Zeitliche Strukturen werden im Deutschen nicht nur durch Tempora, sondern auch durch Verben ausgedrückt. Die von der Bedeutung der Verben gelieferte, interne Zeitstruktur nennt man Aktionsart; sie ist mit ROTHSTEIN als eine „dem Verb inhärente lexikalische vorwiegend zeitliche Struktur“ definiert.
Obwohl der Begriff ‚Aktionsart‘ im Vergleich zu anderen linguistischen Kategorien eher unbekannt und so bspw. weder im Sachregister der Einführung in die germanistische Linguistik noch im Studienbuch Linguistik verzeichnet ist, bildet er für die weitere Beschäftigung mit ‚Tempus‘ und die modelltheoretische Darstellung von Tempora eine elementare Voraussetzung, da Tempus und Aktionsart maßgeblich miteinander interagieren. Dementsprechend führt B. ROTHSTEIN in seiner einschlägigen Tempus-Einführung den Begriff ‚Aktionsart‘ auch ein, bevor er das Tempus-System des Deutschen behandelt, da das Wissen über die Aktionsarten von Verben hierfür eine fundamentale Grundlage darstellt. Die vorliegende Arbeit lässt sich in drei Teile gliedern:
Im ersten Teil wird zunächst der Terminus Aktionsart konzis definiert, wobei insbesondere die Arbeit von Zeno VENDLER im Fokus steht. Es wird eine Reihe von Testverfahren vorgestellt und diskutiert, um die Aktionsarten von Verben resp. Verbalkomplexen systematisch zu ermitteln.
Im zweiten Teil der Arbeit wird der Einfluss von Argumenten / Aktanten auf die Aktionsart des verbalen Syntagmas anhand von sprachlichen Daten beschrieben und systematisiert, sodass ein umfassender Überblick darüber gegeben wird, welche Argumente inwieweit die Aktionsart „manipulieren“ und welche Verben gegen eine derartige Beeinflussung resistent sind. In diesem Kontext stellt sich auch die Frage, welchen Interpretationsspielraum ein Verb hat bzw. welchen Interpretationsbeschränkungen es unterliegt und in welchem Verhältnis die Bedeutung des Verbs zur Bedeutung seiner komplexen Ausdrücke steht, mit denen es gebildet wird.
Im dritten Teil wird – aus syntaktischer Perspektive – dafür argumentiert, dass es sich bei der Aktionsart um ein syntaktisches Phänomen handelt, das durch die syntaktische Komputation induziert wird; in diesem Zusammenhang wird maßgeblich auf die Grammatik von Hagit BORER rekurriert und der Argumentationsgang von BORER nachgezeichnet und diskutiert.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Was ist ‚Aktionsart‘?
2.1 Aktionsart-Merkmale
2.1.1 Merkmal I: ‚statisch‘ vs. ‚dynamisch‘
2.1.2 Merkmal II: ‚durativ‘ vs. ‚punktuell‘
2.1.3 Merkmal III: ‚atelisch‘ vs. ‚telisch‘
2.1.4 Merkmal IV: ‚perfektiv‘ vs. ‚imperfektiv‘
2.2 Aktionsart-Klassifikation nach Vendler — aspectual classes
2.2.1 Vendlers Progressiv-Test
2.2.2 Vendlers For how long? – Test
2.2.3 Zustände
2.2.4 Aktivitäten
2.2.5 Accomplishment
2.2.6 Achievements
2.3 Zusammenfassung
3 Zur Abgrenzung von Aktionsart und Aspekt
3.1 Zur historischen Entwicklung von Aspekt und Aktionsart
3.1.1 Der Terminus Aspekt
3.1.2 Der Terminus Aktionsart
3.2 Aspekt und Aktionsart — Probleme der Unterscheidung
3.3 Aspekt und Aktionsart — Lösungsvorschläge
4 Aktionsart und Argumentstruktur
4.1 Zum Einfluss von DP-Argumenten
4.2 Zum Einfluss von PP-Argumenten
4.3 Zum Einfluss von AdvP-Argumenten
4.4 Zusammenfassung
5 Theorien zum Verhältnis von Aktionsart und Argumentstruktur
5.1 Aspektuelle Komposition — Verkuyl (1972)
5.2 Kompositionale Telizität — Dowty (1979)
5.3 Nominalreferenz und Zeitkonstitution — Krifka (1989)
5.4 Zusammenfassung
6 Aktionsart: Syntaktisch repräsentiert!
6.1 Grundlagen für eine exo-skeletale Syntax
6.2 Telizität und das nominale Syntagma
6.3 Aktionsart und Ereignisstruktur
6.4 Zusammenfassung
7 Konklusion
Literaturverzeichnis
1 Einleitung
Zeitliche Strukturen werden im Deutschen nicht nur durch Tempora, sondern auch durch Verben ausgedrückt. Die von der Bedeutung der Verben gelieferte, interne Zeitstruktur nennt man Aktionsart (vgl. B. Rothstein 2007: 8); sie ist mit Rothstein (2007: 11) als eine „dem Verb inhärente lexikalische vorwiegend zeitliche Struktur“ definiert.
Obwohl der Begriff ‚Aktionsart‘ im Vergleich zu anderen linguistischen Kategorien eher unbekannt und so bspw. weder im Sachregister der Einführung in die germanistische Linguistik (Meibauer 2002) noch im Studienbuch Linguistik (Linke / Nussbaumer / Portmann 2004) verzeichnet ist, bildet er für die weitere Beschäftigung mit ‚Tempus‘ und die modelltheoretische Darstellung von Tempora eine elementare Voraussetzung, da Tempus und Aktionsart maßgeblich miteinander interagieren. Dementsprechend führt B. Rothstein (2007) in seiner einschlägigen Tempus-Einführung den Begriff ‚Aktionsart‘ auch ein, bevor er das Tempus-System des Deutschen behandelt, da das Wissen über die Aktionsarten von Verben hierfür eine fundamentale Grundlage darstellt.
Die Aktionsart eines Verbausdruckes gibt u. a. Auskunft darüber, ob ein Ereignis zeitlich ausgedehnt und prinzipiell ohne Grenzen zu interpretieren und somit atelisch ist – vgl. (1) und (2) – oder ob der Beginn oder das Ende eines Zeitraums für die Interpretation relevant ist, sodass es sich um einen telischen Verbausdruck handelt – (vgl. (3) und (4)).
(1) Raider heißt Twix.
(2) Der müde Linguist schläft.
