Essen – ein Thema, welches Menschen überall auf der Erde in großer Bandbreite beschäftigt.
Diese reicht von der Überlegung, welche Köstlichkeit am Abend serviert werden soll, bis hin zur existenziellen Sorge um die Ernährung der eigenen Familie. Die Lebensmittelindustrie
steht vor dem Hintergrund einer immer weiter wachsenden Bevölkerung vor der Herausforderung, einen gangbaren Weg zu finden, die Ernährung einer sprunghaft wachsenden Bevölkerung auch in der Zukunft sicherzustellen.
In der Diskussion um Ernährung geht es allerdings nicht nur primär um Nahrungssicherung. Es gilt vielmehr auch zu klären, wie die Ernährungsbedürfnisse der heutigen Generation auf nachhaltige Weise befriedigt werden können. Hier gerät neben der Quantität vor allem auch die Qualität der produzierten Lebensmittel, verbunden mit den Ernährungsgewohnheiten der Konsumenten, in den Fokus (vgl. STIEß & HAYN 2005: 1). Die Globalisierung eröffnet den Menschen immer mehr Möglichkeiten, stellt die Gesellschaft gleichzeitig jedoch vor immer größere miteinander verwobene Herausforderungen.
„Wir leben in der paradoxen Situation, dass der Fortschrittsglaube in unserer postmodernen Gesellschaft einerseits gebrochen ist, andererseits in vielen Bereichen unvermindert vorausgesetzt wird und weitere Fortschritte vielfach notwendig scheinen, um die drängenden Probleme zu lösen“ (OSTHEIMER & VOGT 2004: 110).
Eine kontinuierlich zunehmende Komplexität auf sozialer, ökonomischer wie auch auf ökologischer Ebene bestimmt den Alltag der globalisierten Welt. Die Verantwortung, diesem Näherrücken von Kulturen und Märkten bewusst zu begegnen, obliegt nicht allein der Politik und der Wirtschaft. Vielmehr sind die Zivilgesellschaft und somit jeder Einzelne mit verantwortlich, sich den anstehenden Veränderungen anzunehmen. Ein globaler Mentalitätswandel muss ein-
setzen, der durch das Wissen von Wertevorstellungen und Normen gesteuert wird (vgl. DE HAAN 2003). Bildung ist daher unabdingbar. Sie stellt einen wichtigen Zugang zu Verständnisschaffung der weltweiten Zusammenhänge und Abhängigkeiten dar und bietet Raum für Diskussionen.
[...]
Inhalt
1 Kochen für eine bessere Welt?
2 Ziel der Arbeit und Einordnung in den geographischen Kontext
3 Forschungsgegenstand
3.1 Slow Bewegung - ein Konzept der Beschleunigung und Entschleunigung des Lebens
3.2 Slow Food - eine Vereinigung zur Förderung der Esskultur
4 Wege des Lernens unter dem Leitbild einer nachhaltigen Entwicklung
4.1 Ursprung des Begriffs nachhaltige Entwicklung
4.2 Entstehung des Bildungsansatzes
4.3 Konzept der Bildung für nachhaltige Entwicklung
4.4 Alternativer Wissensanspruch: Advocacy-Ansatz
5 Ableitung der Forschungsfrage auf Basis von Leitfragen
6 Angewandte Forschungsmethodik
6.1 Qualitativ-teilnehmende Beobachtung der Veranstaltung „Kochen mit Studenten“
6.2 Qualitative Interviews mit Slow Food Mitgliedern und Veranstaltungsteilnehmern
6.3 Auswahlverfahren der Gesprächspartner
6.4 Erhebungsdesign auf Grundlage der Forschungsmethodik
7 Auswertung und Interpretation der Erhebungsdaten
7.1 Die Motivation
7.2 Die Gesprächssituation
7.3 Die Wissensvermittlung
7.4 Die Politik
8 Slow Food als Impuls für einen Bewusstseinswandel
9 Quellenverzeichnis
Anhang
1 Interviewleitfaden der Organisatoren
2 Interviewleitfaden der Teilnehmer
I Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Entstehung der Bildung für nachhaltige Entwicklung (Eigene Darstellung)
Abbildung 2: Entwicklung der Umweltbildung hin zu nachhaltigen Entwicklung (KROSS O.A.)
