt, und das Säbelzahn-Curriculum ist eine!“

Harold Benjamin (1974, S.27ff.) verweistmit dieser amüsanten Spekulation zur historischen Entstehung von didaktischen Konzepten und Unterrichtsplänen,via seines Pseudonyms Professor J.A. Peddiwell, auf ein recht bedeutendes und aktuelles Thema der Sportdidaktik. Die inhaltlichen und formalen Diskrepanzen zwischen Radikalen und der traditionsbewussten Obrigkeit in diesem Essay, gehören sicher nicht der Vergangenheit an, sondern bieten weiterhin enormen Zündstoff.In der gegenwärtig geführten Diskussion um das „richtige“ didaktische Konzept ist der Sportunterricht ein solcher Dauerbrenner. Sinn, Zweck, Methodik und Inhalt werden kontrovers und teilweise sehr emotional diskutiert, verbergen sich doch hinter den einzelnen Unterrichtskonzeptionen vornehmlich gegensätzliche Ideologien und grundverschiedene anthropologische Bilder. Diese teilen sich prinzipiell in zwei Lager. Die Kluft zieht sich zwischen einer „pragmatisch-qualifikatorischen“ und einer „kritisch-emanzipatorischen Strömung“ (Prohl, 2010).Die Strömungen selbst lassen sich in ihren Ansprüchen und Postulaten weiter binnendifferenzieren. Innerhalb des pragmatisch-qualifikatorischen Bereichs gibt es die Befürworter einer pragmatischen Sportdidaktik, „deren Richtziel mit der Formel Handlungsfähigkeit im Sport“ (Prohl, 2003, S.107) beschrieben werden kann. „Schulsport soll“, so Kurz(1990, S.61), „die Fähigkeiten der Schüler entwickeln helfen, im Feld des Sports zu handeln“. Dieser abgemilderten und auf Mehrperspektivität hin ausgerichteten Version einer pragmatischen Didaktik steht die modifizierte Fassung des Sportartenkonzepts von Söll(1995) gegenüber. Söll attestiert der Sachstruktur der Sportarten einen intrinsischen Wert, der unabhängig von kulturellen und historischen Entwicklungen der Menschen, qua sich selbst, einen erzieherischen Wert transportiert. Sölls Überzeugung nach, führt die sachgemäße Vermittlung von Sportarten bereits zur Ausbildung von gewünschten sozialen Kompetenzen.Zur Zeit ist der Sportunterricht eine Domäne des Sportartenkonzepts, also eines Ablegers der Curriculumtheorie, deren Ausrichtung zugespitzt formuliert, ähnlich der Überzeugung der im Essay skizzierten Stammesältesten, an einer immanenten Sachstruktur, einer ewigen Wahrheit des Sports festhält.

Zusätzlich ist zu beobachten, dass der Schulsport einem stets wachsenden Legitimationsdruck ausgesetzt ist. Obwohl -oder vielleicht auch gerade weil- der Sportlehrer[1] schon traditionell zum beliebtesten Lehrer an deutschen Schulen gewählt wird, muss er sich zahlreicher Ressentiments und Stereotypen erwehren, die teilweise über Meinungsheuristiken, stammtischähnliche Argumente oder durch Medien verbreitete Klischees getragen werden.Sportlehrer scheinen also trotz der großen Sympathien, die ihnen von Schülern, Eltern und Kollegen erbracht werden nicht als vollwertige Lehrer wahrgenommen zu werden und die Sache, die sie zu vertreten suchen, muss sich zumindest in den letzten Jahrzenten verschärft einem Legitimationsdruck aussetzten(vgl. Cachay & Kastrup, 2006).Dabei erscheinen die Schwierigkeiten des Schulsports in Bezug auf seine Legitimation eher paradox, denn Sport an sich, so schwierig und komplex sein Begriffsinhalt auch sein mag, ist fest in der Kultur der Menschheit verankert und zeigt sich im historischen Verlauf der letzten 2500 Jahre einerseits stets als ein wirksames und zuverlässiges Instrument einer pädagogischen, politischen, militärischen, religiösen, ja schlichtweg der gesellschafts-und kollektivdienlichen Leibeserziehung; andererseits ist Sport als ein Phänomen mit autotelischemCharakter geradezu prädestiniert dafür, das Entwicklungspotenzial eines jeden Individuums in Bezug auf die Interdependenz seines Körpers mit der Umwelt zu fördern(vgl. Grupe, 2000). Zudem erfährt der Sportlehrer seit rund 150 Jahren einen Prozess der Professionalisierung. Spätestens seit dem württembergischen Regierungserlass zur Turnlehrerausbildung im Jahre 1863, und der Gründung von zahlreichen Turnlehrervereinenals Vorläufer der heutigen Lehrergewerkschaft, ist eine systematische Ausbildung von Lehrern gewährleistet. Sport verlängert das Leben, steigert die Lebensqualität undverfügt über eine mächtige Lobby, den Deutschen Sportbund, der mit über 27.Mio Mitgliedern[2] eine recht überzeugende Interessensgemeinschaft für die Politik abgibt. Und dochist der Schulsport flächendeckend und permanent in der Defensivstellung, einer legitimierenden Bringschuld; zudem verliert der Beruf des Sportlehrerszunehmend anBedeutung. Wie ist das zu erklären?

Diese Fragen besitzeneinen epiphänomenalen Charakter und verweisen lediglichauf ein tiefer liegendes, strukturell angelegtes Problem. Ein Problem, das sich, ähnlich der Debatte im Säbelzahncurriculum, im Inhalt und der Methodik des derzeitig vorherrschenden didaktischen Konzepts des Schulsports manifestiert: Dem Sportartenkonzept. Somit lautet die These dieser Arbeit: „Der Bedeutungsverlust des Sportunterrichts ist durch dieflächendeckende Anwendung des Sportartenkonzepts zu erklären.“ Der logische Zusammenhang besteht darin, dass innerhalb des Sportartenkonzepts keine zuverlässigen Möglichkeiten zur Realisation von pädagogischen Interventionen gegeben sind, und es keine weiteren legitimierenden Aspekte für dieses Konzept gibt. In Anlehnung anPeddiwells Radikale untersucht diese Arbeit die Passungsfähigkeit zwischen Intention und Intervention,also Absicht und tatsächlichen Resultaten der Anwendung im Sportartenkonzept. Oder in anderen Worten, ob der von Söll postulierten immanenten Sachstruktur des Sportseine erziehende, ewige Wahrheit zugrunde liegt

Die zu beweisende These in dieser Arbeit ist formallogisch in einer Konklusion konstituiert, welche als induktive, verallgemeinerte Regel aus drei Prämissen geschlussfolgert wird. Die einzelnen Prämissen sollen untersucht, und auf ihre Kohärenz hin geprüft werden. Sollten alle Prämissen bewiesen werden, so gilt die Konklusion. Die inhaltliche Ausrichtung des Arguments lautet wie folgt:

Erste Prämisse: Der Sportlehrerberuf verliert an Bedeutung und Anerkennung.

ZweitePrämisse: Die Arbeit des Sportlehrers kann nur durch seine Fähigkeit zur Vermittlung von sozialen Kompetenzen legitimiert werden. Die Vermittlung von Fachwissen reicht für eine Legitimation nicht aus.

Dritte Prämisse: Innerhalb des Sportartenkonzepts, welches das dominante didaktische Konzept darstellt, ist keine Vermittlung von sozialen Kompetenzen möglich.

Konklusion: Der Verlust der Anerkennung und Bedeutung des Sportunterrichts ist auf die Dominanz des Sportartenkonzepts im Sportunterricht zurückzuführen.

Zusätzlich soll bewiesen werden, dass:

- die Umsetzung des Sportartenkonzepts im Sportunterricht zu einem systematischen Verfehlen von zentralen Zielen der Bildungspläne (Kreativität, Kooperation, soziales Miteinander) führt.
- das Sportartenkonzept im Sportunterricht zur Ausbildung eines internalisierten, am Wettkampf ausgerichteten, Konkurrenzhabitus sorgt. Dieser wird durch ein dominantes Selektionsprogramm verstärkt und richtet alle Teilnehmer des schulischen Erziehungssystems gegeneinander aus.

2 Beweisführung der ersten Prämisse

2.1 Bedeutungsverlust der Sportlehrerrolle

In diesem Abschnitt soll zunächst der Bedeutungsverlust der Sportlehrerrolle und des Schulsports nachgewiesen werden. Weiter soll untersucht werden, welche Faktoren dafür zuständig sind. Dabei müssen zunächst relevante Professionalisierungsmerkmale herausgearbeitet werden,an Hand deren geprüft werden soll, welche zentralen Anforderungen an den Sportlehrerberuf gestellt werden. Beim Elaborieren der Professionsmerkmale werden die Grenzen einer eigenschaftstheoretischen Analyseform, wie sie Wolfgang Söll -der Hauptvertreter des Sportartenkonzepts- verfolgt, aufgezeigt, und für einen systemtheoretischen Bezugsrahmen plädiert.

Durch die in den 90er Jahren neu entflammte „Instrumentalisierungsdebatte in der Sportpädagogik“(Scherler, 1997, S.5) erfuhr dieser Zweig der integrativen Sportwissenschaft einen ernstzunehmenden Bedeutungsknick.Die breit angelegte Grundsatzdebatte, in welcher Form und ob überhaupt,„Sport ein pädagogisches Mittel“ (ebd., S.8) sein kann, bildet zwar nur die Fortsetzung einer bereits bekannten und „uralten Frage“ (ebd.,S.5), dennoch schürten der fehlende Konsens zur Anwendung von Sport im Erziehungssystem und eine breite Vielfalt an teils gegenläufigen und kontrovers diskutierten didaktischen Modellen, den Zweifelan der Wirksamkeit von pädagogischen Interventionen im Schulsport. Schließlich kam es bundesweit fast flächendeckend zur Abschaffung der dritten Sportstunde(vgl. Wydra, 2000),und die Debatte um die Legitimation des Sportunterrichtes wurde zum „Dauerthema der pädagogischen Diskussion“ (ebd.,S.3). Aus diesem Kontext heraus erscheint es nun als eine logische Konsequenz,dass nach einem Bedeutungsverlust des Sportunterrichts auch die Rolle des Sportlehrers an Ansehen verliert und auf den Prüfstand gestellt wird. Die Zweifel bezüglich der Relevanz des Sportlehrerberufessind aber nicht ohne weiteres auszuräumen, denn eindeutige empirische Belege zur pädagogischen Wirkung des Sportes sind nur schwer zu erbringen. „Nicht alle Erscheinungen und Zusammenhänge unserer Lebenspraxis können so untersucht und aufgeklärt werden, dass die Aussagen den üblichen hohen Standards eines [empirisch-]wissenschaftlichen Nachweises standhalten“ (Bräutigam, 2003, S.44). Inwiefern sich also Inhalte und pädagogische Bemühungen des Sportunterrichts auf die angestrebte Qualität von Persönlichkeitsmerkmalen späterer Gesellschaftsteilnehmer auswirkt, bleibt aufgrund der Komplexität des Wirkungsgeflechtes in welchemsich alle beteiligten Personen befinden, für die Empirie weitgehend nicht erfassbar (vgl. ebd., 2003). So beruhen die meisten didaktischen Handlungsanweisungen und Postulate der Sportpädagogik auf Annahmen, „ zwar vernünftigen, aber eben Annahmen [und] vieles stützt sich auf Erkenntnisse, denen eine mehr oder weniger reflektierte Erfahrung zugrunde liegt.“(ebd., S.44). Doch genau dieses „mehr oder weniger“ reicht nicht aus um die Rolle der Sportlehrer unangefochten im Kanon der weiteren Fachlehrer bestehen zu lassen. Insbesondere nicht in Zeiten der Rationalisierung von Mitteln und Geldern. Als eindrucksvolles Beispiel für die „Zwiespältigkeit in der Kommunikation der Sportlehrerrolle“ (Cachay & Kastrup, 2006, S.151) sei die Umstellung auf die kontrovers diskutierten Arbeitszeitmodelle in einigen Bundesländern angeführt. Nach der Entscheidung des Hamburger Senats werden Sportlehrer, die in der Sekundärstufe II Sport unterrichten, mit dem Faktor 1,25 bewertet. Im Vergleich dazu wird die Stunde eines Deutschlehrers mit einem Faktor vom 1,9 besoldet. Die Wichtigkeit und der Umfang der Arbeit, welche ein Sportlehrer zu leisten hat, wird also, zumindest in Hamburg, nicht im gleichen Maße anerkannt wie es andere Fachrichtungen des Lehramts tun. In Nordrhein-Westfalen verlor der Sportunterricht sogar seinen Status als Abiturprüfungsfach. Der offizielle Grund: Der Unterricht transportiert kein ausreichendes Wissen, das einem Abiturniveau gerecht werden könnte (vgl. ebd., S.160).

Wie bereits in der Einleitung erwähnt erscheint diese Entwicklung auf den ersten Blick doch recht verwunderlich. Der Sport im Allgemeinen besitzt eine sehr hohe Akzeptanz innerhalb der Gesellschaft. Viele Millionen Mitglieder vertrauen sich dem Dachverband nahezu aller sportlichen Aktivitäten in Deutschland, dem DSB, an, der Zugleich eine Lobbyarbeit für den Schulsport verrichtet. Die Sportlehrer sind im Deutschen Sportlehrerverband organisiert und der Sport-, bzw. in der Vergangenheit Turnlehrerberuf, kann auf eine 150-jährige Tradition der Professionalisierung zurückblicken. Dem Sportunterricht werden kognitive, leistungssteigende Effekte für weitere schulische Leistungen beigemessen (vgl. Bös et al., 1992), und die gesundheitliche Wirkung wird von Ärzten und Krankenkassen geschätzt und empfohlen(vgl. Bös et al., 2002; Opper, 1998). Und doch, trotz dieser gewichtigen Argumente, bricht die Debatte um das Fach Sport und die Relevanz der Sportlehrerrolle nicht ab. Hier stellt sich die Frage nach dem Warum: Warum müssen sich Sportlehrer einer grundsätzlichen und ständigen Legitimationsfrage aussetzten? Warum erfährt ihr Beruf nicht das gleiche Ansehen, wie zum Beispiel der des Mathematik-, Deutsch-, oder Englischlehrers?Wo liegt das Defizit? Die Phänomenologie des Bedeutungsverlustes des Sportlehrerberufs lässt sich, so die These dieser Arbeit, auf das in der Schulsportpraxis angewendete Didaktikmodell der Sportarten zurückführen. Trotz einer breiten Palette an verschiedenen didaktischen Modellen (vgl. Balz, S.149-151), wird an deutschen Schulen weiterhin vorwiegend das didaktische Modell der Sportarten praktiziert. Im Rahmen der Sprintstudie wurde der Schulsport in Deutschland auf verschiedene Lehrplantypen in Korrelation mit den Schulstufen untersucht.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Lehrplantypen und Schulstufen in der Bundesrepublik Deutschland, modifizierte Darstellung, (DOSB-Sprintstudie,2012,S.26)

Die aufgeführte Tabelle zeigt einen signifikant höheren Anteil der Lehrpläne die sich an Sportarten (Sp) orientieren. Lehrpläne, welche nach Bewegungsfeldern (Bf) ausgerichtet sind, befinden sich demnach in einer deutlichen Unterzahl[3].

Um für einen Zusammenhang zwischen einem Bedeutungsverlust des Sportlehrerberufs und dem Modus der didaktischen Ausrichtung schlüssig argumentieren zu können, soll eine systematische Untersuchung zur Rolle des Sportlehrers im Erziehungssystem und innerhalb der Gesellschaft erfolgen. Dieses theoretische Fundament ist notwendig, da sich erst aus einer eingehenden Analyse der Strukturmerkmale der Lehrerprofession der genannte Problemzusammenhang des Sportartenkonzeptsund die Bedeutung des Sportlehrerberufs erschließen lässt. So soll zunächst aus einer eigenschaftsorientierten Perspektive(Söll),und anschließend aus einer systemtheoretischen Sichtweise (Cachay, Luhmann), die zentralen Charakteristika des Sportlehrerberufs dargestellt werden. Ziel dieser Teiluntersuchung ist es, klare Merkmale des Sportlehrerberufs aufzuzeigen, Erwartung und Anforderungen an diesen Beruf aus gesellschaftliches Sicht zu formulieren, und anschließend zuüberprüfen, ob das Sportartenkonzept, wie es derzeit praktiziert wird, diesen Anforderungen gerecht werden kann.

2.2Professionalisierungsmerkmale als Eigenschaften einer Berufsgruppe im historischen Kontext

Die Geschichte der Professionalisierung des Sportlehrerberufes nimmt seinen Anfang mit der Aufhebung der Turnsperre und Einführung eines flächendeckenden Schulturnens Mitte des 19ten Jahrhunderts. Natürlich wurde eine Leibeserziehung als gewichtiger Teil der menschlichen Gesamterziehung bereits seit der Antike und durchgehend bis in die Moderne praktiziert, jedoch aber immer nur in einemkontingentenKontext, denn Teilnahme an Bildung war nur wenigen Privilegierten möglich. Dies änderte sich im Zeitalter der Aufklärung mit einem preußischen Dekret, der PrincipiaRegulativa, und dem späteren Generallandschulreglement (vgl. Neugebauer, 1992). Bildung, und ab 1842 auch die schulische Leibeserziehung, werden zur Staatssache und gelten im Rahmen einer allgemeinen Schulpflicht für alle Kinder als verbindlich. Durch die Überführung der Leibeserziehung aus einem privaten,adel- oder klerusorientierten Sektor, hinüber zu einer unter der Schirmherrschaft und Kontrolle des staatlichen Gewaltmonopols stehende Institution, wurden grundsätzlich neue strukturelle Voraussetzungen geschaffen. Allen voran ging es nun um geplante, für alle Schüler geltende, systematisch organisierte Leibeserziehung, mit klarer Ausrichtung auf „Körperbeherrschung, Ordnung und Disziplin“(Prohl, 2010, S.39). Diese „wissenschaftliche […] Betreibung der Turnkunst“ zur Sicherrung der „Volksgesundheit und Wehrertüchtigung“ (ebd.) sorgte für einen großen Professionalisierungsschub des Sports- oder korrekterausgedrückt-damals noch Turnlehrerberufs. 1862 kommt es zum Beispiel in Stuttgart zur Gründung einer Turnlehrerbildungsanstalt. Ein Jahr später, also im Jahre 1863, gab es per Verfügung der württembergischen Regierung eine inhaltliche Festlegungder Turnlehrerausbildung (vgl. Kleindienst-Cachay, 1980). Zur Ausbildung wurden nun systematisch nurnoch Lehrer zugelassen. Gerade über die Abgrenzung zum Laientum, durch eine fundierte Praxis- und Theorieausbildung und eine staatlich intendierte Legitimation, bildet sich der Berufszweig des Sportlehrers rasch heraus. Zusätzlich zur inhaltlichen Ausdifferenzierung und einer methodischen„Anbindung an eine Reihe von Wissenschaften“werden zahlreiche Turnlehrervereine gegründet, und als „Organisationen zur Vertretung von Standesinteressen“ (Kleindienst-Cachay, 1980, S.196) etabliert. Diese Vereine verrichten zum einen politische Lobbyarbeit, und zum anderem setzen sie sich für eine weitere Professionalisierung und Gleichstellung des Sportlehrerberufs innerhalb des Erziehungssystems ein. Aufgrund dieser Entwicklungen lassen sich ausgebildete Sportlehrer nun zunehmend durch gewisse qualitative Merkmale von eben Nicht-Sportlehrern abgrenzen.Zu den qualitativen Merkmalen und den Produkten einer ausdifferenzierten Ausbildung, zählen „eine spezialisierte Ausbildung, ein systematisches, abstraktes Wissen, eine besondere Fachsprache, […] sowie ein eigener Berufsverband. (Cachay & Kastrup, 2006, S.154)“.

