Vor dem Hintergrund von Niedergang und Schrumpfung wurde bereits in den 1980er Jahren das Potential von Kultur als Standortfaktor wiederentdeckt (vgl. HORNI 2011, S. 199).
Auch der Deutsche Städtetag erkannte die Chancen, welche die Förderung von Kultur der Standortentwicklung und der wirtschaftlichen Entwicklung einer Stadt bietet, und nahm daher am 07. November 2013 folgende Forderung in sein Positionspapier zum Thema Standortfaktor Kultur auf: „Der Wandel von der industriellen zur Dienstleistungsproduktion in den Städten verlangt kreative Potentiale in allen Wirtschaftssektoren. Die Kulturwirtschaft kann mit ihren Ressourcen zu dieser Entwicklung beitragen und gewinnt zunehmende Bedeutung als eigenständiger Wirtschaftsfaktor. Die Städte sollen kreative Milieus fördern und gute Rahmenbedingungen für das Zusammenwirken von Kultur und Wirtschaft schaffen. Dies dient nicht nur der wirtschaftlichen sondern auch der kulturellen Entwicklung in der Stadt“ (STÄDTETAG 2013, web).
Kombiniert man diese Forderung mit dem Ziel der Bundesrepublik, die Flächeninanspruchnahme durch die Revitalisierung und Entwicklung von Brachflächen zu senken, ergeben sich für die Stadt- bzw. Standortentwicklung ganz neue Möglichkeiten und Mittel. So können u.a. kulturelle Veranstaltungen bzw. Organisationen zur temporären Nutzung in den Brachen angesiedelt werden und deren weitere Entwicklung beeinflussen.
Die vorliegende Arbeit untersucht daher am Beispiel des Saarbrücker Festivals Perspectives, inwiefern sich eine kulturelle Zwischennutzung von Brachflächen bzw. -immobilien auf die Standortentwicklung auswirkt.
Allgemeine und einführende Fragen werden v.a. im Rahmen der Literaturrecherche beantwortet.
Hinsichtlich der Untersuchung des konkreten Beispiels Festival Perspectives und seiner Auswirkungen auf bestimmte Standorte stellen leitfadengesteuerte Experteninterviews mit der Landesentwicklungsgesellschaft Saar, vertreten durch Herrn Heinz-Peter Klein, und der Gesellschaft für Innovation und Unternehmensförderung, vertreten durch Herrn Jürgen Schäfer, einen Schwerpunkt dar. Beide Gesellschaften beschäftigen sich mit der Standortentwicklung des Saarlandes und können sich daher zur Entwicklung einiger Standorte konkret äußeren, aber auch allgemeine Einschätzungen und Bewertungen zu der untersuchten Thematik liefern.
[...]
Gliederung
Abkürzungsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
1 Einleitung
2 Allgemeines
2.1 Einführendes zu innerstädtischen Brachflächen
2.1.1 Definition Brache
2.1.2 Gründe für die Entstehung von innerstädtischen Brachflächen
2.2 Einführendes zum Flächenrecycling
2.2.1 Definition Flächenrecycling / Brachenrevitalisierung
2.2.2 Hintergrund und gesetzliche Grundlagen
2.2.3 Das Förderprogramm REFINA
2.2.4 Folgen des Flächenrecyclings
2.3 Zwischennutzung als Lösung für Brachflächen
2.4 Kulturalisierung und Festivalisierung in der Stadtentwicklung
2.4.1 Kurzdefinition harte und weiche Standortfaktoren
2.4.2 Kultur als Instrument der Stadtentwicklung
2.4.3 Festivals als Maßnahme der Stadterneuerung, Orte als Erlebnis
3 Standortbeschreibung Saarbrücken
3.1 Ursachen für Brachen im Regionalverband Saarbrücken
3.2 Aktuelle Situation
3.3 Stadtplanerische Aufgaben, Immobilienwirtschaft und Projektmanagement
3.3.1 Landesentwicklungsgesellschaft Saarland mbH (LEG)
3.3.2 Gesellschaft für Innovation und Unternehmensförderung mbH (GIU)
4 Das Festival Perspectives
4.1 Kulturangebot und deutsch-französische Kulturbeziehungen in Saarbrücken
4.2 Hintergrund und Historie des Festival Perspectives
4.3 Spielorte 2001-2014
5 Detaillierte Untersuchung der Spielorte
5.1 Spielort Garage
5.1.1 Frühere Nutzung des Standorts
5.1.2 Nutzung als Festival-Spielort
5.1.3 Heutige Nutzung des Standorts
5.2 Spielort E-WERK
5.2.1 Frühere Nutzung des Standorts
5.2.2 Nutzung als Festival-Spielort
5.2.3 Heutige Nutzung des Standorts
5.3 Spielort Buswerkstatt Quartier Eurobahnhof
5.3.1 Frühere Nutzung des Standorts
5.3.2 Nutzung als Festival-Spielort
5.3.3 Heutige Nutzung des Standorts
5.4 Spielort Altes Stadtbad
5.4.1 Frühere Nutzung des Standorts
5.4.2 Nutzung als Festival-Spielort
5.4.3 Heutige Nutzung des Standorts
5.5 Spielort aw Saarbrücken-Burbach
5.5.1 Frühere Nutzung des Standorts
5.5.2 Nutzung als Festival-Spielort
5.5.3 Heutige Nutzung des Standorts
5.6 Spielorte am Römerkastell
5.6.1 Frühere Nutzung des Standorts
5.6.2 Nutzung als Festival-Spielort
5.6.3 Heutige Nutzung des Standorts
6 Folgen der kulturellen Zwischennutzung für die Stadt Saarbrücken
6.1 Wirtschaftliche Folgen
6.2 Kulturelle Folgen
7 Fazit und Ausblick
7.1 Fazit
7.2 Ausblick
8 Literaturverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Flächenkreislauf (Quelle: BUNDESAMT FÜR BAUWESEN UND RAUMORDNUNG 2006, S. 23)
Abbildung 2: FORD-Garage Saarbrücken 1937 (Quelle: FORUM 2014, web).
Abbildung 3: Lageplan Garage Saarbrücken, Bleichstr. 11-15 (Quelle: eigene Darstellung unter Nutzung von Google earth, 17.12.14).
Abbildung 4: Garage Saarbrücken, Außenansicht (Quelle: FORUM 2014, web).
Abbildung 5: Garage Saarbrücken, Innenansicht inkl. Deckenkonstruktion (Quelle: AC ANGRY 2014, web).
Abbildung 6: Luftbild Gelände Burbacher Hütte / Saarterrassen 1993 mit der EZ II im Zentrum (Quelle: GIU, Winkler).
Abbildung 7: Außenansicht der Elektromotorenzentrale II vor dem Umbau zum E-WERK (Quelle: E-WERK o.J., Historie, web).
Abbildung 8: Innenansicht der Elektromotorenzentrale II vor Abschluss des Umbaus (Quelle: E-WERK o.J., Historie, web).
Abbildung 9: Außenansicht E-WERK nach Umbau (Quelle: E-WERK o.J., Location, web).
Abbildung 10: Innenansicht (Blick von Bühne) E-WERK nach Umbau (Quelle: E-WERK o.J., Location, web).
Abbildung 11: Luftbild Saarterrassen 2014 (Quelle: GIU, Müller).
Abbildung 12: Luftbild Quartier Eurobahnhof 2007 (Quelle: GIU/Laubner).
Abbildung 13: Buswerkstatt als Festivalclub (Quelle: FESTIVAL PERSPECTIVES 2014, web).
Abbildung 14:Luftbild Quartier Eurobahnhof 2014 (Quelle: GIU/Müller).
Abbildung 15: Historisches Gebäude der ehemaligen Buswerkstatt (Quelle: EUROBAHNHOF o.J., web).
Abbildung 16: Innenansicht der ehemaligen Buswerkstatt (Quelle: EUROBAHNHOF o.J., web).
Abbildung 17: Gebäudekomplex des Alten Stadtbads St. Johann (Quelle: LHS, Email SCHÖNTHALER, 17.11.14).
Abbildung 18: Zollhofer-Mosaik in der großen Badehalle (Quelle: LHS 2014, web).