(3) Dornröschen erwacht aus ihrem Tiefschlaf.
(4) Das Schiff sinkt.
Die sprachphilosophischen Grundlagen dieser Unterscheidung finden sich bereits bei Aristoteles (vgl. Metaphysik Buch θ 6, 1048b, 18–35) in der Differenzierung zwischen Handlungstypen, die nach Begrenzung streben (kineisis), und solchen, die keine Begrenzung haben und daher bereits vollendet sind, nachdem sie begonnen haben (energeia).[1] Die Idee der Unterteilung von Handlungen in kineisis und energeia ist Mitte des 20. Jahrhundert von Ryle (1949) aufgegriffen, auf linguistische Strukturen übertragen und im Folgenden durch Vendler (1957, 1967), Kenny (1963) und Mourelatos (1978) modifiziert worden, wobei Zeno Vendlers Arbeit verbs and times, in der er zwischen vier sog. aspectual classes differenziert, als einschlägig gilt und die Grundlage jeder Arbeit über Aktionsarten bildet.
Die Unterteilung in Aktionsarten ist, wie bereits (Vendler 1957: 143) erkennt, keine rein semantische Differenzierung –
„Obviously these differences cannot be explained in terms of time alone: other factors, like presence or absence of an object, conditions, intended states of affairs, also enter the picture.“
– sondern zeigt darüber hinaus auch syntaktische Reflexe, so etwa bei adverbieller Modifikation:
(5) Niels schlief eine Stunde lang / *in einer Stunde.
(6) Die Blüte verwelkte in einer Stunde / *eine Stunde lang.
Diese syntaktischen Reflexe werden jedoch nicht nur qua Lexemwahl gesteuert, sondern können u. a. auch durch morphologische Markierungen hervorgerufen werden. Betrachtet man weitere Daten, so wird ersichtlich, dass es sich bei der Aktionsart offenkundig nicht nur um eine rein semantisch-inhärente Eigenschaft von Verben handelt, die u. U. durch morphologische Affixe affiziert werden kann, sondern dass auch das Vorhandensein von syntaktischen Argumenten / Aktanten von Bedeutung ist, sodass die Aktionsartensemantik nicht allein auf das Verb reduziert werden kann, sondern im Kontext der gesamten Verbprojektion und somit auch Argumentstruktur zu sehen ist. Dementsprechend sind die Aktionsarten der Lexeme laufen in (7, 8) und tanzen in (9, 10) abhängig vom Vorhandensein syntaktischer Argumente resp. thematischer Rollen:
(7) Niels läuft eine Stunde lang / *in einer Stunde.
(8) Niels läuft [10km]DP in einer Stunde / *eine Stunde lang.
(9) Niels tanzt eine Stunde lang / *in einer Stunde.
(10) Niels tanzt [dreimal]AdvP in einer Stunde / *eine Stunde lang.
Ferner ist nicht nur das bloße Vorhandensein eines syntaktischen Objektes oder Adverbials von Relevanz, sondern auch bestimmte formale und semantische Eigenschaften der das Verb affizierenden Argumente, wie folgende Beispiele illustrieren:
(11) Er aß eine Stunde lang / *in einer Stunde.
(12) Er aß [Kuchen]DP eine Stunde lang / *in einer Stunde.
(13) Er aß [drei Kuchen]DP in einer Stunde / *eine Stunde lang.
(14) Er aß [etwas Kuchen]DP eine Stunde lang / ?in einer Stunde.
(15) Er aß [mehr als drei Kuchen]DP in einer Stunde / ??eine Stunde lang.
(16) Er rennt [auf den Bus]PP in einer Stunde / *eine Stunde lang.[2]
(17) Niels hüpft [auf der Tanzfläche]PP drei Minuten lang / *in drei Minuten
Demnach ist (12) trotz der Realisierung des Akkusativ-Objektes Kuchen immer noch atelisch zu interpretieren. Erst durch die Quantifikation mit drei in (13) ist der Satz telisch zu interpretieren. Beispiel (12) ist überraschenderweise auch kompatibel mit Modellen, in denen kein einziger Kuchen ganz gegessen wird, während aus (13) folgt, dass genau drei Kuchen gegessen worden sind; in (14) und (15) ist – offenkundig infolge des „schwachen“ Determinierers – nicht eindeutig geklärt, ob eine atelische oder telische Lesart vorliegt.
Des Weiteren scheint auch die Semantik der projizierenden Präposition von Relevanz zu sein, da das direktionale Adverbial in (16) Telizität induziert, während dies beim lokalen Adverbial in (17) nicht der Fall ist.
Die Unterscheidung der Aktionsart ist im Deutschen also nicht nur von (a) der Lexemwahl abhängig (schlafen vs. erwachen), sondern lässt sich (b) auch explizit durch Wortbildungsmittel sowie (c) durch die syntaktische Umgebung, insbesondere durch die Objektwahl ausdrücken (er aß Äpfel vs. er aß einen Apfel). (s. Bußmann 2002: 59)
Die vorliegende Arbeit lässt sich in drei Teile gliedern: Im ersten Teil wird zunächst der Terminus Aktionsart konzis definiert, wobei insbesondere die Arbeit von Zeno Vendler (1957) im Fokus steht. Es wird eine Reihe von Testverfahren vorgestellt und diskutiert, um die Aktionsarten von Verben resp. Verbalkomplexen systematisch zu ermitteln. Daran anknüpfend wird ‚Aktionsart‘ vom ‚Aspekt‘ abgegrenzt, da „die Nähe der lexikal.-semant. Klassifizierung durch die [Aktionsart] zur Kategorie des Aspekts als gramm. Kategorie zu vielerlei unzulässiger Vermischungen dieser Phänomene Anlass gegeben [hat].“ (Glück / Thümmel 2005: 22)
Im zweiten Teil der Arbeit wird der Einfluss von Argumenten / Aktanten auf die Aktionsart des verbalen Syntagmas anhand von sprachlichen Daten beschrieben und systematisiert, sodass ein umfassender Überblick darüber gegeben wird, welche Argumente inwieweit die Aktionsart „manipulieren“ und welche Verben gegen eine derartige Beeinflussung resistent sind. In diesem Kontext stellt sich auch die Frage, welchen Interpretationsspielraum ein Verb hat bzw. welchen Interpretationsbeschränkungen es unterliegt und in welchem Verhältnis die Bedeutung des Verbs zur Bedeutung seiner komplexen Ausdrücke steht, mit denen es gebildet wird.