Weinberg und Gould (1999) benennen die wichtigsten Eigenschaften zur herausragenden Führung einer Gruppe. Dabei handelt es sich um Integrität, Flexibilität, Loyalität, Selbstvertrauen, Verantwortungsbewusstsein, Aufrichtigkeit, Weitsicht in der Vorbereitung, Durchhaltevermögen, Selbstdisziplin und Geduld (vgl. Schlicht, Strauß et al., 2003).Söll & Kern(1999, S. 89) erweitern diesen Kanon der „unverzichtbaren Grundvoraussetzungen“ um eine weitere, enorm große Palette. So sollen Lehrer „emotional ausgeglichen […] korrekt, gerecht, konsequent, anregend, humorvoll […] mitreißend, [und] von seiner Sache überzeugt sein“, um nur einige Eigenschaften zu nennen. Beim Betrachten dieser anspruchsvollen Liste wird man verleitet zu denken, „dass man zum Führer einer Gruppe[…] geboren sein muss“ (Schlicht, Strauß et. al, 2003, S.85). Oder lassen sich emotionale Ausgeglichenheit, Selbstdisziplin oder Humor akademisch schulen? Diese Betrachtungsweise des eigenschaftstheoretischen Ansatzes von qualitativen Merkmalen einer Profession zeigt also nicht nur, wie bereits dargestellt, einen strukturellen Defizit in Bezug auf die Darstellung von Besonderheiten einer Profession. Vielmehr beschränkt sie sich, und dies scheint der gravierendste Nachteil der Darstellungsform von Söll zu sein, ausschließlich auf die Lehrerrolle. Es werden keine interdependenten Verflechtungen und Wirkungen des Lehrers mit dem Erziehungssystem und weiteren gesellschaftlichen Teilsystemen in die Analyse einbezogen. Mit anderen Worten, der eigenschafstheoretische Ansatz verleitet dazu, die beschriebene voranschreitende De-Professionalisierung und Geringschätzung des Lehrerberufs alleinig auf einen Mangel an positiven Eigenschaften von Sportlehrern zu reduzieren. Dieser Zugang ist nur bedingt zur Erfassung des Gesamtproblems geeignet.Der „eigenschaftstheoretische Ansatz“ (ebd., S.86),so wie in Wolfgang Söll verfolgt, wirft ein Problem auf, und die Unzulänglichkeit dieses Vorgehens liegt darin, „dass es mit der externen Bewertung entlang eines allgemeinen Maßstabes nicht gelingt, eine Einsicht in die strukturelle Besonderheit der jeweiligen Professionsbereiche zu erhalten“ (Cachay & Thiel, 1999, S.154).Was hiermit gemeint ist, ist der Umstand, dass auch sehr gut ausgebildete Sportlehreraufgrund von strukturell determinierten Rahmenbedingungen im Erziehungssystem unter Legitimationsdruck stehen . Um es etwas zugespitzt zu formulieren: Auch sehr gute Lehrer werden hinterfragt, wenn der Inhalt, den sie vermitteln, unangebracht oder redundant ist. Exakt hier zeichnet sich die Grenze der Reichweite eines eigenschaftstheoretischen Ansatzes ab. Er kann lediglich positive Eigenschaften der Personen benennen. In keinster Weise werden aber Bemühungen angestellt; diesen Vorwurf muss sich auch Söll gefallen lassen, nämlich den Inhalt und die strukturellen Voraussetzungen, in die jeder Lehrer eingebettet ist, zu reflektieren, und daraus ableitende Aussagen zum Kerngeschehen dieses Berufs zu treffen.

Möchte man nun also wissen was einen anerkannten und legitimierten Sportlehrer ausmacht, so bringt es nicht sonderlich viel,positive Differenzierungsmerkmale zu sammeln und diese aufzuzählen. Vielmehr muss es gelingen, die „Handlungslogik oder operative Kompetenz der Profession auszumachen“(Cachay&Kastrup, 2006, S. 154) und den Grund der Relevanz der Profession für die Gesellschaft zu benennen. Zusammenfassend bedeutet dies, dass ein historischer Rückblick und ein eigenschafttheoretischer Zugang der Beschreibung von legitimierenden Qualitätsmerkmalen keinen Aufschluss darüber geben kann, warum der Sportlehrerberuf an Bedeutung verliert. Deshalb soll nun die systemtheoretisch ausgerichtete Professionalisierungstheorie von Rudolf Stichweh einen Analyserahmen bilden.

2.3 Professionalisierungsmerkmale im systemtheoretischen Kontext

Rudolf Stichweh plädiert in seiner Forschung zur Berufsprofessionalisierung für eine Korrelation zwischen der Entstehung von Professionen und dem spezifischen Charakteristikum von Funktionssystemen. Es gibt demnach eine Verbindung zwischen der Entstehung von Berufen und einer Ausdifferenzierung von gesellschaftlichen Funktionssystemen. Funktionssysteme werden dabei als gesellschaftliche Teilsysteme verstanden, die sich auf die Erfüllung einer ganz bestimmten Aufgabe spezialisiert haben. Die gesellschaftlichen Teilsysteme differenzieren sich also aufgabenorientiert. So kümmert sich zum Beispiel das Wirtschaftssystem um die Sicherung künftiger Bedürfnisbefriedigungen,das politische System muss die Produktion kollektiv bindender Entscheidungen gewährleisten, und das Erziehungssystem hat seine Aufgabe in der Weitergabe gesellschaftsqualifizierender Kompetenzen(vgl. Stichweh, 1992). Aufgrund dieser ganz besonderen ziel- und funktionsangepassten Arbeit innerhalb der einzelnen Teilsysteme, kommt es innerhalb derer zur Ausbildung einer jeweils eigenen Identität; das heißt sie werden „im historischen Verlauf unverwechselbar und zugleich unverzichtbar“ (Cachay & Kastrup, 2006, S.155). Aus der historischen Entwicklung heraus werden gesellschaftliche Teilsystemevon spezifischen Handlungslogiken begleitet, welche mit ihrem regulativen Charakter zwischen zwei evaluativen Fixierungspunkten aufgespannt sind. Dabei können Handlungslogiken in verschiedenen Formen in Erscheinung treten. Sie können sich zum Beispiel in Codes wie Sieg/Niederlage, semantischen Bedeutungsinhalten oder spezifischen normativen Urteilsformen äußern. Fixierungspunkte werden innerhalb der Teilsysteme als spezifische Systemcodes begriffen. Besonders interessant ist hierbei„[…]daß diefunktionale Differenzierung […] sich gleichsam im Kielwasser von Codesentwickelt[…]“ (Luhmann, 1986, S.94). Es handelt sich also um eine historische Entwicklung, bei welcher gesellschaftliche Funktionssysteme als Reflexionskonzepte von binären Codes(vgl. Schimank, 1988) agieren. Innerhalb der zwei aufgespannten Pole, beziehungsweise den binären Codes eines jeden gesellschaftlichen Teilsystems, und der spezifischen Handlungslogik, finden sämtliche systemimmanente Kommunikationsvorgänge statt. Das heißt dann im einzelnen Beispiel, dass das Wirtschaftssystem jegliche Kommunikation im Modus „Haben/Nichthaben“ oder dasTeilsystem der Wissenschaft den Modus „Wahrheit/Nicht-Wahrheit“ führt. Das Erziehungssystem nimmt im Kanon der gesellschaftlichen Teilsysteme aber eine Sonderrolle ein. Zum einem aufgrund seines doppelten Systemcodes „vermittelbar/ nicht-vermittelbar“ und „besser/schlechter“(vgl.Luhmann, 1997)zum anderem aufgrund seiner besonderen Interaktionsform zwischen Lehrer und Schüler.

2.3.1. Professionen und Funktionssysteme

Im Verlauf der Entstehung von gesellschaftlichen Teilsystemen kommt es zu einer korrelativen Ausbildung von Professionen. Diese Professionen spielen eine wichtige- und in bestimmten Fällen sogar die wichtigste Rolle zur Erfüllung der Funktionen solcher Systeme. Allerdings bilden sich Professionen nur in Teilsystemen aus, in welchen ganz spezifische Probleme gelöst werden sollen, und zwar „Probleme der personalen Umwelt des Gesellschaftssystems“ (Cachay & Kastrup, S.155). Damit sind Probleme von Menschen, also einzelnen personalen Systemen, gemeint, d.h. Probleme, die von Menschen nicht selber gelöst werden können. Kurtz (2004) hebt in seinem Beitrag zur „Organisation und Profession im Erziehungssystem“ ein besonderes „Quartett der Teilsysteme“ hervor. Gemeint sind damit das Krankensystem mit der Monopolstellung des Arztes, das Rechtssystem mit der vermittelnden Funktion des Anwaltes als Rechtsbeistand, das Religionssystem mit der Profession des Pfarrers und das Erziehungssystem mit dem Lehrer, welcher das Monopol der Wissensvermittlung und Selektion innehält. Innerhalb dieses Quartetts befinden sich also Professionen, die sich innerhalb ihres spezifischen Auftragskontingents um die Versorgung von „trost-oder heilsbedürftigen, kranken, streitenden und zu erziehenden Personen“ (ebd., S.46) kümmern können. Die Lösung dieser individuellen Probleme erfolgt dabei in einem besonderen Interaktionsmodus. Die Interaktion der beiden Rollen, also die Kommunikation unter Anwesenden, zum Beispiel Arzt/Patient oder Lehrer/Schüler,konstituiert ein Charakteristikum dieses Quartetts. Das heißt, die Profession bekommt innerhalb des Funktionssystems eine herausragende Bedeutung, weil die Behandlung der „lebenspraktische[n] Probleme von individuellen Personenzum Kernbestand des Kommunikationsgeschehenswird. In diesen Systemen geht es nicht nur um kommunikative Anschlüsse im System, sondern damit zugleich, unter der Maßgabe zu helfen, immer auch um Eingriffe in die personale Umwelt der Gesellschaft[…]. Hier fällt den professionellen Praktikern die Aufgabe zu, in Interaktionskontexten und in Zusammenarbeit mit dem Klienten die Überführung des Problems [innerhalb der bereits genannten evaluativen Fixierungspunkte des Systemcodes] vom negativen zu positiven Wert- also von der Krankheit zur Gesundheit oder von schlechteren zur besseren Leistung- professionell zu betreuen“ (ebd., S. 46).

2.3.2. Drei zentrale Kennzeichen des Sportlehrerberufs

Ausgehend von den bisherigen Überlegungen, lässt sich die Rolle des Lehrers innerhalb des Erziehungssystems als eine Profession mit staatlich gesicherter Monopolstellung darstellen. Zur ihrem Kernbereich gehört eine spezifische Interaktion,die pädagogische Kommunikation, welche zur Steuerung der „Personenwerdung von Menschen, […]um die Vorbereitung des Einzelmenschen auf sein späteres Leben“ (Luhmann, 2002, S.47),es geht um die Befähigung zur Steuerung seines Lebenslaufs. Das heißt, ein Schüler sollüber die staatlich gesicherte Inklusion in das Erziehungssystem mit genügend Kompetenzen ausgestatten werden, um anschließend an weiteren gesellschaftlichen Funktionssystemen teilnehmen zu können; zum Beispiel am gesellschaftlichen Teilsystem der Wirtschaft oder Politik. An der Tatsache, dass die von Kurtz (2002) beschriebene „Primärcodierung“ des Erziehungssystems, aufgespannt zwischen den beiden Polen vermittelbar/nicht vermittelbar, noch weiterhin vom selektiven Sekundärcode besser/schlechter begleitet wird, lässt sich ablesen, dass es innerhalb des Erziehungssystems die Aufgabe der Lehrerprofession ist, „ Wissen und Werte zu vermitteln und deren Aneignung zu bewerten“ (ebd., S. 115). Es geht also um eine hochgradige Steuerung der Komplementärrolle (Schüler) durch die Leistungsrolle (Lehrer) und somit um eine Zuteilung der späteren Inklusionschancen in weitere gesellschaftliche Teilsysteme. Es geht um begehrte Studienplätze, Verdienstmöglichkeiten und schlussendlich auch um die soziale die Stellung in der Gesellschaft.

Aus einem systemtheoretischen Analyserahmen heraus, und in Anlehnung an Stichwehs Professionalisierungstheorie, können die bisherigen Ausführungen nun unter folgenden drei Punkten zusammengefasst werden(vgl. Cachay & Kastrup, 2006):

Eine legitimierte Ausbildung einer Profession

1. ist gegeben, wenn die Leistungsrolle des Lehrers maßgeblich zur Steuerung der Komplementärrollen-Karriere des Schülers, und in Bezug auf dessen weitere Inklusionschancen innerhalb der Teilsysteme der Gesellschaft, beiträgt.

2. ist gegeben, wenn diese Profession gesellschaftsrelevante Probleme behandelt, und personalen Systemen bei Problemen hilft, welche von diesen nicht alleine gelöst werden können. Hierbei ist zu differenzieren in

a) Behebung von Wissensdefiziten und in
b) Behebung von moralischen Defiziten.

3. ist gegeben, wenn die Lösung der Probleme von Schülern, also die Überführung von einem Zustand des Ungebildeten in einen Zustand des Gebildeten, und somit von einem evaluativen Fixierungspunkt zum anderen, innerhalb des Erziehungssystems erfolgt, und diese einer besonderen Interaktionsform, der pädagogischen Kommunikation, entspricht.

3 Beweisführung der zweiten Prämisse

3.1 Analyse der Legitimationsprobleme aus einer systemtheoretischen Perspektive

Im Gegensatz zum eigenschaftsorientierten Ansatz der Darstellung von Professionsmerkmalen, welcher sich explizit mit der Benennung von einzelnen Qualitätsmerkmalen einer Person beschäftigt, bietet der systemtheoretische Ansatz die Möglichkeit einerAnalyse von strukturellen Bedingungen zur Entwicklung einer Profession. Das heißt welche Rahmenbedingungen müssen gegeben respektive erfüllt sein, um die Entwicklung einer Profession möglich zu machen. Damit ist folglich gesagt, dass der systemtheoretische Analyseansatz, zusätzlich zur personenorientierten Merkmalsuntersuchung, auch die äußeren Einflussfaktoren, wie zum Beispiel Handlungslogiken von Teilsystemen oder systemspezifische Kommunikation, in das Betrachtungsspektrum aufnimmt, und somit auf einer analytischen Metaebene operiert. Anhand der drei skizzierten Punkte lassen sich nun weiterführende Fragen formulieren, die zur Untersuchung eines systematisch angelegten Bedeutungsverlusts der Sportlehrerprofession und des Sportunterrichts relevant sind.

- Die erste Frage bezieht sich darauf, inwiefern die Leistungsrolle des Sportlehrers, den Lebenslauf des Schülers in Bezug auf das dessen weitere Inklusionschancen innerhalb der Teilsysteme der Gesellschaft, steuert.
- Die zweite Frage soll klären, inwiefern die Sportlehrerprofession zur Lösung von gesellschaftlich relevanten Problemen beiträgt (vgl. Cachay & Kastrup).
- In der dritten Frage soll die generelle Problematik von Interaktion und pädagogischer Kommunikation im Vermittlungs- und Erziehungsprozess aufgezeigt werden. Hier sollen zentral die Bedingungen zur Realisationsmöglichkeit von pädagogischen Interventionen geprüft werden.

3.2 Steuerung der Schülerrolle durch die Sportlehrerrolle

Die Schule als eine staatlich kontrollierte Organisation, ist der gesellschaftliche Ort zur Weitergabe von qualifizierenden Bildungsgütern an die Nachwuchsgeneration. Gemäß des primären Systemcodes des Erziehungssystems „vermittelbar/ nicht-vermittelbar“(vgl. Luhmann, 1997),undganz im Sinne des Bildungsidealsund der Tradition des Neuhumanismus, soll durch das „Behauen“ des Individuums die Perfektion der Menschwerdung erreicht werden. Das heißt, Bildung fungiert hier als Schlüssel zur Vervollkommnung des Menschen im Sinnbild des Begriffs der antiken Paideia. Bei genauerer Betrachtung erkennt man jedoch den ambivalenten Charakter von Bildung, und es wird deutlich, dass sie „gleichermaßen Ideal und Kapital“ (Löw, 2003, S.19)ist. Bildung tritt vor allem in historischer Hinsicht seit je her als ein machtvolles Instrument, und aufgrund ihrer Knappheit, als eine begehrte Ressource auf. Bildung hat also auch einen selektiven Charakter, und derdas Bildungsmonopol innehaltende Staat setzt Bildung ein um zu selektieren. Der zweite Systemcode des Erziehungssystems rekurriert auf dem Selektionsauftrag der Schulen, und spannt seine Pole also entsprechend an den Begriffen besser/schlechter(vgl. Luhmann, 1997) auf. In der Schule wird somit sozial selektiert, denn Noten bestimmen die weiteren Möglichkeiten des Lebens zum Beispiel zu studieren, sich durch Verdienst und Berufsstatus von anderen abzuheben, dem entsprechend zu heiraten und die Möglichkeit zu haben, seine Kinder privilegiert aufwachen zu lassen. Dass Lehrer durch Benotungen großen Einfluss auf den weiteren Lebenslauf des Schülers nehmen, ist also staatlich intendiert. Fraglich ist aber, ob dies für alle Lehrer zutrifft. Denn während „harte“ Fächer wie Mathematik, Deutsch und Englisch oft bei Zeugniskonventen versetzungsrelevant diskutiert werden, scheint die Sportnote keinen großen Einfluss auf die Versetzung eines Schülers in die nächste Klasse zu haben. Empirisch lässt sich diese Tatsache sehr gut belegen. Demnach schneiden die Schüler im Fach Sport im Schnitt wesentlich besser ab als in Mathematik und Deutsch. Dabei ist besonders auffällig,dass „das existierende Notenspektrum […] von sehr gut bis befriedigend [reicht]; die Sportnoten ausreichend und mangelhaft gibt es so gut wie nicht (ausreichend knapp 5%; mangelhaft oder ungenügend <1%)“,so Brettschneider (2006, S.128) in Rahmen der DSB-Sprint-Studie. Im Durchschnitt werden Leistungen im Sportunterricht um eine Dreiviertelnote besser bewertet.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 2: Erhaltene Schulnoten in den Fächern Deutsch, Mathematik und Sport, differenziert nach Geschlecht, (DOSB-Sprintstudie, 2012, S.129)

Zusammenfassend muss also festgestellt werden, dass aufgrund einer signifikanten Tendenz zu besseren Noten im Schulsport, die Leistungsrolle des Sportlehrers zumindest ihrer Selektionsfunktion wegen, nahezu keine Steuerungskraft auf die Komplementärrollen-Karriere des Schülers ausübt. Mit dieser Entwicklung lässt sich ein Teil der Legitimationsdebatte erklären, ob und inwiefern Sport ernstzu nehmen sei, wenn die Notengebung nicht auf „Augenniveau“ mit Hauptfächern geführt wird (vgl. Bräutigam, 2003).

3.2.1 Die Note als Orientierungskriterium

Obwohl diese Entwicklung zur Erhöhung des Legitimationsdrucks des Schulsports beiträgt, muss sie nicht durchgehend negativ gewertet werden. Zum einem kann mit recht überzeugenden Argumenten(vgl. Prohl, 2010)der pädagogische Standpunkt vertreten werden, dass sozial-selektierende Noten „eine Störung des eigentlichen Geschäfts der Erziehung“(Luhmann, 2009, S. 198)darstellen. Zum anderem begeht man schlichtweg einen logischen Fehlschluss, wenn aufgrund der „Selektionsqualität“ einer Note auf die Bedeutung des Fachs an sich geschlossen wird, denn über die Note lässt sich keinerlei Aussage zur Relevanz des Faches ableiten. Vielmehr ist es die inhaltliche Orientierung und die Bedeutung für eine weitere Inklusion in Teilsysteme der Gesellschaft, die hier als Maßstab für eine Relevanzermittlung angelegt werden muss. Daher die weiterführende Frage: Inwiefern behandelt der Sportunterricht eine gesellschaftsrelevantes Problem, oder anders formuliert, trägt der im Sportunterricht vermittelte Inhalt in einer relevanten Form zu einer Befähigung der Teilnahme an weiteren Teilsystemen der Gesellschaft bei?

3.3 Beitrag der Sportlehrerprofession zur Lösung von gesellschaftlich relevanten Problemen

Aus einem entwicklungshistorischem Kontext heraus betrachtet, erfüllt die in der Schule stattfindende Erziehung vor allem die Funktion, eine „naturgegebene Differenz zwischen der Geburt eines Menschen und seiner biologischen und gesellschaftlichen Reife über Jahre hinweg so zu gestalten, dass sie von den Heranwachsenden selbst überwunden werden kann“(Giesecke, 2009, S.11).

