Aus der Annahme, daß sich rational handelnde Individuen in einem vorsozialem Zustand, in dem keinerlei Normen und Regeln existieren, zwangsläufig in einem latenten Kriegszustand befänden, leitet Thomas Hobbes die Notwendigkeit absoluter staatlicher Herrschaft her. Ohne derartige Kontrolle kann aus Mißtrauen, obwohl für alle wünschenswert, niemals kooperatives Verhalten entstehen. Dieses Dilemma des Naturzustands ist aber als Gedankenexperiment zu verstehen. Es hat einen permanenten latenten Kriegszustand aller gegen alle nie gegeben, da die Menschen die Gegenseitigkeit als Prinzip der Rationalität erkannt hätten, um in Sicherheit zu leben.1 Dieses Prinzip drückt sich auch in Hobbes´ „goldener Regel“ aus: „Do not that to onother, which thou wouldest not have done to thy selfe“.2
Im folgenden soll nun die Frage untersucht werden, ob der Naturzustand zu überwinden sei, ob Kooperation zwischen rational handelnden Egoisten möglich sei und zwar nicht nur ohne den hobbesschen Leviathan, sondern ohne jegliche Form zentraler Autorität. Außerdem soll dies ohne die Annahme einer dem Menschen von vorne herein innewohnenden Moral
oder Neigung zum gesellschaftlichen Leben geschehen. Zur Untersuchung werden die Mittel der Spieltheorie und auf ihr basierender Computersimulation herangezogen. Mit der Spieltheorie lassen sich Dilemmasituationen wie der Naturzustand formal beschreiben und analysieren. Sie ist eine Methode des Rational-Choice–Ansatzes, in dessen Rahmen davon ausgegangen wird, daß Individuen rational handeln und mit ihrem individuellen Handeln das Verhalten von Kollektiven bestimmen.
1 Vgl. Buchheim, Hans, Zu Hobbes´ Leviathan, in: Gerhardt, Volker/Ottmann, Henning/Thompson, Martyn P. (Hrsg), Politisches Denken: Jahrbuch 1993 (Jahrbuch der Deutschen Gesellschaft zur Erforschung des Politischen Denkens), Stuttgart/Weimar 1993, S. 51
2 Hobbes, Thomas, zit. in: Ebd., S. 51
Inhaltsverzeichnis:
1. Einleitung
2. Untersuchung der Möglichkeit der zwanglosen Kooperation
2.1. Der Naturzustand als Gefangenendilemma
2.2. Einführung des Konzepts der bedingten Moral
3. Bedingte Kooperation im Wettbewerb der Strategien
3.1. Tit For Tat
3.2. Reaktionen auf Tit For Tat und neuere Erkenntnisse
4. Simulation des Naturzustandes mit Mitteln der Künstlichen Intelligenz
4.1. Das Multiagentenmodell
4.2. Dreamscape: Der Naturzustand als Multiagentenmodell
4.2.1. Spielaufbau
4.2.2. Ergebnisse
5. Schluß
Literaturverzeichnis
1. Einleitung und Fragestellung
Aus der Annahme, daß sich rational handelnde Individuen in einem vorsozialem Zustand, in dem keinerlei Normen und Regeln existieren, zwangsläufig in einem latenten Kriegszustand befänden, leitet Thomas Hobbes die Notwendigkeit absoluter staatlicher Herrschaft her. Ohne derartige Kontrolle kann aus Mißtrauen, obwohl für alle wünschenswert, niemals kooperatives Verhalten entstehen. Dieses Dilemma des Naturzustands ist aber als Gedankenexperiment zu verstehen. Es hat einen permanenten latenten Kriegszustand aller gegen alle nie gegeben, da die Menschen die Gegenseitigkeit als Prinzip der Rationalität erkannt hätten, um in Sicherheit zu leben.[1] Dieses Prinzip drückt sich auch in Hobbes´ „goldener Regel“ aus: „Do not that to onother, which thou wouldest not have done to thy selfe“.[2]
Im folgenden soll nun die Frage untersucht werden, ob der Naturzustand zu überwinden sei, ob Kooperation zwischen rational handelnden Egoisten möglich sei und zwar nicht nur ohne den hobbesschen Leviathan, sondern ohne jegliche Form zentraler Autorität. Außerdem soll dies ohne die Annahme einer dem Menschen von vorne herein innewohnenden Moral oder Neigung zum gesellschaftlichen Leben geschehen.
Zur Untersuchung werden die Mittel der Spieltheorie und auf ihr basierender Computersimulation herangezogen. Mit der Spieltheorie lassen sich Dilemmasituationen wie der Naturzustand formal beschreiben und analysieren. Sie ist eine Methode des Rational-Choice–Ansatzes, in dessen Rahmen davon ausgegangen wird, daß Individuen rational handeln und mit ihrem individuellen Handeln das Verhalten von Kollektiven bestimmen.
Nachdem im ersten Teil die Spieltheorie Kerstings Argumentation folgend auf den Naturzustand angewendet, und ein möglicher Ausweg gesucht wird, soll im zweiten Teil das Prinzip der Reziprozität näher untersucht werden. Die wichtigsten Autoren sind hier Axelrod und Schüssler, deren
ursprünglichen Ergebnisse mit aktuellen Veröffentlichungen verglichen
werden sollen. Außerdem wird auf die Position von Kliemt eingegangen werden. Über einen spieltheoretischen Ansatz hinaus geht schließlich das Dreamscape – Modell, das mit Mitteln der Künstlichen Intelligenz den Naturzustand simuliert und so im dritten Teil eine Überprüfung der zuvor gewonnenen Ergebnisse möglich machen sollte. Grundlegend sind hier aktuelle Artikel von Troitzsch und Lepperhoff.