Hierzu werden im Weiteren die einschlägigen Modelle von Verkuyl (1972) (‚aspektuelle Komposition‘), Dowty (1979) (‚kompositionelle Telizität‘) und Krifka (1989) (‚Nominalreferenz und Zeitkonstitution‘) vorgestellt und kritisch diskutiert, die eine adäquate Beschreibungs-Grundlage bieten, um den Einfluss und die Formeigenschaften von Argumenten auf die Aktionsart formal repräsentieren zu können.
Im dritten Teil wird – aus syntaktischer Perspektive – dafür argumentiert, dass es sich bei der Aktionsart um ein syntaktisches Phänomen handelt, das durch die syntaktische Komputation induziert wird; in diesem Zusammenhang wird maßgeblich auf die Grammatik von Hagit Borer (2005a, 2005b) rekurriert und der Argumentationsgang von Borer nachgezeichnet und diskutiert.
In einer derartigen Denkweise wird das mentale Lexikon nahezu vollständig aufgegeben, was die Konsequenz hat, dass weder Verben noch lexikalische Argumentstrukturen von Verben im Lexikon vorhanden sind. Evidenz hierfür bietet u. a. der relativ große Interpretationsspielraum von sog. Listemen[3]. Dies hat u. a. zur Folge, dass Telizität nicht – wie im Allgemeinen angenommen – in der Verbbedeutung bereits „abgespeichert“ ist oder durch die lexikalische Argumentstruktur erzeugt wird, sondern dass „Verben“ grundsätzliche hierfür unterspezifiziert sind, sodass erst die rein syntaktische Struktur Aufschluss über das Vorhandensein bzw. Nichtvorhandensein von Telizität liefert. Borer betrachtet in diesem Kontext Atelizität als das Nichtvorhandensein von Telizität, welche für Borer (2005) eine Quantitätsstruktur ist, die aus einer Art Netz besteht, das über unstrukturierte Ereignisse gelegt wird und dabei eine quantifizierte Teilung ergibt.
„[…] telic events are quantities, in the sense that they involve quantification over event divisions, while atelic events are homogeneous.“ Borer (2005b: 74)
2 Was ist ‚Aktionsart‘?
Der Terminus Aktionsart ist in der Linguistik keine etablierte Bezeichnung und konkurriert u. a. mit folgenden Termini: Ereignisstruktur, Zeitkonstitution (Krifka 1989), Handlungsstufe, Verlaufsweise, eventuality types (Bach 1986), qualitative aspect (Maslov 1983), inherent lexical aspect (Fillip 1989, 1997), Situationsklassen (Comrie 1976, Thieroff 1992) – um nur einige zu nennen. Neben dem nicht-vorhandenen Konsens über eine einheitliche Terminologie wird die Aktionsart fälschlicherweise sehr oft mit dem grammatikalischen Aspekt vermischt oder sogar synonym verwendet. Obwohl hier unmöglich ein Beitrag zur vollständigen terminologischen Klärung geleistet werden kann, so ist es doch wichtig, sich über die Verwendungsweisen im Klaren zu sein und von Beginn an festzulegen, was genau damit gemeint sein soll.
Um diesen beiden Aspekten Rechnung zu tragen, werde ich in Kap. 2 zunächst den Terminus Aktionsart definieren und in Kap. 3 die Aktionsart gegenüber dem Aspekt abgrenzen. Hierbei werde ich auch einen kleinen Exkurs zur historischen Entwicklung der Begriffe ‚Aktionsart‘ und ‚Aspekt‘ machen.
In der vorliegenden Arbeit verwende ich bewusst die Bezeichnung Aktionsart, da ich mich der Fragestellung nicht primär aus semantischer Sicht nähere, sondern das sprachliche Phänomen der Aktionsart insbesondere in Kap. 6 aus einer rein syntaktischen Perspektive heraus analysieren werde und der Terminus Aktionsart in der Literatur zumeist im syntaktischen Sinne verwendet wird.
Die Aktionsart gehört mit Klein (vgl. 1991: 15ff) neben dem Tempus und dem Aspekt zu den drei zentralen „Qualitäten des Verbs“ und übernimmt dabei folgende Aufgabe: „the use of a verb may also suggest the particular way in which that verb presupposes and involves the notion of time.“ (Vendler 1957: 143) Mit Eisenberg (2006: 108) ist die Aktionsart „eine semantische Klassifizierung, durch die »Art und Verlaufsweise eines Vorgangs« erfasst werden sollen“. Art und Weise des zeitlichen Verlaufs sind mit Glück / Thümmel (2005: 22) „elementare Kriterien“ zur Bestimmung der Aktionsart. Hierbei bedient man sich fast ausnahmslos der recht intuitiven Merkmale ‚zeitliche Begrenztheit‘ und ‚Zustandswechsel‘.
Wie bereits in der Einleitung skizziert ist die Aktionsart eines Verbs darüber hinaus von weiteren Faktoren abhängig, die die Morphologie, die Wahl und Beschaffenheit syntaktischer Argumente und den pragmatischen Kontext betreffen.
Kurzum: Bei der Aktionsart handelt es sich – vorläufig[4] – (a) um eine verbale Kategorie, die (b) die zeitliche Struktur von Verben resp. verbalen Syntagmen liefert, (c) sich dabei vor allem an den Parametern ‚Begrenztheit‘ und ‚Zustandswechsel‘ orientiert, (d) anders als der Aspekt als lexikalisch-semantischer Typ in der Verbbedeutung »objektiv« verankert ist und (e) durch morphologische Markierungen, syntaktische Argumente und pragmatische Beschränkungen affiziert werden kann.
Was sich auf den ersten Blick als eine klare Definition liest, wirft bei genauerer Betrachtung eine Vielzahl von Fragen auf, die zum einen die Aktionsart-Klassifikation betreffen und sich zum anderen auf das Verhältnis von Aktionsart und Syntax beziehen: Welche Kriterien werden zur Aktionsart-Klassifikation herangezogen? Sind derart vage Kriterien wie ‚Begrenztheit‘ und ‚Zustandswechsel‘ geeignet, um eine Klassifikation vorzunehmen? Wie viele Aktionsarten gibt es? Lässt sich die Aktionsart überhaupt isoliert vom syntaktischen Kontext bestimmen? Wenn dies nicht der Fall ist, wie lässt es sich dann erklären, dass die Aktionsart eine dem Verb inhärente lexikalisch-semantische Kategorie ist? Wie Verhält es sich darüber hinaus mit dem Einfluss von Argumenten? Welcher Typ von Argument ist in der Lage, die Aktionsart zu affizieren? Hat jedes Verb eine eindeutige Aktionsart oder sind Verben für das Merkmal ‚Aktionsart‘ unterspezifiziert? Gilt dies für alle Verben? Wie stark ist die Aktionsart lexikalisch verankert und wie sehr wird sie syntaktisch repräsentiert? Auf diese und weitere Fragen wird im weiteren Verlauf detailliert eingegangen.