Mit der voranschreitenden Arbeitsteilung und der zunehmenden Figurationskomplexität (vgl. Elias, 1997), welche sich durch die Geschichte der Menschheit zieht, entwickelt sich auch die Erziehung mitsamt aus einemrein auf die Familie beschränktem Konzept der Wissensvermittlung, hin zu einer Aufgabe, deren Relevanz die gesamte Gesellschaft betrifft. Das heißt, dass das erzieherische Moment sich nun nicht mehr alleinig in der Familie abspielt, sondern eine zentrale Aufgabenstellung der Schule, und somit der Lehrer, darstellt. Sie ist zudem stark verwoben mit wirtschaftlichen, politischen undtheologischen Strukturen. Die Gesellschaft, beziehungsweise ihre Entscheidungsträger, entscheiden, welcher Erwartungshorizont an die heranwachsende Generation gestellt wird. Aufgrund von pluralistischen, meinungsheterogenen Gesellschaftsstrukturen, welche zum einem auf verschiedene Menschenbilder, zum anderem auf teilweise opponierende Interessen konstatieren, ergibt sich die Schwierigkeit, einen homogenen Erwartungshorizont inhaltlich zu bestimmen, und anschließend methodisch zu fixieren. Diese innere Zerrissenheit lässt sich vornehmlich in der komplexen und nie verebbenden Debatte um Bildungsinhalte an Schulen beobachten (vgl. Scherler,1997; Prohl, 2010). Dennoch lassen sich zwei strukturell angelegte Aufgabenbereiche des Lehrers benennen: Zum einem wird in der Schule wissensorientierte Bildung der Schüler angestrebt, zum anderem werden gesellschaftliche Werte und Normen vermittelt (vgl. Strobel-Eisele, 2003). Beide Bereiche, also die Aneignung von gesellschaftsrelevantem Wissen und gesellschaftsrelevanter Normen durch Schüler, werden von Lehrern beurteilt und bewertet. Auf der Basis dieser Bewertungen entstehen anschließend Selektionsraster, welche die gesellschaftliche Tauglichkeit der Schüler widerspiegeln sollen. Wie bereits dargestellt, ist die Selektionsaufgabe zwar gesellschaftlich hochrelevant, kann aber in der schulischen Praxis nicht dem Sportlehrer zugeschrieben werden. So verbleiben ihm also die Vermittlung von Wissen und die Vermittlung von Werten.In diesem Abschnitt soll nun untersucht werden, ob und inwiefern der Sportunterricht zur „Behebung von Wissensdefiziten“(Cachay& Kastrup, 2006, S. 158)geeignet sein kann. Die Möglichkeit der Behebung von „moralischen Defiziten“ (ebd.,S. 158), also die Vermittlung von sozialen Kompetenzen, soll aufgrund ihrer Kopplung an strukturelle Voraussetzungen des Sportunterrichts erst in der Beweisführung der dritten Prämisse genau beleuchtet werden.

3.3.1 Die Behebung von Wissensdefiziten durch sportspezifische Wissens- und Kompetenzvermittlung

Bei genauer Betrachtung des schulischen Fächerkanons wird klar, dass jedes Schulfach, sei es zum Beispiel Mathematik, Deutsch, Englisch oder jede andere Fremdsprache, ein ganz bestimmtes Wissen vermittelt, und dieses Wissen einen „habhaften“ Effekt im Leben von Schülern verzeichnet. Schüler können rechnend, lesend und schreibend wesentlich leichter und effektiver an gesellschaftlichen Teilsystemen partizipieren. Sie können alleine einkaufen gehen, Bücher lesen oder an sozialen Netzwerken teilhaben. Selbst Formen der Wissensanwendung mit höheren Abstraktionsgraden, wie zum Beispiel Geschichte und Ethik, können im Alltag angewandt werden. Der „gesellschaftliche Problembezug des Faches Sport“(ebd., S.159) im Punkt Wissensvermittlung, scheint aber alles andere als klar zu sein. Zu was genau soll das Fach Sport in der Gesellschaft befähigen?Hierzu soll nun exemplarisch anhand der aktuellen Baden-Württembergischen Bildungsstandards[4] festgestellt werden, inwiefern die angestrebten Kompetenzen zur Lösung von gesellschaftlich-relevanten Problemen beitragen können.

3.3.2Angestrebte Kompetenzen im Schulsport, Bildungsstandard Baden-Württemberg

Allgemeine Formulierung der Kompetenzen und Inhalte für den Schulsport gemäß der Bildungsstandards im Fach Sport am Gymnasium[5]. Die Schülerinnen und Schüler:

- „erleben und entwickeln Freude an der sportlichen Bewegung;
- wissen um die Bedeutung von Bewegung für das eigene Wohlbefinden und eine gesunde Entwicklung und sind sich über die gesundheitsfördernde Wirkung vonBewegung und Sport bewusst;
- verbessern ihre motorische und konditionelle Leistungsfähigkeit und können diese richtig einschätzen;
- erfahren, dass Anstrengung und Leistung lohnenswerteZiele sind;
- erweitern ihre Bewegungs- und Körpererfahrungen undverbessern ihre Wahrnehmungsfähigkeit;
- können Risiken abschätzen, sind bereit etwas zu wagenund können Sicherheitsmaßnahmen treffen;
- können kreativ handeln und sich kreativ über ihren Körperausdrücken;
- können bei sportlichen Aktivitäten miteinander kooperierenund in Wettkampf treten. Dabei zeigen sie Fairness unddie Bereitschaft, Konflikte zu bewältigen;
- lernen sozialen Ausgrenzungen entgegenzutreten.“

Kompetenzen und Inhalte für den Schulsport am Gymnasium in der vierstündigen Kursstufe Sportbereich I: Fachkenntnisse

Die Schülerinnen und Schüler können:

- „die Bedeutung des eigenen sportlichen Handelns für eine gesunde Lebensführung erklären;
- die Bedeutung physischer Leistungsfaktoren erklären;
- die Bedeutung konditioneller Fähigkeiten in differenzierter Form erklären;
- die allgemeinen Gesetzmäßigkeiten des Trainings erklären;
- die Trainingsprinzipien erklären und anwenden;
- grundlegende Trainingsmethoden und Wirkungen eines Fitnesstrainings erklären und anwenden;
- Trainingsziele, -methoden, -mittel, -wirkungen erklären und an ausgesuchten Beispielen anwenden;
- sportartspezifisches Grundwissen wiedergeben;
- biomechanische Prinzipien an ausgewählten Bewegungsabläufen anwenden;
- Aktionen und Aktionsmodalitäten funktional belegen;
- Bewegungsspielräume erkennen und Fehler korrigieren;
- den Sport in seiner gesellschaftspolitischen Bedeutung reflektieren.“

Eine Betrachtung der Bildungsstandards, sowohl allgemein, als auch speziell auf eine vierstündige Kursstufe ausformulierte Version im Fach Sport für Gymnasien in BadenWürttemberg, ermöglicht eine Einteilung der 21 Unterpunkte in sechs Kategorien: Erlebnis/Motivation, Gesundheit, Trainingswissenschaft, Körpererfahrung, Kreativität, soziale Kompetenzen.

3.3.3Analyse der im Sportunterricht angestrebten wissensorientierten Kompetenzen

Wie bereits beschrieben lassen sich die allgemein und beispielhaft für die Kursstufe beschriebenen spezifischen Kompetenzen in sechs Überpunkte gliedern. Die zentrale Frage, die in diesem Abschnitt also beantwortet werden soll, ist: Tragen diese Kompetenzbereiche zur Lösung von gesellschaftlich relevanten Problemen bei, und wenn ja, inwiefern besitzt der Sportlehrer eine Monopolstellung bezüglich der Vermittlung dieser Kompetenzen?

Laut des Bildungsstandards BW (2004, S.300) bildet der Bereich des Erlebens, der Motivation und der Körperwahrnehmung mit den Punkten „erleben und entwickeln [von] Freude an der sportlichen Bewegung […],erweitern ihre Bewegungs- und Körpererfahrungen und verbessern ihre Wahrnehmungsfähigkeit“ einen wichtigen Teil der Kompetenzen, welche im Sportunterricht vermittelt werden sollen. Fraglich bleibt jedoch, inwiefern diese Punkte tatsächlich zur Lösung von gesellschaftsrelevanten Problemen beitragen. Die Probleme der modernen Gesellschaft werden durch abstrakte kognitive Leistungen gelöst. So werden „im Arbeitsalltag der Moderne […] Menschen in ihrer Körperlichkeit funktionsspezifisch zugerichtet“indem der Körper „den Taktvorgaben der Industrieproduktion“(Bette, 2014, S. 95) folgt. Der Körper verliert somit an Bedeutung und die Ausbildung seiner Möglichkeiten mit ihm. Popitz(1995) beschreibt mit einem organisch-technischen Regelkreis die Beziehung zwischen Mensch und Umwelt. Das Gehirn versteht, vergleicht und initiiert gewünschte Veränderungen, das Auge steuert die Funktion der Hand und nimmt ihre Handlung wahr, die Hand verändert als ausführendes Organ die Umwelt im Sinne der gewünschten Veränderung des Gehirns. Die Hand in ihrer Interaktion mit dem Gehirn zeigt sich also als das zentrale philosophisch-anthropologischeInstrument und dieser Komplex ermöglicht eine reziproke Beeinflussung von Außen- und Innenwelt des Menschen. Gerade dieser Komplex, und insbesondere die Handstellvertretend für den Körper an sich, werden zunehmend unwichtiger, denn „die menschlichen Greif- und Gehorgane haben im Verlauf des Modernisierungsprozesses an Bedeutung verloren“ (Bette, 2014, S.98). Im Vergleich zu prämodernen Gesellschaften, in denen die „motorische und konditionelle Leistungsfähigkeit“ (BBW, 2004, S. 300) über das Überleben des Menschen entschieden hat, werden heute zunehmend die „früher von Händenerfüllten Funktionen[…] an Apparate delegiert[…]“ (Bette, 2014, S.98). Der kleine, dicke Fritz hätte in einer vom Körperkult und Militär geprägten Gesellschaft, wie zum Beispiel der Preußens, wenige Aussichten auf eine hohe berufliche und soziale Stellung. In der Moderne jedoch hat er die Möglichkeit über ein exzellentes Informatikstudium zu einem Spitzenverdiener zu werden, und somit eine einflussreiche und sozial hoch angesehene Position innerhalb der Gesellhaft zu belegen. Hierfür ist Fritz weder auf eine Sportnote angewiesen, noch muss er im Rahmen des Sportunterrichts erfahren, dass Anstrengung und Leistung lohnenswerte Ziele sind.

Dafür sprechen zwei Gründe. Erstens, es wurde dargelegt, dass gerade wegen der kaum vorhandenen Noten Fünf und Sechs, der Sportunterricht keine wirklich ernstzunehmende Selektionsfunktion besitzt. Im Umkehrschluss bedeutet diese verschmälerte Notenskala zwischen sehr gut und befriedigend aber, dass jede Leistung zu einer eigentlich passablen Benotung führt. Somit stehenalso die Anstrengung und das lohnende Ziel im Sportunterricht nicht unmittelbar in einem Verhältnis zu einander, denn jeder bekommt eine ganz gute Note. Zweitens kann angesichts der Selektionsaufgabe des Erziehungssystems, die Erfahrung einer lohnenswerten Anstrengung in jedem anderen Fach nicht nur genauso gemacht werden wie im Sportunterricht, sondern aufgrund der vorangegangenen Argumentation, sogar effektiver erreicht werden.Somit trägt die Sportlehrerprofession mit ihrer Aufgabe zur Vermittlung der Kompetenzen aus den Bereichen des Erlebens, der Motivation und der Körpererfahrung nicht maßgeblich zur Lösung von gesellschaftlichen Problemen bei. Zwar kann den Kompetenzen aus den drei skizzierten Bereichen ein hoher Wert in Bezug auf das Individuum zugesprochen werden, eine gesellschaftliche Relevanz, wie sie aber im Sinne der Professionstheorie nötig wäre um den Sportlehrerberuf zu legitimieren, können diese nicht aufweisen.

Ähnlich verhält es sich auch mit dem „sportartspezifisches Grundwissen“ (BBW, 2004, S.306). „Sport als gesellschaftlich institutionalisiertes Handeln[…]“ stellt eine „eigenständige Sinndomäne“ (Schimank, 1988, S.196) dar, und bildet ein ausdifferenziertes, gesellschaftliches Teilsystem. Dennoch benennt die Aneignung von sportartspezifischem Grundwissen kein essentielles gesellschaftliches Anliegen. Das Gegenteil scheint der Fall zu sein. Zu einer Partizipation am Teilsystem des Sports wird kein systemimmanentes Vokabular vorausgesetzt. Kommunikation erfolgt über die Leistung des Körpers(vgl. Stichweh, 1990). „Der Erlebnismodus des Sports ist Spannung“ und macht ihn somit als „positiv bewertete Ungewissheit“ (Schimank,1988, S.196) attraktiv für jeden Partizipient. Sport bietet aufgrundseines autotelischen Charakters, also seines Selbstzwecks oder seines an sich selbst wertvoll Seins, eine Einstiegperspektive für jeden Menschen ohne die Bedingung einer Vorbildung zu stellen,und hält somit laut Elias undDunning (1969, S.51) die Möglichkeit bereit, jederzeit am„quest forexcitement in unexcitingsocieties“ teilzunehmen. Diese Teilnahme am System des Sportes steht jedemim Rahmen der Komplementärrolle des Publikums offen. Völlig ungeachtet der sportlich-begrifflichen Vorbildung, versteht der Zuschauer die Sprache der Emotion im Spiel. Keiner muss wissen wie die Abseitsfalle funktioniert, wie ein korrekt ausgeführter Innenspannschuss aussieht oder wie ein schnelles Umschalten funktioniert, um in einem Weltmeisterschaftsfinale in ein kollektives Mitfiebern zu verfallen.Somit stellt sportspezifisches Wissen kein gesellschaftlich notwendiges Wissen dar, kann deshalb auch nicht als die Sportlehrerprofessionlegitimierende Kompetenz angeführt werden.Wie aber steht es mit den Bereichen Gesundheit, Trainingswissenschaft und gesellschaftspolitische Bildung?

Wenn gleich also die Vermittlung der Kompetenzen im Bereich Erlebnis, Motivation und Körpererfahrung keine überzeugende gesellschaftliche Relevanz vorweisen können, so kann dies kaum für die Kenntniseiner„gesunde Lebensführung“ und die damit verbundenen „Gesetzmäßigkeiten des Trainings“ (BBW, 2004, S.306)gelten. Gesundheit, so ein berühmter Aphorismus Arthur Schoppenhauers, ist nicht alles, aber ohne sie ist alles nichts.Somit gilt „für Rechtfertigungen und Zielsetzungen sportlicher Aktivität [die]Gesundheit [als] eine zentrale Größe“ (Balz & Kuhlmann, 2003 S. 209).Aufgrund des erhöhten Leistungsdrucks in der modernen Gesellschaft und der mit dieser korrespondierenden Dysfunktionalisierung des Körpers (vgl. Bette), sind die damit verbundenen Erkrankung auf dem Vormarsch. Anbetracht dieser zahlreicher „Gesundheitsgefährdungen hat der jahrelange Gesundheitsboom die Tendenz verstärkt, dass sich Menschen zuallererst Gesundheit wünschen“ (Balz & Kuhlmann, 2003, S. 207). Das Thema Gesundheit besitzt somit höchste gesellschaftliche Relevanz und findet in Ihrer eingängigen Argumentation auch Gehör in der Politik. Dies schlägt sich wiederum in Form von Bildungsplänen im Schulsport nieder. Somit wäre eigentlich eine zentrale und legitimierende Aufgabe des Sportlehrers gegeben und die trainingswissenschaftlichen Inhalte des Schulsports könnten im Rahmen der Entwicklung von gesundheitsbezogenen „grundlegenden Trainingsmethoden und Wirkungen eines Fitnesstrainings“ (BBW, 2004, S.306) erklärt und dargelegt werden. Dennoch, dieser „routinemäßige Bezug auf […] die defizitäre gesundheitliche Situation der Bevölkerung“ und die damit verhaftete Legitimation des Sportlehrerberufs, „vermag auf der Sachebene nicht zu überzeugen“ (Cachay & Kastrup, 2006, S.157),denn das Lösen von gesundheitlichen Problemen gehört zentral dem Kranken-m beziehungsweise Gesundheitssystem (Schimank, 1988, S.204), an. An dieser Stelle muss allerdings eine differenzierte Beachtung dieses Argumentes erfolgen, denn es wird hier nicht behauptet, dass die Rolle des Arztes maßgeblich die Aufgaben des Sportlehrers erfüllt. Ganz im Gegenteil sah es tatsächlich über weite Strecken der zweiten Hälfte des 19., und anschließend des 20. Jahrhunderts, so aus, als wäre die „Implementation [des] präventiven Verhaltens bei Kindern und Jugendlichen“ dem Sportlehrer in seiner Rolle als Präventionsexperte vorbehalten, denn Ärzte reduzierten und begriffen lange Zeit ihren Beruf als „kurative Individualmedizin“. Die „naturwissenschaftlich orientierte Schulmedizin [beschreibt] Krankheitsverläufe aber keine Erstursachen der Krankheiten“(Schäfer, 1979, S.176). In dieser Mangelstruktur des Gesundheitssystems konnte der Sportlehrer Fuß fassen und durch die Vermittlung und Heranführung an präventives Sporttreiben die Entstehung von bestimmten Krankheiten verhindern. In Verlauf der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts gab es aber allerdings strukturelle Veränderungen, welche auch das Aufgabenfeld des Sportlehrers maßgeblich beeinflusst haben und immer noch beeinflussen. Die Verlagerung des Systemcodes des Gesundheitssystems von krank/gesund zu lebensförderlich/nicht-lebensförderlich, ging mit einer massiven Aufgabenerweiterung einher. Statt der bisherigen isolierten Behandlung von Krankheitssymptomen rückte die Prävention und Gesundheitserhaltung in den Fokus des Gesundheitssystems (vgl.Laaser, 1993, S. 176). Mit dieser Entwicklung verbunden, kam es zur Ausbildung von zahlreichen Berufen, die sich auf die Behandlung exakt dieses gesellschaftlichen Anliegens spezialisierten. Mit Physiotherapeuten, Krankengymnasten, Sportwissenschaftlern, und neuerdings auch Sportökonomen, Heilpraktikern, Masseuren usw., bildet sich eine Riege an teilweise akademischen und staatlich geprüften Berufen heraus, die dem Sportlehrer seine Monopolstellung zumindest im Bereich der Prävention und Gesundheitserhaltung streitig machen. Zur Legitimation des Sportlehrerberufs können demnach Punkte wie Vermittlung von „Trainingsmethoden und Wirkungen eines Fitnesstrainings“ oder „die Bedeutung des […] sportlichen Handelns für eine gesunde Lebensführung“ (BBW, 2004, S.300) nicht weiter genutzt werden. Im Gegenteil, die Argumentation könnte dahin gehen, solche Vermittlungshandlungen aus dem schulischen Kontext auszugliedern und die Verantwortung an Vereine, Fitnessstudios und Berufsgruppen des Gesundheitssystems zu übergegeben. Im Sinne einer sportartspezifischen Ausbildung und einer gesundheitlichen Bildung, wäre diese Lösung nicht nur eine hochgradig geldsparende Maßnahme, denn es würde die kostenintensive Finanzierung der verbeamteten Sportlehrer entfallen, sondern es wäre womöglich auch ein Zugewinn in der Qualität des vermittelnden Wissens. Anknüpfend an diese Argumentation lassen sich aufgrund des interdisziplinären Charakters auch weitere Punkte wie die Vermittlung „biomechanische[r] Prinzipien an ausgewählten Bewegungsabläufen“ oder die Reflektion des „Sport[s] in seiner gesellschaftspolitischen Bedeutung“ zurück in ihre„Mutterwissenschaften“ (ebd., S.306) auslagern. Biomechanisches Wissen kann zum Beispiel durchaus im Physikunterricht, oder die gesellschaftspolitische Bedeutung von Sport im Geschichts- oder Gemeinschaftkundeunterricht, vermittelt werden.

