Im Blickpunkt dieser Arbeit stehen männliche, volljährige und wohnungslose Heroinkonsumenten, die dauerhaft oder vorübergehend auf der Straße oder in Notübernachtungen leben und bereits über einen langen Zeitraum Heroin konsumiert haben.
Laut der Jahresstatistik 2012 der professionellen Suchtkrankenhilfe sind Männer drei Mal häufiger von einer Heroinabhängigkeit betroffen als Frauen. Auch während der Zeit in der Krisenwohnung wurde festgestellt, das dauerhaft deutlich mehr Männer als Frauen in der Einrichtung nächtigen, zudem konsumieren die meisten Bewohner in der Krisenwohnung Heroin.
Daher liegt der Schwerpunkt dieser Arbeit bei männlichen Heroinkonsumenten. Hierfür wurden stichprobenartig Interviews mit Klienten geführt, welche vorübergehend in der Krisenwohnung wohnen. Der Fokus wird besonders darauf gelegt, wie und ob sich die Unterbringung in der Krisenwohnung und die Wohnungslosigkeit auf den Konsum und den Behandlungsverlauf auswirken.
Der zweite Schwerpunkt in den Interviews liegt bei möglichen genderspezifischen Behandlungsangeboten und aus Klientensicht den Unterschieden in der Substanzabhängigkeit und -konsum zwischen Männern und Frauen.
Inhaltsverzeichnis
TEILA: Männliche Heroinabhängige in Notübernachtungen
1. Einleitung
2.. Beschreibung des Untersuchungsgegenstands
3.. Substanzabhängigkeit und Gesundheit
3.1. Definition Substanzabhängigkeit
3.2. Besonderheiten der Heroinabhängigkeit
3.3. Genderspezifische Aspekte der Substanzabhängigkeitbei Männern
3.4. Entwicklungen im Bereich der Männergesundheit
4. Wohnunqslosiakeit
4.1. Gründe. Statistische Daten zur Wohnungslosigkeit
4.2. Notübernachtungen
4.2.1 Besonderheiten Krisenwohming
4.2.2 Spannungsverhältnis der akzeptierenden Drogenarbeit inNotübernachtungen
4.2.3 Krisenwohnung als Ressource oder weiteres Problemfeld?
5. Schnittstellen Wohnunaslosiakeit und Sucht
5.1 Schwierigkeiten in der Klient_innenarbeit
5.2 Die Problematik der „Zwei-Klassen-Sozialarbeit“
6. Der Wea aus der Abhänaiakeit
6.1 Therapie
6.2 Substitution
6.3 Weitere Möglichkeiten
6.4 Erfolg und Misserfolg von Therapien und Behandlungen
TEIL B: Leitfadenqestützte Interviews mit Klienten der Krisenwohnunq
1 Form der Datenerhebunq amp; anqewandte Messinstrumente
1.1. Kriterien für die Stichprobenauswahl
1.1.1. Weshalb die Konzentration auf die Klienten?
1.1.2. Erkenntnisinteresse
2. Aufbau des Leitfadens
3 Auswertungsverfahren
4. Darstellung und Analyse des erhobenen Materials
5. Auswertung
6. Diskussion
7. Fazit/Ausblick
TEIL A: Männliche Heroinabhängige in Notübernachtungen
1. Einleitung
Seit Beginn des 2. Semesters, also seit Oktober 2011, bin ich in der Krisenwohnung des Notdienstes für Suchtmittelgefährdete und -abhängige Berlin e.V. als studentischer Mitarbeiter tätig. Die Krisenwohnung ist eine Notübernachtung für wohnungslose Konsument_innen von illegalen Substanzen, der Großteil der Bewohnerjnnen konsumiert das Opiat Heroin oder befindet sich in einer Substitutionsbehandlung.
Zusätzlich habe ich von Oktober 2012 bis Februar 2013 mein studienbegleitendes Praktikum im Drogennotdienst absolviert. Die Begründung für die Wahl meiner Bachelorthesis möchte ich in Form einer Geschichte erläutern, welche mir widerfahren ist:
Ich bin sehr lange relativ unkritisch mit meiner Arbeit in der Krisenwohnung umgegangen. Die Arbeit hat mir Spaß gemacht, ich konnte viel für mein Berufsleben lernen, mich als Sozialarbeiter ausprobieren und gerade im Winter hatte ich das Gefühl, einen wichtigen Beitrag zum Überleben der Klient_innen zu leisten.
Während meines Praktikums im Drogennotdienst habe ich ein Gespräch mit einer dort arbeitenden Sozialarbeiterin geführt, welche wusste, dass ich in der Krisenwohnung arbeite. Sie hat das Gespräch mit folgender Frage eingeleitet: „Wie gehst du eigentlich damit um, dass du in der Krisenwohnung die Bewohner in ihrer Abhängigkeit stützt und ihnen den Weg aus der Abhängigkeit erschwerst? In der Fachwelt wird diese Thematik zurzeit stark diskutiert. “ Daran hat sich eine Diskussion über das Für und Wider von Notübernachtungen angeschlossen.
Bevor mir diese Frage gestellt wurde, habe ich über diese - mögliche - Problematik noch nie nachgedacht. In diesem Moment wusste ich, dass ich meine Thematik für die Bachelorarbeit gefunden habe und ich dieser Frage auf den Grund gehen möchte um sie am Ende dieser Abhandlung gut beantworten zu können. Ich habe grundsätzlich ein sehr großes Interesse an der Meinung und den Sichtweisen meiner Klient_innen, daher habe ich mich für die der empirischen Forschungsarbeit mit Interviews entschieden.
Zu Beginn der Ausarbeitung möchte ich noch einigen Menschen danken, die mir bei der Erstellung der Arbeit sehr geholfen haben. Vielen Dank an Lina, Anne und Sara.
