Einleitung
Dorothea Christiana Erxleben, geb. Leporin ist zweifelsfrei die erste deutsche Frau, der am 12. Juni 1754 die medizinische Doktorwürde in Halle verliehen wurde. Ein bahnbrechender Erfolg für die damalige Zeit und die (damaligen) Frauen. Doch dass die Veränderungen im Umgang mit Mädchen und Frauen nicht nur Dorothea Erxleben zuzuschreiben sind, soll der erste Teil dieser Arbeit belegen. Auch wenn sie für ihren persönlichen Erfolg letztendlich allein kämpfte, hatte sie - teilweise ihr unbekannte - internationale MitstreiterInnen auf unterschiedlichen Wissens- und Lehrgebieten. Welche das waren und welche Männer und Frauen sich für die (Aus-)Bildung der Frauen einsetzten, soll aus dem ersten Teil der Arbeit hervorgehen. Des weiteren werde ich mich ausführlich mit der Person Dorothea Christiana Erxleben befassen und die verschiedenen Lebensphasen ihres kurzen Lebens beleuchten und ihre Bedeutung für die weitere Geschichte der Mädchen- und Frauenbildung kennzeichnen. Mittelpunkt dieser Betrachtung soll ihr Werk Gründliche Untersuchung der Ursachen, die das weibliche Geschlecht vom Studieren abhalten bilden.
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Bedeutende VorgängerInnen Dorothea Christiana Erxlebens
2.1 Anna Maria von Schurmann
2.2 Amos Comenius
2.3 „Pegnitzschäfer“ und deren Mitglieder
3 Das Leben der Dorothea Christiana Erxleben, geb. Leporin
3.1 Ihre Kindheit
3.2 Ihre Jugend und frühen Erwachsenenjahre
3.3 Dr. med. Dorothea Christiana Erxleben, geb. Leporin
4 Die Schriften der Dorothea Christiana Erxleben, geb. Leporin
4.1 Gründliche Untersuchung der Ursachen, die das weibliche Geschlecht vom Studieren abhalten
4.1.1 Vorwort
4.1.2 Einleitung
4.1.3 Erste Abhandlung: Von den Vorurteilen, die das weibliche Geschlecht vom Studieren abhalten
Erstes Vorurteil: Gelehrsamkeit schickt sich nicht für Frauen,
weil sie nicht fähig sind, etwas Tüchtiges darin zu leisten
Seele und Verstand haben kein Geschlecht
Die Wege zur Gelehrsamkeit
Zweites Vorurteil: Gelehrsamkeit schickt sich nicht für Frauen,
weil sie keinen Nutzen davon zu erwarten haben
Drittes Vorurteil: Das Studium wird von den Frauen oft missbraucht
Viertes Vorurteil: Das Studium macht Frauen hochmütig
4.1.4 Zweite Abhandlung: Andere Ursachen, die das Studium von Frauen verhindern
Erstes Kapitel: Von dem Geiz
Zweites Kapitel: Von der Bequemlichkeit
Drittes Kapitel: Von dem Hochmut
Viertes Kapitel: Von dem Neid
4.2 Academische Abhandlung von der gar zu geschwinden und angenehmen, aber deswegen öfters unsichern Heilung der Krankheiten
5 Schlussbemerkungen
6 Literaturverzeichnis
1 Einleitung
Dorothea Christiana Erxleben, geb. Leporin ist zweifelsfrei die erste deutsche Frau, der am 12. Juni 1754 die medizinische Doktorwürde in Halle verliehen wurde. Ein bahnbrechender Erfolg für die damalige Zeit und die (damaligen) Frauen. Doch dass die Veränderungen im Umgang mit Mädchen und Frauen nicht nur Dorothea Erxleben zuzuschreiben sind, soll der erste Teil dieser Arbeit belegen. Auch wenn sie für ihren persönlichen Erfolg letztendlich allein kämpfte, hatte sie - teilweise ihr unbekannte - internationale MitstreiterInnen auf unterschiedlichen Wissens- und Lehrgebieten. Welche das waren und welche Männer und Frauen sich für die (Aus-)Bildung der Frauen einsetzten, soll aus dem ersten Teil der Arbeit hervorgehen.
Des weiteren werde ich mich ausführlich mit der Person Dorothea Christiana Erxleben befassen und die verschiedenen Lebensphasen ihres kurzen Lebens beleuchten und ihre Bedeutung für die weitere Geschichte der Mädchen- und Frauenbildung kennzeichnen. Mittelpunkt dieser Betrachtung soll ihr Werk Gründliche Untersuchung der Ursachen, die das weibliche Geschlecht vom Studieren abhalten bilden.
