Faszination Popstar

Eine qualitative Studie zur Rezeption und kommunikativen Medienaneignung der Castingshow "Helden von Morgen"


Bachelor Thesis, 2011

122 Pages, Grade: 3


Excerpt


Inhaltsverzeichnis

ZUSAMMENFASSUNG

ABSTRACT

ABBILDUNGSVERZEICHNIS

TABELLENVERZEICHNIS

1 EINLEITUNG
1.1 PROBLEMSTELLUNG UND ZIEL DER ARBEIT
1.2 STRUKTUR UND METHODIK DER ARBEIT

2 POPSTARS ALS VERMITTLERINNEN VON RUHM UND ERFOLG
2.1 VORBILDFUNKTIONEN DER POPSTARS
2.2 CASTING-SHOWS
2.2.1ära der Casting-Stars
2.2.2 Das Musikformat Helden von Morgen
2.3 INSZENIERUNGSSTRATEGIEN

3 MEDIENGEBRAUCH IM ALLTAG
3.1 THEORETISCHE GRUNDLAGEN ZUR REZEPTION, NUTZUNG UND MEDIENANEIGNUNG
3.1.1 Die strukturanalytische Rezeptionsforschung
3.1.2 Medienaneignung
3.1.3 Parasoziale Interaktionen beim Medienkonsum
3.2 FERNSEHEN ALS GEMEINSAME SOZIALE VERANSTALTUNG

4 EMPIRISCHER TEIL
4.1 GRUPPENDISKUSSIONEN
4.2 ABLAUF DER GRUPPENDISKUSSION
4.3 ANALYSE DER GRUPPENDISKUSSIONEN
4.4 ERGEBNISSE
4.5 LIMITATIONEN

5 RESÜMEE

6 LITERATURVERZEICHNIS

CD-ROM (nicht enthalten)

ANHANG

A. INTERVIEWLEITFADEN
A.1 ERÖFFNUNGSFRAGE/EISBRECHERFRAGE
A.2 HINFÜHRUNGSFRAGEN
A.3 ÜBERLEITUNGSFRAGEN
A.4 SCHLÜSSELFRAGEN
A.5 SCHLUSSFRAGE

B. DEMOGRAPHISCHE AUSWERTUNG DER BEFRAGTEN

C. TRANSKRIPTION GRUPPE „MUSIKER“ VOM 9.2.2011

D. TRANSKRIPTION GRUPPE „NON-MUSIKER“ VOM 11.2.2011

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Genre des Reality TV

Abbildung 2: Struktur- und Prozessmerkmale des Medienrezeptionshandelns

Abbildung 3: Funktionen verschiedener Medien für 12-19jährige, n= 1000

Abbildung 4: Durchschnittliches Alter der Teilnehmer, n=9

Abbildung 5: Vergleich Musiker & Non-Musiker, höchste abgeschlossen Ausbildung, n=9

Abbildung 6: Wohnsituation im Vergleich mit dem Bildungsgrad zwischen Musikern und Non-Musikern, n=9

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1: Teilnehmer betreiben aktiv Musik (Musiker)

Tabelle 2: Teilnehmer betreiben passiv Musik (Non-Musiker)

Zusammenfassung

14 KandidatenInnen kämpften in 12 Live-Shows um den Sieg bei der Castingshow Helden von Morgen, über welchen sich die Steirerin Cornelia Mooswalder schließlich freuen und somit 100.000 Euro mit nach Hause nehmen durfte. Diverse Profis aus der nationalen und auch internationalen Musikszene bereiteten die angehenden Popstars auf ihre wöchentlichen Live-Auftritte vor, um die Jury und die RezipientenInnen von Ihrem Können zu überzeugen.

Bei der Entwicklung des Musikformates Helden von Morgen stellte sich die Frage, was die ZuschauerInnen an der Castingshow faszinieren könnte? Ist es die Tatsache, dass es sich bei den Teilnehmenden um die Jungs und Mädchen von nebenan handelt oder ist es doch ihr gesangliches Talent?

Die Rezeption und Aneignung medialer Inhalte erfolgt von Individuum zu Individuum auf unterschiedliche Art und geben sie dem Gesehenen eine subjektive Bedeutung. Erst durch die ZuschauerInnen erhalten Mediainhalte einen Sinn, indem die aufgenommenen Medienbotschaften in Bezug auf Ihre Identität und ihrer bisherigen (Medien-)Erfahrungen individuell interpretiert werden. Diese subjektiven Interpretationen stehen in engem Zusammenhang mit den sozialen Netzwerken und Umgebungen der Rezipierenden, sowie deren Vorlieben und Erziehung.

Diese Arbeit gibt mithilfe der theoretischen Grundlage und einer empirischen Untersuchung einen Anstoß zur Untersuchung, welche Komponenten Einfluss auf die Rezeption und Aneignung der Castingshow Helden von Morgen haben. Es soll herausgefiltert werden, ob sich RezipientenInnen nur durch soziale Variablen beeinflussen lassen oder ob noch andere Elemente mit einfließen.

Abstract

14 candidates fought in 12 live shows in order to win the talent show Helden von Morgen, to what the Styrian Cornelia Mooswalder finally was looking forward and therefore take 100,000 euros back home. Various professionals from national and international music scene prepared the budding pop stars for their weekly live performances in order to convince the jury and the recipients inside of their ability. In developing the music format Helden von Morgen, raised the question what could fascinate the viewers to the talent show? Is it the fact that the participants are the boys and girls next door or is it their singing talent?

The reception and appropriation of media content is carried from person to person in different ways and they also give the seen a subjective meaning. Only through the viewers get media contents a sense by interpreting the recorded media messages, related to their identity and their recent (media) experience, differently. These subjective interpretations are closely related to the social networks and environments of the recipients and their preferences and education.

This paper, based on a well-covered theory and on a survey, gives an impetus for analysing which components influence the reception and appropriation of the talent show Helden von Morgen. It should be filtered whether the recipient can only be influenced by social variables or whether other elements flow within.

1 Einleitung

1.1 Problemstellung und Ziel der Arbeit

Wer ist Österreichs beste Stimme? In 12 Live-Shows konnten die ZuschauerInnen mitfiebern, wie 14 KandidatenInnen - aus über 2200 BewerberInnen gecastet - um den Sieg bei der Castingshow Helden von Morgen kämpften. Die vielfach von den Medien als steirisches Gesangswunder bezeichnete Cornelia Mooswalder wurde schließlich am 28.Jänner 2011 als Siegerin gekürt und konnte sich über eine Siegesprämie von 100.000 Euro freuen. Die Kandidaten und Kandidatinnen bekamen keine Stilrichtung vorgegeben, jeder konnte singen und performen, womit er sich am besten identifizieren konnte. Die angehenden Popstars bekamen Unterstützung von diversen Profis aus der nationalen und auch internationalen Musikszene, welche jede Woche die zu präsentierenden Songs für jeden Kandidaten und jede Kandidatin auswählten und diese mit ihnen einstudierten. Ihre erlernten Fähigkeiten konnten die KandidatenInnen Woche für Woche Live auf ORF1 präsentieren, um die Jury und die RezipientenInnen von Ihrem Können zu überzeugen. Anfangs kommentierte eine zweiköpfige Jury - bestehend aus dem Musikmanager Philip Ginthör und Agenturleiter Mario Soldo - die Auftritte der angehenden Popstars. Ab 19. November 2010 ergänzte der deutsche Rapper Sido diese als drittes Mitglied. Moderiert wurde die Sendung von Doris Golpashin.