2. Beschreibung des Untersuchungsgegenstands
Im Blickpunkt dieser Arbeit stehen männliche, volljährige und wohnungslose Heroinkonsumenten, die dauerhaft oder vorübergehend auf der Straße oder in Notübernachtungen leben und bereits über einen langen Zeitraum Heroin konsumiert haben. Laut der Jahresstatistik 2012 der professionellen Suchtkrankenhilfe sind Männer drei Mal häufiger von einer Heroinabhängigkeit betroffen als Frauen (vgl. Steppan, Künzel, Pfeiffer-Gerschel, 2012, S.211). Auch während der Zeit in der Krisenwohnung wurde festgestellt, das dauerhaft deutlich mehr Männer als Frauen in der Einrichtung nächtigen, zudem konsumieren die meisten Bewohner in der Krisenwohnung Heroin. Daher liegt der Schwerpunkt dieser Arbeit bei männlichen Heroinkonsumenten. Hierfür wurden stichprobenartig Interviews mit Klienten geführt, welche vorübergehend in der Krisenwohnung wohnen. Der Fokus wird besonders darauf gelegt, wie und ob sich die Unterbringung in der Krisenwohnung und die Wohnungslosigkeit auf den Konsum und den Behandlungsverlauf auswirken. Der zweite Schwerpunkt in den Interviews liegt bei möglichen genderspezifischen Behandlungsangeboten und aus Klientensicht den Unterschieden in der Substanzabhängigkeit und -konsum zwischen Männern und Frauen.
Um die geführten Interviews in einem größeren Kontext sehen zu können und Bezüge zu wissenschaftlichen Erkenntnissen herstellen zu können, wird zunächst versucht sich dem Thema der männlichen, wohnungslosen Heroinkonsumenten von wissenschaftlicher Seite aus zu nähern. Hierfür sind verschiedenste Begriffsdefinitionen notwendig. So werden die Begriffe der Substanzabhängigkeit, der Wohnungslosigkeit und der Notübernachtung aufgegriffen und definiert.Außerdem wird auf männerspezifische Besonderheiten in der Abhängigkeit und auf die Besonderheiten der Heroinabhängigkeit im Vergleich zu anderen Substanzen sowie auf Schwierigkeiten in der täglichen Arbeit mit den Klienten eingegangen. Für den wissenschaftlichen Teil wurde versucht eine möglichst große Bandbreite an aussagekräftiger Fachliteratur zu verwenden, auch wenn es direkt zur Thematik „Notübernachtungen und Abhängigkeit“ verhältnismäßig wenig Literatur gibt.
Auch wenn diese Arbeit sich hauptsächlich mit dem männlichen Geschlecht auseinander setzt werde ich, außer in den männerspezifischen Abschnitten, versuchen mich um eine geschlechtersensible Sprache zu bemühen. Im zweiten Teil, der Forschungsarbeit, werde ich, sofern nicht explizit von Frauen die Rede ist, die männliche Form benutzen, da die Interviews nur mit Personen des männlichen Geschlechts gearbeitet wurden.
3. Substanzabhängigkeit und Gesundheit
Dieses Kapitel befasst sich mit der Substanzabhängigkeit. Zu Beginn dieser Arbeit ist es unerlässlich den Begriff der Abhängigkeit zu definieren und diesen vor allem vom dem Begriff der Sucht abzugrenzen, welche sehr häufig synonym zueinander benutzt werden. Darauffolgend werde ich auf die Besonderheiten eingehen, welche Heroinkonsum und -abhängigkeit im Sozialen und auf die Gesundheit bezogen, mit sich bringt.
Daran anknüpfend werden genderspezifische Aspekte der Substanzabhängigkeit betrachten und Entwicklungen im Bereich der Männergesundheit aufzeigen. Dadurch soll ein möglichst konkretes Bild entstehen, was für Auswirkungen die Heroinabhängigkeit auf Menschen des männlichen Geschlechts hat und was für Änderungen im Hilfesystem nötig sind um eine mögliche Behandlung von Männern in der Drogenhilfe[1] zu verbessern.
3.1. Definition Substanzabhängigkeit
Die Beschreibung der Begrifflichkeit „Substanzabhängigkeit“ wird sich an der Definition der Weltgesundheitsorganisation (WHO) orientieren. Die WHO ist eine Organisation der Vereinten Nationen. Zurzeit gehören 194 Mitgliedsstaaten der WHO an. Als oberstes Ziel dieser Organisation wird in der Satzung folgendes genannt:
„Der Zweck der Weltgesundheitsorganisation (im Folgenden Organisation genannt) besteht darin, allen Völkern zur Erreichung des bestmöglichen Gesundheitszustandes zu verhelfen.“ (vgl. Satzung der WHO, Art. 1,2014)
Abhängigkeit bezeichnet zunächst in erster Linie eine „Bindung an Menschen, Ideen
oder Stoffe“ (Stimmer, 1999, S.1), welche „die freie Entwicklung und die Autonomie
dereigenen Entscheidungen einschränkt“ (Stimmer, 1999, S.1).
Substanzabhängigkeit bezieht diese Bindung und Einschränkung auf bestimmte Stoffe bzw. Substanzen, in diesem Falle auf die des Heroins. Daher ist hier auch häufig von einer „stoffgebundenen Abhängigkeit“ die Rede, stoffungebundene Abhängigkeiten sind u.a. Computer-, Kauf- und Sexsucht.
Weshalb wird in dieser Arbeit von „Substanzabhängigkeit“ die Rede sein und nicht von „Sucht“? Sucht kommt von „siechen“ und bedeutet soviel wie krank sein (vgl. duden.de), der Begriff Abhängigkeit ist in meinen Augen neutraler und beschreibt die Problematik besser(vgl. Stimmer, 1999, S. 581).
Im Jahr 1968 hat die WHO beschlossen den Begriff der „Sucht“ (drug addiction) durch den Begriff der Abhängigkeit (drug dependence) zu ersetzen.