2 Bedeutende VorgängerInnen Dorothea Christiana Erxlebens
Es ist davon auszugehen, dass es schon immer Auflehnungen einzelner Frauen gegen die ihnen entgegengebrachten Diskriminierungen gegeben hat, sowohl in Form von Worten als auch durch Taten. Letztere ebneten nicht selten den Weg zum Scheiterhaufen. Schon dieser Tatsache ist es geschuldet, dass es bei weitem nicht so viele Überlieferungen gibt wie Versuche des Widerstandes.
Bereits Martin Luther regte in seiner 1524 erschienen Schrift An die Burgermeyster und Radherrn allerley stedte ynn Deutschen landen die Errichtung guter Schulen und die dortige Zulassung von Mädchen an. Darauf wurden Mädchenschulen errichtet, doch der folgende 30-jährige Krieg machte die Anfänge der Mädchen- und Frauenbildung zunichte.
Das Herzogtum Gotha versuchte 1642 die allgemeine Schulpflicht durchzusetzen, doch viele Probleme traten zutage. Zum einen wurden die Mädchen im elterlichen Haushalt oder zur Feldarbeit gebraucht, andererseits sollte die Bildung auch weiterhin in erster Linie adligen Sprösslingen vorbehalten bleiben. Diese sahen die Wissenschaft oftmals als Zeitvertreib an und gingen ihr nur halbherzig nach.
Doch es tat sich auch eine Gruppe Frauen hervor, die sich ungeachtet adliger Herkunft der Bildung zuwandten; oftmals unter der Leitung innovativ denkender Männer, sei es des Vaters, Bruders oder Ehemannes. Elisabeth, die Tochter des Kurfürst Friedrich V. beispielsweise lehnte die königliche Krone ab, um sich weiter ungestört ihren Studien widmen zu können. Als Verehrerin Descartes’ studierte sie seine Werke und trat in Kontakt mit ihm. In seiner Widmung zu Principa Philosophiae bescheinigte er ihr höchste Intelligenz und Scharfsinnigkeit im Verstehen seiner Werke.
Sophie, Elisabeths Schwester, Herzogin und spätere Kurfürstin von Braunschweig, pflegte Briefverkehr mit dem Philosophen Leibniz. Auch ihre Tochter, Sophie Charlotte, verschrieb sich seinen Gedanken und beeinflusste ihn letztlich sogar bei seinem Werk Theodice.
Da im 17./18. Jahrhundert überwiegend Glaubensfragen im Mittelpunkt der Betrachtungen standen, haben besonders die Dichtungen meist religiöse Inhalte. Maria Herzogin von Sachsen, Anna Sophia Landgräfin von Hessen-Darmstadt, Herzogin Sophie Eleonore von Braunschweig und einige andere waren Verfasserinnen religiöser Texte und Lieder.
Im medizinischen Bereich gilt es Anna Sophia, Frau von August I. von Sachsen anzuführen. Sie machte besonders durch pharmazeutische Kenntnisse von sich reden. Eleonore Marie Rosalie, Herzogin von Troppau und Jägerndorf befasste sich bereits Ende des 16. Jahrhunderts mit Heilkräutern und ihrer medizinischen Verwendung.
Maria Cunitia, bürgerliche Tochter eines Arztes sprach außer Deutsch auch Italienisch, Französisch, Polnisch, Lateinisch, Griechisch und Hebräisch. Sie veröffentlichte 1650 das astronomische Buch Urania Proposita.
Egal wie lang man diese Liste der gebildeten Frauen fortführen möchte, allesamt galten sie zu Lebzeiten in bürgerlichen Kreisen als eine Art Naturwunder und stießen bei Geschlechtsgenossinnen nicht selten auf Vorurteile und Ablehnung. Zum Teil wurde Frauen, auch von anderen Frauen, Bildung nicht zugestanden, aber auch nicht zugetraut. Von anderen Gelehrten ernteten sie aber nicht selten Bewunderung und Anerkennung und die Bestätigung, auf dem richtigen Weg zu sein.