Was fasziniert die ZuschauerInnen an Helden von Morgen ? Sind es die Jungs und Mädchen von nebenan oder ihr gesangliches Talent? Möglicherweise stellen sich die RezipientenInnen während der Castingshow Helden von Morgen die Frage, wie es Ihnen selber an der Stelle der TeilnehmerInnen gehen würde und wie weit sie im Bewerb vorankommen würden. Zudem bekommen Rezipierende durch kurze Berichte auch Eindrücke von den Erlebnissen und Emotionen der AkteureInnen, woraufhin Zuschauende mitfühlen, mitfiebern und über sie lästern können.

Wenn Zuschauer und Zuschauerinnen mediale Inhalte rezipieren und sich aneignen, dann tun sie das auf unterschiedliche Art und geben dem Gesehenen subjektive Bedeutung. ZuschauerInnen verleihen Mediainhalten einen Sinn - dabei interpretieren sie die aufgenommenen Medienbotschaften vor dem Hintergrund Ihrer Identität und bisherigen (Medien-)Erfahrungen. Diese subjektiven Interpretationen stehen in engem Zusammenhang mit deren sozialen Netzwerken und Umgebungen, sowie deren Vorlieben.

Ausgehend von dieser Problemstellung, lässt sich die Forschungsfrage der vorliegenden Arbeit folgendermaßen konkretisieren:

Welchen Einfluss haben die sozialen Kontexte, in die die RezipientenInnen eingebettet sind, auf die Rezeption und Aneignung der Castingshow Helden von Morgen ?

1.2 Struktur und Methodik der Arbeit

Die vorliegende Arbeit besteht aus fünf Kapiteln. Das erste Kapitel ist zugleich die Einleitung, darauf folgt das zweite Kapitel, welches sich mit Popstars als VermittlerInnen von Ruhm und Erfolg beschäftigt. Hier wird allgemein auf Castingshows und auf die Ära der Castingstars eingegangen. Es werden Inhalte und Grundideen von Casting-Shows beschrieben, sowie erklärt, wer oder was sich hinter Helden von Morgen verbirgt. Neben Informationen um das Format wird in diesem Kapitel auch erläutert, ob es sich bei diesem oder ähnlichen Castingshows um die Realität handelt oder doch alles nur inszeniert ist. Wer waren die ersten erfolgreichen Casting-Stars? Haben diese heute noch Erfolg in der Musikszene? Vor allem wann genau fing diese Ära an und wer oder was war der Urheber? Ein weiterer Punkt in diesem Kapitel soll die Vorbildfunktion der Popstars werden. Inwieweit beeinflussen sie das Rezeptionsverhalten der Jugendlichen beziehungsweise jungen Erwachsenen und der älteren Erwachsenen? Was macht genau diese Popstars zu Vorbildern? Dies sind nur einige Fragen, welche im ersten Kapitel beantwortet werden.

Im dritten Kapitel werden die theoretischen Grundlagen dieser Bachelorarbeit beleuchtet und wichtige Begriffe erklärt, welche später für den empirischen Teil von Bedeutung sein werden. In diesem Kapitel wird außerdem auf die Bedürfnisse, Motive und emotionalen Erlebnisse der Rezipienten eingegangen. Der empirische Teil beschäftigt sich im vierten Kapitel mit Gruppendiskussionen zu dieser Thematik. Das fünfte Kapitel fasst die Ergebnisse dieser Arbeit zusammen.

2 Popstars als VermittlerInnen von Ruhm und Erfolg

2.1 Vorbildfunktionen der Popstars

Für pubertierende Jugendliche ist es natürlich, sich in diesem Alter von den Eltern abzukapseln und selbstständig zu werden, aber aufgrund mangelnder geistiger Reife suchen sie sich oft Hilfe von Anderen. Wenn Jugendliche von ihrer Familie, in der Schule oder im Freundes- und Bekanntenkreis keine Unterstützung finden, sind es oft die Massenmedien, die den Pubertierenden „den Weg weisen“.1 Stars der Popszene sind Identifikationsfiguren, welche gewisse Werte und Wünsche verkörpern. Menschen benötigen zum Aufbau Ihrer Identität Unterstützung aus deren Umwelt.2

Gerade bei den Jugendlichen gehört die Nachahmung von Vorbildern zum Erwachsenwerden. Vor allem in der Pubertät setzen sich die Jungen und Mädchen mit sich selbst, also mit ihrem Selbstbild auseinander. Die Identität eines jeden Menschen ist in erster Linie im eigenen Ich zu finden, andererseits wird das Selbstbild auch durch deren soziales Umfeld gebildet. Stars bieten dafür gewisse Vergleichsinformationen, an denen sich die Jugendlichen orientieren können. Anders ausgedrückt: „ Identität selbst ist ein Phänomen, das durch die Dialektik von Individuum und Gesellschaft entsteht. “ 3

In unserer postmodernen Gesellschaft werden Vorbilder vor allem durch Medien verbreitet. Unsere Gesellschaft tendiert immer mehr zu Patchworkfamilien statt traditionellem Ehebild, zu Job-Hopping statt lebenslanger Fixanstellung in einem Unternehmen und so weiter. Dieses Phänomen bezeichnet Gross in seinem Werk als „Bastel-„ oder „Patchwork-Mentalität“. Durch die Medien stehen die Menschen immer im Wechselspiel zwischen Selbst- und Fremdbild und vergleichen ihre Identität mit medialen Texten. Diese werden überprüft und oft eine Mischung „zusammengebastelt“.4

Ein Vorbild ist seinem Bewunderer oder seiner Bewunderin ähnlich, aber gehört nicht zum „gewöhnlichen Fußvolk“. Der Unterschied liegt darin, dass ein Vorbild oder Star sich häufig seine Sehnsüchte erfüllen und diese tatsächlich leben kann. Weiters sind Vorbilder in der heutigen Gesellschaft gleichzeitig auch mediale Texte beziehungsweise Personen, wodurch diese oft ungewollt festlegen, welche kulturellen Normen, welches Verhalten und Aussehen als normal gilt.5 „ Ein Starimage besteht eben nicht nur aus den Informationen, Bildern und Texten der Medien, sondern ist vielmehr ein Produkt der Verarbeitung dieser Zeichen und Aussagen. “ 6

