Ich möchte die Bahnen der aktuell diskutierten Konzepte der Wissens-, Wissenschafts-, Kommunikations- oder Informationsgesellschaft nun verlassen, auf die (diesbezüglich) gängigen Definitionen von Wissen verzichten und den Fokus der Betrachtung auf eine generalisierte Vorstellung von Wissen lenken – nämlich auf das, was Wissen sein wird (bzw. teilweise schon ist), wenn man es kommerzialisiert: Wenn Wissen – seine Produktion, sein Erwerb und seine Nutzung – den Gesetzen des Marktes, den Gesetzen von Angebot und Nachfrage, unterworfen wird, dann lässt es sich schlechthin unter den Begriff „Ware“ subsumieren.
Bereits die Begriffe Kommerzialisierung, Ware, Angebot und Nachfrage offenbaren eine ökonomische Sichtweise– diese soll auch beibehalten werden, indem ich mich im Weiteren auf Coleman’s Theorie der rationalen Wahl (Rational-Choice-Theorie) stütze.
Inhaltsübersicht
1. Wissen – ein weites Feld
2. Zweckgebundene Definition von „Wissen“.
3. Bedeutung der Transformation von „Wissen“ in „Ware“
4. Auswirkungen auf Wissensproduktion, Wissenserwerb und Wissensnutzung
5. Politische, soziale und kulturelle Folgen
6. Kritische Bewertung
Literaturverzeichnis
1. Wissen – ein weites Feld
Mit diesem Essay begebe ich mich auf dünnes Eis. Nicht nur, weil ich versuchen werde, Aussagen über die Zukunft zu treffen, sondern auch, weil sich diese Aussagen nur auf ein höchst selektives und instabiles Gerüst stellen können: Allein schon die Abgrenzung dessen, was man unter „Wissen“ zu verstehen hat, kann ganze Bücher füllen. So unterscheidet man zum Beispiel implizites und explizites, individuelles und kollektives, internes und externes, theoretisch-kognitives und handlungsrelevantes, rivales und nichtrivales Wissen, Verfügungs- und Orientierungswissen, Wissen erster Ordnung und Wissen zweiter Ordnung... Es gibt Alltagswissen, Expertenwissen, Fachwissen, historisches Wissen, wissenschaftliches Wissen, Faktenwissen, und so weiter und so fort. Man betrachtet Wissen als Faktum (das, was ist), als Idee bzw. Vorstellung (das, was sein kann) oder als Norm (das, was sein soll). Man kann die Struktur des Wissens untersuchen oder aber seine Dynamik analysieren. Betrachtet man die Entstehung von Wissen, so kann es sich um eine empirisch induktive, eine logisch deduktive, eine kommunikative, eine intuitive, eine kreative (...) handeln. Es ist also nicht verwunderlich, dass es eine Vielzahl unterschiedlicher Definitionen von „Wissen“ gibt – je nach dem, welcher Aspekt des Wissens in den Mittelpunkt der Betrachtung gerückt und in welchen theoretischen Hintergrund er gestellt werden soll.[1]
Ich möchte die Bahnen der aktuell diskutierten Konzepte der Wissens-, Wissenschafts-, Kommunikations- oder Informationsgesellschaft nun verlassen, auf die (diesbezüglich) gängigen Definitionen von Wissen verzichten und den Fokus der Betrachtung auf eine generalisierte Vorstellung von Wissen lenken – nämlich auf das, was Wissen sein wird (bzw. teilweise schon ist), wenn man es kommerzialisiert: Wenn Wissen – seine Produktion, sein Erwerb und seine Nutzung – den Gesetzen des Marktes, den Gesetzen von Angebot und Nachfrage, unterworfen wird, dann lässt es sich schlechthin unter den Begriff „Ware“ subsumieren.
Bereits die Begriffe Kommerzialisierung, Ware, Angebot und Nachfrage offenbaren eine ökonomische Sichtweise– diese soll auch beibehalten werden, indem ich mich im Weiteren auf Coleman’s Theorie der rationalen Wahl (Rational-Choice-Theorie) stütze.
Indes lässt sich nicht alles Wissen den Gesetzen des Marktes unterwerfen. Auch wären folgende Ausführungen ohne jegliche Einschränkung ihres Gegenstandes irreführend und schlichtweg falsch. Daher soll in einem ersten Schritt zunächst versucht werden, eine Definition dessen zu finden, was man unter kommerzialisierbarem Wissen zu verstehen hat (Kap. 2). In Kapitel 3 wird die Bedeutung der Transformation von Wissen in eine Ware erläutert, um darauf aufbauend die Folgen für die Produktion, den Erwerb und die Nutzung von Wissen – aus ökonomisch-rationaler Sicht – zu beleuchten. Kapitel 5 widmet sich den Auswirkungen der Kommerzialisierung des Wissens auf die Gesellschaft, und in Kapitel 6 werden die Ergebnisse abschließend kritisch bewertet.