2.1 Anna Maria von Schurmann
Am 5. November 1607 kam Anna Maria von Schurmann als Tochter eines adligen gelehrten Niederländers und einer angesehenen Deutschen in Köln zur Welt. Ihr Vater erkannte früh ihr Potential und nahm sich ihrer an. „... sie verstund vierzehn Sprachen, redete und schrieb Ebräisch, Chaldäisch, Syrisch, Arabisch, Türckisch, Griechisch, Lateinisch, Französisch, Engellandisch, Italienisch, Spanisch, Deutsch, Niederländisch und Batavisch.“ [i] (zit. n. Billig 1966, S. 9) Da sie über ihre umfassenden Sprachkenntnisse hinaus auch über wissenschaftliche Kenntnisse in Astronomie, Geschichte und Geographie verfügte, galt sie selbst in Gelehrtenkreisen als „Wunter des Jahrhunderts“. In ihrer 1638 erschienener Dissertation mit dem Titel Num Foeminae Christianae conveniat Studium Litterararum? [ii] bringt sie 14 Argumente vor, die auf logische Weise erklären, warum es Frauen ebenso wie Männern gestattet sein sollte, sich dem Studium und der Wissenschaft zuzuwenden. „Niemand kann über unsere Neigung zum Studium richtig urteilen, bevor er uns nicht mit besten Motiven und Hilfsmitteln angeregt hat, die Studien aufzunehmen, und uns einen Geschmack von der Freude am Studium gegeben hat.“ [iii] (zit. n. Grössmann 1984, S. 51) Darüber hinaus fasst sie die wichtigsten zu erwartenden Einwände zusammen, widerlegt sie mit beeindruckender Logik und teilt die Gegner in 3 Gruppen auf; diejenigen, die Frauen grundsätzlich jede Begabung absprechen, diejenigen, die ein Frauenstudium ablehnen, da ihre Bestimmung nicht in der Anwendung gelernten Wissens zu suchen und zu finden ist und in die dritte Gruppe, die Frauen nicht grundsätzlich das Recht auf Bildung absprechen wollte, aber den Erwerb akademischer Grade. Die Diskussion beschließt sie mit der These „Der christlichen Frau kommt das Studium der Wissenschaften zu“ (zit. n. Grössmann 1984, S. 52). Der Dissertation gehört auch ein Briefwechsel mit Andreas Rivetus[iv] an, in dem sie ihre Forderungen und Argumente wiederholt und auf verständnisvolle Ohren stößt.
Das Werk ist als eines der ersten Bücher zur Bejahung der weiblichen Bildung zu sehen. Schon damals genoss Schurmann erhebliches Ansehen wegen ihrer innovativen Anschauungen, welches sie jedoch zum Teil verspielte, als sie sich der religiösen Bewegung von Jean de Labadie[v] anschloss. Gegner legten diesen Lebenswandel sogar als Folge ihres Studiums aus und glaubten so, die gängigen Vorurteile untermauern zu können, dass das Studium für das weibliche Geschlecht verwirrend wirke. Doch sie hatte bereits für ausreichend Aufsehen gesorgt, um die Frauenbewegung hinsichtlich der Bildung voranzutreiben und Nachahmer und Nachahmerinnen zu finden.
Nachdem sie die letzten 12 Jahre ihres Lebens der radikalen religiösen Gemeinschaft Labadies gewidmet hatte, starb sie am 4. Mai 1678 in Wieward bei Leeuwarden.
2.2 Amos Comenius
Ähnlich wie Luther im 16. Jahrhundert, fanden sich auch im 17. Jahrhundert männliche Unterstützer des Gedanken, Frauen das Studium zu ermöglichen. 1631 war es Johann Amos Comenius[vi], der in seiner vorerst nur böhmisch geschriebenen Forderung Didactica Magna verlangte, dass auch Frauen die Wissenschaften zugänglich gemacht werden sollten. Doch erst durch die Übersetzung der Schrift in lateinische Sprache, 1657, wurde sie der Allgemeinheit zugänglich gemacht und fand so angemessene Beachtung. Im Kapitel Die gesamte Jugend beiderlei Geschlechts ist der Schule anzuvertrauen findet man unter Punkt 5 folgende Äußerung: „Ebenso wenig kann ein genügender Grund vorgebracht werden, warum das weibliche Geschlecht (dass ich dessen noch besonders Erwähnung thue) von den Studien der Weisheit (sei es in lateinischer Sprache, sei es in deutscher Übersetzung) überhaupt ausgeschlossen werden solle. Denn sie sind gleichfalls Gottes Ebenbild, gleichfalls Theilhaber der Gnade und des zukünftigen Reiches, gleichfalls mit regsamen für die Weisheit empfänglichem Geiste (oft mehr als unser Geschlecht) ausgestattet; gleichfalls steht ihnen zu hohen Würden der Zugang offen, da sie oft zur Regierung von Staaten, zur Ertheilung sehr heilsamen Rathes an Könige und Fürsten, zur Heilkunde und zu anderem dem Menschengeschlechte ersprießlichen Dingen, auch zum prophetischen Dienst und zum Ausschelten von Priestern und Bischöfen von Gott selbst verwendet worden sind. Warum also wollen wir sie zu den Anfangsgründen zulassen, von den Schriften aber nachher zurückweisen? Fürchten wir etwa ihre Unbesonnenheit?“ (zit. n. Billig 1966, S. 12)
Leider blieb dieses Werk Comenius’ den Mitmenschen weitestgehend unbekannt und nicht zuletzt deshalb scheiterte dessen Umsetzung. Doch Vereine und „Einzelkämpfer“ trugen seine Gedanken weiter.