3.4Die Behebung von moralischen Defiziten durch Interaktion und pädagogische Kommunikation im Sportunterricht

Im dritten Punkt geht es nun um die Analyse der spezifischen Kommunikationsform zwischen Sportlehrer und Schüler. Bei dieser Interaktionsform geht es maßgeblich um die Behebung von moralischen Defiziten,beziehungsweise um die Vermittlung von gesellschaftsrelevanten Sozialkompetenzen. In der Schule sollen zentrale Normen und Werte, im Sinne einer gewaltfreien, pluralistischen und demokratischen Gesellschaft vermittelt werden. Hierbei spielt der Sportunterricht die bedeutendste Rolle im Kanon aller Schulfächer. Denn gerade aufgrund seiner Defizite im Bereich der theoretischen Wissensvermittlung, bietet er die Zeit und den Raumgeplante, intensive soziale Erfahrungen zu ermöglichen. Obwohl eine konkrete und eindeutige Wirkung von Sportunterricht auf die Ausbildung von einzelnen Sozialkompetenzen,wie zum Beispiel einem starken Selbstbewusstsein, Empathie gegenüber Mitmenschen, soziales Engagement usw., aufgrund der hohen Komplexität und der zahlreichen unbekannten Variablen weiterhin der empirischen Wissenschaft nur sehr schwer zugänglich bleibt, besteht dennoch ein breiter wissenschaftlicher Konsens über eine positive Korrelation zwischen Schulsport und der Ausbildung von sozialen Kompetenzen (vgl. Beckers, 1987;Bös, 2003; Grupe, 1987; Kurz, 1990;Scherler, 1992; Prohl, 1994). Insbesondere in den letzten zehn Jahren hat die sportpädagogische Unterrichtsforschung stark zugenommen und eine Vielfalt an qualitativen und quantitativen Forschungsdesigns hervorgebracht, die einen Zusammenhang zwischen Sportunterricht und Sozialität der Schüler untersuchen. Im Bereich der qualitativen Settings haben sich verschiedene Untersuchungsströmungen herausgebildet. So zum Beispiel das interpretative Paradigma (Dietrich & Landau, 1990; Scherler&Schierz, 1993) oder die aktuellere Strömung der sportpädagogischen Ethnographie von Miethling und Krieger (2004, S. 256). Die Letzteren untersuchten intensiv und umfangreich die „situative[n] Herausforderungen und Bewältigungsweisen von […]Konflikten aus der Schülersicht“. Dabei postulieren sie, „dass misslingende soziale Interaktionen im Sportunterrichtnichtnur dem Erziehungsziel der Bewegungsbildung, sondern auch der Entwicklung eines demokratischen Habitus entgegenläuft. Dies bedeutet im Rückschluss, dass gelingende soziale Interaktionen die Einsicht in ein demokratisches Verhalten positiv beeinflussen. Im Bereich der quantitativen Forschung sei exemplarisch die umfangreiche Langzeitstudie von Bös und Obst genannt. Bös und Obst stellten sich sie grundsätzliche Frage inwiefern Sport und Bewegung ein Interventionscharakter im Bereich der Schulunlust der Kognition, Fitness und Aggression nachzuweisen ist. Die Schüler einer Modellschule hatten vier Jahre lang täglich 45 Minuten Sport; anschließend wurden die Kinder in einer breit angelegten Pausenhofbeobachtung auf aggressive Handlungen hin untersucht.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb.3: beobachtete Aggressionen bei Schülern einer Modellschule und einer Kontrollschule (Bös&Obst,2011)

Die Studie liefert signifikante Ergebnisse, denn im Vergleich zur Kontrollschule schnitten die Schüler der Modellschule mit einem wesentlich niedrigeren Aggressionsverhalten ab als die Schüler der Kontrollschule. Die Forschungsergebnisse stellen einen deutlichen Zusammenhang zwischen einer täglichen Sport- beziehungsweise Bewegungsstunde und dem beobachtbarem Aggressionsverhalten fest.

3.5 Zwischenfazit

Die Ausbildung einer Profession innerhalb eines gesellschaftlichen Teilsystems ist dann gegeben, wenn:

1. die „Leistungsrolle [des Lehrers maßgeblich ist für] die Steuerung der Komplementärrollen-Karriere“ (Cachay & Kastrup, 2006, S. 157) des Schülers in Bezug auf dessen weitere Inklusionschancen innerhalb der Teilsysteme der Gesellschaft.

2. diese Profession gesellschaftsrelevante Probleme behandelt und personalen Systemen bei Problemen hilft, welche von diesen nicht alleine gelöst werden können. Hierbei ist zu differenzieren in

a) die Behebung von Wissensdefiziten und in
b) die Behebung von moralischen Defiziten

3. die Lösung der Probleme von Schülern innerhalb des Erziehungssystems in besonderen Interaktionsformen erfolgt (Rahmensetzung findet durch didaktische Modelle statt).

Die Punkte eins und 2a) konnten als Legitimationsgründe für den Sportlehrerberuf ausgeschlossen werden. Es findet weder eine nennenswerte, vom Erziehungssystem aber geforderte, Selektion der Schüler innerhalb des Sportunterrichts statt, noch zeigt sich der Sportlehrer als unentbehrlich wenn es um die Vermittlung von sportspezifischem Wissen im Unterricht geht. Entweder ist das Wissen, welches er vermittelt, nicht relevant genug, oder es kann ebenso gut auch von anderen Professionen oder Lehrern vermittelt werden. Anders verhält es sich mit dem Punkt 2b): Der Sportunterricht bietet den räumlichen, zeitlichen und sachlichen Rahmen für die Vermittlung von sozialen Kompetenzen und somit zur Behebung von moralischen Defiziten der Schüler. Er kann maßgeblich zur Ausbildung des Selbstbewusstseins der Schüler beitragen, und nachweislich aggressives Verhalten reduzieren, sowie die Ausbildung eines demokratischen Habitus fördern.Diese wichtige Funktion des Sportunterrichts verleiht ihm innerhalb der Schule eine Sonderstellung und dennoch hat der Sportunterricht mit zunehmenden Legitimationsschwierigkeiten zu kämpfen. Wie ist diese Tatsache zu erklären? Durch die Erarbeitung eines systemtheoretischen Analyserahmens der Professionen und anhand der daraus resultierenden Untersuchung der strukturell relevanten Punkte, kanndie Vermutung geäußert werden, dass im Sportunterricht durchaus erzieherische Maßnahmen möglich sind, aber diese nicht oder nur unzureichend genutzt werden. Diese Vermutung führt zur letzten verbleibenden Variable in der Struktur des Erziehungssystems der Schule.Esist der dritte Punkt, die Interaktion zwischen Lehrer und Schüler.Diese „Kommunikation unter Anwesenden“(Watzlawick, 2005)stellt eine Vielzahl an Besonderheiten dar. Eine davon ist, dass die Lehrer-Schüler-Interaktion zwar in einem verbindlichen und allgemeingültigen schulorganisatorischen Rahmen gefasst ist, jedoch aber innerhalb der Klassenräume das didaktischeProgrammweitgehend der Ermessungssache des Lehrers unterliegt.In anderen Worten: Das Land und die Schule geben rechtliche Vorgaben zum Bildungsinhalt vor, die Realisation dieser Inhalte bleibt jedoch dem Lehrer überlassen. Somit ist die Entscheidungshoheit bezüglich der Anwendung von didaktischen Konzepten, also Umsetzungsstrategien zur Vermittlung von geforderten Wissen oder Verhalten, beim Lehrer angesiedelt.Was aber wenn gewisse pädagogische Konzepte für eine Realisation von Erziehungszielen schlichtweg ungeeignet sind, das heißt, dass es ihnen alleine schon aufgrund Ihrer Form unmöglich ist, Verhalten von Schülern in dem gewünschten Umfang zu verändern? Genau dieser Vermutung soll im weiteren Verlauf dieser Arbeit detailliert auf den Grund gegangen werden.

Es wurde bereits gezeigt, dass ein Legitimationsproblem der Sportlehrerprofession vorliegt. Ebenso wurde belegt, dass nur der Erziehungsauftrag des Sportlehrers für eine ausreichende Legitimation sorgen kann. Um die Kohärenz der gesamten These zu belegen,muss nun die dritte Prämisse bewiesen werden. Das heißt, dass die angestrebte Erziehungzu sozialen Kompetenzen innerhalb des Sportartenkonzeptes nicht möglich ist.

4 Beweisführung der dritten Prämisse

Die angeführte These lautet: Die Möglichkeit von pädagogischen Interventionen im Sportunterricht, also die von den Bundesländern jeweilig formulierten Erziehungsziele, sind innerhalb des didaktischen Konzepts der Sportarten nur bedingt oder gar nicht möglich. Zur Prüfung dieser These muss im Vorfeld eine genaue Bestimmung von zwei zentralen Begriffen erfolgen. Zum einem muss klar dargelegt werden, was genau das didaktische Konzept der Sportarten ist, d.h.es geht um die Beantwortung der Frage,welche Ziele und Umsetzungsmethoden, welche Lerntheorie, und schlussendlich auch welche anthropologische These dieser Konzeption zu Grunde liegt. Desweiteren soll anhand eines praktischen Beispiels gezeigt werden, dass sowohl auf Vereins- und Verbandsebene, aber auch auf poltischer Ebene, großes Interesse am Fortbestand des Sportartenkonzepts besteht. Zum anderem muss eine begriffliche Näherung an das Wort „Erziehung“ erfolgen. Anschließend kann beurteilt werden, ob Erziehung, also die planmäßige Vermittlung von sozialen Kompetenzen, im Sportartenkonzept möglich ist.

Wenn die Beweisführung der dritten Prämisse gelingen sollte, so muss notwendigerweise daraus die Conclusio gezogen werden, dass die Legitimationsprobleme des Sportunterrichts und der Sportlehrerprofession zwangsläufig auf das vorherrschende Konzept der Sportarten rekurrieren.

4.1 Das didaktische Konzept der Sportarten

Innerhalb der Sportpädagogik lässt sich eine Vielzahl an didaktischen Strömungen lokalisieren. Die einzelnen Konzepte unterscheiden sich in ihren Ansichten zum Sinn des Sportunterrichts, der Bewertung von Sport als Unterrichtsinhalt, und der methodischen Anwendung der Inhalte von Sportunterricht. Vor allem zwischen 1970 und 1990 gab es eine breitangelegte Diskussion mit dem Versuch einer Systematisierung oder Strukturierung der verschiedenen, teils sogar opponierenden, didaktischen Ansätze. Bei dem Versuch solch eine sinnvolle Gliederung zu gestalten kommen(Schierz, Hummel, & Balz, 1994)zu dem Schluss, dasses ein integratives fachdidaktisches Modell nicht geben kann.Zur Orientierung und Positionierung lassen sich jedoch zwei Hauptrichtungen unterscheiden. Zum einem die pragmatisch-qualifikatorische Strömung, und zum anderen die kritisch-emanzipatorische Strömung (vgl. Prohl, 2010). Pragmatisch-qualifikatorische Konzepte, hierzu gehört auch das Sportartenkonzept, leiten eine Legitimation des Sportunterrichts aus der Existenz des Sportes an sich ab. Sie betrachten die Erscheinung Sport als ein kulturelles Phänomen und als ein Kulturgut, das sich aufgrund seiner traditionsreichen Vergangenheit bewährt hat, und sich somit eine Art„Kulturrecht“[6] erworben hat,und an nachfolgende Generationen weitergetragen werden soll. Auf der Grundlage dieser Argumentation ist es innerhalb des Sportartenkonzepts nicht notwendig, nach geeigneten sportlichen Inhalten für den Sportunterricht zu suchen. Diese Inhalte sind in Form von tradierten Sportarten bereits in der Gesellschaft verankert und müssen nur noch in die Schule übernommen werden. Der Fokus dieses didaktischen Konzepts liegt in der Qualifikation der Schüler in Hinblick auf den außerschulischen Sport. Der Schulsport präsentiert sich innerhalb dieses didaktischen Rahmens in Bezug auf den außerschulischen Sport als eine Doppeltwelt (vgl. Schierz, 1993), in der es prinzipiell nur darum geht, den gesellschaftlichen Sport möglichst detailgetreu in die Schule zu übertragen.Gerade weil der Sport als Kulturgut in der Schule aufgrund seines Eigenwertes genug Legitimation erfährt, und sich spiegelartig am gesellschaftlichen Habitus orientiert, ist eine pädagogische Begründung überflüssig. Somit stützt sich das Sportartenkonzept in der Begründung seiner Existenz als tragende Leitdidaktik des Schulsports alleinig auf seine Funktionder Wissensvermittlung. Es wird kein Versuch unternommen eine pädagogische Argumentation zu entfalten.Kurz(1990) bezeichnet daher das Sportartenkonzept als eine „Didaktik reduzierter Ansprüche“.Demnach kann zwar dem didaktischen Konzept der Sportarten eine wissensvermittelnde Funktion eingeräumt werden; eine pädagogische Tätigkeit, die moralische Defizite der Schüler beseitigt, sie also planmäßig[7] und zielgerichtet erzieht, jedoch nicht.

Hiervon versucht sich Wolfgang Söll(1996) abzusetzen. Er plädiert „für ein richtig verstandenes Sportartenkonzept“und startet einen Modifikationsversuch, der, im Gegensatz zur Curriculumtheorie der 70er Jahre, auch über eine pädagogische Perspektive verfügen soll. In der Curriculumtheorie ist die Argumentation im Wesentlichen darauf ausgerichtet, „Erziehung als einen rational begründeten Qualifikationsprozess aufzufassen“ (Prohl,2006, S. 79). Im Ansatz der Entwicklung von sportlich-motorischen Fertigkeiten (vgl. Ballreich, 1971) ist die reziproke Beziehung zwischen Lehrer und Schüler „nur dann rational zu begründen und wissenschaftlich zu überprüfen, wenn man sie als Prozesse des Erwerbs von definierten Qualifikationen begreife“ (Prohl, 2006).Söll kritisiert grundsätzlich dieses Konzept, denn er sieht den Sportunterricht dadurch einer hochgradigen Instrumentalisierung des Wettkampfsports ausgesetzt. In diesem Kontext spricht er „vom verlängertem Arm des Leistungs- und Wettkampfsports“ (Söll,1996, S.64), und betont die Notwendigkeit einer Eigenständigkeit eines Bildungs- und Erziehungsauftrags in der Schule.

Im Folgenden soll nun zunächst eine Darstellung von Sölls Argumentationsstruktur zur Begründung des Sportartenkonzepts erfolgen.

4.2 Sportartenkonzept nach Söll

Im Rahmen des Erziehungsauftrags des Sportunterrichts, kritisiert Söll die alternativen didaktischen Konzepte aufgrund ihrer Haltung zur Austauschbarkeit und Veränderbarkeit der Sportarten im Sportunterricht zu Gunsten von pädagogischen Zielen und Positionen. Seiner Ansicht nach kann Sportunterricht nicht auf der Perspektive von Gesundheit oder sozialen Lernens erfolgen, sondern muss grundlegend „von der Sache“ (Söll, 1996, S.65) des Sports selber ausgehen. Damit rückt er die Sportarten als „wesentliche Bedeutungsträger“ des Sports in den Mittelpunkt des schulischen Sports. Er formuliert zwei grundsätzliche Thesen:

1. Sportarten sind im Rahmen bestimmt definierter Kategorien nicht austauschbar.
2. Sportarten müssen gemäß ihrer eigenen Struktur und des eigenen Anspruchs unterrichtet werden.

(vgl. Söll, 1996, S.66)

Zur Stützung dieser zwei Thesen definiert Söll den Begriff „Sport“ und leitet daraus die spezifischen Funktionen der Sportarten ab. In diesen Funktionen sieht Söll das Fundament der pädagogischen Interventionen, folgerichtig nicht nur im Rahmen des Sportunterrichts, sondern überall da, wo Sport vorkommt. Söll beschreibt Sport als einen abstrakten, schwerzufassenden Begriff und nähert sich ihm daher zunächst phänomenologisch. Er beobachtet drei grundsätzliche Eigenschaften des Sports:

- Die erste Eigenschaft ist die Selbstgenügsamkeit, ein auf sich selbst gerichtet Sein, ein Phänomen das häufig auch als der autotelische Charakter des Sports bezeichnet wird. Dies impliziert, dass er „nicht auf bestimmte Funktionen festgelegt [wird] und prinzipiell folgenlos“ (ebd. S.70) bleibt.
- Sport wird als eine motorische, ganzkörperliche Aktivität und Bewegung verstanden.
- Sport trägt das zentrale Motiv der Optimierung von Bewegungen. Einerseits geht es um das Erreichen und Überbieten von selbst- und fremdgesteckten Zielen; dies ist definiert als Leistung im Sport. Andererseits geht es im Sport aber auch ganz zentral um den Erhalt oder die Ausbildung von sportlich relevanten Fähigkeiten und Fertigkeiten; dies wird als Training definiert.

Ausgehend von diesen drei Prämissen skizziert er nun sein anthropologisches Bild und bezeichnet Sport in seiner holistischen Eigenschaft als „ein bestimmtes Verhältnis des Menschen zur Bewegung [und] die Auseinandersetzung mit der Bewegung um ihrer selbst willen“ (ebd., S.66). Dies bedeutet für ihn, dass sich der Sport aufgrund seines autotelischen, spielerischen und künstlerischen Charakters grundlegend von der Arbeitswelt der modernen Industriegesellschaft unterscheidet, und dadurch zum „wichtigsten Repräsentanten der menschlichen Bewegungskultur“ (ebd., S.66) avanciert. Sport, so Söll, begründet sich ausschließlich in seinen Sportarten[8] und ist dadurch nichts weiter als das Ergebnis ihrer Summe. Sportarten sind somit die Sinnträger des Sports.

Aufgrund einer sehr großen Vielfalt an Sportarten und stets neu hinzu kommenden sportlichen Trends, wird eine inhaltliche Reduktion auf einige wenige Sportarten im Schulsport kontrovers diskutiert. Söll bedauert diesen Verlust des Überblicks und sieht ihn als Quelle der didaktischen Irritation und Abkehr vom Sportartenkonzept. Er unternimmt den Versuch die Ordnung wiederherzustellen. Zunächst stellt er sich die Frage unter welchen Gesichtspunkten sich die Auseinandersetzung des Menschen mit der Bewegungskultur vollzieht. Im Schulsport konkretisiert er dies in zwei Forderungen:

- „Leitziel für den Sportunterricht [ist] die Gewährleistung einer allgemeinen körperlich/sportlichen Ausbildung“
- Leitziel ist die „Einführung in die Bewegungskultur unserer Gesellschaft“ (ebd., S.71)

4.3 Leitziel für Einführung in die gesellschaftliche Bewegungskultur

Um in diesem rein bildungstheoretischen Ansatz eine sinnvolle pädagogische Linie zu begründen, differenziert Sölldrei Grundverhaltensweisen im Sport. Er findet diese in der Leichtathletik, dem Geräteturnen und dem Sportspiel. Jedem er drei Bereichen spricht er eine immanente Handlungsstrukturzu. In diesem Zusammenhang ist die Rede von „der Natur der Sache“, welche die Grundverhaltensweisen entscheidend determinieren. Diese Grundverhaltensweisen kennzeichnen für ihn die Möglichkeit für jegliche pädagogischeIntervention im Schulsport, sowohl für die Gruppe, als auch für das Individuum. Das heißt, die einzelnen Sportarten, so Sölls implizierte Behauptung, generieren aufgrund ihrer strukturellen Beschaffenheit ein erzieherisches Moment. Im Folgenden sollen nun alle drei Grundverhaltensweisen charakterisiert werden.

4.3.1 Grundverhaltensweisen in der Leichtathletik

In der Leichtathletik geht es in erster Linie darum, schnell zu laufen, weit oder hoch zu springen, und weit zu werfen. Diese Handlungen haben für Söll keinen instrumentellen Charakter, sind also nicht auf ein weiteres Ziel hin ausgerichtet sondern besitzen einen Eigenwert, der sich keinem gesellschaftlichen Nutzenkalkül unterwirft. Wenn ein Sportler „auf einer Rundbahn 400m gelaufen ist, steht er wieder am Ausgangspunkt. Außer der Tatsache, dass er außer Atem ist, hat sich dadurch in der Welt nichts verändert“ (ebd., S.66). Dieser Lauf hat keinen pragmatischen Sinn. Er dient weder der Beförderung von Gütern, noch der Flucht vor einem Tier. Söll kommt von dieser Annahme zu einer nicht ganz unproblematischen Schlussfolgerung. Der Sinn des 400m-Laufs hat keine „willkürlich auf die Leichtathletik aufgeprägten Leistungsziele, sondern folgt […] aus der Natur der Sache an sich“ (ebd., S. 66). Mit dieser Aussage legt er den Sinn des Sporttreibens in den Sporttreibenden selbst. Der einzige Grund für Sportler diese 400m zu rennen, ist somit in der Tatsache begründet, dass sich der Sportler verbessern will; verbessern in seinen physischen und psychischen Leistungsfaktoren und seiner Lauftechnik. Die Leichtathletik ist demnach in ihrer Grundbeschaffenheit und Grundverhaltensweise in vollem Maße auf Optimierung ausgelegt. Die „Strukturformel der Leichtathletik“ besteht folglich im Wesentlichen darin „körperliche Leistungsfähigkeit in meßbare Leistung umzusetzen“ (ebd., S. 66). Dadurchsind die Leichtathletik, und ihr ähnliche Sportarten, prädestiniert dafür,den Optimierungsgedanken der leistungsorientieren Gesellschaftan Schüler weiterzugeben. Dies ist für ihn die zentrale pädagogische Argumentation und hierin begründet er auch den pädagogischen Nutzen der Leichtathletik.