Stars zeigen auf, was beziehungsweise wie wir gerne sein wollen oder eben nicht sein wollen. Hier kann man in zwei Kategorien einteilen: erstens die klassischen Stars, wie Sänger, Schauspieler, Comedians, und so weiter. Die zweite Form sind die sogenannten „Anti-Stars“, welche durch Reality-Dokumentationen wie zum Beispiel Big Brother, Taxi Orange, Die Model-WG, Bekanntheit erlangten.7

Bei Helden von Morgen sind die Teilnehmenden normale Jugendliche, die dadurch ein gewisses Maß eines Vorbildes genießen können, weil sie „es geschafft haben“ und hohe Bekanntheit und Medienpräsenz erlangt haben. Vor allem Jugendliche sehen die Teilnehmenden in punkto Aussehen und Verhalten als Vorbilder.

2.2 Casting-Shows

TV spielte seit den 1970er und 1980er eine wesentliche Rolle für Musikformate. Sie waren fix in den Fernsehalltag integriert, bis diese durch die Einführung von Musiksendern, wie MTV oder VIVA, ausgegrenzt wurden.8 Ein neues Musikformat erschien dann mit den sogenannten Musikwettbewerben, welche eine Sonderstellung im Fernsehen aufweisen, da diese die TeilnehmerInnen dazu veranlassen sollten, eigene Kompositionen zu kreieren. Auch für die ZuschauerInnen sind Musikwettbewerbe etwas Besonderes, da sie durch die Interaktivität von (heutigen) Musikwettbewerben im TV „direkt“ in das Geschehen mit eingebunden werden (wie, wird später noch näher erläutert).9

Eine Castingshow ist eine TV-Sendung, in welcher - meist Jugendlichen - Zielgruppen die Chance geboten wird, sich mittels Gesangsdarbietung, Talent oder eines Modelwettbewerbes aus den Massen hervorzuheben. Diese werden oft von TV-Produktionsfirmen als Massencastings von mehreren tausend TeilnehmernInnen veranstaltet.10 Dem Gewinner winken Platten- oder Modelverträge und internationale Kampagnen beziehungsweise ein enormer Geldgewinn.

Die Bewerber bei solchen Castingshows erhoffen sich, durch die Teilnahme, aus ihrem gesellschaftlichen Umfeld „auszubrechen“ und berühmt zu werden. In unserer heutigen Gesellschaft ist es von hoher Wichtigkeit, sich in nur wenigen Minuten zu präsentieren und zu zeigen, dass man der oder die Beste ist. Der Medienwissenschaftler Norbert Bolz bezeichnet dies als „Medien-Darwinismus“.11 In diesem Zusammenhang steht das heutige (scheinbare) Erfordernis, sich selbst zu präsentieren und zu verkaufen. Im Zuge eines Bewerbungsverfahrens setzen die Menschen auf die Fähigkeit des „Eigenmarketings“ um sich ihre (Job-) Chancen und deren Marktwert zu erhöhen.12

Ein wichtiger Bestandteil bei Castingshows sind - neben den Anwärtern und Anwärterinnen - die Juroren. Einige von ihnen fungieren, neben ihrer Rolle als „Richter“, auch als Entertainer. Die meisten Juroren sind bereits vor Beginn der Castingshow bekannte Gesichter in der Medienbranche. Der wohl im deutschsprachigen Raum bekannteste Musikproduzent, Entertainer und Juror ist Dieter Bohlen. Einst feierte er Erfolge mit der Musikgruppe Modern Talking und machte sich in den letzten Jahren einen Namen durch sein Auftreten in der Castingshow Deutschland sucht den Superstar (DSDS). Er musste öffentlich schon etliche Male Kritik einstecken und auch der ausstrahlende Fernsehsender RTL musste eine Strafe wegen seiner unkonventionellen Aussagen zahlen, da diese, laut der Kommission für Jugendschutz der Landesmedienanstalten (KJM), jugendgefährdend seien.13 Die heutigen Castingshows, wie zum Beispiel DSDS, Helden von Morgen, Star Search, Popstars, und viele mehr, haben nur aufgrund ihres Eventcharakters Bestand. Sie werden staffelweise ausgestrahlt (am längsten populär ist von den erwähnten Shows DSDS; derzeit läuft auf RTL die 8. Staffel) und in den Medien wird ein regelrechter Hype konstruiert. Dabei geht es in solchen Shows immer weniger um die Musik oder die künftigen Popstars. Viele Castingshows gleichen oft eher einer Pannenshow oder einem Popularitätswettbewerb, als einem Musikformat. Die rasche Entstehung neuer Castingshows kann immer mehr als Zeichen für den Untergang von vernünftigen Musikformaten im Fernsehen gesehen werden.14

2.2.1 Ära der Casting-Stars

„ Die Casting-Teilnehmer sind keine prominenten Superstars, sondern Menschen, mit denen man sich identifizieren kann. Die Castings selbst beschönigen nichts, sondern zeigen ‚ normale ‘ Menschen auf ihrem Weg, ein bestimmtes Ziel zu erreichen. “ 15

Der Erfolg solcher Castingshows ist unaufhaltsam und wird durch die „Freude am Scheitern“ bei den Zusehern und Zuseherinnen immer beliebter, wodurch die Einschaltquoten enorm in die Höhe schnellen und dies auch den Sendern Freude bereitet. Dabei ist die Idee von Castingshows relativ alt:16

-1958-1961 strahlte ARD die Show „Toi, Toi, Toi“ aus, aus welcher einige später erfolgreiche Schlagersänger hervor gingen
-1967-1973 startete der ZDF mit „Show-Chance“, allerdings ohne wirklichen Erfolg
-1979-1981 wurde ein zweiter Anlauf mit „Früh übt sich“ gestartet, in welcher „The Kelly Family“ ihren ersten Auftritt hatte
-1967-1987 gab es den „Talentschuppen“, wo beispielsweise Entertainer wie Hape Kerkeling oder Reinhard Mey entdeckt wurden
-1983-1995 (USA) & 2003-2004 (D) wurde eine der erfolgreichsten
-Castingshows produziert - „Star Search“. Die Castingshow war ein amerikanisches Musikformat, welches rasch den Weg nach Europa fand. Aus dieser Show gingen die wohl berühmtesten und erfolgreichsten Castingstars der 90er Jahre hervor: Britney Spears, Christina Aguilera, Adam Sandler, Alanis Morissette, Destiny’s Child, Jessica Simpson, Justin Timberlake, LeAnn Rimes, Martin Lawrence, Sharon Stone, und viele mehr. In der Kategorie Sänger siegten bis 1987 eher unbekannte TeilnehmerInnen. Erst als 1988 Alanis Morissette den Durchbruch mit dieser Casting-Show schaffte, konnte offiziell die Casting-Ära eingeläutet werden
-1988-1992 imitierten KandidatenInnen in der „Rudi-Carrell-Show“ ihre Idole und wurden danach von den Studiozuschauern bewertet
-1995-1997 gab es auf RTL die „Soundmix-Show“, welche auf dem gleichen Konzept, wie bereits vorangegangen Castingshows, beruhte

