Im angloamerikanischen Raum wird seit etwa 15 Jahren die Bedeutung aktiven Mitgefühls im wirtschaftlichen Leben diskutiert. In den letzten Jahren wird versucht, die Erkenntnisse der akademischen Diskussion für Unternehmen in der Praxis nutzbar zu machen. Die vorliegende Arbeit beleuchtet die Thematik unter einer intraorganisationalen Perspektive. Diese scheint insbesondere für Unternehmen sinnvoll zu sein, die bisher keine systematisierte Erfahrung in der Umsetzung einer mitfühlenden organisationalen Praxis (MOP) haben.
Um die im Titel formulierte Frage beantworten zu können, muss zunächst in Kapitel 2 der Begriff des aktiven Mitgefühls bestimmt, dessen Komponenten erläutert sowie die Grundstruktur einer MOP identifiziert werden. In Kapitel 3 werden Chancen, Risiken und Hindernisse als Entscheidungsparameter vorgestellt. Wünschenswert ist eine Umsetzung, wenn es gelingt, mit einer MOP verbundene Chancen zu nutzen, deren Risiken zu vermeiden und vorhandene Hindernisse aufzulösen. Hierin enthaltene Implikationen für die Umsetzung werden entsprechend aufgeführt.
Kapitel 4 zeigt auf, dass ein ganzheitliches Verständnis von Organisationen für eine erfolgsversprechende Umsetzung förderlich ist. Eine MOP wird zunächst in den Kontext von Emotionen als Teil organisationalen Lebens gestellt, weil Emotionen sowohl Einflussfaktoren auf, als auch Anlass für eine MOP bilden und diese somit auch im Rahmen eines Emotionsmanagements gesehen werden kann. Daneben ist eine integrale Perspektive auf Organisationen zu thematisieren, weil eine erfolgreiche Umsetzung aufeinander abgestimmte Maßnahmen in verschiedenen Bereichen einer Organisation erfordert. Anschließend werden in Kapitel 5 konkrete Maßnahmen vorgestellt, die im Rahmen integraler Umsetzung zielführend sind. Zudem werden Kriterien besproch-en, wie eine auf die Organisationssituation zugeschnittene Auswahl dieser Maßnahmen erfolgen könnte. Im Rahmen des Fazits in Kapitel 6 erfolgt eine wertende Zusammenfassung der dargebotenen Inhalte, um die Ausgangsfrage einer ebenfalls wertenden Antwort zuzuführen. Der Ausblick in Kapitel 7 soll abschließend weitere notwendige bzw. wünschenswerte Forschungen und Entwicklungen skizzieren.
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
1. Einleitung
1.1 Problemstellung
1.2 Ziel und Aufbau der Arbeit
2. Aktives Mitgefühl im Rahmen einer MOP
2.1 Begriffsbestimmung aktiven Mitgefühls
2.2 Komponenten, Bewertungsprozesse und ihre Implikationen
2.3 Grundstruktur einer MOP
3. Entscheidungsparameter und Implikationen für die Umsetzung
3.1 Chancen
3.2 Risiken
3.3 Hindernisse
3.4 Implikationen
4. Umsetzung aus ganzheitlicher Organisationsperspektive
4.1 MOP im Kontext von Emotionen
4.1.1 Begriff und Bedeutung von Emotionen
4.1.2 Wechselseitigkeit zwischen Emotionen und MOP
4.2 Umsetzung unter integraler Perspektive
4.2.1 Theoretische Fundierung integraler Entwicklung
4.2.2 Interdependenzen und ihre Bedeutung für eine Umsetzung
5. Umsetzung mitfühlender organisationaler Praxis
5.1 Einflussnahme über die individuellen Entwicklungsfelder
5.2 Einflussnahme über die kollektiven Entwicklungsfelder
5.3 Organisationsspezifische Auswahl der Maßnahmen
6. Fazit
7. Ausblick
Literaturverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Maßnahmen, ihre Zuordnung zu den individuellen Entwicklungsfeldern und tangierte Themenfelder (eigene Darstellung).
Tabelle 2: Maßnahmen, ihre Zuordnung zu den kollektiven Entwicklungsfeldern und tangierte Themenfelder (eigene Darstellung).
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Themenfelder aktiven Mitgefühls und ihre Bezüge (eigene Darstellung).
Abbildung 2: Grundtypen (Grade) einer MOP (eigene Darstellung).
1. Einleitung
1.1 Problemstellung
Eine mitfühlende organisationale Praxis (MOP) wurde bereits frühzeitig im Gesundheitswesen diskutiert (vgl. auch Kanov et al. 2004, S. 811), wo aktives Mitgefühl als moralischer Imperativ im Rahmen der Patientenbetreuung gilt (vgl. Kanov et al. 2004, S. 812). Tatsächlich aber zeigten Mitarbeiter administrativer Abteilungen eines Krankenhauses häufiger Mitgefühl als Mitarbeiter pflegebezogener Stationen (vgl. Lilius et al. 2008, S. 201). Eine MOP findet sich heute auch in einigen Wirtschaftsunternehmen. Bei CISCO bspw. wurde Mitgefühl institutionalisiert, um sicherzustellen, dass Mitarbeiter in bestimmten Notlagen durch die Organisation unterstützt werden (vgl. Kanov et al. 2004, S. 817). Mitgefühl zeigt sich demzufolge im wirtschaftlichen bzw. beruflichen Umfeld nicht nur öfter als vermutet, sondern auch an unerwarteter Stelle (vgl. Lilius et al. 2008, S. 201; Rynes et al. 2012, S. 503).
