„Alles, was dem Volke nützt, ist Recht, alles, was ihm schadet, ist Unrecht“. Dieses Zitat Hans Franks, Hitlers Kronjurist und Generalgouverneur, bekannt als „Schlächter von Polen“, konzentriert Prinzipien, Anspruch und Praxis nationalsozialistischer Bevölkerungspolitik in einem Satz. Recht und Unrecht basieren hier nicht mehr auf Grundlage staatsrechtlicher Normen, ethischer Imperative oder theologischer Gebote, sondern Recht und Unrecht werden abgeleitet von den biologischen Scheingesetzen des Organismus' „Volke“. Das Volk als Maxime von Recht und Unrecht wird damit zum Objekt seiner Selbst. Hierarchisierung und Selektion, Integration und Ausschluss, Förderung und Reduzierung sind die Logiken eines solchen Denkens einer permanenten Evolution des Volkes.
Doch was ist dieses Volk? Eine konsequente theoretische nationalsozialistische Definition sucht man in den Quellen vergebens. In Anbetracht der weiträumigen Unterwerfung Europas durch Deutschland 1939 bis 1945 stellt sich nun die Frage, wie ein auf diesen Prämissen beruhendes Herrschaftssystem seinen Anspruch genüge leisten konnte, wie es die, als essentiell anzusehende Bevölkerungspolitik betrieb, ohne überhaupt zu wissen, was dieses Volk sei?
Die vorliegende Arbeit hat sich die Untersuchung eines ethnisch heterogenen Mikrokosmos in Bezug auf diese Fragen zur Aufgabe gemacht.
Schon vor Kriegsausbruch wurde in dem von Polen, Tschechen, Deutschen, Slonzaken, Wasserpolen und Oberschlesiern bewohnten Oberschlesien ein Diskurs darüber geführt, was denn deutsch sei. Hitler, der die Zukunft Deutschlands in jenem Osten sah, hatte schon immer für eine Germanisierung plädiert, „die nur am Boden vorgenommen werden [kann], […] niemals an Menschen.“ Damit wird deutlich: Die Fragen der Bevölkerungspolitik mussten mit der Annexion Ostoberschlesiens 1939 komplexer werden und die gefundenen Antworten umso radikaler.
Methodisch knüpft diese Arbeit an den materialistischen Ideologiebegriff Althussers an und bettet die nationalsozialistische Bevölkerungspolitik in Ostoberschlesien in das Narrativ der Biopolitik Foucaults. Insgesamt versteht sich diese Arbeit als ein Beitrag zur Debatte über regionale Spezifika nationalsozialistischer Besatzungspolitik und verfolgt den Anspruch den Mythos einer "milden Volkstumspolitik" (Broszat, Kaczmarek) in Ostoberschlesien zu entzaubern.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Fragestellung
- Aufbau der Arbeit
- Forschungsstand
- Theoretischer Rahmen und methodisches Vorgehen
- Der Ideologiebegriff nach Althusser
- Rassismus und Bio-Politik
- Genesis der Herrschaft
- Die „Neuordnung der ethnographischen Verhältnisse“
- Etablierung des biopolitischen Regimes
- Der „Gaukönig“
- Der SS-Komplex
- Felder der Bevölkerungspolitik im Regierungsbezirk Kattowitz
- Räumliche Exklusion und Integration
- Die Grenzziehung
- Der,,ethnische Wall“: die Polizeigrenze
- Exklusion und Integration durch Deportationen
- Die Erfassung der Bevölkerung: Was ist „deutsch“?
- Die Frage der Staatsangehörigkeit
- Die Einwohnererfassung von 1939/40
- Die Frage nach dem Selektionsverfahren
- Brachts Initiative: Die „Polenliste“
- Die,,Deutsche Volksliste“ und die Macht der „Gaukönige“
- Resümee
- Quellen- und Literaturverzeichnis
- Anhang
- Abkürzungsverzeichnis
- Karte Oberschlesiens 1943
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die Arbeit untersucht die nationalsozialistische Bevölkerungspolitik im Regierungsbezirk Kattowitz, einem ethnisch heterogenen Mikrokosmos in Ostoberschlesien. Ziel ist es, die Prozesse der Segregation der Bevölkerung im Zeitraum 1939 bis 1945 zu analysieren und zu erforschen, welche Bevölkerungsgruppen als zugehörig und auszuschließend definiert wurden. Die Arbeit beleuchtet die zeitgenössische Kontroverse um die Frage nach den zu integrierenden Bevölkerungsteilen und stellt die idealtypische Unterscheidung nationalsozialistischer Akteure in Pragmatiker und Ideologen sowie in rationale und irrationale Maßnahmen in Frage.
- Die Definition von „deutsch“ und die Konstruktion von „Volkskörper“ im nationalsozialistischen Kontext
- Die Rolle von Rassismus und Bio-Politik in der nationalsozialistischen Bevölkerungspolitik
- Die Prozesse der räumlichen Exklusion und Integration in Ostoberschlesien
- Die Erfassung und Selektion der Bevölkerung durch die nationalsozialistische Verwaltung
- Die Machtstrukturen und Konflikte innerhalb der nationalsozialistischen Herrschaft in Ostoberschlesien
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung stellt die Fragestellung der Arbeit vor und erläutert den Aufbau sowie den Forschungsstand. Sie beleuchtet die Ambivalenz des Verhältnisses zwischen Bevölkerung und Staat in Oberschlesien nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten und die Kontroverse um die Definition von „deutsch“ in der Region.
Das zweite Kapitel behandelt den theoretischen Rahmen und das methodische Vorgehen der Arbeit. Es analysiert den Ideologiebegriff nach Althusser und die Konzepte von Rassismus und Bio-Politik, die für das Verständnis der nationalsozialistischen Bevölkerungspolitik relevant sind.
Das dritte Kapitel befasst sich mit der Genesis der nationalsozialistischen Herrschaft in Ostoberschlesien. Es untersucht die „Neuordnung der ethnographischen Verhältnisse“ und die Etablierung des biopolitischen Regimes, wobei die Rolle des „Gaukönigs“ und des SS-Komplexes im Fokus steht.
Das vierte Kapitel analysiert die Felder der nationalsozialistischen Bevölkerungspolitik im Regierungsbezirk Kattowitz. Es untersucht die Prozesse der räumlichen Exklusion und Integration, die Erfassung der Bevölkerung und die Frage nach dem Selektionsverfahren. Die Kapitel beleuchtet die „Deutsche Volksliste“ und die Macht der „Gaukönige“ sowie die Initiative von Bracht zur Erstellung einer „Polenliste“.
Schlüsselwörter
Die Schlüsselwörter und Schwerpunktthemen des Textes umfassen die nationalsozialistische Bevölkerungspolitik, Ostoberschlesien, „Volkskörper“, Rassismus, Bio-Politik, Segregation, Exklusion, Integration, „Deutsche Volksliste“, „Gaukönige“, SS-Komplex, Regierungsbezirk Kattowitz, ethnische Verhältnisse, Staatsangehörigkeit, Einwohnererfassung, Selektionsverfahren, Polenliste, Bracht, Hans Frank, Michel Foucault, Götz Aly.
- Citar trabajo
- Steffen Wasko (Autor), 2014, Volkskörper und Rasse. Nationalsozialistische Bevölkerungpolitik in Ostoberschlesien, Múnich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/287652