2. Zweckgebundene Definition von „Wissen“
Wie bereits gesagt, möchte ich auf die gängigen Definitionen von Wissen verzichten. Dies ist weniger ein Akt der Willkür als vielmehr der Notwenigkeit: Wissensbegriffe, wie sie - um nur einige zu nennen - von Bell, Sveiby, Luhmann oder Herbst angeboten werden, sind allesamt zu umfassend. Mit Sicherheit stellt das Wissen, um das es sich im Folgenden handeln soll, ein Faktum oder eine Idee dar (vgl. Bell). Auch bedingt es unsere Fähigkeit zum Handeln (vgl. Sveiby), und es lässt sich in ein Netz von Kenntnissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten zum Lösen von Aufgaben einordnen (vgl. Herbst). Und selbst Luhmann erfasst meine Vorstellung von Wissen, indem er letzteres generell als lern- und enttäuschungsbereite Erwartungen bezeichnet. Dennoch muss ich Wissen in einer weitaus eingeschränkteren Art und Weise denken – ich muss es auf eben jenes Wissen begrenzen, welches sich produzieren, kommerziell erwerben und gewinnbringend nutzen – kurz als Produkt, als Ware auffassen lassen kann.[2]
Deshalb soll Wissen im folgenden all jenestrukturiertenSymbolsystemeumfassen, die mitwissenschaftlichen Methodenund/oderanwendungsorientiert produziert, in mehr oder weniger umfassenderendidaktischenoderautodidaktischen Prozessen vermitteltundangeeignet, zurLösung von wirtschaftlichen, wissenschaftlichen und (informations-) technischen Aufgaben und Problemen angewandtwerden können, und derenWertsichan monetären Maßstäben messenund somithandelnlässt.
3. Bedeutung der Transformation von „Wissen“ in „Ware“
Grundvoraussetzungen für das Funktionieren eines Marktes sind einerseits die Existenz von Tauschobjekten, welche durch Eigentumsrechte abgesichert sind, und andererseits die Möglichkeit zum Tausch dieser Objekte (Gläser 2003: 60), also ein etabliertes Vertragsrecht, welches Coleman als „Handlungsrechte“ bezeichnen würde. Das Vertragsrecht lässt sich aus dem Grundgesetz und dem Bürgerlichen Gesetzbuch herleiten[3]- die Kommerzialisierung des Wissens bedarf daher lediglich noch einer Überführung des Wissens in Privateigentum (Privatisierung).[4]Sobald dies geschieht, kann man Wissen als Ware (be)handeln – mit folgenden Konsequenzen:
1. werden die Produktion, die Verteilung und die Nutzung von Wissen den Gesetzen von Angebot und Nachfrage unterworfen.
2. unterliegen Wissensproduktion und Wissensnutzung dem Zwang der Gewinnmaximierung[5].
3. ist Wissen nunmehr kaufbar: um es zu erwerben,mussman einen bestimmten Preis dafür bezahlen (sei es in Form von Geld oder in Form eines Austauschs von Wissen).
Ein steigender Trend zur Kommerzialisierung von Wissen zeichnet sich bereits durch die „explosionsartige(n) Vermehrung intellektueller Eigentumsrechte“ ab (Gläser 2003: 55); neben die kollektive Produktion von Wissen tritt die private Wissensproduktion. Mehr noch:
„Ein Indiz dafür, dass alles wissenschaftliche Wissen zur Ware und also zu geistigem Privateigentum werden könnte, ist laut Weingart „die Drift in der Patentierung von der Erfindung in Richtung auf die Entdeckung“ (...).“ (Wenzel 2002)[6]
Auch, wenn Gläser die Voraussetzungen für eine vollkommene Kommerzialisierung der Wissensproduktion nicht gegeben sieht, weil sich die Marktstrukturen nicht auf die gemeinschaftliche Wissensproduktion übertragen lassen, und somit die gemeinschaftliche Wissensproduktion ebenso gestört wird wie das Funktionieren der Marktmechanismen (vgl. Gläser 2003: 70), möchte ich mich doch der Position von Weingart anschließen: Nur, weil die kollektive Wissensproduktion mit den Marktstrukturen inkompatibel sind, bedeutet dies nicht, dass die gemeinschaftliche Produktion von Wissen aufrecht erhalten werden kann, bzw. dass der Markt nicht obsiegt.[7]Im folgenden gehe ich deshalb vom analytischen (nicht aber normativen) Idealtypus der totalen Kommerzialisierung des (oben definierten) Wissens aus.