Abbildung 19: Stadtbad aus Sicht der Richard-Wagner-Straße vor Beginn des Umbaus (Quelle: SOL 2014, web).
Abbildung 20: Lageplan Altes Stadtbad Saarbrücken, Richard-Wagner-Straße (Quelle: eigene Darstellung unter Nutzung von Google earth, 17.12.14).
Abbildung 21: Bewertung Mühlenviertel durch iib (Quelle: WOGE 2008, web)
Abbildung 22: Neuer Gebäudekomplex Altes Stadtbad (Quelle: Leben im Mühlenviertel 2014, web).
Abbildung 23: Historische Aufnahme der Wagenrichthalle (Quelle: AW o.J., Historie, web).
Abbildung 24: Kantine (Quelle: AW o.J., Historie, web).
Abbildung 25: Luftbild Gelände aw hallen vor der Entwicklung 1998 (Quelle: GIU/Winkler).
Abbildung 26: Ehemalige Kantine auf dem Gelände der aw hallen (Quelle: AW o.J., web).
Abbildung 27: aw hallen als Festivalschauplatz (Quelle: FESTIVAL PERSPECTIVES 2014, web).
Abbildung 28: Luftbild aw hallen 2014 (Quelle: GIU/Müller).
Abbildung 29: Straße in der sanierten ehemaligen Wagenrichthalle, heute aw handwerkerzentrum (Quelle: AW o.J., web).
Abbildung 30: Lageplan Osthalle und Alte Becolin-Fabrik am Römerkastell Saarbrücken (Quelle: eigene Darstellung unter Nutzung von Google earth, 17.12.14).
Abbildung 31: Luftbild Osthalle (Quelle: LHS, Email SCHÖNTHALER, 17.11.14).
Abbildung 32: Becolin-Farbik aus Sicht der Mainzerstraße (Quelle: BILD 2014, web).
Abbildung 33: Luftbild Gebäudekomplex Becolin/Halberger Tor (Quelle: LHS, Email SCHÖNTHALER, 17.11.14).
Abbildung 34: Neugestalteter Bereich Scheune des Becolin-Komplexes (Quelle: ACROBATEN o.J., web).
Abbildung 35: Bereich Pool vor der Umgestaltung (Quelle: RE:SIDANCE 2013, web).
Abbildung 36: Bereich Pool nach der Umgestaltung (Quelle: ACROBATEN o.J., web).
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Formen der Zwischennutzung (Quelle: HEYDENREICH 2008, S. 237)
Tabelle 2: Übersicht über die Festivalspielorte 2001 bis 2014 (eigene Darstellung auf Basis der Programmhefte des Festival Perspectives 2001 bis 2014)
1 Einleitung
Problemstellung
Vor dem Hintergrund von Niedergang und Schrumpfung wurde bereits in den 1980er Jahren das Potential von Kultur als Standortfaktor wiederentdeckt (vgl. HORNI 2011, S. 199).
Auch der Deutsche Städtetag erkannte die Chancen, welche die Förderung von Kultur der Standortentwicklung und der wirtschaftlichen Entwicklung einer Stadt bietet und nahm daher am 07. November 2013 folgende Forderung in sein Positionspapier zum Thema Standortfaktor Kultur auf: „Der Wandel von der industriellen zur Dienstleistungsproduktion in den Städten verlangt kreative Potentiale in allen Wirtschaftssektoren. Die Kulturwirtschaft kann mit ihren Ressourcen zu dieser Entwicklung beitragen und gewinnt zunehmende Bedeutung als eigenständiger Wirtschaftsfaktor. Die Städte sollen kreative Milieus fördern und gute Rahmenbedingungen für das Zusammenwirken von Kultur und Wirtschaft schaffen. Dies dient nicht nur der wirtschaftlichen sondern auch der kulturellen Entwicklung in der Stadt“ (STÄDTETAG 2013, web).
Kombiniert man diese Forderung mit dem Ziel der Bundesrepublik, die Flächeninanspruchnahme durch die Revitalisierung und Entwicklung von Brachflächen zu senken, ergeben sich für die Stadt- bzw. Standortentwicklung ganz neue Möglichkeiten und Mittel. So können u.a. kulturelle Veranstaltungen bzw. Organisationen zur temporären Nutzung in den Brachen angesiedelt werden und deren weitere Entwicklung beeinflussen.
Die vorliegende Arbeit untersucht daher am Beispiel des Saarbrücker Festivals Perspectives, inwiefern sich eine kulturelle Zwischennutzung von Brachflächen bzw. -immobilien auf die Standortentwicklung auswirkt.
Methoden
Allgemeine und einführende Fragen werden v.a. im Rahmen der Literaturrecherche beantwortet.
Hinsichtlich der Untersuchung des konkreten Beispiels Festival Perspectives und seiner Auswirkungen auf bestimmte Standorte stellen leitfadengesteuerte Experteninterviews mit der Landesentwicklungsgesellschaft Saar, vertreten durch Herrn Heinz-Peter Klein, und der Gesellschaft für Innovation und Unternehmensförderung, vertreten durch Herrn Jürgen Schäfer, einen Schwerpunkt dar. Beide Gesellschaften beschäftigen sich mit der Standortentwicklung des Saarlandes und können sich daher zur Entwicklung einiger Standorte konkret äußeren, aber auch allgemeine Einschätzungen und Bewertungen zu der untersuchten Thematik liefern.
Des Weiteren liefert eine Rücksprache mit der Festivalleitung von Perspectives hinsichtlich der Spielorte Begründungen für die jeweilige Spielort-Auswahl. Ergänzend wird die Berichterstattung der Tageszeitung Saarbrücker Zeitung über das Festival Perspectives und seine Spielorte zur qualitativen Inhaltsanalyse genutzt.
Aufbau der Arbeit
Das nachfolgende Kapitel 2 bietet zunächst eine Einführung in das Problem der innerstädtischen Brachflächen und die Möglichkeit des Flächenrecyclings. Darüber hinaus wird die Zwischennutzung als Chance der Revitalisierung einer Fläche näher beschrieben, ebenso wie Kulturalisierung und Festivalisierung, die in den vergangenen Jahren als Instrumente der Stadtentwicklung genutzt wurden, um Standorte in einen neuen Fokus zu rücken.
Nach dieser allgemeinen Einführung wird in Kapitel 3 das untersuchte Raumbeispiel Saarbrücken genauer betrachtet und dabei die Ursachen für die Entstehung der Saarbrücker Brachen dargelegt sowie Institutionen der saarländischen Stadtentwicklung vorgestellt.
Neben dem Raumbeispiel Saarbrücken steht insbesondere die kulturelle Zwischennutzung im Rahmen des Festivals Perspectives im Vordergrund. Dieses über die saarländischen Landes- und Bundesgrenzen hinaus bekannte deutsch-französische Festival der Bühnenkunst ist berühmt für die Auswahl seiner außergewöhnlichen Spielstätten. Kapitel 4 bietet deshalb einen Überblick über die Entwicklung des Festivals. Des Weiteren werden darin auf Basis der Programmhefte die Spielorte der vergangenen 14 Jahre, 2001 bis 2014, gesammelt und nach bestimmten Kriterien in Gruppen zusammengefasst, wobei sich eine Gruppe als besonders interessant für die untersuchte Thematik herauskristallisiert.
Diese Gruppe wird in Kapitel 5 detailliert betrachtet und zwar hinsichtlich der Vergangenheit der Standorte, ihrer Nutzung als Festival-Spielorte sowie ihrer heutigen Situation. Dabei werden zunächst Fragen nach der ursprünglichen Nutzung und nach Ursachen der Nutzungsaufgabe beantwortet. Daran anschließend werden Faktoren untersucht, die eine kulturelle Zwischennutzung dieser Standorte begründen, wie beispielsweise die Lage, die Nähe zu einem kulturell interessierten Publikum, die Größe bzw. Ausstattung des Standorts sowie dessen Besonderheiten. Falls die Zwischennutzung aufgegeben werden musste, werden die Ursachen untersucht, andernfalls begründet, weshalb eine weitere temporäre Nutzung wahrscheinlich ist. Schließlich wird die heutige Situation und Nutzung des Standorts beschrieben und dargestellt, ob und inwiefern sich die kulturelle Zwischennutzung auf diesen ausgewirkt hat.
