Mit dem Satz „Der Türkei-Beitritt zerstört die EU“ hat der deutsche Historiker Hans-Ulrich Wehler maßgeblich dazu beigetragen, dass die Diskussion um den EU-Beitritt der Türkei, die in Europa mehr oder minder seit etlichen Jahren intensiv geführt worden war, eine neue Qualität erhalten hat. Nicht mehr nur temporäre Argumente, wie z. B. die starke Rolle des türkischen Militärs, die Kurdenproblematik, die Konflikte mit Griechenland um Zypern und die Ägäis, die im Gegensatz zur EU verhältnismäßig rückständige Wirtschaft oder generelle Demokratiedefizite der Türkei standen nunmehr im Vordergrund der Diskussion, sondern zunehmend auch grundsätzliche. Sie bezogen sich vor allem auf Unterschiede in Religion, Kultur, geisteshistorischen Traditionen und Geschichte und leiteten daraus eine vermeintliche Unvereinbarkeit europäischer und türkicher Identität her.
Besonders die beiden Historiker Hans-Ulrich Wehler und Heinrich August Winkler argumentieren in diesem Sinne vehement gegen einen EU-Beitritt der Türkei, da diese in ihren Augen nach geographischer Lage, historischer Vergangenheit, Religion, Kultur und Mentalität kein Teil Europas sei.
Ob diese grundsätzlichen Argumente zur Ablehnung eines türkischen EU-Beitritts, der angeblich zum Verlust der europäischen Identität und dem damit einhergehenden Ende des „Projektes Europas“ führen würde , theoretisch und empirisch ausreichend fundiert sind, soll im weiteren Verlauf dieser Arbeit geklärt werden. Ausgelöst durch die vehemente und grundsätzliche Ablehnung des türkischen EU-Beitritts durch ihre Gegner hat sich aber auch eine Vielzahl von Argumenten für eine Einbeziehung der Türkei in die europäischen Strukturen entwickelt, die u. a. Bezug auf die in den Römischen Verträgen festgeschriebene Formulierung nehmen, dass jeder europäische Staat prinzipiell beitrittsfähig ist. Erst auf dem EU-Gipfel von Kopenhagen 1993 wurden mit den Kopenhagener Kriterien weitere Beitrittsvoraussetzungen formuliert, die für Verfechter der Grundsatzdiskussion jedoch zunächst weniger von Bedeutung sind, da sie lediglich temporäre Faktoren, wie die Entwicklung institutioneller Stabilität als Garantie für eine rechtsstaatliche und demokratische Ordnung, für die Wahrung der Menschenrechte sowie den Schutz von Minderheiten, eine funktionierende Marktwirtschaft, die in der Lage ist, dem Wettbewerbsdruck in der Union standzuhalten und die Fähigkeit, die aus der Mitgliedschaft erwachsenden Verpflichtungen zu übernehmen und [...]
Inhaltsverzeichnis:
1. Einleitung
2. Theoretischer Rahmen
3. Historischer Abriss zu den Entwicklungen des türkischen Beitrittsgesuchs
4. Der türkische EU-Beitritts – Die Diskussion
4.1 Die Grundsatzdebatte über die prinzipielle Beitrittsfähigkeit der Türkei
4.2 Temporäre Argumente zu Chancen und Risiken eines Türkei-Beitritts
4.2.1 Innen-, außen- und sicherheitspolitische Argumente
4.2.2 Ökonomische und soziale Argumente
5. Argumentationsbewertung und Einbeziehung theoretischer Ansätze
6. Fazit und Ausblick
Literaturverzeichnis
- Arbeit zitieren
- M. A. Alexander Gajewski (Autor:in), 2012, Der EU-Beitritt der Türkei. Chancen und Risiken anhand verschiedener Integrationstheorien, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/292935
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