Abbildung 3: Richtungen und Dimensionen des Leitbilds der Bildung für nachhaltige Entwicklung (BEYER 1998: 31)
Abbildung 4: Lernangebote zu den Teilkompetenzen der Gestaltungskompetenz (Eigene Darstellung nach TRANSFER 21 2008)
II Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Themenfelder der Befragung (Eigene Darstellung)
Tabelle 2: Zeitlicher Arbeitsplan (Eigene Darstellung)
Tabelle 3: Erhebungsplan Slow Food Mitglieder (Eigene Darstellung)
Tabelle 4: Erhebungsplan Veranstaltungsteilnehmer (Eigene Darstellung)
1 Kochen für eine bessere Welt?
Essen - ein Thema, welches Menschen überall auf der Erde in großer Bandbreite beschäftigt. Diese reicht von der Überlegung, welche Köstlichkeit am Abend serviert werden soll, bis hin zur existenziellen Sorge um die Ernährung der eigenen Familie. Die Lebensmittelindustrie steht vor dem Hintergrund einer immer weiter wachsenden Bevölkerung vor der Herausforderung, einen gangbaren Weg zu finden, die Ernährung einer sprunghaft wachsenden Bevölkerung auch in der Zukunft sicherzustellen.
In der Diskussion um Ernährung geht es allerdings nicht nur primär um Nahrungssicherung. Es gilt vielmehr auch zu klären, wie die Ernährungsbedürfnisse der heutigen Generation auf nachhaltige Weise befriedigt werden können. Hier gerät neben der Quantität vor allem auch die Qualität der produzierten Lebensmittel, verbunden mit den Ernährungsgewohnheiten der Konsumenten, in den Fokus (vgl. STIEß & HAYN 2005: 1). Die Globalisierung eröffnet den Menschen immer mehr Möglichkeiten, stellt die Gesellschaft gleichzeitig jedoch vor immer größere miteinander verwobene Herausforderungen.
„ Wir leben in der paradoxen Situation, dass der Fortschrittsglaube in unserer postmo dernen Gesellschaft einerseits gebrochen ist, andererseits in vielen Bereichen unver mindert vorausgesetzt wird und weitere Fortschritte vielfach notwendig scheinen, um die dr ä ngenden Probleme zu l ö sen “ (O STHEIMER & V OGT 2004: 110).
Eine kontinuierlich zunehmende Komplexität auf sozialer, ökonomischer wie auch auf ökolo- gischer Ebene bestimmt den Alltag der globalisierten Welt. Die Verantwortung, diesem Nä- herrücken von Kulturen und Märkten bewusst zu begegnen, obliegt nicht allein der Politik und der Wirtschaft. Vielmehr sind die Zivilgesellschaft und somit jeder Einzelne mit verantwortlich, sich den anstehenden Veränderungen anzunehmen. Ein globaler Mentalitätswandel muss ein- setzen, der durch das Wissen von Wertevorstellungen und Normen gesteuert wird (vgl. DE HAAN 2003). Bildung ist daher unabdingbar. Sie stellt einen wichtigen Zugang zu Verständnis- schaffung der weltweiten Zusammenhänge und Abhängigkeiten dar und bietet Raum für Dis- kussionen.
Die Non-Profit-Organisation Slow Food engagiert sich im Bereich der Lebensmittelbildung. In ihrer Philosophie plädiert sie in erster Linie für ein entschleunigtes und genussvolles Essver- halten. Darüber hinaus setzt sie sich für die Entgegnung der massenhaften industriellen Pro- duktion von Lebensmitteln und damit für die Förderung einer nachhaltigen Landwirtschaft und Fischerei sowie die Stärkung kleiner lokaler Lebensmittelerzeugungsgemeinschaften ein. Die globalen Herausforderungen können der Verein bzw. die Bewegung nicht im Alleingang bewältigen. Das Bewusstsein für einen würdevollen und bedachten Umgang mit Lebensmitteln muss geweckt und entwickelt werden. Besonders das Engagement der Jugend, den Erwachsenen von morgen, ist an dieser Stelle gefragt.
Das Interesse für den Themenkomplex „Lebensmittel und Ernährung“ hat der Fernsehbeitrag „Nie wieder Fleisch? Die verheerenden Auswirkungen der massenhaften Fleischproduktion auf die Umwelt, das Klima und die Gesundheit.“ geweckt, der im März 2012 erstmals vom deutsch-französischen Fernsehsender Arte ausgestrahlt wurde. Die Dokumentation beleuch- tet die Schattenseiten der massenhaften Fleischproduktion und führt auf, wie vielfältig und weitreichend die globalen Auswirkungen sind. Die Sendung hat zu weiteren Recherchen an- geregt, in deren Verlauf der Begriff Slow Food auftauchte, der im Zentrum der vorliegenden Forschungsarbeit steht.
