Der Journalist und Schriftsteller Erich Kästner, der heute noch vor allem als Kinderbuchautor bekannt ist, hatte sich Ende der 20er, Anfang der 30er Jahre des 20. Jahrhunderts besonders wegen seiner umfangreichen Gedichtproduktion einen Namen gemacht. Bis zum Beginn der NS-Diktatur 1933 erschienen vier Gedichtbände: Herz auf Taille (1928), Lärm im Spiegel (1929), Ein Mann gibt Auskunft (1930) und Gesang zwischen den Stühlen (1932). 1 Auffällig an diesen Gedichten aus der Epoche der Neuen Sachlichkeit ist die überdurchschnittlich häufige Auseinandersetzung mit Frauen als solchen, die hier immer wieder mit bestimmten - oft negativen - Charaktereigenschaften, Verhaltensmustern, etc. versehen werden. Tatsächlich wurde das von Kästner in seinen Werken vermittelte Frauenbild vielfach angegriffen - und zumeist auf seine Biographie zurückgeführt. 2 Ein Internetartikel, der zu Kästners hundertstem Geburtstag erschienen ist, spricht von dessen Verhältnis zu Frauen: „Keine entsprach letztlich seinen Vorstellungen, und aus vielen seiner Verse spricht tatsächlich eine empörende Geringschätzung des weiblichen Geschlechts.“ 3 Hermann Kesten schreibt Kästners Werk einen immer wieder auftauchenden „gewissen koketten Antifeminismus“ 4 zu, ohne diesen aber näher zu erläutern. Man scheint mit einiger Berechtigung fragen zu dürfen, ob Kästner in seinen Gedichten das weibliche Geschlecht differenziert realistisch - und gemäß der Gesinnung der Neuen Sachlichkeit - sachlich darstellt, oder ob hauptsächlich persönliche Vorurteile widergespiegelt werden. Klaus Kordon stellt außerdem fest, daß Kästner zumindest in seinen Kinderbüchern an seine weiblichen Hauptfiguren keine hohen Anforderungen stellt. 5 Läßt sich etwas Ähnliches auch für die Lyrik feststellen?
In seiner Prosaischen Zwischenbemerkung, enthalten im Gedichtband Lärm im Spiegel, fordert Kästner, ein lebendiges Gedicht müsse nützlich, „seelisch verwendbar“ sein, derart, daß es den Leser innerlich bewege, weil der Dichter es „im Umgang mit den Freuden und Schmerzen der Gegenwart“ 6 geschrieben habe; weil diese Dichter „wie natürliche Menschen empfinden und die Empfindungen (und Ansichten und Wünsche) in Stellvertretung ausdrücken“.
Ziel dieser Arbeit ist es, eine Antwort darauf zu versuchen, inwieweit das Frauenbild, das Kästner in seinen Gedichten zeichnet, zu vereinbaren ist mit seinen selbstformulierten Ansprüchen an gute Lyrik.
Inhalt
I.(Einleitung)
II.Mütter
Mehr oder weniger Gesellschaftskritik
Die Frau als das andere Geschlecht
III.(Resümee)
Anhang: Literaturangaben
I. (Einleitung)
Der Journalist und Schriftsteller Erich Kästner, der heute noch vor allem als Kinderbuchautor bekannt ist, hatte sich Ende der 20er, Anfang der 30er Jahre des 20. Jahrhunderts besonders wegen seiner umfangreichen Gedichtproduktion einen Namen gemacht. Bis zum Beginn der NS-Diktatur 1933 erschienen vier Gedichtbände:Herz auf Taille(1928),Lärm im Spiegel(1929),Ein Mann gibt Auskunft(1930) undGesang zwischen den Stühlen(1932).[1]Auffällig an diesen Gedichten aus der Epoche der Neuen Sachlichkeit ist die überdurchschnittlich häufige Auseinandersetzung mit Frauen als solchen, die hier immer wieder mit bestimmten – oft negativen – Charaktereigenschaften, Verhaltensmustern, etc. versehen werden. Tatsächlich wurde das von Kästner in seinen Werken vermittelte Frauenbild vielfach angegriffen – und zumeist auf seine Biographie zurückgeführt.[2]Ein Internetartikel, der zu Kästners hundertstem Geburtstag erschienen ist, spricht von dessen Verhältnis zu Frauen: „Keine entsprach letztlich seinen Vorstellungen, und aus vielen seiner Verse spricht tatsächlich eine empörende Geringschätzung des weiblichen Geschlechts.“[3]Hermann Kesten schreibt Kästners Werk einen immer wieder auftauchenden „gewissen koketten Antifeminismus“[4]zu, ohne diesen aber näher zu erläutern. Man scheint mit einiger Berechtigung fragen zu dürfen, ob Kästner in seinen Gedichten das weibliche Geschlecht differenziert realistisch – und gemäß der Gesinnung der Neuen Sachlichkeit – sachlich darstellt, oder ob hauptsächlich persönliche Vorurteile widergespiegelt werden. Klaus Kordon stellt außerdem fest, daß Kästner zumindest in seinen Kinderbüchern an seine weiblichen Hauptfiguren keine hohen Anforderungen stellt.[5]Läßt sich etwas Ähnliches auch für die Lyrik feststellen?