Danach wurde das Konzept solcher Castingshows abgeändert. Vorreiter war hier im Jahr 2000 RTL mit der interaktiven Casting-Doku-Soap „Deine Band“, welche aufgrund des ausbleibenden Erfolges wieder eingestellt wurde. Danach startete RTL im zweiten Anlauf mit der Castingshow Deutschland sucht den Superstar (DSDS), bei welcher die Jury aus wechselnden Komponisten, Musikproduzenten und Choreographen bestand und nur beratende Funktion hatte, die Entscheidung über Sieg oder Niederlage trafen die Zuschauer und Zuschauerinnen mittels Telefonvoting.17

2.2.2 Das Musikformat Helden von Morgen

Bei einem neuen Castingformat wird im Vorfeld von der Produktionsfirma definiert, welches Zielpublikum angesprochen werden soll. Für die Werbebranche sind die 14-49jährigen die wichtigste Zielgruppe. Gerade bei Castingshows wirken im Hintergrund viele Werbepartner, Sponsoren oder Lobbyisten mit. Weiters wird darauf geachtet, dass der Moderator oder die Moderatorin bei den Jugendlichen bekannt und beliebt ist. Ein deutliches Beispiel für eine derart bekannte und bei der Zielgruppe geschätzte Moderatorin ist Heidi Klum, da diese eine Modelshow moderiert und nebenbei für diverse Produkte der Kosmetikbranche wirbt.18

Helden von Morgen ist ein neues Castingformat, welches vom ORF entwickelt wurde und Anlehnung an Starmania (eine vom ORF produzierte Castingshow, welche in den Jahren 2002 bis 2004 und 2006 bis 2009 produziert wurde) findet, wobei die Zielgruppe - wie oben beschrieben - zwischen 14 bis 49 Jahre liegt. Anfangs fanden sogenannte Massencastings statt, bei welchen die Gesangstalente ihr Können vor einer Jury beweisen konnten und somit die Chance erhielten, auf der großen Live-Bühne aufzutreten.19

Im Unterschied zu Starmania blieben die KandidatenInnen dem gewählten Musikgenre bis zum Schluss treu. Um jede Woche eine gute Bühnenshow abzuliefern, erhielten die angehenden Popstars Unterstützung von jeweils zwei Musiktrainern. In der Show waren Popgrößen wie Sido, Kim Wilde, Culcha Candela, Rainhard Fendrich, Sido, Rob & Ferdi Bolland, Julie Frost, Ross Antony, Aura Dione, Marilyn Manson und viele mehr als Gesangscoaches tätig.20 Die Jury, welche anfangs aus Musikmanager Philip Ginthör und Agenturleiter Mario Soldo bestand und diese ab 19. November 2010 durch Rapper Sido ergänzt wurde, kommentierte mit fachlichem Wissen den Auftritt der KandidatenInnen.21

Die Entscheidung über Sieg und Vorankommen in der Show selbst traf, in den Live-Shows, das Fernsehpublikum mittels Telefon- oder SMS-Voting. In den ersten vier Shows mussten die zwei KandidatenInnen mit den wenigsten Stimmen bis zum Schluss um das Weiterkommen zittern, den einer der beiden Wackelkandidaten hatte die Möglichkeit, von der Jury wieder zurück in die Show geholt zu werden.22 Am 28. Jänner 2011 wurde schließlich das steirische Gesangswunder Cornelia Mooswalder zur Siegerin der Show gekürt. Auf dem zweiten Platz landete der mühlviertlerische Traktorgangsta-Rapper Lukas Plöchl, welcher bereits während der Show mit seinen selbst komponierten Songs „Oida Taunz!“ und „Gugaruutz“ erfolge in den Charts feiern konnte.23

Der Gewinnerin winkte nicht, wie bei anderen Talentwettbewerben, ein Plattenoder Modelvertrag, sondern eine Siegerprämie von 100.000 Euro. Dies erinnert an Musical - die Show (eine vom ORF im Jahr 2007 produzierte Castingshow), bei welcher der Gewinner Vincent Bueno 50.000 Euro gewann, als Startkapital für seine Karriere - zu welcher es jedoch bis dato nicht kam. Deshalb gilt bei Helden von Morgen die Prämisse: das Geld ist dem Gewinner oder der Gewinnerin sicher, Starruhm und Erfolg jedoch nicht.24

2.3 Inszenierungsstrategien

Um dies genauer zu definieren, wird das vorliegende Kapitel einen kurzen Einblick in die Genrefamilie der Castingshows geben: Castingshows fallen unter die Genrefamilie Reality-TV, wobei die Tendenz immer mehr Richtung „Hybridgenres“, das heißt Reality Soap und Docu Soap, geht. Inhaltlich lässt sich dies durch bewusste Grenzübertretungen kennzeichnen. Beispiele von Grenzübertretungen sind Vermischung von fiktionalen und nonfiktionalen Elementen, von Authentizität und Inszenierung, Alltag und Exotik und Information und Unterhaltung. Hybridgenres können durch folgende Inszenierungsstrategien charakterisiert werden:

Personalisierung, Emotionalisierung, Intimisierung, Stereotypisierung und Dramatisierung.25

Reality TV kann in narratives (zum Beispiel Gerichts-, Help-Shows, Jackass, und so weiter) und performatives (Beziehungs-Shows, Castingshows, und so weiter) Reality TV geteilt werden:26

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Genre des Reality TV27

Es können laut Wegener (1994) fünf verschiedene Inszenierungsstrategien unterschieden werden:28

Personalisierung: die Persönlichkeit der KandidatenInnen wird in Szene gesetzt, indem sie nicht nur von ihrem Schicksal erzählen, sondern den ZuschauerInnen dies direkt vermitteln. Bei den Teilnehmenden werden intime, private Details und Gefühle beleuchtet und sie erzählen „ihre Geschichte“ sehr emotional.

Emotionalisierung: Personalisierung und Emotionalisierung gehen Hand in Hand. Das traurige Schicksal eines Kandidaten oder einer Kandidatin werden durch Cliffhanger, schnelle Schnitte und gefühlvoller Musik noch spannender und wecken dadurch die Emotionen der ZuschauerInnen.