Zum besseren Verständnis wird an dieser Stelle der Aufbau der vorliegenden Arbeit erläutert. Zu Beginn werden im zweiten Kapitel das Ziel sowie die Einordnung der Arbeit in den geogra- phischen Kontext vorgestellt. Es folgt in Kapitel drei eine Hinführung zum Forschungsgegen- stand Slow Food wie auch die Darstellung des Vereins bzw. der Bewegung. Anschließend wird in Kapitel vier der theoretische Rahmen gespannt, der sich mit der Bildung für nachhaltige Entwicklung beschäftigt und ihre Entwicklung wie auch ihre Inhalte nachzeichnet. Auf der Grundlage dieses Wissens werden in Kapitel fünf die Leitfragen sowie die Forschungsfrage ab- geleitet. Das sechste Kapitel widmet sich im Anschluss der Darstellung der für das Forschungs- projekt angewandten Methoden und die sich hieraus ergebenden Limitationen. Die Auswer- tung und Interpretation der empirischen Daten folgt in Kapitel sieben. Hier werden die Aussa- gen der Interviewpartner extrahiert, analysiert und miteinander in Verbindung gesetzt, um eine abschließende Beantwortung der Forschungsfrage zu ermöglichen. Das abschließende achte Kapitel fasst die wesentlichen Ergebnisse der Untersuchung zusammen und reflektiert diese kritisch.
2 Ziel der Arbeit und Einordnung in den geographischen Kontext
Ein ernst zu nehmendes Problem ist die vielerorts unzureichende Nahrungsmittelverfügbar- keit. Weltweit leiden 870 Millionen Menschen Hunger, d.h. jeder achte Mensch verfügt nicht über ausreichend Nahrung. Das sind zwar 130 Millionen weniger als noch 1990, dennoch sind die Zahlen nur schwer akzeptierbar (vgl. FAO 2012). In diesem Zusammenhang ist die Tatsache zu berücksichtigen, dass die Nahrungsmittelproduktion jährlich etwa ein Drittel mehr erzeugt, als für die Ernährung aller Menschen nötig wäre. Die Produktion von Nahrungsmitteln wächst somit schneller als die weltweite Bevölkerung. Doch nicht alle Nahrungsmittel werden tat- sächlich zur Bekämpfung von Hunger verwendet. Viele Agrarprodukte werden für die Herstel- lung von Biotreibstoffen und ähnlichen Industrieprodukten sowie als Futtermittel genutzt. Nordamerika und Europa gelten im Handel mit Agrarprodukten auf ökonomischer, politischer und auch wissenschaftlicher Ebene als weltweit führende Akteure (vgl. WEINGÄRTNER & TRENT- MANN 2011: 51f).
Die Industrialisierung der Landwirtschaft und der wachsende Wohlstand haben in den letzten Jahrzehnten zu einem Wandel in der Ernährung geführt: Lebensmittel dienen vielerorts nicht mehr ausschließlich zum Überleben. Besonders den Menschen in den Industrienationen ste- hen heutzutage ausreichend Nahrungsmittel zur Verfügung, oftmals hat der Verbraucher im Supermarkt eine sehr große Auswahl. Dabei werden die Ernährungsgewohnheiten immer glo- baler. Produkte, die im eigenen Land nicht angebaut und hergestellt werden, werden aus dem Ausland importiert. Die damit verbundene Steigerung und Intensivierung der Produktion, der Transport oder aber die Entsorgung landwirtschaftlicher Güter schwächt Ressourcen wie Was- ser und Boden und macht die Landwirtschaft zu einem Herausforderer des Klimawandels. Auch die Massentierhaltung ist ein Aspekt, der in der Debatte um die industrialisierte Land- wirtschaft ethische Fragestellungen aufwirft (vgl. BNE PORTAL 2013).