Somit ist die Begrifflichkeit „Sucht“ eigentlich veraltet und wird zumindest durch die WHO nicht mehr verwendet. Im Alltag und in der Umgangssprache findet die Begrifflichkeit „Sucht“ jedoch weiterhin sehr häufig Verwendung. Ich werde im Verlaufe meiner Arbeit aber ausschließlich den Begriff der (Substanz-)abhängigkeit benutzen (vgl. Medizininfo.de).
Andere Definitionen bezeichnen „Sucht“ als den Begriff, der weitere soziale, familiäre und persönliche Aspekte des Lebens der betroffenen Person mit einbezieht und beschreiben somit ein weitergehendes Bild als der Begriff Abhängigkeit (vgl. Stevens und Rist 2012, S. 21). Die Begrifflichkeit Abhängigkeit setzt den Fokus auf die Krankheit, um damit die vorliegende Hilfebedürftigkeit der betroffenen Personen zu unterstreichen (vgl. Treeck, 1999, S.10), folglich ist es wichtig die Unterscheidung vorzunehmen, wie es in neuerer Fachliteratur ebenfalls gemacht wird.
Für die Substanzabhängigkeit gibt es nach der WHO in der ICD-10[2] eine klar umgrenzte Definition, welche sechs Punkte umfasst. Das ICD-10 dient vor allem der internationalen Vergleichbarkeit und der Standardisierung der Definition von Krankheiten (vgl. Deutsches Institut für Medizinische Dokumentation und Information 2013). Der erste Punkt bei der Definition der Substanzabhängigkeit nach der ICD-10 ist ein starkes Verlangen oder eine Form von Zwang, psychotrope[3] Substanzen, z.B. Heroin, zu konsumieren welches beim Betroffenen vorliegt.
Eine verminderte Kontrollfähigkeit ist ein weiteres Kriterium. Verminderte Kontrollfähigkeit meint, dass der/die Konsument_in keine Kontrolle über den Beginn, die Beendigung und die Menge des Konsums hat. Auftretende körperliche Entzugserscheinungen, wie z.B. Schüttelfrost oder ein allgemeines körperliches Schwächegefühl, nach Beendigung oder nach Reduktion der konsumierten Substanz wird als dritter Punkt genannt, welcher auf eine Substanzabhängigkeit hinweisen könnte.
Das vierte Kriterium ist die Bildung einer Toleranz oder eine Toleranzentwicklung gegenüber der Substanz. Dies meint, dass der/die Konsument_in mit zunehmender Konsumdauer eine größere Menge der Substanz konsumieren muss um einen gleichbleibenden, gewünschten Effektzu erzielen.
Als fünftes Kriterium für eine mögliche Substanzabhängigkeit wird nach der WHO eine fortschreitende Vernachlässigung des sozialen Lebens der betreffenden Person beschrieben. So werden andere Vergnügen und Interessen, sowie das soziale Leben zugunsten des Substanzkonsums eingeschränkt. Dazu gehört außerdem ein erhöhter Zeitaufwand für Beschaffung, Konsum und Erholung nach dem Konsum der betreffenden Substanz.
Das sechste und somit letzte Kriterium für eine mögliche Substanzabhängigkeit ist ein, trotz eindeutiger negativer und schädlicher Folgen, wie z.B. körperliche Schäden oder der Verlust der Wohnung, oder der Arbeitsstelle, andauernder Konsum (vgl. Friedrichs, 2002, S. 21).
Diese Kriterien müssen für die Feststellung einer Substanzabhängigkeit nicht alle vorliegen. Mindestens drei dieser sechs Kriterien müssen im Verlauf der letzten 12 Monate gleichzeitig bestanden haben, damit ein Abhängigkeitssyndrom nach dem ICD- 10 vorliegt (vgl. Backmund, 2002, S. 15).
Nur der Konsum einer Substanz reicht also nicht aus, um von einer Abhängigkeit zu sprechen, es müssen die genannten Kriterien erfüllt werden. Vor dem Erreichen des Stadiums der Abhängigkeit liegt die Phase des so genannten Substanzmissbrauches (Schöttke und Senbill 2013), in welcher noch keine Abhängigkeitssymptome zu erkennen sind. Die Dauer dieser Phase variiert je nach Substanz, Art des Konsums und anderen Umständen (Schöttke und Senbill 2013).
Die Diagnosen bezüglich des Konsums von Substanzen im ICD-10 reichen von der Feststellung des schädlichen Gebrauchs bis hin zur Erkennung einer Abhängigkeitserkrankung.
Unter den Codes F10 bis F19 sind im ICD-10 die psychischen und Verhaltensstörungen durch psychotrope Substanzen klassifiziert. Unter der Kennziffer F11 ist das Abhängigkeitssyndrom von Heroin einzuordnen (vgl. Deutsches Institut für Medizinische Dokumentation und Information 2013).
Die Diagnosen beziehen sich, auch bei dem Konsum von mehreren Substanzen, auf die primär konsumierte Substanz (vgl. Steppan, Künzel, Pfeiffer-Gerschel 2012, S. 11). Die Klassifizierung F19 kennzeichnet Polytoxikomanie; den wahllosen Konsum mehrerer Substanzen, wobei hier keine einzelne Hauptsubstanz erkennbar sein darf (vgl. Scherbaum und Thoms, 2012, S. 203).
Neben der Diagnose durch den ICD-10 können auch mit Hilfe von klinischen und standardisierten Interviews und Fragebögen, sowie familiendiagnostischen Verfahren Abhängigkeiten erkannt und klassifiziert werden (vgl. Batra und Bilke-Hentsch 2012, S. 1). Weiterhin ist es wichtig darauf hinzuweisen, dass allgemein eine Differenzierung in körperliche und psychische Abhängigkeit vorgenommen wird (vgl. Schöttke und Senbill, 2013). Psychische Abhängigkeit bedeutet in diesem Fall, dass die Konsument_innen sich nicht in der Lage fühlen, auf die Substanz zu verzichten. Bei einem Verzicht entsteht ein enormer Leidensdruck.
