Einleitung
Das Konzept, dass Lernende einer Fremdsprache eine Lernersprache aufbauen, die eigenständig, wenn auch in Relation zur Erst- und Zielsprache, systematisch, instabil und variabel ist, war ein Wendepunkt in der Fremdsprachenerwerbsforschung. Schon seit den 50er Jahren wurde mit verschiedenen Vorgehensweisen versucht, Probleme des Fremdsprachenerwerbs, die sich in Form von Fehlern kristallisieren, anzugehen. Die Aufgabe der Fehleranalyse war dabei, Fehler zu identifizieren, zu klassifizieren, zu evaluieren und fremdsprachliche Lernprozesse aus fehlerhaften Verwendungen zu erschließen. Das Ziel der Kontrastiven Analyse zweier Sprachsysteme hingegen war, Lernschwierigkeiten und Lernerleichterungen anhand von Fehlern bzw. zielsprachlich korrekten Sprachverwendungen festzustellen. Man ging davon aus, dass die Erstsprache den Erwerb der Zweitsprache in dem Maße beeinflusst, dass in Erst- und Zweitsprache identische Regeln und Elemente leicht und fehlerfrei erlernbar sind, unterschiedliche jedoch Lernschwierigkeiten bereiten und Fehler bedingen, wobei nicht berücksichtigt wurde, dass auch vor allem ein Kontrastmangel zu Fehlern führen kann. 1 Auf den Schwächen dieser beiden Ansätze aufbauend, strebt die Lernersprachenanalyse an, nicht nur durch die Untersuchung von Sprachsystemen und Fehlern, sondern von der gesamten Lernerperformanz Aufschluss über fremdsprachliche Lernprozesse zu gewinnen, worunter also nicht nur die Entwicklung der Sprachkompetenz des Lerners fällt, sondern auch seine Fähigkeit zum kommunikativen Handeln in der Zielsprache. Dieses Sprachsystem des Lerners, die sogenannten Lernersprache, hat sich seit den 70er Jahren durch unterschiedliche Forschungskontexte, Fragestellungen und Erkenntnisziele zu einer Reihe von verschiedenen Konzeptionen entwickelt.
Bisher existiert jedoch noch keine empirisch belegte Theorie, welche alle Aspekte des Zweitsprachenerwerbs impliziert und auch die empirischen Untersuchungen haben nur bedingt Aussagekraft, da die Studien immer unter bestimmten Perspektiven durchgeführt wurden.
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Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
1.1. Allgemeine Definition für den Begriff “Lernersprache”
2. Erklärungsmodelle der Lernersprache
2.1. Der sozialpsychologische Ansatz: Das Akkulturationsmodell
2.2. Der linguistische Ansatz: Die Systematizität und Variabilität der Lernersprache
2.3. Der psycholinguistische Ansatz: Spracherwerb als Prozess des Bildens und Testens von Hypothesen
3. Schlussfolgerung
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Das Konzept, dass Lernende einer Fremdsprache eine Lernersprache aufbauen, die eigenständig, wenn auch in Relation zur Erst- und Zielsprache, systematisch, instabil und variabel ist, war ein Wendepunkt in der Fremdsprachenerwerbsforschung.
Schon seit den 50er Jahren wurde mit verschiedenen Vorgehensweisen versucht, Probleme des Fremdsprachenerwerbs, die sich in Form von Fehlern kristallisieren, anzugehen.
Die Aufgabe der Fehleranalyse war dabei, Fehler zu identifizieren, zu klassifizieren, zu evaluieren und fremdsprachliche Lernprozesse aus fehlerhaften Verwendungen zu erschließen.
Das Ziel der Kontrastiven Analyse zweier Sprachsysteme hingegen war, Lernschwierigkeiten und Lernerleichterungen anhand von Fehlern bzw. zielsprachlich korrekten Sprachverwendungen festzustellen. Man ging davon aus, dass die Erstsprache den Erwerb der Zweitsprache in dem Maße beeinflusst, dass in Erst- und Zweitsprache identische Regeln und Elemente leicht und fehlerfrei erlernbar sind, unterschiedliche jedoch Lernschwierigkeiten bereiten und Fehler bedingen, wobei nicht berücksichtigt wurde, dass auch vor allem ein Kontrastmangel zu Fehlern führen kann.[1]
Auf den Schwächen dieser beiden Ansätze aufbauend, strebt die Lernersprachenanalyse an, nicht nur durch die Untersuchung von Sprachsystemen und Fehlern, sondern von der gesamten Lernerperformanz Aufschluss über fremdsprachliche Lernprozesse zu gewinnen, worunter also nicht nur die Entwicklung der Sprachkompetenz des Lerners fällt, sondern auch seine Fähigkeit zum kommunikativen Handeln in der Zielsprache.