Vor diesem Hintergrund sind ein bewusster Umgang mit Nahrungsmitteln sowie eine damit verbundene kritische Auseinandersetzung mit der industriellen Lebensmittelproduktion un- umgänglich. Die Fachrichtung Geographie bietet aufgrund ihres weiten Blickfelds und ihrer vielfältigen fachlichen Kompetenz die Möglichkeit Lösungsansätze zu finden. Durch die Dar- stellung weltweit vernetzter Zusammenhänge gelingt es ihr, Einsichten zu schaffen und somit einen Grundstein für das Engagement für eine sichere Zukunft zu legen. Einen mit der Geo- graphie verknüpften interdisziplinäreren Ansatz stellt das Konzept der nachhaltigen Entwick- lung dar. Der Ansatz steht für eine Entwicklung, die den Bedürfnisse der heutigen Generation nachkommt und gleichzeitig die Chancen der zukünftigen Generationen berücksichtigt. Dabei vereint das Konzept der nachhaltigen Entwicklung ökologische, ökonomische, soziale sowie auch kulturelle Aspekte. Auf dem Gebiet der Ernährung werden vor allem Anregungen zur Rückbesinnung auf regionale und saisonale Produkte gegeben und auf diesem Weg die Be- wusstseinsschaffung für einen maßvollen Umgang mit Lebensmitteln gestärkt. Der Aspekt der Wissensvermittlung stellt hierbei eine zentrale Komponente dar: „ Bildung macht zwar weder satt noch reich und kann auch keine soziale Gerechtigkeit schaffen, sie ist aber die Vorausset- zung f ü r eine nachhaltige menschliche Entwicklung und ein friedliches Zusammenleben “ (B MZ 2013).
Der Verein Slow Food engagiert sich mit seinen Ansätzen und Prinzipien im Bereich der Bildung aller Altersklassen. Ziel der Bachelorarbeit ist es, das Engagement des Slow Food Vereines kri- tisch zu analysieren und herauszuarbeiten, ob und wie Wissen an junge Menschen weiterge- geben und ob in Anbetracht der aufgeführten Hintergründe ein bewusster Umgang mit Le- bensmitteln angestoßen und erreicht wird. Hierzu wird die Veranstaltung „Kochen mit Stu- denten“ als Beobachtungsfeld herangezogen und zur Generierung von Gesprächspartnern ge- nutzt. Das zentrale Interesse besteht darin, zu ermitteln, ob der Verein die propagierten Werte präsentiert und mit Nachdruck an die Teilnehmer weiterleitet, oder ob diese nebenrangig sind und einzig das Kochen und Beisammensein die Veranstaltung bestimmen. Dabei ist es nicht Sinn und Zweck der Arbeit, Kritik an dem Slow Food Gedanken an sich zu üben. Aus diesem Grund werden im Rahmen der Befragung keine bekennenden Slow Food Kritiker herangezo- gen. Es gilt vielmehr kritisch zu ergründen, ob durch die Veranstaltung ein Lernprozess ange- stoßen und Wissen vermittelt wird.
3 Forschungsgegenstand
Die heutige Gesellschaft zeichnet sich in besonderem Maße durch ihre Schnelllebigkeit aus. Nach ENZENSBERGER (1996) hat sich Zeit zu einer knappen Ressource entwickelt, die einen der wichtigsten Wettbewerbsfaktoren einer globalisierten Wirtschaft darstellt und somit zu einer Art Luxusgut geworden ist. Im Zuge der Globalisierung und dem damit verbundenen techni- schen Fortschritt hat sich der Begriff Schnelllebigkeit etabliert. Die Menschen klagen immer wieder über Zeitmangel, obwohl sie in nahezu allen Lebensbereichen dabei sind, Zeit einzu- sparen. Einen zentralen Faktor in der Diskussion um das kostbare Gut Zeit stellen die Beschleu- nigung und ihr Gegenstück die Entschleunigung dar, die im folgenden Kapitel vorgestellt wer- den und zur Slow Food Bewegung hinführen.