Betrachtet man existierende Aktionsart-Einteilungen resp. Aktionsart-Kriterien für das Deutsche, so kann man sicherlich zu Recht mit Eisenberg (2004: 108) konstatieren, dass „[d]as Aktionsartensystem für das Deutsche […] sehr uneinheitlich und unterschiedlich beschrieben worden [ist].“ Diese Feststellung Eisenbergs soll kurz erläutert werden: Neben der traditionellen Vendler‘schen (1957) Aktionsarten-Klassifikation in states (Zustände), activities (Aktivitäten), accomplishments (Accomplishments) und achievements (Achievements) kursieren auch Einteilungen in ‚durative‘ / ‚punktuelle‘, ‚telische‘ / ‚atelische‘ oder ‚imperfektive‘ / ‚perfektive‘[5] Eventualitäten[6]. Dies ist insofern problematisch, als dass sich die unterschiedlichen Einteilungen z. T. überlappen und ferner auf verschiedenen Ebenen interagieren: So können bspw. durative Eventualitäten telisch oder atelisch sein, wohingegen telische Ereignisse nicht zwangsläufig durativ sein müssen, sondern auch punktuell sein können. Imperfektive Eventualität sind zwar stets telisch, können aber sowohl punktuell als auch durativ sein.
Um diesbzgl. terminologische Unklarheiten zu beseitigen und möglichen Konfusionen vorzubeugen, werden zunächst die gängigen Einteilungen systematisch erläutert und problematisiert. Dazu wird eine Reihe von Testverfahren vorgestellt und auf sprachliche Daten angewendet, um die Aktionsart eines Syntagmas systematisch zu ermitteln. Es werden hierbei zunächst – soweit dies möglich ist – nur clear cut examples[7] verwendet, sodass die mögliche Affizierung der Aktionsart des Verbes durch Argumente weitestgehend ausgeschlossen werden kann. Bei den deutschen Beispielen orientiere ich mich im weitesten Sinne an B. Rothstein (2007) und im Englischen an Vendler (1957) und wähle als prototypische Vertreter der vier Vendler‘schen Aktionsarten die Verben, wissen (Zustand), lachen (Aktivität), erwachen (Achievement) und sinken (Accomplishment).
Darüber hinaus wird die Beziehung der in der Literatur verwendeten Aktionsart-Einteilungen zueinander verdeutlicht, sodass die durchaus vorhandenen Zusammenhänge der verschiedenen Klassifikationen transparent gemacht werden.
2.1 Aktionsart-Merkmale
Bei der Klassifikation von Aktionsarten anhand primär semantischer Merkmale bietet einem die Fachliteratur eine z. T. unübersichtliche Kohorte an Kriterien an, um Verben infolge ihrer Aktionsarten-Semantik zu clustern. Neben den einschlägigen Kriterien ‚statisch‘ vs. ‚dynamisch‘, ‚durativ‘ vs. ‚punktuell‘ sowie ‚telisch‘ vs. ‚atelisch‘, auf die ich mich im Weiteren konzentrieren werden, werden mitunter auch folgende semantische Charakteristika zur Einteilung von Aktionsarten herangezogen[8]:
Diminutiv / Deminutiv / Attenuativ – die geringere Intensität einer Handlung kennzeichnend: z. B. hüsteln (‚ein bisschen husten‘)
Inchoativ / Ingressiv – den Beginn einer Handlung kennzeichnend: säubern, mildern
Kausativ – transitive Verben, die von intransitiven abgeleitet sind: fällen, tränken
Intensiv – eine höhere Intensität kennzeichnend: horchen (‚angestrengt zuhören‘), schnitzen (‚ausdauernd schneiden‘)
Iterativ / Frequentativ / Multiplikativ – eine wiederholte Handlung kennzeichnend: sticheln (‚wiederholt stechen‘)
Egressiv / Finitiv / Terminativ – das Ende einer Handlung kennzeichnend: platzen, verblühen
Resultativ / Effektiv – das Ergebnis einer Handlung kennzeichnend: jmd. erschlagen
Transformativ – von Adjektiven abgeleitete Verben der Veränderung: erröten
Neben den genannten Einteilungen wird sehr oft auch eine Aktionsarten-Klassifikation auf Basis des in Kap. 2 bereits erwähnten Kriteriums ‚perfektiv‘ vs. ‚imperfektiv‘ vorgenommen; dies ist insofern nicht korrekt, da es sich bei dieser Dichotomie nicht um ein Aktionsart-Merkmal, sondern genau genommen um ein den Aspekt betreffendes Merkmal handelt, da hiermit der in der Verbalform bezeichnete Vorgang eines Sprechers in Relation zur Sprechsituation eingeordnet wird[9]. Darauf werde ich bei der Unterscheidung ‚perfektiv‘ vs. ‚imperfektiv‘ in Kap. 2.1.4 im Besonderen eingehen.
2.1.1 Merkmal I: ‚statisch‘ vs. ‚dynamisch‘
Die Distinktion in statische vs. dynamische Verben gibt Aufschluss darüber, ob in der Eventualität etwas passiert oder ob sie lediglich besteht. Statische Verben wie kennen, empfinden, besitzen, mögen bezeichnen Eigenschaften oder Relationen, die keine Veränderung oder Bewegung implizieren und die durch die am Zustand beteiligten Größen nicht direkt kontrolliert werden. Infolgedessen kann man auf statische Situationen nicht ohne Weiteres Einfluss nehmen, d. h. sie beginnen, aufhören, unterbrechen oder herbeiführen lassen. Damit hängt u. a. zusammen, dass statische Verben in ihrer Grundbedeutung nicht im Imperativ erscheinen können (*Kenne Niels!) und sich des Weiteren nicht mit bestimmten Modaladverbien verbinden lassen.