4. Auswirkungen auf Wissensproduktion, Wissenserwerb und Wissensnutzung
Ausgehend von der Vorstellung von nutzenmaximierenden, egoistischen Akteuren, die über eine mehr oder minder große Anzahl von Ressourcen verfügen, ergeben sich folgende Auswirkungen der Kommerzialisierung von Wissen auf dessen Produktion, Erwerb und Nutzung:
Zunächst bedeutet die totale Privatisierung von Wissen den Ausschluss vom Wissen: Derjenige, der die Eigentumsrechte hält, kann entscheiden, wem er Zugang zu seinem Wissen gewährt und wem er es vorenthält. Verspricht sich der Wissenseigner keinen Nutzen von der Offenlegung seines Eigentums, wird er es für sich behalten. Auch kann er, sofern er ein Monopol auf bestimmtes Wissen innehat, den Kaufpreis dafür (zumindest für eine bestimmte Zeit) gewinnmaximierend selbst bestimmen.[8]Wissen ist somit nicht mehr frei verfügbar und bedarf der Geheimhaltung bzw. der geplanten Verteilung, um seinen finanziellen Wert nicht zu mindern. Das Vorenthalten von Wissen – so Gläser – verlangsame die Wissensproduktion, gefährde sie aber nicht, weil ein Geheimnis entweder (illegal) preisgegeben[9]oder überholt werden könne[10](vgl. Gläser 2003: 64, 68f.; Hervorhebung nicht im Original). Unter der Annahme der Koexistenz von privater und öffentlicher Wissensproduktion mag dies zutreffen, nicht aber für die Vorstellung einer rein privaten Wissensproduktion: Privat erzeugtes Wissen ist – wie gesagt – teuer und nicht frei verfügbar. Insofern ist eine Wissensproduktion nach dem Trial-and-Error-Prinzip nicht mehr möglich. Der Wissensproduzent muss genau kalkulieren, wie er seine begrenzten Ressourcen einzusetzen hat, um zu einem bestimmten Ergebnis zu kommen, d.h. er wird von Anbeginn seiner Forschungstätigkeit in seinen Möglichkeiten und seinen möglichen Ergebnissen eingeschränkt. Gerade Innovationen, die nur durch die Zusammenführung verschiedener Wissenskomponenten entstehen können, werden somit durch mangelnde Ressourcen verhindert. Auch ergibt sich bei der privaten Wissensproduktion das Problem, dass die Qualität des erzeugten Wissens nicht mehr kollektiv und diskursiv beurteilt (ergo gewährleistet) werden kann, weil die Deutungshoheit beim Produzenten verbleibt (vgl. analog Gläser 2003: 62) – der von Merton geforderte organisierte Skeptizismus kann nicht betrieben werden. Deshalb kann die Wissensproduktion nicht nur verlangsamt, sondern auch eingeschränkt und in seiner Qualität reduziert werden.
[...]
[1]Literatur: Degele (2000), S. 37-51, 88f. Heidenreich (2003), S. 25-29 Mohr (1999), S. 9-16 Saiger (2001), 12ff.
[2]Literatur: Heidenreich (2002), S. 6 Heidenreich (2003), S. 28 Saiger (2001), S. 12
[3]Art. 2 Abs. 1 GG, § 311 Abs. 1 BGB, § 241 Abs. 1 BGB
[4]Anm.: Eine Rückführung von kollektivem Wissen in Privateigentum ist nicht möglich, wohl aber kann neues, privat produziertes Wissen als Privateigentum gehandelt werden.
[5]Anm.: Der Zwang zur Gewinnmaximierung ergibt sich nicht nur aus nutzenmaximierenden Erwägungen der Akteure, sondern ist auch direkte Folge der Marktkonkurrenz (vgl. analog: Baur 2001: 47f.)
[6]Hervorhebung nicht im Original
[7]Anm.: Zwei Beispiele mögen dies verdeutlichen: 1. Der soziale Gedanke ist mit einerreinenMarktwirtschaft nicht vereinbar („inkompatibel“). Dennoch – oder gerade deswegen können beide nicht länger koexistieren: dass der Markt den öffentlich finanzierten Sozialstaat niederringt, zeigt sich im zunehmenden Abbau von Sozialleistungen sowie der zunehmenden Privatisierung ehemals staatlicher Aufgabenbereiche (z.B. private Altenpflege, private Altersvorsorge...). 2. Kann sich auch die öffentliche Bildung nicht länger gegen die Mechanismen des Marktes wehren: Vor dem Hintergrund einer steigenden Überschuldung des Staates werden Forschungsgelder gekürzt, Tausende von Lehrstellen gestrichen, unlukrative Fakultäten aufgelöst und horrende Studiengebühren erhoben. Gleichzeitig nimmt die Zahl der privaten Bildungseinrichtungen zu.
[8]Problematisch ist dies vor allem dann, wenn die Vermittlung von Wissen, sprich die Bildung ausschließlich von privaten Einrichtungen wahrgenommen wird – das Recht auf Bildung kann dann durch Zugangsbeschränkungen und überhöhte Preise stark beeinträchtig werden.
[9]Ein Firmenmitarbeiter wird das Geheimnis preisgeben, wenn er sich davon einen größeren Nutzen verspricht, als von der Geheimhaltung.
[10]Die Konkurrenz schläft nicht...
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- Sebastian Wiesnet (Author), 2004, Politische, soziale und kulturelle Folgen der totalen Kommerzialisierung des Wissens - Eine Zeitdiagnose, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/29260
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