Bei einer physischen, also körperlichen Abhängigkeit entstehen bei Nichteinnahme der Substanz körperliche Entzugserscheinungen wie z.B. Erbrechen oder Schüttelfrost (vgl. Treeck, 1999, S. 9).
3.2. Besonderheiten der Heroinabhängigkeit
Bevor sich die Ausarbeitung mit den sozialen, anderweitigen Besonderheiten und Problematiken der Heroinabhängigkeit auseinander setzen wird, gilt es zu klären, in welcher Art und Weise Heroin im menschlichen Organismus wirkt.
Heroin gehört zur Drogenklasse der Opioide. Opioide sind all jene Stoffe, welche aus dem natürlichen Produkt des Schlafmohns bzw. aus dessen synthetisch gewonnen Verbindungen hergestellt werden. Dazu gehören neben Heroin Stoffe wie Morphin, Kodein oder Methadon (vgl. Darke, 2011, S.13) „Als Opiate werden bestimmte Alkaloide im Opium bezeichnet“ (Drogenabhängigkeit, DHS, 2013, S.21).
Heroin wirkt im Körper als Agonist am sogenannten μ-Rezeptor (Scherbaum, 2012, S. 143). Konsumiert wird Heroin in der Regel nasal, intravenös oder per Inhalation. Die verschiedenen Konsumformen entfalten unterschiedlich schnell ihre Wirkung, der Rausch erfolgt bei Injektion durch das direkte Einführen in die Blutbahn am schnellsten.
Heroin hat mehrere erwünschte, aber auch unerwünschte Wirkungen.
Gewünschte Wirkungen beim Konsum von Heroin sind neben Entspannung sowie Angstlösung auch eine gewisse wohlige Gleichgültigkeit und eine stimmungsaufhellende Wirkung (vgl. Scherbaum, 2012, S. 145).
Heroin ruft eine erhöhte Aktivität der dopaminergen Neuronen hervor. Durch die erhöhte Aktivität und die damit einhergehende Verzerrung der Aufmerksamkeit kann bei regelmäßigem Konsum eine psychische Abhängigkeit entstehen. Durch die Dämpfung der synthetischen Aktivitäten am Nucleaus coeruleus kann zusätzlich eine physische Abhängigkeit entstehen (vgl. Scherbaum 2012, S. 145).
Heroin erreicht in der Regel wesentlich schneller die μ-Rezeptoren im Gehirn als z.B. Methadon und bewirkt dadurch einen von den Klient_innen, erwünschten Rauscheffekt (PPP Baden, 2013).
Negative bzw. nicht erwünschte Nebenwirkungen können beim Konsum unter anderem Übelkeit, Brechreiz bis hin zum Erbrechen, Verstopfung, eine Verlangsamung des Herzschlages (bis auf unter 60 Schläge pro Minute) und Atemdepressionen sein. Auch ein Schwinden der Libido kann durch Heroinkonsum erfolgen (vgl. Scherbaum, 2012).
Die Wirkung von Heroin hält, je nach Person und Dosis, vier bis sechs Stunden an. Somit muss der Konsument mehrfach am Tag konsumieren (vgl. Stimmer, 2000, S. 574).
„Die Opiate, die Drogenklasse also, zu der Heroin gehört, bringen mit Abstand die schwerste Krankheitslast unter den abhängig machenden Drogen mit sich und sind, weltweit betrachtet, eines der größten Probleme im Gesundheitswesen.“ (vgl. Darke, 2011, S.11).
Darke verdeutlicht sehr gut, welche großen Probleme und Schwierigkeiten ein regelmäßiger Heroinkonsum mit sich bringt: Die schweren körperlichen und psychischen Folgen sowie die starken Auswirkungen auf das Sozialleben, welche durch den Heroinkonsum bzw. durch die Lebensumstände, entstehen können.
Heroinkonsumentjnnen weisen grundsätzlich, vor allem auf Grund der
Lebensumstände einen vergleichsweise schlechten Gesundheitszustand auf, auch die Sterblichkeitsrate ist verhältnismäßig hoch (vgl. Darke, 2011, S. 22).
Der Heroinkonsum ist in Deutschland in den letzten Jahren zurückgegangen (vgl. Jahrbuch Sucht, 2014, S.144).[4]
Ein Indikator, der auf diesen Rückgang hindeutet, ist die Zahl der erstauffälligen Heroinkonsumentjnnen. Diese Zahl lag im Jahr 2012 bei 2090 Personen und somit bei 9,90 % bei der Erstauffälligkeit von allen so genannten harten Drogen.[5] Die Zahl der mit Heroin erstauffällig gewordenen Personen sinkt bereits seit Jahren[6] (vgl. DHS, Jahrbuch Sucht, 2014, S.151).
Trotzdem ist Heroin weiterhin die Substanz, welche nach Amphetaminen und Kokain von den harten Drogen am häufigsten konsumiert wird. (vgl. DHS; Jahrbuch Sucht, 2014, S. 151)
Trotz der relativ geringen Zahl an Konsumentjnnen ist die Gruppe der Heroinkonsumierenden eine Gruppe, welche das Gesundheitssystem vor enorme Schwierigkeiten stellt und welche hohe Belastungen für das soziale System entstehen lässt (vgl. Darke, 2011, S. 21). Darauf deutet auch die Zahl der Rauschgifttoten hin.
Von insgesamt 944 Rauschgifttoten im Jahr 2012 (niedrigster Wert seit 2003), sind insgesamt 66 % der Fälle auf Vergiftungen durch Opiatkonsum zurückzuführen. Heroin weißt also eine der höchsten Sterblichkeitsraten auf (vgl. Darke, 2011, S. 19).
Heroin weist als Substanz ein sehr hohes Abhängigkeitspotenzial auf. Ungefähr eine von vier Personen, die Heroin probieren, wird davon abhängig. Damit weist Heroin nach Tabak den höchsten Wert aller untersuchter Drogengattungen auf (vgl. Darke, 2011, S. 19). Durch die hohe Mortalitätsrate ist jedoch davon auszugehen, dass der angegebene Wert von eins zu vier noch sehr niedrig geschätzt ist, da viele Konsument_innen nie erfasst werden (vgl. Darke, 2011, S. 19).