Kapitel 6 bewertet die Folgen der temporären kulturellen Nutzung auf die Stadt Saarbrücken in Form von wirtschaftlichen und kulturellen Auswirkungen.
Das letzte Kapitel fasst schließlich die Besonderheiten der untersuchten Brachflächen als Spiel- bzw. Standort einer kulturellen Veranstaltung zusammen und gibt einen Ausblick auf die zukünftige Standortentwicklung Saarbrückens.
2 Allgemeines
2.1 Einführendes zu innerstädtischen Brachflächen
2.1.1 Definition Brache
In der vorliegenden Arbeit sollen (städte-)bauliche Brachflächen betrachtet werden, daher werden in der folgenden Definition und auch im weiteren Untersuchungsverlauf landwirtschaftliche Brachen nicht berücksichtigt.
Laut Umweltbundesamt gibt es keine offizielle Brachflächendefinition (vgl. UMWELTBUNDESAMT.DE 2014, web). Stahl, Olschewski und Wirth versuchen den Begriff Brache jedoch wie folgt zu bestimmen: „Eine (städtebauliche) Brache ist eine ehemals genutzte Fläche im Siedlungsbereich. Nach Wegfall der bisherigen Nutzung, über einen längeren Zeitraum ungenutzt und unter städtebaulich-ökonomischen Gesichtspunkten funktionslos geworden, stehen unterschiedliche Hemmnisse einer Folgenutzung über den freien Markt, in absehbarer Zeit unter den gegebenen Rahmenbedingungen entgegen. Der erwartete Ertrag der Flächennutzung ist nicht zu bestimmen oder zu realisieren. Aus gesellschafts- und ordnungspolitischen sowie städtebaulich-wirtschaftlichen Gründen besteht Handlungsbedarf zur Änderung der Standorteigenschaften“ (STAHL, OLSCHEWSKI, WIRTH 2003a, S. 31).
Sie betrachten die Brache als Bestandteil eines „raumstrukturell-städtebaulichen, sozio-ökonomischen und ökologischen Ordnungsgefüges“ (STAHL, OLSCHEWSKI, WIRTH 2003b, S. 174) und somit auch als Standort. Das Vorhandensein von genutzten und ungenutzten Standorten ist natürlich, daher wird die Brache als Bestandteil des Flächennutzungskreislaufs verstanden (vgl. ebd., S. 174).
Brachflächen weisen bestimmte Charakteristika auf, die mit ihrer ehemaligen Nutzung einhergehen, wie z.B. noch bestehende Bauten oder ein spezifisches Image, welches dem Standort anhaftet (vgl. SCHÜLER 2008, S. 13).
Des Weiteren wird die Brache als Standort beeinflusst durch ihren raumstrukturell-städtebaulichen, sozio-ökonomischen und ökologischen Verflechtungsraum, die förderpolitischen, rechtlichen und finanziellen Vorgaben, wie beispielsweise Baurecht oder haftungsrechtliche Risiken, sowie die unmittelbar grundstücksbezogenen Eigenschaften (z.B. Flächengröße, Erschließung, Untergrundbeschaffenheit und Altlasten) (vgl. STAHL, OLSCHEWSKI, WIRTH 2003b, S. 174). Eine der zukünftigen Herausforderungen für die Städte wird es daher sein, die spezifischen Standortcharakteristika der Brachflächen mit den Anforderungen der verschiedenen möglichen Nachnutzungen in Einklang zu bringen. Denn wie das Brachfallen der Fläche gezeigt hat, haben sich die Ansprüche der Nutzung an den Standort gewandelt (vgl. SCHÜLER 2008, S 13).
Grundsätzlich ist ein Brache-Stadium für jede städtische Nutzung denkbar. Hansen, Heidebach, Kuchler und Pauleit fassen entsprechend der Vornutzung vier Oberkategorien zusammen:
Industrie- und Gewerbebrachen (ehemalige Produktions- und Lagerflächen von Industriezweigen und ungenutzte Gewerbeflächen des Handels oder Handwerks)
Infrastruktur- und Verkehrsbrachen (z.B. Bahngelände, Flugplätze, Häfen)
Wohnbau- und Gartenbrachen (z.B. Geschosswohnungsbauten oder Einzelgebäude inkl. Grünflächen, aber auch Büro- und Verwaltungsgebäude, da ihre Gebäudestrukturen oftmals mit den Geschosswohnungsbauten vergleichbar sind)
Militärbrachen (innerstädtisch v.a. Kasernengelände) (vgl. HANSEN ET AL. 2012, S. 14).
Genaue Aussagen zum Brachflächenbestand in Deutschland lassen sich nicht treffen, da keine zuverlässigen und aktuellen bundesweiten Daten zum innerörtlichen Brachflächenbestand vorliegen. Jedoch ist aus früheren Erhebungen bekannt, dass die untergenutzten und brachliegenden Flächen im Siedlungsbestand seit 1993 deutlich angestiegen sind. Des Weiteren gibt es Schätzungen auf Grundlage von Bestandsaufnahmen aus der ersten Hälfte der 2010er-Jahre, die sich auf 150.000 bis 176.000 Hektar Gesamtbestand an bundesweit ungenutzten Flächen belaufen (vgl. UMWELTBUNDESAMT.DE 2014, web).
2.1.2 Gründe für die Entstehung von innerstädtischen Brachflächen
In den letzten 20 Jahren wurde die Standortentwicklung und –vermarktung stark durch wirtschaftliche und demographische Veränderungen beeinflusst.
So sind Wirtschaftsstrukturen, insbesondere in traditionellen Industriebereichen, zerfallen, Arbeitsplätze und Standorte wurden aufgegeben. Mit neuen technischen Errungenschaften und Veränderungen im Produktionsprozess wandelten sich auch die Anforderungen an den Wirtschaftsstandort. Zahlreiche Siedlungs- und Standortstrukturen waren nicht in der Lage, auf diese Transformationen und den wirtschaftlichen Strukturwandel ausreichend zu reagieren. So wurden innerstädtische Standorte von Industrie und Gewerbe aufgegeben, auch weil diese den veränderten Anforderungen nicht gerecht werden konnten (vgl. STAHL, OLSCHEWSKI, WIRTH 2003b, S. 173).
Zu den betroffenen Industriebereichen gehören v.a. Textil-, Kohle-, Eisen- und Stahlerzeugung (vgl. WIEGANDT 2001, S. 17). Wenn Nach- bzw. Folgenutzungen der ehemaligen Produktionsstandorte ausbleiben, wird der Standort wird zur Brache (vgl. STAHL, OLSCHEWSKI, WIRTH 2003b, S. 173).
Neben ehemals gewerblich oder industriell genutzten Standorten fielen auch militärische Konversionsflächen sowie freizeit- und verkehrstechnisch genutzte Liegenschaften dem sozio-ökonomischen Strukturwandel zum Opfer (vgl. JOB, KOCH 2001, S. VIII). So haben Umstrukturierungen der Deutschen Bahn zur Entstehung von umfangreichen Brachflächen beigetragen, die nun für die Stadtentwicklung frei werden, aber auch Hafengelände an der Küste und im Binnenland werden nicht mehr genutzt, da sich neue Hafentechnologien nicht in den ursprünglichen innerstädtischen bzw. innenstadtnahen Häfen umsetzen lassen (vgl. WIEGANDT 2001, S.17).
Am deutlichsten vollzieht sich dieser Prozess in den altindustriellen Gebieten Westdeutschlands und den strukturell schwächeren Städten Ostdeutschlands (vgl. JOB, KOCH 2001, S. VIII). Hier kommt es häufiger zum Brachfallen der Flächen, denn in den altindustriellen Regionen bzw. den strukturschwachen Städten mangelt es häufig an Nachfrage für die aufgegebenen Flächen (vgl. WIEGANDT 2001, S. 17).