Intimisierung: Das Kamerateam von Castingshows (und anderen Reality TV Shows) greifen ohne Rücksicht auf Verluste in die Intimsphäre der KandidatenInnen ein, entblößen diese und rücken ihre „schlechten“ Charaktereigenschaften ins Rampenlicht. Es soll gezeigt werden, wie normale Menschen mit schwierigen Situationen und Konflikten umgehen.

Stereotypisierung: es werden KandidatenInnen mit bestimmten Charaktereigenschaften ausgewählt und präsentiert. Diese Aufnahmen werden oft aus dem Zusammenhang gerissen und dadurch verstärkt. (Anm.: es gibt in fast jeder Castingshow einen „Womanizer“, ein „Küken“, ein „Flittchen“, und so weiter)

Dramatisierung: durch spannungssteigernde Musik oder überraschende Szenenwechsel wird Spannung geschaffen. Die Entscheidung, wer bei Helden von Morgen rausfliegt, dauerte oft länger, als die gesamten Auftritte der KandidatenInnen.

Popstars als VermittlerInnen von Ruhm und Erfolg Castingshows sind eine Zusammensetzung von verschiedenen Reality TV Formaten, so genannte Hybridformate und bis zu einem gewissen Grad inszeniert.29 Entgegen dieser langläufigen Meinung, sprechen sich ehemalige Teilnehmer von Castingshows in der Boulevardpresse häufig dagegen aus, wie Martin Kesici, Gewinner von „Star Search“: „ Die Wahrheitüber Castingshows ist, dass es nur noch eine reine, ich sag mal, fast eine Telenovela geworden ist. Da ist das Drehbuch von vorne bis hinten geschrieben. Von Anfang an steht fest, wer die letzten Kandidaten, so die zehn, zwanzig letzten Kandidaten sind. Wer bekommt welche Rolle? “ 30 Es liegt ein schmaler Grat zwischen Inszenierung und Realität bei Castingshows, was möglicherweise darauf zurückzuführen ist, dass Musikwettbewerbe immer mehr ein Beliebtheits- anstatt eines Sing-, Tanz- oder Modelwettbewerbes werden. Die Konzepte der Castingshows verursachen heutzutage schließlich, dass das Publikum weniger für die beste Stimme, als für den beliebtesten Teilnehmer oder die beliebteste Teilnehmerin votet.31

3 Mediengebrauch im Alltag

In diesem Kapitel werden die theoretischen Grundlagen, auf welche sich das vorangegangene Kapitel stützt, erklärt und beschrieben. Es wird erläutert, wie sich RezipientenInnen Fernsehinhalte aneignen und welchen Einfluss der soziale Kontext hat.

In der qualitativen Medienforschung gehören Rezeptionsstudien zu den Standardinstrumentarien. ForscherInnen beschäftigen sich mit dem Rezeptionsverhalten des Publikums oder wie Medieninhalte im jeweiligen sozialen Kontext der RezipientenInnen angeeignet werden, folglich steht das Publikum im Mittelpunkt derartiger Untersuchungen. Im Gegensatz dazu liegt das Interesse in der qualitativen Forschung in der Regel nicht darin, wann und wie oft welche Medien genutzt werden, sondern wie und warum kommunikative Aneignung geschieht.32

Der Mediengebrauch findet im Alltag statt und ist in den persönlichen Tagesablauf der RezipientenInnen und deren Familien eingebunden. Die Menschen organisieren ihre Beziehungen anhand der Medien, orientieren sich daran, nehmen stellvertretend mit dem Akteur an einem Leben teil, welches sie selbst nicht führen können, und definieren so sowohl Selbst- und Fremdbild, als auch Identität. Dies wurde vor allem bei Kindern und Jugendlichen beobachtet.33

Im Folgenden wird geklärt, wie weit und in welchem Zusammenhang Rezeption und Aneignung von Fernsehinhalten mit dem sozialen Kontext stehen. Dazu werden in diesem Kapitel theoretische Grundlagen zur Rezeption, Nutzung und Mediananeignung erörtert.

3.1 Theoretische Grundlagen zur Rezeption, Nutzung und Medienaneignung

Medienrezeption bedeutet, dass sich der Leser oder die Leserin aktiv mit Texten, mit der Sprache oder Musik und mit Filmen auseinandersetzt und diese versteht. Die Medienrezeption an sich beginnt mit der Beachtung und Nutzung des Mediums, wobei die Leser-Text-Interaktion oder die Zuschauer-Film-Interaktion im Zentrum steht, da die Interaktion in Zusammenhang mit sozialer Kommunikation stehen kann. Im Anschluss an die Rezeptionsphase kann eine Aneignungsphase (siehe Kapitel 3.1.2. Medienaneignung) folgen, in dieser die Medien- und Lebenserfahrung zueinander in Beziehung gesetzt werden. Die Aneignung erfolgt oft durch Gespräche mit anderen Personen.34

In Zusammenarbeit mit Klaus Neumann-Braun entwickelte Michael Charlton den strukturanalytischen Ansatz. In der strukturanalytischen Rezeptionsforschung wird der Rezeptionsprozess im sozialen Kontext dargestellt.35 Die beiden wählten den Strukturbegriff, weil sie der Meinung waren, dass somit das Zusammenspiel zwischen der „ Autonomie des menschlichen Handels und der Beschränkung der Handlungsfreiheit durch Rahmenbedingen “ 36 am besten verständlich wird.

3.1.1 Die strukturanalytische Rezeptionsforschung

Das strukturanalytische Modell soll „ die Regeln untersuchen, nach denen Menschen mit Medien umgehen “ 37 und bildet damit die Basis für „ ein handlungs- und subjektorientiertes Modell des Rezeptionsprozesses und seiner strukturellen Rahmenbedingungen “ 38. Der strukturanalytische Ansatz stützt sich auf die parasoziale Interaktion und den sozialpsychologischen und soziologischen Kompetenz- und Interaktionstheorien. Charlton und Neumann-Braun knüpfen dabei an die Theorie, dass Menschen ihren Alltag in Lebensbewältigungsprozesse aufschlüsseln, das heißt: sie richten ihr Leben und Handeln an für sie wesentliche Themen aus, womit soziale Aspekte (Familie, Beruf), persönliche Entfaltung oder prekäre Vorfälle (Krankheit, Tod, Krieg) gemeint sind.39