In seinerProsaischen Zwischenbemerkung, enthalten im GedichtbandLärm im Spiegel, fordert Kästner, ein lebendiges Gedicht müsse nützlich, „seelisch verwendbar“ sein, derart, daß es den Leser innerlich bewege, weil der Dichter es „im Umgang mit den Freuden und Schmerzen der Gegenwart“[6]geschrieben habe; weil diese Dichter „wie natürliche Menschen empfinden und die Empfindungen (und Ansichten und Wünsche) in Stellvertretung ausdrücken“.[7]In Kästners Augen soll gute Lyrik also einen praktischen Nutzwert für den Leser besitzen, indem sie dessen Innenleben spiegelt. Ziel dieser Arbeit ist es, eine Antwort darauf zu versuchen, inwieweit das Frauenbild, das Kästner in seinen Gedichten zeichnet, zu vereinbaren ist mit seinen selbstformulierten Ansprüchen an gute Lyrik. Spiegeln Kästners Gedichte normale Ansichten – von männlichen und weiblichen Lesern – wider? Behandeln seine Gedichte Frauen und Männer gleich, oder gibt es tatsächlich eine partielle oder gar generelle Geringschätzung des weiblichen Geschlechts? Diese Arbeit wird sich im zweiten Teil anhand von Beispielen konkret mit dem Frauenbild in der Kästnerschen Lyrik befassen. Diese Beispiele zeigen eine große Bandbreite der unterschiedlichsten Darstellungen und sollen einen möglichst repräsentativen Überblick über die Gedichte Kästners verschaffen, die im Sinne der Fragestellung dieser Arbeit als verwertbar erscheinen. Im dritten Teil der Arbeit soll dann schließlich eine Antwort auf die gestellten Fragen versucht werden, wobei sich zeigen wird, daß diese nicht auf eine klare Richtung hinauslaufen kann. Es soll übrigens bewußt möglichst wenig auf Kästners Biographie eingegangen und der Blick hauptsächlich auf die Gedichte selbst gelenkt werden.
II. Mütter
Zunächst werde auf eine besondere Frauenrolle in Kästners Werk eingegangen. Sowohl in seinen Kinderbüchern wie in den Romanen, genauso aber auch in der Lyrik werden auffallend häufig Mütter beschrieben, fast immer als Mütter von Jungen beziehungsweise Männern. Der Kästnerbiograph Klaus Kordon sieht in allen diesen Figuren stets Kästners eigene Mutter gespiegelt. Immer wieder setze Kästner alleinstehenden, lebenstüchtigen, aufopferungsvollen Frauen ein Denkmal.[8]Diese Darstellungen zeigen tatsächlich stets Frauen mit durchweg positiven Eigenschaften, Mütter, deren Lebensinhalt ihre Söhne sind. Die Fürsorge der Mütter geht allerdings über ein normales und natürliches Maß hinaus. So schickt das lyrische Ich in dem GedichtFrau Großhennig schreibt ihrem Sohnihrem „Jungen“, der längst in einer anderen Stadt wohnt, neue Wäsche zu, beziehungsweise läßt sich seine Schmutzwäsche schicken: „Nächstens schick ich Dir Umlegekragen. [...]/Und schick bald die schmutzige Wäsche. Der letzte Kartong war schrecklich zerrissen.“[9]Auch macht sie sich ständig Gedanken um sein Wohl: „Ist das Essen auch gut in dem Restaurant wo Du ißt?/Laß Dir doch abends von Deiner Wirtin zwei Eier auf Butter braten.“[10]Die Sprache dieses Gedichtes zeigt sich sehr sachlich und nüchtern, trotzdem stecken in ihm tiefe Emotionen, die Fürsorge des einen Menschen für den anderen wirkt durchaus rührend.