Zu den oben genannten demographischen Veränderungen zählen der demographische Wandel, die anhaltenden überregionalen Wanderungsbewegungen sowie die andauernde Suburbanisierung. All diese Prozesse führen dazu, dass viele Städte sich zu ‚schrumpfenden Städten‘ entwickeln. Aber auch in Städten mit einer stabilen Bevölkerungsentwicklung sind schrumpfende Stadtteile zu finden. Deutlich sichtbare Anzeichen hierfür sind leer stehende Fabrikgebäude, verfallende Wohnhäuser und brachgefallene Flächen, die sich mittlerweile in ganz Deutschland finden lassen (vgl. HEYDENREICH 2008, S. 235).
2.2 Einführendes zum Flächenrecycling
2.2.1 Definition Flächenrecycling / Brachenrevitalisierung
Stahl, Olschewski und Wirth definieren den Prozess der Brachenrevitalisierung (nachfolgend synonym gebraucht mit Flächenrecycling) wie folgt:
„Ein ungenutzter bzw. brachliegender Standort wird wieder in die Verfügbarkeit des freien Bodenmarktes zurückgeführt. Mit der Entwicklung des Standortes werden die Voraussetzungen einer erneuten Nutzung geschaffen. Die Revitalisierung ist ein komplexer Prozess mit Integration unterschiedlicher Anforderungen und schließt die notwendigen Anstrengungen von der Beseitigung der Hemmnisse bis zur Wiedernutzung der Grundstücksfläche ein. Wird die Brache im Zusammenhang mit dem Flächennutzungskreislauf betrachtet, so ist die Revitalisierung ein Initiator zur Rückführung der Fläche in diesen Flächennutzungskreislauf“ (STAHL, OLSCHEWSKI, WIRTH 2003a, S. 31).
Flächenrecycling verbindet ganz deutlich die drei Säulen der Nachhaltigkeit - Ökologie, Ökonomie und Soziales - und entspricht somit der Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung.
Die Verhinderung zusätzlichen Flächenverbrauchs entspricht der ökologischen Komponente, durch Ansiedlungen seitens Investoren auf attraktiven innerstädtischen Flächen unter geringen Erschließungskosten wird die ökonomische Komponente angesprochen, die soziale Komponente wird erzielt, indem Projekte der Revitalisierung mit Arbeitsförderungs- bzw. Arbeitsqualifizierungsmaßnahmen kombiniert werden können und die realisierten Projekte die soziale Identifikation der Bürger mit ihrer Region stärken können (vgl. MUNZINGER 2014, S. 21).
2.2.2 Hintergrund und gesetzliche Grundlagen
„In den letzten 50 Jahren hat sich die Siedlungs- und Verkehrsfläche in Deutschland fast verdoppelt. Die Enquête-Kommission Schutz des Menschen und der Umwelt hat 1998 gefordert, die Freiflächeninanspruchnahme bis zum Jahr 2010 sukzessive auf 12 ha pro Tag zu verringern und langfristig Siedlungsflächen vollständig zu recyceln“ (PÜTZ, JOB 2001, S.1). Diese Zahlen aus dem Jahre 2001 waren zu ehrgeizig. Mittlerweile lautet der angestrebte Wert der Politik 30 ha für das Jahr 2020. Aber auch wenn die Flächeninanspruchnahme in den letzten Jahren rückläufig war (1997-2000: 129ha/Tag, 2005-2008: 104ha/Tag), sind wir von diesem Ziel noch weit entfernt (vgl. GLÖCKNER; DOSCH 2010, S. 1).
Die nachhaltige Nutzung von Flächen ist jedoch nicht nur ein Ziel der Politik, sondern sie ist auch gesetzlich verankert. So findet sich folgende Aufforderung im Raumordnungsgesetz, Grundsätze der Raumordnung §2 Abs. 2 Nr. 2:
„Die prägende Vielfalt des Gesamtraums und seiner Teilräume ist zu sichern. Es ist dafür Sorge zu tragen, dass Städte und ländliche Räume auch künftig ihre vielfältigen Aufgaben für die Gesellschaft erfüllen können. Mit dem Ziel der Stärkung und Entwicklung des Gesamtraums und seiner Teilräume ist auf Kooperationen innerhalb von Regionen und von Regionen miteinander, die in vielfältigen Formen, auch als Stadt-Land-Partnerschaften, möglich sind, hinzuwirken. Die Siedlungstätigkeit ist räumlich zu konzentrieren, sie ist vorrangig auf vorhandene Siedlungen mit ausreichender Infrastruktur und auf Zentrale Orte auszurichten. Der Freiraum ist durch übergreifende Freiraum-, Siedlungs- und weitere Fachplanungen zu schützen; es ist ein großräumig übergreifendes, ökologisch wirksames Freiraumverbundsystem zu schaffen. Die weitere Zerschneidung der freien Landschaft und von Waldflächen ist dabei so weit wie möglich zu vermeiden; die Flächeninanspruchnahme im Freiraum ist zu begrenzen“ (RAUMORDNUNGSGESETZ 2008, web, eigene Hervorhebung).
Auch die Bodenschutzklausel §1 a Abs. 2 des Baugesetzbuchs enthält Vorschriften zur Flächeninanspruchnahme:
„(2) Mit Grund und Boden soll sparsam und schonend umgegangen werden; dabei sind zur Verringerung der zusätzlichen Inanspruchnahme von Flächen für bauliche Nutzungen die Möglichkeiten der Entwicklung der Gemeinde insbesondere durch Wiedernutzbarmachung von Flächen, Nachverdichtung und andere Maßnahmen zur Innenentwicklung zu nutzen sowie Bodenversiegelungen auf das notwendige Maß zu begrenzen“ (BODENSCHUTZKLAUSEL o.J., web, eigene Hervorhebung).
2.2.3 Das Förderprogramm REFINA
Bei REFINA handelt es sich um ein Förderprogramm zur Reduzierung der Flächeninanspruchnahme, das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung unterstützt wird und seit Oktober 2004 Teil der nationalen Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung ist (vgl. BUNDESAMT FÜR BAUWESEN UND RAUMORDNUNG 2006, S. 19).
REFINA soll zum Ziel der Bundesregierung beitragen, die Flächeninanspruchnahme (Siedlungs- und Verkehrsflächen) von 129 ha / Tag (Stand 2000) bis zum Jahr 2020 auf 30 ha / Tag zu verringern (vgl. ebd., S. 17).
Das Förderprogramm hat drei Schwerpunktbereiche:
„I. Beispielhafte Modellkonzepte eines innovativen Flächenmanagements für ausgewählte Regionen unterschiedlicher Entwicklungsbedingungen
II. Analysen, Methoden, und Bewertungsansätze für ein nachhaltiges Flächenmanagement und Flächenrecycling […]
III. Entwicklung neuer Informations- und Kommunikationsstrukturen“ (ebd., S. 18f.).
Als Werkzeug dabei dient das sogenannte Flächenmanagement: die Wiedereingliederung von Flächen, die ihre bisherige Funktion und Nutzung verloren haben, in den Wirtschafts- und Naturkreislauf (vgl. LEG SAAR 2008, S. 1).
Der Kreislaufgedanke greift das Bild eines Nutzungszyklus von der Baulandbereitstellung, Bebauung, Nutzung, des Brachfallens und der Wiedernutzung auf. Grundstücke sollen wie jedes andere Produkt auch betrachtet werden: Auch für sie sollen Dauerhaftigkeit, Recycling, Nutzungsketten und Kreislaufanalysen von Bedeutung sein. Der Gedanke der ‚Produktverantwortung‘, der bei industriellen Produkten schon länger eine Rolle spielt, soll zukünftig auch auf Grundstücke und Flächen übertragen werden (vgl. BUNDESAMT FÜR BAUWESEN UND RAUMORDNUNG 2006, S. 23).