Die Konfrontation der RezipientenInnen mit Medienbotschaften gibt ihnen einen Anstoß und Idee sozialen Handelns anderer. In diesen Impulsen spiegelt sich ihr eigenes Handeln wider. Die RezipientenInnen können diese Impulse nutzen, um sich in sozialen Kontexten einzuordnen oder diese abzulehnen.40 Charlton und Neumann-Braun entwickelten deshalb ein Modell, welches eine handlungstheoretisch orientierte Rezeptionstheorie darlegt, die auf den Hypothesen beruht, dass die Rezeption von Medien41 „als ein regelgeleitetes Geschehen abläuft, einen aktiven, intentionalen Prozess der Auseinandersetzung mit sinnhaften Botschaften darstellt, an kontextuelle (situationelle und gesellschaftliche) Bedingen gebunden ist, und schließlich in einen Prozess münden kann, in dem sich die eigene Lage des Rezipienten mit derjenigen Situation vermittelt, die in Medien thematisiert wird, wobei dieser Prozess für die lebensbewältigenden Anstrengungen des Rezipienten von entscheidender - unterstützender, aber auch entlastender - Bedeutung sind kann .“42

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2: Struktur- und Prozessmerkmale des Medienrezeptionshandelns43

3.1.2 Medienaneignung

Der Begriff Medienaneignung beschreibt die Analyse des Kommunikationsdreieck Subjekt - Medien - gesellschaftlicher Kontext. Unter Medienaneignung kann primär die Mediennutzung, die Perzeption, Beurteilung und Verarbeitung der

Nachricht verstanden werden. Diese Dimensionen werden als

Moderationsfaktoren bezeichnet, welche zum Beispiel Alter, Geschlecht, Reife, der soziale Stand und Bildungsstand, sowie die zur Verfügung stehenden Medien und der Wert der RezipientenInnen in der Gesellschaft, sind.44

Aufbauend auf dem Modell des strukturanalytischen Rezeptionsprozesses (siehe Kapitel 3.1.1.) sehen die Autoren Charlton und Neumann-Braun die Aneignung als eine Phase des Rezeptionsprozesses, in welcher die Rezipienten die Medieninhalte an ihre bisherige Medienerfahrung, Lebensweise und soziales Umfeld, anpassen. Laut Charlton und Neumann-Braun können vier Phasen unterschieden werden:45

Phase 1: die sozialen Einbettung

Wenn mehrere Personen gleichzeitig ein Medium rezipieren, ist es meist nötig, die Rezeption vorzubereiten, vor allem wenn mehrere Personen daran beteiligt sind, sollte im Vorfeld geklärt werden, „wessen Wünsche übergeordnet sind, und wie weit andere unterdrückt werden dürfen“.46

Phase 2: die thematischen Voreingenommenheit

Im Anschluss erfolgt die zweite Rezeptionsphase. Diese Phase ist dann von Belang, wenn nicht die sozialen Rahmenbedingungen, sondern der Inhalt der Rezeption im Vordergrund steht. Aufgrund ihrer Bedürfnisse, ihrem Wissen und ihren persönlichen Eigenschaften, haben die RezipientenInnen unterschiedliche Ansichten gegenüber Medieninhalten, wodurch davon ausgegangen werden kann, dass man sich eher jenem Thema zuwendet, welches eine persönliche Relevanz aufweist.47

Nach Charlton und Neumann-Braun sind Themen „ szenische Handlungsentwürfe, die amübergang von Wunsch und Wirklichkeit, Handlungsidee und Aktvollzug anzutreffen sind. Im Thema drückt sich die Bedürfnislage und die Lebenssituation der Person aus. “ 48 Die Aufgabe von Medienangeboten ist den RezipientenInnen spezifische Themen, ihren Vorlieben und ihrer Relevanz entsprechend, zur Verfügung zu stellen, umso deren Bedürfnisse zu befriedigen.49

Phase 3: die strategische Rezeptionssteuerung

Diese wird auch als Kernphase des Rezeptionsprozesses gesehen. In dieser Phase entscheiden sich RezipientenInnen für ein bestimmtes Thema setzen sich damit auseinander. Sie bestimmten, mit welcher Intensität und Emotion sie sich damit beschäftigen wollen.50 Charlton und Neumann-Braun fiel bei Untersuchungen des Rezeptionsverhaltens bei Kindern auf, dass diese das Medienangebot erst nach einigen Anläufen aktiv mit verfolgen beziehungsweise die Rezeption unterbrechen oder umschalten. Diese Art der Rezeptionssteuerung kann auch auf Erwachsene zu treffen.51

Phase 4: dies ist die eigentliche Aneignungsphase

In der Aneignungsphase passen die RezipientenInnen die aufgenommenen Medieninhalte ihrem Lebensalltag an und verknüpfen diese mir ihrer eigenen Mediengeschichte und ihrem sozialen Umfeld. Dieser Prozess findet nicht ausschließlich innerlich statt, sondern auch in Konversationen über die rezipierten Medientexte.52 Charlton und Neumann-Braun zeigten anhand mehrerer Einzelfalluntersuchungen, dass sich Kinder im Laufe ihres Entwicklungsprozesses auf Medienangebot beziehen, um zu einer Lösung zu gelangen. Die Kinder nutzten diese, um sich ihrer Identität bewusst zu werden oder als Fluchtweg oder zur Entspannung - kurz gesagt: zur Lebensbewältigung.53

3.1.3 Parasoziale Interaktionen beim Medienkonsum

Die Wirkung von Kommunikation lässt sich folgendermaßen zusammenfassen:54 Verknüpfung von Lebensbereichen mit der realen Lebenswelt Auflösung der Verbindung zwischen Körper und Geist

Interferenz von Präsentationsweisen der Medien mit der Diktion der Menschen Integration von Medien in die Kommunikation und Interaktion als parasoziale Interaktion

Massenmedien besitzen die Eigenschaften, „Face-to-Face“-Beziehungen zwischen RezipientenInnen und einer medial vermittelten Figur (genannt Persona55 ) zu simulieren. Vor allem in den visuellen Medien ist die soziale Perzeption auf Größen wie zum Beispiel Aussehen oder Verhalten von Personen gerichtet. Dieses Verhältnis zwischen dem Publikum und den Akteuren wird „parasozial“ genannt.56 Mit der parasozialen Interaktion beginnt die eigentliche Medienkommunikation, woraus unterschiedliche soziale Verhältnisse und mediale Darstellungen entstehen. Diese beiden Punkte stellen die Grundlage parasozialer Interaktion dar, aus denen die Menschen ihre Lebenswelt „aufbauen“.57

Beim Fernsehkonsum ist nahezu alles seriell, das heißt alles wird täglich, wöchentlich oder monatlich wiedergegeben (nur der Inhalt ändert sich), angefangen von Nachrichtensendungen, zu Magazinen, Soaps bis zu Reportagen. Dies bietet eine Orientierungshilfe und Zuverlässigkeit für die zur permanenten Interpretation und Reinterpretation genötigten RezipientenInnen. Dadurch ist den Menschen ein zeitlicher, gleichmäßiger Ablauf gegeben, welcher sich im Alltag in Ritualen manifestiert.58