Dynamische Verben, zu denen alle Vorgangs- und Handlungsverben wie welken, arbeiten oder lesen zählen, implizieren eine Veränderung eines Zustands bzw. einen Übergang aus einem Zustand in einen anderen, wobei Handlungen (arbeiten, lesen) außerdem durch ein Agens bewirkt oder unterlassen werden können. Die Unterscheidung ‚statisch‘ / ‚dynamisch‘ ist – das sei an dieser Stelle angemerkt – nicht nur für den verbalen Bereich von Relevanz, sondern betrifft auch die Subklassifizierung von Adjektiven. Ferner spielt diese Unterscheidung in vielen Sprachen eine zentrale Rolle: Bspw. können statische Verben in vielen Sprachen keine Passivform bilden (*Das Buch wird von ihm besessen.) (vgl. Bußmann 2002: 733f) oder sind – wie im Englischen der Fall nicht im Progressiv verwendbar (*He is knowing Bill.) (vgl. hierzu auch Nicolay 2007)
2.1.2 Merkmal II: ‚durativ‘ vs. ‚punktuell‘
Die Unterscheidung ‚durativ‘ vs. ‚punktuell‘ bezieht sich auf den lexikalischen Gehalt eines Verbs und orientiert sich dabei am Kriterium der zeitlichen Begrenztheit. Folglich sind Verben wie suchen oder sinken von der Bedeutung des Basismorphems zeitlich unbegrenzte Tätigkeiten[10], während Verben wie finden oder erwachen zeitlich eindeutig begrenzt sind. Demnach erstreckt sich das Suchen eines Gegenstandes über einen längeren Zeitraum, während sich das Finden eines Gegenstandes ipso facto auf einen kurzen perzeptiven Stimulus bezieht.
Allgemein gesprochen konstituieren sich interne, temporale Strukturen also dadurch, dass sie die zeitliche Anordnung eines oder mehrerer zeitlich aufeinander folgender Ereignisse darstellen. Wenn drei Ereignisse p, q und r auf einer eindimensionalen Zeitachse angeordnet sind, dann sind grundsätzlich drei Ereignisanordnungen auf der Zeitachse relevant für die interne, temporale Struktur von Verben.
(18) Konstitution von internen, temporalen Strukturen
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Während durative Verben ein zeitlich ausgedehntes Ereignis beschreiben, wobei das Ereignis selbst mit möglichen vorhergehenden oder nachfolgenden Ereignissen überlappen kann (18a) oder das Ereignis ein vorhergehendes mit einem Nachfolgereignis (graduell) verbindet, aber dabei prinzipiell nicht begrenzt ist (18b), so findet bei punktuellen Verben ein Vorgang statt, der eindeutig begrenzt ist, sodass Vor-Ereignis und Nach-Ereignis unmittelbar (abrupt) aufeinander folgen (18c). Bache (1997: 236) führt hierzu als eine Eigenschaft von Durativität an, dass sich neben der ausgedrückten Zeitspanne eine Situation in Anfang, Mitte und Ende unterteilen lässt, während bei punktuellen Verben hingegen Anfang, Mitte und Ende wegen des ausgedrückten Zeitpunktes in einem zusammengefasst sind. Mit Glück / Thümmel (2005: 160) werden durative Verben „als kontinuierliche und gleichmäßig über einen größeren Zeitraum erstreckt charakterisiert.“
Diese Unterscheidung auf Basis zeitlicher Begrenztheit ist in meinen Augen jedoch problematisch und so nicht ohne Weiteres zu realisieren, da es sich hierbei um kein eindeutiges Kriterium handelt, dessen Auslegung sehr vage ist und einen großen Interpretationsspielraum zulässt. Bereits Klein (vgl. 1991: 32f) bemerkt, dass es streng genommen keine punktuellen Ereignisse gibt, sondern dass alle Ereignisse eine – wenn auch u. U. sehr kurz erscheinende – Zeitdauer haben. Somit scheinen Ereignisse mit einer extrem kurzen im Vergleich zu Ereignissen mit einer viel längeren Zeitdauert möglicherweise Punktualität zu suggerieren, jedoch handelt es sich bei beiden Zeitdauern um Intervalle, deren Länge resp. Kürze vom jeweiligen Bewertungskontext abhängt. Dies soll an folgendem Beispiel illustriert werden:
Für den außenstehenden Betrachter scheint der 100m-Sprint in der Leichtathletik in Relation zum Marathon (relativ) punktuell zu sein. Dies ist auch keineswegs verwunderlich, wenn man den von Usain Bolt aufgestellten Weltrekord von 9,58 s mit dem Marathon-Weltrekord von Paul Tergat in 2:04:55 h vergleicht, was exakt 7.495 s entspricht, sodass beide Zeiten im Verhältnis von 1:789 zueinander stehen. Vergleicht man nun aber den 100m-Sprint mit dem auf 60 m verkürzten Sprintwettkampf in der Halle, so stellt man fest, dass hier der Weltrekord 6,39 s beträgt. Im Vergleich hierzu wirken die 9,58 s – zumindest für Sprinter – wie eine „Ewigkeit“. Der semantische Wert der Zeitdauer ist also nicht absolut, sondern hängt offenkundig vom jeweiligen Bewertungskontext ab. Entscheidend ist hierbei, welcher Bewertungskontext als relevant betrachtet wird.[11]
Einen konträren Standpunkt vertritt in diesem Zusammenhang Bache (1997: 51ff), der bei der Definition linguistischer Kategorien die empfundene, „konzeptuelle Realität“ im Gegensatz zur „realen Realität“ für ausschlaggebender hält. Beide Ansichten werden in (19) veranschaulicht:
(19) ‚Reale Realität‘ vs. ‚Konzeptuelle Realität‘:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Die Grenzen und somit auch die Intervalldauern hängen hiernach vom Bewertungskontext ab, sodass sie konzeptuell – obwohl es sich real um ein Intervall handelt – durchaus punktuell interpretiert werden können.
2.1.3 Merkmal III: ‚atelisch‘ vs. ‚telisch‘
Die Einteilung ‚telisch / atelisch‘ definiert sich im Gegensatz zur Differenzierung ‚durativ / punktuell‘ über einen durch das Verb ausgedrückten Zustandswechsel. So werden sog. telische Verben mit B. Rothstein (2007: 9) als Verben aufgefasst, die „einen Zustandswechsel von einem Ausgangszustand zu einem der Verbbedeutung inhärenten Endzustand aus[drücken].“
Prototypische telische Verben sind infolgedessen erwachen oder finden. Beim Verb erwachen gibt es einen Vorzustand (das Schlafen) und einen Nachzustand (das Wach-Sein); in Analogie dazu ist der Vorzustand von finden das Suchen und der Nachzustand das Gefunden-haben. Atelische Verben wie laufen sind kontinuierlich in ihrer Bedeutung und haben keinen lexikalisch inhärenten Endzustand, sondern drücken zu jedem Zeitpunkt ein Laufereignis aus.