2.3 „Pegnitzschäfer“ und deren Mitglieder
Zur selben Zeit, als Comenius seine Gedanken äußerte, traten erste Vereine zur bildnerischen Emanzipation der Frau ein. Sprach- und Dichterorden, deren vorrangiges Ziel die Erhaltung und Pflege der Muttersprache war, öffneten ihre Pforten interessierten Frauen. Dabei trat besonders der Orden der Pegnitzschäfer[vii] in den Vordergrund. Dieses Thema verarbeitete Georg Philipp Harsdörfer[viii] in seinem Buch Frauenzimmergesprächspiele. Darin lässt er drei Schäferinnen und Schäfer zu allen möglichen gesellschaftlichen Themen zu Wort kommen und hofft „daß durch Lesung oder Gebrauch folgender Gesprechspiele die Jugend aufgemunteret, der Lust zu allerhand Wissenschaften erwecket, und zu wolständiger Höflichkeit veranlast werden solle“. [ix] (zit. n. Billig 1966, S. 14)
Ein weiteres Mitglied des Ordens war Floridan[x]. Er verfasste für eine Hochzeit ein Gedicht mit zeitkritischem Inhalt. Zu Beginn des Gedichtes erzählt er in Prosa von der Begegnung eines Schäfers und einer Schäferin deren Gespräch auf das weibliche Geschlecht kommt. Beide diskutieren über die bisherige Bedeutung der Frau als Mutter und Erzieherin und kommen so auf den Verstand der Frau. Die Schäferin sagt: „Wie sollen wir zur Vollkommenheit gelangen, da man unsere Fähigkeit in der blüte sterbet, uns zu haus gleichsam gefangen setzet, und, als wie in einem Zuchthause zu schlechter Arbeit, zur Nadel und Spindel angwöhnet? Man eilet mit uns zur Küche und Haushaltung [...] Ja sogar sind wir zur Barberey und Unwissenheit verdammet, dass nicht allein die Mannspersonen sondern auch die meisten von unserem Geschlecht selber, weil sie in der Eitelkeit und Unwissenheit verwildert sind, uns verachten und verlachen, wann eine und andere auf löbliche Wissenschaft sich befleißigt, und nichts auf Gelehrte Weibspersonen halten. Man [...] will, dass wir Tugendsam seyen, wie können wir es aber werden, wann man uns das Lesen der Bücher verbietet, aus welchen die Tugend muß erlernet werden? Soll uns denn dieselbe wie die gebratene Tauben in Utopien, aus der Luft zufliegen? Auf Verstand – übung und tugend – erkenntnis folgen vernünftige tugendhafte Werke. Und warum verlachet manches alberes Weib ihren Mann, seine Bücher und seine vernünftige Vermahnungen? geschiet es nicht darum, weil sie nichts weiß oder verstehet? Weil sie von der Verstand- und Tugendlehre ausgeschlossen worden? Warum müssen wir also in einer aufgedrungenen Unwissenheit verderben und den Namen der Einfalt ohne Schuld erdulten? Sind wir dann nicht sowol Menschen als die männer? Nun ist der Verstand und die Rede des Menschen eigenschaft, die ihn von den unvernünftigen Thieren unterscheidet: warum sollen wir dann unsern Verstand nicht ausüben dörfen? Und wovon solle wir nützlich reden, wann man uns verbietet etwas zu lernen? Sollen wir dann gerynger sein als Hunde, Pferde, Elefanten [...] und andere verstandlose Thiere, denen man allerley Künste lehret, und sie zum Reden angewöhnet?“ (zit. n. Billig 1966, S. 14)
Doch Floridan verlieh seiner Überzeugung auch durch Taten Ausdruck. Als kaiserlichem Pfalzgrafen oblag ihm das Recht Dichter zu krönen; 1671 krönte er Gertraud Möller[xi].
