Das Konzept der Subkultur findet seit den Zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts immer größere Beachtung in der Sozialforschung und Anthropologie. Ursprünglich als Ansatz entwickelt, innere Funktionsweisen delinquenter Jugendgruppen besser erfassen zu können, wird die Idee gesellschaftliche Untergruppen und ihre spezifischen Verhaltensweisen zu untersuchen stetig ausgeweitet. Das Spektrum wird vor allem deshalb erweitert, weil im Zuge der Diversifizierung und fortschreitenden Individualisierung der Gesellschaft auffällig viele Gruppen eigene, interne und nur für ihre Mitglieder gültige Regeln und Codes entwickeln, die denen der dominanten Kultur teilweise widersprechen. So werden rasch auch Migrantengruppen und ethnische Minderheiten "Untersuchungsgegenstand" der Subkulturforschung.
Für die vorliegende Arbeit gewinnt das Thema Subkultur an Relevanz, weil sich die Theorie gerade in der sozialwissenschaftlichen Jugendforschung durchgesetzt hat und ein relativ einleuchtendes Koordinatensystem aus dieser Arbeit hervorgegangen ist, nach dem sich eine bestimmte Bewegung als jugendliche Subkultur identifizieren lässt.
Inhalt:
1. Einleitung
2. Grundzüge
2.1. Gedankliche Tradition
2.2. Die Moderne als Ausgangspunkt
3. Motivgemeinsamkeiten
3.1. Kranke
3.1.1. Aufhebung der Transzendenz
3.1.2. Soziale Isolation
3.2. Wahnsinn
3.3. Gefangene
4. Fazit
5. Anhang
6. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Das Konzept der Subkultur findet seit den Zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts immer größere Beachtung in der Sozialforschung und Anthropologie. Ursprünglich als Ansatz entwickelt, innere Funktionsweisen delinquenter Jugendgruppen besser erfassen zu können, wird die Idee gesellschaftliche Untergruppen und ihre spezifischen Verhaltensweisen zu untersuchen stetig ausgeweitet. Das Spektrum wird vor allem deshalb erweitert, weil im Zuge der Diversifizierung und fortschreitenden Individualisierung der Gesellschaft auffällig viele Gruppen eigene, interne und nur für ihre Mitglieder gültige Regeln und Codes entwickeln, die denen der dominanten Kultur teilweise widersprechen. So werden rasch auch Migrantengruppen und ethnische Minderheiten "Untersuchungsgegenstand" der Subkulturforschung.
Für die vorliegende Arbeit gewinnt das Thema Subkultur an Relevanz, weil sich die Theorie gerade in der sozialwissenschaftlichen Jugendforschung durchgesetzt hat und ein relativ einleuchtendes Koordinatensystem aus dieser Arbeit hervorgegangen ist, nach dem sich eine bestimmte Bewegung als jugendliche Subkultur identifizieren lässt.
"Die Subkulturen werden in diesem Ansatz als Ausdruck des Auswegs
und der Alternative aus kollektiv erfahrenen Problemen und Wider-
sprüchen begriffen."[1]
Die Bildung einer Subkultur, deren Naturell es zu sein scheint, ihren Mitgliedern einen Zufluchtsort gegen die in irgendeiner Weise als unzulänglich empfundene dominante Kultur zu geben, kann also immer nur in Absetzung zur Elterngeneration, zur bestehenden Ordnung, zu etwas bereits existierenden und als störend empfundenen stattfinden.
Es ist die latente Funktion der Subkultur, die inhärenten Wider-
sprüche der Stammkultur (parent culture) offen auszudrücken."[2]
Im Falle einer literarischen Bewegung wie dem Expressionismus, die in eine Zeit radikaler gesellschaftlicher, geisteswissenschaftlicher und technologischer Umbrüche stattfindet, lassen sich diese Abgrenzungsmechanismen und die "inhärenten Widersprüche der Stammkultur" an den Inhalten der aus dieser Bewegung hervorgegangenen Werke nachvollziehen. Konstituierend für einen "kollektiven Geist" der Expressionisten scheint die klare Abgrenzung gegenüber der bestehenden Gesellschaft und ihren Mustern zu sein.