3.1 Slow Bewegung - ein Konzept der Beschleunigung und Entschleunigung des Le- bens
Dem Soziologen und Politikwissenschaftler ROSA (2005) zufolge ist Zeit der Schlüsselfaktor der beschriebenen Herausforderungen der heutigen Welt. Alle Ereignisse, Zustände und Objekte sind von dynamischer und prozessualer Natur und unterliegen diesem Phänomen. Eine zent- rale Rolle nimmt hierbei der Modernisierungsprozess der aktuellen gesellschaftlichen Ent- wicklungen ein. Modernisierung ist hierbei als strukturelle und kulturelle Umformung der Temporalstrukturen und -horizonte zu charakterisieren, deren Veränderungsrichtung als sozi- ale Beschleunigung bezeichnet wird (vgl. ROSA 2005: 24). Rosa definiert drei Formen, die diese soziale Beschleunigung definieren. Die Steigerung im Rahmen der Technologie oder im Trans- portwesen benennt er als technische Beschleunigung. Hierzu zählen Entwicklungen im Trans- portwesen, aber auch die Produktion von Gütern und Dienstleistungen sowie Prozesse in der Kommunikation. Besonders deutlich sind die Fortschritte in der Fortbewegung zu erkennen: reiste man einst zu Fuß oder mit dem Pferd, lassen sich kilometerweite Distanzen heutzutage innerhalb kürzester Zeit mit dem Flugzeug überwinden (vgl. ROSA 2005: 114, 124ff). Darüber hinaus findet eine Steigerung sozialer Veränderungsraten statt, die sich im Wechsel von Ver- einsmitgliedschaften, Berufstätigkeiten oder Intimpartner wie auch im Wandel familiärer Strukturen erkenntlich zeigt. Diese Form kann als Beschleunigung der Gesellschaft bezeichnet werden (vgl. ROSA 2005: 114, 129ff). In der dritten Form der Beschleunigung wird eine Erhö- hung des Lebenstempos durch die Steigerung von Erlebnis- oder Handlungsperioden hervor- gerufen. Diese dritte Komponente lässt sich demnach weder dem technischen noch dem so- zialen Wandel zuordnen. Zu ihr zählen Fast-Food, Speed-Dating oder Power-Nap (vgl. ROSA 2005: 114, 136). Die drei Dimensionen stehen nach ROSA (2005: 243) in einem wechselseitigen Verhältnis zueinander, d.h. sie unterliegen einem Prozess, der sich letztlich selbst antreibt.
Die Globalisierung und mit ihr die Zunahme der Kommunikations-, Produktions-, Konsum- und Wissensnetzwerke führt zu einer immer stärker voranschreitenden Beschleunigung des alltäg- lichen Lebens. Die Literaturwissenschaftlerin MEYERHÖFER (2001) hält fest, dass „a uf die wach- sende Komplexit ä t des mit Computern und Handys aufgepeppten Lebens [ … ] immer mehr Men- schen mit einer R ü ckkehr zur Langsamkeit [reagieren]: "Entschleunigung" ist angesagt. “ Im weltweiten Wettbewerbsmarkt wird Zeit schnell zu Geld. Unterstützt wird diese Entwicklung vom Materialismus der postindustriellen Gesellschaft. Die soziale Stellung wird von vielen Menschen häufig nur noch über Konsum definiert (vgl. KNOX & MAYER 2009: 15). Aus der Schnelllebigkeit unserer Zeit hat sich ein Kreislauf entwickelt, der aus „arbeiten“ und „ausge- ben“ besteht und als Kennzeichen eines „vorbildlichen, angemessenen und erfüllten Lebens“ (KNOX & MAYER 2009: 15) gilt. Fastfood-Restaurants sind neben Einkaufszentren und Super- marktketten ein Symbol dieses immer weiter anwachsenden Trends geworden. Durch ihre globalen Vernetzungen beeinträchtigen sie nicht nur kleine private Geschäfte, sondern auch die örtliche Landwirtschaft (vgl. KNOX & MAYER 2009: 15).
Vor diesem Hintergrund hat sich eine Slow Bewegung entwickelt, „eine kompensatorische Ge- genbewegung der immer höheren Produktivität, Komplexität und Zeitknappheit“ (EISENSTEIN 2013), die unterschiedliche Lebensbereiche umfasst. Erstrebenswert ist hierbei die Wiederer- langung der „[inneren] Uhr, deren Funktionieren die kapitalistische Industriegesellschaft au- ßer Kraft setzt“ (REHAIS 1996: 164ff). Dabei setzt Entschleunigung nicht das „Unterlassen“ vo- raus, sondern stößt vielmehr eine erhöhte Wahrnehmung durch die Konzentration und Ori- entierung auf die bestehende Gegenwart an (vgl. FOLKERS 2005: 76). Ausgangspunkt stellt die Entschleunigungsinitiative Slow Food dar, die im anschließenden Kapitel ausführlich vorge- stellt wird. Aus ihr heraus hat sich die Langsamkeit in verschiedene Richtungen entwickelt, die im Folgenden dargestellt werden.
Bekannt ist vor allem das Konzept „Cittaslow“, welches eine Vereinigung von Städten darstellt.