2. Untersuchung der Möglichkeit der zwanglosen Kooperation
2.1. Der Naturzustand als Gefangenendilemma
Das Dilemma des Naturzustand[3], liegt darin, daß jedes Individuum den Zustand gesellschaftlicher Ordnung, in dem das Leben und das Eigentum eines jeden respektiert wird, für erstrebenswert hält. Andererseits liefert sich jeder, der diese Strategie der Kooperation wählt, einem Gegenüber, der von seinen natürlichen Rechten Gebrauch macht, also die Strategie der Defektion wählt, völlig aus. Ein rationaler Spieler wird immer Defektion wählen, da sonst seine Existenz in Gefahr ist. Wenn aber alle defektieren, tritt der latente Kriegszustand ein, in dem jeder um seine Sicherheit fürchtet. Wünschenswert wäre wechselseitige Kooperation.
Diese Beschreibung des Naturzustandes läßt sich spieltheoretisch als Gefangenen - Dilemma (=GD) beschreiben:[4] Die Spieler haben jeweils die Wahl zwischen Kooperation und Defektion. Konstituierend für ein GD ist, daß wechselseitige Kooperation höher bewertet wird als beidseitige Defektion, individuell am besten steht aber der Spieler da, der seinen auf Kooperation setzenden Gegner ausnutzen kann. Am schlechtesten schneidet das gutgläubige Opfer ab,[5] „...the PD [= Prisoner´s Dilemma] presents the Hobbesian problem of order in a structural nutshell.“[6]
Der „Witz des Gefangenen-Dilemmas“[7] besteht nun darin, daß das rational entscheidende Individuum unweigerlich die für alle vorteilhafteste Lösung verfehlt. Aus diesem Widerspruch zwischen individueller und kollektiver Rationalität erklärt Hobbes die Unmöglichkeit zwangloser Kooperation und die Notwendigkeit des Leviathans.
2.2. Einführung des Konzepts der bedingten Moral
Hobbes vertritt, wie gerade gezeigt, die Lösung „cooperation enforced by central authority“, im folgenden wird die Möglichkeit der „cooperation sustained by decentralized strategies of reciprocity“[8] erläutert. Dazu wird an dem Punkt zwischen Naturzustand und seiner Auflösung durch den Staatsvertrag angesetzt und untersucht, ob nicht eine natürliche Moral entstehen könne, der sich die Individuen aus rationalen Gesichtspunkten anschließen.[9]
Dieser Moral zu folgen entspricht, sich unter bestimmten Umständen kooperativ zu verhalten und sie entsteht explizit erst aus der Situation des Naturzustandes. Wenn der moralische Grundsatz lauten würde, sich unbedingt kooperativ zu verhalten, tritt aber das GD wieder in kraft, weil dann ein einziger defektierender Spieler alle anderen ausnutzen könnte. Die Lösung besteht in der Einführung eines Konzeptes der bedingten Moral, die Kooperation mit Kooperation und Defektion mit Defektion beantwortet. Diese Strategie hat den Vorteil, daß sie einerseits sowohl mit anderen Strategien der bedingten Moral, als auch mit der Strategie der unbedingten Moral die angestrebte wechselseitiger Zusammenarbeit realisiert, andererseits nicht ausgebeutet werden kann.[10]
[...]
[1] Vgl. Buchheim, Hans, Zu Hobbes´ Leviathan, in: Gerhardt, Volker/Ottmann, Henning/Thompson, Martyn P. (Hrsg), Politisches Denken: Jahrbuch 1993 (Jahrbuch der Deutschen Gesellschaft zur Erforschung des Politischen Denkens), Stuttgart/Weimar 1993, S. 51
[2] Hobbes, Thomas, zit. in: Ebd., S. 51
[3] Zur folgenden Darstellung, vgl. ebd., S.51f. und Hegselmann, Rainer/Raub, Werner/Voss, Thomas, Zur Entstehung der Moral aus natürlicher Neigung. Eine spieltheoretische Spekulation, in: Analyse und Kritik 8/1986, S.151
[4] Zur Begründung einer Anwendung moderner ‚Rational Choice‘ – Verfahren auf Hobbes´ politische Philosophie und zu einer ausführlichen Darstellung des Gefangenendilemmas, vgl. Kersting, Wolfgang, Thomas Hobbes zur Einführung, Hamburg 1992, S. 114-121
[5] Vgl. Axelrod, Robert, Die Evolution der Kooperation, München 1988, S. 9f.
[6] EdK-Group, Exit, Anonymity and the Chances of Egoistical Cooperation, in: Analyse und Kritik 22/2000, S. 115
[7] Kersting 1992, S. 118
[8] Bendor, Jonathan/Mookherjee, Dilip, Institutional Structure and the Logic of Ongoing Collective Action, in: APSR 81/1987, S. 144
[9] Zur folgenden Darstellung vgl. Hegselmann/Raub/Voss 1986, S. 153f.
[10] Vgl. Hegselmann/Raub/Voss 1986, S. 166
- Quote paper
- Daniel Daimer (Author), 2002, Hobbes' Leviathan vs. Reziprozität - Kann der Naturzustand von rationalen Egoisten überwunden werden? Eine spieltheoretische Untersuchung, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/29284
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