"Allgemein [...] war für die expressionistische Generation die
Erfahrung der Diskrepanz zwischen entleerten Kultur-,
Moral- und Religionsvorstellungen einerseits, einer diesen
Begriffen nicht mehr entsprechenden Wirklichkeit andererseits."[3]
Wenn im folgenden also weiter auf die Selbstverortung der Expressionisten außerhalb der Gesellschaft eingegangen wird, geschieht dies in der Wahrnehmung, es bei dieser literarischen Bewegung mit einem Phänomen zu tun zu haben, das einer jugendlichen Subkultur zumindest sehr nahe kommt. Ähnlich wie sich modernere (Halbstarke, HipHoper, Rocker) und auch frühere (Junges Deutschland, Sturm und Drang) Formen von Jugend- und Subkultur konstituieren, entwickelt sich auch der Expressionismus.
Um diese These zu unterfüttern, soll ein Überblick über verbindende Themen- und Motivkomplexe der expressionistischen Autoren gegeben werden, weil hier vor allem die Skepsis der expressionistischen Autoren gegenüber allgemeinen Lebensumständen und tradierten Denkmustern deutlich wird.
2. Grundzüge
Zu aller erst soll festgehalten werden, dass es sich beim literarischen Expressionismus per se schon um eine subkulturelle Strömung innerhalb des Literaturbetriebs ihrer Epoche handelt. Autoren wie Heym, Blass und Van Hoddis gehen in der Veröffentlichungsflut der 1900 - 20er nahezu unter. Bedenkt man, gegen welche Konkurrenz sie antreten, ist das kaum verwunderlich. Einerseits veröffentlichen Autoren wie Thomas Mann oder Gerhart Hauptmann ihre Hauptwerke, andererseits feiern Populärschriftsteller wie Ganghofer oder Courts- Mahler große Erfolge. Dem literarischen Expressionismus bleibt kaum eine andere Wahl, als ein Dasein im Schatten dieses "mainstream"- Literaturbetriebes zu führen. Allerdings gewinnt der Expressionismus so, als "eine in sich relativ geschlossene und nach außen abgeschlossene Sub-, Rand-, Gegen- oder Intellektuellenkultur"[4] an eigenem Profil. Erstens schreiben die jungen Expressionisten gegen die vorhandene Auffassung von Literatur an:
"Zunächst war der Anti- Ästhetizismus der Expressionisten
vorrangig eine Absage an den Schönheitskult der Jahrhundertwende,
an das Theorem des >L'art pour l'art<."[5]
Resultierend aus dieser Absage an das populäre Kunstkonzept entstehen erste Konflikte mit der Umwelt. In Georg Heyms Tagebuchaufzeichnungen findet sich die Aufzeichnung einer solchen Auseinandersetzung. Heyms Mutter steht seiner Lyrik und wohl auch seiner Lebensführung mit Unverständnis gegenüber:
"Wundervoll. Gespräch mit meiner Mutter über meine Kunst:
Meine Mutter: "Du hast keine edle Seele. Sowas kann ich nicht
lesen. Edle und zarte Seelen kaufen doch so was nicht."- - -
Meine Einwände... "Aber, Georgel, Goethe und Schiller,
haben doch auch anders gedichtet. Warum schreibst Du
denn nicht im "Daheim" oder in der "Gartenlaube"."
Schließlich habe ich ihr versprechen müssen, jetzt
edle und zarte Gedichte zu machen."[6]
Die Einleitung des Tagebucheintrags und der insgesamt ironische Unterton sowie das letztendlich leere Versprechen "edle und zarte" Werke zu verfassen, sollen hier als Indikator der rebellischen und antiautoritären Einstellung Heyms - und an seiner Person festgemacht und verallgemeinert, der gesamten expressionistischen Bewegung- dienen. Der Kern der expressionistischen Auflehnung gegen die bestehenden Verhältnisse lässt sich im innerfamiliären Generationskonflikt verorten. Besonders die Autorität und Position der Vaterfigur im Familiengefüge wird angezweifelt.
Der Skeptizismus bestehenden Autoritäten gegenüber weitet sich in einem zweiten Themenkomplex auf ein gesamtgesellschaftliches Konzept aus. Jene fast schon metaphorische Übertragung des innerfamiliären Generationenkonflikts auf die gesamte Gesellschaft wird von Franz Kafka im "Brief an den Vater" verdeutlicht:
"Das wären an sich vollständig unbedeutende Einzelheiten
gewesen, niederdrückend wurden sie für mich erst dadurch,
daß Du, der für mich so ungeheuer maßgebende Mensch,
Dich selbst an die Gebote nicht hieltest, die Du mir auferlegtest.