Gegründet wurde das internationale Netzwerk 1999 von Slow Food Städten wie Bra, Greve, Oriento. Die Slow Cities haben sich neben dem Erhalt einer typischen Kulturlandschaft mit ihren Traditionen und einer charakteristischen Stadtstruktur auch eine nachhaltige Umwelt- politik zum Ziel gesetzt. Darüber hinaus stehen die Stärkung regionaler Märkte und der Ver- trieb regionaltypischer Produkte im Fokus der Bewegung. Auf diese Weise soll der Mensch in den Mittelpunkt gerückt und der soziale Zusammenhalt der jeweiligen Städte und Gemeinden sowie das Wertschätzung der Bürger gefördert werden. In Deutschland sind aktuell zehn Cit- taslow-Städte Mitglieder der Bewegung, darunter als Beispiel die Städte Hersbruck und Nörd- lingen (vgl. CITTASLOW 2013).
Auch ‚Slow Travel‘ hat mittlerweile an Bekanntheit gewonnen. Der hierauf spezialisierte Tourismus bietet Angebote, bei denen Geschwindigkeit und Komplexität reduziert werden und die Möglichkeit für Rückbesinnung auf Körper und Geist geschaffen wird. Besonders viel Wert wird bei solchen Reisen auf die Nachhaltigkeit sowie die Authentizität der Reise gelegt. Die Intensität einer Reise ergibt sich beim Touristen letztlich durch tiefgehende Eindrücke einzelner, bewusst ausgewählter Aktivitäten (vgl. EISENSTEIN 2013).
Darüber hinaus setzt sich die Slow Retail Bewegung für eine Entschleunigung des Einzelhan- dels ein. Hierbei steht die Stärkung kleiner Geschäfte und Läden im Vordergrund (vgl. VON KEY- SERLINGK o.J.). Design und Mode gibt es ebenfalls im Slow Format. Vertreter dieser Bewegung verfolgen die Einführung nachhaltig produzierter Objekte und Mode (vgl. SCHUH 2010).
3.2 Slow Food - eine Vereinigung zur Förderung der Esskultur
Slow Food ist eine internationale Entschleunigungsinitiative, die Konsumenten und Genießer vereint und sich für bewusstes Essen und Trinken einsetzt. Sie verfolgt dabei das Ziel einer Aufrechterhaltung der Ernährungskultur.
1980 gründete sich die Vereinigung Libera e Benemerita Associazione Amici del Barolo (Der Freie und wohlverdiente Verein der Freunde des Barolo). Ziel der Gemeinschaft war die Ver- breitung von Wissen und Kenntnissen zu Produkten der Region und die Anregung eines be- wussten Konsums. Gründervater dieser Vereinigung war unter anderem der Journalist und Soziologen Carlo Petrini, der als Journalist für die Zeitung Il Manifesto sowie auch die Unita tätig war. Volle Handlungsfreiheit erhielt die Vereinigung bei ihrer Gründung im Jahr 1986 unter dem Namen Agrigola (vgl. PETRINI 2001: 17ff). Den Hintergrund und demnach die Wur- zeln dieser Gruppierung bildet die 1957 gegründeten Kultur- und Freizeitvereinigung Arci (Associazione ricreativa culturale Italiana). In ihren Volkshäusern wurden zur damaligen Zeit sowohl Theateraufführungen aufgeführt als auch Diskussionsveranstaltungen veranstaltet. Die gute Küche spielte dabei eine nebensächliche, aber dennoch wichtige Rolle. 1989 verwan- delte sich der Verein Agrigola (Verein zur Erhaltung der lokalen Esskultur) in Paris zur interna- tionalen Slow Food Vereinigung. Anfänglich standen die Entschleunigung des Essens und die Besinnung auf geschmackliche Erlebnisse im Vordergrund. Mit der Zeit rückten darüber hinaus das Bewusstsein und der Einsatz für die landwirtschaftlichen Kleinbauern, das regionale Le- bensmittelhandwerk sowie eine intakte Umwelt in den Fokus (vgl. SLOW FOOD DEUTSCHLAND E.V. 2013).
Der Verein hat sich zum Ziel gesetzt „Fast Food und Fast Life entgegen zu treten“ (SLOW FOOD DEUTSCHLAND E.V. 2013). Er setzt sich für die Bewahrung der regionalen Geschmacksvielfalt ein und will aus diesem Grund eine verantwortliche Landwirtschaft und Fischerei, eine artge- rechte Viehzucht sowie die Bewahrung des traditionellen Lebensmittelhandwerks fördern.
„ Unser Essen ist untrennbar verkn ü pft mit Politik, Wirtschaft, Gesellschaft, Kultur, Wissen, Landwirtschaft, Gesundheit und Umwelt. Dreimal am Tag bei jeder Mahlzeit, treffen wir eine Entscheidung mit weitreichenden Konsequenzen “ (SLOW FOOD DEUTSCHLAND E.V. 2013), führt der Verein in einer seiner Broschüren auf.