Im Rahmen des „positive organizational scholarship“ (POS) wurde untersucht, inwieweit positive Einzelfälle gelebten Mitgefühls in der organisationalen Praxis als Impulsgeber für eine grundlegende Umsetzung in Organisationen dienen können (vgl. Suttie 2010, S. 134). Die Darstellung dieser Einzelfälle mündete schließlich in eine Diskussion über Rahmenbedingungen, die Organisationen eine entsprechende Praxis erlauben sollen (vgl. Dutton et al. 2006, S. 59), um eine akademische Antwort auf Leiden als Bestandteil organisationalen Lebens geben zu können (vgl. z. B. Rynes et al. 2012, S. 505).
Eine MOP kann im organisationalen Kontext auf extraorganisationale (Kunden, Organisationen) und intraorganisationale (bspw. Mitarbeiter, Teams) Empfänger ausgerichtet werden (vgl. auch Lawrence/Maitlis 2012, S. 641). Hinsichtlich der Bewertung weichen bei beiden Chancen, Risiken und Hindernisse zum Teil deutlich voneinander ab, so dass sich die folgende Arbeit auf die Betrachtung einer intraorganisationalen MOP beschränkt. Dies scheint gerechtfertigt, weil eine solche auch isoliert eingeführt bzw. umgesetzt werden kann. Zudem kann es plausibel sein, Erfahrungen mit einer umfassenderen MOP zunächst intraorganisational zu suchen, weil hier die Interessen von Mitarbeitern und Organisation insoweit konvergieren, dass der Erhalt der eigenen Organisation nicht grundsätzlich unterlaufen wird. Das könnte aber bspw. der Fall sein, wenn ein anderer Marktteilnehmer als Empfänger Mitgefühl zu seinem Vorteil ausnutzen würde.
1.2 Ziel und Aufbau der Arbeit
Im Rahmen der vorliegenden Arbeit soll für eine intraorganisationale MOP untersucht werden, ob es sich bei den der Diskussion zugrunde liegenden Fällen einer MOP um Einzelphänomene oder um richtungsweisende Vorbilder handelt. Im zweiten Fall dürften diese nicht nur Ausdruck einer besonderen philanthropischen Einstellung von Unternehmensspitzen und wesentlicher Aktionäre sein, sondern müssten auch für gewinnorientierte Organisationen in unterschiedlichen Kontexten vorteilhaft umsetzbar sein.
Um diese Frage zu beantworten, muss zunächst in Kapitel 2 der Begriff des aktiven Mitgefühls bestimmt, dessen Komponenten erläutert sowie die Grundstruktur einer MOP identifiziert werden. In Kapitel 3 werden Chancen, Risiken und Hindernisse als Entscheidungsparameter vorgestellt. Wünschenswert ist eine Umsetzung, wenn es gelingt, mit einer MOP verbundene Chancen zu nutzen, deren Risiken zu vermeiden und vorhandene Hindernisse aufzulösen. Hierin enthaltene Implikationen für die Umsetzung werden entsprechend aufgeführt. Kapitel 4 zeigt auf, dass ein ganzheitliches Verständnis von Organisationen für eine erfolgsversprechende Umsetzung förderlich ist. Eine MOP wird zunächst in den Kontext von Emotionen als Teil organisationalen Lebens gestellt, weil Emotionen sowohl Einflussfaktoren auf, als auch Anlass für eine MOP bilden und diese somit auch im Rahmen eines Emotionsmanagements gesehen werden kann. Daneben ist eine integrale Perspektive auf Organisationen zu thematisieren, weil eine erfolgreiche Umsetzung aufeinander abgestimmte Maßnahmen in verschiedenen Bereichen einer Organisation erfordert. Anschließend werden in Kapitel 5 konkrete Maßnahmen vorgestellt, die im Rahmen integraler Umsetzung zielführend sind. Zudem werden Kriterien besprochen, wie eine auf die Organisationssituation zugeschnittene Auswahl dieser Maßnahmen erfolgen könnte. Im Rahmen des Fazits in Kapitel 6 erfolgt eine wertende Zusammenfassung der dargebotenen Inhalte, um die Ausgangsfrage einer ebenfalls wertenden Antwort zuzuführen. Der Ausblick in Kapitel 7 soll abschließend weitere notwendige bzw. wünschenswerte Forschungen und Entwicklungen skizzieren.
2. Aktives Mitgefühl im Rahmen einer MOP
Aktives Mitgefühl ist natürlicher Ausdruck von Menschlichkeit am Arbeitsplatz (vgl. Frost et al. 2000, S. 25), der zum Wohlbefinden von Einzelnen und Gemeinschaften (vgl. Frost et al. 2006, S. 845; Rynes et al. 2012, S. 507) sowie deren Entwicklung beiträgt (vgl. Rynes et al. 2012, S. 506). Es handelt sich um eine soziale Kraft (vgl. Clark 1997, S. 56f.), die durch die fehlende Erwartung einer Gegenleistung gekennzeichnet ist (vgl. Miller et al. 2012, S. 621). Dabei scheint es interkulturelle Unterschiede hinsichtlich moralischer Bewertung, Ausdruck und Hilfeverhalten zu geben (vgl. Goetz et al. 2010, S. 365f.). Kulturelle Unterschiede könnten auch dafür verantwortlich sein, dass das Erleben von Mitgefühl bei Frauen und Männern voneinander abweicht (vgl. Hüls 2012, S. 26), wobei Frauen mitfühlender sind als Männer (vgl. auch Munro et al. 2014, S. 151).