Sehr viele Studien, die auf das hohe Abhängigkeitspotential hinweisen, berichten über die sehr niedrigen Heilungswahrscheinlichkeiten einer Heroinabhängigkeit (vgl. Scherbaum, 2012, S. 146). Ein weiterer Hinweis auf die Schwere der Abhängigkeitserkrankung findet sich in der Tatsache dass etwa die Hälfte der Opiatabhängigen in Deutschland eine Substitutionsbehandlung absolvieren (vgl. Scherbaum, 2012, S.147), also dauerhaft nicht ohne Heroin oder ein Substitut leben können.
Bei Heroinkonsument_innen werden im Vergleich zu Konsument_innen anderer Suchtmittel häufiger neben dem Heroinkonsum weitere Substanzen festgestellt, die in „schädlicher oder abhängiger Weise konsumiert werden“ (vgl. Steppan, Künzel, Pfeiffer-Gerschel, 2012, S. 212). Zum Beispiel weisen 33 % (stationär) bzw. 23 % (ambulant) aller Patient_innen, die als Hauptdiagnose eine Heroinabhängigkeit diagnostiziert haben, zusätzlich einen schädlichen oder abhängigen Konsum von Kokain auf (vgl. Steppan, Künzel, Pfeiffer-Gerschel, 2012, S. 214).[7] Diese erhebliche Mehrfachbelastung durch den Konsum verschiedener Substanzen gilt es im Behandlungsverlaufzu beachten.
Die Gruppe der Heroinkonsument_innen weist ein vergleichsweise hohes Durchschnittsalter auf, 85 % der männlichen Konsumenten sind zwischen 30 und 54 Jahre alt, das Durchschnittsalter liegt bei 36,4 Jahren, dies ist nach Alkohol (43,0) der höchste Wert (vgl. Steppan, Künzel, Pfeiffer-Gerschel, 2012, S. 216 f.).
Weitere gruppenspezifische Besonderheiten bei Heroinkonsument_innen sind, dass sie neben Cannabis, was vor allem auf das sehr junge Durchschnittsalter der Cannabiskonsumenten zurückzuführen ist, den höchsten Wert bei Alleinstehenden aufweisen (vgl. Steppan, Künzel, Pfeiffer-Gerschel, 2012, S. 219). Auch die Zahl der erwerbstätigen Heroinabhängigen ist sehr gering, 57 % aller Abhängigen sind erwerbslos (vgl. Steppan, Künzel, Pfeiffer-Gerschel, 2012, S. 221 f.) - zudem ist die
Behandlungsdauer bei dieser Gruppe, im Schnitt 381,4 Tage am Längsten. Die lange Behandlungsdauer ist hier jedoch zum Teil auf die Substitutionsbehandlung zurückzuführen, welche mehrere Jahre in Anspruch nehmen kann (vgl. Steppan, Künzel, Pfeiffer-Gerschel, 2012, S. 223).
Menschen die von einer Abhängigkeitserkrankung betroffen sind, leiden verhältnismäßig häufig neben der Abhängigkeitsproblematik an psychischen Erkrankungen wie z.B. Depressionen. Das gleichzeitige Vorhandensein von verschiedenen Krankheitsbildern nennt sich Komorbidität (vgl. Treeck, 1999, S. 188). Hiervon sind Heroinkonsument_innen relativ häufig betroffen, so hatten mehr als 50 % der Heroinabhängigen bereits vor dem ersten Heroinkonsum Suizidgedanken (vgl. Backmund, 2002, S. 17).
Ein weiterer Punkt, den es beim Heroinkonsum zu beachten gilt, sind die aktuellen Rauschgiftpreise in Berlin. Heroin kostete im Jahr2013 im Straßenverkaufzwischen 20 € und 70 € je Konsumeinheit. Eine Konsumeinheit sind in Berlin Kugeln von ca. 0,2 g bis ca. 0,4 g. Die Konzentration des Wirkstoffes Diamorphin im Heroin liegt im Durchschnitt bei 15,53 % und somit etwas höher als 2012 (10,85 %) und 2011 (11,99 %). Der maximale Wirkstoffgehalt im Heroin lag bei 41,27 %, der minimale Gehalt bei 4,05 % (vgl. Lagebild Rauschgiftkriminalität, 2013, S. 19 f.). Somit unterliegt die Wirkstoffkonzentration im Heroin im Straßenverkauf zum Teil sehr großen Schwankungen. Dadurch wird es für Konsument_innen ungleich schwerer die richtige Dosis einzuschätzen. Eine hohe Wirkstoffkonzentration kann schnell zu einer Überdosierung führen. Die Gefahr einer Überdosierung ist bei Heroinkonsument_innen grundsätzlich relativ hoch (vgl. Darke, 2011, S.22). Eine niedrige Wirkstoffkonzentration erzielt unter Umständen keine langanhaltende Wirkung oder eine zu schwache Wirkung und macht somit einen schnellen erneuten Konsum notwendig. So habe ich festgestellt, dass es Konsumenten gibt, die teilweise über 10 Konsumeinheiten Heroin zu je 20 € am Tag konsumieren müssen um die gewünschte Wirkung zu erzielen (vgl. Feldnotizen vom 22.04.2013).