Slow Food bringt Akteure zusammen und schafft einen Dialog zwischen Produzenten, Händlern und Verbrauchern. Die Vermittlung von Wissen über die Qualität und die Herkunft von Nahrungsmitteln wird gefördert und Transparenz auf dem Ernährungsmarkt geschaffen. Der Verein stellt sich somit der Globalisierung und den damit verbundenen Herausforderungen im Bereich der Ernährung (vgl. SLOW FOOD DEUTSCHLAND E.V. 2013a).
Biologische Vielfalt ist einer der Schlüsselbegriffe bei Slow Food. Der Verein bemüht sich um den Erhalt der biologischen Vielfalt von Wild- und Kulturpflanzen. Darüber hinaus ist auch der Schutz nachhaltiger und traditioneller Qualitätslebensmittel ein Kernanliegen der Vereinigung. Das Slow Food Konzept basiert auf drei grundlegenden Prinzipien:
Gut - Die Lebensmittel sollen geschmacklich gut und Teil der lokalen Kultur sein.
Sauber - Die Produktion der Lebensmittel soll ohne Zusatzstoffe, im Einklang von Natur
und Umwelt erfolgen und keinen Schaden verursachen.
Fair - Die Erzeuger der Lebensmittel sollen zu fairen Bedingungen arbeiten und ihre Produkte zu fairen Preisen veräußern (vgl. SLOW FOOD DEUTSCHLAND E.V. 2013).
Mit seinem Engagement stößt der Verein immer wieder auf politische Themen. Slow Food zeigt durch seine Positionspapiere oder in Form von Demonstrationen unter anderem großes Engagement in der EU-Agrarpolitik und in den Themenfeldern Solidarische Landwirtschaft oder Landgrabbing (vgl. SLOW FOOD DEUTSCHLAND E.V. 2013b).
Slow Food hat weltweit über 100.000 Mitglieder in den Ländern Deutschland, Niederlande, Großbritannien, Frankreich, Italien, Schweiz, USA, Japan. Deutschland ist seit 1992 offizieller Teil der Vereinigung (vgl. SLOW FOOD DEUTSCHLAND E.V. 2013c). Die Mitglieder sind in etwa 1.500 lokalen Gruppen, sogenannten Convivien, organisiert. Diese treffen sich in regelmäßigen Ab- ständen zu unterschiedlichen, eigenständig organisierten Veranstaltungen und Initiativen. Das Engagement geht somit weitgehend von den Mitgliedern der einzelnen Gemeinden selbst aus (vgl. SLOW FOOD DEUTSCHLAND E.V. 2013). Aus der Bewegung heraus entstanden sind weitere Organisationen und Netzwerke. Die „Arche des Geschmacks“ wurde 1996 gegründet und setzt sich für vergessene und bedrohte Lebensmittel ein, meist Nutztierrassen und Nutztierpflan- zensorten. Durch die Unterstützung der Produzenten der Spezialitäten versucht Slow Food einen Beitrag zur Wahrung der Vielfalt zu leisten. 2004 wurde darüber hinaus das Terra Madre-Netzwerk gegründet. Dieses setzt sich aus etwa 2.000 Teilnehmern der Nahrungsmit- telproduktion zusammen, die eine nachhaltige und qualitativ hochwertige Landwirtschaft fernab der großen Massenbetriebe verfolgen (vgl. SLOW FOOD DEUTSCHLAND E.V. 2013).
Bildung spielt eine zentrale Rolle bei Slow Food. Dem Ansatz der Vereinigung zufolge ist „ Er- n ä hrung untrennbar mit Genuss, Kultur und Geselligkeit verbunden [ist]. Geschmacksbildung ist das beste Mittel gegen die Flug aus fast food und genormten Lebensmitteln; sie ist der beste Weg, die einheimische K ü che, traditionelle Produkte, Gem ü sesorten und Tierrassen zu sch ü t- zen “ (S LOW F OOD D EUTSCHLAND E .V. 2013). Aus diesem Grund wurden einige Bildungskonzepte aufgestellt und unter anderem ein Bildungsmanifest (vgl. Slow Food o. J.) erarbeitet, in dem den Mitgliedern Anregungen zur Gestaltung von Bildungsveranstaltungen angeboten werden.
Darüber hinaus wurde die Universität der Gastronomischen Wissenschaften in Pollenzo er- richtet (vgl. SLOW FOOD DEUTSCHLAND E.V. 2013d).