2.1 Begriffsbestimmung aktiven Mitgefühls
Aktives Mitgefühl setzt sich aus mehreren Komponenten zusammen, die durch verschiedene Bewertungsprozesse miteinander verknüpft sind (vgl. auch Goetz et al. 2010, S. 356; vgl. Atkins/Parker 2012, S. 526f.). Das Wahrnehmen eines Leidens (in Form von Schwierigkeiten oder einer Notlage) anderer Menschen bildet die kognitive Komponente, während emotionale Betroffenheit angesichts des Leidens die emotionale Komponente darstellt (vgl. auch Kanov et al. 2004, S. 808f.; Dutton et al. 2006, S. 71f.; Frost et al. 2006, S. 846). Daneben wird der Wunsch zur Linderung dieses Leidens als eigenständige volitionale Komponente formuliert (vgl. Ulich/Volland 1998, S. 90; Hüls 2012, S. 19; vgl. auch DeLeo 2013, S. 225), die allerdings als fakultativ angesehen wird (vgl. Ulich/Volland 1998, S. 90; vgl. auch Hüls 2012, S. 39). Hinzukommen muss zwingend eine (re-)aktionale Komponente in Form einer Handlung zur Reduzierung des wahrgenommenen Leidens. Erst dann kann von aktivem Mitgefühl im Sinne des englischen Begriffs „compassion“ gesprochen werden (vgl. Kanov et al. 2004, S. 814; Madden et al. 2012, S. 689; vgl. auch Pate/Shoblom 2014, S. 135). Hinsichtlich der Beteiligten lassen sich hier Beobachter als Mitgefühl Spendende von Empfangenden als Mitgefühl erhaltende Leidende unterscheiden (vgl. Atkins/Parker 2012, S. 526).
Die Handlung zur Linderung eines Leidens ist als Schlüsselelement zu verstehen, das aktives Mitgefühl von passiven Formen des Mitgefühls unterscheidet (vgl. auch Atkins/Parker 2012, S. 525; Dutton et al. 2006, S. 60). Übereinstimmung zur Empathie besteht insofern, als die speziellere kognitive Perspektivenübernahme im Rahmen einer Empathie in der allgemeineren kognitiven Komponente des Wahrnehmens aufgeht. Gleichzeitig stellt eine affektive Antwort bei Empathie eine mögliche Gefühlsgrundlage emotionaler Betroffenheit dar (vgl. auch Kanov et al. 2004, S. 815; Pate/Shoblom 2014, S. 133). Während einige Autoren formulieren, dass Empathie nicht mit einer Handlung zur Linderung der Not verbunden sei (vgl. Dutton et al. 2002, S. 56; Kanov et al. 2004, S. 815; Frost et al. 2006, S. 846; Atkins/Parker 2012, S. 525), gehen andere Autoren davon aus, dass Empathie die Sorge und Hilfe für andere umfasst, so als würde es den Beobachter selbst betreffen (vgl. Atkins 2014, S. 49; Senge/Krahnke 2014, S. 187). Demzufolge gibt es eine Verwendung des Begriffs „Empathie“, durch den dieser als spezielleres Phänomen in dem dazu allgemeineren Begriff des „aktiven Mitgefühls“ vollständig aufgeht. Die entsprechende Literatur kann folglich als Quelle dieser Arbeit dienen.
Während aktives Mitgefühl intuitiv als eine Reaktion auf ein bereits bestehendes Leiden verstanden wird, kann im organisationalen Alltag insbesondere auch die Antizipation eines Leidens zu aktivem Mitgefühl führen, wenn diese Vorstellung zu emotionaler Betroffenheit führt und aus diesem Grund eine andere Entscheidungsalternative gewählt wird. Die Wahl einer anderen Entscheidungsalternative stellt eine mitfühlende Reaktion dar, die darüber bestimmen kann, ob ein Mitgefühl auslösendes Ereignis für Dritte überhaupt und in welcher Form auftritt. Folgt eine mitfühlende Reaktion der Antizipation eines Leidens, kann von präventivem Mitgefühl gesprochen werden, während das Handeln auf ein sichtbares Leiden als kuratives Mitgefühl verstanden werden kann.
Von aktivem Mitgefühl müssen auf Mitleid basierende Handlungen grundlegend differenziert werden. Bei vorhandenem Mitleid kommt es zwar ebenfalls zur Bekundung von Bedauern, was aber in der Regel mit der Herstellung einer Hierarchie einhergeht. Der Bekundende schaut auf den Leidenden als das Opfer bzw. den Schwächeren herab, so dass Mitleid häufig negativ konnotiert ist (vgl. Hüls 2012, S. 20), woraus sich eine andere emotionale Wirkung auf den Leidenden ergibt.
Aufgrund der aktiven (helfenden) Hinwendung zu einem Leidenden kann aktives Mitgefühl als „organizational citizenship behavior“ (OCB) betrachtet werden (vgl. auch Mossholder et al. 2011, S. 33; Grant/Patil 2012, S. 560; Jiao et al. 2013, S. 698). Gleichzeitig stellt aktives Mitgefühl im Sinne einer Tugend, die der Organisation auch im Ganzen zugute kommt, eine Form prosozialen Verhaltens dar (vgl. auch Mossholder et al. 2011, S. 33). Umgekehrt stellt Helfen im Rahmen prosozialen Verhaltens oder des OCB kein aktives Mitgefühl dar, solange eine das Mitgefühl kennzeichnende kognitive oder emotionale Komponente fehlt (vgl. Kanov et al. 2004, S. 815).
2.2 Komponenten, Bewertungsprozesse und ihre Implikationen
Das Auftreten und der Ablauf der vorzustellenden Komponenten und Bewertungsprozesse variieren personen- und situationsspezifisch (vgl. auch Kanov et al. 2004, S. 814). Insbesondere kollektive Prozesse sind komplex miteinander verbunden, laufen teilweise simultan ab oder gehen ineinander über (vgl. Kanov et al. 2004, S. 821). Unabhängig davon lassen sich aus einer linearen Darstellung aktiven Mitgefühls in individueller und kollektiver Form Implikationen zur gezielten Förderung einer MOP ableiten. Abbildung 1 bietet zunächst einen Überblick über die vorliegenden Zusammenhänge.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Themenfelder aktiven Mitgefühls und ihre Bezüge (eigene Darstellung).