Dieser Effekt ist von den Verkäufern durchaus gewünscht. So können diese deutlich mehr an ihre Kunden verkaufen. Durch den geringen Wirkstoffgehalt entsteht für Konsumierende eine weitere Problematik. Das verkaufte Heroin wird mit den verschiedensten Mitteln gestreckt. Durch die verschiedenen Streckmittel können, gerade beim intravenösen Konsum, schwere gesundheitliche Folgen entstehen. Häufig verwendete Streckmittel sind unter anderem Koffein und Paracetamol, welche durch ihre Wirkungsweise minderwertiges Heroin gut ergänzen wodurch dem/der Konsumierenden die verminderte Qualität evtl. weniger stark auffällt, dass das Heroin gestreckt ist. Milchpulver, Mannit, Mehl, Talkum und Ascorbinsäure werden ebenfalls sehr häufig dem Heroin beigefügt. Diese dienen vor allem der Steigerung des Gewichts und der Größe des Heroins. Benzodiazepine z.B. Diazepam oder Flurazepam, welche im Verkauf deutlich günstiger als Heroin sind, werden schwachem Heroin untergemischt um eine Wirkungssteigerung zu erzielen (vgl. Drugscouts.de). In den vergangen Jahren gab es, auch in Berlin, einige Fälle von Heroinkonsumentjnnen, welche an Milzbrand (Anthrax) erkrankt sind, da das Heroin mit Milzbranderregern verseucht war und sich die Konsumierenden dadurch infiziert haben (vgl. Robert-KochInstitut, Lage der Rauschgiftkriminalität). So hatte ich selbst während meines Praktikums im Drogennotdienst Kontakt zu zwei Klienten die sich mit Verdacht auf eine Milzbrandinfektion ins Krankenhaus zur Untersuchung begeben haben.
Besonders durch den intravenösen Konsum entstehen weitere Risikofaktoren, zum Beispiel können Verunreinigungen im Heroin, durch diese Konsumform direkt in die Blutbahn gelangen. Durch das Teilen von Spritzbesteck, welches mit Viren (z.B. Hepatitis C, HIV) kontaminiert sein kann, wird der Organismus zusätzlich belastet, Injektionen zerstören zudem die Blutgefäße. Durch falsches Spritzen, Abrutschen etc. können zudem Abszesse am Injektionsort entstehen.
Die anderen Konsumformen von Heroin, das Rauchen und der nasale Konsum sind etwas risikoärmer. Doch besonders durch das Rauchen erfolgt eine starke Schädigung der Atemwege (vgl. Darke, 2011, S.22).
Der Erwerb sowie Besitz von Heroin ist nach dem deutschen BtMG illegal und kann strafrechtlich verfolgt werden (vgl. Scherbaum, 2012, S. 146).
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Heroinkonsum bzw. -abhängigkeit eine Vielzahl an Besonderheiten und Schwierigkeiten mit sich bringt. Heroinkonsumentjnnen finden sich verhältnismäßig häufig in Multiproblemlagen wieder. So leiden Konsumentjnnen besonders häufig unter sozialen Schwierigkeiten wie Wohnungs- und Arbeitslosigkeit, verlassen die Schule häufiger ohne Schulabschluss als Konsumentjnnen anderer Mittel, leiden häufiger an psychischen Erkrankungen, haben einen schlechteren Gesundheitszustand sowie eine sehr schlechte Gesundheitsprognose.
3.3. Genderspezifische Aspekte derSubstanzabhängigkeit bei Männern
Im Folgenden wird auf geschlechtsspezifische Besonderheiten der Substanzabhängigkeit bei männlichen Drogenkonsumenten eingegangen, welche die Entstehung einer Abhängigkeit eventuell erklären können. Im Anschluss werden geschlechtsunabhängige Faktoren aufgezeigt, welche bei beiden Geschlechtern das Entstehen einer Abhängigkeit begünstigen können.
Die Substanz, das Heroin, ist grundsätzlich geschlechtsneutral und hat somit zunächst keinen stärkeren oder schwächeren Effekt auf ein bestimmtes Geschlecht. Die Anforderungen jedoch, welche an die einzelnen Konsument_innen gestellt werden sind verschieden. Dadurch kann dieselbe Substanz durch geschlechtsspezifisch geprägte Bedingungen verschiedene Auswirkungen auf Männer und Frauen haben. Ich werde geschlechtsspezifische Aspekte in meine Betrachtung von Abhängigkeit einbeziehen, denn es gibt geschlechtsspezifische Aspekte bei der Entstehung von Abhängigkeit.
In der Anzahl von weiblichen und männlichen Drogenkonsument_innen existieren zum Teil große Unterschiede.
„Betrachtet man die Verbreitung und Verteilung von psychoaktiven Substanzen abhängigen oder gefährdeten Menschen in Deutschland, fällt deutlich die vermehrte Betroffenheit bei Männern auf.“ (Jacob/Stöver, 2009, S.11).
Im Jahr 2012 waren insgesamt 16.212 Männer erstauffällig mit dem Konsum harter Drogen[8], während hingegen nur 3.347 Frauen erstauffällig waren. Dies ist ein Verhältnis von etwa 1 zu 4,8. Auf eine konsumierende Frau etwa fünf Männer, was den eklatanten Unterschied in der Konsumart von Männern und Frauen deutlich macht (vgl. Stempel, 2012, S.151 ff.). Bezogen auf Opioide bzw. auf Heroin bedeutet dies in Zahlen ausgedrückt ein Verhältnis von 1 (Frauen) zu 3,2 (Männer). Auf eine konsumierende Frau kommen folglich 3,2 konsumierende Männer (vgl. Steppan, Künzel, Pfeiffer-Gerschel, 2013, S. 44). Auch bei den Rauschgifttoten sind deutliche Unterschiede erkennbar. Von den 923 Rauschgifttoten im Jahr 2012 waren 746 männlichen Geschlechts, was einem Anteil von 81 % entspricht (vgl. Stempel, 2012, S. 153). Abhängigkeitserkrankungen weisen bei Männern und Frauen erhebliche Unterschiede bei den Gründen für den Konsum, beim Suchtverlauf und in der Ausprägung auf (vgl. Michels, 2009, S.9).
Worin liegen die Gründe für die geschlechtsspezifischen Unterschiede?
Grundsätzlich lässt sich sagen, dass Männer deutlich öfter zu einem gesundheitsschädigenden und selbstverletzenden Verhalten neigen als Frauen (vgl. Klingemann, 2009, S.36).