Der Flächenkreislauf geht über das reine Flächenrecycling hinaus: „Während Flächenrecycling auf die bauliche Neunutzung eines Standortes abzielt, geht es beim Flächenkreislauf um eine stadtregionale Neunutzung des gesamten ungenutzten Siedlungsbestandes, die neben klassischen Industrie- und Gewerbebrachen auch Planungsbrachen, mobilisierbares Bauland, Baulücken, Teilnutzungen und Nutzungsintensivierungen umfasst“ (ebd., S. 23).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1: Flächenkreislauf (Quelle: BUNDESAMT FÜR BAUWESEN UND RAUMORDNUNG 2006, S. 23)
Unter bestimmten Voraussetzungen schließt der Ansatz des Flächenkreislaufs jedoch eine Inanspruchnahme neuer Flächen, wenn erforderlich, nicht aus (vgl. ebd., S. 23).
Ziel einer Flächenkreislaufwirtschaft sollen drei Effekte sein: „eine erhöhte Effizienz der Flächennutzung, eine Stabilisierung der Siedlungsdichten im stadtregionalen Kontext und die Verhinderung von Fehlinvestitionen in überdimensionierte Siedlungsinfrastrukturen, indem Zuwächse auf bestehende Siedlungsflächen und Infrastrukturen gelenkt werden“ (ebd., S. 24)
Für die In-Wertsetzung bzw. Revitalisierung der Brachflächen gibt es drei Strategien: Aktivieren, Konservieren und Renaturieren. Die Grundstrategie der privaten Akteure umfasst dabei auch wirtschaftlich akzeptable Zwischennutzungen. Diese sind dann sinnvoll, wenn aktuell keine langfristigen baulichen Nutzungschancen bestehen, aber eine zukünftige Nachfrage nicht ausgeschlossen ist (vgl. ebd., S. 25).
Detailliertere Informationen zur Zwischennutzung folgen in Kapitel 2.3.
2.2.4 Folgen des Flächenrecyclings
Seit Mitte der 1980er Jahre erfahren innerstädtische, ehemals gewerblich-industriell genutzte Flächen, frei werdende militärische Liegenschaften und ehemalige Verkehrsflächen eine Wiedernutzung (vgl. WIEGANDT 2001, S. 15). Denn die begehrte und „hochpreisige Innenstadtlage ist nicht mehr vermehrbar und auch in nur langsam wachsenden oder stagnierenden Städten lastet auf ihr ein Entwicklungsdruck. Daher wird eine zentrumsnahe Brachfläche oft als ‚Goldader‘ gesehen, bietet sie doch ein willkommenes Flächenangebot in der begehrten Lage“ (DZIOMBA 2008, S. 285).
Die Reaktivierung der Brachflächen betrifft in vielen Fällen nicht nur eine neue Nutzung der vormals gewerblich-industriell genutzten Flächen, sondern beinhaltet häufig auch neue Nutzungen der alten Gewerbe- und Industriegebäude. Zum Teil werden die alten, in einigen Fällen denkmalgeschützten, Gebäude modernisiert und renoviert und erhalten eine neue Nutzung. Diese Mischung aus neuer Nutzung und alter Bausubstanz ist im Allgemeinen sehr angesehen. Jedoch passen alte Bausubstanz und neue Nutzung bzw. Funktion nicht immer zusammen. Vor allem für große ehemalige Werkshallen finden sich häufig nur schwierig geeignete neue Nutzungen. Gerade in solchen Fällen sind kreative Zwischennutzungen erforderlich und sinnvoll, denn durch punktuelle, außergewöhnliche Events erhöht sich der Bekanntheitsgrad des Standorts (vgl. WIEGANDT 2001, S. 18). Wie die Untersuchung der einzelnen Standorte in Kapitel 5 zeigen wird, können hierdurch negative Folgen wie Verfall und Vandalismus vermieden werden und ein Standort kann zusätzlich zu den üblichen Werbemaßnahmen von Mundpropaganda, Zeitungsberichten etc. profitieren.
Jedoch kann insbesondere dauerhafte Wiedernutzung der alten Bausubstanz erheblich zum weiteren erfolgreichen Gelingen eines Flächenrecyclings betragen, wie z.B. das Colosseum Theater Essen, die ehemaligen Straßenbahnhallen in Düsseldorf oder das Manufactum Warenhaus Waltrop zeigen (vgl. ebd., S. 18).
Die Revitalisierung von brachliegenden Flächen und Immobilien kann neben der Flächenersparnis weitere positive Konsequenzen mit sich bringen, sie ist aber auch mit einigen Schwierigkeiten verbunden.
Positive Auswirkungen der Brachenrevitalisierung
Die Revitalisierung innerstädtischer Brachflächen spielt gerade im Kontext räumlicher und ökonomischer Umstrukturierungsprozesse eine bedeutende Rolle, so wurden vielfältige Ansätze zur Aufwertung von perforierten Stadtquartieren bereits umgesetzt (vgl. BRAMMER 2008, S. 71). Hierdurch kann die Siedlungsdichte wieder erhöht, die Basisinfrastruktur besser ausgelastet und eine Infrastrukturversorgung gesichert werden (vgl. MUNZINGER 2014, S. 21). Die Wiedernutzung von Brachflächen ist eine Chance für eine nachhaltige Stadtentwicklung und für eine Reduzierung des Flächenverbrauchs (vgl. STAHL; OLSCHEWSKI, WIRTH 2003b, S. 173).
Außerdem soll innerstädtische Brachenrevitalisierung in einigen Fällen der gesamten Stadt wieder zu einem positiven Image und wirtschaftlichem Aufschwung verhelfen. In diesem Fall wird von Urban-Renaissance-Projekten gesprochen, welche sich dadurch auszeichnen, dass mit der gezielten Aufwertung von Industriebrachen in Innenstadtlagen städtisches Leben wieder attraktiv gemacht werden soll. Solche Projekte werden von Kommunen, Privatinvestoren oder gemeinsam als Public-Private-Partnership entwickelt. Ihr Schwerpunkt liegt meist auf kommerziellen Nutzungen wie Büros, Einzelhandel, Entertainment und (Massen-) Kultur. Die großen innerstädtischen Brachflächen, die mit der Umsetzung solcher Großprojekte reaktiviert werden sollen, waren i.d.R. für die Öffentlichkeit nicht zugänglich und stellen häufig schon länger einen städtebaulichen Missstand dar, so dass hier Handlungsbedarf besteht (vgl. DZIOMBA 2006, S. 67f.).
Brachflächen befinden sich zumeist in städtebaulichem Bestand, die bestehende Bausubstanz und Nachbarschaft können hierbei von Vorteil sein. So kann die alte Bausubstanz zu einer neuen positiv besetzten Identitätsbildung von Brachflächen beitragen, denn die Altbauten lassen sich gut für eine offensive Vermarktung des Standorts nutzen. Sie tragen zum Imagegewinn bei oder werden als Symbol für die Reaktivierung des gesamten Quartiers betrachtet (vgl. WIEGANDT 2001, S. 19).
Auch von einer vorhandenen Nachbarschaft kann profitiert werden. So kann bei einer Reaktivierung innerstädtischer Brachflächen an eine bereits vorhandene Infrastruktur angeknüpft werden, im Gegensatz z.B. zu neuen Einrichtungen oder Stadtteilen ‚auf der grünen Wiese‘. Eine Anbindung an die städtische Ver- und Entsorgung, Straßen und den häufig bereits bestehenden öffentlichen Personennahverkehr ist leicht zu realisieren. Auch auf private und öffentliche Versorgungseinrichtungen kann sich die Neunutzung positiv auswirken. Es besteht zwar mittel- und langfristig die Gefahr einer Überformung der vorhandenen Nachbarschaft, zunächst sollte diese aber erst einmal durch die Revitalisierung stabilisiert werden (vgl. ebd., S. 21).
Die Brachflächenforschung geht häufig davon aus, dass die Vermarktungsprozesse der Flächen angesichts der Lagegunst ‚Selbstläufer‘ sind, weil man annimmt, dass innerstädtische Brachflächen in Städten mit hohen Bauland- und Immobilienpreisen durch den Antrieb der am Markt herrschenden Nachfrage rasch um- bzw. wiedergenutzt werden (vgl. DZIOMBA 2006, S. 66). Wie eine Wiedernutzung begünstigt wird und welche Hemmnisse einer erfolgreichen Brachenrevitalisierung im Wege stehen, zeigen die nächsten beiden Punkte.