Diese Implikationen verweisen auf sieben Themenfelder, deren Beachtung für eine Umsetzung relevant ist und auf die im Weiteren Bezug genommen werden soll. Die Themenfelder sind vielfältig wechselseitig aufeinander bezogen wie bspw. „Einbettung“ und „Einstellung“ oder „Einstellung“ und „Legitimation“. Gleichzeitig sind aufgeführte Aspekte der individuellen Perspektive zudem in der kollektiven Perspektive wirksam, weil kollektives Mitgefühl Beginn und Ausdruck in individuellem Mitgefühl findet.Vor der Betrachtung mit kollektiver Perspektive erfolgt entsprechend die Darstellung mit individueller Perspektive. Die Implikationen, die sich hier ergeben, wurden unter vier Oberbegriffe subsumiert. Unter „Einstellung“ sind bspw. Erfahrungen, Motivationen oder Bewertungen zusammengefasst. „Befähigung“ umfasst emotionale wie Handlungskompetenzen. „Einbettung“ bezieht sich auf soziale Beziehungen und daraus resultierender Verbundenheit. Benötigte Ressourcen, auch in Form von Zeit, bilden Grundlagen der „Ermöglichung“. Die Nummerierung [x] in Abbildung 1 ermöglicht die Zuordnung zu den im Text vorgestellten Implikationen.
Über das Wahrnehmen wird dem Beobachter das Leiden einer anderen Person bewusst (vgl. Kanov et al. 2004, S. 812). Dies beinhaltet das Bewusstsein darüber, dass dieses Leiden nicht das eigene ist (vgl. Nussbaum 1996, S. 35; Goetz et al. 2010, S. 357; vgl. auch Pate/Shoblom 2014, S. 135), denn nur so kann das notwendige Maß zwischen Distanzierung und gleichzeitiger Verbundenheit erreicht werden (vgl. Atkins/Parker 2012, S. 539). Nimmt der Beobachter dabei das Geschehen auch mit den Augen des Leidenden war, kann in diesem Zusammenhang von einer kognitiven Perspektivenübernahme gesprochen werden (vgl. Ulich/Volland 1998, S. 90; Pate/Shoblom 2014, S. 133). Anlässe für ein Wahrnehmen bilden bewusste wie unbewusste physische bzw. emotionale Reaktionen, die die Aufmerksamkeit in diese Richtung lenken [1] oder die direkte Ansprache durch den Leidenden selbst [2] (vgl. Kanov et al. 2004, S. 812). Am leichtesten findet das Wahrnehmen gegenüber Personen statt, die ein Beobachter kennt oder mag [3] bzw. deren Leiden dieser selbst bereits erfahren hat [4] (vgl. Kanov et al. 2004, S. 812f.). Angst vor unbekannten Menschen verhindert über eine Cortisolausschüttung mitfühlende Hinwendung. Erst ein Kennenlernen korrigiert dies [5] (vgl. auch Keltner 2009, S. 183f. mit 230; vgl. Hüls 2012, S. 23). Daneben behindern Geschäftigkeit oder Zeitdruck das Wahrnehmen [6] (vgl. Kanov et al. 2004, S. 813).
Über kognitive Bewertungen evaluieren Individuen, ob und in welcher Weise eine bestimmte Begegnung mit der Umwelt das eigene Wohlbefinden tangiert (vgl. Folkman et al. 1986, S. 992). Die Relevanz des Leidenden hierfür kann sich dabei aus der Tatsache ergeben, dass der Leidende selbst für das eigene Wohlbefinden von Bedeutung ist [7], das Leiden bzw. seine Ursache allgemeine Ziele und Werte des Beobachters verletzt [8] oder beide Personen sich bspw. bezogen auf Werte, Vorlieben oder Verhalten ähnlich sind bzw. sich emotional verbunden fühlen [9] (vgl. Folkman et al. 1986, S. 993; Goetz et al. 2010, S. 356f.; Atkins/Parker 2012, S. 526f.; Madden et al. 2012, S. 690).
Die Gefühlslage im Rahmen emotionaler Betroffenheit variiert in Abhängigkeit von der Situation und ihren Beteiligten [10]. Einerseits kann der Beobachter die emotionale Lage des Leidenden mehr oder weniger, aber bewusst (vgl. Häusser 2012, S. 324) mitempfinden (vgl. Kanov et al. 2004, S. 813). Andererseits können neben einem Einfühlen (vgl. Frost et al. 2006, S. 846) – oder ausschließlich – andere Gefühle des Betroffenseins vorhanden sein, die eine mitfühlende Handlung auslösen (vgl. Atkins/Parker 2012, S. 525) und/oder den Grad der Involvierung des Beobachters anzeigen (vgl. Miller et al. 2012, S. 622). Betroffenheit, Bedauern oder Traurigkeit werden hier bspw. genannt (vgl. Ulich/Volland 1998, S. 90).
Der Beobachter muss zu dem Schluss kommen, dass ein Leiden unverdient ist [11] (vgl. Goetz et al. 2010, S. 356; Atkins/Parker 2012, S. 527; Simpson et al. 2014, S. 479), damit sich in ihm (bewusst oder unbewusst) der Wunsch zur Hilfe entwickeln wird. Als unverdient wird ein Leiden bewertet, wenn der Leidende in keiner Weise dafür verantwortlich ist. Positiv gefördert wird diese Bewertung, wenn der Leidende als altruistisch und kooperativ wahrgenommen wird [12] (vgl. Goetz et al. 2010, S. 357), so dass dieser Bewertung auch Aspekte von Gerechtigkeit und Fairness zugrunde liegen (vgl. Goetz et al. 2010, S. 358). Insbesondere im Hinblick auf die Frage, ob ein Leiden verdient ist, aber auch bezüglich anderer Bewertungen, bestehen erhebliche Unterschiede zwischen den einzelnen Menschen (vgl. Atkins/Parker 2012, S. 527).