Wie zu erkennen ist, tat sich viel in den sowohl männlichen als auch weiblichen Köpfen der damaligen Zeit. Doch leider fehlte es nach wie vor an der Umsetzung. Erst der Pietismus versuchte die ehrenhaften Forderungen auch in die Tat umzusetzen; August Hermann Francke[xii] trug maßgeblich dazu bei. Da aber das Hauptaugenmerk dieser Arbeit nicht ihm oder seinen nicht weniger wichtigen Zeitgenossen wie Christian Thomasius[xiii], Christian Freiherr von Wolff[xiv] oder Gottfried Wilhelm Freiherr von Leibniz[xv] gelten soll, möchte ich auf sie nicht näher eingehen und belasse es bei der Betrachtung der bisher genannten Vertreter.
3 Das Leben der Dorothea Christiana Erxleben, geb. Leporin
3.1 Ihre Kindheit
Am 13. November 1715 wird Dorothea Christiana Erxleben als drittes Kind von Christian Polycarp Leporin und Anna Sophia Leporin, geb. Meinecken geboren. Ihr Vater genoss als Arzt und Schriftsteller bereits zu Lebzeiten großes Ansehen. Anna Leporin war neun Jahre älter als ihr Ehemann und die jüngste Tochter des Pastors zu St. Nikolai in Quedlinburg, Albert Meinecken.
Ihre ersten Lebensjahre verbrachte Dorothea in fast ständig andauernder Krankheit. Diesem Umstand verdankte Dorothea sicher ihren weiteren, bedeutenden Lebensweg, denn sie nutzte die häufige Bettlägerigkeit um sich zu bilden. Der Literatur ist nicht zu entnehmen, wann ihr Vater begann, sie zu unterrichten, bekannt ist jedoch, dass Dorothea bereits im Alter von vier Jahren lesen konnte.
Da der Vater Dorotheas Bruder, Christian Polycarp[xvi], unterrichtete und festzustellen war, dass ihr Gesundheitszustand sich verbesserte, oder zumindest nicht verschlechterte, wenn sie diesen Unterweisungen beiwohnte, ging er dazu über, beide Kinder gemeinsam zu unterrichten. Dorothea war zu diesem Zeitpunkt ca. acht Jahre alt und es ist zu betonen, dass Dorotheas älterer Schwester Maria Elisabeth diese Form des Unterrichts offenbar nicht zuteil wurde. Dorotheas Lerneifer schien keine Grenzen zu kennen, und obwohl ihr Vater sehr stolz auf sie war, war ihm ihr Wissensdurst und Wissen nahezu unheimlich und warf alsbald Probleme auf. „Tatsache war, dass Dorothea im Lateinischen den Bruder bald so weit überflügelte, daß es Leporin unsinnig erschien, sie in diesem Fach weiterhin gemeinsam zu unterrichten, ja dass gar seine eigene Kenntnis nicht mehr ausreichte, um die Tochter zu fördern. Aber noch wusste er sich keinen Rat, was stattdessen zu tun sei. Auch in anderen Fächern wurde dem Doktor der stetig wachsende Wissensdurst seiner Tochter unheimlich. Ihre Gesundheit hatte sich eher stabilisiert, seit ihr hungernder Geist sei reichlich Nahrung fand. Zeigten sich gelegentlich dennoch Bleichsucht, Blutarmut und Schwachheit der Brust, so ertrug sie diese sichtlich besser. Doch die Frage, wieweit dem Hunger des Geistes nachzugeben und ob solch Appetit bei einem Mädchen natürlich sei, bereitete Leporin große Sorge.“ (Brencken 1992, S. 14)
Leporin wandte sich mit seinem „Problem“ an Tobias Eckhard[xvii], Rektor des Quedlinburger Gymnasiums. Dieser unterbreitete den Vorschlag, die neunjährige Dorothea schriftlich zu unterrichten. Bei der ersten Begegnung mit Dorothea äußerte er Leporin gegenüber: „Hier drinnen, lieber Freund, steckt etwas, das hoch hinaus will ... vielleicht höher, als wir beide ahnen ... höher jedenfalls, als wir in unserem begrenzten Denken einem Frauenzimmer zugestehen ...“. (Brencken 1992, S. 20)
Er unterrichtete Dorothea und erweiterte das Lehrangebot sehr bald um Französisch, Mathematik, Religion und Geschichte. Bei dem Lehrer für Religion und Geschichte handelte es sich um den 18 Jahre älteren Diakon von St. Nikolai, Johannes Christian Erxleben[xviii].