Dieses Sprachsystem des Lerners, die sogenannten Lernersprache, hat sich seit den 70er Jahren durch unterschiedliche Forschungskontexte, Fragestellungen und Erkenntnisziele zu einer Reihe von verschiedenen Konzeptionen entwickelt.
Bisher existiert jedoch noch keine empirisch belegte Theorie, welche alle Aspekte des Zweitsprachenerwerbs impliziert und auch die empirischen Untersuchungen haben nur bedingt Aussagekraft, da die Studien immer unter bestimmten Perspektiven durchgeführt wurden.
In der vorliegenden Arbeit sollen von daher einige einflussreiche Erklärungsmodelle der Lernersprachen vorgestellt werden, die deren Entwicklung aus drei verschiedenen Perspektiven erklären:
aus sozialpsychologischer Sicht (das Akkulturationsmodell, Schumann 1978 u. 1986), aus linguistischer Sicht (die Systematizität und Variabilität der Lernersprache, u.a. Tarone 1979, Clahsen, Meisel und Pienemann 1983) und aus psycholinguistischer Sicht (Spracherwerb als Prozess des Bildens und Testens von Hypothesen, u.a. Faerch, Haastrup und Phillipson 1984).
Als Einführung in die Thematik werde ich mit Selinkers Hypothese der Interlanguage (1972) beginnen, die eine wichtige Basis für die späteren Forschungsansätze bildete, da sie, in Anlehnung an Corder (1967), das Spachsystem des Lerners erstmals nicht als unvollständige Kopie der Zielsprache sah, sondern als eine in sich systematische und eigenständige Grammatik, die der Lerner in einem konstruktiven Prozess aufbaut.
Zuvor soll jedoch noch eine kurze, allgemeine Definition für den Begriff der Lernersprache gegeben werden.
Im Schlussteil fasse ich dann noch einmal die von mir vorgestellten Ansätze zusammen, bevor ich abschließend meine eigenen Überlegungen darstelle.
1.1. Allgemeine Definition für den Begriff “Lernersprache”
Der Begriff der Lernersprache wurde in der Zweitsprachenerwerbsforschung aufgrund verschiedener Forschungsansätze mit unterschiedlichen Bezeichnungen belegt, wie z.B. 'transitional competence' (Corder 1967), 'approximative system' (Nemser 1971), 'interlanguage' (Selinker 1972) und ‘Interimsprache’ (Bausch/Raabe 1978), die aber nur in der Hinsicht als synonym zu verstehen sind, da sie alle im Allgemeinen eine Art Zwischenstufe des Sprachkönnens während des Fremdsprachenerwerbs beschreiben.
Die Lernersprache ist demnach dasjenige sprachliche System, das sich beim Zweitsprachenlerner durch die Auseinandersetzung mit der neuen Sprache herausbildet und das seinen Äußerungen zugrunde liegt.
An der Entwicklung der Lernersprache sind neben der Zielsprache auch die Muttersprache des Lerners und ggf. weitere Fremdsprachen beteiligt. Die Lernersprache umfasst dabei Regeln, die der Ausgangs- und der Zielsprache angehören, als auch solche, die keiner von beiden zuzuordnen sind und vom Lerner selbst gebildet werden. Für ihre Ausprägung sind also auch individuelle, lernerbezogene Faktoren wie z.B. der soziale Status, die Motivation, Lernsituation, Lernstil etc. ausschlaggebend.
2. Erklärungsmodelle der Lernersprache
Corders (1967) Artikel "The significance of Learners' Errors" bildete die Basis für einen Forschungsansatz, der die Sprache von Zweitsprachenlernern nicht bloß als Imitation der Zielsprache verstand, wie es zuvor in den behavioristischen Theorien üblich war, sondern davon ausging, dass der Lerner ein eigenes Sprachsystem ausbildet und dass der Spracherwerb ein Prozess ist, in dem der Lerner fortwährend Hypothesen über die Eigenschaften und Regelmäßigkeiten der Zielsprache aufstellt, die er immer wieder anhand von neuem Sprachmaterial überprüft und ggf. revidiert, verwirft oder bestätigt.[2]
Selinkers (1972) Arbeit über die "Interlanguage", die Lernersprache, prägte dann jenen Ausdruck für das "separate linguistic system of the learner" (1972, S. 214), das sowohl Züge der Erst- und Zweitsprache, als auch eigenständige, von der Erst- und Zweitsprache unabhängige sprachliche Merkmale aufweist.
