Sinnbildlich für den Zeitgeist der modernen Welt erscheint mir eine Situation aus meinem Deutschunterricht in der achten Klasse. Wir behandelten damals die Kurzgeschichte „Anekdote zur Senkung der Arbeitsmoral“ von Heinrich Böll.
Dort wird ein Aufeinandertreffen von einem Touristen mit einem einheimischen Fischer beschrieben, welcher sich gerade am Strand sonnt. Es entsteht eine Diskussion darüber warum der Fischer, nach seinem bereits überdurchschnittlich guten Fang, nicht noch einmal mit seinem Boot herausfahren würde, um seinen Profit zu steigern. Der Tourist versucht dem Fischer zu erklären, welch ein großes Unternehmen er letztendlich mit dem mehr an Profit aufbauen könnte. Der Fischer fragt schlussendlich nach dem Sinn dieser Mühen. Der Tourist erklärt, dass der Fischer mit einem solch großen Unternehmen unter sich schlussendlich nicht mehr zu arbeiten brauche, mit der Konsequenz sich den ganzen Tag am Strand sonnen zu können. Der Fischer antwortet daraufhin trocken, dass könne er doch auch jetzt schon.
Mein Lehrer erklärte hierzu, dass der Fischer zwar den Moment genießen, jedoch stets von der Hand in den Mund leben würde und so dieses romantisch angehauchte Leben des Fischers letztendlich unvernünftig, nicht vorausschauend und in punkto Altersversorgung schon fast fahrlässig sei.
Mein Anliegen in dieser Hausarbeit ist es nun aufzuzeigen; welche weitreichenden Folgen ein solch ökonomisiertes Denken nach sich ziehen kann, wenn es umfassend in einer Gesellschaft fundiert ist; welches gesellschaftskritische Potential in einer religiösästhetischen Bildung, in Bezug auf eine solche Gesellschaft, steckt und ob aus einer solchen Gesellschaftskritik Handlungsaxiome zur Verbesserung des Status quo zu ziehen sind.
Inhalt
Einleitung
1. Ästhetische Bildung im Religionsunterricht
1.1 Ästhetische Bildung - ein religionsdidaktisches Prinzip
1.2 Wie konkretisiert sich ästhetische Bildung im Religionsunterricht?
1.3 Rechtfertigung ästhetischen Lernens im Religionsunterricht
2. Das gesellschaftskritische Potential religiös- ästhetischer Bildung
2.1 Ästhetische Sensibilisierung als Ausgleich zur Konsumgesellschaft
2.2 Gegenwärtigkeit, Kreativität und Kultur als Opfer des homo oeconomicus
2.3 Vergegenwärtigung durch sinnliche Wahrnehmung - Beispielhafte Erfahrungen aus dem Alltag
4. Fazit
Literatur
Einleitung
Sinnbildlich für den Zeitgeist der modernen Welt erscheint mir eine Situation aus meinem Deutschunterricht in der achten Klasse. Wir behandelten damals im Deutschunterricht die Thematik Kurzgeschichten und in besagter Unterrichtsstunde die „Anekdote zur Senkung der Arbeitsmoral“ von Heinrich Böll.1
In dieser Kurzgeschichte beschreibt Heinrich Böll ein Aufeinandertreffen von einem deutschen Touristen mit einem einheimischen Fischer, welcher sich gerade am Strand sonnt. Es entsteht eine Diskussion darüber warum der Fischer, nach seinem bereits überdurchschnittlich guten Fang, nicht noch einmal mit seinem Boot herausfahren würde, um seinen Profit zu steigern. Der Tourist versucht im weiteren Verlauf dem einfach erscheinenden Fischer zu erklären, welch ein großes Unternehmen er letztendlich mit dem mehr an Profit aufbauen könnte. Der Fischer hört gelassen zu und fragt schlussendlich nach dem Sinn dieser Mühen. Der Tourist erklärt, dass der Fischer mit einem solch großen Unternehmen unter sich schlussendlich nicht mehr zu arbeiten brauche, mit der Konsequenz sich den ganzen Tag am Strand sonnen zu können. Der Fischer antwortet daraufhin trocken, dass könne er doch auch jetzt schon.
Die Geschichte faszinierte mich zwar, die Situation blieb mir jedoch aufgrund der Interpretation meines Lehrers so stark im Gedächtnis. Nach einiger Diskussion erklärte dieser in guter deutscher Manier, dass der Fischer zwar den Moment genießen, jedoch stets von der Hand in den Mund leben würde und so dieses romantisch angehauchte Leben des Fischers letztendlich unvernünftig, nicht vorausschauend und in punkto Altersversorgung schon fast fahrlässig sei.
Mein Anliegen in dieser Hausarbeit ist es nun aufzuzeigen; welche weitreichenden Folgen ein solch ökonomisiertes Denken nach sich ziehen kann, wenn es umfassend in einer Gesellschaft fundiert ist; welches gesellschaftskritische Potential in einer religiös- ästhetischen Bildung, in Bezug auf eine solche Gesellschaft, steckt und ob aus einer solchen Gesellschaftskritik Handlungsaxiome zur Verbesserung des Status quo zu ziehen sind.