4.3.2 Grundverhaltensweisen im Geräteturnen

Innerhalb des Geräteturnens, das repräsentativ für alle technisch-kompositorischen Sportarten steht, verortet Söll die angestrebten Leistungsziele in der Bewegung selbst. Die Struktur des Geraräteturnens konstituiert sich aus drei Komponenten, der Bewegungsvielfalt, der Bewegungsschwierigkeit und der Bewegungsqualität. Letztere steht im Erlernungsprozess der Bewegungen für Söll im Vordergrund und kennzeichnet somit das Geräteturnen als eine „ästhetische/künstlerische […] Kunstsportart“ (ebd., S. 66). Die pädagogische Begründung basiert hier also auf einer leistungsorientierten Bewegungserfahrung mit ästhetischer Gewichtung.

4.3.3 Grundverhalten im Sportspiel

Mit dem Sportpiel beschreibt Söll die dritte autonome Gruppe der Sportarten. Zentrales Merkmal hier ist das reziproke Spannungsverhältnis zwischen den Teilnehmern. Aus der Tatsache heraus, dass „der Gegenspieler zugleich Mitspieler ist, generiert sich der Kernpunkt des Fairneßproblems“ (ebd., S. 67)und bildetet zugleich einen verbindlichen, strukturellen Handlungsrahmen. Ziel des Sportspiels ist es,sich innerhalb der konventionellen Vorgaben, die das Erlaubte abstecken,durch Einsatz von technischen und taktischen Mitteln, einen Vorteil zu verschaffen. Somit konstituiert die Strukturformel des Sportspiels im „Gebot der Effektivität sowohl in der der Anwendung der technischen als auch taktischen Mitteln“ (ebd., S.67). Das Grundverhalten im Sportspiel generiert insofern ein erziehendes Moment, als dass es die partizipierenden Schüler zu einer Verhaltensänderung zu Gunsten der Teameffektivität leitet. Schüler müssen sich demnach mit all ihren technischen und taktischen Möglichkeiten „in ein geschlossenes, hierarchisch gegliedertes soziales System einbringen“ (ebd., S. 67). Die Grundstrukturen des Sportspiels simulieren also die Voraussetzungen der Gesellschaft und ihrer Ansprüche an inkludierte Individuen.[9]

4.4 Das Kontinuum der Sportartengruppen

Jedes der drei skizzierten Beispiele steht repräsentativ für eine große Gruppe von Sportarten. Diese drei Bereiche stellt Söll in der Form eines Kontinuums dar:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 4: Kontinuum der Sportarten nach Söll (1996,S. 67).

- In der Mitte platziert er die Leichtathletik und weitere Sportarten die sich in ihrer Grundverhaltensweise an einer reinen Optimierung von messbaren körperlichen Leistungen orientieren. Hierzu zählt zum Beispiel auch Rudern oder Gewichtheben, also quantifizierbare Sportarten im engeren Sinn (vgl. ebd., S. 67).
- Auf der linken Seite leiten die Kunstsportarten via Gymnastik über zum Bereich der Bewegungskunst. Zusätzlich zum stellvertretenden Geräteturnen beinhaltet dieser Bereich zum Beispiel auch Ballett, Tanz und Pantomime.
- Auf der rechten Seite schließen die Sportspiele an. Zum Bereich „Spiel“ zählt Söll jegliche Geschicklichkeits- Kinder und Darstellungsspiele.

Um Sölls Argumentationslinie zur Sachimmanenz des Sports abzuschließen, sollen an dieser Stelle die zwei zentralen Thesen des Sportartenkonzepts rekapituliert werden:

1. Sportarten sind im Rahmen definierter Kategorien nicht austauschbar
2. Sportarten müssen gemäß ihrer eigenen Struktur und des eigenen Anspruchs unterrichtet werden

Die im Kontinuum gegeneinander abgegrenzten Sportartengruppen bilden die in These eins definierten Kategorien. Sölls „richtig verstandenes“Sportartenkonzept(Söll, 1996, S.65)postuliert nur dann die von ihm angestrebte Darstellung der Gesamtheit unserer Bewegungskultur, wenn diese Sportartengruppen nicht gegeneinander austauschbar bleiben. Die Bedeutsamkeit der definierten Kategorien liegt in ihrem autonomen Charakter. Der Begriff der Autonomie beschreibt aus seiner Etymologie heraus eine Eigengesetzlichkeit. Diese wiederum verweist auf die zweite These und wird argumentativ zu ihrer tragenden Säule. Die zweite These impliziert, dass jede Sportart über eine einzigartige Strukturformel verfügt, und fordert dann explizit, dass „entsprechend dem ihr immanenten Tätigkeits- und Leistungszielen unterrichtet werden muß“(ebd., S. 68).In der praktischen Ausführung heißt es, dass die Vermittlung von Leichtathletik unverfälscht auf Optimierung, im Turnen auf Bewegungsqualität und im Spiel auf Effektivität hin, ausgerichtet sein muss. Erst nachrangig, so Söll, können Überlegungen darüber angestellt werden, welche gesundheitsförderlichen Effekte, Körpererfahrungen oder sozialen Ziele in jenen vorliegenden strukturellen Rahmenbedingungen realisierbar sind. An dieser Stelle wird deutlich, dass sich das Sportartenkonzept durch eine „Betonung des Sachanspruchs vor jeder vordergründigen Nützlichkeitserwägung“ (ebd., S.68) abhebt. Das Priorisieren der Vermittlung von sportartspezifischen Fertigkeiten und Fähigkeiten vor einer pädagogischen Zielsetzung, wird also von der Grundannahme gestützt, dass pädagogische Interventionen „nur aus einer ernsthaften Auseinandersetzung mit eben diesem Bildungsgegenstand erwartet werden“ (ebd., S. 68) können.

4.5 Leitziel einer allgemeinen körperlich/sportlichen Ausbildung

Als zweites zentrales Leitziel benenntSöll die allgemeine körperlich-sportliche Ausbildung. Die Notwendigkeit einer breiten Schulung von Grundfertigkeiten und Fähigkeiten sieht er ausreichend darin begründet, dass zum qualitativen Praktizieren der Sportarten im Schulsport gewisse Grundvoraussetzungen unabdinglich sind. Im Prinzip verfügt das zweite zentrale Leitziel jedoch über keine eigene Legitimationsstruktur, sondern wird aus rein pragmatischen Gründen aus dem erstgenannten Leitziel abgeleitet. Das heißt in der praktischen Anwendung: Wer Fußball spielen möchte, muss einen Fußball treten und einige Zeit rennen können. Gewisse körperliche Grundvoraussetzungen müssen also innerhalb des Sportartenkonzepts gegeben sein, um eine sinnvolle Beschäftigung mit den Sportarten innerhalb des Unterrichts realisieren zu können. Söll plädiert dafür, dass der Prozess der Aneignung einer allgemeinen körperlich-sportlichen Ausbildung „nicht wenig mit Erziehung zu tun hat“(ebd., S.68). Nähere Details dazu, also welche Möglichkeiten zur Realisation von pädagogischen Interventionen bereitstehen, gibt er allerdings nicht an.

4.6 Sölls Argumentationsstruktur im Überblick

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb.5: Ziele und Aufgaben des Sportunterrichts nach Söll (1996, S.71)

1. Die übergeordnete Aufgabe des Schulsports ist Erziehung.
2. Erziehung begründet sich aus einer Einführung in die gesellschaftliche Bewegungskultur respektive Bewegungsbildung.
3. Erziehung begründet sich aus der Gewährleistung einer körperlichen Ausbildung.
4. Sowohl die Bewegungsbildung als auch die Körperbildung rekurrieren auf eine grundlegende Auseinandersetzung mit Bewegungsproblemen.
5. Es können drei Bewegungsstrukturen differenziert werden: Die sportlich-künstlerische Bewegungsstruktur, die sportlich-spielerische Bewegungsstruktur und die im engeren Sinne sportliche, also auf Optimierung ausgelegte, Bewegungsstruktur.
6. Zur adäquaten Bewältigung der bewegungsstrukturimmanenten Anforderungen müssen Grundtätigkeit, also Grundfähigkeiten und Grundfertigkeiten erworben werden.
7. Bewegungsstrukturen konkretisieren sich im Rahmen des Schulsports als Sportarten.

Sölls Ansatz ist in erster Linie ein Versuch sich von der „reinen Abbild-Didaktik“(Prohl, 2006, S.106) der Curriculumtheorie abzusetzen. Hierzu erweitert er die bisherige rein pragmatisch-qualifizierende Aufgabe des Schulsports um eine legitimierende pädagogische Perspektive. Dies erreicht er, indem er demSport, zusätzlich zur historisch kulturellen Bedeutung,einen latenten erzieherischen Charakter attestiert. Sein Plädoyer für ein richtig verstandenes Sportartenkonzept, und zugleich der Versuch sich von der reinen Curriculumtheorie abzuheben, beruht also darauf, dass er diepädagogische Begründung für das Fach Sportin die Sportarten selbst hineinprojiziert. Zentral dabei ist, dass dies nur funktionieren kann, wenn die in seinem Kategorienkontinuum repräsentativen Sportartengemäß ihrer wahren Sachstruktur vermittelt werden, denn das pädagogische Potential begründet sich auf der Strukturimmanenz der einzelnen Sportarten. Offen bleibt allerdings weiterhin,wie sich diese Sachstruktur der Sportarten auf Schüler auswirken und zu einer nachhaltigenVeränderungin ihrem Verhalten führen sollen. Dazu gibt Söll keinerlei weiteren Begründungen.

Enttäuschend ist, dass er keine detaillierte Auseinandersetzung mit dem Begriff der Erziehung, und der Angabe, unter welchen Voraussetzungen ein Prozess des sozialen Lernens möglich wäre, vornimmt. Die gesamte Unterrichtsstruktur des Sportartenkonzepts ist auf die Vermittlung und Ausbildung von gesellschaftlich vorgegeben Bewegungsstrukturenausgelegt. Die pädagogische Sonderrolle des Sportunterrichts wirkt dabei wie künstlich übergestülpt. Es gibt innerhalb des Sportartenkonzepts keine methodischen Überlegungen im Bereich der Vermittlung von sozialen Kompetenzen. Die Hoffnung, dass pädagogische Ergebnisse sich alleine schon aufgrund des regelmäßigen Sporttreibens einstellen werden (vgl. Söll,1996, S. 68), genügen nicht und halten keiner kritischen Überprüfung stand; vor allem nicht um den Sportunterricht im Kanon der restlichen Schulfächer als gleichwertig zu behaupten. Wie im Verlauf dieser Arbeit bereits gezeigt werden konnte, ist die einzig wirklich existentielle Funktion des Sportunterrichts, die Vermittlung von sozialen Kompetenzen. Gerade diese Funktion des Schulsports wird im Sportartenkonzept nur aus einer impliziten Annahme heraus abgeleitet und erhält keine weitere Reflexion bzgl. ihrer Grenzen und Möglichkeiten. Aber insbesondere weil eine empirische Rückführung von der Ausbildung von positiven sozialen Eigenschaften auf einzelne Interventionen im Sportunterricht aufgrund der hohen Anzahl der unüberblickbaren Variablen im Längsschnitt quasi unmöglich ist (vgl. Cachay-Kastrup, 2006), muss umso mehr eine überzeugende, kohärente, hermeneutisch abgesicherte Theorie vorliegen.

Neben einer einer fehlenden explizit argumentativen Grundlage zur Möglichkeit von pädagogischen Interventionen im Sportunterricht, spricht sich Söll dafür aus, dass der „Wichtigkeit der Lehrerrolle [kein] sonderlich herauskehrendes Erziehungsverständnis“ (Söll, 1996, S.68) zugeschrieben werden muss. Die Ableitung dieser Aussage scheint aus seinen theoretischen Vorüberlegungen auch wirklich zuzutreffen, denn wenn die Erziehung von Schülern alleinig durch sportimmanente Strukturen abläuft, ist der Lehrer nahezu redundant; zumindest kann er ohne große Schwierigkeiten von alternativen Berufsgruppen wie Trainer oder Übungsleiter ersetzt werden.

Eine den Sportlehrer und die Erziehungsfunktion legitimierende Theorie, kann Söll in seinem didaktischen Ansatz der „richtig verstandenen Sportarten“ also nicht bieten. Es gelingt ihm auch nicht, den Vorwurf der Abbilddidaktik, einer Didaktik der reduzierten Ansprüche zu überwinden.Diese These soll am Beispiel desSchulturnens kurz erläutert werden.

4.7 Turnen gemäß des Sportartenkonzepts

Laut des siebten Argumentationspunktes von Söll, konkretisieren sich Bewegungsstrukturen des Schulsports in Sportarten. Die Kategorie der Kunstsportarten wird hier hauptsächlich auf das Geräteturnen reduziert. Ein Hauptvertreter des Sportartenkonzepts im Bereich Turnen ist Kurt Knirsch. In zahlreichen Abhandlungen formuliert er Methoden und Vermittlungskonzepte des schulischen Turnens. In Anlehnung an Söll sieht er ebenfalls das Turnen als „unverzichtbaren Bestanteil der sportlichen Grundausbildung“in der Schule (Knirsch, 2001, S.1). Er plädiert für eine körperliche Gesamtentwicklung von Kindern durch turnspezifische Kraft- und Beweglichkeitsanforderungen (vgl. ebd.). Diese Gesamtentwicklung setzt sich programmatisch und hierarchisch geordnet aus mehreren Bestandteilen zusammen. Hierzu gehören(ebd.,1996, S.10):

- bewegungsanalytische Aufbereitung der Turnelemente,
- verstärkte Berücksichtigung von informationstheoretischen Erkenntnissen,
- intensive kognitive Auseinandersetzung mit dem Bewegungsablauf,
- bewusste Entwicklung von Vorstellungs- und Beobachtungsfähigkeit auch im Zusammenhang mit Fehlerkorrektur,
- intensive Nutzung von Bewegungswahrnehmungen,
- integrierte gymnastische Ausbildung und
- altersgemäße Entwicklung der allgemeinen und turnspezifischen Voraussetzungen.

Auffällig ist, dass keiner der von Knirsch aufgeführten Punkte in irgendeiner Weise, also weder explizit noch implizit, eine Vermittlung von sozialen Kompetenzen abdeckt oder fördert. Dies hat System, denn Knirsch sieht keinen nennenswerten Unterschied zwischen Schule und Verein, was die Vermittlungsinhalte des Turnens betrifft. Ganz im Gegenteil, unter der offiziellen Schirmherrschaft des Ministeriums für Kultur, Jugend und Sport und „in vorbildhafter Zusammenarbeit mit dem Beirat Schulsport des Badischen und Schwäbischen Turnerbundes“, wurde erst 2001 ein gemeinsamer Leitfaden[10] erstellt, der „den Sportlehrerinnen und Sportlehrer im Schulalltag eine wertvolle praktische Hilfe für die Vorbereitung und Durchführung des Turnunterrichts“ bietet (Knirsch, 2011, S.1). Dabei wird dieser Leitfaden Turnen in der Schule ebenso von Turnbünden in der Ausbildung von Übungsleitern“[11] eingesetzt (ebd.). Damit ist eine Verzahnung des Turnunterrichts in den Schulen mit dem Turnunterricht in den Vereinen erreicht, die zu einem gemeinsamen methodisch-didaktischen Vorgehen im Bereich der Talentförderung führen kann“ (ebd., 2001, S.1.) Welche Information und Forderungen enthält dieser Passus? Einerseits wird von höchster schulrechtlichen Ebene, also der Landesebene, eine Anpassung der Inhalte im schulischen- und Vereinsturnen initialisiert; dies schließt auch eine einheitliche Vermittlungsmethode des Geräteturnens von Lehrern und Übungsleitern ein. Bei diesem einseitigen Anpassungsprozess wird einmethodisch-didaktisch Vorgehen zur Optimierung der Talentförderung und Talentsuche in der Schule angestrebt. Im Fokus dieser Bemühungen und in der Tradition des Sportartenkonzepts, steht also primär der „Erwerb von geräteturnspezifischen Fertigkeiten und Techniken für die Ausbildung der koordinativen und konditionellen Fähigkeiten“(ebd., S.2).Die Entwicklung des sozial-emotionalen Bereichs, also das Aufzeigen „wie man gemeinsam eine Aufgabe lösen kann“ und „Verständnis für den Partner“ (ebd., 1976, S.13) aufbringt, werden als nachgeordnete, aus der Sachstruktur des Turnens von alleine entspringende, Erfahrungen betrachtet. Knirsch sieht in seiner Hinwendung zur Methodik des Sportartenkonzepts im Turnen drei Wissenschaftsbereiche beteiligt (ebd., 1996, S.12):

- Die Naturwissenschaftliche Zuwendung zur Bewegungslehre mit ihren biomechanischen, funktionalen und analytischen Ansätzen,
- die trainingswissenschaftlichen Erkenntnisse aus der Biologie und Trainingslehre und
- die erziehungswissenschaftlichen Schwerpunkte mit Pädagogik und Psychologie.

Bei der Verschränkung der Forschung der drei genannten Bereiche stützt sich Knirsch auf Veröffentlichungen aus der ehemaligen UdSSR und der DDR, sowie der BRD in den Jahren zwischen 1972 und 1993. Knirsch nutzt sein Konzept des „Theorie-Praxis-Verständnis“, für eine „Lernzeitverkürzung bei gleichbleibender Qualität“, sowie zur „Erarbeitung der konditionellen und koordinativen Fähigkeiten im Kindesalter“ (ebd., S.12).

Der zentrale Punkt der hier gezeigt werden sollte, ist: Innerhalb der theoretischen Grundannahmen des Sportartenkonzepts und bei seiner praktischen Anwendung im Schulsport, wird die Vermittlung der Sportarten als fixes Kulturgut mit immanenter Sachstruktur betrachtet. Die Vermittlungvon Sozialkompetenzen erfährt keine gesonderte Aufmerksamkeit, sondern ist eine logische Schlussfolgerung aus der korrekt ausgeführten Sportart. Söll und Knirsch stellen sich erst gar nicht die Frage ob, wie, und unter welchen Bedingungen Erziehung im Schulsport funktionieren kann. Sie setzten sie einfach voraus. Daher muss im Folgenden die Frage beantwortet werden, ob Erziehung im Schulsport tatsächlich nur als ein Epiphänomen der Sachstruktur von einzelnen Sportarten zu betrachten ist, oder als eine eigenständige Struktur verstanden werden muss, die eigenen Gesetzmäßigkeiten folgt und sich nicht ohne weiteres als ein Nebenprodukt ableiten lässt. Im letzten Abschnitt dieser Arbeit sollen nun der Begriff der Erziehung,und die strukturellen Rahmenbedingungen zur Erziehung innerhalb der Organisationsstruktur der Schule,genau untersucht werden. Es sollen die Bedingungen zur Möglichkeit von Erziehung im Sportartenkonzept offen gelegt, und auf Ihre theoretische Wirksamkeit hin, geprüft werden. Sollte Erziehung, so wie Söll sie darstellt, im Schulsport nicht möglich sein, ist das Sportartenkonzept als vorherrschendesdidaktisches Modell des Schulsportunterrichts maßgeblich und systematisch am Wertschätzungsverlust des Sportunterrichts und er Sportlehrerrolle beteiligt.

5 Erziehung im Schulsport

Bisher wurden im Rahmen der Beweisführung zur dritten Prämisse die Ziele und Umsetzungsmethoden des Sportartenkonzepts erörtert. Offen geblieben ist bis jetzt noch weitgehend welche Lerntheorie und welche anthropologischen Grundannahmen dieser Konzeption zu Grunde liegen, und an welchem Erziehungsbegriff es sich orientiert. Lerntheorie und Anthropologie sind zentrale Determinanten des Erziehungsbegriffs und gehören somit zum Kernproblem der Sportpädagogik. Innerhalb Kernproblembereichs müssen zunächst zwei Abstraktionseben gegen einander abgegrenzt werden. Jeder Abstraktionsebene kann eine Frage zugeordnet werden. Innerhalb der Ersten wird die Frage nach der „richtigen“ Erziehung gestellt. Die Bearbeitung dieses Problems hat eine bis in die Antike reichende Tradition und umfasst einerseits das diskrepante „Verhältnis zwischen Individuum und Gesellschaft“, und andererseits die „Bedeutung der Leiblichkeit und Bewegung in der Erziehung“ (Prohl, 2006, S. 84f.). Die zweite Abstraktionsebene trägt einen weitaus jüngeren Fragekomplex, operiert auf einer analytischen Metaebene und befasst sich mit der grundsätzlichen Möglichkeit der Erziehung von Individuen innerhalb der gesellschaftlichen Teilsystems der Schule. Interessant für die Untersuchung dieser Arbeit, ist die Positionierung des Sportartenkonzepts innerhalb der beiden Abstraktionsebenen.