Begünstigende Faktoren für die Wiedernutzung von Brachflächen
In der Vergangenheit hat sich gezeigt, dass die folgenden Faktoren die Erfolgschancen für die Wiedernutzung von Brachflächen erhöhen:
flexible Nutzungsvorstellungen und politische Einigkeit über die anzustrebende Entwicklungsrichtung
Bereitschaft der Eigentümer, die Flächen zu verkaufen und dadurch entstehende größere Handlungsspielräume für die Kommune hinsichtlich des Nachnutzungskonzepts
Möglichkeit, Fördergelder oder andere Finanzierungsquellen zu erschließen oder im Sinne öffentlicher Anerkennung Zuspruch zu erhalten
frühzeitige Planung der Nachnutzungskonzepte
Ansetzen am bestehenden Potential des Standorts
positiver Imagewandel durch die kulturelle Umnutzung alter Industriegebäude und damit ein Attraktivitätsgewinn für Besucher und weitere Investoren
gute Anbindung an bestehende Stadtquartiere
Möglichkeit, flexibel zwischen Denkmalschutz und Teilabriss zu agieren
Zusammenarbeit mit einem externen Projektträger, wie bspw. der Landesentwicklungsgesellschaft (insbes. in kleineren Gemeinden)
Attraktivitätsgewinn durch Erhaltung hochwertiger Innenarchitektur bei der Nachnutzung (vgl. LANGER 2004, S.3f.)
Allerdings können dennoch zahlreiche, nicht zu unterschätzende Faktoren das Flächenrecycling erschweren:
Schwierigkeiten beim Flächenrecycling
Wie bereits betont wurde, können sich bestehende Bausubstanz und Nachbarschaft positiv auswirken. Es kann jedoch auch das Gegenteil der Fall sein.
Insbesondere Gebäude, die unter Denkmalschutz stehen, bringen Schwierigkeiten mit sich, denn Projekte können sich durch den Denkmalschutz verzögern und auch verteuern. Dies führt zu Problemen mit den Investoren. Daher sind bei der Umsetzung von Nutzungskonzepten immer wieder Kompromisse zwischen Investoren und Denkmalschutzbehörde notwendig (vgl. WIEGANDT 2001, S. 21).
Darüber hinaus kann der Bausubstanz bzw. dem Standort auch ein negatives statt ein positives Image anhaften, denn Brachflächen befinden sich oftmals in Stadtbereichen, die einen eher schlechten Ruf haben, wie hinter dem Bahnhof, in Arbeiterstadtteilen oder anderen diffusen Bereichen, die oft wenig geschätzt werden. Das negative Image bedeutet für die Brachenrevitalisierung einen Standortnachteil. In einem solchen Fall bedarf es Strategien, welche die Brachflächen von ihrem ‚Schmuddelimage‘ befreien (vgl. ebd., S. 24).
Negativ auswirken können sich auch Altlasten, da die ehemalige gewerblich-industrielle Nutzung vielfach ihre Spuren hinterlassen und zu Bodenbelastungen geführt hat, die nun die uneingeschränkte Wiedernutzung oder Umnutzung der Brachflächen verhindern. Technisch stellt die Sanierung von Altlasten heute überwiegend kein Problem mehr dar. Schwierig ist hingegen aber die Bewertung der Altlasten. Mögliche Käufer schätzen die Sanierung von Altlasten oder auch die Nutzungsmöglichkeiten der alten Gebäudesubstanz oft unterschiedlich ein, was eine schnelle Wiedernutzung beeinträchtigen kann (vgl. ebd., S. 22f.).
Auch die Einbindung in bereits vorhandene Nachbarschaften kann sich als schwierig erweisen, da Probleme mit ansässigen Betrieben oder Wohnungen entstehen können (vgl. ebd., S. 21).
Kompliziert wird die Wiedereingliederung brachliegender Standorte in den Wirtschaftskreislauf auch aufgrund des Überangebots an Altbestandsflächen, der steigenden interkommunalen Standortkonkurrenz parallel zum Rückgang der Standortnachfragen und kommunaler Finanzknappheit. Es gibt nur wenige spezifische, auf die Probleme der Brachenrevitalisierung zugeschnittene Förderprogramme. Diese Rahmenbedingungen erschweren Eigentümern und Kommunen die Wiedernutzung eines brachgefallenen Grundstücks. Es zeigt sich hier also ein komplexes Gefüge von Revitalisierungshemmnissen (vgl. STAHL, OLSCHEWSKI, WIRTH 2003b, S. 173).
In den folgenden Unterkapiteln sollen Möglichkeiten dargestellt werden, die trotz den Revitalisierungshemmnissen erfolgreiche Entwicklungen von Wiedernutzungen bewirken können.
2.3 Zwischennutzung als Lösung für Brachflächen
„Temporäre Nutzungen sind kein neues Phänomen, sie prägen aber immer mehr das Bild der Städte, sind Thema aktueller städtepolitischer Entscheidungen und entwickeln sich zum strukturellen Element der Stadtentwicklung“ (BRAMMER 2008, S. 72).
Immer häufiger wird als Lösungsansatz für einen Teil der Brachflächen die Zwischennutzung in Erwägung gezogen. In der Planungsdiskussion sind damit meist durch Bürger unterhaltene, nicht kommerzielle Nutzungen auf Freiflächen und in Gebäuden gemeint (vgl. HEYDENREICH 2008, S. 236). Jedoch gibt es auch viele andere Formen der Zwischennutzung.
Im Allgemeinen bezeichnet der Begriff Zwischennutzung „die zeitlich befristete Nutzung eines Gebäudes oder einer Fläche zu einem anderen als dem ursprünglich geplanten Zweck“ (ebd., S. 237). Innerhalb dieses weit gesteckten Rahmens sind zahlreiche Differenzierungen möglich:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tabelle 1: Formen der Zwischennutzung (Quelle: HEYDENREICH 2008, S. 237)
Für jede der Differenzierungen sind Mischformen möglich und die angegebenen Ausprägungen sind als Pole eines Kontinuums zu bewerten. Inhaltlich sind Zwischennutzungen damit kaum Grenzen gesetzt. Häufig anzutreffen sind beispielsweise temporäres Wohnen oder Arbeiten, die Durchführung von kulturellen Veranstaltungen, die Schaffung von naturnahen Flächen oder die Anlage von Grünverbindungen (vgl. ebd., S. 237).
In weiteren Untersuchungen zur Zwischennutzung wird der Begriff unterschiedlich streng ausgelegt. So besteht Rosol darauf, dass der Begriff nahe legt, dass Zwischennutzungsprojekte nicht als vollwertige Nachnutzungen betrachtet werden können (vgl. ROSOL 2008, S. 260).
Auch Brammer ist der Meinung, dass Zwischennutzung „den Status einer befristeten Übergangslösung, die von den lokal herrschenden Marktsituationen beeinflusst wird“ (BRAMMER 2008, S. 72), impliziert. Allerdings lässt sie die Option offen, dass eine Zwischennutzung in langfristige Nutzungsprozesse übergehen kann, denn der Zeithorizont ist als Rahmenbedingung nicht definiert (vgl. ebd., S. 72).
Dies weist darauf hin, dass der Übergang von einer Zwischennutzung zu einer dauerhaften Umnutzung fließend ist und an vielen Standorten nicht eingeschätzt werden kann (vgl. BUNDESAMT FÜR BAUWESEN UND RAUMORDNUNG 2006, S. 209).
Kennzeichnend für temporäre Nutzungen ist weiterhin die Tatsache, dass ohne Wechsel des Eigentümers und Änderung des Planungsrechts Optionen für eine künftige Bebauung offen gelassen werden, wodurch sie bis dahin für einen kürzeren oder längeren Zeitraum einen städtebaulichen Missstand dämpfen bzw. neue Qualitäten bewirken können (vgl. ebd., S. 207).