Der Wunsch, das Leiden eines anderen zu lindern, kann als prosoziale Motivation begriffen werden [13], weil hier eine Orientierung zum anderen vorliegt und eine Verbindung zu diesem empfunden wird (vgl. Miller et al. 2012, S. 621).
Ob es zu einer mitfühlenden Handlung kommt, hängt von der Bewertung der Selbstwirksamkeit des Beobachters ab [14]. Er muss davon ausgehen, über entsprechende Ressourcen zu verfügen (vgl. Atkins/Parker 2012, S. 526f.), um die Situation bewältigen zu können (vgl. Folkman et al. 1986, S. 999; Goetz et al. 2010, S. 356), indem er Schaden verhindert bzw. wenigstens die Aussichten verbessert (vgl. Folkman et al. 1986, S. 993). Von besonderer Bedeutung sind hier auch Coping-Strategien, ohne die eine derartige Situation zu einer Belastung für den Beobachter selbst führen kann, durch die eine mitfühlende Handlung unterbleibt (vgl. Goetz et al. 2010, S. 358; Atkins/Parker 2012, S. 527). Ein Nutzen-Kosten-Vergleich [15] muss hier nicht notwendig bewusst stattfinden (vgl. Atkins/Parker 2012, S. 526). In diesen Vergleich scheint eine durch mitfühlende Handlungen verursachte Feuerung dopaminerger Neurone im Sinne eines intrinsischen Nutzens einbezogen zu werden, der alleine Kosten und Risiken überwiegen kann (vgl. Goetz et al. 2010, S. 367f.). Andererseits erhöht bspw. eine vorhandene Unsicherheit über die Akzeptanz mitfühlender Handlungen die vom Beobachter wahrgenommenen Kosten (vgl. auch Miller et al. 2012, S. 629).
Aufgrund von Wahrnehmung und Betroffenheit muss eine Handlung zur Reduzierung oder Auflösung des Leidens erfolgen [16] (vgl. Kanov et al. 2004, S. 813; vgl. auch Senge/Krahnke 2014, S. 187). Während die anderen Komponenten sowie die Bewertungsprozesse als mitfühlende Antworten (im Beobachter) verstanden werden können, soll im Folgenden zur sprachlichen Unterscheidung nur die mitfühlende Handlung als mitfühlende Reaktion begriffen werden (vgl. Atkins/Parker 2012, S. 525). Diese Handlung muss weder notwendig gegen die Ursache des Leidens gerichtet sein (vgl. Kanov et al. 2004, S. 814), noch zwingend zum Erfolg führen (vgl. Frost et al. 2006, S. 846; Atkins/Parker 2012, S. 525).
Handlungen können unreflektiert oder reflektiert erfolgen. In beiden Fällen kann nicht regulär davon ausgegangen werden, dass eine initiale Handlung das Leiden vollständig aufhebt, auch wenn häufig davon auszugehen ist, dass bei einer vorherigen Reflexion die Chancen einer umfassenderen bzw. besser passenden Reaktion wachsen [17]. Unabhängig davon werden bei einer auf Empathie beruhenden emotionalen Betroffenheit aufgrund der Ausrichtung neurologischer Pfade unter Umständen Barrieren aufgehoben, so dass es von vorneherein zu passenderen Handlungen kommt [18] (vgl. auch Pavlovich/Krahnke 2012, S. 133; Pate/Shoblom 2014, S. 133f.).
Ob der Beobachter seine Bemühungen bei nicht vollständig aufgelöstem Leiden fortsetzt, hängt auch davon ab, ob sich das direkte Ergebnis in einer Situation in Abhängigkeit seiner Ziele und Werte dennoch als eine erfolgreiche Lösung darstellt. Auch die nicht endgültige Lösung eines Problems kann als vollständiger Erfolg gewertet werden, wenn der Handelnde zu der Einschätzung gelangt, nicht mehr hätte tun zu können [19]. Eine endgültige Lösung kann wiederum als unvorteilhaft angesehen werden, wenn diese anderen Werten und Zielen widerspricht bzw. Konflikte im sozialen Umfeld verursacht [20] (vgl. auch Folkman et al. 1986, S. 993). In beiden Fällen wird ein weiteres optimiertes Handeln unterbleiben.
Der Übergang zu kollektiven Formen kann sich bereits vollziehen, wenn ein Beobachter Anstrengungen unternimmt, das Leiden in einen öffentlichen Raum zu tragen, nachdem er darauf aufmerksam geworden ist (vgl. auch Kanov et al. 2004, S. 816; vgl. Dutton et al. 2006, S. 74). Diese Aktivierung hält an, solange im weiteren Verlauf mitfühlender Antworten und Reaktionen weitere Menschen aufmerksam (gemacht) werden. Über eine Reaktivierung schenken Menschen erneut Aufmerksamkeit und lassen sich involvieren (vgl. Dutton et al. 2006, S. 74). Daneben kann kollektives Mitgefühl dadurch entstehen, dass zunächst unabhängig voneinander Mitgefühl empfindende Menschen ihre Handlungen koordinieren. Das Fördern des individuellen Ausdrucks aktiven Mitgefühls verbessert somit die Kapazität für ein kollektives Auftreten (vgl. Kanov et al. 2004, S. 822). Wie das abläuft, wird auch von der sozialen Architektur als Gebilde von sozialen Netzwerken, Werten und Routinen in Verbindung mit dem Handeln der Mitarbeiter bestimmt (vgl. Dutton et al. 2006, S. 74).
Das kollektive Wahrnehmen bezieht sich auf die geteilte Beachtung eines Leidens. Die Grundlage hierfür ist nicht allein in der unabhängigen Beobachtung eines Leidens durch mehrere Personen zu sehen, sondern in einer von den Mitarbeitern einer Organisation geteilten Anerkennung der Tatsache, dass Leiden vorhanden sind (vgl. Kanov et al. 2004, S. 816).