Im Folgenden widme ich mich daher zuerst der Frage: Was ist ästhetische Bildung und welche Relevanz hat sie im Religionsunterricht? Anschließend formuliere ich das Gesellschaftskritische Potential einer solchen religiös ästhetischer Bildung und folglich unternehme ich den Versuch Lösungsmöglichkeiten dieser religiös- ästhetischen Bildung für die zuvor formulierten Missstände auf zu zeigen.
1. Ästhetische Bildung im Religionsunterricht
1.1 Ästhetische Bildung - ein religionsdidaktisches Prinzip
Das ästhetische Lernen wird für sich als ein religionsdidaktisches Prinzip beschrieben. Im Unterschied zu religionspädagogischen Konzeptionen, die den Religionsunterricht epochenweise leiten und so nahezu die gesamte Religionslehre einer Zeit prägen können, sind die Auswirkungen eines religionsdidaktischen Prinzips auf die religiöse Bildung weniger umfassend.2 Religionsdidaktische Prinzipien stellen eher lokale Handlungsanweisungen für die religiöse Bildung dar, die zur Berücksichtigung eines besonderen Aspekts religionsdidaktischen Handelns anregen können.3 Eine solche „Begrenztheit“ religionsdidaktischer Prinzipien im Vergleich zu Konzeptionen kann sich durchaus auch als positiv erweisen. Beispielsweise können aus eben solchen Prinzipien viel konkretere Handlungsaxiome hervorgehen, die ein situationsadäquateres didaktisches Handeln erleichtern.4 Folglich unterscheiden sich die Konzeptionen von den Prinzipien zwar in ihren Ausmaßen, ein Rückschluss auf einen Unterschied in der Wertigkeit ihrer Handlungsanweisungen lässt sich jedoch nicht aus dieser Unterscheidung ziehen.
Die Idee hinter dem religionsdidaktischen Prinzip des ästhetischen Lernens wird oftmals missverstanden als ein bloßes Sichbeschäftigen mit dem Schönen, wie z.B. Objekten religiöser Kunst.5 Im eigentlichen Sinne ist die Dimension ästhetischer Bildung jedoch eine viel weitreichendere und der Bereich von Ästhetik als einer Theorie der Kunst nur ein Teilaspekt dieser. „Blickt man auf die Geschichte der Ästhetik, so lassen sich drei Grundmodelle ästhetischer Theorie erkennen.“6: Die Ästhetik als Theorie des Schönen, als Theorie der Kunst und als
Theorie der sinnlichen Erkenntnis. „In den seltensten Fällen treten diese allerdings >rein< auf. Meist werden mehrere Elemente der einzelnen Modelle aufgenommen und neu kombiniert.“7 Das Modell der Ästhetik als Theorie der sinnlichen Erkenntnis wird in der Religionsdidaktik in besonderer Weise beachtet und ist rückzuführen auf ein wörtliches Verständnis von Ästhetik im ursprünglichen, griechisch philosophischen Sinne. Ästhetik meint hier, in Bezug auf das griechische Wort aisthesis, die „Übung in sinnlicher Wahrnehmung“.8 Das religionsdidaktische Prinzip der Ästhetischen Bildung stellt somit den Anspruch Schüler_innen in ihrer sinnlichen Wahrnehmung zu schulen und so zu einer Sensibilisierung ihrer Wahrnehmungsfähigkeit beizutragen. Über diese Wahrnehmungsschulung hinaus ist die Schulung der Gestaltungs- und Handlungsfähigkeit (poiesis), wie auch die Förderung der Entscheidungs- und Urteilsfähigkeit (katharsis), Teil der ästhetischen Schulbildung.
1.2 Wie konkretisiert sich ästhetische Bildung im Religionsunterricht?
Wie bereits angedeutet bildet die elementare Wahrnehmungsschulung die Basis der ästhetischen Bildung im Religionsunterricht, auf der dann schließlich das gestaltende Hervorbringen sinnlicher Erfahrungen und das Entscheiden und Urteilen über sinnliche Erfahrungen aufbaut.9 Konkret wird diese Dreiteilung in aisthesis, poiesis und katharsis in der einzelnen Betrachtung.