Die Organisation von Zwischennutzungen erfolgt in den meisten Fällen durch die Stadtverwaltung oder durch von ihr Beauftragte, wie z.B. Quartiersmanager und Sanierungsträger. Die öffentliche Hand übernimmt eine Art Maklerfunktion zwischen Interessenten und Eigentümern (vgl. ebd., S. 209). Ziel der Stadt ist eine Win-Win-Situation: „Die Nutzung wird mit den Eigentümern vertraglich geregelt, wobei die Vorteile auf beiden Seiten liegen müssen: so erhält die Stadt bzw. von ihr gewünschte Initiativen, Nutzungs- und Gestaltungsrechte, während die Eigentümer z.B. von der Verkehrssicherungspflicht entbunden werden“ (ebd., S. 209).
Vorteile der temporären Nutzung sind, dass hierdurch Grundstücke in Privateigentum geöffnet und kreativen Nutzungen zugeführt werden können, weil gewisse formal-rechtliche Anforderungen, bspw. im Rahmen des Bau- und Planungsrechts, hier nicht zur Anwendung kommen. Zwischennutzungen tragen hierdurch zur Gestaltung einer lebendigen Stadt mit hoher Lebensqualität bei (vgl. ROSOL 2008, S. 259f.).
Die Zwischennutzung ermöglicht, „sowohl kurzfristig handlungsfähig zu sein als auch Optionen für zukünftige Entwicklungen offen zu halten, da eine bodenordnende Umwidmung nicht nur zeit- und kostenaufwändig ist, sondern kaum reversible Konsequenzen für die betroffenen Eigentümer hat“ (BUNDESAMT FÜR BAUWESEN UND RAUMORDNUNG 2006, S. 209).
Ein weiterer positiver Aspekt ist, dass Zwischennutzungskonzepte experimentell sein können, weil sie meist ohne großen baulichen und finanziellen Aufwand auskommen und sich finanziell nicht immer rechnen müssen (vgl. HEYDENREICH 2008, S. 238). „Sowohl Theorie als auch Empirie weisen darauf hin, dass spontan oder organisiert zwischengenutzte Brachflächen einen spezifischen Typ öffentlichen Raumes darstellen“ (ebd., S. 248).
Insgesamt können Zwischennutzungen als Türöffner für langfristig ausgerichtete Unternehmungen im Transformationsprozess der Stadt betrachtet werden und gewinnen daher deutlich an Bedeutung. Die Bandbreite von Zwischennutzungen reicht von gastronomischen Einrichtungen wie Bars und Imbissbuden über Sport- und Freizeitaktivitäten wie Skaterparks und gärtnerischen Aktivitäten bis hin zu kultur- und wissensbasierten Dienstleistungen mit ökonomischem Gewicht. Immer bedeutender wird auch die zunehmende temporäre Nachfrage nach kleinteiligen Flächen seitens der Mikrounternehmen aus der Kreativbranche (vgl. BRAMMER 2008, S. 71).
2.4 Kulturalisierung und Festivalisierung in der Stadtentwicklung
2.4.1 Kurzdefinition harte und weiche Standortfaktoren
Um zu bewerten, welche Bedeutung der Kultur - oder im Rahmen dieser Arbeit der kulturellen Zwischennutzung - als Standortfaktor zukommt, sollten zunächst die Begrifflichkeiten harte und weiche Standortfaktoren erklärt werden.
Im Gabler Wirtschaftslexikon wird der Begriff Standortfaktor folgendermaßen definiert:
„maßgebliche Determinante der Standortwahl. Standortfaktoren sind die variablen standortspezifischen Bedingungen, Kräfte, Einflüsse etc., die sich positiv oder negativ auf die Anlage und Entwicklung eines Betriebs auswirken; sie sind als wirtschaftliche Vor- und Nachteile zu begreifen, die aus dem Niederlassen eines Unternehmens an einem bestimmten Standort resultieren“ (GABLER WIRTSCHAFTSLEXIKON o.J., web).
Die Unterscheidung zwischen harten und weichen Standortfaktoren wird aufgrund der monetären Quantifizierbarkeit getroffen. Diese ist bei harten Standortfaktoren gegeben, weiche Standortfaktoren lassen sich hingegen nicht unmittelbar in Kosten-Nutzen-Analysen quantifizieren, sondern sind eine selektive Clusterung der „Faktoren, die auf dem individuellen Raumempfinden der Menschen in ihrer Lebens- und Arbeitswelt basieren“ (ebd., web).
2.4.2 Kultur als Instrument der Stadtentwicklung
Neben der Zwischennutzung ist in Europa noch ein weiterer Trend in der Stadtentwicklung zu beobachten, und zwar die Kulturalisierung von Stadtentwicklung und Stadtentwicklungspolitik.
Mit Kulturalisierung wird eine Stadtentwicklung im Rahmen (zum Teil großer) kultureller Projekte, Events und Festivals bezeichnet, die zum einen der ökonomischen Entwicklung der Stadt dienen soll, zum anderen aber auch der Stadt ein positives Image verleihen und soziale Kohäsion sicherstellen soll (vgl. WOOD 2007, S. 28).
Vor dem Hintergrund von Niedergang und Schrumpfung wurde ab ca. 1980 Kultur als Faktor der Stadtentwicklung neu entdeckt. ‚Harte‘ Standortfaktoren dienen nicht mehr als Unterscheidungsmerkmal, mit dem sich Städte aus der Masse anderer Standorte abheben können.
Stadtimage und Stadtmarketing dagegen „stellen selbstverständliche Bausteine zur Positionierung in diesem Wettbewerb dar, die einerseits die Sichtbarkeit nach außen erhöhen und andererseits das Zusammengehörigkeitsgefühl nach innen stärken sollen“. Besonders wichtig sind dabei vor allem die Besonderheiten und die historische, landschaftliche oder eben kulturelle Einzigartigkeit der jeweiligen Stadt (vgl. HORNI 2011, S. 199f.)
Der ‚weiche‘ Standortfaktor Kultur hat die Aufgabe, einer Stadt neues (auch wirtschaftliches) Leben einzuhauchen, ihr Distinktionsgewinne zu verschaffen und sie damit konkurrenzfähig zu machen. Laut Wood gilt Kultur heute selbst in kleineren Städten als ein fest etabliertes Element der Stadtentwicklungspolitik (vgl. WOOD 2007, S. 28).
Kultur kommt dann als Instrument der Stadtentwicklung und Planung zum Einsatz, wenn der konventionellen Planung keine anderen Ressourcen mehr zur Verfügung stehen, um die Veränderungen der Städte zu gestalten oder wenn staatliche Instrumente die wachsenden sozialen und räumlichen Disparitäten nicht mehr ausgleichen können. Man versucht dann mit weniger investitionsintensiven Mitteln und – falls möglich – mit endogenen lokalen Ressourcen neue Impulse zu geben (vgl. BEYER, HAGEMANN 2008, S. 107).
Die herausragende Bedeutung von Kultur für die Stadtentwicklung und die damit verbundene Stadtentwicklungspolitik lässt sich mit einer Reihe von Erklärungsfaktoren begründen, die teilweise in einem engen wechselseitigen Verhältnis zueinander stehen. Hierzu zählen vor allem ökonomische Entwicklungsimpulse und eine Art ‚symbolische Erneuerung‘ der Stadt (vgl. WOOD 2007, S. 32):
Man erhofft sich, der ökonomischen Entwicklung der Stadt durch dieses ‚weiche‘ Instrument der Kultur maßgebliche Impulse zu verleihen. Diese Ansicht wird von vielen Politikern und Wissenschaftlern vertreten, die davon überzeugt sind, dass in wachsendem Maße ‚weiche‘ Standortfaktoren als Entscheidungsfaktor für Investitionen und Disinvestitionen dienen. Hierzu zählen insbesondere auch Standortinszenierungen und Raumbilder. Tradierte Raumbilder von industrialisierten Städten, vor allem Bilder von altindustrialisierten und ‚verbrauchten‘ Räumen, benötigen eine ‚Radikalkur‘, um im weltweiten (Standort-)Wettbewerb konkurrenzfähig zu bleiben.