Problematisch sind m. E. Verben wie sinken. Zwar gibt es auch hier einen Vorzustand (eine bestimmte Höhe) und einen Nachzustand (das Gesunken-sein auf eine niedrige Höhe), allerdings spricht in meinen Augen nichts dagegen, dass man – nachdem man auf eine niedrigere Höhe gesunken ist – weiter sinken kann.
Nur unser Weltwissen sagt uns, dass es so etwas wie einen Grund gibt, der den Sink-Vorgang konzeptuell vorstrukturiert. Ähnliches gilt auch für Lauf-Ereignisse: Auch hier findet eine Bewegung statt, die jedoch im Gegensatz zum Sinken horizontal verläuft. Dementsprechend verändern sich die Koordinaten beim Laufen hinsichtlich der Länge oder Breite eines Wegpunktes und nicht bzgl. seiner Höhe. Allerdings muss an dieser Stelle erwähnt werden, dass man nach einem Laufereignis durchaus wieder am Ausgangspunkt ankommen kann, indem man z. B. eine Runde im Stadion gelaufen ist, während man beim Sinken nach dem Sinkvorgang nicht wieder am Ausgangspunkt ankommen kann, sodass beim Sink-Ereignis im Vergleich zum Lauf-Ereignis eher ein Zustandswechsel vorliegt. Folglich tendiert sinken eher dazu, telisch zu sein, allerdings liegt hier für mein Dafürhalten ein signifikanter Unterschied zu Verben wie finden oder erwachen vor, die eindeutig telisch zu interpretieren sind.
So kann ich, nachdem ich gelaufen bin, durchaus weiter laufen bzw. nach dem sinken auch weiter sinken, während ich nach dem Erwachen nicht mehr erwachen kann, da ich mich bereits im Nachzustand befinde.
(20) Niels ist gelaufen (und läuft immer noch).
(21) Das U-Boot sank (und sinkt immer noch).
(22) *Niels ist erwacht (*und erwacht immer noch).
Somit sieht eine graphische Illustration von Telizität folgendermaßen aus:
(23) Atelizität vs. Telizität
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Zustand A:
z. B. laufen
Zustand B:
z. B. laufen
Zustand A:
schlafen
Um zwischen telischen und atelischen Verben zu unterscheiden, kann u. a. die Modifikation mit Zeitadverbialen des Typs xy-lang herangezogen werden. Hierbei kann die Variable x für eine beliebige Zahl und die Variable y für eine beliebige Zeiteinheit stehen. Atelische Syntagmen lizensieren xy-lang, telische hingegen verbieten xy-lang.
(24) Twix hieß 15 Jahre lang Raider.
(25) Niels lacht 10 Minuten lang.
(26) *Niels erwacht eine Stunde lang.
(27) ?Das Schiff sinkt zwei Stunden lang.
2.1.4 Merkmal IV: ‚perfektiv‘ vs. ‚imperfektiv‘
Bei der Unterteilung in ‚perfektiv‘ bzw. ‚imperfektiv‘ handelt es sich streng genommen um kein Aktionsart-Merkmal, sondern um eine aspektuelle Unterscheidung, die jedoch mit der Distinktion in telische und atelische Eventualitäten korreliert (vgl. Kap. 2.4) und aus diesem Grund oft als Aktionsart-Merkmal herangezogen wird.
Folglich ist mit Egg (1994: 13) „die Verwendung des Begriffs ‚Aspekt‘ in seinen beiden […] Bedeutungen nicht zufällig: Die Unterscheidung perfektiv-imperfektiv hat Auswirkungen auf die Aktionsart eines Prädikats: To be building a house ist im Gegensatz zu to build a house nicht telisch. Dennoch darf man die beiden Verwendungen des Begriffs ‚Aspekt‘ nicht verwechseln.“
Perfektivität (lat. perfectum ‚vollendet‘) bedeutet die Darstellung einer Situation als Ganzes im Sinne einer abgeschlossenen Handlung, ohne Bezug auf einzelne Teile, während Imperfektivität (lat. imperfectum ‚unvollendet‘) die Darstellung einer im Verlauf befindlichen Situation meint. In Kontrast zur Aktionsart werden Perfektivität resp. Imperfektivität zumeist grammatisch – durch morphologische Affixoide – markiert, wobei es sich bei den klassischen Aktionsart-Distinktionen (vgl. Kap. 2.1.1 bis 2.1.3) um primär semantische Differenzierungen handelt, was der traditionellen Definition von Aktionsart – einer semantisch-inhärenten, zeitlich-internen Struktur – entspricht. Des Weiteren bezieht sich die Opposition ‚perfektiv‘ / ‚imperfektiv‘ im Gegensatz zur Aktionsart auf unterschiedliche zeitliche Sichtweisen von Eventualitäten. Das hat zur Konsequenz, dass mit einem perfektiven oder imperfektiven Aspekt u. U. auf ein und dieselbe Eventualität referiert werden kann.
Allerdings kann „die aspektuell unterschiedliche Erfassung von Geschehnissen […] auch in Sprachen wie dem Deutschen ausgedrückt werden, das kein ausgebildetes Aspektsystem aufweist.“ (Hentschel / Weydt 2003: 39) Jedoch ist „die Auffassung darüber, welche Aspekte grundsätzlich angenommen werden sollten und wie die Oppositionen zwischen ihnen genau zu fassen sind, […] nicht einheitlich.“[12] (Hentschel / Weydt 2003: 39)
In der vorliegenden Arbeit werde ich in Bezug auf die Aktionsart das Begriffspaar ‚telisch‘ / ‚atelisch’ verwenden, sodass die Begriffe ‚perfektiv’ und ‚imperfektiv’ für den Aspekt reserviert bleiben.