5.1 Anthropologie, Lerntheorie und Ausrichtung der schulischen Lerninhalte im Spannungsfeld zwischen Individuum und Gesellschaft

5.1.1 Anthropologie

Mit der Entstehung des Begriffs der Pädagogik in der antiken Klassik beginnt ein bis dato nicht aufgelöstes Spannungsverhältnis zwischen eines am Interesse des Individuum, oder am Interesse des Kollektivs, orientierten Erziehungsbegriffs. Der Homo-Mensura-Satz,[12] und die dialektischen Auseinandersetzungen mit dem platonischen Sokrates, bilden hier den historischen Ausgangpunkt. Ausgehend von der begrifflichen Diskrepanz des klassischenAgogos[13] exemplifiziertProhl (2006) in diesem Zusammenhang aus einer problemgeschichtlichen Perspektive der Pädagogik heraus, eine Wiederkehr im Wandel. Damit schreibt er dem historischen Verlauf der Erziehung eine in „Pendelschwünge“ angeordnete, sich dynamisch wandelnde Struktur zu.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb.6: Spannungsverhältnis zwischen Individuum und Gesellschaft in der Leibeserziehung, (Prohl,2006,S. 84)

Prohl setzt seine Beobachtung bei Rousseauan. Dieser entwirft das anthropologische Bild eines „edlen Wilden“ und seines Versuchs, das Zeitalter der Dekadenz, also den Verfall der Gesellschaft, aufgrund gravierender materieller und sozialer Ungleichheit, durch die Natürlichkeit der menschlichen Milde zu überwinden. „Der Mensch wird frei geboren und liegt überall in Ketten“(Rousseau, 1762, S.86) und der einzige Ausgang aus dieser „selbstverschuldeten Unmündigkeit“ (Kant, 1783, S. 516) ist eine Neubegründung der gesellschaftlichen Werte. Die Lösung findet Rousseau in der veranlagten Natur des Individuums. Die negative Erziehung legt ihren Fokus auf die Entfaltung der Interessen des Einzelnen. Die Summe der Einzelnen jedoch, frei von Neid, Habgier und anderen negativen, rein gesellschaftlich vermittelten Attributen, formiert sich zumsich selbst regierenden Souverän, und achtet die Interessen jedes Mitglieds als essentielle Voraussetzung der Souveränität per se. Dabei stellt diese Form des volontegenerale (vgl. Rousseau, 1762), des Allgemeinwillens des Volkes, die herausragende Bedeutsamkeit des Individuums dar. Der Mensch denkt und entwickelt sich selbst, so der Tenor des Zeitalters der Aufklärung. Im Gegensatz zu dieser These dient Erziehung aus der Sicht der Philanthropen und der Begründer des preußischen Schulturnens, einem kollektiven Zweck. Insbesondere durch pragmatisch und systematisch angelegte Ansätze der Leibeserziehung soll das Individuum seine natürlichen Grundanlagen vervollkommnen. Nur so findet der zur Tüchtigkeit erzogene Bürger seinen Platz im Ensemble der gesellschaftlichen Arbeitsgemeinschaft. Nur so kann der Mensch zu einem obrigkeitshörigen, dem übergeordneten Zweck dienlichen Bürger werden. Im weiteren Verlauf ziehensich die Pendelschwünge über die Reformpädagogische Leibeserziehung, zum Nationalsozialistischen Rassenkult, die DDR-Körpererziehung, der Theorie der Leibeserziehung in der Nachkriegszeit, bis hinzu zum Sportcurriculum der 70-ger Jahre. Dabei wechselt die Perspektive der Erziehung kontinuierlich ihre Ausrichtung vom Individuum zum Kollektiv. Das Erziehungskonzept der Sportarten ist, aufgrund seiner bereits diskutierten Artverwandtschaft zum Sportcurriculum, auf der Kollektivseite zu verorten. Das heißt im Näheren, die vermittelten Inhalte und angestrebten Ziele des Sportunterrichts sind gesellschaftlich relevanten Inhalten entlehnt. Sie folgen der Idee einer Erziehung zur Gesellschaft und nicht wie Rousseaus Ansatz, zur ihrer Überwindung[14].

Entlang der grundsätzlichen gesellschaftlichen Forderung nach einem reproduktiven Erlernen von Sportarten als Kulturgut, lässt sich also das anthropologische Bild des didaktischen Konzepts der Sportarten beschreiben. Es ist von einem Kollektivitätsgedanken geprägt und bedient sich der lerntheoretischen Idee eines Input-Out-gesteuerten Individuums.

5.1.2 Lerntheorie

Das Sportartenkonzept ist in seiner didaktischen Beschaffenheit dem bildungstheoretischen Ansatz entlehnt, und geht in seiner Begründung auf frühe Ausführungen Klafkis zurück. Dieser modifizierte sein bildungstheoretisches Konzept zwar mehrmals[15], aber dennoch blieb Grundidee seit der ursprünglichen Fassungunverändert. Zentrale Aufgabe der Didaktik und hieran orientieren sich sowohl das Sportcurriculum als auch das Sportartenkonzept nach Söll,ist die Auswahl der Lerninhalte in Hinblick auf ihre Nützlichkeit für das spätere Leben. Dies bildet in Klafkis didaktischer Analyse den ersten und bedeutendsten Punkt. Das Problem an SöllsKozeptist nun aber genau die starre Orientierung an inhaltlichen Vorgaben. Diese weitet sich auf die Vermittlungsmöglichkeiten im Rahmen des Sportunterrichts aus, denn „wo zu festgelegten Zeitpunkten bestimmte Ziele erreicht und in einer standardiserten Form überprüft werden müssen, richtet sich […] der Vermittlungsprozess an dieser Überprüfung aus“ (Fromm, 2012, S. 55). Daraus resultiert, dass Inhalt und Methodik in einer Form vermittelt, werden die der standardisierten Überprüfung äquivalent ist, und somit einer offenen und autonomen Auseinandersetzung mit den Inhalten entgegen läuft.Diese Methode des Verabreichens von Inhalten oder dem Befüllen der Schüler ist als der „Nürnberger Trichter“ berühmt geworden und entspringt der Katechese-Tradition aus der mittelalterlichen Scholastik. Im Sportartenkonzept spielt diese Art der Planung von Lernprozesseneine entscheidende Rolle,denn:

- Zum einem ist das Trichtermodell prädestiniert für rein von außen gesteuerte Reproduktionsleistungen. Das heißt im konkreten Fall, dass jeder zu lernen hat wie Fußball gespielt werden muss. Dies geschieht nach offiziellen, also von außen bestimmten, mehr oder weniger historisch, oder willkürlich gesetztenRegeln.
- Zum anderen kann das Trichtermodell „innere Vorgänge der Lernenden“ (ebd., S.55) ignorieren, denn es geht nur um die Überprüfung einer reproduzierten Leistung, die von außen klar bewertet werden kann. Eine Einsicht in den Lernprozess und die weiteren, ableitenden Verarbeitungsvorgänge des Inhaltes innerhalb des Schülers bleiben systematisch unberücksichtigt.

Dies bedeutet, dass innerhalb des Sportartenkonzepts die zentraldeterminierende Größe die inhaltlichen Vorgaben des bildungstheoretischen Konzepts sind. Mit der inhaltlichen Ausrichtung werden gleichermaßen strukturelle Vorgaben für die lerntheoretische Grundhaltung zum Schüler gesteckt. In einer idealtypischen Vereinfachung lässt sich das Sportartenkonzept dem pädagogischen Typ zuordnen, welcher für eine mögliche und hohe Außensteuerung des Schülers steht. Der Schüler kann in diesem Rahmen nicht anders wahrgenommen werden, als in Form einer Art„Black Box“ (Watzlawick, 2011, S.25). Die Intentionalität des Individuums, also die Selbstständigkeit von kognitiven und emotionalen Prozessen eines Schülers, muss ihn diesem didaktischen Konzept keine Beachtung erfahren, was dazu führt, dass das Lernen als reines Speichern verstanden wird.In diesem Kontext sprechen Luhmann und Schorr(1988, S.8) von einer Betrachtungsweise der Schüler als „Trivialmaschinen [...],[denn] das psychische System soll daran eine Transformationsfunktion lernen, die es bei entsprechenden Situationen“ zu einem gesellschaftskonformen Verhalten befähigen soll. Wenn die Kommunikation, also die Aneignung eines feststehenden Inhalts, als Input und das erwartete Verhalten alsOutput gesehen wird, so befindet man sich in der klassischen behavioristischen Theorie. Wie bereits dargestellt, spielen innerhalb der behavioristischen Sichtweise die in der „Blackbox“ angesiedeltenBewusstseinszuständekeine Rolle, denn sie seien, so Watson (vgl. 1913), im Gegenteil zum beobachtbarem Verhaltennicht objektiv verifizierbar, und sind daher für eine Prognose und Kontrolle des Verhaltens kaum geeignet.

Die lerntheoretischen Grundannahmen innerhalb des Sportartenkonzepts richten sich also streng entlang der durch den Inhalt determinierten strukturellen Vorgaben. Diese Form der Didaktik initiiert eine Methodik der Reproduktion und generiert das Bild des Schülers als programmierbare Trivialmaschine.

5.1.3 Inhaltliche Ausrichtung am außerschulischen Sport

Als didaktische Position orientiert sich das Konzept der Sportarten am außerschulischen Sport. Die kulturell bedingte Reproduktion von Traditionenund Reglements, also die genaue Vorgabewie eine Sportart ausgeübt werden muss, findet innerhalb des gesellschaftlichen Teilsystems des Sports sowohl im Breitensport, als auch im wettkampforientierten Spitzensport, statt.

Wie bereits dargelegt, ist für Söll die primäre Eigenschaft des Sports, die Selbstgenügsamkeit seiner selbst. Der autotelische Charakter beschreibt demnach das Phänomen des auf sich selbst gerichtet Seins. Dies wiederum impliziert, dass Sport „nicht auf bestimmte Funktionen festgelegt [wird] und prinzipiell folgenlos“ (Söll, 1996, S.65) bleibt. Zusätzlich dazu ist Sportals eigenständiges, ausdifferenziertes gesellschaftliches Teilsystem mit einer eigenen spezifischen Kommunikation ausgestattet und besitzt eine systemspezifische Handlungslogikdie sich innerhalb der beiden Handlungspoledes Systemcodes Sieg/Niederlage aufspannen. Was geschieht nun im didaktischen Modell der Sportarten? Es wird versucht autotelische Inhalte eines eigenständigen Teilsystems in ein anderes gesellschaftliches Teilsystem zu transferieren, und zwar in das Erziehungssystem. Das Erziehungssystem verfügt derweil aber über eine eigenständige, systemimmanente Handlungslogik und über zwei, an ihrer gesellschaftlichen Aufgabe ausgerichteten, Systemcodes, und einen, in der Schulpflicht verankerten, regelinklusiven Charakter. Die unreflektierte Übernahme des Inhalts, beziehungsweise der Sachstruktur der Sportarten aus dem Teilsystem des Sportsin das Erziehungssystem, bringt eine Reihe von Widersprüchlichkeiten mit sich, denn dieser Transfer „bedeutet, dass […] das gesellschaftliche Phänomen Sport entsprechend der in der Schule herrschenden autonomen Sinnstrukturen umdefiniert wird“ (Prohl, 2006, S.94).

Ein Übertrag des autotelischen, rein auf Freiwilligkeit und Sinnfreiheit basierenden Charakters des Sports, in ein auf Reproduktion, Selektion und Trivialität ausgelegtes Didaktikmodell, erscheint daher als paradox (vgl.Volkamer, 2003). Im Folgenden soll nun diese nur kurz umrissene Paradoxie des Sportunterrichts besonders im Hinblick auf das Sportartenkonzept genau erörtert werden. Hierzu soll zunächst die genaue „Kernsituation“ der Schule als Erziehungssystem analysiert, und der Erziehungsbegriff im systemtheoretischen Ductus formuliert werden. Anschließend muss gezeigt werden, wie hieraus ein „Grundwiderspruch zwischen dem pädagogisch-anthropologischen Menschenbild (Nicht-Trivialität), […]Erziehungsprogrammen (Bildung)“(Prohl, 2006, S.95), und des auf Trivialität basierenden Selektionscodes, sowie derfixierten inhaltlichen Sachstruktur des Sports, entsteht.

5.2 Erziehungsbegriff und Kernsituation der Schule

5.2.1 Erziehungsbegriff im systemtheoretischen Ductus

Bisher wurden das anthropologische Bild und die Lerntheorie aus einer bildungstheoretischen Perspektive skizziert. Als zentraler Begriff zur Beschreibung der Lerneigenschaft von Schülern hat sich das Hilfskonstrukt der Blackbox herauskristallisiert. An dieser Stelle wird deutlich, dass jedeweitere Argumentation aus diesem pädagogischen Gesichtspunkt heraus abgeleitet auf einem dogmatischen Abbruch fußt, denn das Subjekt, also die Blackbox, ist nichts weiteres, als eine erkenntnistheoretische Annahme, gestützt von einer behavioristischen Theorie.Bei näherer Betrachtung entpuppt sich aber jede Diskrepanz innerhalb der Diskussion um das richtige didaktische Konzept als rückführbar auf ein differentes Menschenbild. So nun auch im Sportartenkonzept, denn Söll benutzt „den Subjektbegriff […] als eine Art Leerformel oder Platzhalter für psychische Systeme“ (Luhmann, 2005, S.184), weil er bereits ein bestimmtes Menschenbild, in diesem Fall ein reduktionistisches, voraussetzt, und sich nicht weiter mit internalen, subjektiven Prozessen und ihrer Bedeutung für das Lernen beschäftigt. Dies heißt wiederum aber, wie bereits in den näheren Ausführungen zu Sölls „richtig verstandenen“ Sportartenkonzept konstituiert, dass die tragende pädagogische Grundannahme, also das eine Erziehung durch Sport möglich ist, zu keinem Zeitpunkt einer kritischen Reflexion unterzogen wurde oder wird. Soll es nun zu einer konstruktiven Dialektik in der Diskussion der didaktischen Konzepte kommen,so muss eine grundlegende Einigung auf der basalen Ebene der Diskussion erfolgen. Gerade hier bietet sich ein systemtheoretischer Analyserahmen an. Zum einen, weil bereits 2001 für den „Zweck einer vergleichenden bildungstheoretischen Systematisierung sportdidaktischer Konzepte“ (Prohl, 2006, S.98) eine Schnittstelle zwischen Pädagogik und der Systemtheorie von Benner(2001) gelegt wurde. Benner orientiert sich in seiner Allgemeinen Pädagogik, ähnlich wie Luhmann, an funktionsspezifischen Ausdifferenzierungsprozessen in der modernen Gesellschaft. Dabei führt er die Begriffe konstitutive und regulative Prinzipien ein, anhand welcher das argumentative Gerüst von pädagogischen Theorien geprüft werden soll. Zum anderen bietet der systemtheoretische Ansatz einen maximalen Abstraktionsgrad und schafft die Möglichkeit sowohl auf der Ebene der gesellschaftlichen Teilsysteme, der Organisationsebene, der Ebene von Gruppen, der Interaktionsebene und schließlich auch auf der Ebene von Individuen oder Subjekten, zu operieren, und somit auch differenzierte Aussagen über das Lernverhalten und die genauen Abläufe von Lernprozessen treffen zu können.

5.2.1.1 Subjekt

Autopoetische Systeme:Subjekte werden als personale, soziale und biologische Systeme stets durch einen autopoetischen Charakter typisiert. Die Tradition des Prinzips der Autopoiesis, also einer „Selbstproduktion“, oder besser einer „Selbst-reproduktion“, hat ihre Wurzel in der späten Renaissance und dem Humanismus. Baruch Spinoza begründete den Begriff des Conatus, eines besonderen Existenz- und Lebenstriebes, der den Menschen als ein in seinen Gedanken und seiner Biologie reproduktives Wesen, zeichnete. Spinoza legte mit seiner ausgefeilten ontologischen Erkenntnis- und Emotionstheorie den Grundstein für die Forschungen von Nietzsche und Freud. Auch die Biologie des 20. Jahrhunderts knüpfte an jene Überlegungen an, und Humberto Maturana zog die erkenntnistheoretische Position des radikalen Konstruktivismus zur Beantwortung der Frage „Was ist Leben“, heran. Frühere Modelle betrachteten die Identität des Menschen in seiner Seele oder in seiner körperlichen Materie konstituiert. Nach fortscheitender biologischer und medizinischer Forschung musstenaber beide Thesen verworfen werden. Die Seele, weil sie keiner empirischen Untersuchung zugänglich ist, und die Materie, weil jeder Mensch Zeit seines Lebens einer kontinuierlichen biologischen Umwälzung unterliegt. Das heißt, Zellen unterliegen einer Apoptose und werden neu generiert. Die Identität des Menschen bleibt aber bestehen, obwohl er Jahre später aus völlig neuem Material zusammengesetzt ist. Was genau aber macht nun einen Menschen aus? Diese Überlegungen führten zur der Annahme, dasssich der biologische Organismus immer wieder gemäß einer genetischen Codierung selbst reproduziert, und dies in einer ganz spezifischen, ihn von allen anderen Organismen unterscheidenden, Weise. Das heißt, die Identität eines biologischen Systems besteht nicht in einer statischen Existenzform, sondern gerade in einer kontinuierlichen Dynamik der Reproduktion seiner selbst. Das Prinzip der Autopoiesis bildet auch den Grundstock der Systemtheorie und die Projektion dieser in die Pädagogik ermöglicht eine explizite Betrachtung der Bestandteile eines Subjekts. Zugegebenermaßen die Idee, dass die Erziehung eines Menschen, schlussendlich nur durch ihn selbst vollzogen werden kann,ist nicht neu. Dieses Postulat lässt sich von Sokrates über Comenius, bis hin zu Spranger verfolgen. Jedoch ist Idee der Konstruktion der eigenen Identität von Systemen aktuell, denn es bedeutet, dass „die Elemente, aus denen sie bestehen, durch das Arrangement der Elemente, aus denen sie bestehen“ (Luhmann, 1982, S.374) reproduziert werden. Der autopoetische Charakter unterscheidet somit biologische Systeme von Maschinen, oder in anderen Worten, nicht-triviale, sich selbst mit Sinn besetzende Systemen, von trivialen, mit Sinn fremdbesetzten Systemen. Da Systeme ihre Identität grundsätzlich und immer wieder selbst konstruieren und sich dabei auf sich selbst beziehen, werden sie als selbstreferentiell bezeichnet, was so viel bedeutet wie, dass „jeder Umweltbezug nur als Selbstbezug stattfinden kann“ (Schimank, 1988, 57). Den „kontinuierlichen Vorgang der Selbstreproduktion“ bezeichnet Schimank als transitorisch. In anderen Worten, „die je vorhandenen Systemelemente müssen beständig ihre Plätze räumen, um nachdrängenden neuen Platz zu machen“ (ebd.). Diese Vorstellung kann für jegliche biologische, psychische und soziale, durch Kommunikation bestimmte Systeme, angewandt werden. Der kontinuierlich flüchtige,und kontingente Charakter lässt sich sowohl bei psychischen Systemen mit dem Operationsmodus Bewusstsein, und bei sozialen Systemen mit dem Operationsmodus Kommunikation, beobachten (vgl. Luhmann, 1982). Gedanken und Worte sind demnach flüchtige, stets dem Prinzip der Reproduktion unterliegende, Elemente. Beide Systeme reproduzieren immer wieder vergehende Ereignisse, aber immer in einer besonderen Art und Weise. Somit besitzt jedes System eine identitätsspendende immanente Handlungslogik. Menschen können demnach, alternativ zur Sichtweise der Blackbox,als psychische und soziale Systeme angesehen werden, die aufgrund ihrer spezifischen Vorerfahrung eine immanente Handlungslogik und eine individuelle Kommunikation entwickeln, und diese in einem fortlaufenden Prozess aufgrund von Umweltbezügen, die immer durch einen persönlichen Wahrnehmungsfilter interpretiert werden, als Selbstbezüge erfahren.

