Ferdinand de Saussure gilt als Begründer der „modernen“ Sprachwissenschaft. Sein
Name ist jedem ein Begriff, der sich mit dieser Disziplin beschäftigt. Vor allem seine
berühmten Dichotomien, die Unterscheidung in langage, langue und parole, die Lehre
vom Zeichen als eine Verbindung eines signifiant mit einem signifié sowie die
postulierte Arbitrarität des sprachlichen Zeichens gelten als seine Hauptlehren.1
Wenn es jedoch um Sprachwandel bei Saussure geht, so ist häufig nur die Trennung
der Sprachwissenschaft in eine synchronische und eine diachronische in der Lehre
Saussures diskutiert worden. Seine genaueren Ausführungen zum Sprachwandel, wie
er sich vollzieht und in welche verschiedenen Typen er einzuteilen ist, bleiben weitgehend
unberücksichtigt. Bei genauerer Betrachtung stellt man aber fest, daß sich
über die Hälfte des Cours de linguistique générale (CLG), der 1916 von Charles Bally
und Albert Sechehaye publiziert wurde, der diachronischen Sprachwissenschaft
also dem Sprachwandel widmet.2
Ziel dieser Arbeit ist es, gerade diese Teile des CLG vorzustellen und Saussures
Sprachwandeltheorie zu erläutern. Hierzu wird es notwendig sein, zuerst die Trennung
in eine synchronische und eine diachronische Sprachwissenschaft in Saussures
Theorie zu erläutern. Anschließend werden die grundlegenden Prinzipien des
Sprachwandels und eine Unterteilung in verschiedene Typen des Sprachwandels
nach Saussure darlegt. Zum Schluß soll die Kritik an Saussures Sprachwandeltheorie
und an der Trennung in eine diachronische und eine synchronische Sprachwissenschaft
diskutiert werden.
Wenn man sich mit Ferdinand de Saussures Überlegungen zum Sprachwandel näher
beschäftigen will, bringt der CLG einige Probleme mit sich. Dieses Werk wurde
nämlich nicht von Saussure selber verfaßt, sondern ist eine Mischung aus Aufzeichnungen
dreier Vorlesungen Saussures aus den Jahren 1906-1907, 1908-1909 und
1910-1911 sowie einigen Ergänzungen der Herausgeber Charles Bally und Albert
Sechehaye. Zudem haben die Herausgeber kaum Aufzeichnungen von Saussure selber
gefunden und mußten sich größtenteils auf die Aufzeichnungen der Schüler
Saussures verlassen. So heißt es im Vorwort zum CLG: [...]
1 Cf. ARENS, H. 21969: Sprachwissenschaft. Der Gang ihrer Entwicklung von der Antike bis zur Gegenwart,
Freiburg/München, p.573s.
2 Cf. WUNDERLI, P. 1990: Principes de diachronie. Contributions à l’exégèse du »cours de linguistique
générale« de Ferdinand de Saussure, Frankfurt am Main, p. 1ss.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Die Dichotomie Synchronie/Diachronie
- Synchronische und diachronische Sprachwissenschaft
- Abhängigkeit und Unabhängigkeit von Synchronie und Diachronie
- Über die Schwierigkeit, einen Sprachzustand zu definieren
- Grundlegende Prinzipien des Sprachwandels
- Sprachwandel vollzieht sich unwillentlich.
- Der Mechanismus des Sprachwandels.
- Typen des Sprachwandels
- Vorbemerkungen
- Der Lautwandel
- Die Analogie
- Weitere Typen des Sprachwandels
- Die Reinterpretation
- Die Volksetymologie
- Sprachveränderung durch Stammwortbildung
- Kritik an Saussures Theorie
- Allgemeines
- Die Kritik W. v. Wartburgs.
- Schlußbemerkungen
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit befasst sich mit Ferdinand de Saussures Sprachwandeltheorie, die in seinem Werk "Cours de linguistique générale" (CLG) dargelegt wird. Das Ziel ist es, diese Theorie zu erläutern und die wichtigsten Punkte zu beleuchten, die in der wissenschaftlichen Diskussion häufig nicht genügend beachtet werden.
- Die Dichotomie Synchronie/Diachronie in Saussures Theorie
- Die grundlegenden Prinzipien des Sprachwandels nach Saussure
- Die verschiedenen Typen des Sprachwandels nach Saussure
- Die Kritik an Saussures Sprachwandeltheorie
- Die Bedeutung des CLG für die Sprachwissenschaft des 20. Jahrhunderts
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung befasst sich mit der Bedeutung von Ferdinand de Saussure für die moderne Sprachwissenschaft und stellt fest, dass seine Ausführungen zum Sprachwandel in seinem Werk "Cours de linguistique générale" (CLG) oft nicht ausreichend berücksichtigt werden.
Das erste Kapitel analysiert Saussures Dichotomie Synchronie/Diachronie. Es wird erläutert, wie Saussure die Sprachwissenschaft in eine statische (synchronische) und eine dynamische (diachronische) Wissenschaft aufteilt.
Das zweite Kapitel behandelt die grundlegenden Prinzipien des Sprachwandels nach Saussure. Hierbei wird insbesondere der unwillkürliche Charakter des Sprachwandels und der Mechanismus, der den Sprachwandel antreibt, beleuchtet.
Das dritte Kapitel widmet sich der Einordnung von Sprachwandel in verschiedene Typen. Saussure unterscheidet dabei zwischen Lautwandel, Analogie und weiteren Typen wie Reinterpretation, Volksetymologie und Sprachveränderung durch Stammwortbildung.
Schlüsselwörter
Ferdinand de Saussure, Sprachwandeltheorie, Synchronie/Diachronie, Linguistik, Lautwandel, Analogie, Reinterpretation, Volksetymologie, Stammwortbildung, Kritik, "Cours de linguistique générale" (CLG).
- Quote paper
- Thomas Jörgens (Author), 2000, Die Sprachwandeltheorie von Ferdinand de Saussure, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/28713