Doch die Mutter beklagte sehr bald, dass Dorothea nur wissenschaftlich gebildet werde und so keinem Mann eine gute Ehefrau sein würde. Dorothea selbst beendete die Diskussionen mit dem Angebot, sich mehr den häuslichen Pflichten zuzuwenden. Dass sie aber ihre Studien nicht vernachlässigen werde, versprach sie dem Vater. So kam es, dass Dorothea, die sich auch im häuslichen Bereich als sehr gelehrig und geschickt erwies, keine Arbeit ohne ein Buch verrichtete. Hielt sie es nicht in der Hand, lag es vor ihr auf dem Tisch; sie wollte keine Minute nutzlos verstreichen lassen und musste sich deshalb oft der Mutter gegenüber rechtfertigen, die Dorotheas Studium zwar akzeptierte jedoch kein Verständnis für dessen Ausmaß hatte.
3.2 Ihre Jugend und frühen Erwachsenenjahre
Als Dorotheas Bruder Christian nach Halle (Saale) zum Medizinstudium an die Friedrichs-Universität[xix] ging, empfand sie es als ungerecht, dass ihr diese Möglichkeit versagt blieb. Als sie ihre Enttäuschung aussprach und äußerte, dass auch sie gern eine Universität besuchen würde, waren ihre Eltern anfangs sehr erschrocken über ihre Pläne, öffentlich zu studieren. Doch Dorotheas Vater nahm Christians Fortgehen und Dorotheas Enttäuschung zum Anlass, sie statt ihres Bruders fortan in seiner Praxis für Handreichungen und Hausbesuche anzustellen. Bei einem dieser Hausbesuche sollte sich dann Dorotheas Blatt wenden. Beide waren bei der Äbtissin, der Herzogin von Holstein-Gottrop, und diese stand dem Frauenstudium sehr positiv gegenüber. Sie bestärkte Dorothea in ihrem Wunsch zu studieren und schlug vor, sich mit der Bitte an den König zu wenden. Da Friedrich Wilhelm I.[xx] jedoch dem Frauenstudium entgegen stand, galt es sein Ableben abzuwarten und den Thronfolger, Friedrich II.[xxi], darum zu bitten. Als dies 1740 geschah, traf Dorothea auf den Regierungskommissar Lüderitz, der ihr den Tipp gab, ihr Anliegen direkt an Friedrich II. zu richten. Doch dieses Vorhaben wurde durch die militärische Einberufung der Brüder zum preußisch-schlesischen Krieg verhindert. Als Christian in Halle (Saale) aufgesucht wurde, desertierte er kurzerhand nach Kurhannover, Sachsen. Wenig später sollte auch Johannes, Dorotheas jüngerer Bruder, einberufen werden. Als auch er desertierte, blieb dem Vater keine Wahl, als es seinen Söhnen gleichzutun, da er sonst an deren Stelle hätte gehen müssen. So stand das Haus Leporin von einem Moment auf den anderen ohne männlichen Schutz und finanzielle Versorgung da.
Dorothea, fünfundzwanzigjährig, trug viel Verantwortung von diesem Moment an, denn sie bemerkte schnell, dass sowohl Mutter als auch Schwester mit der Situation überfordert waren. Außerdem kamen nach wie vor viele Patienten in die väterliche Praxis, obwohl sie von der Abwesenheit Leporins wussten. Bei Dorothea suchten sie Rat und Hilfe, doch sie wusste sehr wohl, dass ihr Handlungsspielraum begrenzt war. Sie durfte nicht heilen wie „richtige“ Ärzte, sondern konnte lediglich Verbände wechseln, Trost spenden und Krankenbesuche machen. In der preußischen Medizinalordnung hieß es: „Jedem nicht approbierten Arzt ist das Kurieren innerlicher Krankheiten bei Strafe verboten.“ (Brencken 1992, S. 107) Obwohl es ihr schwer fiel und so mancher Patient sie mit „Frau Doktor“ ansprach, hielt sie sich an geltendes Recht und schickte die Patienten zu ausgebildeten Ärzten mit ersten Verdachtsäußerungen. Die Patienten dankten es ihr durch gelegentliche Bezahlung. So war das Überleben der Familie vorerst gesichert.
Nach nur acht[xxii] Wochen, als der Vater die Nachricht bekam, dass die Gefahr vorüber sei, kehrte er nach Quedlinburg zurück. Nun hatte Dorothea auch wieder die nötige Ruhe, um sich ihrem Gesuch zu widmen; mit Hilfe des Vaters stellte sie es fertig und Ende März 1741 ging es auf den Weg zum Regierungskommissar Lüderitz.