Ein besonderes Augenmerk liegt auf der Schulung von Kindern. „Unsere Zukunft liegt in den Händen unserer Kinder“ (SLOW FOOD DEUTSCHLAND E.V. 2013a) ist ein Leitsatz, der die Inhalte und Regeln des Slow Food Vereins bestimmt. Der Verein engagiert sich für gesundes Essen in Schulen und Kindergärten und beteiligt seit der Gründung des Slow Food Youth Movement junge Menschen aktiv an der Gestaltung einer Entwicklung der Ess- und Lebenskultur (vgl.
SLOW FOOD DEUTSCHLAND E.V. 2013e).
Seit November 2009 bietet das Slow Food Convivium München in Kooperation mit dem gemeinnützigen Verein Junior Slow e.V. das Projekt „Kochen mit Studenten“ an. Ziel der Veranstaltung ist es, jungen Menschen das Bewusstsein für die Wertigkeit von Lebensmitteln zu vermitteln, das in der heutigen Gesellschaft zunehmend verloren geht. Viermal im Jahr wird gegen ein kleines Teilnehmerentgelt gemeinsam ein auf die jeweilige Jahreszeit angepasstes 5-Gänge-Menü zubereitet und im Anschluss die zuvor gekochten Speisen mit verschiedenen Weinen verköstigt. Dabei werden verschiedene Themenschwerpunkte wie richtiges Einkaufen oder kulinarische Vielfalt, ebenso wie Tipps und Hinweise zu wichtigen Küchenhilfen angesprochen und aufgezeigt (vgl. SLOW FOOD DEUTSCHLAND 2013f).
4 Wege des Lernens unter dem Leitbild einer nachhaltigen Entwicklung
Die Einbettung des Themas Slow Food in einen theoretischen Rahmen bildet die Grundlage für ein umfassendes Verständnis der Forschungsarbeit. Hierfür wird im Folgenden in die The- matik der Bildung für nachhaltige Entwicklung eingeführt. Abgeschlossen wird das Kapitel durch eine Betrachtung des Wissensanspruchs der Advocacy, der für die vorliegende Arbeit von Bedeutung ist.
4.1 Ursprung des Begriffs nachhaltige Entwicklung
Der Begriff Nachhaltigkeit wurde nachweisbar das erste Mal im Jahr 1713 von Oberberghauptmann Carlowitz genutzt. Beschrieben wurde damals eine forstwirtschaftliche Praxis, bei der nur so viel Holz geschlagen werden durfte, wie durch Neupflanzungen wieder nachwachsen konnte (vgl. RIEß 2010: 25). Seit damals haben sich die Begriffe „Nachhaltigkeit“ und „sustainable development“ zu regelrechten Trendbegriffen entwickelt, die vielfach als Qualitätsmaßstab für faires und bewusstes Handeln eingesetzt werden. Ob nachhaltiges Wirtschaften, nachhaltige Finanzierung oder nachhaltiger Konsum, der Ausdruck lässt sich in vielen Bereichen ausfindig machen. STEFFENS (2000: 1129) bemerkt dabei kritisch, dass der Begriff Nachhaltigkeit vor dem Hintergrund eines positiven Wiedererkennungseffekts immer häufiger auch oberflächlich auf andere Kontexte übertragen wird.
Geprägt wurde der Begriff in den letzten Jahren besonders durch den Ausdruck nachhaltiger Entwicklung. Im Zentrum dieses Konzepts steht der Gedanke, dass die soziale Verantwortung, der Schutz der natürlichen Umwelt und die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit ein untrennba- res Konstrukt bilden. Eine Wirtschaft kann sich nur in dem ihr zur Verfügung stehenden (Natur-) Raum entfalten und für die heutige sowie auch die zukünftigen Generationen Sorge tragen (vgl. RIEß 2010: 28). Das Prinzip der Nachhaltigkeit kann somit als „Brücke verstanden [werden], die Natur mit Wirtschaft und Politik verbindet“ (PETER ET AL. 2011: 47).
Die ehemalige norwegische Ministerpräsidentin Gro Harlem Brundtland verwendete den Be- griff der nachhaltigen Entwicklung in dem 1987 von der Weltkommission für Umwelt und Ent- wicklung erschienen Bericht „Our Common Future“ und ergänzte das Prinzip einer ökonomi- schen Nachhaltigkeit um die soziale Komponente:
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- Quote paper
- Carolina Klein (Author), 2013, Slow Food. Ein Instrument zur Bildung für nachhaltige Entwicklung?, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/282904
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