Auch das kollektive Fühlen geht über ein einfaches mitfühlendes Teilen der Belastung eines leidenden Kollegen hinaus. Das Leiden wird gemeinsam als ein Ereignis anerkannt, das einen Menschen betrifft, der sich in der Mitte einer Gemeinschaft befindet. Außerdem kann es zu „emotionaler Ansteckung“ innerhalb einer Gruppe (vgl. Hatfield et al. 1994, S. 127; van Kleef et al. 2012, S. 323) kommen. In beiden Fällen wird die Intensität der emotionalen Betroffenheit über soziale Erfahrung und Ausdruck verstärkt (vgl. Kanov et al. 2004, S. 817f.).
Der kollektivierte Wunsch zu einem Handeln wird in der Regel durch Entscheidungsprozesse in der Vergangenheit geweckt, indem bestimmte Verhaltensweisen über gemeinsam geteilte Werte und Normen als von der Organisation als wünschenswert festgelegt werden. Eine Ausnahme bildet das erstmalige Auftreten eines bisher nicht thematisierten Leidens.
Kollektives Handeln liegt vor, wenn die aufgrund eines Leidens veranlassten Reaktionen auch durch das Ineinandergreifen struktureller Elemente koordiniert werden bzw. die Ressourcengewinnung und die Aufrechterhaltung des notwendigen Ressourcenflusses ermöglicht wird (vgl. Dutton et al. 2006, S. 87). Feedbackschleifen helfen, um die Reaktionen auf die Erfordernisse abzustimmen (vgl. Frost et al. 2006, S. 847). Die Koordination kann zentralisiert über eine Person bzw. Gruppe oder in emergenter Form durch Rollentransformation einzelner Mitarbeiter geschehen (vgl. Kanov et al. 2004, S. 819f.; Frost et al. 2006, S. 856f.).
Kollektive Bewertungen beziehen sich bspw. auf Fragen, welche Ziele es wert sind, unterstützt zu werden oder was als unverdient angesehen wird (vgl. Atkins/Parker 2012, S. 541). Auch diese Bewertungen können in der Festlegung von Werten und Grundsätzen bereits zu einem Zeitpunkt in der Vergangenheit vollzogen worden sein.
Eine Organisation kann das Auftreten der individuellen wie kollektiven Komponenten fördern, wenn bspw. mittels Werten, Praktiken oder Routinen Mitgefühl als Organisationsmerkmal legitimiert und verbreitet wird sowie im kollektiven Fall die Reaktionen zusätzlich koordiniert werden (vgl. auch Kanov et al. 2004, S. 810; Dutton et al. 2006, S. 61; Frost et al. 2006, S. 847). Legitimierung und Verbreitung von Ideen und Emotionen stehen dabei in einem rekursiven Verhältnis. Das Verbreiten hilft auch, eine Situation zu legitimieren, was wiederum die Bandbreite der kollektiven Reaktion erweitert (vgl. Frost et al. 2006, S. 856). Es ist darauf zu achten, dass andere Organisationsmerkmale das nicht ver- oder behindern (vgl. Frost et al. 2006, S. 847).
2.3 Grundstruktur einer MOP
Empfänger und Beobachter sind über die mitfühlende(n) Reaktion(en) mehr oder weniger sichtbar und bewusst miteinander verbunden.
Im Rahmen einer intraorganisationalen Perspektive kommen als Empfänger für Mitgefühl einzelne Mitglieder der Organisation in Betracht (vgl. auch Kanov et al. 2004, S. 817). Als Einzelpersonen in diesem Sinne sind auch mehrere Personen zu sehen, die durch ein Leiden betroffen sind, aber in keinem funktionalen Verhältnis zueinander stehen (vgl. auch Dutton et al. 2006, S. 65ff.). Stehen die Betroffenen hingegen in einem funktionalen Zusammenhang wie in einer Abteilung oder einem Team, dann steht nicht mehr der Einzelne als Empfänger im Vordergrund sondern die Gruppe als Ganzes. Daneben kann die Organisation als Gesamtgebilde Empfänger von Mitgefühl sein, wenn bspw. Mitarbeiter unbezahlte Überstunden absolvieren, um eine termingerechte Auftragsabwicklung zu gewährleisten.
Grundsätzlich können sich Gründe für Leiden des Empfängers aus dem Arbeitskontext ergeben oder von diesem unabhängig sein (vgl. Lilius et al. 2008, S. 194). Davon unabhängige Gründe bilden Naturkatastrophen, von Menschen bspw. durch Fehler oder Unfälle verursachte Unglücke, schwierige politische oder ökonomische Situationen sowie persönliche Tragödien (vgl. zusammenschauend Kanov et al. 2004, S. 811; Dutton et al. 2006, S. 59; Rynes et al. 2012, S. 503f.). Letztere lassen sich dahingehend unterteilen, ob sie den Leidenden materiell wie immateriell direkt oder über den Familien- oder Freundeskreis indirekt betreffen (vgl. auch Lilius et al. 2008, S. 194, 202). Aus dem Arbeitskontext erwachsende Gründe liegen in Belastungen, die durch den Arbeitsplatz oder belastende Interaktionen bzw. grobes Verhalten seitens Vorgesetzten und Kollegen bedingt sind (vgl. Lilius et al. 2008, S. 194, 202). Daneben können belastende Interaktionen mit Kunden (vgl. Kanov et al. 2004, S. 811) oder besondere Situationen von Patienten (vgl. Lilius et al. 2008, S. 203) Anlässe für Leiden bilden. Ebenso sind Entlassungen, die bspw. durch das feindliche oder unethische Verhalten anderer Organisationen verursacht werden (vgl. Kanov et al. 2004, S. 811), den arbeitsbezogenen Gründen zuzuordnen.