Bereits 1727/28 hatte Dorothea begonnen, sich über verschiedene Themen Gedanken zu machen und sie zu verschriftlichen. Dorothea setzte sich u.a. mit den Vorurteilen gegen das Frauenstudium auseinander. Sauber thematisch gegliedert und in Paragraphen unterteilt, fielen dem Vater eines Tages die Ausführungen der Tochter in die Hände, und vor Begeisterung überredete er Dorothea, diese Entwürfe auf seine Kosten beim Berliner Verlag drucken und veröffentlichen zu lassen. Was anfangs unter dem Titel Reflexion über das Studieren und die akademischen Würden des Frauenzimmers erscheinen sollte, wurde kurz vor Druck umbenannt in Gründliche Untersuchung der Ursachen, die das weibliche Geschlecht vom Studiren abhalten, Darin deren Unerheblichkeit gezeiget, und wie möglich, nöthig und nützlich es sey, Daß dieses Geschlecht der Gelahrtheit sich befleiße, umständlich dargeleget wird von Dorotheen Christianen Leporinin. Doch zu diesem Werk später mehr.
Als Dorotheas Gesuch Friedrich II. erreichte, genehmigte er es und erteilte den Auftrag, die hallesche Universität von der Ausnahmeregelung in Kenntnis zu setzen. Am 15. April 1741 erging der königliche Erlass an die Universität und an den Stiftshauptmann von Plotho mit folgendem Text: „Seine Majestät verfügt, daß die ihm zu Gnaden empfohlene Leporin der medizinischen Fakultät in Halle bezüglich vorzulegender Promotion rekommandiert sein solle, sobald sie sich dieserhalb weiterhin melden würde.“ (Brencken 1992, S. 72) In einem weiteren Gesuch wurde beiden Geschwistern Gebührenfreiheit gewährleistet. Durch die Übernahme der Druckkosten waren sämtliche Ersparnisse der Familie „verloren gegangen“ und bei einer Ablehnung des Gesuchs wäre die Umsetzung sicher an den unzureichenden finanziellen Verhältnissen gescheitert. Erschwerend kam hinzu, dass der Vater seit seiner Flucht mit schweren gesundheitlichen Problemen zu kämpfen hatte. Und obwohl Dorothea ihn nach bestem Wissen und Gewissen vertrat, blieben die üblichen Einkünfte immer öfter aus.
Nachdem Maria den Wirt Kramer geheiratet und somit das Elternhaus verlassen hatte, und nach wie vor jedes Lebenszeichen von Christian fehlte, musste Dorothea die Aufgaben beider Leporin-Kinder erfüllen. Umso größer war ihre Freude, als sie eines Tages Christians Brief aus Halle erreichte, der ihre Ankunft erwartete. Doch die Freude sollte nur von kurzer Dauer sein, denn ein Hochwasser in und um Quedlinburg forderte viele Opfer, und Dorothea wurde vom Vater gebraucht. Deshalb wurde ihre Abreise verschoben, und es sollte für alle von großem Vorteil und Nutzen sein.
Denn Dorothea war zum Kondolenzbesuch im Hause Erxleben – sie hatten ihre drei-jährige Tochter an den Folgen der Überschwemmung verloren – als sie bei der Pfarrersfrau Sophie Erxleben[xxiii], welche Dorotheas Cousine war und acht Wochen zuvor ihr fünftes Kind geboren hatte, hohes Fieber feststellte. Um Sophie die überfällige Ruhe zu ermöglichen, nahm sie die vier ältesten Kinder zu sich, doch die Hilfe kam zu spät. Am 22. September 1741 verstarb Sophie 26-jährig und hinterließ sowohl fünf Kinder im Alter von wenigen Wochen bis neun Jahren als auch ihren Ehemann.
[...]
[i] Ebert, J. C. (1706). Eröffnetes Cabinet Deß Gelehrten Frauenzimmers. Frankfurt und Leipzig. S. 317. In: Billig 1966, 9.
[ii] Abhandlung, ob christlichen Frauen das wissenschaftliche Studium zukomme oder Steht der christlichen Frau das Studium der Wissenschaften an? In: Billig 1966, S. 60.
[iii] Schurmann, A.M. von: Num foeminae christianae conveniat studium litterarum? (1648). In: Elisabeth Gössmann (Hrsg.): Das wohlgelahrte Frauenzimmer. München 1984, S. 51.
