Die realistische, überwiegend emotionslose und ästhetisch wenig ambitionierte Literatur der Neuen Sachlichkeit erfreute sich nicht nur positiver Resonanz.
Anhand ausgewählter Textbeispiele soll die kritische Diskussion um die Literatur der Neuen Sachlichkeit differenziert beleuchtet werden. Schwerpunkt dieser Arbeit bilden dabei die Fragen, was genau an der Literatur der Neuen Sachlichkeit kritisiert und von welchen Standpunkten aus Kritik geübt wurde. Anhand des Aufsatzes „Schluß mit der Neuen Sachlichkeit“ von Joseph Roth sollen zunächst wesentliche Argumente gegen die neusachliche Literatur herausgearbeitet werden.
Zur Ergänzung und zum Vergleich folgen einige Beispiele aus Roths Roman „Flucht ohne Ende“, der in seiner Schaffensphase als Vertreter der Neuen Sachlichkeit entstand. Der Vollständigkeit halber werden in einem nächsten Schritt kritische Positionen der bürgerlichen und marxistischen Linken, der Rechtskonservativen und der Völkisch-Nationalen und schließlich der Nationalsozialisten gegenüber der Neuen Sachlichkeit betrachtet.
In einem abschließenden Teil sollen einige Kritikpunkte noch einmal aufgegriffen und vom heutigen Standpunkt aus gesehen diskutiert werden.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Hauptteil
2.2. Kritik an der „Neuen Sachlichkeit“
2.2.1. Kritik an der Literatur der „Neuen Sachlichkeit“ anhand des Textes von Joseph Roth: „Schluß mit der Neuen Sachlichkeit“
2.2.2. Als Ergänzung: Joseph Roth als Vertreter der „Neuen Sachlichkeit“
2.3. Dimensionen des kritischen Diskurses über die „Neue Sachlichkeit“
2.3.1. Kritik der bürgerlichen und marxistischen Linken
2.3.2. Kritik der Rechtskonservativen und Völkisch-Nationalen und der Nationalsozialisten ( nach 1933)
3. Schluss
Eigene Beurteilung der neusachlichen Literatur
4. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Die realistische, überwiegend emotionslose und ästhetisch wenig ambitionierte Literatur der Neuen Sachlichkeit erfreute sich nicht nur positiver Resonanz.
Anhand ausgewählter Textbeispiele (s. Reader) soll die kritische Diskussion um die Literatur der Neuen Sachlichkeit differenziert beleuchtet werden. Schwerpunkt dieser Arbeit bilden dabei die Fragen, was genau an der Literatur der Neuen Sachlichkeit kritisiert und von welchen Standpunkten aus Kritik geübt wurde. Anhand des Aufsatzes „Schluß mit der Neuen Sachlichkeit“ von Joseph Roth sollen zunächst wesentliche Argumente gegen die neusachliche Literatur herausgearbeitet werden.
Zur Ergänzung und zum Vergleich folgen einige Beispiele aus Roths Roman „Flucht ohne Ende“, der in seiner Schaffensphase als Vertreter der Neuen Sachlichkeit entstand. Der Vollständigkeit halber werden in einem nächsten Schritt kritische Positionen der bürgerlichen und marxistischen Linken, der Rechtskonservativen und der Völkisch-Nationalen und schließlich der Nationalsozialisten gegenüber der Neuen Sachlichkeit betrachtet.
In einem abschließenden Teil sollen einige Kritikpunkte noch einmal aufgegriffen und vom heutigen Standpunkt aus gesehen diskutiert werden.
2. Hauptteil
2.2. Kritik an der „Neuen Sachlichkeit“
2.2.1. Kritik an der Literatur der „Neuen Sachlichkeit“ anhand des Textes von Joseph Roth: „Schluß mit der Neuen Sachlichkeit“
Im Folgenden soll nun die kritische Diskussion um die Literatur der neuen Sachlichkeit im Zentrum dieser Arbeit stehen. Negative Kritik kam aus ganz verschiedenen Lagern, so z.B. auch von Vertretern der „Neuen Sachlichkeit“. Selbst Joseph Roth, ursprünglich Repräsentant und Wortführer der neusachlichen Bewegung, wendet sich in seinem 1930 erschienenen Aufsatz „Schluß mit der Neuen Sachlichkeit“ demonstrativ von der Ästhetik der Neuen Sachlichkeit ab.