Es lassen sich vier Formen unterstützenden Verhaltens unterscheiden, deren Wahl von Art und Ausdruck des Leidens, der Situation sowie von Ressourcen und der Persönlichkeit des Beobachters abhängen (vgl. auch Pate/Shoblom 2014, S. 130). Zur Linderung eines Leidens können verschiedene Formen und deren Ausprägungen als Reaktionen notwendig sein, bzw. im Rahmen kollektiver Reaktionen auftreten. Diese Reaktionen lassen sich über die Dimensionen Menge, Bandbreite, Variation sowie Geschwindigkeit ihrer Verfügbarkeit und der Übergabe hinsichtlich der Bedürfnispassung unterscheiden (vgl. z. B. Dutton et al. 2002, S. 58f.). Selbst kleine Reaktionen unabhängig von Rollen oder Organisationsebenen (vgl. auch Lilius et al. 2008, S. 210) können dabei eine entscheidende Hilfe bedeuten (vgl. auch Frost et al. 2006, S. 850).
Eine kognitive Unterstützung kann in der Diskussion von Gefühlen, Gedanken oder Problemen liegen, wenn das Ziel in der Entwicklung einer Lösung für den Leidenden liegt (vgl. auch Munro et al. 2014, S. 159). Eine zeitbezogene Unterstützung verschafft dem Leidenden über eine größere Arbeitsflexibilität oder durch Dritte zur Verfügung gestellte Zeit die Möglichkeit, sich besser zu erholen oder Notsituationen zu bewältigen (vgl. Lilius et al. 2008, S. 205). Materielle Unterstützungen erfolgen je nach Anlass über die Spenden von Geld, Lebensmitteln (vgl. Lilius et al. 2008, S. 205), Wohnung, Studienmaterial oder Kleidung etc. (vgl. Dutton et al. 2006, S. 66ff.). Die bei Lilius et al. unter materieller Unterstützung aufgeführten Geschenke, Blumen oder Karten (2008, S. 205) sollen hier der emotionalen Unterstützung zugeordnet werden, weil diese Güter nicht einen Verlust kompensieren, sondern Ausdruck eines emotionalen Zuspruchs sind. Dieser Zuspruch kann ebenso in einem Gespräch, dem Zuhören, dem Signalisieren eines Verstehens (Körperhaltung, Wortwahl), dem Ausdruck des Berührtseins, einem Augenkontakt oder in einem körperlichen Kontakt (Berührung, Umarmung) liegen (vgl. Munro et al. 2014, S. 159). Insbesondere die Berührung wird im Vergleich zu anderen non-verbalen Ausprägungen wie Mimik oder Stimme am verlässlichsten wahrgenommen (vgl. Goetz et al. 2010, S. 361, 365) und hilft stressbedingte Reaktionen im Zentralnervensystem zu reduzieren (vgl. Oveis et al. 2010, S. 619). Eine rein emotionale Unterstützung bildet die am häufigsten gezeigte Form mitfühlenden Handelns. Dies liegt auch darin begründet, dass diese häufig die einzig mögliche Form zur Unterstützung darstellt (vgl. Lilius et al. 2008, S. 205).
Durch eine Form mitfühlenden Ausdrucks wird/werden der/die Beobachtende/n zum Geber von Mitgefühl. Gemäß einer engen Bestimmung von „organizational compassion“ umfasst diese nur das kollektive Wahrnehmen, Fühlen und Antworten gegenüber Leidenden (vgl. Kanov et al. 2004, S. 810, 822; Dutton et al. 2006, S. 59). Demzufolge kämen nur die Organisation als Ganzes oder Teile dieser (bspw. soziale Netzwerke oder Teams) als Geber in Betracht. Häufiger scheint tatsächlich ein Zusammenwirken von Kollegen oder einer Abteilung vorzuliegen (vgl. Lilius et al. 2008, S. 202). Weil aber auch die Art des Leidens und seine Ursache mitfühlende Reaktionen mitbestimmen, ist die Förderung individuellen Mitgefühls in einer Organisation nicht nur als Fundament kollektiven Mitgefühls sinnvoll (vgl. auch Dutton et al. 2006, S. 71). Daher soll im Rahmen dieser Arbeit eine MOP als die Summe auftretenden Mitgefühls verstanden werden, das intentional durch die Organisation ermöglicht und gefördert wird, sei es in individueller oder kollektiver Ausprägung.
3. Entscheidungsparameter und Implikationen für die Umsetzung
Aufgrund der Komplexität können die einzelnen Kausalketten nicht vollumfänglich dargestellt werden. Dies soll folgendes Beispiel verdeutlichen: Führt Mitgefühl einer Führungskraft zu positiven Emotionen des Leidenden, dann können diese dessen Arbeitsleistung fördern (vgl. auch Staw et al. 1994, S. 52; Goleman et al. 2002, S. 5). Der gleichzeitig im Team entstehende positive affektive Ton fördert die Kreativität des Teams (vgl. van Kleef et al. 2012, S. 323). Beides zusammen steigert das Ergebnis des Teams und damit auch das der Organisation. Daneben bilden sich bessere Beziehungen im Team und zur Führungskraft, so dass auf diesem Weg die Kooperation verbessert wird (vgl. auch Lilius et al. 2008, S. 209; z. B. van Kleef et al. 2012, S. 323). Die folgende Darstellung stellt – soweit möglich – stringent Wirkungen einer MOP mit Schwerpunkt auf Individuum, Gruppe und Organisation in dieser Reihenfolge dar.