5.2.1.2Sozialisation

Aus diesem Kontext heraus lässt sich die Sozialisation eines Individuumsimmer als eine Selbstsozialisation verstehen[16]. Die Simultanität von Bewusstsein und Kommunikation ermöglicht einen Einblick in die Gedankenwelt eines Subjekts. Die evolutionäre Ausbildung der Sprache und Gestik reduziert die von Grund auf vorherrschende doppelte Kontingenz aller Kommunikationsakte, wobei „auf Seiten der sozialen Systeme[…] dieser Eigenschaft psychischer Systeme vor allem dadurch Rechnung getragen [wird], daß Kommunikationen ihre Themen so zuspitzen, daß der angebotene Sinn angenommen oder abgelehnt werden kann“ (ebd. S. 185). In der Sozialisation geht es also primär um Anpassung oder Widerstand gegenüber den äußeren Systemen, beziehungsweise Umweltbezügen. Dieser Prozess der Selbstsozialisation muss „mithin als ein Prozess der Bildung von Erwartungen begriffen werden“(ebd., S. 186.) Das heißt, jede Handlung erfolgt im Rahmen einer Selbstanalyse in Bezug auf die Richtigkeit der Erwartungen eines Individuums. Ich erwarte, dass mein Handeln eine bestimmte Konsequenz eintreten lässt. Anhand des Ergebnisses, unbeachtet ob positiv oder negativ, kann ich mich meiner bestätigt fühlen oder meinen Irrtum aufdecken. In beiden Fällen erfüllt die vorgenommene Analyse „ihre Funktion im Persönlichkeitsaufbau und in der Genese vom Ich-Bewußtsein“ (ebd., S. 187). Bei der Kommunikation zwischen sozialen Systemen handelt es sich immer um ein reziprokes Verhältnis, denn eine Nicht-Kommunikation unter Anwesenden ist unmöglich (vgl. Watzlawick, 2005). Aus dieser Wechselseitigkeit der Erwartungsbildung bei Kommunikationsprozessen lässt sich nun also schließen, dass es sich beim Sozialisationsprozess um ein Konzept der Entwicklung von Erwartungserwartungen handelt.

5.2.1.3 Erziehung als arrangierte Selbstsozialisation des Subjekts

Folgt man der bisherigen Argumentation so offenbart sich an dieser Stelle ein wesentliches Problem für den Begriff der Erziehung, zumindest wenn man unter Erziehung eine stabile Input-Output orientierte Verhaltensänderung versteht. Denn wenn alle Umweltbezüge von einem Individuum als Selbstbezüge wahrgenommen werden, das heißt zunächst durch einen ganz persönlichen Erfahrungskatalog gefiltert, und somit nur auf Grundlage der eigenen strukturimmanenten Logik interpretiert werden, so erhält Kommunikation, oder der genannte Input innerhalb der Erziehung, eine wesentlich schmalere Bedeutung wie sie bisher zumindest aus bildungstheoretischer Perspektive postuliert wurde. Diese Tatsache äußert sich im allseits bekannten Phänomen eines verzweifelten Lehrers, der ruft: „Das habe ich euch doch schon 100 Mal erklärt.“In diesem stellvertreten Beispiel zeigt sich die Schwierigkeit allein durch Kommunikation eine Verhaltensänderung im Schüler zu bewirken, denn die Kommunikation kann einfach konträr verstanden, oder in ihrer Sinnstruktur schlicht abgelehnt worden sein, weil sie für den Rezipient mit keiner persönlichen Erfahrung korreliert.Schüler können zahlreiche Ablehnungsmotive besitzen. Nicht nur die Tatsache, dass sie inhaltlich nicht übereinstimmen, oder keine Relevanz in der Folgeleistung sehen, sondern auch einfach aus dem Grund heraus, dasssie nicht erzogen werden wollen (vgl. Luhmann, 1982). Im Gegenteil zu Patienten, die Ärzte freiwillig aufsuchen, weil sie wissen, dass sie krank sind, wissen Schüler nicht, dass sie das Problem der mangelenden Erziehung oder Bildung haben. Dies gilt ganz besonders im Sportunterricht, dessen Inhalte sich den Schülern zumindest innerhalb des Sportartenkonzepts aus dem, von Medien engmaschig begleiteten, Spitzensport erschließen. Schüler werden dadurch, und die zusätzliche Ausübung der Sportarten außerhalb der Schule, oft selbst zum Experten. Zusätzlich dazu werden sie auchnoch aufgrund der Schulpflicht zu einer Teilnahme gezwungen und avancieren somit in ihrer Rolle der „captiveaudience“ zu teilweise sehr uneinsichtigen Klienten (Cachay&Kastrup, 2006, S.159). Dies wiederum führt zur Ausbildung eines ausgeklügelten Motivationssystems, seitens der Lehrer, welches über Lob und Strafe eine unliebsame Reproduktion der Inhalte extrinsisch forcieren soll, wobei an dieser Stelle wiederum die Ablehnungsmotive der Schüler verstärkt werden; ein circulusvitiosus.

Innerhalb der systemtheoretischen Überlegungen, die sich in ihrem Kern auf einen erkenntnistheoretischen Konstruktivismus stützen,ist es also nicht möglich, die Elemente des Systems von außen auszutauschen, wie zum Beispiel bei Trivialmaschinen, um so den systemimmanenten Zweck, und die erfahrungsorientierte Autopoiesis zu ändern. Inputs von außen werden vom System immer auf Basis eigener Vorerfahrungen, also im höchsten Maße kontextabhängig interpretiert. Aufgrund dieser „ primären Unwahrscheinlichkeit des Erziehungserfolgs [ist] ein gutes Rezept […] die Erziehung nicht über Kommunikation laufen zu lassen“,(Luhmann,1982, S. 191). Zum Kerngeschehen der Erziehung gehört daher die Schaffung von Situationen mit einem hohen Sozialisationspotential, um eine Selbstsozialisation des Individuums zu provozieren. Für die Pädagogik gilt es daher einen kontextaffinen Rahmen zu schaffen in dem das System die Möglichkeit erlangt seine Strukturenrespektive Vorerfahrungen durch neue zu ersetzten.Pädagogische Interventionen müssen also an der Struktur und Organisation des Systems ansetzten, und eben nicht an den Elementen des Systems. Was dies konkret für eine praktische Anwendung bedeutet,ist im Prinzip eine alte Binsenweisheit der Pädagogen und wurde bereits im 18. Jahrhundert in Rousseaus „Emile“ ausführlichstbeschrieben und im Folgenden, Mitte des 20. Jahrhunderts, von Antoine de Saint-Exupery (1948) etwas romantisch, aber dennoch treffend pointiert:

„Wenn du ein Schiff bauen willst, dann trommle nicht Männer zusammen um Holz zu beschaffen, Aufgaben zu vergeben und die Arbeit einzuteilen, sondern lehre die Männer die Sehnsucht nach dem weiten, endlosen Meer“ (Die Stadt in der Wüste/Citadelle).

5.2.2 Kernsituation der Schule als Erziehungssystem

Die Schule stellt innerhalb des Kanons der Teilsysteme der modernen Gesellschaft eine essentielle Institution dar, denn sie löst ganz spezifische und immanent wichtige Probleme der Gesellschaft. Sie fungiert als Vermittler des kulturellen Gedächtnisses, der gesellschaftlichen Werte und Normen (vgl. Kurtz, 2006), und steuert aufgrund der Schulpflicht den Lebenslauf jedes Individuums. Aufgrund dieser immanenten gesellschaftlichen Eingebundenheit bietet der systemtheoretische Ansatz der Soziologie[…] eine fruchtbare Grundlage zur Analyse“ (Prohl, 2006, S. 94) der Schule als Organisation. Die Grundannahme der Systemtheorie beschreibt eine moderne Gesellschaft, die wegen einer historisch bedingten, stets wachsenden Arbeitsteilung, schließlich in eine Gesellschaft, bestehend aus vielen funktional ausgerichteten Teilsystemen, mündet. Jedes Teilsystem übernimmt die Lösung eines für die Gesellschaft essentiellen Problems. Innerhalb eines jeden Systems liegt eine systemimmanente Handlungslogik und Kommunikation vor, auf dessen Basis sich die Systeme von ihrer Umwelt, also auch von allen anderen Teilsystemen, abgrenzen. Betrachtet man nun die Erziehungs-und Bildungsprozesse der Moderne,fällt auf, dass die Schule eine Art Formdominanz der Erziehungskommunikation darstellt (vgl. Deppner&Tacke, 2012). Sie wird als Institution und Organisation mit einem spezifischen gesellschaftlichen Auftrag wahrgenommen. Die Schule als Organisation bekommt ihr Profil zum einendurch einen festgelegten Kollektivcharakter, eine Regelhaftigkeit und Regelmäßigkeit; das heißt Schüler lernen in regelmäßigen Abständen in bestimmten Gemeinschaftsformen nach festgesetzten Regeln. Zum anderen wird die Schule von einem politisch-rechtlichen Rahmen bestimmt, und zeigt dadurch eine hohe Souveränitätsabhängigkeit (vgl. ebd. S. 206). Diese staatliche Rahmenordnung hat den Sinn einer organisierten Interaktion zwischen Lehrer und Schüler im Unterricht. Es sollen Wissen und Sozialkompetenzen vermittelt, und der Lernprozess bewertet werden. Dadurch kommt es zur personalen Bildung des Individuums oder zum „Person werden von Menschen“ (Luhmann, 2002, S.47). Speziell durch die Bewertung des Lernprozesses entsteht innerhalb der Schule ein staatlich gesichertes Selektionsmonopol. Somit zeigt sich die Schule als Kopplung zwischen Erziehungs- und Politiksystem; die Selektionsfunktion fungiert bei diesem Prozess als Gelenkstelle (vgl. Deppner&Tacke, 2012). Die Schule als Organisation des Erziehungssystems operiert in zwei Dimensionen der Verhaltenssteuerung. Die erste Dimension ergibt sich aus der doppelten Codierung des Erziehungssystems; vermittelbar/ nicht-vermittelbar und besser/ schlechter. Damit wird die bereits dargestellte qualifizierende und selektierende Funktion der Schule beschrieben. Die andere Dimension wird in der Programmierung realisiert, welche im Erziehungssystem in Form von didaktischen Konzepten, Methoden und Curricula in Erscheinung tritt. Gerade in dieser Dualität von Codierung und Programmierung findet sich die entscheidende Herausforderung eines jeden didaktischen Konzeptes. „Pädagogisch brisant“ ist die zentrale Frage„wie das Erziehungssystem programmiert werden kann, damit es sich dafür eignet, Handlungen der Schüler als Leistungen auf positive bzw. negative Codewerte zu verteilen (Prohl, 2006, S.95).Die Auflösung dieser Dualität liegt im Prinzip darin, dass Schüler als Trivialmaschinen behandelt werden, also als Input-Output orientierte Individuen, die auf Reproduktion geprüft werden. Dies aber ist „mit dem pädagogischen Bildungsauftrag von Schule kaum in Einklang zu bringen“ (ebd., S.95).Somit wird an dieser Stelle die Verschränkung zwischen einer auf bildungstheoretischen Annahmen gestützten Lerntheorie, und einer auf Bildsamkeit des Individuums ausgerichtete Erziehung,deutlich. Als paradox, im Sinne von einander ausschließend, bezeichnet Prohl in Anlehnung an Luhmann und Schorr (1988), die Widersprüchlichkeit der Ziele und Anforderungen des Sportunterrichts in folgender Illustration:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb.7: Die doppelte Paradoxie des Sportunterrichts (Prohl,2006, S.100)

Sowohl der Lehrer, als auch der Sport an sich, befinden sich in einem kontinuierlichen Spannungsfeld zwischen jeweils zwei Polen. Auf der einen Seite stehen die gesellschaftlichen Interessen in Form von Qualifikation und Selektion und ein materielles Bildungskonzept. Auf der anderen Seite der „Anspruch des Schülers auf Anerkennung als Person und individueller Entwicklungsförderung“ (Prohl, 2006, S.100) im Sinne eines formalen Bildungskonzepts. Diese Dualität äußert sich im Sportunterricht auf eine ganz besondere Art und Weise, denn Sie wird zusätzlich begleitet von einer zweiten Ebene, die sich aus der systematischen Regelinklusion, also der Schulpflicht und dem autotelischen Charakter des Sports ergibt. Sport, so Volkamer (2003, S.17), ist „die willkürliche Schaffung von Problemen oder Konflikten, die vorwiegend mit körperlichen Mitteln gelöst werden. Die Lösungen sind beliebig wiederholbar, verbesserbar und übbar. Mit den Problemlösungen werden keine bleibenden Veränderungen intendiert“. Die Grundidee von Volkamers Überlegungen setzen also an der Sinnhaftigkeit von sportlichen Handlungen an. Hierbei vertritt er die These, dass der Sinn von Sport alleinig über die Empfindung einer subjektiven Erlebnisqualität erhalten werden kann. In anderen Worten: Der Mensch stellt sich eine Hürde auf, um die Herausforderung zu erleben und jene durch Springen zu bestehen. Wird aber einem Schülern eine Hürde aufgestellt und verbindlich darauf bestanden drüber springen zu müssen, um die Erfahrung einer „Sprungleistung“ zu vermitteln, so findet eine Entstellung des ursprünglichen sportlichen Charakters statt. Dieser Einwand von Volkammer verdoppelt die paradoxe Struktur des Sportunterrichts in der Schule.

5.3 Fazit

Im Anbetracht der bisher erbrachten begrifflichen Vorarbeit wurde das Spektrum der anspruchsvollen Aufgabe des Erziehens in der Schule beleuchtet.

Es wurden konträre anthropologische, lerntheoretische Grundprämissen dargestellt, und ihre Wirkung auf die Ausrichtung der schulischen Lerninhalte im Spannungsfeld zwischen Individuum und Gesellschaft, den Erziehungsbegriff und die Kernsituation der Schule, untersucht. Zusammenfassend lassen sich für die dritte Prämisse folgende Feststellungen erfassen:

- Die erste Feststellung ist, dass der Mensch, in seinen Lern-und Entwicklungsprozessen nicht auf einen Input-Output programmierbaren Trivialmechanismus zu reduzieren ist. Vielmehr ist er in diesen Prozessen von einer komplexen, reziprok angelegten Doppelsymmetrie (vgl. Luhmann, 1982) der arrangierten Selbstsozialisation bestimmt, was der bildungstheoretischen, also rein an der Sachstruktur des Sportartenkonzepts ausgelegten Argumentation, eine inhaltliche Inkohärenz und Inkonsistenz nachweist.
- Die zweite Feststellung bezeugt, dass eine pädagogisch unreflektierte, und für Erziehungszwecke unangepasste Übernahme der unverfälschten Sachstrukturen des Sports in den Sportunterricht, aufgrund der besonderen Kernsituation der doppelten Paradoxie im Sportunterricht, zu völlig konträren, oder rein reproduzierten Sozialverhalten führt, ja führen muss, weil die der dominanten Selektionsfunktion des Unterrichts geschuldete Handlungslogik, die strukturell bedingte Autopiesis des Individuums bestimmt, und eine „echte“ Ausbildung von Sozialkompetenzen prohibiert.

In Anlehnung an Sölls Sportspielbeispiel sollen die beiden Feststellungen nun dazu dienen die Inkohärenz des Sportartenkonzepts am praktischen Beispiel darzustellen.

„Wer beim Sportspiel mitspielen will, muß seine Leistung in den Dienst der Mannschafft stellen. Er muß sich also mit allem, was er ist und was er kann, in geschlossenes, hierarchisch gegliedertes soziales System einbringen“, so Söll (1996, S. 68) in seinem Plädoyer für ein richtig verstandenes Sportartenkonzept. Die Umsetzung der unverfälschten Sachstruktur von Sportspielen im Schulunterricht führt demnach zum automatischen Erwerb von Sozialkompetenzen. Dieser Theselässt sich entgegensetzten, dass Söll zunächst „zentrale Merkmale von Schülerinteraktionen vernachlässigt“. Er schreibt die Möglichkeit einer erfolgsorientierten, positiven Kohäsion,zum Beispiel einer Fußballmannschaft,ohne weiteres auch einer Schülermannschaft zu. Dabei ignoriert er die dominanten Strukturen der Selektionsfunktion innerhalb des Erziehungssystems. Diese setzen nicht nur die gegen einander antretenden Mannschaften, sondern auch jeden Mitspieler der eigenen Mannschaft in eine Konkurrenzsituation zueinander. Verstärkt wird diese Situation, soGruppe (1987, S. 59), weil innerhalb wettkampfbezogener Sportarten, der „allgemeine Sinn […] im 1:0 des Sports liegt“. Dieses Setting lässt aber keinen Spielraum für das Erlernen von sozialen Kompetenzen, denn jegliche Handlungist ausgerichtet am Systemcode des Sports, Sieg/Niederlage und der Selektionsfunktion, besser/schlechter. Der benötigte Erfahrungsraum, in welchem das Individuum seine Selbstsozialisation organisiert und seine soziale Kompetenzen erwirbt, ist nicht gegeben. Aufgrund der äußeren Struktur werden solche Erfahrungen systemindiziert ausgeklammert und können somit auch nicht zur Ausbildung eines entsprechenden Habitus herangezogen werden. Söll bemerkt, dass die funktionale Rolle des Sportlehrers nur ein geringes Erziehungspotenzial innerhält, weil der „vom Lehrer verordnete Paß zum schwächeren Mitspieler […] nicht viel mehr als eine karitative Tat von begrenzter erzieherischer Reichweite“(ebd., S.68) ist. Was er dabei übersieht, ist, dass die Verordnung des Lehrers, sehr wohl eine zentrale Rolle für den Schüler spielt, allerdings nicht aus karitativen Gründen, sondern aus einem rationalen Kalkül heraus. Innerhalb des gesteckten Rahmens geht es dem Schüler nicht um soziales Verhalten, „sondern um ein Verhalten, das für möglichst gute Noten sorgt.“ (Cachay& Thiel, 2001, S. 341). Dieses Verhalten aber zeigt einen reproduktiven Charakter. Der Pass wird gemacht und der Schüler lernt dabei was. Er lernt,dass ein Befolgen der Aufgabenstellung des Lehrers zu einer sozialen Distinktion und zu seinem Vorteil führt. Bejaht man nun die These, dass der Sportunterricht über eine Transferwirkung des Gelernten in das außerschulische, gesellschaftliche Leben verfügt, so wirdauf diese Weise, unter Beachtung der strukturellen Wirkung der doppelten Paradoxie im Sportunterrichts, und der inhaltlichen Ausrichtung des Sportartenkonzepts an der Sachstruktur der einzelnen Sportarten, systematisch rationaler Egoismus gefördert, und das Erlernen von sozialen Kompetenzen per se ausgeschlossen. Was zuvor als Inkohärenz des Sportartenkonzepts bezeichnet wurde ist also gerade jenes Phänomen, unter der Zielsetzung der Ausbildung von sozialem Handeln genau das Gegenteil zu erreichen. Das Sportartenkonzept, muss sich also den Vorwurf gefallen lassen, dass es sich nicht um die „Auflösung der doppelten Paradoxie bemüht, weil sie jene gänzlich ignoriert und die Subjektseite der Erziehung[…] nicht eigens reflektiert (Prohl, 2006, S.109).

Im Verlauf der Beweisführung der dritten Prämisse konnte somit dargelegt werden, dass die Vermittlung von Sozialkompetenzen innerhalb des Sportartenkonzepts nicht möglich ist. Die Bedingung zur Realisation von pädagogischen Interventionen wird systematisch verhindert. Die Intention der Interventionen wird nicht erreicht.

6 Rekonstruktion des gesamten Argumentes: Gliederung, Zusammenführung der Prämissen und abgeleitete Schlussfolgerung

Erste Prämisse: Der Sportlehrerberuf verliert an Bedeutung und Anerkennung. Dies weist auf ein strukturelles Problem hin.

Zweite Prämisse: Die Arbeit des Sportlehrers kann nur durch seine Fähigkeit zur Vermittlung von sozialen Kompetenzen legitimiert werden.

Dritte Prämisse: Innerhalb des Sportartenkonzepts, welches das dominante didaktische Konzept an deutschen Schulen darstellt, ist keine Vermittlung von sozialen Kompetenzen möglich.

Konklusion:

- Der Verlust der Anerkennung und Bedeutung des Sportunterrichts ist auf die Dominanz des Sportartenkonzepts im Sportunterricht zurückzuführen.
- Die Umsetzung des Sportartenkonzepts im Sportunterricht führt zum systematischen Verfehlen von zentralen Zielen der Bildungspläne (Kreativität, Kooperation, soziales Miteinander), und somit auch zum Verfehlen von gesellschaftlich relevanten Vorgaben an das Erziehungssystem.
- Das Sportartenkonzept im Sportunterricht sorgt für die Ausbildung eines internalisierten, am Wettkampf ausgerichteten Konkurrenzhabitus. Dieser wird durch ein dominantes Selektionsprogramm verstärkt und richtet alle Komplementärrollen des schulischen Erziehungssystems gegeneinander aus.