Durch diese Serialität baut das Publikum eine „Beziehung“ zu Personae in Fernsehsendungen auf, da sie diese regelmäßig „treffen“. Durch die mediale Vermittlung sind die „Gesprächspartner“ zwar voneinander getrennt, jedoch agieren die ZuschauerInnen wie in einer sozialen, persönlichen Kommunikation. Die Darsteller motivieren das Publikum zur Partizipation, und versuchen durch sprachliche oder gestische Signale ein freundschaftliches Verhältnis aufzubauen. Diese Form der Kommunikation ist deshalb parasozial, da die Präsenz der Medienfiguren nicht gegeben ist und diese kein Feedback von den Zuschauern und Zuschauerinnen erhalten (können).59

Die Merkmale einer solchen parasozialen Interaktion gleichen der persönlichen Interaktion:60 man zeigt - im Falle eines Fauxpas - Mitgefühl für den Charakter man kann es kaum erwarten, seinen „Liebsten“ oder seine „Liebste“ wieder zu sehen man möchte den Charakter unbedingt im realen Leben treffen man sucht Informationen sowohl über den Charakter, als auch den Darsteller oder die Darstellerin selbst die Akteure vermitteln dem Publikum, dass sie „beste Freunde sind“ und einander „richtig gut kennen“ Unterschiede zwischen parasozialer und gewöhnlicher Interaktion können folgende sein:61 in einer menschlichen Beziehung hat man oft ein Gefühl der Verantwortlichkeit, welches bei einer medialen Beziehung weniger zum Tragen kommt der Rezipient oder die Rezipientin kann eine parasoziale Beziehung jeder Zeit aufgeben und muss diese auch nicht „vorwärts bringen“ Knackpunkt ist der Mangel einer Wechselbeziehung Durch die parasoziale Interaktion entsteht eine gewisse Illusion von Intimität. Die RezipientenInnen versuchen Gesten, Gesprächsstil und die Situation eines Face-to-Face-Treffens nachzumachen beziehungsweise nachzuempfinden. Die Persona versucht, die Trennlinie zwischen ihm oder ihr und den Zuschauern und Zuschauerinnen weitgehend zu verwischen, umso eine Verbindung zwischen dem Studio und dem zu Hause zu kreieren. Besonders im Reality TV werden KandidatenInnen oft mit dem Vor- oder Spitznamen angesprochen, um Intimität zu betonen. Als weiteres Beispiel kann die “subjektive Kamera“ genannt werden. Die DarstellerInnen sprechen direkt in die Kamera, wodurch dem Publikum das Gefüh vermittelt wird, dass die Kamera gleichzeitig die Augen des Rezipienten oder der Rezipientin sind und sie von den Charakteren direkt angesprochen werden.62

3.2 Fernsehen als gemeinsame soziale Veranstaltung

Fernsehen im privaten Umfeld ist durch einen fixen zeitlichen und meist räumlichen Rahmen gekennzeichnet und stehen oft in Zusammenhang mit mehr oder weniger stark strukturierten Handlungen. Laut Thomas Luckmann und Angela Keppler wird dies als soziale Veranstaltung bezeichnet. Kennzeichnend für eine soziale Veranstaltung des gemeinsamen Fernsehens ist die Relation von verschiedenen Interaktionsprozessen, beispielsweise die Abklärung (siehe Kapitel 3.2.1 / Phase 1), was man rezipieren möchte und ob bei der Entscheidung die Vorlieben aller RezipientenInnen berücksichtigt wurden.63 Allgemein wird befürchtet, die Face-to-Face Interaktion könnte durch die Entwicklung und Verwendung neuer Technologie ersetzt werden. Allerdings wirken Medien häufig integrativ, indem die Nutzung gemeinschaftlich erfolgt beispielsweise beim gemeinsamen Fernsehen.64

In den 70er Jahren führten Peter Hunziker und Will Teichert eine Debatte über die Beziehung von Fernsehkonsum und familiärer Kommunikation. Hunziker vertrat in einem Essay den Standpunkt, Fernsehen sei „tote Zeit“ für familiäre Gespräche, da Interaktion kaum stattfindet und selten als soziales Ereignis in Erinnerung bleibt. Die Verarbeitung der Fernsehsendungen erfolgt meist außerhalb der Familie. Diese These stieß bei Teichert auf Ablehnung, da die Ergebnisse seiner Untersuchungen zeigten, dass Kommunikation im familiären Kontext stattfinden, allerdings das Verhalten ein anderes ist. In über 70% der beobachteten Situationen findet Kommunikation zu unterschiedlichsten Themen statt, beginnend bei fernsehbezogenen Umständen, über politische Einwände bis hin zu alltäglichen Erlebnissen.65

Aufbauend auf diesem Aspekt kann die Verwendung von Medien zur familiären Interaktion anregen. Die Jugend, Information und (Multi-)Media Studie 2004 zeigte, dass Fernsehen Spitzenreiter der gemeinsamen Aktivitäten im familialen Kontext ist. Basierend auf diesem Ergebnis kann davon ausgegangen werden, das Medieninhalte zur Interaktion innerhalb der Familie anregen. Laut Barthelmes‘ Studie (2002) sind gemeinsame Gesprächsthemen bei der Rezeption von Mediainhalten meist Sexualität und Gewalt. Insbesondere wenn Eltern die rezipierten Themen als unpassend für ihre Kinder empfingen, kann dies als Anregung zu einer Diskussion dienen.66

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 3: Funktionen verschiedener Medien für 12-19jährige, n=1.00067

Morley belegte in einer Studie in den 80er Jahren, dass Fernsehen nicht zwingend eine schweigende Beschäftigung ist, sondern jeweils vom Aneignungsstil der RezipientenInnen abhängig ist. Bei dieser Studie beschrieben die Frauen der befragten Familien, dass sie sich unter anderem mit ihrer Familien während des Fernsehens über Alltägliches unterhielten oder sogar nebenbei Hausarbeiten

[...]