[iv] Rivet, A.; auch Rivetus, André, 1572-1651, führender reformierter Theologe d. Hoch-Orthodoxie, wies als erster auf A. M. von Schurmanns Gelehrtheit hin, „sie bezeichnete ihn umgekehrt als „ersten Beschützer und Leiter meiner Studien oder eines besseren Lebens“ und spricht ihn öfter als „geliebtesten Vater in Christus“ an“ (vgl. http://www.bautz.de/bbkl/r/rivet_a.shtml)
[v] Labadie, J. de, 1610-1674. mystischer Spiritualist. „Nachdem er in Amsterdam eine Hausgemeinde gegründet hatte, die zum Vorbild für weitere Gründungen diente, zog er 1670 durch Vermittlung seiner Schülerin Anna Maria van Schurman mit seiner Gemeinde in das Stift Herford, ein Refugium für verfolgte Spiritualisten. Auch hier bedrängt und angefeindet, ging er 1672 nach Altona. - L. und die Labadisten stellten die Eingebung des Heiligen Geistes über die Bibel.“ (vgl. http://www.bautz.de/bbkl/l/Labadie.shtml)
[vi] Comenius, J. A.; auch Komensky, Jan Amos, 1592-1670, Didaktiker
[vii] auch „Pegnesischer Blumenorden“. Nürnberger Dichter- u. Naturpoesieorden. Pan als Schutzpatron. Panflöte als Vereinssymbol.
[viii] Harsdörfer, G. P.; auch Harsdörffer, 1607-1658. Vertreter d. Barockliteratur. Gründungsmitglied der „Pegnitzschäfer“.
[ix] Harsdörfer, G. P.: Frauenzimmer Gesprechspiele, so bey Ehr- und Tugendliebenden Gesellschaften mit nutzlicher Ergetzlichkeit beliebet und geübet werden mögen: Aus Italiänischen, Frantzösischen und Spanischen Scribenten angewiesen und jetz- und ausführlicher auf sechs Personen gerichtet, und mit einer Hochlöblichen Fruchtbringenden Gesellschaft. Nürnberg 1644-1646, S. 2-3 des Vorberichts an den Lesenden. (vgl. http://www.bautz.de/bbkl/h/harsdoerfer_g_p.shtml)
[x] auch Batulius oder Sigmund von Birken genannt; Birken, S. von, studierte Jura, Philosophie u. Theologie, seit 1644/45 Mitglied d. „Pegnesischen Blumenordens“, übernimmt 1662 d. Führung nach Harsdörfers Tod.
[xi] Möller, G., 1637-1705, bereits zu Lebzeiten berühmte Dichterin d. Ostseeraumes.
[xii] Francke, A. H., 1663-1727, Theologe u. Sozialpädagoge. Wegbereiter d. Pietismus. Professor für Griechisch u. orientalische Sprachen an d. halleschen Universität. Begründer d. Franckeschen Stiftungen zu Halle (Saale). Begründer d. „Gynaecum“ 1709 ® höhere Mädchenschule mit Hauptaugenmerk auf Religion, Lesen, Schreiben u. Handarbeiten ® vorrangiges Ziel: Mädchen zu christlichen Ehefrauen erziehen.
[xiii] Thomasius, C., 1655-1728, seit 1690 Professor an juristischer Fakultät Halle.
[xiv] Wolff, C. Freiherr von, 1679-1754, Philosoph, Jurist u. Mathematiker. Vertreter d. Naturrechts. Einfluss auf preußische Gesetzgebung.
[xv] Leibniz, G. W. Freiherr von, 1646-1716, Philosoph, Wissenschaftler, Mathematiker, Diplomat u. Doktor d. weltlichen u. d. Kirchrechts. Erster Präsident d. Berliner Akademie.
[xvi] Leporin, C. P. , 1717-1791 (Genauigkeit d. Angaben ungewiss – Christian wird zum Teil als älterer Bruder bezeichnet, zum Teil gilt Dorothea als ältestes Leporin-Kind)
[xvii] Eckhard, T., 1662-1737, Lehrer u. Rektor d. Quedlinburger Gymnasiums
[xviii] Erxleben, J. C., 1697-1759
[xix] 1694 unter Kurfürst Friedrich III. eröffnet; später Umbenennung in Martin-Luther-Universität; 1817 Vereinigung mit der 1502 gegründeten Universität Wittenberg.
[xx] Friedrich Wilhelm I., 1688-1740
[xxi] Friedrich II. od. Friedrich der Große, 1712-1786, seit 1740 König
[xxii] Brencken: acht Wochen; Beaucamp: 10 Wochen
[xxiii] Erxleben, S., 1716-1741, geb. Meinecke
- Arbeit zitieren
- Susanne Rehbein (Autor:in), 2004, Dorothea Christiana Erxleben, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/28623
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