Aisthesis meint hier das „Lernen mit allen Sinnen“ als eigenständige Form der Wirklichkeitserfahrung. Dieser Zugang zu Erfahrungen kann als Erweiterung des rein begrifflichen Lernens verstanden werden. Beispielsweise können Worte durch gedeutete Erfahrungen um ihre zugehörigen sinnlichen Reize erweitert und so ganzheitlicher erfasst werden.10 Weiter geht es neben dem Begreifen von Sprache kurzum auch um ein Infragestellen von eigenen Wahrnehmungsgewohnheiten sowie der Förderung einer neuen Welt- und Selbstwahrnehmung.11 Die Fähigkeit Ebd., 105. nicht-sprachliche kulturell produzierte Elemente als bedeutungsvolle Zeichen erkennen zu lernen benennt Klaus Mollenbauer als „ästhetische Alphabetisierung“.12
„Ästhetische Lernprozesse gelingen je in der Weise, wie das Subjekt sich zu dem ästhetischen Ereignis in Beziehung bringt. Stets gestalten sie sich sowohl rezeptiv/reflexiv als auch produktiv/reproduktiv. Im Nach- oder Neugestalten ästhetischer Produkte und der Reflexion darüber ereignet sich demnach ästhetische Alphabetisierung, …“13
Unter dem Aspekt der Poiesis rückt der gestaltende und sich Ausdrückende Mensch in den Mittelpunkt. Die Art und Weise in der Menschen ihre Selbstwahrnehmung zum Ausdruck bringen und sich zu anderen verhalten, ihre „ästhetische Alltagspraxis“, sowie die Frage „wie das eigene Leben Gestalt gewinnen kann“ werden hier zum Thema des Religionsunterrichts.14
Katharsis beinhaltet, als dritte Dimension ästhetischen Lernens, die Ausbildung einer kritischen und unterscheidungsfähigen Wahrnehmung. Die Schüler_innen sollen die Fähigkeit entwickeln ihre eigene ästhetische Praxis zu reflektieren, wie auch den manipulierenden Umgang mit ästhetischen Mitteln zu durchschauen. Darüber hinaus soll die Entscheidungsfähigkeit und die Fähigkeit sich zu positionieren, mit dem Ziel sich in einer ästhetisch gestalteten Welt mündig zu verhalten, geschult werden.15
1.3 Rechtfertigung ästhetischen Lernens im Religionsunterricht
Durch die immer weiter fortschreitende Technisierung unserer Lebenswelt und dem damit verbundenen Rückgang von „realen“ sinnlichen Erfahrungen ist eine ästhetische Bildung in der Schule nicht nur zu rechtfertigen, sondern sie wird im Gegenteil immer mehr zu einer Notwendigkeit. Den Erfahrungen und Sinneseindrücken im elektronischen Bereich möchte ich keineswegs ihre Geltung absprechen, doch es ist zu berücksichtigen, dass sich medial vermittelte Erfahrungen fast ausschließlich kognitiv, visuell und auditiv ereignen und sich auch in vielen weiteren Punkten von „realen“ Erfahrungen unterscheiden.
[...]
1 Vgl. Böll, Heinrich, Dissident der Wohlstandsgesellschaft, Wroclawskiego 1995, 173 - 200.
2 Vgl. Hilger, Georg, Teil III: Religionsdidaktische Prinzipien. Hinführung, in: ders. / Leimgruber, Stefan / Ziebertz, Hans-Georg (Hg.), Religionsdidaktik. Ein Leitfaden für Studium, Ausbildung und Beruf, München 62001, 331-333.
3 Vgl. Kalloch, Christina / Leimgruber, Stephan / Schwab, Ulrich, Lehrbuch der Religionsdidaktik. Für Studium und Praxis in ökumenischer Perspektive (= Grundlagen Theologie), Freiburg i.Br. 2009, 26.
4 Vgl. Hilger, Georg, Teil III: Religionsdidaktische Prinzipien. Hinführung, in: ders. / Leimgruber, Stefan / Ziebertz, Hans-Georg (Hg.), Religionsdidaktik. Ein Leitfaden für Studium, Ausbildung und Beruf, München 62001, 331-333.
5 Vgl. Kalloch, Christina / Leimgruber, Stephan / Schwab, Ulrich, Lehrbuch der Religionsdidaktik. Für Studium und Praxis in ökumenischer Perspektive (= Grundlagen Theologie), Freiburg i.Br. 2009, 220.
6 Grözinger, Albrecht, Praktische Theologie und Ästhetik, München 1987, 105.
7 Ebd., 105.
8 Vgl. Kalloch, Christina / Leimgruber, Stephan / Schwab, Ulrich, Lehrbuch der Religionsdidaktik. Für Studium und Praxis in ökumenischer Perspektive (= Grundlagen Theologie), Freiburg i.Br. 2009, 221-224.
9 Vgl. ebd., 229-231.
10 Vgl. ebd., 228f.
11 Vgl. Hilger, Georg, III.1 Ästhetisches Lernen, in: ders. / Leimgruber, Stefan / Ziebertz, Hans- Georg (Hg.), Religionsdidaktik. Ein Leitfaden für Studium, Ausbildung und Beruf, München 62001, 334-343, hier 335.
12 Vgl. Kalloch, Christina / Leimgruber, Stephan / Schwab, Ulrich, Lehrbuch der Religionsdidaktik. Für Studium und Praxis in ökumenischer Perspektive (= Grundlagen Theologie), Freiburg i.Br. 2009, 228f.
13 Vgl. ebd., 228f.
14 Ebd., 229-231.
15 Vgl. ebd., 231.
- Quote paper
- Christoph Jagstaidt (Author), 2014, Religionspädagogische Konzeptionen der Gegenwart. Das gesellschaftskritische Potential der „Ästhetischen Bildung“, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/283705
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