2.2 Aktionsart-Klassifikation nach Vendler — aspectual classes
In seiner Arbeit Verbs and Times versucht Vendler (1957, 1967) im Kontext eines sprachphilosophischen Ansatzes, Verben resp. Verbphrasen des Englischen auf Basis interner temporaler Strukturen zu klassifizieren. Bei seiner Klassifikation orientiert sich Vendler (1957,1967) u. a. an der bereits in der Einleitung erwähnten Unterscheidung Aristoteles in kineisis und energeia (vgl. Metaphysik Buch θ 6, 1048b, 18–35)[13]. Unter dem Begriff ‚kinesis’ versteht Aristoteles Handlungen, die auf ein Ziel hin gerichtet sind, während der Begriff ‚energeia’ Handlungen bezeichnet, die ihr Ziel schon in sich selbst tragen. In der Linguistik wird dieser Gegensatz u. a. durch die Oppositionen ‚bounded‘ / ‚unbounded’, ‚begrenzt‘ / ‚unbegrenzt’, ‚perfektiv‘ / ‚imperfektiv’ oder ‚telisch‘ / ‚atelisch’ wiedergegeben (s. Thieroff 1992:26).
Darüber hinaus greift Vendler (1957) die von Gilbert Ryle (1949) in seiner Arbeit The Concept of Mind erstmals realisierte Einteilung in Achievements – Verben mit Ergebnis, die in einem bestimmten Augenblick geschehen – und Aktivitäten – Verben ohne Ergebnis, die über eine längere Zeit andauern können – auf und „proposed that verb meanings could be classified into four basic classes, states, activities, achievements and accomplishments, depending on their interaction with aspectual and temporal modifiers.“ (S. Rothstein 2007: 2) Vendler (1957) bezieht sich hierzu (a) auf die Zulässigkeit des Progressivs und (b) auf die Kombination mit Zeitdauer-, Zeitrahmen- und Zeitpunktadverbialen.
Die Tatsache, dass Vendlers Klassifikation genau vier Aktionsarten aufweist ist mit S. Rothstein (2007: 2) nicht willkürlich, sondern hängt damit zusammen,
„that Vendler properties are constraints on how we characterise events. That there are four basic verb classes with exactly these temporal features follows from the fact that verb meanings – or event properties – are necessarily characterised by two basic features, whether or not they are inherently temporally extended, and whether or not they express events of change.“
(28) Modifizierte Klassifikation nach S. Rothstein (2004: 192) auf Basis von Vendler
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Mit Rothstein (2004: 6) ist es Vendlers
„four-way classification […] into states, activities, achievement, and accomplishments, […] which has proved most fruitful and relevant for linguistic research, and which provides the basis for Dowty’s seminal semantic analysis (1979).”
Das Grundproblem, dem sich jede Aktionsartklassifikation stellen muss, –unabhängig von der Bezeichnung der angenommenen Oppositionen – „ist die Auflistung von Aktionsarten in unstrukturierten Listen und die damit verbundene Arbitrarität in Bezug auf die Länge der Liste, die jeweils von der arbiträr vorgenommenen Fein- oder Großdifferenzierung abhängt.“ (Leiss 2011: 98) Hierbei hat Vendlers (1957, 1967) Klassifikation in time schemata den großen Vorteil, dass es sich um eine binäre Einteilung handelt, die – in Anlehnung an die Aristotelische Opposition ‚kineisis‘ / ‚energeia‘ – die Differenzierung in ‚telisch‘ / ‚atelisch‘ aufgreift und weiter „verfeinert“, indem unter Zuhilfenahme weiterer Merkmale atelische Ereignisse in Zustände bzw. Aktivitäten und telische Ereignisse in Accomplishments und Achievements unterteilt werden.
Dieser Vorteil wird jedoch durch das Faktum geschwächt, dass Vendler bei der Subklassifizierung von Ereignissen Aktionsart und Aspekt vermischt, indem er u. a. zunächst auf den grammatischen Progressiv rekurriert, was sich auch in einem Wechsel der Aktionsart- und Aspektterminologie niederschlägt; ich werde hierdrauf im Folgenden explizit eingehen.
2.2.1 Vendlers Progressiv-Test
Zur Aktionsart-Klassifikation verwendet Vendler zunächst den Progressiv, eine „Aspekt-Kategorie des Verbs zur Bezeichnung einer (relativ zu einem implizit oder explizit ausgedrückten Bezugszeitpunkt) andauernden Tätigkeit […]“ (Bußmann 2002: 539), um Aktivitäten resp. Accomplishments von Zuständen und Achievements abzugrenzen.
„I start with the well-known difference between verbs that possess continous tenses and verbs that do not. The question, ‘What are you doing?’ might be answered by ‘I am running (or writing, working, and so on),’ but not by ‘I am knowing (or loving, recognizing, and so on.)’“ Vendler (1957: 144)
Folglich erlauben Aktivitäten wie laufen und Accomplishments wie einen Brief schreiben den Progressiv (d. h. die Rheinische Verlaufsform), während er bei Achievements und Zuständen nicht realisiert werden kann.
(29) Er ist gerade am laufen.
(30) Er ist gerade am schreiben.
(31) *Er ist gerade am wissen.
(32) ??Er ist gerade am erwachen.
Dementsprechend bestehen die Ereignisse in (29) und (30) „of successive phases following one another in time“ (ebd.), was den Progressiv zumindest aus semantischer Sicht lizensiert.
(33) Klassifikation auf Basis des Progressivs
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
2.2.2 Vendlers For how long? – Test
Im zweiten Schritt grenzt Vendler Achievements von Zuständen, die beide den Progressiv erlauben, und Aktivitäten von Accomplishments ab, bei denen der Progressiv nicht möglich ist. Hierzu rekurriert er auf die Kompatibilität mit Zeitdauer-, Zeitrahmen- und Zeitpunktadverbialen.
„Accordingly, the question, ‘For how long did he push the cart?’ is a significant one, while ‘How long did it take to draw the circle?’ is somewhat queer. And, of course, the corresponding answer will be, ‘He was pushing it for half an hour’ and ‘It took him twenty seconds to draw the circle’ or ‘He did it in twenty seconds.’ and not vice versa. Pushing a cart may go on for a time, but it does not take any definite time; the activity of drawing may also go on for a time, but it takes a certain time to draw circle.“ Vendler (1957: 145)
(34) Klassifikation auf Basis des Progressivs und des For how long? – Tests
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Die Kriterien für Vendlers Subklassifikation sind also Dynamik, Homogenität / Telizität und Durativität, wobei in erster Linie die Vereinbarkeit mit dem progressiven Aspekt als Indikator für das Vorhandensein von Dynamik und Durativität fungiert. Aus diesen zwei resp. / drei Kriterien gehen seine vier Klassen hervor:
Aktivitäten (activities): dynamisch, durativ und atelisch
Accomplishments (accomplishments): dynamisch, durativ und telisch
Achievements (achievements): punktuell, nicht dynamisch
Zustände (states): nicht dynamisch, durativ und atelisch
Nachdem mithilfe der beiden Testverfahren (Progressiv- und For how long? – Test) eine binäre Verzweigung in vier Aktionsarten realisiert worden ist, sollen im nächsten Schritt die jeweiligen Aktionsarten kurz skizziert werden.