Dazu zählen starke Formen des selbstschädigenden Verhaltens wie Suizid, aber auch schwächere Formen wie die häufiger auftretende Vernachlässigung der eigenen Gesundheit und des eigenen Körpers, (vgl. Klingemann, 2009, S. 37) Männer neigen im Zuge dessen auch eher dazu, bei körperlichen Beschwerden gar nicht bzw. erst sehr spät zum Arzt zu gehen, oder notwendige Medikamente nicht zu nehmen (vgl. Klingemann, 2009, S.37).
Außerdem zeigen Männer häufiger als Frauen „risikoreichen Verhaltensweisen und Devianz auch ganz allgemein“ (Klingelmann, 2009, S. 37). Dies können zum Beispiel Extremsportarten, aber auch Boxen oder ungeschützter sexueller Verkehr sowie risikoreiches Verhalten im Alltag sein (vgl. Klingemann, 2009, S. 36).
Eine wichtige Rolle bei der Suche nach dem Grund, weshalb Männer eher und mehr Drogen konsumieren als Frauen spielen die Konstruktionen der beiden Geschlechter und die Rollenbilder in unserer westlich geprägten Gesellschaft (vgl. Klingemann, 2009, S.37). Dem männlichen Geschlecht werden in unserer Gesellschaft eher Attribute wie Stärke, Stressresistenz und Selbstbewusstsein zugeschrieben. Der Drogenkonsum kann ein Mittel sein um genau diese Zuschreibungen zu demonstrieren und Probleme zu lösen (vgl. Jacob/Stöver,2009, S.9). Sie müssen erfolgreich und Leistungsbereit sein um sich mit dem Konkurrenzkampfauseinandersetzen.
Die genannten Rollenzwänge prädestinieren zum Substanzkonsum (vgl. Stöver, 2009, S.33) Jedoch lässt sich auch sagen, „dass [sich] die Geschlechtsunterschiede bei der Prävalenz des Drogenkonsums“ verringern (Stöver, 2009, S. 25).
Dies könnte daran liegen, dass auch Frauen zunehmend mit diesem Rollenbild bedacht werden und sich in der heutigen Leistungsgesellschaft beweisen müssen.
Das zuvor beschriebene Krankheitsverhalten bei Männern und das Zeigen von Stärke und Durchhaltevermögen durch Drogenkonsum wird dem männlichen Rollenbild und Status eher gerecht (vgl. Altgeld, 2006, S. 81).
Diese Bilder vom Mann in der Gesellschaft stärken den Konsum, es gilt alles zu vermeiden was „mädchenhaft“, weich oder weiblich ist (vgl. Altgeld, 2006, S.82). Ängste und Unwohlsein werden in der männlichen Sozialisation also von Beginn an abgewertet und nicht zugelassen. Männer bevorzugen Drogen, die sichtbarer und unangepasster (Alkohol, illegale Drogen) sind, Frauen neigen eher zu unsichtbareren Konsum (z.B. Medikamente) (vgl. Stöver, 2009 S.25), auch dies stärkt das Rollenbild des starken, lauten Mannes weiter. Rausch bzw. der Drogenkonsum haben eine wichtige Funktion als Initiationsritus, vor allem im Kontext von Kollektiverfahrungen, sowie bei Regelverletzungen und der Konsum kann als Tabubruch genutzt werden. Auch der Abbau von Blockaden und die Überwindung von Hemmschwellen können Gründe für den Konsum sein (Stöver, 2009, S. 28).
„[...] die in unserer Gesellschaft herrschenden Prinzipien männlicher Sozialisation wie Externalisierung, Gewalt, Stummheit, Alleinsein, Einzelkämpfertum, Körperferne, Rationalität, und Kontrolle sollen hinführen zu Aktivität und Außenorientierung, emotionaler Kontrolle, Selbstbewusstsein und Dominanzverhalten, Leistungs- und Erfolgsorientierung, Botschaften, die diese Prinzipien begleiten sind beispielsweise »Ein Junge weint doch nicht lt;lt;, »Ein Indianer kennt keinen Schmerz«, »Damit muss man(n) alleine klar kommen« [...) (Heinzen-Voß, 2010, S.27)
Geschlechterunabhängig gibt es einige Faktoren, welche bei beiden Geschlechtern die Entstehung einer Abhängigkeit begünstigen. Dazu zählen unter anderem Abhängigkeitserkrankungen innerhalb der Herkunftsfamilien, ein niedriges
Bildungsniveau, sowohl persönlich als auch innerhalb der Familie, ein geringes Einkommensniveau, sowie negative Kindheitsereignisse, vor allem seelische, körperliche und sexualisierte Gewalterfahrungen, sowie ein mangelndes Selbstwertgefühl.
Der Substanzkonsum spielt für die Selbstmedikation bei psychischen Erkrankungen
und dem Verdrängen von traumatischen Erlebnissen, negativen Gedanken und
Ängsten eine große Rolle (vgl. Heinzen-Voß, 2010).
„Immer noch wird heute die Frage gestellt, ob die Unterschiede zwischen Suchterkrankungen bei Männern und Frauen wirklich so gewaltig sind, dass es einer gesonderten Betrachtung bedarf, gesonderte Beratungsangebote nötig sind und es gar gesonderte Therapieangebote geben muss. Die Antwort darauf ist ein klares Ja“ (Michaels, 2009, S.8).
Die in der Drogenhilfe lange praktizierte Orientierung an dem genannten traditionellen Rollenbild bei Männern und die somit festgeschriebenen Geschlechterrollenbilder verhindern bei Männern die Möglichkeit ihre verinnerlichten und eventuell abhängkeitsauslösenden bzw. konsumaufrechterhaltenden Bilder von Männlichkeit zu hinterfragen und sich mit den Zusammenhängen ihres Rollenbilds und ihrer Abhängigkeit auseinanderzu setzen (vgl. Heinzen-Voß, 2010, S.4).