Die starke Bedeutung ‚weicher‘“ Faktoren wie Kultur, Imagebildung und ästhetischer Selbstdarstellung für die Entwicklung der Stadt ist Ausdruck eines tief greifenden gesellschaftlichen Wandels. Der ökonomische Strukturwandel und die Entwicklung des (europäischen) Wohlfahrtsstaates in Richtung eines unternehmerischen Staates haben eine Verschärfung der Disparitäten in der globalen Städtehierarchie zur Folge (vgl. ebd., S. 32). „Vor diesem Hintergrund lässt sich die ‚Entdeckung‘ von Kultur für Stadtentwicklung, Stadtmarketing und Ästhetisierung bestimmter Stadträume (‚Stadt als Bühne‘) nicht nur als Versuch der ökonomischen Belebung bzw. Wiederbelebung der Stadt werten, sondern vor allem auch als Versuch einer symbolischen, weithin sichtbaren Erneuerung“ (ebd., S. 32).
Eng verbunden mit der Kultur der Stadt ist auch ihr Image. Allgemein lässt sich sagen, dass man versucht, über Images lokal-spezifische Unterschiede zu konstruieren und damit einen hohen ‚Marktwert‘ im Wettbewerb der Städte zu erzielen. Denn im globalen Standortwettbewerb wird die Imageproduktion immer bedeutender (vgl. KLOSE 2011, S. 121).
Kunst und Kultur können also einiges zur Stadtentwicklung (insbesondere zur ‚Wiederbelebung‘ schrumpfender Städte) beitragen: Kulturelle Akteure können die Aufmerksamkeit auf bestimmte Orte und Potentiale innerhalb einer Stadt lenken und neue Nutzungen und Aktivitäten anregen. Außerdem kann Kultur wie bereits angesprochen zur Imageproduktion und zur Steigerung von Attraktivität und Erlebniswert der Städte genutzt werden (vgl. BEYER, HAGEMANN 2008, S. 107). Laut Beyer und Hagemann kann „[d]ie so genannte ‚creative class‘ – samt kultureller Milieus und städtischer Vielfalt – […] damit zu einem handfesten Standortfaktor werden“ (ebd., S. 107). Urbane Subkulturen werden dabei zu „Erfüllungsgehilfen der unternehmerischen Stadtpolitik und zu Wegbereitern einer Gentrifizierung der Innenstadt“ (ebd., S. 107).
Der Einfluss von Kunst- und Kulturprojekten ist also definitiv vorhanden, er darf jedoch auch nicht überschätzt werden. Solche Projekte können die Stadtplanung und –entwicklung zwar beeinflussen, aber nicht bestimmen, sie können sie ergänzen, aber nicht ersetzen (vgl. ebd., S. 108).
2.4.3 Festivals als Maßnahme der Stadterneuerung, Orte als Erlebnis
Kultur wird hinsichtlich der Modernisierungsstrategien als das entscheidende Element zur Konstruktion innovativer Stadtbilder und zur „Gallionsfigur moderner Stadtentwicklungspolitik“ stilisiert (vgl. KLOSE 2011, S. 126). Kultur umfasst nicht nur ein dauerhaft verfügbares kulturelles Angebot, wie bspw. die Ausstattung einer Stadt mit Theatern und Museen, sondern auch einmalige oder sich wiederholende, zeitlich befristete Veranstaltungen: Festivals.
Festivals haben sich inzwischen als (innovatives) Element neuer Planungskulturen etabliert. Dabei existieren innovative und traditionelle Planungskulturen nebeneinander (vgl. ALTROCK, SCHUBERT 2011, S. 22).
Als wesentliche Merkmale dieser stadtentwicklungspolitisch genutzten Feste bzw. Festivals sind ihre privatrechtliche Organisation, die Finanzierung in Form einer private-public Partnership und die Konzentration auf Freizeit und Konsum zu nennen. Charakteristischstes Merkmal ist jedoch ihre Punktualität, denn diese Ereignisse sind zeitlich befristet und räumlich begrenzt (vgl. BERTRAM 2011, S. 89).
Der prozessuale Charakter trägt bei der Festivalisierung maßgeblich zur Erlebnisqualität bei (vgl. ebd., S. 81).
Festivals sollen als Alleinstellungsmerkmal den Bekanntheitsgrad der ausführenden Stadt erhöhen und ein dynamisches, wachstumsorientiertes Image befördern (vgl. ALTROCK, SCHUBERT 2011, S. 22). Strategisch eingesetzt sollen sie des Weiteren helfen, dass „das Projekt Wirkungen über die Einzelmaßnahme hinaus erzielt“ (BERTRAM 2011, S 89f.).
Aktuell ist laut Bertram eine negativ-pessimistische Wahrnehmung des Trends zur Festivalisierung vorherrschend, die zum einen aus kulturkritischer Sicht die Qualität der Feste und zum anderen die stadtentwicklungspolitische Funktionalisierung dieser Events kritisiert (vgl. ebd., S. 90).
Auch Klose beschreibt negative Bewertungen der Festivalisierung, so diene sie beispielsweise der oberflächlichen Imageproduktion. Er gesteht der Festivalisierung jedoch auch die Chance zu, „stabilisierende[r] Sprungstein[] für emanzipatorische Projekte in der Stadtentwicklung“ zu sein (vgl. KLOSE 2011, S. 122f.).
Ob negativ oder positiv bewertet – Städte nutzen Großveranstaltungen, um Aufmerksamkeit zu gewinnen und damit Ausstrahlungseffekte zu erzielen, die potentielle Investoren anlocken. Durch die Bündelung der Ressourcen auf ein Event erwartet man einen Investitionsschub, einen Ausbau der Infrastruktur und eine Imageverbesserung (vgl. ALTROCK, SCHUBERT 2011, S. 22).
Darüber hinaus zählt unsere Gesellschaft als ‚Erlebnisgesellschaft‘ (nicht gleichzusetzen mit ‚Spaßgesellschaft‘!) wie Bertram es in ihrem Aufsatz, mit Bezug auf Gerhard Schulzes These von 1992, darstellt (vgl. BERTRAM 2011, S. 87). Somit ist eine eindeutige Nachfrage der Gesellschaft nach Erlebnissen und Ereignissen gegeben. Die Folge ist ein Erlebnisangebot bestehend aus neuen Konsum- und Freizeitangeboten, kulturellen Veranstaltungen, aber auch der zeitlich befristeten oder dauerhaften Inszenierung von Orten (place making) (vgl. ebd., S. 89). Denn immer häufiger zählen zu den Objekten, die als Erlebnis betrachtet werden, auch öffentliche Räume, Quartiere und Innenstädte. Die Erlebniswahrnehmung von ‚Urbanität‘ entsteht aus der speziellen Atmosphäre der Räume, der Mischung von kulturell und konsumorientierten wirtschaftlichen Nutzungen oder aus ihrer Historie (vgl. ebd., S. 89). Über raumbezogene Images kann also auch Standortqualität oder Lebensqualität produziert und transportiert werden (vgl. KLOSE 2011, S. 120f.)
Als Erlebnis oder Event wird auch der Wiederaufbau bzw. die Rekonstruktion bestimmter Gebäude betrachtet. Die Funktionen, die der Wiederaufbau einnimmt, sind vielfältig, sie beinhalten ästhetische, stadtstrukturelle, (stadt-)historische, gesellschaftliche und ökonomische Aspekte (vgl. BERTRAM 2011, S. 81-83). Das untersuchte Festival Perspectives hat damit doppelten Erlebnischarakter – sowohl durch die kulturelle Veranstaltung in Form von Theater, Tanz oder ähnlichem, als auch durch die Rekonstruktion brachliegender Flächen oder Immobilien, die neu inszeniert werden. Hierzu mehr in spätere n Kapiteln.
Bertram gibt zu bedenken, dass das große Ereignis des Festivals zwar als ‚Motor‘ betrachtet werden kann, das den Umbau der Stadt, den Ausbau der Infrastruktur und die regionale Wirtschaft antreiben kann, dass aber gerade bei der Wiederbelebung durch eine temporäre neue Funktion von Brachflächen aufgrund der häufig peripheren Lage die Verknüpfung mit städtischen Netzen unzureichend sein kann (vgl. ebd., S. 90f.).
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- Quote paper
- Bachelor of Arts Melanie Scheid (Author), 2015, Die Bedeutung der kulturellen Zwischennutzung von Brachflächen und –immobilien für die Standortentwicklung. Das Saarbrücker Festival ‚Perspectives‘, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/295376
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