3.1 Chancen
Eine MOP fördert das Auftreten positiver Emotionen (vgl. Dutton et al. 2006, S. 68f.; Lilius et al. 2008, S. 200; Keltner 2009, S. 249) wie Stolz, Dankbarkeit (vgl. Dutton et al. 2006, S. 68f.), Freude, Befriedigung, Entspannung, Beruhigung oder reduziert das Erleben negativer Emotionen wie Angst, Schmerz, Scham, Traurigkeit (vgl. Lilius et al. 2008, S. 207), so dass das Wohlbefinden am Arbeitsplatz gesteigert wird (vgl. Lilius et al. 2008, S. 212). Darüber hinaus werden die negativen Auswirkungen von Mobbing, Spott oder Vernachlässigung durch eine derartige Praxis aufgehoben bzw. vermieden (vgl. z. B. Rynes et al. 2012, S. 505). Eine positive emotionale Lage erhöht wiederum bspw. die Produktivität oder verhindert Konflikte (vgl. z. B. Küpers/Weibler 2005, S. 86f.; siehe auch Kapitel 4.1).
Eigene mitfühlende Handlungen können die Selbstwahrnehmung verbessern, wenn dadurch ein Gefühl der Nützlichkeit entsteht (vgl. Miller et al. 2012, S. 622). Insbesondere für Mitarbeiter mit monotonen oder relativ unwichtigen Aufgaben kann ein Mangel an Bedeutung durch Teilnahme an Programmen im Rahmen des „corporate volunteering“ kompensiert werden (vgl. auch Grant 2012, S. 595, 598). Mitarbeiter fühlen sich im Ergebnis wertgeschätzt, wodurch ihr Commitment steigt (vgl. auch Frost et al. 2006, S. 850).
Daneben stärkt eine MOP die Selbstwirksamkeit von Leidenden, wenn das Leiden auf diese Weise reduziert (vgl. Madden et al. 2012, S. 691) und die Resilienz erhöht wird (vgl. z. B. Rynes et al. 2012, S. 505). Sie fühlen sich dadurch besser in der Lage, mit ihrem Leben, der Arbeit oder Schmerz umzugehen (vgl. Lilius et al. 2008, S. 207). Hoffnung und die Möglichkeit, aus Fehlern zu lernen, führen möglicherweise erst dazu, dass die Arbeit überhaupt wieder aufgenommen werden kann (vgl. Frost et al. 2006, S. 850).
Die Selbstwirksamkeit der Helfenden wird auf vielfältige Weise ebenfalls gefördert. Eine aus dem Mitgefühl entstehende prosoziale Motivation ermöglicht flexibleres Denken bei gleichzeitig größerer Selbstverpflichtung zu entsprechendem Handeln (vgl. Miller et al. 2012, S. 633). Insbesondere kollektives Mitgefühl hebt den Grad der Wirksamkeit, mit Herausforderungen umzugehen (vgl. Frost et al. 2006, S. 847), weil das Vorhandensein unterstützender Praktiken und Routinen das Vertrauen in die Problembewältigung verbessert (vgl. Frost et al. 2006, S. 858). Blinde Flecken oder Rigiditäten werden aufgedeckt, die ansonsten zu einem defensiven Verhalten führen (vgl. Kisfalvi 2014, S. 75). Die eigene Sinnfindung sowie die Änderung von Einstellungen und Verhalten (vgl. Lilius et al. 2008, S. 213) werden durch die Förderung von Wohlbefinden, Erleichterung, Inspiration und eigener Fähigkeiten (vgl. Lilius et al. 2008, S. 212) erleichtert. Über die Teilnahme an Programmen des „corporate volunteering“ können Kompetenzen, die sich „on-the-job“ aufgrund fehlender Charakteristika nicht entwickeln lassen, gefördert und neue Perspektiven gewonnen werden (vgl. Grant 2012, S. 600). Die Selbstwirksamkeit wird indirekt gesteigert, wenn über positives Feedback emotionale Energie und Enthusiasmus erzeugt werden (vgl. z. B. auch Miller et al. 2012, S. 622) oder kollektives Mitgefühl emotionale Ressourcen bzw. Rekreation fördert (vgl. Kanov et al. 2004, S. 822).
Insbesondere können mitfühlende Akte als restaurative Tätigkeiten im Arbeitsalltag verstanden werden. Restaurative Interaktionen generieren personale Ressourcen, wenn entweder kaum (Replenishment) oder viele (Breakthrough) selbstregulatorische Ressourcen benötigt werden (vgl. Lilius 2012, S. 577). Im ersten Fall bleiben die entsprechenden Ressourcen vorhanden und das Erleben von Selbstbestätigung, positiven Affekten und wahrgenommenem prosozialen Einfluss im Sinne personaler Ressourcen können einer möglichen arbeitsbezogenen Erschöpfung entgegenwirken (vgl. Lilius 2012, S. 579). Der nachhaltigere Effekt im zweiten Fall führt über einen reflektiven Prozess zu einer erhöhten Wahrnehmung der eigenen Selbstwirksamkeit und fördert eine positive professionelle Identität mit verbesserter Einschätzung des eigenen Leistungsvermögens (vgl. z. B. Lilius 2012, S. 580).
Helfende soziale Netzwerke verbessern die Leistungsfähigkeit über eine stärkere Immunsituation, niedrigeren Blutdruck, geringere Mortalität (vgl. z. B. Atkins/Parker 2012, S. 524) und höhere Kreativität (vgl. auch Zabelina/Robinson 2010, S. 288; vgl. Atkins/Parker 2012, S. 524) ihrer Mitglieder.
Die Erfahrung mitfühlender Handlungen steigert Gefühle der Ähnlichkeit mit anderen (vgl. Oveis et al. 2010, S. 620), fördert Vertrauen (vgl. Atkins/Parker 2012, S. 524) und Kollegen werden positiver wahrgenommen, so dass sich eine emotionale Verbundenheit einstellt (vgl. auch Lilius et al. 2008, S. 209). Aufgrund einer darauf basierenden prosozialen Identität wird das Commitment den anderen gegenüber gesteigert und das Handeln entsprechend zentraler Werte ausgerichtet (vgl. Miller et al. 2012, S. 624), gespeist durch die aus der MOP freigesetzten sozialen Energie (vgl. Miller et al. 2012, S. 624).
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