Je weiter der Erwerb fortschreitet, desto mehr nähert sich die Lernersprache der Zielsprache an, wobei Selinker nicht ausschließt, dass die beiden Sprachen zu irgendeinem Zeitpunkt äquivalent sein können. Er sieht jedoch den Lernerfolg in der Zweitsprache in Abhängigkeit des Wirkens unterschiedlicher psycholinguistischer Strukturen und geht davon aus, dass bei den meisten Zweitsprachenlernern eine “latente Psychostruktur” operiert (1972, S. 212), die vor allem durch fünf psycholinguistische Prozesse bestimmt wird (1972, S. 216/217):
1. Language transfer (Sprachtransfer): Elemente oder grammatische Regeln aus der Muttersprache (oder aus einer anderen Sprache) werden von dem Lerner in die Systematik seiner Lernersprache übertragen.
2. Transfer of training (Transfer aus der Lernumgebung): Anwendung von bestimmten Strukturmustern, die z.B. durch Übung erworben wurden, was zu einseitigem Gebrauch von bestimmten Satzmustern führen kann.
3. Strategies of second language learning (Lernstrategien): Vom Lerner eigenständig entwickelte Strategien, um Hypothesen über die Eigenschaften und Regelmäßigkeiten in der Zweitsprache aufzustellen und zu überprüfen.
4. Strategies of second language communication (Kommunikationsstrategien): Strategien werden zur Bewältigung von Kommunikationsproblemen eingesetzt, also wenn ein Lerner versucht, etwas in der Zielsprache auszudrücken bzw. zu verstehen, obwohl er nicht über die dafür notwendigen sprachlichen Mittel verfügt.
5. Overgeneralization of target language linguistic material (Übergeneralisierung): Der Lerner wendet Regeln der Zielsprache auf sprachliche Kontexte an, in denen sie nicht gelten.
Des weiteren können als Bestandteil der latenten Psychostruktur auch sogenannte “Fossilisierungen" auftreten. Das sind Sprachformen, die weder der Norm der Zielsprache, noch dem aktuellen Stand des Lerners entsprechen, aber als stabile Elemente in der Lernersprache bleiben (Selinker 1972, S.215).
Fossilisierte lernersprachliche Strukturen tauchen vor allem dann auf, wenn der Lerner seine Aufmerksamkeit auf neue, schwierige Strukturen der Zielsprache richtet, aber auch wenn er z.B. Angst hat, aufgeregt, oder extrem entspannt ist. Dann beschäftigt er sich nicht mehr mit der Verbesserung seiner Fehler und fällt somit in ein früheres Stadium seiner Interlanguage zurück (“back-sliding", Selinker 1972, S.215ff).
Die Stabilität fehlerhafter Strukturen kann dabei sogar über einzelne Elemente und Regeln hinaus den gesamten Bereich der Lernersprache betreffen, wie es beispielsweise bei manchen Immigranten der Fall ist.
“In einem solchen Fall, in dem die Lernersprache sich nicht mehr auf die Norm der Zielsprache hin fortentwickelt, sondern stagniert, dennoch aber als Kommunikationsmittel wie eine natürliche Sprache verwendet wird, kann von Pidginisierung der Lernersprache gesprochen werden.” (Vogel 1990, S. 30)[3]
Schumann (1978b, 1986), der zwischen den Fossilisierungen der Lernersprache und denen der Pidginsprachen einen engen Zusammenhang sah, nahm an, dass Fossilisierungen aufgrund von sozialpsychologischen Faktoren entstehen. In Anlehnung an seine Pidginisierungshypothese (1976), die eine starke strukturelle Simplifizierung der Zielsprache annimmt, solange die Lernersprache zur bloßen Informationtsvermittlung dient, entwickelte er das Akkulturationsmodell, das nun nachfolgend vorgestellt werden soll.
[...]
[1] Eine kritische Übersicht, sowie Literaturangaben zu den Modellen der Kontrastivanalyse und der Fehleranalyse sind u.a. in Bausch/ Kasper (1979) und Edmondson/ House (2000) zu finden.
[2] Zweitsprachenerwerb als Prozess des Bildens und Testens von Hypothesen wird in Abschnitt 2.3. ausführlich behandelt.
[3] Pidginsprachen sind im Wortschatz und in der Grammatik stark reduzierte Mischsprachen.
- Arbeit zitieren
- Julia Loewe (Autor:in), 2003, Lernersprache: Theorien zu ihrer Entwicklung aus sozialpsychologischer, linguistischer und psycholinguistischer Sicht, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/28948
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