Dadurch wurde die Welt für mich in drei Teile geteilt, in einen,
wo ich, der Sklave, lebte, unter Gesetzen, die nur für mich
erfunden waren und denen ich überdies, ich wußte nicht warum,
niemals völlig entsprechen konnte, dann in eine zweite Welt, die
unendlich von meiner entfernt war, in der Du lebtest, beschäftigt
mit der Regierung, mit dem Aufgeben der Befehle und mit dem
Ärger wegen deren Nichtbefolgung, und schließlich in eine dritte
Welt, wo die übrigen Leute glücklich und frei von Befehlen und
Gehorchen lebten."[7]
Die Problematik der Ablösung von Ansprüchen und Anforderungen der Eltern sowie die Positionierung des Selbst innerhalb oder ausserhalb des gesellschaftlichen Gefüges liegt einem großen Teil des expressionistischen Literaturschaffens zugrunde. Es gilt sich aus dem Netz von Befehlen und Verboten zu befreien, um eine Persönlichkeit, eine Individualität leben zu können. Im weitesten Sinne "väterliche" Machtinstitutionen des sozialen und gesellschaftspolitischen Spektrums werden Ziel der literarischen Kritik, indem Staat, Kirche, Justiz und deren übergeordnete Gesellschaftsordnung als inhaltslos und korrupt abgestraft werden. Zweitens entwickelt sich also in der literarischen Nische des Expressionismus ein eigenes Werte-, Normen- und Codesystem, das sich vor allem am Diktum der Antiautorität orientiert.[8] Die expressionistische Bewegung baut eigene Zeitschriften ("Der Sturm" und "Die Aktion"- Titel, die Bände sprechen), Verlage und Clubs auf, die vorerst von der wilhelminischen Kulturlandschaft abgelehnt werden und deshalb autark bleiben können. Einend für alle diese Organe des subkulturellen Lebens ist der antibürgerliche Ansatz.
"Die negative Darstellung der >bürgerlichen< Welt steht im Zentrum
der Gesellschaftskritik der expressionistischen Prosa und [...] Dramatik."[9]
Die expressionistischen Schriftsteller verstehen sich als unangepasst. Die eigene Definition beruht auf der Abgrenzung vom "Bürger", "Philister", "Spießer" oder dem "Juste- Milieu"[10]. Die gesellschafts- und zivilisationskritische Haltung der Expressionisten wird in deren intensiver Auseinandersetzung mit außergesellschaftlichen Phänomenen deutlich; Erscheinungen, die von der wilhelminischen Gesellschaft totgeschwiegen, verdrängt, missachtet oder bestraft werden ziehen das Interesse der Literaten vor allem wegen ihres immensen Identifikationspotentials auf sich. Dabei sehen sich die Autoren des Expressionismus in einer historischen Folge, die an frühere literarische Gegenbewegungen anschließt:
"Der Expressionismus als eine literarische Jugendbewegung, die
sich selbst in der Tradition des Sturm und Drang und des Jungen
Deutschland sah."[11]
In einem weiteren Schritt sollen deshalb jene Identifikationsfelder betrachtet und analysiert werden.
[...]
[1] Cremer, Günther: "Die Subkultur der Rocker", Pfaffenweiler 1992. S. 23
[2] M. Brake: Soziologie der jugendlichen Subkulturen. Frankfurt/ New York 1981, S.76/77
[3] Vietta, Silvio/ Kemper, Hans-Georg: Expressionismus. München, 1994, S. 178 im weiteren zitiert als „Vietta/ Kemper“
[4] Anz, Thomas: Literatur des Expressionismus. Stuttgart; Weimar, 2002. S.24 im weiteren zitiert als „Anz“
[5] Friedrich, Hans: Gedichtbände. m:Janns1 (1912), 1. April- Heft, Nr. 15, S.585
[6] Heym, Georg: Dichtungen. Stuttgart 1999. S.69
[7] Kafka, Franz: Romane und Erzählungen. Köln 2003. S. 965f
[8] Das Unbehagen gegenüber staatlichen Machtinstitutionen und ihr rebellischer Charakter prägt mehrfach bereits die Schullaufbahn der Autoren. Exemplarisch mögen dafür Jakob van Hoddis und Georg Heym angesehen werden. Van Hoddis diktiert nach dem Rauswurf aus der Deutschklasse seinem Vater folgenden Brief an den Direktor der Schule: "Die Nerven meines Sohnes haben durch den Besuch ihrer Anstalt so gelitten, daß ich als Arzt und Vater gezwungen bin, ihn hiermit abzumelden." (S.41)
Heym wurde vom Königlichen Joachimsthalschen Gymnasium zu Berlin-Wilmersdorf geworfen nachdem er das schuleigene Ruderboot angezündet hatte.
[9] Anz, S.75
[10] ebd, S.77
[11] ebd, S. 65
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