Quoderatdemonstrandum.

7 Schlussbemerkung und Ausblick

Zur transparenten Darstellung des gesamten Argumentes wurde dieses in einzelne Prämissen zerlegt. Jene wurden wiederum einzeln bewiesen und anschließend in einen logisch-kohärenten Rahmen zur Ableitung der Konklusion zusammengesetzt. Sollte es also kritische Einwände zur Schlussfolgerung geben so muss zunächst die Gültigkeit der Prämissen widerlegt, oder ein Folgerungsfehler nachgewiesen werden. Das Problem und seine Genese sind somit klar.

Die Bemühungen dieser Arbeit zielen darauf ab zu beweisen, dass aufgrund besonderer Strukturen im Interaktionssystem Unterricht das Resultat der Anwendung des Sportartenkonzepts eine Reproduktion der Erwartung sozialer Handlung ohne Lerneffekt darstellt, und somit ein generelles Problem der Passung zwischen Intention der Intervention und erzeugter Wirkung vorliegt.Wie soll nun innerhalb eines programmierten Kampfs um ein knappes Gut zu sozialen Kompetenzen erzogen werden? Pädagogische Zielsetzungen und selektionsbezogener Interaktionsrahmen lassen sich nicht vereinbaren(vgl. Cachay&Thiel, 2001). Die Lösung des Problems liegt in der konstruktiven Auseinandersetzung mit den zentralen Punkten der Konklusion. Daraus ergeben sich drei Fragen:

- Wie kann die Dominanz des Selektionsprogramms und der daraus ausgebildete Konkurrenzhabitus systemorientiert vermieden werden?
- Wie können gesellschaftlich relevante Vorgaben an das Erziehungssystem erfüllt werden?
- Wie kann der der Verlust von Anerkennung und Bedeutung des Sportunterrichts gestoppt und umgekehrt werden?

Es geht also programmatisch um die Auflösung der doppelten Paradoxie. Jene entsteht, wie bereits erörtert, aus einer Verschränkung von verschiedenen strukturellen Komponenten. Im Folgenden heißt es, dass ein Lösungsansatz auch auf struktureller Ebene durchgeführt werden muss.Vier Bedingungen zur Möglichkeit pädagogischer Interventionen müssen realisiert werden:

1. Angestrebte Interventionen müssen vom Interaktionssystem ermöglicht, und dem pädagogischen Ziel gegenläufige Erfahrungen ausgeschlossen werden.
2. Erfahrungen müssen persönlichen Erfahrungsfilter passieren können, also systemspezifischen Kontextbezug besitzen und individualisiert angeboten werden.
3. Pädagogische Intervention sollen die Strukturen des Interaktionssystems verändern, und nicht versuchen direkten Einfluss auf das Individuum zu nehmen.
4. Erfahrungen müssen vom Individuum selbst gemacht werden können. Der Wirkungsbereich des Lehrers ist hierbei das Arrangement, die Begleitung und die Reflexion.

(vgl. ebd.)

Um die vier Bedingungen zur Möglichkeit von pädagogischen Interventionen gewährleisten zu können schlagen Cachay und Thiel einen strukturwechseln des Sportunterrichts vor. Das Programm proklamiert das Spiel als eine raffinierte Form der Kontextsteuerung. Hierbei handelt es sich nicht um ein spezifisches Spiel mit festgelegten Regeln. Kein tradiertes Bild von Spielfeld, opponierender Mannschaftsbildung und einer Sieg-, Niederlagecodierung. Vielmehr ist damit das grundlegende Verhältnis von Spiel zur menschlichen Natur als anthropologische Konstante gemeint. Über diesen Spieltrieb des Homo Ludens (vgl. Huizinga, 1967) lässt sich ein intuitiver Zugang zur steuerbaren Interaktion zwischen Individuen generieren. Ohne an außerschulische Vorgaben der „originalen“ Sachstrukturen von Sportarten gebunden zu sein, lassen sich spezifische pädagogische Zielsetzungen formulieren ohne grundlegende Operationsmodi des Interaktionscharakters zu verändern. Innerhalb einer spielerischen Auseinandersetzung mit der Umwelt können erwünschte Erfahrungen provoziert, und unerwünschte Erfahrungen, weil sie keine Lösungs-oder Verhaltensoption darstellen, strukturell ausgeklammert werden. Die Entstehung eines reichen Fundus an Spielen mit dieser geeigneten Struktur, lässt sich auf die pazifistische Bewegung der 60er Jahre in den Vereinigten Staaten zurückführen. Charakteristisch für diese Spiele sind die angestrebte maximale Inklusion aller Beteiligtenund das fehlende Konzept der Ermittlung eines Siegers und Verlierers. Als kooperativ angelegte Spiele werden die Aufgaben so gestellt, dass eine Lösung nur in der geschlossenen Gemeinschaft erreicht werden kann. Die Entwicklung einer positiven Kohäsion, gegenseitige Hilfe, und eine reflektierte Interaktion sind dabei feste Bestandteil der Strategie zur Problemlösung; sind somit Erfahrungen, die strukturell vorprogrammiert sind. Durch den Entzug der Wettkampfgrundlage werden alle Erfahrungen, die innerhalb der klassisch konkurrierenden Sachstruktur von Sport sonst gemacht werden, neutralisiert. Schüler geraten somit nicht in den Zwiespalt eine effektive leistungsorientierte Spielweise gegen eine soziale Spielweise abwägen zu müssen. Über diesen Spielrahmen lassen sich also erwünschte Erfahrungen fördern und unerwünschte verhindern. Zudem bildet diese Art der Interaktionssteuerung des Spiels, den angestrebten Habitus zu Problemlösungen in der Gesellschaft real ab. Alle Funktionssysteme des Staates sind darauf ausgerichtet durch Partizipation und Gleichberechtigung eine innere Sicherheit des Staates zu gewährleisten, und ein möglichst reibungsfreies Leben der Bürger auf engsten Raum zu ermöglichen. Die Problemstellungen im Rahmen derNew Games können gezielt so modifiziert werden, dass Lösungen nur im Beisein aller Beteiligten erreicht werden können, als Beispiel wäre hier der Gordische Knoten als recht verbreitetes Spiel zu nennen. Auf diese Weise wird eine angestrebte pädagogische Intervention durch die Steuerung des Kontextes innerhalb eines Spiels umgesetzt. Der entscheidende Vorteil dabei ist, dass die vorübergehenden, räumlichen, zeitlichen und sozialen Anpassungen und Modifikationen keine Änderung der Grundmerkmale des Spiels zur Folge haben. In Anlehnung an Grupe (1982, S. 141.) sinddas die Zweck- und Nutzlosigkeit, Nicht-Alltäglichkeit, Nicht-Notwendigkeit, Freiheit und Freiwilligkeit, existentielle Erfahrung, lustvolle Spannung und unmittelbare Gegenwart. Das angestrebte Ziel innerhalb solch eines Arrangements ist der Verlust des subjektiven Ichs im Moment (vgl.Csikszetmihalyi, 1975). Es gilt einen Rahmen für Erfahrungsmöglichleiten bereit zu stellen der zwar vom Sportlehrer gesteuert wird, aber „Spielende im Spiel […]grundsätzlich als selbstbestimmt und autonom“ zu belassen. Bei dieser Form des Spiels treten „in der Zukunft liegende Zielsetzungen […] in den Hintergrund“,so OmmoGrupe, (1984, S.150) und die Bereitschaft der Schüler am Unterricht teilzunehmen wird enorm erhöht (vgl. Cachay&Thiel, 2001). Somit rückt der verpflichtende Charakter des Sportunterrichts in eine latente Position und dominiert nicht das Interaktionsverhältnis zwischen Schüler und Lehrer, womit die zweite Ebene der Paradoxie aufgelöst wäre.

Die erste Ebene der Paradoxie des Sportunterrichts wird über den Selektionscode besser/schlechter initiiert. Sie wird in erster Linie durch die Aufhebung des Wettkampfcharakters des Spiels entschärft, allerdings verbleibt die Reduktion des Individuums auf eine Note, und somit eine universelle Reduktion des Individuums auf ein Leistungsmerkmal. Um die erste Ebene der Paradoxie restlos zu überwinden, muss also ein alternatives Konzept der Bewertung herangezogen werden. In diesem Fall bietet das Spiel wesentliche Vorteile. Eine mögliche Loslösung vom Selektionsprinzip und somit auch vom klassischen Notensystem, ist die Ausrichtung der Bewertung von Leistungen in fähigkeits- und fertigkeitsorientierte Verbalzeugnisse. Der Ausgangspunkt der Überlegung ist nicht ganz neu und wird in den skandinavischen Ländern, vornehmlich in Finnland, bereits seit Jahrzehnten erfolgreich praktiziert[17]. Wie sieht aber die Alternative aus? In einer hoch ausdifferenzierten, modernen Gesellschaft der Teilsysteme werden zahlreiche Arbeitskräfte benötigt. Bis dato werden diese in der Vorbereitung durch das Erziehungssystem für eine Inklusion in weitere Teilbereiche der Gesellschaft mit dem Prädikat besser/schlechter belegt. Dieses Vorgehen wird in vielerlei Hinsicht als unfair, ineffektiv und paradox bezeichnet.[18] Die Grundidee zur Entschärfung dieser Situation wäre, die zwei quantitativen Pole des Selektionscodes auf einen einzigen qualitativen Pol zu reduzieren. Also eine Verschiebung der Attribuierung von “ist besser als…/ist schlechter als…“, hinzu einem „hat Talent für…“. Die Überlegung hierbei ist, dass in einer vielfältig ausdifferenzierten Gesellschafft auch viele vielfältige Talente gebraucht werden und die Aufgabe der Schule nicht die Selektion sein sollte, sondern das Erkennen und Fördern von Talenten, um diese Bereiche auch adäquat besetzten zu können. Dieses Vorhaben ist natürlich mit strukturellen Veränderungen des Schulsystems und der akademischen Lehrerausbildung verbunden, denn es geht um die Erschließung von neuen Schultypen, den Umgang mit Heterogenität, Individualisierung von Unterricht, Diagnostik von Lernmustern, metakognitive Arbeitsweisen, und Umdenken bei Methoden der Schülerbewertung. Das heißt, das Aufgabenfeld und die Arbeitsweise der Lehrer verändert sich massiv. Es kommen viele neue Aufgaben hinzu und alte fallen weg. Diese Veränderungen werden häufig im Rahmen einer ideologisch zugespitzen Debatte geführt, was eine sachliche Auseinandersetzung leider verhindert. Aber, und dies ist der zentrale Vorteil dieser Idee, auf diese Weise gelingt auch die Auflösung der ersten Ebene der Paradoxie. Die Selektionsfunktion erfährt eine Transformation und rückt eine an den Stärken der Schüler ausgerichtete Bewertung in den Vordergrund.

In der vorliegenden Arbeit wurde die Absicht verfolgt, einen recht komplexen und umstrittenen Sachverhalt der Erziehung, in einer einfachen und nachvollziehbaren Argumentationsstruktur, darzustellen. Die Diskrepanz zwischen Befürworter und Kritiker des Sportartenkonzepts scheint solange unauflösbar zu sein, bis die Grundlage aller ins Feld geführten Argumente, also das Menschenbild, ausreichend geklärt wird. Mit dem systemtheoretischen Analyserahmen könnte diese Diskrepanz überwunden werden. Zusätzlich müssen strukturelle Veränderungen in der akademischen Lehrerausbildung erzielt werden, die bereits mit der Sporteingangsprüfung beginnt. Der Beruf des Sportlehrers muss sich auf sein erzieherisches Kerngeschehen konzentrieren um weiter bestehen zu können. Dazu brauchen ausgebildete Lehrer einen breiten, akademisch angesammelten Erfahrungsschatz um die zahlreichen auf Erziehungausgerichteten, didaktischen Konzepte im Schulalltag anwenden zu können. Dies ist schwer, mühselig, aufwendig aber auch spannend, sinnstiftend und befriedigend.

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[...]


[1] Werden Personenbezeichnungen aus Gründen der besseren Lesbarkeit lediglich in der männlichen oder weiblichen Form verwendet, so schließt dies das jeweils andere Geschlecht mit ein.

[2] Angaben der Bestandserhebung des DOSB 19.10.2014: http://www.dosb.de/fileadmin/sharepoint/Materialien%20%7B82A97D74-2687-4A29-9C16-4232BAC7DC73%7D/Bestandserhebung_2014.pdf

[3] Eine Ausnahme bildet die Primärstufe, die eine wesentlich höhere Orientierung an kleinen Spielen aufweist.

[4] Im Weiteren als BBW geführt

[5] Quelle:Landesbildungsserver,BW:http://www.bildung-staerkt-menschen.de/unterstuetzung/schularten/Gym/bildungsstandards. Letzter Zugriff am 21.10.2014

[6] Rein formallogisch betrachtet entpuppt sich dieses Argument, wenn man sich denn auch explizit darauf bezieht, als ein Scheinargument, welches in dieser Form, wenn es um die Legitimation von Kulturgut geht, allzu häufig als „schlagendes Argument“ ins Feld geführt wird. Sowohl das Sportartenkonzept, die pragmatische Sportdidaktik und das Konzept der körperlich-sportlichen Grundbildung, unterliegen einem naturalistischen Fehlschluss, beziehungsweise einem Sein-Sollen–Fehlschluss (vgl. Zooglauer, 1999). In allen drei Fällen wird von einem reinen Sein, also der Tatsache, dass es das gesellschaftlich etablierte Phänomen des Sports gibt, auf ein Sollen geschlossen, also die Aussage gemacht, dass das Phänomen des Sports auch weiterhin bestehen soll. Hier wird eine deskriptive Aussage in eine normative überführt, und das genügt als Argument weder einem formallogischen, noch wissenschaftlichen Anspruch, und ist daher nicht zulässig. In anderen Worten formuliert stellt man die Frage: Warum sollte Sport als Kulturgut in der Schule weiterhin unterrichtet werden? So würde im Ductus des naturalistischen Fehlschlusses und der Deskriptivität die Antwort kommen: Weil es schon immer so war.

[7] Planmäßige Erziehung erscheint zunächst als ein tautologischer Begriff, enthält doch Erziehung im Vergleich zur Sozialisation bereits die Absicht das Individuum durch Maßnahmen zu verändern. Versteht man jedoch Erziehung als arrangierte Selbstsozialisation (vgl. Luhmann) mit der Intention einer pädagogischen Intervention, so kann es durchaus vorkommen, dass Erziehungsprozesse zwar im Rahmen des Sportunterrichts stattfinden, aber zwischen der Intention und der Intervention eine Diskrepanz vorliegt(vgl. Prohl, 2006).

[8] Die Diskussion dieser These kann innerhalb dieser Arbeit nicht erfolgen, allerdings scheinen die beiden von Söll aufgeführten Annahmen sich zu widersprechen. Er geht davon aus, dass Sport einen autotelischen Charakter besitzt. Dies ist einerseits ein dogmatischer Abbruch einer argumentativen Kausalkette, andererseits markiert sie eine holistische Position, also die Annahme, dass Sport etwas ist, was seine Begründung oder Legitimation in sich selbst findet und eben nicht auf andere Dinge rekurriert. Gleichzeit aber vertritt er eine reduktionistische Position und behauptet, dass Sport sich ausschließlich aus den Sportarten exemplifiziert. Beide Annahmen sind gegenläufig und markieren eine reductio ad absurdum. Um diese Aufzulösen müsste er sich von einer der beiden Annahmen trennen.

[9] In Anlehnung an diese These wird ein logischer Fehler in Sölls Argumentation sichtbar. Zum einem führt er den Beweis für die Unverzichtbarkeit von Sportarten im Unterricht und argumentiert mit der Strukturkongruenz zwischen Gesellschaft und Sportspiel. Schüler lernen sich in ein hierarchisch gegliedertes soziales System einzubringen und transferieren diese Erfahrung über ihren Habitus in das gesellschaftliche Leben. Die Struktur des Sportes ist somit ein Abbild der Gesellschaft. Zum anderen skizziert Söll aber Sport als eine Struktur sui generis und attestiert diesem aufgrund seiner Zweckfreiheit, seines spielerischen und künstlerischen Charakters, eine Grundverschiedenheit zur gesellschaftlichen Arbeitswelt. Beide Thesen können nicht zugleich aufrechterhalten werden.

[10] Leitfaden des Kultusministeriums zur Bewegung, Spiel und Sport in der Schule, 2001

[11] In Rückbezug auf die Professionstheorie von Stichweh trägt also das Kultusministerium für Jugend und Sport aktiv dazu bei die Monopolstellung des Lehrers abzubauen indem Inhalte und Vermittlungsmethoden von Übungsleitern und Lehrer angeglichen werden.

[12] „der Mensch ist das Maß aller Dinge“ Protagoras (ca.400 v. Chr.)

[13] Der dem Wort Pädagogik zugrunde liegende Wortstamm agogos, kann sowohl als Führer, als auch Begleiter, übersetzt werden. Somit beginnt der Konflikt zwischen einer erzieherischen Wichtung zu Gunsten des Kollektivs oder des Individuums bereits mit der Entstehung der Pädagogik.

[14] Daraus entsteht ein bereits von Rousseau aufgedecktes und später von Coleman wieder aufgegriffenes Dilemma. Coleman verwies in seinen soziologischen Studien auf einen Mikro-Makrodualismus, also der grundlegenden Frage ob das Individuum die Gesellschaft, oder die Gesellschaft das Individuum, in seiner Entwicklung beeinflusst. Das Dilemma besteht nun darin, dass das Resultat eines rein „deduktiven“, wissens- und wertekonservierenden Vermittlungsrahmens einen systematisch angestrebten Entwicklungsstillstand bedeutet; das heißt kein induktiver Input, sondern deduktive Reproduktion. Diese strukturelle Voraussetzung des Sportartenkonzepts lässt aber eine der zentralen Forderungen der Bildungspläne in Baden-Württemberg unmöglich erscheinen. Schüler sollen lernen „kreativ [zu] handeln und sich kreativ über ihren Körper ausdrücken“ (BBW, 2004, S.300). Kreativität und Reproduktion sind aber, genau wie deduktiv und induktiv, zwei opponierende, sich gegenseitig ausschließende, Begriffe.

[15] Eine ausführliche und differenzierte Diskussion dazu haben Jank und Meyer im Jahr 1991 erstellt.

[16] womit auch die Spannung des Mikro-Makro-Dualismus teilweise aufgelöst wäre

[17] Der Erfolg bemisst sich am Pisa-Ranking.

[18] Es geht um die breite Palette von Unzulänglichkeiten der Notengebungen innerhalb der Bewertung. Zum einem werden systematisch, grobe statistische Fehler hingenommen. Die Messung und Zuordnung von Variablen wird auf unterschiedlichen Skalenniveaus vorgenommen und das Skalenniveau der Noten mit dem Verhältnisniveau der Schülerleistung verschränkt. Zum anderem bieten Noten keine nähere Einsicht in die Qualität des Wissens eines Schülers. Was die Kreativität, soziale Kompetenzen, Arbeits- und Lernweisen usw. anbetrifft bieten ,n bei weitem nicht die Tiefe die man sich von ihnen verspricht. In Folge dieser Undifferenziertheit und geringen Aussagemöglichkeit von Noten und somit auch schulischen Abschlüssen, müssen Universitäten und Betriebe auf eigene Einstellungstests zurückgreifen, was wiederum grundsätzlich die Selektionsfunktion des Erziehungssystems in Frage stellt (vgl. Sacher, 2014; Becker, 2005).

Ende der Leseprobe aus 66 Seiten

Details

Titel
Unmöglichkeit der Entwicklung von Sozialkompetenzen im Sportartenkonzept
Hochschule
Universität Stuttgart
Note
1,0
Autor
Jahr
2014
Seiten
66
Katalognummer
V299827
ISBN (eBook)
9783656963707
ISBN (Buch)
9783656963714
Dateigröße
2993 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
unmöglichkeit, entwicklung, sozialkompetenzen, sportartenkonzept
Arbeit zitieren
Bruno Ohgemach (Autor:in), 2014, Unmöglichkeit der Entwicklung von Sozialkompetenzen im Sportartenkonzept, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/299827

Kommentare

  • Bruno Ohgemach am 29.5.2015

    unkonventionelle Struktur, ungewöhnliche Einleitung, super These,
    empfehlenswert

Blick ins Buch
Titel: Unmöglichkeit der Entwicklung von Sozialkompetenzen im Sportartenkonzept



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