Das GedichtJunggesellen sind auf Reisenbeschreibt die Empfindungen eines jungen Mannes bezüglich einer Reise mit seiner Mutter: „Das ist ein Glück: mit seiner Mutter fahren!/Weil Mütter doch die besten Frauen sind./Sie reisten mit uns, als wir Knaben waren,/und reisen nun mit uns, nach vielen Jahren,/als wären sie das Kind.“[11]Diese Gedichtstrophe enthält gleich zwei Charakterisierungen einer kästnertypischen Mutter: zunächst das explizite Lob auf die Mütter als „die besten Frauen“; außerdem kann man aus der Andeutung der Rollenumkehr zwischen Erwachsenem und Kind auch eine Abhängigkeit der Mutter herauslesen, die darauf hinweist, daß tatsächlich der Sohn den einzigen Lebensinhalt der Mutter darstellt. Dies ist aber auch ein Hinweis auf eine gewisse Naivität, die den Müttern unterstellt wird, hier noch einmal inFrau Großhennig schreibt ihrem Sohn: „Auch Krauses älteste Tochter hat kürzlich ein Kind gekriegt!/Wer der Vater ist weiß kein Mensch. Und sie soll es selber nicht wissen./Ob denn das wirklich nur bloß an der Gymnasialbildung liegt?“[12]
Ein weiteres Kästnergedicht, das eine Mutterfigur zeichnet, heißtStiller Besuch. Es vermittelt eine friedliche Atmosphäre, in der das lyrische Ich geradezu zärtlich seine alte Mutter wahrnimmt, die bei ihm zu Besuch ist. In den Augen von Klaus Kordon ist dies das einzige bedingungslose Liebesgedicht im gesamten lyrischen Werk Kästners.[13]Es fehlt tatsächlich jede kritische Bemerkung zu der dargestellten Frauenfigur, und es wird fast so von ihr gesprochen wie von einer Geliebten im engeren Sinne. Das Gedicht endet: „Und er dachte: Gott, hab ich sie lieb!“[14]
[...]
[1]Alle Gedichtbände enthalten in: KÄSTNER, Erich: Zeitgenossen, haufenweise. Gedichte, herausgegeben von Harald Hartung in: Erich Kästner. Werke, herausgeg. von Franz Josef Görtz, München 1998.
[2]Vgl. Internetartikel unter http://www.welt.de/daten/1999/02/20/0220lw61459.htx
[3]Vgl. Internetartikel unter http://www.jungewelt.de/frameit.php?/1999/02-23/020.shtml
[4]KESTEN, Hermann: Erich Kästner. In: VOGEL, Harald und Michael Gans: Erich Kästner lesen. Lesewege – Lesezeichen zum literarischen Werk, Reihe Leseportraits, Band 4, Baltmannsweiler 1999, S. 198.
[5]Vgl. KORDON, Klaus: Die Zeit ist kaputt. Die Lebensgeschichte des Erich Kästner, Weinheim 1994, Neuausgabe 1996, S. 130.
[6]KÄSTNER, Erich: Prosaische Zwischenbemerkung. In: Zeitgenossen, haufenweise. Gedichte, herausgegeben von Harald Hartung in: Erich Kästner. Werke, herausgeg. von Franz Josef Görtz, München 1998, S. 88.
[7]KÄSTNER, Erich: Prosaische Zwischenbemerkung. A. a. O., S. 88.
[8]Vgl. KORDON, Klaus: Die Zeit ist kaputt. Die Lebensgeschichte des Erich Kästner, Weinheim 1994, Neuausgabe 1996, S. 122.
[9]KÄSTNER, Erich: Frau Großhennig schreibt ihrem Sohn. In: Zeitgenossen, haufenweise. Gedichte, herausgegeben von Harald Hartung in: Erich Kästner. Werke, herausgeg. von Franz Josef Görtz, München 1998, S. 18 – 20, hier S. 18.
[10]KÄSTNER, Erich: Frau Großhennig schreibt ihrem Sohn. A. a. O., S. 18.
[11]KÄSTNER, Erich: Junggesellen sind auf Reisen. In: Zeitgenossen, haufenweise. Gedichte, a. a. O., S. 66/67, hier S. 66.
[12]KÄSTNER, Erich: Frau Großhennig schreibt ihrem Sohn. In: Zeitgenossen, haufenweise. Gedichte, a. a. O., S. 19.
[13]Vgl. KORDON, Klaus: Die Zeit ist kaputt. Die Lebensgeschichte des Erich Kästner, Weinheim 1994, Neuausgabe 1996, S. 284.
[14]KÄSTNER, Erich: Stiller Besuch. In: Zeitgenossen, haufenweise. Gedichte, herausgegeben von Harald Hartung in: Erich Kästner. Werke, herausgeg. von Franz Josef Görtz, München 1998, S. 146/147, hier S. 146.
- Arbeit zitieren
- Fabian Otto (Autor:in), 2002, Das Frauenbild in der Lyrik Erich Kästners, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/29263
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