1 Vgl. Melnick/Jackson 2002, S. 431

2 Vgl. Klippel/Winkler 1999, S. 338

3 Berger/Luckmann 1996, S. 186

4 Vgl. Wegener 2008, S. 39

5 Vgl. Borgstedt 2008, S. 68

6 Lowry/Korte 2000, S. 16

7 Vgl. Jacke 2004, S. 281 f

8 Vgl. Wolther 2009, S. 197

9 Vgl. Wolther 2009, S. 199

10 Vgl. Hilgers o.J., Castingshows, http://www.filmabc.at/bilder/file/10_Filmheft_Casting_Shows.pdf

11 Vgl. Urbe 04.03.2008, Traum vom Aufstieg, 3, http://www.welt.de/fernsehen/article1736572/Warum_Casting_Shows_so_erfolgreich_sind.html

12 Vgl. Peherstorfer 14.12.2008, 12, Heidi Klum und die Unterwerfung unters Patriarchat, http://diestandard.at/o1227288606902/Heidi-Klum-und-die-Unterwerfung-unters-Patriarchat

13 Vgl. Hilgers o.J., 6, Castingshows, http://www.filmabc.at/bilder/file/10_Filmheft_Casting_Shows.pdf

14 Vgl. Wolther 2009, S. 204

15 Fuchs, zitiert in: Urbe 04.03.2008, 3, Warum Castingshows so erfolgreich sind http://www.welt.de/fernsehen/article1736572/Warum_Casting_Shows_so_erfolgreich_sind.html

16 Vgl. Wolther 2009, S. 203

17 Vgl. Wolther 2009, S. 203

18 Vgl. Hilgers o.J., 6, Castingshows, http://www.filmabc.at/bilder/file/10_Filmheft_Casting_Shows.pdf

19 Vgl. o.V. 08.10.2010, 18, Infos & Regeln, http://heldenvonmorgen.orf.at/?story=32

20 Vgl. o.V. 18.05.2010, 16, Neue Casting-Show: ORF sucht “Helden von Morgen”, http://diepresse.com/home/kultur/medien/565909/Neue-CastingShow_ORF-sucht-Helden-von- Morgen

21 Vgl. o.V. 18.11.2010, 20, Sido wieder bei „Helden von Morgen“ http://derstandard.at/1289608203194/Jury-Triumvirat-Sido-wieder-bei-Helden-von-Morgen

22 Vgl. o.V. 22.10.2010, 17, Die Jury als Rettungsanker?, http://heldenvonmorgen.orf.at/?story=59

23 Vgl. o.V. 20.12.2010, 19, „Helden von Morgen“ - der Klickhit im Internet, http://heldenvonmorgen.orf.at/?story=1118

24 Vgl. Ude 12.06.2010, 14, Helden von morgen - Kohle statt Karriere http://www.kleinezeitung.at/nachrichten/kultur/2372982/helden-morgen-kohle-statt-karriere.story

25 Vgl. Klaus/Lücke 2003, S. 195

26 Vgl. Klaus/Lücke 2003, S. 199

27 Quelle: Lücke 2003, S. 200

28 Vgl. Klaus/Lücke 2003, S. 208 ff

29 Vgl. Klaus/Lücke 2003, S. 210

30 Vgl. Kesici 2009, 15, zitiert in: Wübben, J.: Ausbeutung: Casting-Idole und ihre Wirkung http://www.ndr.de/fernsehen/sendungen/zapp/film_fernsehen_radio/castingshows102.html

31 Vgl. Wolther 2009, S. 203

32 Vgl. Prommer/Mikos 2005, S. 193

33 Vgl. Charlton/Neumann-Braun 1986, S. 20 f

34 Vgl. Charlton/Schneider 1997, S. 16

35 Vgl. Charlton/Neumann-Braun 1986, S. 11

36 Charlton/Neumann-Braun 1986, S. 11

37 Charlton/Neumann-Braun 1992, in Holzer 1994, S. 58

38 Charlton/Neumann-Braun 1992, in Holzer 1994, S. 58

39 Vgl. Holzer (1994), S.60f

40 Vgl. Holzer (1994), S.61

41 Vgl. Holzer (1994), S.62

42 Holzer 1994, S. 63

43 Quelle: Holzer 1994, S. 64

44 Vgl. Schell 2006, 13, Mediennutzung, Medienaneignung und medienpädagogische Folgerungen, http://www.bpb.de/files/UQPFWC.pdf

45 Vgl. Hepp 1998, S. 29

46 Vgl. Hepp 1998, S. 30

47 Vgl. Hepp 1998, S. 30

48 Charlton/Neumann-Braun 1986, S. 30 f

49 Vgl. Charlton/Neumann-Braun 1986, S. 47

50 Vgl. Hepp 1998, S. 30

51 Vgl. Holzer 1994, S. 69

52 Vgl. Hepp 1998, S. 30

53 Vgl. Holzer 1994, S. 71

54 Vgl. Bachmair 1996, S. 49

55 Vgl. Hartmann/Klimmt/Vorderer 2001, 5, Avatare: Parasoziale Beziehungen zu virtuellen Akteuren, http://www.m-und-k.nomos.de/fileadmin/muk/doc/MuK_01_03.pdf

56 Vgl. Hippel 1992, 7, Parasoziale Interaktion, http://www.montage-av.de/pdf/011_1992/01_1_Klemens_Hippel_Parasoziale_Interaktion.pdf

57 Vgl. Bachmair 1996, S. 49

58 Vgl. Bachmair 1996, S. 50

59 Vgl. Hartmann/Klimmt/Vorderer 2001, 5, Avatare: Parasoziale Beziehungen zu virtuellen Akteuren, http://www.m-und-k.nomos.de/fileadmin/muk/doc/MuK_01_03.pdf

60 Vgl. Cohen 2004, 2, Parasocial Break-Up from Favorite Television Characters: The Role of Attachment Styles and Relationship Intensity, http://spr.sagepub.com/content/21/2/187.full.pdf+html

61 Vgl. Hippel 1992, 7, Parasoziale Interaktion, http://www.montage- av.de/pdf/011_1992/01_1_Klemens_Hippel_Parasoziale_Interaktion.pdf

62 Vgl. Horton/Wohl 2006, 8, Mass Communication and Para-Social Interaction: Observations on Intimacy at a Distance,http://www.participations.org/volume%203/issue%201/3_01_hortonwohl.htm

63 Vgl. Hepp 1998, S. 49

64 Vgl. Geserick 2005, S. 21

65 Vgl. Hepp 1998, S. 49 f

66 Vgl. Geserick 2005, 4, Neue Medien im familialen Kontext, http://www.oif.ac.at/aktuell/wp_47_neuemedien_und_familie.pdf

67 Quelle: JIM-Studie 2004, 9, leicht mod., Basisuntersuchung zum Medienumgang 12-19jähriger, http://www.mpfs.de/fileadmin/Studien/JIM2004.pdf

Excerpt out of 122 pages

Details

Title
Faszination Popstar
Subtitle
Eine qualitative Studie zur Rezeption und kommunikativen Medienaneignung der Castingshow "Helden von Morgen"
College
St. Pölten University of Applied Sciences
Grade
3
Author
Year
2011
Pages
122
Catalog Number
V282212
ISBN (eBook)
9783656821588
ISBN (Book)
9783656821595
File size
883 KB
Language
German
Keywords
Medienzrezeption;, Kinder, Musiker, Castingshow
Quote paper
Jacqueline Weinberger (Author), 2011, Faszination Popstar, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/282212

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Title: Faszination Popstar



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