Er kritisiert in seinem Aufsatz die „groß[e]“ „stoffliche Unwissenheit der Schreibenden“ und die „dokumentarische Authentizität des Geschriebenen“, die „Menge“ und „die Hohlheit der Publikationen“ und die „Leichtgläubigkeit“[1] ihrer Rezipienten. Roth fordert die Abwendung von einer dokumentarisch-berichtenden Wiedergabe zugunsten einer „künstlerischen“, dichterischen Gestaltung der Realität. Der Neuen Sachlichkeit sei der Fehler unterlaufen, den „Schatten, den die Gegenstände werfen, mit den Gegenständen verwechselt zu haben“: „Das Wirkliche begann man für wahr zu halten, das Dokument für echt, das Authentische für gültig.“[2] Roth sieht in der Realismuskonzeption, die sich ausschließlich auf die tatsächlich erfahrbare Wirklichkeit bezieht, einen entscheidenden Irrtum neusachlicher Ästhetik.
Er weist den „ungestalteten“, also den auf Gegenständlichkeit und Objektivität abzielenden Bericht als eine „nicht-künstlerische Form“ zurück. Zur Verdeutlichung belegt Roth den neusachlichen Bericht mit dem Begriff der literarischen „Zeugenaussage“ und grenzt ihn vom künstlerischen Bericht ab. Roth beklagt, dass der Zeugenaussage mehr geglaubt werde als dem künstlerischen Bericht, obwohl es sich bei ersterem nur um Aussagen eines „zufälligen“ und somit „unpersönlichen“ Beobachters handle. Er erkennt die neusachliche dokumentarische Wirklichkeitsaneignung nicht an, da diese Realitätserfassung weder „Wahrheit“ noch „Objektivität“ garantiere. Der neusachliche Autor, also der „Zeuge“, könne nur ein Detail des Ereignisses, nicht aber das Ereignis selber schildern. Die Zeugenaussage sei daher nur eine Auskunft über das Ereignis, „das Faktum und das Detail“ seien ihr ganzer Inhalt. Sie wiederum stellen das Rohmaterial für den künstlerischen, poetischen Bericht dar. Gerade der „geformte“ Bericht setze eine präzise Kenntnis der Realität durch den Autor voraus, damit sie durch ihn „beliebig“ und „schöpferisch“ verändert werden könne. Die „Wirklichkeit“, und damit meint Roth insbesondere den „wirkliche[n], lebendige[n] Mensch[en]“ und alles, was mit ihm in Verbindung steht, ist also die Grundlage, das Material, die Voraussetzung eines literarischen Werkes, „darf jedoch nicht sein eigentlicher Inhalt sein“[3].
Allein im poetischen Bericht könne die „reale Unmittelbarkeit“ der „Eindrücke“ wiedergefunden werden, in dem beispielsweise der „Mensch“ so lebensecht dargestellt wird, dass der Rezipient meint, er könne ihn sehen, hören und fühlen. Der „geformte“ Bericht sei nicht mehr auf das Detail angewiesen, wie der dokumentarische Bericht. Der künstlerische Bericht gebe das Ereignis selbst wieder, „er ist selbst das Ereignis“[4]. Der poetisch geformte Bericht könne, im Gegensatz zur Zeugenaussage, durch die „Verlebendigung des Tatsächlichen“, also eine durch schöpferische Gestaltung umgewandelte Realität, die Totalität, die Wirklichkeit, die „innere“ oder „höhere Wahrheit“ erfassen. Denn nach Roth ist erst das „Kunstwerk“ „echt wie das Leben“[5].
Der dokumentarische Bericht dagegen sei, laut Roth, nicht glaubwürdig, sondern hohl und weit davon entfernt, die Vollwirklichkeit zu erfassen, da er nur Oberfläche widerspiegele, „nackte Tatsachen“ nacherzähle, „Schatten“ werfe. Nur die „künstlerische“ „Objektivität“ allein vermöge einen Sachverhalt wahrheitsgemäß darzustellen.