2.2.3 Zustände
Zustände denotieren Eventualitäten, die statisch, durativ und atelisch sind. Sie erlauben also nicht den Progressiv-, aber den For how long? – Test und lizensieren dar-über hinaus keine Imperativbildung:
(35) *Heiße Niels!
(36) *Wisse, wie spät es ist!
(37) Schreibe!
(38) Versinke!
(39) Erwache!
„For states: ‘A loved somebody from t1 and t2’ means that at any instant between t1 and t2 A loved that person.“ Vendler (1957: 149)
2.2.4 Aktivitäten
Aktivitäten „are processes going on in time, i. e., roughly, that they consist of successive phases following one another in time.“ Vendler bezeichnet Aktivitäten als homogen, weil jeder Teil des durch sie beschrieben Vorgangs dem Vorgang als Ganzen gleicht: Jeder Teil dessen, was mit laufen beschrieben wird, lässt sich ebenfalls mit laufen beschreiben; sie erlauben den Progressiv- und den For how long? – Test. Folglich handelt es sich um dynamische, atelische und durative Eventualitäten.
(40) Niels ist am lachen.
(41) Niels lachte 5 Minuten lang.
„For activities: ‘A was running at time t’ means that time instant t is on a time stretch throughout which A was running.“ Vendler (1957: 149)
2.2.5 Accomplishment
Accomplishments führen einen Ausgangszustand in einen Endzustand über, der der Verbbedeutung inhärent ist. Sie sind mit dem Progressiv kompatibel, lizensieren jedoch nicht die Kombination mit Zeitdaueradverbialen, sind also auf eine bestimmte Zeitdauer beschränkt; folglich handelt es sich um dynamische, durative und telische Eventualitäten.
(42) Das Schiff ist am sinken.
(43) *Das Schiff sank 5 Minuten lang.[14]
„For accomplishments: ‘A was drawing a circle at time t’ means that t is on the time stretch throughout which A drew a circle.“ Vendler (1957: 149)
2.2.6 Achievements
Mit Vendler denotieren Achievements dynamische, punktuelle und telische Eventualitäten; sie erlauben weder den Progressiv- noch den For how long? – Test. Da sie Ereignisse bezeichnen, die keine zeitliche Ausdehnung besitzen, sind Achievements auch nicht mit dem progressiven Aspekt vereinbar, welcher Imperfektivität ausdrückt. Vendlers Beispiel für ein Achievement ist u. a. reach the top. Während jemand, der eine Meile läuft, zu jedem Zeitpunkt des Laufens sagen kann I’m running a mile, kann jemand, der einen Berg besteigt, so Vendler, nicht zu jedem Zeitpunkt sagen I’m reaching the top, was infolge der Unvereinbarkeit der Achievements mit dem progressiven Aspekt ohnehin eine ungrammatische Konstruktion wäre.
(44) ??Niels ist am Erwachen.
(45) *Niels erwachte mehrere Minuten lang.
„For achievements: ‘A won a race between time t1 and t2’ means that the time instant at which A won that race is between t1 and t2.“ Vendler (1957: 149)
[...]
[1] Eine detaillierte Diskussion über die Aristotelischen Kriterien kineisis und energeia findet sich bei Mourelatos (1978).
[2] Dieses Beispiel ist laut Erstgutachter u. a. infolge einer „repräsentativen“ Umfrage einer Gruppe von Studierenden eindeutig grammatisch.
[3] Unter Listemen (listemes) versteht Borer (2005) wurzelhafte Items der ‚offenen Klasse‘ – wie etwa Nomina oder Verben –, die in der sog. Enzyklopädie abgelegt sind und lediglich eine phonologische Repräsentation und abstrakte semantische Merkmale besitzen. Das Gegenstück zur Enzyklopädie ist das sog. linguistische Lexikon – eine ‚geschlossene Klasse‘ –, deren Einheiten abstrakte funktionale Elemente, grammatische Formative und Strukturen sind (functional vocabulary).
[4] Ausgehend von Kap. 4 wird im Folgenden – insbesondere in Kap. 6 – dafür argumentiert, dass die Aktionsart, veranschaulicht am Beispiel der Telizität, eine (syntaktische) Quantitätsstruktur ist, bei der nicht die lexikalische Information (wie es bei einer Vielzahl von Theorien zur aspektuellen Komposition, zum Argumentlinking, zur Parallelität von Objekt- und Verbeigenschaften u. a. der Fall ist), sondern die strukturelle Konfiguration, in die Wörter eingebettet sind, entscheidend für die Interpretation ist.
[5] Die Dichotomie ‚imperfektiv‘ / ‚perfektiv‘ ist streng genommen kein Aktionsart-Merkmal, sondern betrifft den Aspekt. Ich werde auf diese linguistisch „unsaubere“ Vermischung von Aktionsart und Aspekt in Kap. 2.1.4 und in Kap. 3 genauer eingehen.
[6] Unter Eventualitäten verstehe ich einen ‚Oberbegriff für Eigenschaften und Aktionsarten‘.
[7] Diese Bezeichnung verwende ich in Anlehnung an Vendler (1975: 144).
[8] Hierbei orientiere ich mich an Hentschel / Weydt (2003: 41f) sowie an Engelberg (1998).
[9] Formal gesprochen ist Aspekt die Relation zwischen Ereigniszeit und Referenzzeit, während Tempus die Relation zwischen Referenzzeit und Sprechzeit ausdrückt.
[10] Hiermit ist gemeint, dass es zwar ein mögliches inhärentes Ende gibt, dieses jedoch nicht eindeutig fixiert ist.
[11] Vgl. hierzu auch die sog. Vagheitsanalyse im Rahmen der Semantik der Graduierung (Kamp 1975 und Kennedy 1999).
[12] Vgl. hierzu auch Bybee / Perkins / Pagliuca (1994: 30).
[13] Hierbei sei angemerkt, dass Aristoteles nicht temporale Strukturen, sondern Handlungen analysiert.
[14] Dieses Grammatikalitätsurteil halte ich für fragwürdig. (vgl. Kap 2.1.2)
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