3.4. Entwicklungen im Bereich der Männergesundheit
Die Lebenserwartung der Menschen in Deutschland steigt seit Jahren kontinuierlich an. Jedoch ist zu beobachten, dass Männer weiterhin eine deutlich geringere Lebenserwartung haben als Frauen. Frauen haben eine Lebenserwartung von 82,7 Jahren, Männer hingegen haben nur eine Lebenserwartung von 77,7 Jahren. Trotz dieser Zahlen ist das Thema der Männergesundheit in vielen Bereichen kaum oder wenig beachtet worden. Ich werde mich aufgrund meiner Bachelorthesis im Bereich der Männergesundheit hauptsächlich auf die männerspezifische Drogenhilfe konzentrieren (vgl. Statistisches Bundesamt, 2012).
Die Drogenhilfe hat sich in Deutschland lange Zeit vor allem auf die Entwicklung von frauenspezifischen Angeboten konzentriert und sich in diese Richtung gehend ausdifferenziert. Angebote nur für Männer sind in gleichem Zeitraum jedoch deutlich seltener entwickelt worden. Auch andere zielgruppenspezifische Einrichtungen für z.B. Kinder und Jugendliche oder Menschen mit Migrationshintergrund sind in den letzten Jahren entstanden (vgl. (Jacob und Stöver 2009, S. 10). Solche zielgruppenspezifischen Angebote haben sich seit Langem als eine besonders wirksame Form derSuchthilfe erwiesen (vgl. (Jacob und Stöver2009, S. 10).
Für Männer ist eine Entwicklung in diese Richtung jedoch nur sehr zögerlich zu erkennen (vgl. Jacob und Stöver2009, S. 10).
Auf theoretischer bzw. wissenschaftlicher Seite fehlt es an Maßnahmen in die Richtung einer spezialisierten Drogenhilfe für Männer. Es mangelt hier eindeutig noch an Forschungsergebnissen und Auseinandersetzungen mit dem Thema in der Literatur. Aber auch von Seiten der betroffenen Männer besteht vielfach kein Interesse an einer genderspezifischen Form der Behandlung (vgl. Jacob und Stöver 2009, 11), was unter Anderem an den zuvor beschriebenen Rollenbildern und dem damit im Zusammenhang stehenden Gesundheitsbild vieler Männer liegen könnte.
Ob das Interesse an einer männerspezifischen Drogenhilfe von Seiten der Betroffenen wirklich nicht besteht, werde ich durch die Interviews im späteren Verlauf klären.
Bisher wurde Männlichkeit eher mit Härte und Stärke gleichgesetzt, jetzt werden auch Schwächen der Männer entdeckt (vgl. Altgeld, 2006, S.81).
Positiv zu bewerten ist jedoch, dass in den letzten Jahren das Thema der Männergesundheit zunehmend in den Vordergrund gerückt und auch medial zunehmend verbreitet worden ist. So gab es im Jahr 2013 den ersten Kongress für Männergesundheit sowie die erste Broschüre zu der Thematik (vgl. Bundesministerium für Gesundheit).
Ein weiterer Schritt war der erste „Deutsche Männergesundheitsbericht“ (vgl. Männergesundheitsbericht, 2010 aber auch Altgeld, 2006, S.81).
Folglich setzt sich der Gedanke des Gendermainstreamings auch zunehmend in der Suchthilfe durch.
„Gender Mainstreaming bedeutet, bei allen gesellschaftlichen Vorhaben die unterschiedlichen Lebenssituationen und Interessen von Frauen und Männern von vornherein und regelmäßig zu berücksichtigen, da es keine geschlechtsneutrale Wirklichkeit gibt.“ (vgl. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Strategie GenderMainstreaming).
Im Gesundheitsförderungs- und Präventionsbericht der Bundesregierung sollte vor allem Wert auf eine geschlechtergerechte und eine geschlechtersensible Ausrichtung von gesundheitsfördernder Maßnahmen, Vorgehensweisen und Angeboten gelegt werden um eine Chancengleichheit für alle Beteiligten zu schaffen (vgl. Pott, 2011, S.3).
Eine Problematik ist, dass bisher kaum „brauchbare Konzepte eines männerspezifischen Ansatzes in der Prävention, Beratung, Betreuung und Behandlung von Männern mit problematischen Drogenkonsum“ existieren (Stöver, 2009, S.22). Diese Ansätze befinden sich erst in der Entwicklung bzw. müssen grundsätzlich männerspezifisch noch entworfen werden.
[...]
[1] In dieser Arbeit wird von „Drogenhilfe“ die Rede sein und nicht von Suchthilfe o.ä. - dies ist ein Sammelbegriff für die Angebote, die Konsumentjnnen von illegalen Drogen zur Verfügung stehen (vgl. Stimmer, 1999, S. 142).
[2] Die ICD-10 (International Classifikation of Deseases 10), ist ein internationales Diagnosenklassifikationssystem für psychische Störungen der WHO (vgl. Stimmer, 1999, S.337).
[3] Psychotrope Substanzen sind Stoffe, die die Psyche des Menschen beeinflussen und auf das zentrale Nervensystem wirken (vgl. Stimmer, 1999, S.485).
[4] Zur Veranschaulichung: 2011: 498 kg, 2010 474 kg, 2009 758kg, 2008 503kg
[5] Unterscheidung zwischen Harten und weichen Drogen wird vor allem auf Grund des Abhängigkeitspotenzials und des körperlichen und geistigen Schadenspotenzial gemacht (vgl. Stimmer, 1999, S. 147)
[6] Zur Veranschaulichung: 2011: 2742 Personen, 2010: 3201 P., 2009: 3592 P., 2008 3900 P.
[7] Für weitere Beispiele siehe Tabelle vgl. Steppan, Künzel, Pfeiffer-Gerschel, 2012, S. 214
[8] Als harte Drogen werden in diesem Fall Heroin, Kokain, Amphetamin, Ecstasy, LSD und „Sonstige“ gezählt, Cannabis und Alkohol fallen nicht darunter (vgl. Stempel, 2012, S.151).
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