Roth plädiert sowohl für einen Realitätsbezug von Literatur als auch für eine künstlerische Gestaltung der Wirklichkeit. Er sieht in dem Verzicht auf „Gestaltung“, wie es für die Neue Sachlichkeit gefordert wurde, sogar eine Gefahr für die weitere Entwicklung der Literatur: „Gefährlich aber wird das Dokument in dem Augenblick, in dem es anfängt, die Gestaltung zu ersetzen und zu verdrängen. Die Mitteilung tritt an Stelle des Berichts. Das mitteilende Wort an Stelle des Geformten und Formenden, des „gedichteten“ also.“[6]
2.2.2. Zum Vergleich: Joseph Roth als Vertreter der „Neuen Sachlichkeit“
Wie bereits erwähnt, war Joseph Roth erst selbst Vertreter der Neuen Sachlichkeit. Es stellt sich nun die Frage, inwieweit er sich zu Zeiten seiner neusachlichen Schaffensphase dem Motto der Zeit „Dokumentation statt Dichtung“ angepasst hat. Zu dieser Fragestellung soll nun sein Werk „Flucht ohne Ende“ (1927) untersucht werden. Das von Roth formulierte Vorwort steht in einem Gegensatz zu seiner 1930 eingenommenen Position, da er vorgibt, einen Roman vorzulegen, der dem Prinzip des Dokumentarismus folgt: „Ich habe nichts erfunden, nichts komponiert. Es handelt sich nicht mehr darum zu „dichten“. Das wichtigste ist das Beobachtete“[7].Der Rezipient geht davon aus, es handle sich um ein neusachliches Werk, das dem weit verbreiteten Reportagestil dieser Epoche verpflichtet ist. Es wäre an dieser Stelle also zu untersuchen, ob der Roman diesem stilistischen Purismus entspricht, oder ob das Vorwort von Roth vielleicht nur als eine Art Etikett vorangestellt wurde, um dem literarischen Zeitgeist zu entsprechen. Dazu sollen einige Textpassagen herangezogen werden, die für den Gesamtroman durchaus repräsentativ sind. In Roths „Flucht ohne Ende“ finden sich deutliche Elemente des Journalismus. Es wird in knappen, oft parataktisch gereihten Aussagesätzen berichtet. Momentaufnahmen großstädtischen Lebens werden reportagehaft dargestellt: „Wir sahen in einigen Tagen einen Amokläufer und eine Prozession; eine Filmpremiere, eine Filmaufnahme, den Todessprung eines Artisten Unter den Linden, einen Überfallenen, das Asyl für Obdachlose [...]“[8]. Auch die Thematisierung der sozialen und gesellschaftlichen Orientierungs- und Ratlosigkeit des entwurzelten Kriegsheimkehrers nach dem ersten Weltkrieg entspricht eindeutig der Programmatik der neuen Sachlichkeit.
[...]
[1] Joseph Roth: Schluß mit der Neuen Sachlichkeit. In: Sabina Becker: Neue Sachlichkeit. Bd. 2: Quellen und Dokumente. Köln, Weimar, Wien 2000. S.315.
[2] Joseph Roth: Schluß mit der Neuen Sachlichkeit. In: Sabina Becker: Neue Sachlichkeit. Bd. 2: Quellen und Dokumente. Köln, Weimar, Wien 2000. S.316.
[3] Alfred Kantorowicz: Schluß mit der Neuen Sachlichkeit. In: Sabina Becker: Neue Sachlichkeit. Bd. 2: Quellen und Dokumente. Köln, Weimar, Wien 2000. S.339.
[4] Joseph Roth: Schluß mit der Neuen Sachlichkeit. In: Sabina Becker: Neue Sachlichkeit. Bd. 2: Quellen und Dokumente. Köln, Weimar, Wien 2000. S. 317.
[5] Ebenda, S.318.
[6] Joseph Roth: Schluß mit der Neuen Sachlichkeit. In: Sabina Becker: Neue Sachlichkeit. Bd. 2: Quellen und Dokumente. Köln, Weimar, Wien 2000. S.319.
[7] Joseph Roth: Die Flucht ohne Ende, 1927. Verlag Kiepenhauer & Witsch. Köln, 1994. S.7.
[8] ebenda, S.102.